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---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Hessisches Landesarbeitsgericht 10. Kammer | Hessen | 0 | 1 | 02.11.2018 | 0 | Die Parteien streiten über eine Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung von Beiträgen zum Sozialkassenverfahren im Baugewerbe.
Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien im Baugewerbe. Auf der Grundlage des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe
(VTV)
, der in der Vergangenheit regelmäßig für allgemeinverbindlich erklärt worden ist, hat er den Beklagten nach Verbindung von insgesamt neun Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung auf Zahlung von insgesamt 90.166,77 Euro in Anspruch genommen. Zugrunde liegen Beiträge für gewerbliche Arbeitnehmer in dem Zeitraum Dezember 2011 (Rest) bis Juli 2015 sowie August 2016 bis Mai 2017.
Für den Zeitraum Dezember 2011 bis Oktober 2014 stützt sich der Kläger auf Bruttolohnfeststellungen der Arbeitsverwaltung
(Bl. 122 - 125 der Akte).
Für Januar bis Dezember 2015, Januar 2016 bis Juli 2016 macht der Kläger auf der Grundlage von Meldungen Beiträge in Höhe von 26.953,50 Euro geltend
(Bl. 55 der Akte)
. Für den übrigen Zeitraum, also November und Dezember 2014 sowie ab August 2016 bis Mai 2017 macht der Kläger Mindestbeiträge geltend, wobei er davon ausgeht, dass monatlich mindestens drei gewerbliche Arbeitnehmer beschäftigt waren. In der Übersicht lässt sich dies wie folgt zusammenfassen:
11 Ca 639/17
Rest Dez 11
338,35
11 Ca 640/17
Jan 12 - Nov 12
9.047,17
Meldung AA
11 Ca 857/17
Dez 12 - Dez 13
14.380,82
Meldung AA
VB 10.8.2017
11 Ca 741/17
Jan - Okt 2014
14.696,93
Meldung AA
11 Ca 762/17
Nov 14, Dez 14, Dez 16 - Mrz 17
12.378
11 Ca 18/17
Jan 15 - Juli 16
26.953,50
Meldung Bekl.
11 Ca 578/17
August 16 - Sept 16
4.086
VB 8.6.2017
11 Ca 634/17
Okt 16 - Nov 16
4.086
11 Ca 1100/17
Apr und Mai 17
4.200
Zu Beginn der Betriebstätigkeit war der Betrieb im Gewerberegister der Stadt A mit der Tätigkeit "Fuger im Hochbau u. Spachteln"
(Bl. 222 der Akte)
eingetragen. Zuletzt war als betriebliche Tätigkeit "gewerbliche Kälbermast" eingetragen. Im Internet tritt er mit der Bezeichnung "B" auf. Dort lässt sich auch der Unternehmensgegenstand "Montage von genormten Baufertigteilen" recherchieren
(Bl. 234 der Akte)
.
Der Beklagte wurde überwiegend im Auftrag der Fa. C mit Sitz in der xxxx
(im Folgenden: Fa. C)
tätig. Diese Firma stellt Fertiggaragen her und vertreibt diese. Mit seinen Arbeitnehmern baute er nach einer Montageanleitung von der Fa. D vorproduzierte Garagentore in einen von der Fa. C bereitgestellten Betonrahmen ein. Zum Einbau wurden Metallschienen, Schrauben und Dübel benötigt. Sofern erforderlich, wurden auch mit Klemmzargen in den Betonrahmen der Fertiggarage Fenster und Türen montiert. Je nach Bestellumfang wurde etwa auch ein elektrischer Antrieb für das Tor verbaut. Die Garagen waren im Prinzip vollständig fertiggestellt, als die Tore montiert wurden. Unstreitig ist, dass zumindest ein Großteil der Arbeiten auf dem Betriebsgelände der Fa. C in der xxxx erbracht worden ist. Anschließend wurden die in dieser Weise fertiggestellten Garagen mittels eines Spezialfahrzeugs zum Kunden transportiert und beim Endkunden eingebaut, wobei im Streit steht, welche Mitarbeiter diese Transportarbeiten und die Endmontage vorgenommen haben. Hinsichtlich der Einzelheiten der zur Akte gereichten Fotos in Bezug auf die Garagen und die Montageanleitungen wird Bezug genommen auf Bl. 99 - 111 der Akte.
Der Betrieb wurde einer Kontrolle durch die Agentur für Arbeit E unterworfen. Ausweislich des Schreibens vom 9. Dezember 2014 handele es sich nach den dortigen Feststellungen um einen Betrieb mit Trocken- und Montagebauarbeiten
(Bl. 114 der Akte)
.
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Beschluss vom 21. September 2016 - 10 ABR 33/15 -
(NZA Beilage 1/2017, 12 ff.)
entschieden, dass die Allgemeinverbindlicherklärung(en)
(kurz: AVE)
des VTV vom 15. Mai 2008
(BAnz. Nr. 104a 15. Juli 2008)
sowie vom 25. Juni 2010
(BAnz. Nr. 97 2. Juli 2010)
unwirksam sind. Mit einem weiteren Beschluss vom gleichen Tag
(10 ABR 48/15,
AP Nr. 36 zu § 5 TVG)
hat es entschieden, dass die AVE vom 17. März 2014
(BAnz. AT 19. März 2014 B1)
unwirksam ist. Mit Beschlüssen vom 25. Januar 2017 - 10 ABR 43/15 - sowie 10 ABR 34/15 - hat das Bundesarbeitsgericht ferner entschieden, dass die AVE vom 3. Mai 2012
(BAnz. AT 22. Mai 2012 B4)
und vom 29. Mai
2013 (BAnz. AT 7. Juni 2013 B5)
unwirksam sind.
Daraufhin ist ein Gesetzgebungsverfahren zur Stützung des Sozialkassenverfahrens im Baugewerbe initiiert worden. Der Deutsche Bundestag hat am 26. Januar 2017 das Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe
(kurz: SokaSiG)
verabschiedet. Es sieht vor, dass der VTV in seiner jeweiligen Fassung rückwirkend bis zum Jahr 2006 ohne Rücksicht auf eine AVE "gelten" soll. Das Gesetz ist am 25. Mai 2017 in Kraft getreten.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass der betriebliche Geltungsbereich des VTV eröffnet sei. Er mache sich die Angaben der Gegenseite zu eigen, nach denen ausschließlich fertig angelieferte Garagentore eingebaut worden seien. Er hat behauptet, die im Betrieb des Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer hätten arbeitszeitlich betrachtet überwiegend den Einbau von Garagentoren beim Endkunden erbracht. Er verweist auf das SokaSiG und meint, dieses begegne keinen rechtlichen Bedenken.
In den beiden ursprünglich getrennten Rechtsstreitigkeiten 11 Ca 857/17 und 11 Ca 578/17 ist jeweils ein Vollstreckungsbescheid erlassen worden.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Vollstreckungsbescheide vom 8. Juni 2017 - 11 Ca 578/17 - und vom 10. August 2017 - 11 Ca 857/17 - aufrechtzuerhalten und den Beklagten darüber hinaus zu verurteilen, an den Kläger 71.699,95 Euro zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Vollstreckungsbescheide aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Er hat die Ansicht vertreten, dass der betriebliche Geltungsbereich des VTV nicht eröffnet sei. Er hat behauptet, er baue ausschließlich fertig angelieferte Garagentore ein. Er werde als Nachunternehmer der Fa. C tätig und baue aus Hallprodukten und Rohlingen nahezu ausschließlich auf dem Betriebsgelände der Fa. C Garagen zusammen. Mit Schriftsatz vom 5. September 2017 ist vorgetragen worden, dass lediglich ein Teil der Leistung des Beklagten darin bestünde, dass die Garagentore beim Endkunden eingebaut würden. Er hat gemeint, der Vortrag des Klägers sei nicht hinreichend substantiiert. Diese Tätigkeit sei weder als Fertigbauarbeiten noch als Trocken- und Montagebauarbeiten zu bewerten. Nur in Ausnahmefällen sei er noch vor Ort beim Endkunden tätig. Dies komme regelmäßig dann vor, wenn bei der Verrichtung seiner Tätigkeit Mängel aufgetreten sind und diese im Rahmen der Gewährleistungsansprüche beseitigt werden müssten. Lediglich ein- bis zweimal pro Monat hätten solche Arbeiten beim Endkunden außerhalb des Betriebsgeländes der Fa. C stattgefunden.
Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat mit Urteil vom 24. Januar 2018 der Klage im vollen Umfang stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der betriebliche Geltungsbereich des VTV sei eröffnet. Dies habe der Kläger zunächst schlüssig behauptet, das Bestreiten des Beklagten sei hingegen nicht erheblich. Die Montage von industriell vorproduzierten Garagentoren nach einer Montageanleitung sei jedenfalls dann als bauliche Tätigkeit zu bewerten, wenn die Garage später beim Kunden eingebaut werde. Es handele sich dann um eine notwendige Vorarbeit. Aus dem Vortrag des Beklagten lasse sich nicht hinreichend klar entnehmen, dass auf den Einbau beim Kunden weniger als 50 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit entfallen sei. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Urteils der ersten Instanz wird Bezug genommen auf Bl. 127 - 139 der Akte.
Dieses Urteil ist dem Beklagten am 16. März 2018 zugestellt worden. Die Berufungsschrift ist bereits am 1. März 2018 bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangen. Nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 18. Juni 2018 ist die Berufungsbegründung am 18. Juni 2018 bei dem Berufungsgericht eingegangen.
In seiner Berufungsbegründung trägt der Beklagte vor, dass das Arbeitsgericht zu Unrecht angenommen habe, der betriebliche Geltungsbereich sei eröffnet. Insbesondere erbringe er keinerlei Bauleistungen beim Endkunden. Bereits erstinstanzlich sei vorgetragen worden, dass nur in Ausnahmefällen außerhalb des Betriebsgeländes der Fa. C beim Endkunden Tätigkeiten erbracht wurden, nämlich ca. ein bis zweimal pro Monat. Die Tätigkeiten beim Endkunden würden sich ausschließlich auf Gewährleistungsarbeiten beziehen. Die Aufstellung und Errichtung der Garage beim Endkunden erfolge ausschließlich durch die Fa. C. Es wäre Sache des Klägers gewesen, die Mitarbeiter namentlich zu benennen, die angeblich Tore eingebaut hätten.
Der Beklagte stellt sinngemäß den Antrag,
das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 24. Januar 2018 - 11 Ca 18/17 - abzuändern, die Vollstreckungsbescheide vom 8. Juni 2017 und 10. August 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts und meint, es sei zutreffend entschieden worden, dass der betriebliche Geltungsbereich des VTV eröffnet sei. Das Vorbringen des Beklagten sei bereits widersprüchlich. Es sei erstinstanzlich die Behauptung aufgestellt worden, dass zu mehr als die Hälfte der betrieblichen Gesamtarbeitszeit Garagentore auf dem Bauhof der Fa. C bzw. beim Endkunden eingebaut wurden. Er, der Kläger, habe auch, jedenfalls für die Kalenderjahre 2015 und 2016, Beweis angetreten. Entscheidend sei, dass die Arbeitnehmer die Garagentore in den Betonrahmen einbauten, dies sei als Vormontage zu werten. Bei der Garage handele es sich um ein Bauwerk. Sofern das Tor eingebaut wird, werde das Bauwerk hergestellt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird ergänzend Bezug genommen auf sämtliche gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften. | Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 24. Januar 2018 - 11 Ca 18/17 - wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen. | 0 |
VG Frankfurt 9. Kammer | Hessen | 0 | 1 | 29.04.2004 | 1 | Randnummer
1
Der in den Diensten der Beklagten stehende beihilfeberechtigte Kläger beantragte am 12.03.2002 die Gewährung einer Beihilfe zu Aufwendungen, die ihm im Zusammenhang mit der ärztlichen Behandlung seiner Ehefrau aufgrund der Rechnung des behandelnden Arztes Dr. med. K vom 27.02.2002 entstanden waren. Das Grenzschutzpräsidium Mitte gewährte mit Bescheid vom 18.03.2002 eine Beihilfe von 398,57 Euro. Dabei erkannte es in Bezug auf die genannte Rechnung u. a. Aufwendungen in Höhe von 21,44 Euro nicht als beihilfefähig an. Diesen Betrag hatte der behandelnde Arzt im Hinblick auf die von ihm durchgeführte Sonographie der rechten Brust der Ehegattin des Klägers jeweils für Folgesonographien der Lymphknoten rechts und links in Rechnung gestellt. Wegen der Rechnungsstellung im Einzelnen wird auf die Rechnung vom 27.02.2002 Bezug genommen (Bl. 18 ff. d. Beihilfevorgangs).
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2
Der Kläger erhob mit Schreiben vom 04.04.2002 Widerspruch unter Berufung auf ein Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 24.03.1981 und unter Beifügung eines Auszugs aus einem Kommentar zum Gebührenverzeichnis zur Gebührenordnung für Ärzte. Im übrigen wies er darauf hin, dass die Beihilfestelle in früheren Zeiten eine entsprechende Abrechnung des behandelnden Arztes nicht beanstandet habe.
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3
Das Grenzschutzpräsidium Mitte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 05.12.2002 zurück. Es führte aus, dass der behandelnde Arzt in der Rechnung vom 27.02.2002 für die Sonographie der rechten Brustdrüse die Gebührenziffer 418 des Gebührenverzeichnisses in Ansatz gebracht habe, daneben die Gebührenziffer 420 für die Sonographie der linken Brust und weiterhin zweimal die Gebührenziffer 420 jeweils für die Sonographie der rechten und linken Lymphknoten. Die Untersuchung dieser Strukturen sei aber im Bereich einer Körperregion erfolgt, die Sonographie der Lymphknoten sei folglich jeweils mit der Sonographie der jeweiligen Brust abgegolten. Die Berechnung nach Gebührenziffer 420 des Gebührenverzeichnisses hinsichtlich der Lymphknotenuntersuchung können daher beihilferechtlich nicht anerkannt werden. Der Widerspruchsbescheid ging dem Kläger am 11.01.2003 zu.
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Der Kläger hat am 05.02.2003 Klage erhoben. Er vertritt die Auffassung, dass sich der Begriff des Organs, wie er in dem Gebührenverzeichnis zur Gebührenordnung für Ärzte verwendet werde, maßgeblich nach dem medizinischen Untersuchungsaufwand bestimme. Die Beklagte habe das Gebührenrecht fehlerhaft angewandt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 31.03.2003 (Bl. 15 f. der Akte), vom 04.11.2003 (Bl. 45 d. Akten) und vom 12.11.2003 (Bl. 40 ff. der Akten) Bezug genommen.
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Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Beihilfebescheids des Grenzschutzpräsidiums Mitte vom 18.03.2002 und des Widerspruchsbescheids derselben Behörde vom 05.12.2002 zu verurteilen, weitere Aufwendungen des Klägers in Höhe von 21,44 Euro als beihilfefähig anzuerkennen und an den Kläger eine weitere Beihilfe in Höhe von 10,72 Euro zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung vertieft sie ihre Ausführungen aus dem Widerspruchsbescheid.
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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt und auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
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Ein gehefteter Verwaltungsvorgang (Bl. 1 bis 21) liegt vor und ist Grundlage der Entscheidung. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Verwaltungsvorgang sowie die Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, Bezug genommen. | Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist im Kostenausspruch vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. | 0 |
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt 1. Senat | Sachsen-Anhalt | 0 | 1 | 26.08.2022 | 0 | Randnummer
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Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) ab 1. November 2015 streitig.
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Der am ... 1967 geborene Kläger absolvierte nach Abschluss der zehnten Schulklasse von 1984 bis 1986 eine Lehre als Baufacharbeiter und von 1996 bis 1998 als Baugeräteführer. Zuletzt war er von März bis Juli 2013 als Baufacharbeiter beschäftigt. Er bezog anschließend Krankengeld und Arbeitslosengeld und seither Grundsicherungsleistungen.
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Nach dem Rehabilitationsentlassungsbericht der T. Fachklinik vom 9. April 2014 über die ambulante Rehabilitation vom 20. März bis 9. April 2014 bestünden ein pseudoradikuläres Lumbalsyndrom links bei Osteochondrose und Spondylarthrose und ein chronisches Zervikalsyndrom bei muskulären Dysbalancen. Das Gangbild wurde als zügig und ungestört beschrieben. Der Kläger könne spätestens in 4 Wochen körperlich mittelschwere Tätigkeiten mit weiteren Einschränkungen 6 Stunden täglich und mehr verrichten. Als Baufacharbeiter sei er nicht einsetzbar.
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In dem Rentenantrag vom 20. Oktober 2015 machte der Kläger geltend, seit 10 Jahren wegen chronischer Schmerzen, Rücken, Taubheitsgefühl „0 Stunden“ leistungsfähig zu sein.
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Die Beklagte zog zunächst von der Fachärztin für Innere Medizin M. Befundunterlagen bei und holte einen Befundbericht von der Fachärztin für Anästhesiologie K. vom 25. November 2015 ein. Dort hatte sich der Kläger von Juli bis Oktober 2013 in Behandlung befunden.
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Die Beklagte ließ sodann die Fachärztin für Anästhesiologie und Sozialmedizin E. von ihrem Sozialmedizinischen Dienst (SMD) das Gutachten vom 29. Januar 2016 nach Untersuchung des Klägers am 13. Januar 2016 erstatten. Dieser gab an, wegen Schmerzen könne er keine Wegstrecken mehr zurücklegen. Auto fahre er nur kurze Strecken. Die Gutachterin beschrieb einen guten Allgemein- und Kräftezustand mit sehr gut ausgeprägter Muskulatur der Extremitäten und im Brustbereich, ein flüssiges Gangbild ohne Hilfsmittel und ein flüssiges Be- und Entkleiden im freien Stand. Die oberen und unteren Extremitäten seien frei beweglich und die Muskelkraft vollständig erhalten. Die Lendenwirbelsäule (LWS) sei eingeschränkt beweglich; in allen anderen Abschnitten sei die Wirbelsäule ohne Schmerzangabe frei beweglich. Neurologische Ausfälle lägen nicht vor. Es bestehe eine verminderte Sensibilität des gesamten linken Beins. Die Gutachterin diagnostizierte eine Minderbelastbarkeit der LWS bei Verschleiß und fortbestehender Schmerzsymptomatik sowie eine Minderbelastbarkeit bei Schulter-Arm-Syndrom. Der Kläger könne noch leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten im Stehen, Gehen und Sitzen 6 Stunden täglich und mehr verrichten. Zu vermeiden seien häufiges Hocken, Arbeiten in Rumpfvorneige sowie über Kopf, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, mit stetiger Einwirkung von Nässe, Kälte und Zugluft sowie mit stets einseitiger Arbeitshaltung ohne Möglichkeit zum Ausgleich. Nach Einleitung einer suffizienten Schmerztherapie sei der Kläger in der Lage, mindestens 500 m in jeweils 20 Minuten viermal täglich zurückzulegen. Als Baufacharbeiter könne er nicht mehr arbeiten.
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Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 20. Januar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 2016 den Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung ab. Es bestehe ein Leistungsvermögen im Umfang von mindestens 6 Stunden täglich für leichte bis mittelschwere Arbeiten mit weiteren Funktionseinschränkungen.
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Hiergegen hat sich der Kläger mit der am 5. August 2016 beim Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage gewandt und am 20. Januar 2017 ausgeführt, wegen der Schmerzzustände könne er keinerlei Tätigkeiten von wirtschaftlichem Wert mehr verrichten.
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Das Sozialgericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt. Die Fachärztin für Orthopädie S. hat am 15. Juli 2017 angegeben, den Kläger zuletzt im Oktober 2013 behandelt zu haben. Der Facharzt für Orthopädie E. hat am 27. Juli 2017 ein mindestens sechs- bzw. achtstündiges tägliches Leistungsvermögen mit Pausen angenommen. Die Hausärztin M. hat am 18. Juli 2017 eingeschätzt, den Beruf als Bauarbeiter könne der Kläger nicht mehr ausüben; zudem sei er wegeunfähig.
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Der Kläger ist vom 26. bis 30. April 2018 stationär wegen einer Fraktur des linken oberen Sprunggelenks behandelt worden. Der Facharzt für Chirurgie B. hat am 22. Juni 2018 eine Belastung des linken Beins erlaubt und am 24. Juni 2019 eine 100%ige Konsolidierung festgestellt.
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11
Sodann hat auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Fachärztin für Orthopädie K. das Gutachten vom 24. Juli 2019 nach dessen Untersuchung am selben Tag erstattet. Der Kläger hat angegeben, er könne weniger als eine halbe Stunde zu Fuß gehen. Er benutze seit Jahren Unterarmgehstützen außer Haus und im Garten. Die Gutachterin hat den Kläger als beschwerdefixiert beschrieben. Das Gangbild sei an zwei Unterarmstützen sicher und flüssig, ohne Unterarmgehstützen hinke er nicht. Hinweise auf ein neurologisches Defizit lägen nicht vor. Die Gutachterin hat folgende Diagnosen gestellt: Chronisches lumbales Pseudoradikulärsyndrom links bei beginnenden degenerativen Veränderungen der LWS besonders im Segment L 2/3, Synovialitis rechts bei Koxarthrose rechts mehr als links, rezidivierende belastungsabhängige Gonalgie bei retropatellar führender Valgusgonarthrose rechts mehr als links, chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, knöchern konsolidierte, osteosynthetisch versorgte Sprunggelenkfraktur links. Die Intensität der durch die Rückenschmerzen verursachten Störungen und die starke Beeinträchtigung der Gehfähigkeit überstiegen das erwartbare Ausmaß der Untersuchungsbefunde deutlich. Es bestünden Aggravationstendenzen und ein demonstratives Verhalten. So habe der Kläger die ihm runtergefallenen Tabletten demonstrativ nicht aufgehoben, obwohl ihm dies anhand der Messwerte gut hätte gelingen müssen. Auch die Nutzung der Unterarmstützen sei eher nicht nachvollziehbar. Der Kläger könne noch körperlich leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen mit gelegentlichem Haltungswechsel zum Gehen und Stehen mindestens 6 Stunden täglich verrichten. Mittelschwere Arbeiten seien wegen der Coxarthrose rechts mehr als links nunmehr auszuschließen. Er könne nur noch in geschlossenen Räumen arbeiten; Arbeiten im Akkord und mit besonderer Beanspruchung der Wirbelsäule und der Beine seien ausgeschlossen. Die Leistungsfähigkeit genüge einfachen bis durchschnittlichen Anforderungen an das Sehen, Schreiben sowie die mnestischen und kognitiven Fähigkeiten. Vermehrte Arbeitspausen sei nicht erforderlich. Der Kläger könne viermal täglich 500 m zu Fuß zurücklegen. Er könne selbstständig ein Kraftfahrzeug führen.
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12
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 12. Juni 2020 abgewiesen. Der Kläger sei nicht erwerbsgemindert und auch nicht in der Wegefähigkeit wesentlich eingeschränkt.
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13
Gegen das ihm am 29. Juni 2020 zugestellte Urteil hat der Kläger am 24. Juli 2020 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Die Schmerzsymptomatik ließe eine nur noch 2-stündige Leistungserbringung zu. Die prognostische Notwendigkeit einer Hüft-TEP erlaube schon jetzt keine berufliche Tätigkeit von 6 Stunden täglich und mehr. Die Unterarmstützen seien von der Hausärztin verordnet worden; insoweit liege keine Aggravation vor.
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14
Der Kläger beantragt,
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15
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 12. Juni 2020 und den Bescheid der Beklagten vom 20. Januar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 2016 aufzuheben,
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16
die Beklagte und Berufungsbeklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt entsprechend den Maßgaben der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
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17
Die Beklagte beantragt,
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18
die Berufung zurückzuweisen.
Randnummer
19
Sie hält das angefochtene Urteil und ihren Bescheid für zutreffend. Sie hat ergänzend auf die Stellungnahme des SMD vom 28. Oktober 2020 verwiesen.
Randnummer
20
Der Senat hat Befundberichte der Hausärztin M. vom 17. November 2020 und der Fachärztin für Orthopädie S. vom 20. November 2020 eingeholt. Frau M. hat eine deutliche Verschlechterung der Gesamtsymptomatik nach der Sprunggelenksfraktur links mit einem Lymphödem im linken Bein beschrieben. Der Kläger werde mit dem Auto vor die Praxis gefahren und laufe wenige Schritte ohne Stützen bei deutlichem Schonhinken. S. hat zusätzliche Schultergelenksbeschwerden rechts seit 2020 mitgeteilt. Aus den Befunden des linken Sprunggelenks ließe sich nicht die Notwendigkeit von Unterarmstützen ableiten.
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21
Sodann ist auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG das schmerzmedizinische Gutachten der Fachärztin für Anästhesiologie, spezielle Schmerztherapie F. vom 15. Juni 2021 nach Untersuchung des Klägers am 9. April 2021 eingeholt worden. Der Kläger hat angegeben, sich wegen der chronischen Dauerschmerzen in seiner Wohnung meistens sitzend oder liegend aufzuhalten. Er verlasse das Haus nur zu unausweichlichen Gelegenheiten und fahre nur einmal die Woche mit dem Auto einkaufen. Das Gangbild ohne Gehhilfe hat die Gutachterin als unauffällig beschreiben. Es bestehe eine im Wesentlichen uneingeschränkte passive und mit etwas mehr Einschränkungen auch aktive Beweglichkeit des Skelettapparats. Die Muskelkraft der Extremitäten sei vollständig erhalten. Reflexe und Sensibilität seien ungestört. Die chronische eigenständige Schmerzkrankheit müsse nicht zwangsläufig mit apparativen oder klinischen Untersuchungsbefunden korrelieren. Die Gutachterin hat folgende Diagnosen genannt: Chronische Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Faktoren, andauernde Persönlichkeitsänderung bei chronischem Schmerzsyndrom, nicht radikulär ausstrahlender lumbosakraler Rückenschmerz bei degenerativen WS-Veränderungen L3-L5, Muskeldysfunktion: mehrere Lokalisationen, Belastungsschmerz bei Gonarthrose beider Kniegelenke. Aus schmerztherapeutischer Sicht könne der Kläger jegliche dauerhafte, auf Wiederholung und Regelmäßigkeit ausgelegte körperliche Arbeit über 60 Minuten nicht bewältigen. Ausgeschlossen seien Arbeiten unter Zeitdruck, im Akkord, in Wechselschicht, Nachtarbeit, Arbeit in Zwangshaltung und mit überwiegend einseitigen Körperhaltungen, mit Hilfsmitteln zur Höhenarbeit, mit schweren technischen Geräten, bei Kälte, Nässe, Temperaturschwankungen, Hitze, Zugluft, Lärm. Die Chronifizierungsprozesse beeinträchtigten die kognitive Leistungsfähigkeit, das Reaktionsvermögen und die Aufmerksamkeit. Die geistige Leistungsfähigkeit sei nachhaltig und schwerwiegend reduziert. Ungelernte Tätigkeiten könnten nicht zuverlässig und dauerhaft durchgeführt werden. Die der Art nach zumutbaren Tätigkeiten könne der Kläger seit mindestens 2015 nicht mehr 6 Stunden täglich ausüben. Er könne nur für kürzere Strecken ein Kfz führen und nicht ohne Anstrengung und ohne Pausen viermal täglich mehr als 500 m zu Fuß in längstens 20 Minuten zurücklegen; Gehilfen würden die Beschwerden nicht lindern. Dringend geboten sei eine interdisziplinare multiprofessionelle Schmerztherapie. Zu Beginn könne eine multimodale stationäre Therapie erfolgen, die im Verlauf gegebenenfalls ambulant fortgesetzt werden müsse. Ziel sei zunächst eine bessere Schmerzkontrolle und allenfalls langfristig eine Schmerzfreiheit.
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22
Daraufhin hat die Beklagte mit Bescheid vom 25. November 2021 dem Kläger eine stationäre Leistung zur medizinischen Rehabilitation für die Dauer von fünf Wochen im Schmerztherapiezentrum RV Bad M. bewilligt. Sie hat mitgeteilt, dass der Kläger am 8. Mai 2022 in der Rehabilitationsklinik abgesagt habe.
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23
Nach richterlichem Hinweis vom 10. Mai 2022 auf die Mitwirkungspflichten den Grundsatz der objektiven Beweislast hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 31. Mai 2022 erklärt: Der Kläger werde an der Rehabilitationsmaßnahme nicht teilnehmen. Das Verfahren laufe seit 2015 und es seien umfangreiche Begutachtungen erfolgt. Die Maßnahme habe nur den Zweck, das Verfahren weiter hinzuziehen. Dessen Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit sei erheblich deformiert worden.
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24
Die Beteiligten haben sich mit Erklärungen vom 31. Mai und 24. Juni 2022 mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Randnummer
25
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind. | Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg 12. Senat | Berlin | 0 | 1 | 08.09.2016 | 1 | Randnummer
1
Die Klägerin ist ein Hausverwaltungsunternehmen mit Sitz in Berlin. Sie wendet sich gegen ihre Heranziehung zur Dienstleistungsstatistik.
Randnummer
2
Mit Bescheid vom 5. November 2012 zog der Beklagte die Klägerin erstmals aufgrund einer neuen Stichprobenziehung zur Auskunftserteilung für die jährliche Strukturerhebung im Dienstleistungsbereich beginnend ab dem Geschäftsjahr 2011 „bis auf Widerruf, mindestens jedoch bis zur Ziehung einer neuen Stichprobe“ heran. Den dagegen eingelegten Widerspruch, mit dem die Klägerin ihre Auswahl im Rahmen eines ordnungsgemäßen Verfahrens bestritt, wies er mit Widerspruchsbescheid vom 30. November 2012 zurück und führte zur Begründung aus:
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3
Bei der Dienstleistungsstatistik handele es sich um eine Bundesstatistik, die jährlich als Stichprobe bei bundesweit höchstens 15 % aller Erhebungseinheiten durchgeführt werde. Die Auswahl der in die Stichprobe einzubeziehenden Erhebungseinheiten (Auswahlgesamtheit) erfolge nach einem mathematisch-statistischen Verfahren. Grundlage sei das bei den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder geführte Unternehmensregister. Dieses Register, gespeist im Wesentlichen aus Verwaltungsdateien der Finanzverwaltung und der Bundesagentur für Arbeit, enthalte Angaben zur Identifizierung, wirtschaftszweigsystematischen Zuordnung, Aufnahme bzw. Einstellung der wirtschaftlichen Tätigkeit und der Größe (etwa dem Umsatz) der erfassten Einheiten. Auf dieser Grundlage erstelle das Statistische Bundesamt eine Auswahlplanung, die die Verteilung der Auswahlgesamtheit auf die einzelnen Bundesländer, Wirtschaftszweige und Größenklassen berücksichtige. In jeder der so gebildeten Schichten erfolge sodann nach dem Zufallsprinzip die Ziehung der für die Erhebung benötigten Anzahl von Einheiten.
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4
Auf Beschluss der Fachreferenten der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder sei nach dem vorstehenden Verfahren bundesweit ein vollständig neuer Berichtskreis ab dem Geschäftsjahr 2011 gebildet worden. Zur Entlastung der bisher im Rahmen der Dienstleistungsstatistik auskunftspflichtigen Einheiten sei dabei eine Rotation in der Reihenfolge der Berichtszeiträume 2008 bis 2010, 2003 bis 2007 sowie 2000 bis 2002 erfolgt. Ausweislich der Angaben im Unternehmensregister sei die Klägerin als rechtlich selbständiges Unternehmen dem Wirtschaftszweig 68.32 (Verwaltung von Grundstücken, Gebäuden und Wohnungen für Dritte) und der Größenklasse 9 zugeordnet. Der Stichprobenplan für das Land Berlin sehe vor, dass in dieser Schicht von 81 vorhandenen Einheiten alle Einheiten auszuwählen seien (sog. Totalschicht). Ein einmal ausgewähltes Unternehmen bleibe mindestens bis zur Ziehung einer neuen Stichprobe berichtspflichtig. Der Heranziehungsbescheid enthalte daher keine konkrete zeitliche Vorgabe; die Verwendungsdauer der gezogenen Stichprobe richte sich unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Entwicklung nach dem Maß ihrer schwindenden Validität und werde von Jahr zu Jahr neu beurteilt.
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5
Mit der dagegen am 28. Dezember 2012 erhobenen Anfechtungsklage hat die Klägerin geltend gemacht, dass ihre unbefristete Heranziehung bis auf Widerruf nicht durch das dem Beklagten eingeräumte Auswahlermessen gedeckt sei und sie in ihrer Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 GG verletze. Auch wenn der Beklagte in der Vergangenheit in Abständen von mehreren Jahren jeweils neue Stichproben gezogen habe, könne sie nicht darauf verwiesen werden, auf ein künftiges rechtmäßiges Verhalten zu vertrauen. Vielmehr habe der Beklagte, soweit dies mit seinen Aufgaben vereinbar sei, den Weg zu wählen, der den Betroffenen am wenigstens belaste. Gründe, die der Bestimmung einer zeitlichen Obergrenze schon zu Beginn einer Stichprobenziehung entgegenstünden, seien nicht ersichtlich. Zudem sei ihre Einordnung in eine Totalschicht nicht nachvollziehbar; für die hier in Rede stehende Unternehmenskategorie sei in der Vergangenheit eine solche Totalschicht nicht gebildet worden.
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Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 4. Dezember 2014 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
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Die Klägerin gehöre zu den auskunftspflichtigen Erhebungseinheiten. Ihre unbefristete Heranziehung „bis auf Widerruf“ begegne keinen rechtlichen Bedenken. Aus dem Dienstleistungsstatistikgesetz ergebe sich weder, dass die Auskunftspflicht von vornherein auf einen bestimmten Zeitraum zu befristen sei, noch enthalte das Gesetz Vorgaben zur Häufigkeit der Verwendung einer einmal gezogenen Stichprobe. Die Entscheidung über die Verwendungshäufigkeit stehe im pflichtgemäßen Ermessen der Statistischen Ämter. Das dazu bundeseinheitlich entwickelte Verfahren, das eine jährliche Überprüfung der Verwendungsdauer der Stichprobe nach dem Maß ihrer schwindenden Validität unter Berücksichtigung der Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung vorsehe, sei sachgerecht und lasse einen Ermessensfehler nicht erkennen. Eine zeitliche Befristung der Heranziehung ergebe sich letztlich schon aus der Natur der Stichprobe selbst, da diese aufgrund von Veränderungen bei der Auswahlgesamtheit mit den Jahren immer weniger repräsentativ sei; durch die Festlegung eines konkreten Zeitraums würde die Klägerin daher keinen nennenswerten rechtlichen Vorteil erlangen. Umgekehrt stünde einer solchen Befristung der Sinn und Zweck des Gesetzes entgegen, da für die Dauer der Heranziehung nicht mehr die statistische Qualität der erhobenen Daten entscheidend wäre, sondern allein der zeitlich vorgegebene Rahmen.
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Die Zuordnung der Klägerin zu einer sog. Totalschicht sei gleichfalls rechtmäßig. Mangels ausdrücklicher gesetzlicher Vorgaben lägen die Einzelheiten des Auswahlverfahrens und die Entwicklung der Auswahlgrundsätze im pflichtgemäßen Ermessen des Beklagten; Ermessensfehler seien insoweit nicht ersichtlich. Der Beklagte habe die Gründe, aus denen es im Rahmen eines Stichprobenverfahrens zur Bildung einer Totalschicht kommen könne, plausibel und substantiiert dargelegt. Das von ihm eingesetzte mathematisch-statistische Verfahren habe das Ziel, bei der vom Gesetz vorgegebenen Gesamtprobe von maximal 15 % aller Erhebungseinheiten optimale statistische Ergebnisse mit Blick auf die Repräsentativität der Datenerhebung zu erzielen. Dies führe zu einer unterschiedlichen Gewichtung der Schichten. Um ein insgesamt aussagekräftiges Ergebnis zu erzielen, sei es etwa bei heterogenen Schichten, die hohen Schwankungen unterlägen, und bei umsatzbedeutenden Schichten, die einen sehr hohen Ergebnisbeitrag für das Gesamtergebnis aufwiesen, erforderlich, überproportional viele Erhebungseinheiten heranzuziehen - bis hin zur Totalschicht. Andernfalls müsste der Stichprobenumfang, d.h. die Anzahl der auskunftspflichtigen Erhebungseinheiten, insgesamt deutlich erhöht werden. Für eine unverhältnismäßige Belastung der Klägerin durch die Zugehörigkeit zu einer Totalschicht bestünden keine Anhaltspunkte. Sie sei erstmals zur Auskunft herangezogen worden; ob sie auch in Zukunft aufgrund einer neuen Stichprobenziehung einer Totalschicht ohne die Möglichkeit einer Rotation angehöre, sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt offen.
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Hiergegen richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung der Klägerin. Nachdem der Beklagte während des Berufungsverfahrens den Heranziehungsbescheid unter Hinweis auf eine neue Stichprobenziehung mit Wirkung ab dem Geschäftsjahr 2014 widerrufen hat, hat die Klägerin zunächst Hauptsachenerledigung erklärt, die einseitig geblieben ist, und ihre Klage sodann auf ein Fortsetzungsfeststellungsbegehren umgestellt. Sie habe wegen Wiederholungsgefahr ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides; nach der Ankündigung des Beklagten gehöre sie nach der Stichprobenneuziehung wiederum einer auskunftspflichtigen Totalschicht an. Im Übrigen wiederholt und vertieft die Klägerin ihre bereits erstinstanzlich erhobenen Einwände. Der Bescheid sei schon deshalb rechtswidrig, weil er die Dauer der Heranziehung nicht zeitlich begrenze. Dies verletze den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und verhindere die Inanspruchnahme effektiven Rechtsschutzes; für die Betroffenen gebe es faktisch keine Möglichkeit, eine regelmäßige Überprüfung des Kreises der Auskunftspflichtigen durchzusetzen. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts habe der Beklagte auch die Bildung einer Totalschicht in der hier in Rede stehenden Größenklasse nicht plausibel erläutert. Der Verweis auf allgemeine methodische Grundlagen genüge dafür nicht; eine Berechnung anhand von konkreten Daten sei nicht vorgelegt worden. Damit handele es sich letztlich um eine „Geheimentscheidung“ des Beklagten, die keinen Bestand haben könne.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 4. Dezember 2014 zu ändern und festzustellen, dass der Heranziehungsbescheid des Beklagten vom 5. November 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2012 rechtswidrig war.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt unter Darlegung seines methodischen Vorgehens im Wesentlichen die erstinstanzliche Entscheidung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Streitakte und den Verwaltungsvorgang des Beklagten verwiesen. | Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des Vollstreckungsbetrages leistet.
Die Revision wird zugelassen. | 0 |
AG Frankfurt 52. Einzelrichter | Hessen | 1 | 0 | 27.05.2022 | 0 | Die Parteien streiten um den Einbau funkwartungsfähiger Rauchwarnmelder.
Die Beklagte hat per Mietvertrag zum 16.2.2010 die im Klageantrag bezeichnete Wohnung gemietet und bezogen. Die Klägerin ist Eigentümerin der Liegenschaft und Vermieterin. Die Wohnung verfügt über 2 Zimmer sowie einen Flur. Die Klägerin möchte die installierten Rauchwarnmelder demontieren und austauschen gegen funkwartungsfähige Rauchwarnmelder, wodurch das jährliche Betreten der Wohnung zu Wartungszwecken entfällt. Eingesetzt werden sollen Funk-Rauchwarnmelder 2 der Firma …; hinsichtlich der von der Klägerin eingereichten Produktunterlagen wird auf Bl. 62ff. d.A. Bezug genommen. Die Klägerin wandte sich mit Schreiben v. 27.04.2021 mit ihrem Anliegen an die Beklagte. Hinsichtlich des Inhalts des Schreibens wird auf Bl. 24f. d.A. Bezug genommen. Die Beklagte lehnt den Einbau von funkgesteuerten Rauchwarnmeldern ab. Sie möchte die durch die funkbetriebenen Rauchwarnmelder entstehenden Funkstrahlen in ihrer Wohnung nicht hinnehmen. Die Beklagte schlägt der Klägerin vor, selbst eigene (nicht funkbetriebene) Rauchwarnmelder in ihrer Wohnung von einem Elektriker installieren zu lassen und mit diesem einen Wartungsvertrag abzuschließen über die jährliche Wartung der Geräte. Die entsprechende Bestätigung würde die Beklagte der Klägerin zukommen lassen. Sie bietet an, die Kosten für die Geräte zu übernehmen.
Die Klägerin behauptet, die von der Klägerin installierten Rauchwarnmelder hätten ihre technische Nutzungszeit überschritten und müssten nach DIN 14676 ausgetauscht werden. Die funkbetriebenen Rauchwarnmelder funkten über 9 Monate nur alle 4 Minuten, zur Ableseperiode mit einem Takt von 32 Sekunden. Aus dem aktuellen Wissensstand könnten auch nach Rücksprache mit der Firma … keinerlei Anzeichen für eine Beeinträchtigung oder sogar eine Gesundheitsgefahr durch die Wellen des Funksystems abgeleitet werden.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, zu angemessener Tageszeit werktags zwischen 8:00 Uhr und 20:00 Uhr nach angemessener Ankündigung von mindestens 14 Tagen die Tür der von ihr innegehaltenen Wohnung …straße .., Erdgeschoss/links, … Frankfurt am Main sowie die Türen zu den dort befindlichen 2 Zimmern zu öffnen und die Demontage von 3 Rauchwarnmeldern sowie die Montage von 3 funkwartungsfähigen Rauchwarnmeldern (2 Zimmer, Flur) durch Beauftragte der Klägerin zu dulden sowie die Berufung zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen und die Berufung zuzulassen.
Die Beklagte behauptet, ein Austausch der derzeit vorhandenen Rauchwarnmelder sei nicht notwendig. Sie verzichte auch auf die Nutzung eines Handys noch sonstiger Funkgeräte innerhalb der Wohnung. Die Funkmessung sei durch einen Herrn Dr. … in der Umweltanalyse überprüft worden, danach funkten Rauchmelder der Firma … alle 136 Sekunden und das 24 Stunden am Tag. In einem Abstand von 1 m zeigen zeigten die Messungen eine Strahlenbelastung von bis zu 500 uW/qm.
Die Beklagte trägt weiterhin vor, bei einer Funkwarnmeldung müsse eine Datenschutzverordnung beachtet werden. Mit Anbringung der Rauchwarnmelder werde die informelle Selbstbestimmung des Mieters unterlaufen sowie der Grundsatz der Unverletzlichkeit der Wohnung des Mieters. Von den entsprechenden Strahlungen gingen DNA-Schäden, erhöhtes Tumorrisiko, Schwächung des Immunsystems, Veränderung der Gehirnwellen, Körper durch Elektrosmog, Dauerstress dadurch Bildung freier Radikaler was zu einem oxidativen Stress führt, sowie Eiweiß-Erbinformationsschäden mit sich bringt. Das Gleichgewicht des vegetativen Nervensystems werde gestört, Herzrhythmusstörungen, Blutdruckstörungen, Kreislaufprobleme, Stoffwechselstörungen, führt zu Übersäuerung, Müdigkeit, Nerven-Gelenkschmerzen, fördert entzündliche Prozesse, psychische Belastungen, hormonelle Störungen.
Die Klägerin erwidert hierauf: Der Datenschutz werde eingehalten. Die eingesetzten Rauchwarnmelder erfassen, speichern und übertragen genau die Werte, die ein Sichtprüfer manuell erfassen und manuell in eine Datenbank eintragen würde; dies beinhaltet für die Inspektion eine Kontrolle, dass die Raucheindringöffnungen frei sind, dass keine funktionsrelevante Beschädigung des Melders vorliegt, dass die Funktion der Warnsignale gegeben ist, und keine Hindernisse den Raucheintritt verhindern.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. | 1. Die Beklagte wird verurteilt, zu angemessener Tageszeit werktags zwischen 8:00 Uhr und 20:00 Uhr nach angemessener Ankündigung von mindestens 14 Tagen die Tür der von ihr innegehaltenen Wohnung …straße .., Erdgeschoss/links, … Frankfurt am Main sowie die Türen zu den dort befindlichen 2 Zimmern zu öffnen und die Demontage von 3 Rauchwarnmeldern sowie die Montage von 3 funkwartungsfähigen Rauchwarnmeldern (2 Zimmer, Flur) durch Beauftragte der Klägerin zu dulden.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Die Beklagte kann die Vollstreckung im Übrigen durch Sicherheitsleistung von 1000,- Euro abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in selber Höhe leistet.
4. Die Berufung wird zugelassen. | 1 |
SG Marburg 6. Kammer | Hessen | 1 | 1 | 15.01.2015 | 0 | Randnummer
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Die Beteiligten streiten über das Bestehen einer Genehmigungsfiktion nach § 13 Absatz 3 a Satz 6 SGB V.
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Die Klägerin beantragte am 04.11.2013 bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Magen-Bypass-Operation zur Gewichtsreduktion. Unter dem 07.11.2013 ging zudem ein konkretisierter Antrag auf Genehmigung einer laparoskopischen Magen-Bypass Operation vom 17.10.2013 des Krankenhauses C-Stadt bei der Beklagten ein.
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Am 11.11.2013 forderte die Beklagte zunächst den MDK zur „Gutachtenerstellung“ auf.
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4
In einem ersten Schreiben vom 15.11.2013 des MDK Hessen an die Beklagte, welches auf dem Schreiben der AOK an den MDK vom 11.11.2013 handschriftlich angefertigt worden ist, wurde angeführt: „Bitte WV mit: […].“ Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Schreibens verwiesen.
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In einem zweiten Schreiben des MDK Hessen vom 15.11.2013 an die Klägerin bestätigte der MDK den Erhalt des Antrages auch gegenüber der Klägerin und erteilte den Hinweis, dass für eine abschließende Begutachtung eine „persönliche Darstellung zum Antrag (Fragebogen ist beigefügt)“ und „Sonstiges. Internistisch-ernährungsmedizinische Stellungnahme, fachpsychiatrische Stellungnahme“ bis zum 24.11.2013 einzureichen seien.
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Das „Gutachten“ des MDK wurde anschließend unter dem 25.11.2013 erstellt. In dem „Gutachten“ des MDK wird u.a. formuliert: „Aufgefordert und bis zum heutigen Datum nicht eingegangene Unterlagen: Nachweis bisher durchgeführter konservativer Therapien; Fachpsychiatrische Stellungnahme zum Abschluss von Essstörungen und anderer psychiatrischer Kontraindikationen“.
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In einem handschriftlich verfassten und unterschriebenen Vermerk hielt die Beklagte am 26.11.2013 in der Verwaltungsakte fest, dass die Klägerin telefonisch darüber informiert worden sei, dass eine Kostenübernahme nicht möglich sei. Zudem wurde unter Hinweis auf das Schreiben des MDK Hessen vom 15.11.2013 festgehalten, dass diverse Unterlagen noch beizubringen seien.
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Am 27.11.2013 ging bei der Beklagten dann eine Hausärztliche Stellungnahme von Dr. D ein. Nach Übermittlung der hausärztlichen Stellungnahme durch die Beklagte an den MDK teilte der MDK erneut in einer handschriftlichen Antwort vom 29.11.2013 mit, dass aus sozialmedizinischer Sicht keine neuen medizinischen Erkenntnisse bestehen und eine fachärztliche Stellungnahme zumutbar erscheint.
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Mit Schreiben vom 02.12.2013, welches per Fax an die Fax-Nummer der Klägerin am 02.12.2013 nach einem Fax-Protokoll erfolgreich übermittelt worden ist, teilte die Beklagte der Klägerin u.a. mit, dass die „Patientin“„sich nach eigenen Angaben in der Psychotherapie-Ambulanz in Behandlung“ befinde, „so dass die Einholung der fachärztlichen Stellungnahme in absehbarer Zeit zumutbar erscheint“. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Schreibens der Beklagten vom 02.12.2013 verwiesen.
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In einem weiteren nicht datierten handschriftlichen Vermerk wurde von der Beklagten in der Verwaltungsakte festgehalten, dass die Klägerin „auch telefonisch nochmal informiert“ worden sei, „dass eine endgültige Entscheidung nur nach Vorlage der fehlenden Unterlagen möglich ist.“
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Die Klägerin hat am 17.12.2013 Klage beim Sozialgericht Marburg erhoben.
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Die Klägerin ist der Ansicht, dass eine bariatrische Operation als Sachleistung gemäß § 13 Abs.3 3 a Satz 6 SGB V als genehmigt gelte, da über den Antrag noch nicht entschieden sei. Die Beklagte habe insoweit die Fünf-Wochen-Frist des § 13 Abs. 3 a Satz 1 SGB V nicht eingehalten. Die Unmöglichkeit einer Entscheidung sei ihr nicht mitgeteilt worden. Sie habe auch mehrfach um Entscheidung gebeten.
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Die anwaltlich vertretene Klägerin beantragt wörtlich,
festzustellen, dass der Antrag der Klägerin auf Gewährung einer bariatrischen Operation als Sachleistung vom 01. November gemäß § 13 Absatz 3a Satz 6 SGB V als genehmigt gilt.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, dass eine Genehmigungsfiktion nicht eingetreten sei. Konkret habe das Krankenhaus C-Stadt mit Schreiben vom 17.10.2013 einen Antrag auf eine laparoskopische Magen-Bypass Operation zur Gewichtsreduktion für die Klägerin gestellt. Nach Eingang des Schreibens am 07.11.2013 sei der Medizinische Dienst der Krankenversicherung um Beurteilung aufgefordert worden. Unter dem 15.11.2013 und unter dem 25.11.2013 wurden vom MDK weitere Unterlagen angefordert. In einem Telefonat am 26.11.2013 habe die Beklagte dann die Klägerin auf die Notwendigkeit zur Vorlage von weiteren Unterlagen aufgefordert. Die Vorlage von weiteren Unterlagen sei auch zugesagt worden. Am 27.11.2013 sei dann ein Schreiben des Arztes Dr. D aus B-Stadt eingegangen und dem MDK übermittelt worden. Der MDK habe am 29.11.2013 eine fachärztliche Stellungnahme für erforderlich angesehen, die telefonisch von der Klägerin unter dem 02.12.2013 mit dem Hinweis, dass sonst keine Entscheidung möglich sei, angefordert worden seien. Soweit die Klägerin behaupte, dass ihr die Unmöglichkeit einer Entscheidung nicht mitgeteilt worden sei und weiter, dass die Klägerin sogar die Beklagte zur Entscheidung mehrfach angemahnt habe, ergebe sich das Gegenteil insoweit aus der Verwaltungsakte.
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Die Beteiligten sind durch gerichtliche Verfügung vom 01.12.2014 dazu befragt worden, ob die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs.2 SGG) einverstanden sind. Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Schriftsätze vom 04.12.2014 und 23.12.2014 erteilt.
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17
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte verwiesen. | 1. Es wird festgestellt, dass der am 04.11.2013 bei der Beklagten eingegangene Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Sachleistung in Form einer laparoskopischen Magenbypass-Operation gemäß § 13 Abs.3 a Satz 6 SGB V als genehmigt gilt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin. | 0 |
Hessisches Landesarbeitsgericht 2. Kammer | Hessen | 0 | 0 | 22.04.2009 | 0 | Randnummer
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Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug weiterhin um die Höhe des dem Kläger zustehenden Gehaltes.
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Der am 29. Januar 1976 geborene Kläger, der nicht Mitglied der Gewerkschaft ist, arbeitete zunächst aufgrund des schriftlichen Arbeitsvertrags vom 27. Juli 2005 (Bl. 5-7 d.A.) bei dem beklagten Land in der Universität A befristet für den Zeitraum 1. August 2005 bis 31. Juli 2007. Einen weiteren befristeten Arbeitsvertrag schlossen die Parteien unter dem 27. Juni 2007 für den Befristungszeitraum 1. August 2007 bis 31. Dezember 2008. Wegen des Wortlauts dieses Vertrags wird auf die Kopie Bl. 8 f. d.A. Bezug genommen. Durch ein Versehen der Bezügestelle des beklagten Landes erfolgte ab August 2007 die Abrechnung des Gehaltes des Klägers ab August 2007 in der Lebensaltersstufe 45 Jahre statt in der altersmäßig zutreffenden Lebensaltersstufe 31. Statt der Zahlung von € 1.317,83 brutto wie im Juli 2007 erhielt der Kläger ab August 2007 bis Februar 2008 daher monatlich € 1.709,96. Er ließ seinen Mercedes SLK 230 K bei der Firma B tunen, wofür ausweislich der Rechnung vom 19. Februar 2008 ein Betrag inklusive TÜV-Begutachtung von € 2.189,60 anfiel. Nachdem beim beklagten Land die falsche Berechnung der Gehaltszahlung ab August 2007 aufgefallen war, forderte es den Kläger mit Schreiben vom 25. Februar 2008 auf, die von August 2007 bis einschließlich Januar 2008 erfolgte Überzahlung von € 2.148,46 netto zurückzuzahlen. Die Rückzahlung erfolgte sodann aufgrund Einbehalt von der dem Kläger ausgezahlten Vergütung durch das beklagte Land.
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Der Kläger hat in seiner dem beklagten Land am 19. August 2008 zugestellten Klage zunächst die Feststellung begehrt, das beklagte Land sei nicht berechtigt, von seinem Lohn € 2.148,46 einzubehalten. Er hat die Auffassung vertreten, dem beklagten Land stehe ein Rückforderungsanspruch aus Bereicherungsrecht nicht zu und sich im Übrigen unstreitig auf den Wegfall der Bereicherung berufen. Er hat behauptet, er sei sich nicht bewusst gewesen, dass er rechtlich zuviel Vergütung erhalten habe. Vielmehr habe er gedacht, dass ihm die höhere Vergütung wegen des neuen Vertrags zustehe. Da er aufgrund der erhöhten Zahlungen auch für die Zukunft mehr Geld erwartet habe als üblicherweise in der Vergangenheit gezahlt worden sei, habe er sich im Februar
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2008 dazu entschlossen, an seinem Fahrzeug ein Auto-Tuning durchzuführen. Er hat behauptet, die Tuning-Maßnahme stelle eine Luxusausgabe dar, die er sich ohne die Überzahlung nicht hätte leisten können. Auch habe das Tuning den Wert des Fahrzeuges nicht erhöht, denn der Wiederverkaufswert sei durch eine zu erwartende höhere Beanspruchung geringer als vorher. Zuletzt hat der Kläger - mit seiner dem beklagten Land am 26. September 2008 zugestellten Klageerweiterung - außerdem die Ansicht vertreten, die Lebensaltersstufen des BAT stellten eine unzulässige Altersdiskriminierung dar. Deshalb sei die differenzierte Bezahlung nach Lebensaltersstufen rechtswidrig und das beklagte Land schulde ihm für den gesamten Befristungszeitraum Vergütung nach der Lebensaltersstufe 45. Hilfsweise hat er gemeint, das beklagte Land sei nur berechtigt, den tatsächlichen Nettoüberzahlungsbetrag zurückzufordern, den er auch erhalten habe. Bei der Klageforderung handele es sich um einen Bruttobetrag mit Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag, den er in diesem Umfang nicht erhalten habe.
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Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass das beklagte Land nicht berechtigt ist, vom seinem Lohn € 2.148,46 einzubehalten, festzustellen, dass sich seine von dem beklagten Land geschuldete Grundvergütung gemäß Vergütungsgruppe II a der Anlage 1a zu §§ 22 Abs. 1, 27 Abschn. A Bundes-Angestelltentarifvertrag für die Monate März bis Dezember 2008 nach der „Lebensaltersstufe nach vollendetem 45. Lebensjahr“ bemisst.
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Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Es hat die Ansicht vertreten, dass der Einbehalt zu Recht erfolgt sei. Der Kläger sei verpflichtet, die versehentlich geleistete Überzahlung zurückzuzahlen. Er sei bei Erhalt der Überzahlung böswillig gewesen, zumal er in den ihm erteilten Abrechnungen die Einordnung in die falsche Lebensaltersstufe hätte ersehen können und müssen. Unter „persönliche Daten“ sei die Lebensaltersstufe ausgewiesen. Außerdem habe der Kläger auch nicht den Wegfall der Bereicherung nachgewiesen. Hinsichtlich der Höhe der geforderte Rückzahlung hat es behauptet, in dem Betrag sei die Lohnsteuer enthalten, da nur der Arbeitnehmer die Rückzahlung der Lohnsteuer im Rahmen des Lohnsteuerjahresausgleiches verlangen könne bzw. dem Kläger nach der Neuberechnung ab März 2008 entsprechend geringere Steuern von der späteren Vergütung abgezogen worden seien. Das beklagte Land hat im Übrigen gemeint, die unterschiedliche Vergütung des BAT nach Lebensaltersstufen sei rechtens.
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Das Arbeitsgericht Marburg hat durch Urteil vom 26. September 2008 die Klage im Wesentlichen abgewiesen. Es hat insoweit angenommen, die Klageerweiterung seit wegen des Widerspruchs der Beklagtenseite sowie wegen fehlender Sachdienlichkeit nach § 263 ZPO nicht zuzulassen. Im Übrigen hat es die Feststellungsklage zwar als zulässig, jedoch im Wesentlichen als unbegründet angesehen. Der Kläger habe von August 2007 ab monatlich eine erhöhte Zahlung von € 173,18 netto erhalten, ohne dass für diese erhöhte Zahlung ein Rechtsgrund gegeben war. Nach dem Tarifvertrag könne der Kläger lediglich Bezahlung auf der Grundlage der Lebensaltersstufe 31 verlangen. Somit fehle es für die darüber hinaus geleitsteten Beträge auf der Basis der Lebensaltersstufe 45 an einer Rechtsgrundlage. Entgegen der vom Kläger vertretenen Ansicht stelle die unterschiedliche Vergütungszahlung nach Lebensaltersstufen im BAT auch keine Diskriminierung dar. Ziel des AGG sei es, unter anderem Benachteiligungen aus Gründen des Alters zu verhindern oder zu beseitigen. Aus diesem Grunde sei eine Benachteiligung aus einem in § 1 genannten Grund gemäß § 2 AGG unzulässig, soweit es um die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt gehe. Die Lebensaltersstufen des BAT behandelten Mitarbeiter in Vergütungsfragen alleine wegen des Alters unterschiedlich. Ältere Arbeitnehmer erhielten eine höhere Vergütung, als jüngere Arbeitnehmer bei gleicher Arbeitsleistung. Insoweit liege zwar eine Diskriminierung im Sinne der §§ 1 und 2 AGG vor. Diese unterschiedliche Behandlung sei jedoch nach § 10 AGG nicht zu beanstanden, da sie durch ein angemessenes und legitimes Ziel der Tarifvertragsparteien gerechtfertigt sei. § 10 Abs. 1 AGG sehe vor, dass eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters dann gerechtfertigt und zulässig sei, wenn diese unterschiedliche Behandlung objektiv und angemessen sowie durch ein legitimes Ziel begründet sei. Die Lebensaltersstufen des BAT seien von den Tarifvertragsparteien mit unterschiedlichen Vergütungen deshalb gebildet und versehen worden, weil die Tarifvertragsparteien zum einen die unterschiedliche Berufs- und Lebenserfahrung der Mitarbeiter bewerten wollten. Zum anderen würden diesen unterschiedlichen Lebensaltersstufen soziale Gründe zugrunde liegen. Ältere Mitarbeiter mit erhöhten familiären Kosten und Anforderungen sollten im Rahmen der Alimentationspflichten des öffentlichen Arbeitgebers mit einem erhöhten Vergütungsbetrag bedacht werden. Diese sachlichen Gründe der Tarifvertragsparteien seien objektiv gegeben und angemessen. Die insoweit verfolgten Ziele seien legitim und gerechtfertigt. Aus diesem Grunde sei die unterschiedliche Behandlung der Mitarbeiter aufgrund ihres Lebensalters sachlich gerechtfertigt und nicht zu beanstanden. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf Bl. 55-61 d.A. Bezug genommen.
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Gegen dieses Urteil hat der Kläger innerhalb der zur Niederschrift über die Berufungsverhandlung am 22. April 2009 festgestellten und dort ersichtlichen Fristen Berufung eingelegt.
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Er verfolgt sein Klagebegehren teilweise unter Wiederholung und Ergänzung seines erstinstanzlichen Vorbringens weiter. Er vertritt die Ansicht, ihm habe die erhöhte Vergütung nach der Lebensaltersstufe 45 tatsächlich zugestanden, so dass ein Rückforderungsanspruch wegen ungerechtfertigter Bereicherung bereits ausscheide. Die Abhängigkeit der Vergütungshöhe von dem Erreichen von Lebensaltersstufen stelle eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters dar. Sie sei auch nicht nach § 10 AGG sachlich gerechtfertigt, zumal das beklagte Land mit der Ungleichbehandlung jüngerer Beschäftigter kein legitimes Ziel verfolge. Bezogen auf die Honorierung von Lebenserfahrung fehle es an einer notwendigen Objektivierbarkeit. Auch der Ausgleich höherer familiärer Kosten als Ziel scheide ebenfalls als legitimes Ziel aus, da hierfür im Tarifwerk sich nur im Bereich der Regeln zum Ortszuschlag und zu weiteren Sozialbezügen ein Ansatz finde. Die Vergütung nach Lebensaltersstufen sie auch kein erforderliches Mittel im Sinne von § 10 S. 2 AGG, denn jedenfalls wäre die Differenzierung nach Dienst- bzw. Berufsjahren bezogen auf die Honorierung einer höheren Leistungsfähigkeit das mildere Mittel. Rechtsfolge der unzulässigen Ungleichbehandlung sei, dass das beklagte Land ihm Vergütung nach der höchsten Lebensaltersstufe schulde. Insoweit könne es sich auch nicht auf einen Vertrauensschutz berufen. Es habe bei Abschluss des letzten Arbeitsvertrags vom 27. Juni 2007 schon von der Unwirksamkeit des Vergütungssystems ausgehen müssen, weil das AGG bereits im August 2006 in Kraft getreten ist.
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Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Marburg vom 26. September 2008 - 2 Ca 183/08– teilweise abzuändern und festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, ihm Grundvergütung gemäß Vergütungsgruppe II a der Anlage 1 a zum BAT nach der Lebensaltersstufe „nach vollendetem 45. Lebensjahr“ für die Monate August 2007 bis Dezember 2008 zu zahlen, hilfsweise das beklagte Land zu verurteilen, an ihn € 2.747,01 brutto zu zahlen.
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Das beklagte Land beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Es verteidigt die angefochtene Entscheidung ebenfalls unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens. Es ist der Ansicht, dass die in § 27 A BAT vorgesehene Bemessung der Grundvergütung nach Lebensaltersstufen gerechtfertigt sei. Die Tarifvorschrift lege im Sinne von § 10 S. 3 Nr. 2 AGG die Mindestanforderungen an das erhöhte Grundgehalt fest. Sie sei auch durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt, welches in der Honorierung der größeren Lebens- und Berufserfahrung und der damit einhergehenden höheren Qualifikation der Beschäftigten bestehe. Die Tarifvorschrift genüge auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wobei aufgrund des Grundsatzes der Tarifautonomie ohnehin keine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen werden dürfe. Das beklagte Land vertritt im Übrigen die Auffassung, dass jedenfalls eine Anpassung „nach oben“– wie vom Kläger erstrebt – nicht erfolgen dürfe, da es sich um eine tarifvertragliche Entgeltdiskriminierung handele. Die Möglichkeit zur Beseitigung einer Diskriminierung, so sie denn angenommen würde, stehe nur den Tarifvertragsparteien zu, zumal eine Anpassung „nach oben“– so die Behauptung des beklagten Landes – nicht dem Willen der Tarifvertragsparteien entspreche und jährlich mindestens rund € 100 Mio. koste. Letztlich beruft sich das beklagte Land auf den Vertrauensschutz für Alt-Tarifverträge.
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Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und die Sitzungsniederschrift vom 22. April 2009 (Bl. 180 f. d.A.) Bezug genommen. | Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Marburg vom 26. September 2008 – 2 Ca 183/08– teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst.
Es wird festgestellt, dass das beklagte Land verpflichtet ist, dem Kläger Grundvergütung gemäß der Vergütungsgruppe II a der Anlage 1 a zum BAT nach der Lebensaltersstufe „nach vollendetem 45. Lebensjahr“ für die Monate August 2007 bis Dezember 2008 zu zahlen.
Das beklagte Land hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird zugelassen. | 0 |
Hessisches Landesarbeitsgericht 10. Kammer | Hessen | 0 | 1 | 21.09.2018 | 0 | Die Parteien streiten in der Hauptsache um die Wirksamkeit einer durch die Beklagte ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses, wobei das Arbeitsverhältnis unstreitig infolge einer Eigenkündigung zum 31. Mai 2017 geendet hat.
Die Beklagte ist ein Handelshaus, das sich auf den Handel mit Polymere, Additiven und Polymerchemikalien spezialisiert hat. Im Betrieb wurden ca. 12 Mitarbeiter beschäftigt. Der am xx.xx.1967 geborene Kläger war aufgrund des schriftlichen Arbeitsvertrags vom 29. Juni 2010 ab dem 1. September 2010 bei der Beklagten als Senior Product Manager zu einem Gehalt von zuletzt 6.600 Euro brutto beschäftigt.
Der aktuelle Geschäftsführer der Beklagten Herr A stammt aus Kasachstan.
Bei der Beklagten existiert eine IT- Sicherheitsrichtlinie, in der es unter Ziff. 2.2 ua. heißt
(Bl. 100 der Akte)<</p>
"…Betriebliche Gründe können erfordern, dass die persönliche E-Mail-Box durch Anordnung eines Vorgesetzten eingesehen werden muss. Von dieser Einsicht kann ein persönlicher Ordner ausgeschlossen werden, der deutlich als privat zu kennzeichnen ist. Es wird empfohlen, private E-Mails nach dem Lesen direkt zu löschen. …"
Die E-Mail-Accounts auf den dienstlichen Rechnern sind durch ein persönliches Passwort geschützt. Sämtlicher E-Mail-Verkehr wird automatisch in einem "Mailarchiv" auf einem Rechner bei der Beklagten gespeichert. Auf diesen Ordner kann der Arbeitgeber grundsätzlich zugreifen, muss dazu aber einen externen IT-Diensteanbieter einschalten.
Der Kläger schrieb am 22. Februar 2016 von seinem dienstlichen PC aus eine E-Mail an die Adresse "xxxx", in der es auszugsweise heißt:
"… Letztes Jahr hatte ich beim alten Arbeitgeber gekündigt. Haben neuen GF Idiot bekommen. Was für eine Flasche. Hab ich die Reißleine gezogen. Dann hat man mich bequatscht und den neuen GF in der Probezeit wieder nach Hause geschickt. Bin ich da geblieben. Jetzt Russen Arschloch bekommen. Die Scheiße geht geradeso weiter. Hatten mir versprochen, wird "Fachmann" sein, wenn wieder einer kommt … Man es tummeln sich so viele Flaschen und die bekommen immer wieder ein Job…"
Wegen der weiteren Einzelheiten der E-Mail wird verwiesen auf Bl. 55 - 56 der Akte.
Der Kläger schrieb am 17. Mai 2016 an Herrn B eine E-Mail
(Bl. 57 der Akte)
, in der es u.a. wie folgt heißt:
"…Haben schon wieder neuen Vorturner (GF) bekommen. Was für eine Flasche. Russen Ei!!!!. Aktuell such ich was NEUES…".
Am 3. November 2016 schrieb er an C - hierbei handelt es sich um den ehemaligen Vorgesetzten des Klägers - eine E-Mail mit auszugsweise folgenden Inhalt
(Bl. 58 der Akte)<
"…Der andere Russen/China Rohrkrepierer soll jetzt mal Bluestar angehen bezüglich Plattform, welche Spezialitäten, Menge nach Europa,
PBT exclusiv über uns. Leck mich doch am Arsch…"
In einer E-Mail vom 21. Februar 2017 äußerte der Kläger an Frau D u.a. (Bl. 60 der Akte</
"…Mich vorher aber aufheizen - ich kann Dir sagen - Kolchose Bude".
In einer E-Mail vom 28. Februar 2017 an Frau E äußerte der Kläger (Bl. 53 der Akte) u.a.:
"Hallo Frau E,
werde wohl heute in den Sack hauen…Hier gibt's nur noch Borschtsch …."
Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 28. Februar 2017 zum 31. Mai 2017
(Bl. 16 der Akte)
.
In einer E-Mail vom 6. März 2017 an die Adresse xxxx äußerte der Kläger unter anderem
(Bl. 63 der Akte)<
"Servus F, es ist geschafft. Russen Idiot ist Geschichte. Hab am 28.02.2017 also letzte Woche zum 31.05.2017 gekündigt. …Jetzt lassen wir es schön ausklingen. Reiß mir kein Bein mehr aus. Öfter mal den Doc besuchen…"
Die Beklagte stellte den Kläger mit Schreiben vom 7. März 2017 von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei.
Am 9. März 2017 nahm die Beklagte in dem Ordner "Mailarchiv" Einblick in die vom Kläger versendeten E-Mails, nachdem sie zuvor den IT-Dienstanbieter hinzugezogen hatte.
Mit Schreiben vom 14. März 2017 sprach sie eine außerordentliche Kündigung aus (Bl. 20 der Akte).
Gegen diese Kündigung hat der Kläger am 20. März 2017 Kündigungsschutzklage erhoben.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass die fristlose Kündigung nicht gerechtfertigt sei. Zwar sei es zutreffend, dass er die streitgegenständlichen E-Mails versandt habe. Er behauptet allerdings, dass er die E-Mails zuvor, nämlich kurz vor Verlassen seiner Arbeitsstätte am 7. März 2017, gelöscht habe. Die Beklagte habe die E-Mails vom Server wieder herunterladen müssen. Zutreffend sei, dass der entsprechende E-Mail-Ordner nicht als privat gekennzeichnet gewesen sei, dies habe in der Firma aber niemand getan. Durch die Rekonstruktion und das Herunterladen der E-Mails habe die Beklagte gegen sein Persönlichkeitsrecht verstoßen, so dass die Verwertung des Inhalts der E-Mails einem Verwertungsverbot unterliege.
Er hat weiter behauptet, dass Frau E zwar bei der Firma G arbeite, er habe sie allerdings nicht als Mitarbeiterin dieser Firma, sondern als gute Bekannte kontaktiert. Mit der Äußerung "Hier gibt es nur Borschtsch…" habe er seinen Unmut bekundet. In der E-Mail vom 22. Februar 2016 habe er sich mit der Äußerung "Jetzt Russen Arschloch bekommen" aus Verärgerung über die betriebliche Situation hinreißen lassen. Es handele sich um eine Meinungsäußerung. Adressat der E-Mail sei F gewesen, hierbei handele sich um einen Freund. Die E-Mail vom 17. Mai 2016 sei an Herrn B gerichtet gewesen, auch hierbei handele sich um einen Freund, den er im Marokko-Urlaub kennengelernt habe. Auch hier habe er den Geschäftsführer direkt nicht erwähnt. Bei der E-Mail vom 3. November 2016 handele es sich ebenfalls um eine Korrespondenz mit überwiegend privatem Charakter. Zwar sei Herr C der Executive Vice President; er sei aber auch ein guter Bekannter des Klägers. Mit "Russen/China Rohrkrepierer" seien Lieferanten gemeint gewesen. Er habe damit zum Ausdruck bringen wollen, dass die von den Lieferanten gelieferten Produkte, z.B. das erwähnte PBT, nur exclusiv über die Beklagte verkauft werden dürfe. Er habe wiederholt mit Herrn C in dieser Art und Weise kommuniziert, ohne dass dies von Herrn C als anstößig empfunden worden sei. Auch mit dem Begriff "Kolchose Bude" habe er eine private Meinungsäußerung zum Ausdruck bringen wollen. Er habe nicht damit rechnen müssen, dass der private E-Mail-Verkehr von der Beklagten gelesen werde.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 14. März 2017 nicht aufgelöst worden ist;
die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Monat März 2017 6.600 Euro brutto abzgl. 1.814,54 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 4.785,46 Euro seit dem 2. April 2017 zu zahlen;
die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Monat April 2017 6.600 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. Mai 2017 zu zahlen;
die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Monat Mai 2017 6.600 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2.Juni 2017 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, dass die außerordentliche Kündigung gerechtfertigt sei. Sie hat behauptet, sie sei, nachdem der Kläger Ende Februar 2017 selbst gekündigt habe, durch Kunden darauf aufmerksam gemacht worden, dass sich der Kläger in geschäftsschädigender Weise geäußert habe. Daraufhin habe sie ihn am 7. März 2017 freigestellt und am 9. März 2017 Einsicht in die Ordner des E-Mail-Postfach des Klägers genommen. Sie habe dabei feststellen müssen, dass der Kläger am 28. Februar 2017 an verschiedene Kunden mitgeteilt habe, dass er das Unternehmen verlasse. Gegenüber der Kundin Frau E habe er unter anderem geäußert: "… Hier gibt es nur noch Borschtsch…".
Ferner habe sie feststellen müssen, dass der Kläger den Geschäftsführer der Beklagten mehrfach und auch andere Mitarbeiter rassistisch beleidigt habe. Der Geschäftsführer sei u.a. als "Russen Idiot" beschimpft worden. Aufgrund dieses krassen rassistischen Fehlverhaltens sei es der Beklagten nicht mehr möglich, den Kläger weiterzubeschäftigen. Der Inhalt der E-Mails sei auch verwertbar. Die Beklagte hat behauptet, sämtliche vorgelegten E-Mails entstammten dem sog. Mailarchiv, welches für eine ordnungsgemäße elektronische Rechnungsstellung alle ein- und ausgehenden E-Mails archiviere. Der Kläger hätte gemäß der IT- Sicherheitsrichtlinie den Ordner als "privat" kennzeichnen müssen.
Das Arbeitsrecht Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 7. März 2018 der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 14. März 2017 sei nach § 626 BGB unwirksam. Es fehle an einer Wiederholungsgefahr. Aufgrund der Eigenkündigung des Klägers vom 28. Februar 2017 sei das Arbeitsverhältnis ohnehin zum 31. Mai 2017 beendet worden. Der Kläger sei durch das Schreiben vom 7. März 2017 von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt worden. Er habe dadurch auch keinen Zugang mehr zum E-Mail-System der Beklagten gehabt. Ferner sei zu berücksichtigen, dass gerade die E-Mails mit besonders beleidigendem Charakter an Personen verschickt worden seien, die der Kläger als private Kontakte bezeichnet habe. Als beweisbelastete Partei habe die Beklagte keinen Gegenbeweis angetreten. Wegen der weiteren Einzelheiten des Urteils des Arbeitsgerichts wird Bezug genommen auf Bl. 109 - 115 der Akte.
Dieses Urteil ist der Beklagten am 25. April 2018 zugestellt worden. Die Berufungsschrift ist am 8. Mai 2018 bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangen. Die Berufungsbegründung ist am 13. Mai 2018 beim Berufungsgericht eingegangen.
In der Berufungsinstanz vertritt die Beklagte die Ansicht, dass das Arbeitsgericht zu Unrecht der Kündigungsschutzklage stattgegeben habe. Unter Wiederholung und Vertiefung ihres Sachvortrages meint sie, dass die außerordentliche Kündigung wirksam sei. Insbesondere bestünde auch eine Wiederholungsgefahr, obwohl der Kläger freigestellt war. Eine Wiederholungsgefahr sei auch nicht zu verlangen, wenn die Pflichtverletzung so schwerwiegend sei, dass deren einmalige Hinnahme unzumutbar sei. Hier habe sich der russlanddeutsche Geschäftsführer der Beklagten nicht mit "Russenarschloch" und anderen fremdenfeindlichen Beleidigung titulieren lassen müssen. Die Hinnahme einer solchen Beleidigung sei offensichtlich ausgeschlossen gewesen. Der Kläger habe die Vertraulichkeit seiner angeblich privaten E-Mails dadurch aufgehoben, dass er den Ordner nicht als "privat" gekennzeichnet hat. Jedenfalls bis zur Löschung habe er nicht auf die Vertraulichkeit seiner Korrespondenz vertrauen dürfen. Zudem habe der Kläger gewusst, dass alle E-Mails in einem Mailarchiv gespeichert würden. Außerdem hätten die E-Mails auch überwiegend keinen rein privaten Charakter. Bei Frau E handele es sich um eine Kundin und bei Herrn C um einen Vorgesetzten des Klägers. Das Arbeitsgericht habe auch bei der Interessenabwägung nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Kläger angekündigt habe, "krank zu feiern". Der Inzidentantrag sei begründet aus dem Gesichtspunkt des § 717 Abs. 2 ZPO. Hierzu trägt sie vor, dass sie an den Kläger zur Abwendung der Zwangsvollstreckung am 27. März 2018 17.643,82 Euro gezahlt habe. Schließlich meint sie, dass die Unterschrift unter die Klageschrift nicht dem Schriftformerfordernis genüge.
Die Beklagte stellt die Anträge,
das Urteil des
Arbeitsgerichts Frankfurt a.M. vom 7. März 2018 - 6 Ca 2159/17
- abzuändern und die Klage abzuweisen;
den Kläger zu verurteilen, an die Beklagte 17.643,82 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27. März 2018 zu zahlen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts und meint, das Arbeitsgericht habe zutreffend eine Wiederholungsgefahr im vorliegenden Fall verneint. Er habe darauf vertrauen dürfen, dass seine an Freunde gerichteten E-Mails vertraulich blieben. Er habe auch keine Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht oder angekündigt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird ergänzend Bezug genommen auf sämtliche gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften.
Das Berufungsgericht hat Beweis erhoben über die Umstände der Kenntniserlangung der E-Mails des Klägers durch Vernehmung der Zeugin H. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird verwiesen auf Bl. 171 - 172 der Akte. | Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des
Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 7. März 2018 - 6 Ca 2159/17
- wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen. | 0 |
LArbG Berlin-Brandenburg 6. Kammer | Berlin | 0 | 1 | 09.11.2018 | 0 | Randnummer
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Die Parteien streiten über die Zahlung einer Wechselschichtzulage gemäß § 12 Abs. 4 TV-N Berlin.
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Der am ….. 1958 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit Januar 1990 als Straßenbahnfahrer beschäftigt. Er arbeitet in einem 5-Wochen-Schichtplan in einer 3er Schicht. Dabei arbeitet er in der Früh-, Spät- und Nachtschicht. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag Nahverkehr Berlin (TV-N) Anwendung.
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Zum 1. Juli 2015 vereinbarten die Parteien die Herabsetzung der wöchentlichen Arbeitszeit des Klägers auf 30 Stunden pro Woche. Der Kläger arbeitet aber weiterhin in Früh-, Spät- und Nachtschicht. Lediglich seine einzelnen Schichten sind kürzer. Die Arbeit in einer Vollzeit-Wechselschicht bei der Beklagten beträgt 36,5 Stunden pro Woche.
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Bis November 2015 zahlte die Beklagte dem Kläger eine Wechselschichtzulage in Höhe von 130,-- Euro monatlich nach § 12 Abs. 4 TV-N Berlin. Ab Dezember 2015 zahlte die Beklagte nur noch eine Schichtzulage nach § 12 Abs. 3 TV-N Berlin in Höhe von 57,69,-- Euro.
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Mit Schreiben vom 13. Januar 2016, das in der Betreffzeile „Einspruch Wechselschichtzulage“ enthielt, bat der Kläger um Prüfung des Sachverhalts. Zur Begründung gab er an, dass er seiner Auffassung nach - wie alle anderen Kollegen auch - in Wechselschicht arbeite. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 20. Januar 2016 die Zahlung der Wechselschichtzulage ab. Auch die Gewerkschaft ver.di forderte die Beklagte am 17. März 2017 auf, den Rechtsstandpunkt zu überdenken und die Wechselschichtzulage ab Dezember 2015 zu zahlen.
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Mit seiner am 12. April 2017 beim Arbeitsgericht Berlin erhobenen Klage verfolgt der Kläger die Differenz der monatlichen Schichtzulage nach § 12 Abs. 4 TV-N von Dezember 2015 bis März 2017. In seiner ursprünglichen Klage hat er einen Betrag in Höhe von 880,-- Euro nebst Zinsen gefordert, zuletzt hat er seinen Klageantrag auf einen Betrag von 694,54 Euro (49,61 x 14 Monate) nebst Zinsen reduziert.
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Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er arbeite in Wechselschicht und erfülle die Tatbestandsvoraussetzungen des § 12 Abs. 4 in Verbindung mit § 22 Nr. 11 TV-N. Er hätte ununterbrochen in Wechselschicht gearbeitet. Jedenfalls dürfe er als Teilzeitkraft nicht schlechter gestellt werden als die Vollzeitkräfte.
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Der Kläger hat zuletzt vor dem Arbeitsgericht beantragt,
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die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 694,54 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz sei dem 25. April 2017 zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger erfülle nicht die Tatbestandsvoraussetzungen des § 12 Abs. 4 TV-N in Verbindung mit § 22 Nr. 11 TV-N, da er nicht nach einem Schichtplan arbeite, der einen regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeitszeit in mindestens drei Schichten vorsehe, in denen ununterbrochen bei Tag und Nach werktags, sonntags und feiertags gearbeitet werde. Nach dem Dienstplan des Klägers finde keine Schichtüberlappung vom Frühdienst (Schichtende 12:44 Uhr zum Spätdienst (Beginn 13:20 Uhr) statt. Selbst wenn die tatsächlichen Arbeitszeiten des Klägers in Absprache mit seinem Dienstvorgesetzten anders seien, führe dies nicht zu einer vom Tarifvertrag geforderten ununterbrochen Schichtfolge, denn es bleibe eine Unterbrechung zwischen den Schichten im Schichtplan.
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Die Beklagte hat weiter vorgetragen, es liege auch keine Benachteiligung aufgrund von Teilzeitarbeit vor. Die Wechselschichtzulage werde nicht gezahlt, weil der Kläger die Voraussetzungen der Wechselschichtzulage nicht erfülle. Sie werde nicht deshalb verweigert, weil der Kläger Teilzeitbeschäftigter sei.
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Das Arbeitsgericht Berlin hat mir Urteil vom 28. März 2018 der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von 694,54 Euro nebst Zinsen verurteilt.
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Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, der Kläger arbeite im Drei-Schicht-System. Der Begriff der ununterbrochenen Beschäftigung müsse vor dem Hintergrund des Sinns und Zwecks der Vorschrift verstanden werden. Die Tätigkeit in drei Schichten sei eine erhebliche Belastung für den menschlichen Körper. Die Wechselschichtzulage solle eine finanzielle Kompensation für diese Belastung sein. Eine Unterbrechung der einzelnen Schichten im tariflichen Sinne liege nur dann vor, wenn diese so groß ist, dass der Kompensationszweck der Wechselschichtzulage nicht mehr gegeben sei. Das sei bei den hier vorliegenden 14 Minuten zwischen den einzeln gelegenen Schichtzeiten nicht der Fall.
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Gegen das am 13. Juni 2018 zugestellte Urteil wendet sich die Berufung der Beklagten, die sie am 26. Juni 2018 beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt und am 8. August 2018 begründet hat.
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Das Arbeitsgericht habe den Wortlaut der Vorschrift des § 22 Nr. 11 TV-N missachtet. Auch die Rechtsprechung sei eindeutig und sehe jede auch nur geringfügige Unterbrechung des Drei-Schicht-Systems als schädlich an. Die entsprechende Vorschrift in § 7 TVöD werde vom BAG so ausgelegt, dass auch eine Unterbrechung der täglichen Arbeit, sei sie auch nur geringfügig, im Schichtplan schädlich sei und dazu führe, dass keine Wechselschicht im Tarifsinne mehr vorliege. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift geböten keine andere Auslegung. Die Tarifvertragsparteien hätten bewusst Abstufungen vorgenommen. Es werde Schichtarbeit vergütet und Wechselschichtarbeit, je nach Belastungsintensität. Die Typisierung durch die Tarifvertragsparteien könne in Einzelfällen zu nicht zufriedenstellenden Ergebnissen führen. Dies liege aber in der Natur der Sache, wenn normative Typisierungen vorgenommen würden.
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Im Übrigen habe der Kläger die tarifvertragliche Ausschlussfrist nicht gewahrt. Er hätte gegenüber den Vorgesetzten in seinem Schreiben vom 13. Januar 2016 lediglich aufgefordert, zu prüfen. Dies sei keine Geltendmachung im rechtlichen Sinne. Das Schreiben sei auch nicht unterschrieben.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 28. März 2018, Az. 60 Ca 4901/17 abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und meint, das Wort „ununterbrochen“ beziehe sich auf den Turnus Tag und Nacht bei einer 7-Tage-Woche. Die Zulage solle nach dem Willen der Tarifparteien deshalb gezahlt werden, weil der Arbeitnehmer bei Tag und Nacht in einem wiederkehrenden Rhythmus arbeite. Dies sei eine Erschwerniszulage. Es sei unerheblich, ob die Schichten auf die Minute ineinander übergingen oder ob einige Minuten dazwischen lägen.
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Der Kläger meint zudem, mit dem Schreiben vom 13. Januar 2016 sei die Ausschlussfrist gewahrt. Die Beklagte habe als Empfängerin das Schreiben als Geltendmachung verstanden. Das Schreiben sei auch vom Kläger unterzeichnet.
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Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll Bezug genommen. | I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 28. März 2018 - 60 Ca 4901/17 - teilweise abgeändert und die Klage abgewiesen, soweit die Beklagte darin zur Zahlung von mehr als 344,17 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.04.2017 verurteilt worden ist.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Verfahrens I. Instanz haben der Kläger zu 60,89 % und die Beklagte zu 39,11 % zu tragen. Die Kosten der Berufung haben die Parteien je zur Hälfte zu tragen.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Verwaltungsgericht des Saarlandes 1. Kammer | Saarland | 0 | 1 | 26.10.2015 | 1 | Randnummer
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Der Kläger wendet sich mit vorliegender Klage gegen den Widerruf eines Subventionsbescheids.
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Mit Antrag vom 10.7.2014, eingegangen am 14.7.2014, beantragte der Kläger beim Beklagten die Gewährung einer Zuwendung aus Mitteln des Landes nach der Richtlinie für die Förderung von Maßnahmen aus dem Sondervermögen Zukunftsinitiative II im Klimaschutz „Klima Plus Saar (KPS)“ (im Folgenden: Zuwendungsrichtlinie). Unter Ziffer 3 beinhaltete der Antrag die Formularerklärung, dass mit der Maßnahme, deren Förderung begehrt wurde, noch nicht begonnen worden sei und auch nicht vor Bekanntgabe des Zuwendungsbescheides bzw. vor der etwaigen Genehmigung des vorzeitigen Beginns durch den Beklagten begonnen werde. Des Weiteren enthielt der Antrag den Hinweis, dass bereits die Auftragserteilung der zu fördernden Maßnahme als Maßnahmebeginn zähle.
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Mit Zuwendungsbescheid vom 20.11.2014 wurde dem Kläger eine Zuwendung in Höhe von 585,80 € gewährt. Darüber hinaus war in dem Bescheid ausgeführt, dass der Bewilligungszeitraum, d.h. der Zeitraum, in dem die bewilligte Zuwendung zur zweckentsprechenden Verwendung zur Verfügung gehalten werde und in dem die geförderte Maßnahme durchgeführt werden müsse, mit der Erstellung des Zuwendungsbescheides am 13.11.2014 beginne und am 30.6.2015 ende. Der Zuwendungszweck sei innerhalb des Bewilligungszeitraums zu erfüllen.
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Am 13.4.2015 legte der Kläger dem Beklagten einen Verwendungsnachweis vom 10.4.2015 vor. Diesem waren die Maßnahme betreffende Rechnungen der Firma K.-H. N. GmbH vom 8.10.2014 und der Firma P. Q. GmbH vom 24.10.2014 beigefügt.
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Daraufhin teilte der Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 25.6.2015 mit, dass aufgrund der vorgelegten Rechnungen davon ausgegangen werden müsse, dass mit der Maßnahme unerlaubterweise bereits vor der Erteilung des Zuwendungsbescheides begonnen worden sei. Gemäß 4.1 der Zuwendungsrichtlinien würden Zuwendungen grundsätzlich nur für Maßnahmen gewährt, mit denen noch nicht begonnen worden sei. Von daher sei ein Widerruf der Zuwendung beabsichtigt. Der Kläger erhalte Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 27.7.2015.
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Mit E-Mail vom 26.6.2015 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass ihm nicht bekannt gewesen sei, dass er mit dem Beginn der Maßnahme bis zur Entscheidung über seinen Zuwendungsantrag hätte warten müssen. Erst Ende Oktober habe er seitens des Beklagten erfahren, dass er mit der Maßnahme noch nicht anfangen dürfe. Zu diesem Zeitpunkt sei diese aber schon beinahe abgeschlossen gewesen. Zuvor habe ihm niemand entsprechendes gesagt oder geschrieben. Daraufhin wurde dem Kläger mit E-Mail vom 30.6.2015 nochmals die Sachlage sowie die Rechtsauffassung des Beklagten dargelegt und angekündigt, dass demnächst ein Widerrufsbescheid ergehen werde. Auf eine weitere E-Mail des Klägers vom 1.7.2015 folgten am selben Tag weitere Erläuterungen des Beklagten.
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Mit Bescheid vom 2.7.2015 wurde der Zuwendungsbescheid vom 20.11.2015 widerrufen. Zur Begründung ist darin ausgeführt, dass gemäß 4.1 der Zuwendungsrichtlinien Zuwendungen grundsätzlich nur für solche Maßnahmen gewährt würden, mit denen noch nicht begonnen worden sei. Als Maßnahmebeginn gelte der tatsächliche Beginn der Arbeiten, für die eine Zuwendung beantragt werde, oder der Abschluss eines Lieferungs- oder Leistungsvertrages zur Ausführung der zu fördernden Maßnahme. Bei der Prüfung des Verwendungsnachweises des Klägers habe sich herausgestellt, dass die Maßnahme schon vorzeitig begonnen worden sei. Deshalb werde der Zuwendungsbescheid widerrufen.
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Am 31.7.2015 hat der Kläger hiergegen Klage erhoben.
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Der Kläger macht geltend, dass der Widerrufsbescheid bereits deutlich vor Ablauf der ihm mitgeteilten Anhörungsfrist ergangen sei. Im Übrigen sei der Widerruf auch in der Sache zu Unrecht erfolgt. Die Voraussetzungen des § 49 Abs. 3 Nr. 1 SVwVfG für einen Widerruf des Zuwendungsbescheides hätten nicht vorgelegen. Zwar sehe die Förderrichtlinie vor, dass Zuwendungen grundsätzlich nur für solche Maßnahmen gewährt würden, mit denen noch nicht begonnen worden sei. Die Formulierung „grundsätzlich“ zeige aber, dass es hiervon Ausnahmen gebe. So besage Ziffer 4.1 Abs. 3 der Förderrichtlinie, dass die Bewilligungsbehörde auf schriftlichen Antrag für Maßnahmen, die aus dringenden sachlichen oder wirtschaftlichen Gründen keinen Aufschub bis zum Erlass des Zuwendungsbescheides duldeten, eine Zustimmung zum vorzeitigen Maßnahmebeginn erteilen könne. Eine Zustimmung zum vorzeitigen Maßnahmebeginn, die zugegebenermaßen schriftlich erfolgen müsse, sei hier nur deshalb unterblieben, weil der Kläger es versäumt habe, auf Seite 3 seines Antrages „das entsprechende Kästchen anzukreuzen“. Tatsächlich hätten die Voraussetzungen für einen vorzeitigen Maßnahmebeginn vorgelegen. Ihm habe ein wirtschaftliches Angebot vorgelegen, wobei die Durchführung der Maßnahme zu den darin enthaltenen Konditionen lediglich zum Zeitpunkt des tatsächlichen Maßnahmebeginns möglich gewesen sei. Der Sache nach habe es sich um eine energetische Sanierung im Sinne der Förderrichtlinie gehandelt. Im Übrigen seien aus dem Widerrufsbescheid die Ermessenserwägungen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen hätten, nicht ersichtlich. Insoweit sei der Widerrufsbescheid auch ermessensfehlerhaft ergangen.
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Der Kläger beantragt,
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den Widerrufsbescheid des Beklagten vom 2.7.2015 aufzuheben,
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hilfsweise,
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den Beklagten zu verpflichten, den Antrag auf Gewährung einer Zuwendung aus Mitteln des Landes nach der Richtlinie für die Förderung von Maßnahmen aus dem Sondervermögen Zukunftsinitiative II im Klimaschutz „Klima plus Saar (KPS)“ vom 14.7.2014 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er macht geltend, bei der beantragten Zuwendung handele es sich um eine freiwillige staatliche Leistung, auf die ein Anspruch nicht bestehe. Vielmehr entscheide der Beklagte als Bewilligungsbehörde aufgrund pflichtgemäßen Ermessens im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel über die Gewährung der Zuwendung. Den rechtlichen Rahmen für die Ermessensausübung bildeten dabei die Förderrichtlinien „Klima Plus Saar“ sowie die Verwaltungsvorschriften zu § 44 der Haushaltsordnung des Saarlandes (LHO). Hierbei handele es sich um ermessenslenkendes Innenrecht der Verwaltung, das keine unmittelbaren Ansprüche des Bürgers begründe, aber in seiner Anwendung zu einer gleichmäßigen Verwaltungspraxis führen solle und somit eine Selbstbindung der Verwaltung auslöse. Ansprüche auf Zuwendungen könnten im Einzelfall daher lediglich mittelbar aus einer Verletzung des Gleichheitsgebotes hergeleitet werden, wenn die Verwaltung gegen die Grundsätze der Selbstbindung bei der Ermessensausübung verstoße. In 4.1 dieser Richtlinien sei festgelegt, dass grundsätzlich Zuwendungen nur für solche Maßnahmen gewährt würden, mit denen noch nicht begonnen worden sei. In seinem Zuwendungsantrag habe der Kläger unter Ziffer 3 erklärt, dass er mit der Maßnahme noch nicht begonnen habe und vor Bekanntgabe des Zuwendungsbescheides auch nicht beginnen werde. Auch sei in dem Antrag auf Ziffer 4.1 der Förderrichtlinien ausdrücklich hingewiesen worden. Einen Antrag auf Zustimmung zum vorzeitigen Maßnahmebeginn, der in dem vom Kläger ausgefüllten Antragsformular unter Ziffer 5. formularmäßig vorgesehen gewesen sei, habe der Kläger nicht gestellt. Entgegen der Darstellung des Klägers hätte es insoweit auch nicht genügt, bei Ziffer 5 „ein Kreuzchen zu setzen“. Vielmehr hätte der Kläger begründen müssen, warum er seiner Meinung nach schon vor Erlass des Zuwendungsbescheides mit der Maßnahme beginnen müsse. Abgesehen davon, dass der Kläger einen solchen Antrag gar nicht gestellt habe, sei aus seinen Ausführungen in der Klageschrift auch nicht ersichtlich, worin für ihn ein solches Interesse begründet gewesen wäre. Ohne Antrag auf vorzeitigen Maßnahmebeginn und eine entsprechende Zustimmung seitens des Beklagten seien in der Vergangenheit in Fällen wie dem vorliegenden keine Förderungen gewährt worden. Insofern habe sich der Beklagte bisher immer an die ermessenslenkende Förderrichtlinien gehalten. Von daher sei der Zuwendungsbescheid zu Recht widerrufen worden.
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Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 12.8.2015 und 10.9.2015 (Kläger) bzw. 1. u. 10.9.2015 (Beklagter) mit einer Entscheidung durch die Vorsitzende ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsunterlagen des Beklagten Bezug genommen. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Kostenschuld abwenden, falls nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet. | 0 |
Finanzgericht Berlin-Brandenburg 5. Senat | Berlin | 1 | 0 | 03.04.2014 | 0 | Randnummer
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Der Kläger erwarb mit Vertrag vom 30.9.2005 die Geschäftsanteile der B… GbR nebst Inventar (Einrichtungs- und Ausstattungsgegenstände für ein Hotel). Er verpachtete das Inventar mit Vertrag vom 1.10.2005 an die C… GmbH als Betreibergesellschaft der C…, deren alleiniger Gesellschafter der Kläger durch Kauf- und Abtretungsvertrag ebenfalls vom 30.9.2005 geworden ist. Die Hotelimmobilie ist von Dritten gemietet.
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Die Einkünfte aus der Verpachtung des Inventars erfasste der Kläger in einer Eröffnungsbilanz per 1.10.2005 und erklärte insoweit unter Annahme einer Betriebsaufspaltung gewerbliche Einkünfte. Im Rahmen einer Außenprüfung wurden die Einkünfte als solche nach § 22 Einkommensteuergesetz (EStG) qualifiziert. Auf den Bericht vom 24.6.2001 wird Bezug genommen. In der Folge hob der Beklagte die Veranlagungen betreffend die Gewerbesteuer auf und änderte die Einkommensteuerfestsetzungen entsprechend. Die gegen die Aufhebungs- und Änderungsbescheide vom 5.9.2011 eingelegten Einsprüche hatten keinen Erfolg. Der Beklagte führte in seinen Einspruchsentscheidungen vom 5.3.2012 unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 7.8.1979 (VIII R 153/77) im Wesentlichen aus, es liege keine sachliche Verflechtung zwischen Besitz- und Betriebsunternehmen vor, da Maschinen und Einrichtungen für ein Hotel von untergeordneter Bedeutung seien.
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Zur Begründung seiner Klage macht der Kläger geltend, die Hoteleinrichtung stelle eine wesentliche Betriebsgrundlage für die GmbH als Betriebsgesellschaft dar. Nach der Anlage zum Pachtvertrag werde die gesamte Einrichtung als Sachgesamtheit verpachtet. Dass einzelne Einrichtungsgegenstände theoretisch kurzfristig ausgetauscht werden könnten, stehe der Einordnung als wesentliche Betriebsgrundlage nicht entgegen. Nach der gebotenen funktionalen Bedeutung der überlassenen Einrichtung komme es auch nicht entscheidend auf den Wert derselben an, sondern auf ihre Funktion für die Betriebsgesellschaft. Ein Hotelbetrieb könne seine Funktion jedoch nur bei entsprechender Einrichtung ausüben.
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Der Kläger beantragt,
die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag 2006 bis 2009 vom 5.9.2011 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 5.3.2012 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Revision zum BFH zuzulassen.
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6
Dem Gericht haben bei seiner Entscheidung neben den Verfahrensakten zwei Bände Einkommensteuerakten, ein Band Gewerbesteuerakten, eine Hinweisakte und ein Aktenband mit Bilanzen vorgelegen. | Die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag 2006 bis 2009 vom 5.9.2011 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 5.3.2012 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet. | 0 |
Finanzgericht Berlin-Brandenburg 7. Senat | Berlin | 0 | 1 | 24.08.2022 | 1 | Randnummer
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Die Beteiligten streiten darüber, ob Leistungen des Klägers für Ersatzaufforstungen nach Durchschnittssätzen gemäß § 24 Umsatzsteuergesetz -UStG- zu besteuern sind oder ob diese dem Regelsteuersatz unterliegen.
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Der Kläger betrieb in den Streitjahren eine gemischte Landwirtschaft in mehreren Einzelbetrieben im Zuständigkeitsbereich mehrerer Finanzämter. Diese bestanden überwiegend aus Waldflächen. Die Einkommensteuer lag im Zuständigkeitsbereich des Beklagten.
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Der Kläger reichte seine Umsatzsteuererklärungen 2011 am 21.05.2013, 2012 am 24.07.2014 und 2013 am 17.06.2015 ein. Diese standen einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§§ 168, 164 Abs. 1 Abgabenordnung -AO-).
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Das Finanzamt B… führte im land- und forstwirtschaftlichen Betrieb des Klägers eine Außenprüfung für die Jahre 2011 bis 2013 durch.
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Der Prüfer sah die Tätigkeiten des Klägers als einen einzigen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb an, der vom Wohnort des Klägers aus betrieben werde. Die weiteren angemeldeten Betriebe, die bislang in den Finanzämtern C…, D… und B… geführt wurden, sah der Prüfer als unselbständige Betriebsstätten an. Dies hatte keine Auswirkung auf die Umsatzsteuerfestsetzungen (Textziffer 13).
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Weiter stellte der Prüfer fest, dass der Kläger Leistungen für Ersatzaufforstungen der Besteuerung nach Durchschnittssätzen unterworfen hatte. Der Prüfer hielt die Besteuerung mit dem Regelsteuersatz für zutreffend und ermittelte die Bemessungsgrundlage im Wege der Schätzung. Dabei ging er von Bruttoumsätzen aus Ersatzaufforstungen in Höhe von 214.427,91 € (2011), 29.371,83 € (2012) und 1.475,25 € (2013) aus. Die daraus herausgerechnete Umsatzsteuer zum Regelsteuersatz betrug 34.236,39 € (2011), 4.689,62 € (2012) und 235,54 € (2013). Als Vorsteuer berücksichtigte der Prüfer 20 % der ermittelten Umsatzsteuer, und zwar in Höhe von 6.847,28 € (2011), 937,92 € (2012) und 47,11 € (2013). Danach verblieb eine Umsatzsteuerzahllast aus Ersatzaufforstungen in Höhe von 27.389,11 € (2011), 3.751,70 € (2012) und 188,44 € (2013). Weitere Feststellungen zur Umsatzsteuer traf der Prüfer nicht.
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Wegen der Einzelheiten wird auf den Prüfungsbericht vom 10.08.2017, insbesondere Textziffer 14, verwiesen (am Ende der nicht blattierten Handakte II Betriebsprüfung).
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Der Beklagte folgte den Feststellungen und Einschätzungen des Prüfers und setzte die Umsatzsteuer 2011 bis 2013 mit Bescheiden vom 17.11.2017 entsprechend geändert fest. Den Vorbehalt der Nachprüfung hob er jeweils gemäß § 164 Abs. 3 AO auf. Die Zahllasten entsprachen bis auf Rundungsdifferenzen den vom Prüfer errechneten.
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Dagegen legte der Kläger Einspruch ein und berief sich darauf, dass es sich bei den betroffenen Umsätzen um Dienstleistungen handele, welche der Durchschnittssatzbesteuerung unterliegen würden. Dies ergebe sich aus dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen -BMF- vom 27.08.2015, III C 2-S 7410/07/10005 (2015/0735706), Bundessteuerblatt -BStBl.- I 2015, 656. Die den Umsätzen zugrundeliegenden Dienstleistungen bestünden in der Begründung von Forstkulturen. Die gleichzeitig damit verbundene Kompensation einer Forstfläche an anderer Stelle würde daran nichts ändern. Der Schwerpunkt der Leistung liege in der Herstellung eines Wirtschaftsgutes Waldbestand.
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Der Beklagte wies die Einsprüche gegen die Umsatzsteuerbescheide 2011 bis 2013 mit seiner Einspruchsentscheidung vom 16.10.2019 als unbegründet zurück.
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Der Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG sei gemäß Absatz 1 Satz 1 dieser Vorschrift nur auf Umsätze anwendbar, die im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes ausgeführt würden. Dies seien in richtlinienkonformer Auslegung nur die Lieferungen selbst erzeugter landwirtschaftlicher Erzeugnisse und landwirtschaftliche Dienstleistungen. Nur dann werde die Umsatzsteuer mit einem pauschalierten Betrag ermittelt und Vorsteuer in derselben Höhe pauschal abgezogen, sodass sich keine umsatzsteuerliche Zahllast ergebe. Alle übrigen Umsätze würden grundsätzlich dem Regelsteuersatz unterliegen.
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Bei den hier streitigen Umsätzen handele es sich um Kompensationsmaßnahmen nach dem Landeswaldgesetz -LWaldG-. Die Leistung bestehe in der Zurverfügungstellung eines Grundstücks zur Wiederaufforstung. Die Leistung sei auf die Bedürfnisse des Leistungsempfängers abgestimmt. Sie dienten beim Leistungsempfänger nicht land- und forstwirtschaftlichen Zwecken. Sie seien daher vom Anwendungsbereich des § 24 UStG ausgeschlossen (Umsatzsteuer-Anwendungserlass -UStAE- Abschn. 24.3 Absatz 5) und dem Regelsteuersatz zu unterwerfen. Das vom Kläger zitierte BMF-Schreiben zur Anwendung der Durchschnittssatzbesteuerung auf Umsätze an Nichtlandwirte sei nicht einschlägig.
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Der Kläger sei seiner Pflicht, geeignete Aufzeichnungen zu führen, nicht nachgekommen. Damit sei er, der Beklagte, zur Schätzung befugt. Diese sei anhand der vorgelegten Bankunterlagen und den daraus ersichtlichen Zahlungseingängen für Aufforstungen vorgenommen worden. Die Bemessungsgrundlage für die zu zahlende Umsatzsteuer sei unter einem pauschalen Abzug der Vorsteuer von 20 % ermittelt worden.
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Am 06.11.2019 hat der Kläger Klage gegen die Umsatzsteuerbescheide 2011 bis 2013 erhoben.
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Er trägt vor, dass er zur Erweiterung seines Betriebs ab dem Jahr 2010 mehrfach landwirtschaftliche und sonstige Nutzflächen angekauft und aufgeforstet habe. Zur Finanzierung der Aufforstungen habe er Verträge mit unterschiedlichen Auftraggebern geschlossen, welchen für die Inanspruchnahme von Waldflächen an anderer Stelle die Durchführung von Ersatzaufforstungen auferlegt worden waren.
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Dabei habe er zwei verschiedene Vertragsmuster verwendet (Anlage K5, Blatt 33 Gerichtsakte, und Anlage K6, Blatt 35 Gerichtsakte). Beide Vertragsmuster hatten zum Inhalt, dass er sich gegen Entgelt verpflichtet habe, die Ersatzaufforstung nach den Vorgaben durchzuführen, die dem Auftraggeber für die Inanspruchnahme von Wald an anderer Stelle auferlegt worden waren, die dazu erforderlichen Genehmigungen zu beschaffen, die gesamte Aufforstungsmaßnahme einschließlich der standörtlichen Untersuchung, Begutachtung und Festlegung des Pflanzenmaterials und der Pflanzzahlen in Abstimmung mit der Forstbehörde zu planen sowie alle für die Aufforstung erforderlichen Maßnahmen bis zum Stadium der gesicherten Kultur (Flächenvorbereitung, Pflanzarbeiten, Nachpflanzungen, Monitoring-, Schutz- und Pflegemaßnahmen einschließlich Lieferung des hierfür vorgesehenen Materials) durchzuführen. Die öffentlich-rechtlich auferlegte Ersatzpflicht verblieb nach den Verträgen beim Auftraggeber. Er, der Kläger, habe nur die vorstehend genannten Leistungen in Form eines zivilrechtlichen Werk- bzw. Dienstvertrages übernommen. Teilweise würden die Verträge auch eine Klausel enthalten, nach welcher er, der Kläger, dem Auftraggeber eine bestimmte Quadratmeterzahl anerkannte Ersatzfläche zur Erfüllung der Ausgleichspflicht zur Verfügung stellte.
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Er sei davon ausgegangen, dass er mit der entgeltlichen Durchführung der Erstaufforstungen sonstige Leistungen im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG erbracht habe. Die zur Aufforstung durchgeführten Maßnahmen würden forstwirtschaftlichen Zwecken dienen und mit Mitteln durchgeführt, die in seinem, des Klägers, Betrieb vorhanden seien. Diese würden auch normalerweise zur forstwirtschaftlichen Erzeugung beitragen. Es handele sich zudem um Mittel, für die aufgrund der Durchschnittsbesteuerung kein Vorsteuerabzug geltend gemacht werden durfte. Damit handele es sich um fortwirtschaftliche Maßnahmen im Sinne von Art. 295 Abs. 1 Nr. 5 der 6. Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem - Mehrwertsteuersystemrichtlinie- -MwStSystRL-, die unter die Durchschnittsbesteuerung fallen würden.
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Am Wesen der Dienstleistungen ändere sich nichts durch die Tatsache, dass die damit begründeten Forstkulturen gleichzeitig die Kompensation für die Beseitigung von Wald an anderer Stelle darstellen würden. Das Einräumen der Möglichkeit, die begründeten Forstkulturen zu Ersatzzwecken anzurechnen, stelle keine eigene, von den vorstehenden Dienstleistungen abtrennbare Leistung dar. Mit einer solchen Trennung würde ein einheitlicher Sachverhalt künstlich aufgespalten. Zudem liege der finanzielle Schwerpunkt der Verträge eindeutig in der Begründung einer gesicherten Forstkultur. Die jeweiligen Auftraggeber seien aufgrund einer Waldbeseitigung öffentlich-rechtlich verpflichtet, einen neuen Wald anzulegen, könnten diese Pflicht aber nicht selbst erfüllen. Daher hätten sie entsprechende Verträge mit ihm, dem Kläger, abgeschlossen. Die vertraglich vereinbarten Entgelte würden ihrer Höhe nach lediglich die Kosten decken, welche zur Begründung der Forstkultur anfallen würden. Es sei kein Aufschlag oder zusätzliches Entgelt für die Einräumung der Möglichkeit, die Kulturen zu Ersatzzwecken anzurechnen, vereinbart. Das Recht, die Flächen land- und forstwirtschaftlich zu nutzen, sei vollständig bei ihm, dem Kläger, verblieben. Für ihn habe der Zweck der Vereinbarungen darin bestanden, die Anlage von Forstkulturen zu finanzieren, die er anschließend forstwirtschaftlich nutzen könne. Die Möglichkeit der Kompensation sei zwingend an die Herstellung von entsprechenden Forstkulturen gebunden und stelle daher einen einheitlichen Vorgang dar, dessen einzelne Leistungsbestandteile derart eng miteinander verbunden seien, dass eine Aufteilung wirklichkeitsfremd sei.
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Darüber hinaus diene die forstrechtliche Kompensation in Form von Erst- und Wiederaufforstungen lediglich der gesetzlich angeordneten Walderhaltungspflicht. Das auf den Flächen erzeugte Nutzholz unterliege der Durchschnittsbesteuerung. Damit bestehe der originäre Zweck der Kompensation in der Wiederherstellung eines an anderer Stelle zerstörten forstwirtschaftlichen Potentials. Damit diene auch die Kompensation selbst der forstwirtschaftlichen Erzeugung. Dies stelle sich auch aus Sicht des kompensationspflichtigen Leistungsempfängers so dar. Damit würden die streitigen Aufforstungen auch aus Sicht des Leistungsempfängers forstwirtschaftlichen Zwecken dienen.
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Aus der neueren Rechtsprechung sei erkennbar, dass eine Dienstleistung landwirtschaftlichen Zwecken bereits dann diene, wenn sie dies nur dadurch mittelbar tue, dass sie an einem Objekt erbracht werde, welches seinerseits zu land- und forstwirtschaftlichen Zwecken genutzt werde (Pensionshaltung von Pferden, die von ihren Haltern - ausnahmsweise - für land- und forstwirtschaftliche Zwecke genutzt werden (Bundesfinanzhof -BFH-, Urteil vom 21.01.2015 - XI R 13/13, BStBl. II 2015, 730).
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Anders als eine naturschutzrechtliche Ausgleichs- und Ersatzmaßnahme (dazu BFH, Urteil vom 28.05.2013 - XI R 32/11, BStBl. II 2014, 411) diene eine Aufforstung per se forstwirtschaftlicher Erzeugung. Sie ziele darauf ab, ein neues forstwirtschaftliches Wirtschaftsgut (Baumbestand) herzustellen.
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Es sei zudem nicht mit dem Wesen der Umsatzsteuer vereinbar und auch nicht praktisch handhabbar, wenn die Aufforstung der Regelbesteuerung unterliegen würde. Denn dann würden auf demselben Wirtschaftsgut zwei unterschiedliche Besteuerungsverfahren angewendet. Die Aufforstung unterläge der Regelbesteuerung, was zum Vorsteuerabzug für die damit verbundenen Ausgaben führen würde. Die spätere Ernte des Baumbestandes und der Verkauf des Holzes unterlägen wiederum der Durchschnittssatzbesteuerung.
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Weiter sei aus der Sicht des Leistenden nicht ohne weiteres anhand der zu erbringenden Leistung der Aufforstung erkennbar, für welchen Zweck der Leistungsempfänger diese beauftragt habe. Die Ursache der ersatzpflichtigen Waldbeseitigung könne auch eine land- und forstwirtschaftliche Ursache sein. Denn der Auftraggeber könne die freizumachende Fläche für die Erweiterung von landwirtschaftlichen Produktionsflächen oder zur Errichtung von land- und forstwirtschaftlichen Betriebsgebäuden etc. benötigen. Es sei mit dem Zweck der Umsatzsteuer, einer Verbrauchsteuer, nicht vereinbar, wenn die Besteuerung davon abhängig sei, aus welchen Gründen ein Auftraggeber die Aufforstungsleistungen beziehe.
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Zudem müsse die Leistung nicht beim Leistungsempfänger zu land- und forstwirtschaftlichen Zwecken dienen, um eine landwirtschaftliche Tätigkeit zu sein. Der Bundesfinanzhof habe klargestellt, dass die Anwendung der Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG auf sonstige Leistungen gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG nicht schon deshalb ausgeschlossen sei, weil der Leistungsempfänger kein Land- und Forstwirt sei (BFH, Urteile vom 10.09.2014 - XI R 33/13, BStBl. II 2015, 720, und vom 21.01.2015 - XI R 13/13, BStBl. II 2015, 730). Bei der Wanderschäferei komme es nach der Rechtsprechung (BFH, Urteil vom 06.09.2018 - V R 34/17, BStBl. II 2019, 344) nicht darauf an, ob der Wanderschäfer seine Schafe auf eigenen oder fremden Flächen weiden lasse und ob der Leistungsempfänger diese Weideleistung gegebenenfalls ausschließlich aus Gründen des Natur- und Landschaftsschutzes beziehe und diese bei ihm nicht zur landwirtschaftlichen Erzeugung beitrage oder auch nicht beitragen könne. Dabei sei die Durchschnittssatzbesteuerung auch auf das Entbuschen und das maschinelle Mulchen anwendbar gewesen, ohne dass es sich bei diesen Tätigkeiten um solche gehandelt hätte, die der Wanderschäferei eigen seien. Diese Leistungen würden regelmäßig nur dazu dienen, nicht genutzte Flächen zu pflegen und gehölzfrei zu halten. Es könne sich dabei allenfalls um eine unter § 24 Abs. 1 Nr. 3 UStG fallende landwirtschaftliche Hilfstätigkeit handeln (BFH, Urteile vom 20.10.1994 - V R 24/92, BFH/NV 1995, 928, und vom 20.11.1994 - V R 87/93, BStBl. II 1995, 218). Dies sei nur damit erklärbar, dass es allein darauf ankomme, dass der Leistende ein entsprechender landwirtschaftlicher Betrieb sei und die erbrachten Leistungen typische land- und forstwirtschaftliche Dienstleistungen seien. Auf die Zwecksetzung beim Leistungsempfänger sei nicht abgestellt worden. Es würde dem Gleichheitssatz widersprechen, wenn ein Wanderschäfer die genannten Leistungen dem Durchschnittssteuersatz unterwerfen dürfte, ein Forstwirt hingegen nicht.
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Dies lege nahe, dass der Grundsatz, dass die Dienstleistung vom Leistungsempfänger zu land- und forstwirtschaftlichen Zwecken genutzt werden müsse, kein absolutes Kriterium mehr sei und von diesem im Einzelfall vielmehr abgerückt werde. Dies rechtfertige auch im Streitfall wegen der Besonderheiten der Leistungserbringung, die Aufforstungsleistungen dem Durchschnittssteuersatz zu unterwerfen. Denn die Beseitigung von Wald an der einen Stelle sei aufgrund des gesetzlichen Grundsatzes der Walderhaltung zwingend mit der Ersatzaufforstung an anderer Stelle verbunden und es handele sich bei der Anpflanzung und Pflege von Bäumen anders als bei der Pensionspferdehaltung oder der Ausbringung von Klärschlamm um archetypische forstwirtschaftliche Tätigkeiten. Die Anlage einer Forstkultur diene per se der forstwirtschaftlichen Erzeugung und damit forstwirtschaftlichen Zwecken. Unterstellt, der Leistungsempfänger hätte die ihm auferlegte Verpflichtung zur Schaffung von Ersatzflächen mit Wald selbst erfüllt und würde man zugrunde legen, dass jedem Wald gemäß § 1 Nr. 1 Bundeswaldgesetz -BWaldG- eine Nutzfunktion gesetzlich zugeschrieben wird, würde der ersatzweise angelegte Wald beim Leistungsempfänger (so wie bei jedem anderen Waldbesitzer auch) normalerweise zur forstwirtschaftlichen Erzeugung beitragen. Damit würden die im Streitfall vom Kläger übernommenen Leistungen auch aus der Sicht oder Sphäre des Leistungsempfängers „normalerweise“ zur forstwirtschaftlichen Erzeugung beitragen.
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Aus der Zusammenschau von Art. 300 Nr. 3 MwStSystRL und Art. 301 Abs. 2 MwStSystRL gehe hervor, dass im Unionsrecht keine Beschränkung des Pauschalausgleichs auf Land- und Forstwirte als Dienstleistungsempfänger enthalten sei. Demzufolge komme es für die Anwendbarkeit des Durchschnittsatzbesteuerung nur darauf an, dass die Leistungen
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●
von einem landwirtschaftlichen Erzeuger
●
mit Hilfe seiner Arbeitskräfte oder mit Hilfe der normalen Ausrüstung seines landwirtschaftlichen, forstwirtschaftlichen oder Fischereibetriebes vorgenommen werden und
●
normalerweise zur landwirtschaftlichen Erzeugung beitragen (Blatt. 59 Gerichtsakte mit weiteren Nachweisen),
●
insbesondere die in Anhang VII aufgeführten Dienstleistungen.
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So seien „landwirtschaftliche Dienstleistungen“ auch in Art. 295 Abs. 1 Nr. 5 MwStSystRL definiert. Das Umsatzsteuergesetz gehe nur davon aus, dass es sich um „im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes ausgeführte Umsätze“ handeln müsse. Eine Festlegung, bei wem die Leistungen oder Dienstleistungen zur landwirtschaftlichen Erzeugung beitragen müssen, finde sich an keiner Stelle.
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Es handele sich auch nicht - wie dies der Beklagte annehme - um naturschutzrechtliche Ausgleichsmaßnahmen, die durch entsprechende Naturschutzauflagen besichert worden seien. Er, der Kläger, habe reine waldrechtliche Ersatzmaßnahmen mit den Erstaufforstungen erstellt. Diese seien nicht mit Naturschutzauflagen verbunden und hätten auch keine Extensivierung oder Nutzungsaufgabe zum Ziel. Die betroffenen Flächen dürften ohne Einschränkungen forstwirtschaftlich genutzt werden. Er müsse keine Nutzungseinschränkungen dulden. Er habe sich auch vertraglich nicht zu einer solchen Duldung verpflichtet. Es sei in den Verträgen eindeutig klargestellt, dass die öffentlich-rechtliche Ersatzverpflichtung nicht auf ihn über gehe, sondern dass er die im Vertrag genannten Leistungen nur in Form eines zivilrechtlichen Werk- bzw. Dienstvertrages durchführe. Die angelegten neuen Wälder würden weiterhin und vollumfänglich der forstwirtschaftlichen Erzeugung dienen. Darauf komme es ihm auch entscheidend an.
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Der Kläger beantragt,
die Umsatzsteuerbescheide 2011, 2012 und 2013, alle vom 17.11.2017, und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 16.10.2019 aufzuheben,
die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären sowie
hilfsweise, für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung beruft er sich auf die Gründe der Einspruchsentscheidung vom 16.10.2019 und führt ergänzend aus, dass sich die Besteuerung mit dem Regelsteuersatz daraus ergebe, dass es sich bei den vom Kläger ausgeführten Dienstleistungen im Rahmen der Ersatzaufforstungen nicht um landwirtschaftliche Dienstleistungen handele. Denn ob eine sonstige Leistung zur landwirtschaftlichen Erzeugung beitrage, sei aus Sicht des Leistungsempfängers zu beurteilen. Ein solcher Zweck liege vor, wenn die sonstige Leistung in der Sphäre des Leistungsempfängers unter planmäßiger Nutzung der natürlichen Kräfte des Bodens zur Erzeugung von Pflanzen und Tieren sowie zur Vermarktung der daraus selbst gewonnenen Erzeugnisse verwendet werde. Werde die sonstige Leistung nicht an einen anderen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb erbracht, sei davon auszugehen, dass die sonstige Leistung nicht zur landwirtschaftlichen Erzeugung beitrage. Ob ein land- und forstwirtschaftlicher Betrieb vorliege, sei danach zu entscheiden, ob dieser sich land- und forstwirtschaftlich betätige oder nicht. Betätige er sich nicht land- und forstwirtschaftlich, würden die bezogenen Leistungen bei den Leistungsempfängern nicht land- und forstwirtschaftlichen Zwecken dienen. Solche Leistungen seien gemäß Abschnitt 24.3 Abs. 5 UStAE vom Anwendungsbereich der Durchschnittsbesteuerung ausgeschlossen. An diese Verwaltungsanweisungen sei er, der Beklagte, gebunden.
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Dabei komme es auch nicht darauf an, dass die Aufforstungen beim Kläger weiterhin zur forstwirtschaftlichen Erzeugung dienen würden. Der Leistungsempfänger sei kein land- und forstwirtschaftlicher Betrieb. Dies ergebe sich auch aus dem Urteil des Finanzgerichts -FG- Düsseldorf (vom 23.05.2014 - 1 K 4581/12 U, Entscheidungen der FG - EFG- 2014, 1519), welches den Umsatz aus einer Ersatzaufforstung dem Regelsteuersatz unterworfen habe, obwohl der Land- und Forstwirt verpflichtet gewesen sei, die angelegte Kultur zehn Jahre lang forstwirtschaftlich zu sichern, zu pflegen und nachzubessern.
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Eingriffsverursacher seien nach verschiedenen Gesetzen zu Ausgleichsmaßnahmen für die mit der Bebauung verbundenen Eingriffe in den Naturhaushalt und das Landschaftsbild verpflichtet. Die notwendigen Ausgleichsflächen müssten dafür nicht im Eigentum des Eingriffsverursachers stehen. Dieser habe in der Regel nur ein Interesse an der Durchführung der Ausgleichsmaßnahme und strebe grundsätzlich weder einen Grundstückskauf noch eine Anmietung an. In aller Regel schließe der Eingriffsverursacher mit einem Grundstückseigentümer, der in der Regel Land- und Forstwirt sei, in Absprache mit dem Bauamt oder der Unteren Naturschutzbehörde einen Vertrag über die Belastung einer genau bezeichneten Fläche mit den entsprechenden Ausgleichsmaßnahmen ab. Der Land- und Forstwirt erkläre sich darin gegenüber dem Eingriffsverursacher vertraglich damit einverstanden, dass Flächen seines Betriebes mit Naturschutzauflagen belastet werden. Die Flächen bewirtschafte er anschließend unter Berücksichtigung dieser Auflagen weiter. Dabei handele es sich um eine freiwillig eingegangene Verpflichtung des Land- und Forstwirts zur Duldung der naturschutzrechtlichen Einschränkungen. Die entgeltliche Zurverfügungstellung eines Grundstücks zur Durchführung von Ausgleichsmaßnahmen nach den Naturschutzgesetzen sei umsatzsteuerbar und zum Regelsteuersatz umsatzsteuerpflichtig. Die Durchschnittssatzbesteuerung gemäß § 24 UStG sei nicht anwendbar, weil weder eine Tätigkeit der landwirtschaftlichen Erzeugung noch eine landwirtschaftliche Dienstleistung noch eine steuerfreie Vermietung vorliege. Dies gelte für die erstmalige Erstellung der Ausgleichsmaßnahme unabhängig davon, ob der Land- und Forstwirt dabei selbst erzeugte oder zugekaufte Pflanzen einsetze. Die Pflege und Erhaltung der durchgeführten Ausgleichsmaßnahme sei grundsätzlich eine unselbständige Nebenleistung zur Duldung der Nutzungseinschränkung und sei daher ebenfalls dem Regelsteuersatz zu unterwerfen.
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§ 24 UStG sei richtlinienkonform entsprechend Art. 25 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern -6. EG-RL- auszulegen. Nach Artikel 25 Abs. 1 der 6. EG-RL (jetzt Art. 296 Abs. 1 MwStSystRL) können die Mitgliedstaaten auf landwirtschaftliche Erzeuger eine Pauschalregelung anwenden. Dabei gelte Art. 25 der 6. EG-RL nur für die Lieferung landwirtschaftlicher Erzeugnisse und die Erbringung landwirtschaftlicher Dienstleistungen, wie sie in Abs. 2 (jetzt Art. 296 Abs. 1 Nr. 1 bis 8 MwStSystRL) der Regelung definiert seien. Demgegenüber würden die sonstigen Umsätze der Pauschallandwirte der allgemeinen Besteuerungsregelung unterliegen. Dabei sei die Sonderregelung des Art. 25 der 6. EG-RL eng auszulegen und darüber hinaus nur insoweit anzuwenden, als dies zur Erreichung des Ziels erforderlich sei, welches darin bestehe, die Belastung durch die Steuer auf die von den Landwirten bezogenen Gegenständen und Dienstleistungen dadurch auszugleichen, dass den landwirtschaftlichen Erzeugern, die ihre Tätigkeit im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes ausüben, ein Pauschalausgleich gezahlt wird, wenn sie landwirtschaftliche Erzeugnisse liefern oder landwirtschaftliche Dienstleistungen erbringen. Leistungen, die keinen landwirtschaftlichen Zwecken dienten oder sich nicht auf normalerweise in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben verwendeten Mitteln bezögen, seien keine landwirtschaftlichen Dienstleistungen in diesem Sinne. Sowohl bei der Zurverfügungstellung der Flächen zur Durchführung ökologischer Ausgleichsmaßnahmen als auch bei der Herstellung derselben handele es sich nicht um Leistungen, die landwirtschaftlichen Zwecken dienen (BFH, Urteil vom 28.05.2013 - XI R 32/11, BStBl. II 2014, 411).
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Das vom Kläger zitierte Urteil des Bundesfinanzhofes (vom 06.09.2018 - V R 34/17, BStBl. II 2019, 344) sei nicht einschlägig, weil es eine im Streitfall nicht gegenständliche Wanderschäferei betreffe. Bei der Wanderschäferei sei § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG einschlägig. Dem stehe nicht entgegen, dass der Leistungsempfänger die Leistung aus Gründen des Natur- und Landschaftsschutzes beziehe (Erhaltungs- und Entwicklungspflege). Aus den vom Bundesfinanzhof hervorgehobenen Besonderheiten der Wanderschäferei ergebe sich, dass es dort - anders als bei der Forstwirtschaft - nicht auf eine land- und forstwirtschaftliche Erzeugung ankomme.
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Der Beklagte hat wiederholt angeregt, im schriftlichen Verfahren zu entscheiden (Blatt 63 und 70 Gerichtsakte). Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 11.07.2022 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
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Dem Gericht haben bei der Entscheidung vier Bände Steuerakten des Beklagten (Umsatzsteuer, Bilanzen, Betriebsprüfung Veranlagungsstelle, Rechtsbehelf) zur Steuernummer … sowie die Bände I und II der Betriebsprüfungsakten des Finanzamtes B… zur Steuernummer …, …, die diese für den Kläger führen, vorgelegen. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen. | 0 |
ArbG Kassel 6. Fachkammer | Hessen | 0 | 1 | 31.08.2004 | 1 | I.
Zwischen den Parteien bestand bis 31. Dezember 2002 ein Arbeitsverhältnis.
Mit der vorliegenden Klage nimmt die klagende Arbeitgeberin den beklagten Arbeitnehmer im Hinblick auf dessen angebliche ungerechtfertigte Bereicherung im Zusammenhang mit einer durchgeführten Zwangsvollstreckung in Anspruch, nachdem sie ursprünglich eine Vollstreckungsabwehrklage gegen die Zwangsvollstreckung aus einer anderen titulierten Forderung erhoben hatte; wegen Einzelheiten der ursprünglichen Klageanträge wird auf Blatt 2 der Klageschrift vom 27. Mai 2004 Bezug genommen.
Hintergrund der Klage in ihrer nunmehrigen Fassung ist die Tatsache, dass die Klägerin von dem erkennenden Arbeitsgericht unter dem Aktenzeichen 8/5 Ca 228/01 durch Urteil vom 26. Juni 2002 verurteilt wurde, an den Beklagten - den seinerzeitigen Kläger - beginnend ab 04. April 2001 Lohnzuschüsse in Höhe von monatlich brutto 373,88 € zu zahlen, insgesamt 5.608,20 €.
Nachdem der Beklagte aus diesem Urteil die Zwangsvollstreckung (einschließlich Zinsen und Vollstreckungskosten) betrieb, zahlte die Klägerin hierauf per 09. September 2002 insgesamt 6.131,15 €.
Zusätzlich wurde die Klägerin vom Finanzamt A auf Lohnsteuer-Nachzahlung bezüglich der titulierten Vergütungsforderung in Höhe von 1.146,11 € in Anspruch genommen; dieser Betrag wurde von der Klägerin auch Ende 2002 an das Finanzamt A nachentrichtet.
Im Zusammenhang mit diesen Restvergütungsansprüchen des Beklagten schlossen die Parteien vor dem Hess. Landesarbeitsgericht am 15. Mai 2003 unter dem Aktenzeichen 5 Sa 1369/02 einen gerichtlichen Vergleich folgenden Wortlauts (Bl. 16 d.A.):
„1. Die Beklagte schuldet dem Kläger für die Monate März 2001 bis zum 15.04.2002 Zuschläge von insgesamt 5.503,68 Euro (i. W.: fünftausendfünfhundertdrei 68/100 Euro) brutto nebst Zinsen jeweils vom 4. des Folgemonats in Höhe von monatlich 5 % über dem Basiszinssatz, auf einen Betrag von 407,68 Euro (i. W.: vierhundertsieben 68/100 Euro), soweit nicht dieser Betrag im Wege der Zwangsvollstreckung bereits an den Kläger geleistet wurde. Für den letzt genannten Fall verpflichten sich die Parteien zu einem Ausgleich entsprechend der Differenzberechnung.
2. Sofern der Kläger für die Zeit nach dem 15.04.2002 Anspruch auf Vergütung durch die Beklagte haben sollte, erhält dieser eine Zulage von monatlich 407,68 Euro (i. W.: vierhundertsieben 68/100 Euro) brutto.
3. Damit ist das Berufungsverfahren erledigt.
4. Hinsichtlich der Kosten für den ersten Rechtszug bleibt es bei dem Urteil des Arbeitsgerichts. Die Kosten der Berufung werden gegeneinander aufgehoben.“
Ebenfalls am 15. Mai 2003 schlossen die Parteien in einem Kündigungsschutzverfahren vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht unter dem Aktenzeichen 5 Sa 285/02 (erstinstanzliches Aktenzeichen 6 Ca 404/02 Arbeitsgericht Kassel) einen Vergleich folgenden Wortlauts (Bl. 18 d.A.):
„1. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien endete aufgrund fristgemäßer Kündigung der Beklagten vom 31.07.2002 am 31.12.2002.
2. Die Beklagte zahlt an den Kläger als Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes gemäß §§ 9, 10 KSchG i. V. m. § 3 Ziffer 9 EStG 7.500,00 Euro (i. W.: siebentausendfünfhundert Euro). Von diesem Betrag zahlt die Beklagte 2.250,00 Euro (i. W.: zweitausendzweihundertfünfzig Euro) sofort und den restlichen Betrag in Höhe von 5.250,00 Euro) (i. W.: fünftausendzweihundertfünfzig Euro) in sieben monatlichen Raten zu 750,00 Euro (i. W.: siebenhundertfünfzig Euro). Die erste Rate wird am 01.06.2003 und die weiteren Raten am jeweils folgenden Monatsersten fällig. Gerät die Beklagte mit einer dieser Zahlungen mehr als fünf Kalendertage in Rückstand, so wird der gesamte noch offene Restbetrag sofort fällig.
3. Damit ist das Berufungsverfahren sowie der Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Kassel unter dem Az.: 6 Ca 39/03 erledigt. Zugleich ist erledigt die Verpflichtung, eine Ausgleichsrechnung entsprechend Ziffer 1 des Vergleiches der Parteien im Verfahren 5 Sa 1369/02 zu erstellen. Insoweit gelten die Zahlungen als ausgeglichen.
4. Hinsichtlich der Kosten für den ersten Rechtszug bleibt es bei dem Urteil des Arbeitsgerichts. Die Kosten der Berufung und des miterledigten Rechtsstreits vor dem Arbeitsgericht Kassel werden gegeneinander aufgehoben.“
Die Klägerin meint, der Beklagte sei durch ihre Nachentrichtung von Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag an das Finanzamt A in Höhe von 1.146,11 € ungerechtfertigt bereichert.
Sie behauptet diesbezüglich, der Beklagte habe während der Dauer des Berufungsverfahrens unter dem Aktenzeichen 5 Sa 285/03 vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht (= 6 Ca 404/02 Arbeitsgericht Kassel) wahrheitswidrig behauptet, seinerseits den Lohnsteuerbetrag in Höhe von 1.146,11 € an das Finanzamt A abgeführt zu haben.
Die Klägerin
beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 1.146,11 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB hieraus seit 25. Juni 2003 zu zahlen.
Der Beklagte
beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er meint zunächst, die Klageänderung bzw. -erweiterung der Klägerin vom 27. Juli 2004 sei nicht zulässig im Sinne von § 263 ZPO, da sie nicht sachdienlich sei.
Jedenfalls willige er in diese Klageänderung nicht ein.
Im Übrigen meint er, dass die Klägerin im Hinblick auf Ziffer 3) des Vergleichs vom 15. Mai 2003 vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht unter dem Aktenzeichen 5 Sa 285/03 keinen Ausgleichsanspruch mehr gegen ihn habe.
Der Beklagte behauptet weiter, aufgrund dieses Vergleichs habe er selbst Verbindung mit dem Finanzamt A aufgenommen.
Dort sei ihm bestätigt worden, dass er „nichts mehr schulde“. | 1. Die Klage wird abgewiesen
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf € 1.146,11 festgesetzt. | 0 |
OLG Rostock 23. Zivilsenat | Mecklenburg-Vorpommern | 0 | 1 | 21.09.2022 | 1 | Randnummer
1
Der Kläger verlangt Entschädigung wegen einer überlangen Verfahrensdauer des Strafvollzugsverfahrens vor dem Landgericht Rostock zum Aktenzeichen: 11 StVK 1080/16.
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2
Er war im Jahr 2016 für den damals in der JVA Bützow inhaftierten Strafgefangenen als Rechtsanwalt tätig und hatte in dieser Funktion bei der JVA beantragt, Einsicht in die Gefangenenpersonalakte seines Mandanten zu erhalten, was die Justizvollzugsanstalt mit Verfügung vom 28.09.2016 ablehnte.
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3
Dagegen beantragte der Kläger im oben erwähnten Strafvollzugsverfahren gerichtliche Entscheidung nach §§ 109ff. Strafvollzugsgesetz Bund, wobei sich der Kläger im Rubrum der Antragsschrift vom 18.10.2016 persönlich als Antragsteller bezeichnete.
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4
Mit weiterem Schriftsatz vom 24.01.2017 erklärte der Kläger das Strafvollzugsverfahren in der Hauptsache für erledigt und beantragte, der Staatskasse die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Nachdem das Landgericht dazu bis 2020 keine Entscheidung getroffen hatte, rügte der Kläger mit Schriftsätzen vom 05.08.2020 und 05.11.2021 eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung.
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5
Mit Beschluss vom 26.11.2021 tenorierte das Landgericht, dass die Hauptsache erledigt sei und der Antragsteller - der hiesige Kläger - die Kosten des Verfahrens und seine eigenen notwendigen Auslagen zu tragen habe.
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Der Kläger macht einen Anspruch gemäß § 198 Abs. 1 S. 1 GVG geltend. Die unangemessene Dauer des Ausgangsverfahrens lasse einen Nachteil für den Kläger gemäß § 198 Abs. 2 S. 1 GVG vermuten. Ungeachtet der Gebührenhöhe von 83,54 € sei die Sache für ihn als Strafverteidiger mit Blick auf die Frage eines Akteneinsichtsrechts im Rahmen der Strafvollstreckung von entscheidender und grundsätzlicher Bedeutung gewesen.
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Zudem hat der Kläger zum erlittenen Nachteil behauptet, im Rahmen des eigenen Kanzleiablaufs hätten die Akten zur turnusmäßigen Wiedervorlage von seinen Angestellten und ihm selbst herausgesucht und bearbeitet werden müssen. Dazu habe er sich immer wieder mit dem streitgegenständlichen Strafvollzugsverfahren beschäftigen müssen, um zu entscheiden, „was mit der Akte passieren soll, beziehungsweise was gegebenenfalls zu tun wäre, um (...) ein zutreffendes Ergebnis zu erzielen beziehungsweise die Kosten in Rechnung stellen zu können.“
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine angemessene in das Ermessen des Gerichts gestellte Entschädigung, die zumindest 2.300,00 € betragen solle, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.01.2022 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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11
die Klage abzuweisen.
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12
Sie meint, der Kläger habe keinen Nachteil im Sinne von § 198 Abs. 1 S. 1 GVG erlitten. Die gesetzliche Vermutung eines immateriellen Nachteils sei widerlegt. Angesichts einer maximalen Brutto-Gebührenhöhe von 83,54 € habe für den Kläger keine nennenswerte Unsicherheit über einen Kostenanspruch im Ausgangsverfahren bestehen können.
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Die Parteien haben mit ihren Schriftsätzen vom 29.08.2022 einerseits und vom 01.09.2022 andererseits einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO zugestimmt. | 1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
4. Der Streitwert wird auf 2.300,00 € festgesetzt. | 0 |
VG Mainz 4. Kammer | Rheinland-Pfalz | 1 | 0 | 18.08.2017 | 0 | Randnummer
1
Der Kläger steht als Steueramtsrat (A 12) im Dienste des beklagten Landes und ist beim Finanzamt M. S. als Steuerfahndungsprüfer eingesetzt. Die Beförderung zum Steueramtsrat erfolgte am 18. Mai 2013. Mit seiner Klage wendet sich der Kläger gegen eine dienstliche Regelbeurteilung.
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2
Am 12. November 2015 wurde dem Kläger auf der Grundlage der Verwaltungsvorschrift des Ministeriums der Finanzen über die Beurteilung der Beamtinnen und Beamten der Steuerverwaltung vom 14. November 2014 (im Folgenden Beurteilungs-VV) der Entwurf der dienstlichen Beurteilung für den Beurteilungszeitraum 2. Juli 2012 bis 30. Juni 2015 eröffnet. Der Beurteilungsentwurf gliederte sich entsprechend dem vorgegebenen Formular in die Leistungsbeurteilung, die vier Einzelmerkmale umfasste und innerhalb eines fünfstufigen Bewertungssystems (A – E) mit der Leistungsbewertung B (gute Leistung) abschloss, und in die Beurteilung von 12 Befähigungsmerkmalen, die mit den Ausprägungsgraden I – VII bewertet wurden. Weiterhin umfasste der Beurteilungsentwurf ein zusammenfassendes, in freiem Text begründetes Gesamturteil sowie schließlich die Gesamtbewertung, die innerhalb einer siebenstufigen Bewertungsskala - 0 bis 6 Punkte - mit 4 Punkten (Leistung und Befähigung übertreffen deutlich die Anforderungen) abschloss.
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3
Die vorangegangene Beurteilung im Amt des Steueramtmanns (Besoldungsgruppe A 11) hatte der Kläger mit 5 Punkten (Leistung und Befähigung übertreffen erheblich die Anforderungen) abgeschlossen.
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4
Gegen den Beurteilungsentwurf legte der Kläger mit Schreiben vom 22. Dezember 2015 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er mit Schriftsatz vom 1. Februar 2016 Folgendes aus: In der Beurteilung sei zu berücksichtigen, dass er überwertig, nämlich auf einem mit A 13 bewerteten Dienstposten eingesetzt gewesen sei. Es müsse weiterhin berücksichtigt werden, dass sich der Beurteilungszeitraum auf Zeiten im Statusamt A 11 und Zeiten im Statusamt A 12 beziehe. Es müsse festgestellt werden, dass er mindestens gleichbleibend hohe Leistungen erbringe, ganz unabhängig von dem jeweils innegehabten Amt. Der Beurteilung könne nicht entnommen werden, auf welche Vergleichsgruppe bei seiner Beurteilung abgestellt worden sei. Das Abstellen auf Leistungen von Steueramtsräten A 12 allgemein erscheine nicht sachgerecht. Es müsse beachtet werden, dass er als Steuerfahnder in einer Ermittlungsgruppe besonders eingesetzt sei. Darauf müsse abgestellt werden. Eine Absenkung der Beurteilung gegenüber der Vorbeurteilung sei nicht gerechtfertigt. Im Gesamturteil der Beurteilung würden prägende und wesentliche Tätigkeiten und Leistungen nicht der Bedeutung angemessen wiedergegeben. Die Einzelabsenkungen seien nicht gerechtfertigt. Ihm stehe ein Gesamturteil von 5 Punkten zu.
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5
Nach Einholung einer Stellungnahme des Beurteilers E. vom 3. Februar 2016 befasste sich das zuständige Beratungsgremium mit dem Widerspruch des Klägers. Hinsichtlich der Gesamtbewertung mit 4 Punkten schloss sich das Gremium dem Beurteilungsentwurf an. In der Befähigungsbeurteilung empfahl das Gremium, das Merkmale 5.3 (Einfallsreichtum und Initiative) mit I anstatt mit II und das Merkmal 5.11 (Verantwortungsbewusstsein und -bereitschaft) mit II statt mit III zu bewerten sowie Ergänzungen im Gesamturteil hinsichtlich der administrativen Tätigkeit des Klägers im Bereich einer selbständig entwickelten Webapplikation vorzunehmen.
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Mit Schreiben vom 3. Mai 2016 nahm der Beklagte zu dem Widerspruch des Klägers ausführlich Stellung und teilte diesem mit, dass derzeit keine Möglichkeit für eine Gesamtbewertung mit 5 Punkten bestehe.
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7
Am 20. Mai 2016 wurde dem Kläger die endgültige Beurteilung unter Berücksichtigung der Änderungen durch das Beratungsgremium eröffnet. Die Gesamtbewertung lautete weiterhin auf 4 Punkte, die Leistungsbewertung auf Stufe B (3 x B und 1 x C). In den Befähigungsmerkmalen erhielt der Kläger 1 x I, 4 x II und 7 x III.
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8
Der Kläger hat am 24. Juni 2016 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein Vorbringen aus dem Widerspruchsschreiben. Er hebt nochmals hervor, dass von einer fehlerhaften Vergleichsgruppenbildung ausgegangen werden müsse, da es zu einem landesweiten Vergleich aller Steueramtsräte A 12 gekommen sei, unabhängig von der konkret ausgeübten Funktion und Wertigkeit der jeweiligen Dienstposten. Er weise nochmals darauf hin, dass er sich in seinen Leistungen nicht verschlechtert habe, er habe sie mindestens konstant auf hohem Niveau gehalten. Daher könne er sich auch unter die Personen einreihen, welche an ihre Vorbeurteilung hätten anschließen können, immerhin 8 von 57 Beamten, wie der Beklagte mitgeteilt habe.
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9
Der Kläger beantragt,
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10
den Beklagten zu verurteilen, die Beurteilung für den Beurteilungszeitraum vom 2. Juli 2012 bis 30. Juni 2015 aufzuheben und ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu beurteilen.
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11
Der Beklagte beantragt,
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12
die Klage abzuweisen.
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13
Er trägt Folgendes vor: Bei der Beurteilung sei berücksichtigt worden, dass der Kläger im gesamten Beurteilungszeitraum Tätigkeiten ausgeübt habe, die höherwertig gewesen seien. Es sei nicht richtig, dass es im Falle einer Beförderung im Beurteilungszeitraum zu einer automatischen Absenkung komme. Er habe im jedem Einzelfall geprüft, ob eine Absenkung im konkreten Fall gerechtfertigt sei. In der hier maßgeblichen Beurteilungskampagne hätten deshalb bei der Erstbeurteilung in der Besoldungsgruppe A 12 landesweit 8 von 57 Beamten an ihre Vorbeurteilung anschließen können. Diesen Ausnahmen lägen Verwendungen insbesondere als Sachgebietsleiter oder Geschäftsstellenleiter von besonders großen und besonders bedeutenden Finanzämtern – also Positionen mit besonderer Führungsverantwortung – zugrunde. Das Halten der Leistung nach einer Beförderung, wie es der Kläger selbst geltend mache, führe nach der Rechtsprechung im Regelfall gerade dazu, dass die Beurteilung im Beförderungsamt schlechter ausfalle als die im vorangegangenen, niedriger eingestuften Amt. Um dieselbe Gesamtbewertung zu erhalten, müsse der Beamte deutlich bessere Leistungen erbringen. Auch die vorgenommene Vergleichsgruppenbildung sei nicht zu beanstanden. Die Beurteilung müsse in Bezug auf das statusrechtliche Amt und im Vergleich zu den anderen Beamtinnen und Beamten der gleichen Besoldungsgruppe erstellt werden. Eine differenzierte Vergleichsgruppenbildung, wie sie der Kläger fordere, liefe dem Bezug der Beurteilungen auf das jeweilige statusrechtliche Amt zuwider.
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14
Wegen des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, auf die Verwaltungsakten des Beklagten sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 18. August 2017 Bezug genommen. | Der Beklagte wird verurteilt, die Beurteilung des Klägers für den Beurteilungszeitraum vom 2. Juli 2012 bis 30. Juni 2015 aufzuheben und den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu beurteilen.
Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung des Klägers gegen Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. | 1 |
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg 2. Senat | Berlin | 0 | 1 | 14.10.2014 | 1 | Randnummer
1
Die Kläger begehren die Erteilung eines Schengen-Visums an die Klägerin.
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2
Die Klägerin ist kubanische Staatsangehörige. Sie ist seit 2009 mit dem 1937 geborenen Kläger verheiratet, der deutscher Staatsangehöriger ist. Am 22. Januar 2010 beantragte sie bei der Botschaft der Beklagten in Havanna die Erteilung eines Visums für einen Besuchsaufenthalt in Deutschland vom 1. bis zum 28. Februar 2010. Die Botschaft lehnte den Antrag mit Bescheid vom 25. Januar 2010 und Remonstrationsbescheid vom 28. Januar 2010 ab. Dies wurde in dem Remonstrationsbescheid damit begründet, es bestehe die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass die Klägerin nach Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums die Bundesrepublik nicht wieder verlassen werde. Die Botschaft habe aus ihren Angaben in dem Antrag und ihren Auskünften im Rahmen einer Befragung geschlossen, dass sie über keine hinreichende Verwurzelung im Heimatland verfüge und somit keine ausreichende Gewähr für die Rückkehrbereitschaft gegeben sei.
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3
Auf den dem Kläger am 20. Februar 2010 übersandten Remonstrationsbescheid haben die Kläger am 4. März 2010 Klage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit den Klägern am 11. Februar und der Beklagten am 14. Februar 2011 zugestelltem Urteil abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf die Erteilung des begehrten Visums, da bei der nach Art. 21 Abs. 1 Visakodex i.V.m. Art. 32 Abs. 1 Buchst. b Visakodex gebotenen Risikobewertung begründete Zweifel an ihrer Rückkehrbereitschaft bestünden, womit eine Gefahr für die öffentliche Ordnung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Buchst. e Schengener Grenzkodex vorliege. Im August 2012 stellte die Klägerin einen weiteren Visumsantrag für einen Aufenthalt von 90 Tagen, den die Botschaft Havanna mit Bescheid vom 14. August 2012 ablehnte.
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4
Die Kläger haben zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Berufung im Wesentlichen ausgeführt, das Verwaltungsgericht habe die Rückkehrbereitschaft der Klägerin zu Unrecht verneint. Sie lebe in Kuba am Rande der Stadt Mayari in Nachbarschaft mit ihrer aus einer Großmutter, Geschwistern und zahlreichen Tanten und Onkeln bestehenden Familie. Sie sei als Kleinbäuerin und Friseurin tätig und nehme seit dem Tod ihres Vaters, u.a. bedingt durch die Zuwendungen, die sie von ihrem Ehemann erhalte, faktisch die Rolle eines Familienoberhaupts ein. Sie sei fest in Kuba verwurzelt und dauerhaft an ihre Familie gebunden, die angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse in Kuba auf gegenseitige Unterstützung angewiesen sei. Der Kläger sei Archäologe. Er sei im Jahre 2006 zu Ausgrabungen nach Kuba gekommen und habe dort die Klägerin kennengelernt. Sie hätten im Jahre 2009 geheiratet. Dass die Klägerin dauerhaft nach Deutschland ziehe, sei nicht beabsichtigt. Der Besuchsaufenthalt solle dazu dienen, die deutsche Kultur und die Kinder des Klägers kennenzulernen sowie Deutsch zu lernen, um vorsorglich die Voraussetzungen zu schaffen, falls später doch ein Antrag auf Familienzusammenführung gestellt werden sollte. In Kuba könnte die Klägerin nur unter schwierigsten Umständen Deutsch lernen. Sie lebe in einer ländlichen Gegend, in der es keine entsprechenden Bildungseinrichtungen gebe. Das nächstgelegene Goethe-Institut in Havanna sei ca. 800 km, die nächstgrößere Stadt Holguin sei drei bis vier Autostunden entfernt. Die Ehe werde derzeit so praktiziert, dass der Kläger mehrmals im Jahr nach Kuba reise. Aus gesundheitlichen Gründen werde es ihm, da er an Frakturen im Bereich der Wirbelsäule und Rückenschmerzen leide, die während längerer Flüge zunehmend unerträglich würden, nicht mehr möglich sein, seine Ehefrau in Kuba zu besuchen. Für deren Rückkehrbereitschaft spreche weiter, dass sie den überwiegenden Teil der von dem Kläger geleisteten Unterhaltszahlungen angespart habe. Bei einer Höhe der Zahlungen von durchschnittlich 400 Euro pro Monat ergebe sich unter Berücksichtigung des durchschnittlichen Einkommens eines Kubaners von 15 Euro ein Sparguthaben in Höhe von 21.560 Euro. Mit diesem Betrag könnte die Klägerin ihr restliches Leben in Kuba in finanzieller Sorglosigkeit verbringen. Zudem seien die Kläger bereit, Sicherheiten für eine rechtzeitige Ausreise zu stellen, etwa durch Vorlage eines Rückflugtickets oder Hinterlegung des Reisepasses der Klägerin sowie ggf. einer Kaution.
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5
Die Kläger beantragen sinngemäß,
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6
das ihnen am 11. Februar 2011 und der Beklagten am 14. Februar 2011 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Remonstrationsbescheides der Botschaft Havanna vom 28. Januar 2010 zu verpflichten, der Klägerin ein Schengen-Visum zu erteilen.
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7
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
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8
die Berufung zurückzuweisen
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9
Sie macht geltend, es bestünden begründete Zweifel an der Absicht der Klägerin, das Hoheitsgebiet der Schengen-Staaten mit Ablauf der Gültigkeitsdauer des Besuchsvisums zu verlassen. Vielmehr lägen konkrete Anhaltspunkte für die Annahme vor, die Klägerin werde das Visum für einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland ausnutzen und somit die Voraussetzungen für eine Familienzusammenführung zu umgehen. Die Klägerin sei in Kuba nicht wirtschaftlich verwurzelt, sondern werde von dem Kläger unterstützt. Familiär bestehe wegen der Ehe mit dem Kläger eine stärkere Bindung in Deutschland als in ihrem Heimatland. Auch die Tatsache, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers verschlechtert habe und er nicht mehr mit der gleichen Regelmäßigkeit nach Kuba werde reisen können, spreche dafür, dass ein dauerhafter Verbleib der Klägerin in Deutschland beabsichtigt sei. Bei der gebotenen Prognose komme der Beklagten nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ein weiter Beurteilungsspielraum zu. Die richterliche Kontrolle beschränke sich darauf, ob die zuständigen Behörden auf einer fehlerhaften Tatsachengrundlage bzw. willkürlich oder außerhalb ihres vom Visakodex eingeräumten Beurteilungsspielraums gehandelt hätten. Derartige Beurteilungsfehler lägen jedoch nicht vor.
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10
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (2 Hefte) verwiesen. | Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Hessisches Landesarbeitsgericht 14. Kammer | Hessen | 0 | 1 | 01.06.2012 | 0 | Randnummer
1
Die Parteien streiten im Einstweiligen Verfügungsverfahren darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, den Kläger regelmäßig mehr als 40 Stunden verteilt auf sieben aufeinander folgende Tage im Untenehmen zu beschäftigen.
Randnummer
2
Die Verfügungsbeklagte (künftig: Beklagte) ist ein Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie. Der Verfügungskläger (künftig: Kläger) ist bei ihr aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrags vom 7. März 2002 seit dem 18. März 2002 als Anlagenführer beschäftigt.
Randnummer
3
Ziff. 5 des Arbeitsvertrags regelt:
„Ihre wöchentliche Arbeitszeit beträgt 40 Stunden. Ihre Verteilung auf die einzelnen Wochentage sowie Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit richten sich nach den betrieblichen Regelungen. Sie sind verpflichtet, Mehr- und Überstunden bzw. Nacht-, Schicht- und Sonntagsarbeit im gesetzlich zulässigen Umfang zu leisten.“
Randnummer
4
Wegen des Inhalts des Arbeitsvertrags im Übrigen wird auf die zur Akte gereichte Abschrift
(Bl. 8-14 dA.)
verwiesen.
Randnummer
5
Unter dem 1. September 2005 schlossen die Betriebspartner bei der Beklagten eine Betriebsvereinbarung
(Bl. 49, 50 dA.)
ab, durch die zunächst befristet in der Produktion eine betriebliche Sieben- Tage- Woche dergestalt eingeführt wurde, dass die Arbeitnehmer in Teams ihre Arbeitsleistung an sechs Tagen in Schichten mit einer Arbeitszeit von 8 Stunden ableisten und sodann zwei Tage frei haben. Durch Betriebsvereinbarung vom 28. November 2005
(Bl. 51 dA.)
wurde die Sieben-Tage- Woche verlängert. Der Kläger selbst war in der Zeit vom 12. September 2005 bis zum 11. November 2006 im Rahmen dieses Schichtsystems eingesetzt, arbeitete also sechs Tage im Schichtsystem und hatte dann zwei Tage frei. Im Jahresdurchschnitt errechnet sich hierbei eine Wochenarbeitszeit von 42 Stunden.
Randnummer
6
In seiner Sitzung vom 9. Oktober 2009 stimmte der Betriebsrat unter dem Top „7-Tage-Woche Trommelanlage“ der Wiedereinführung der Sieben– Tage– Woche zu
(vgl. Bl. 48 dA.)
.
Randnummer
7
Die Sieben-Tage-Woche wurde zwar in der Folgezeit zu bestimmten Zeiten, etwa während der Sommerferien und um die Weihnachtszeit, gelegentlich ausgesetzt, grundsätzlich wird bei der Beklagten in der Produktion aber – auch aktuell – entsprechend gearbeitet. Der Kläger wurde, ebenso wie einige andere Arbeitnehmer, nach dem 11. November 2006 zunächst nicht mehr im Rahmen der Sieben- Tage - Woche eingesetzt, sondern arbeitete grundsätzlich nur von Montag bis Freitag im Schichtbetrieb. Allerdings war vereinbart, dass die aus der Sieben-Tage-Woche herausgenommenen Arbeitnehmer vertretungsweise auch samstags und sonntags eingesetzt werden können, was auch – auch in Bezug auf den Kläger – praktiziert wurde. In der Zeit vom 4. – bis zum 28. August 2011 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt, ausweislich eines ärztlichen Attest vom 9. September 2011 (
Bl. 35 d.A.
) wegen eines Burn-Out-Syndroms. Das Attest bestätigt weiterhin, dass eine Mehrbelastung des Klägers sowohl zeitlich als auch inhaltlich zur normalen Arbeitszeit aus medizinischen Gründen nicht angezeigt sei.
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8
Ab dem 29. August 2011 unternahm der Kläger einen Arbeitsversuch. An diesem Tag teilte der Werksleiter der Beklagten dem Kläger mit, dass er ab sofort ebenfalls in der Sieben-Tage Woche, also an sechs aufeinander folgenden Tagen jeweils acht Stunden arbeiten müsse und händigte ihm einen entsprechenden Dienstplan aus.
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9
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Beklagte sei nach der arbeitsvertraglichen Regelung nicht berechtigt, ihm regelmäßig an sieben aufeinander folgenden Tagen mehr als 40 Stunden Arbeit zuzuweisen. Die entsprechende Anordnung sei offenkundig rechtswidrig. Ihm stehe auch ein Verfügungsgrund zur Seite, weil ihm für den Fall, dass er der Anordnung nicht Folge leiste, die außerordentliche Kündigung drohe. Er hat zudem behauptet, er fühle sich bereits nach Ableistung von 40 Arbeitsstunden erschöpft und ausgebrannt und benötige Erholung, was er auch eidesstattlich versichert hat.
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10
Der Kläger hat unter dem 16. September 2011 einen Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung eingereicht. Wegen des Inhalts der Eidesstattlichen Versicherung vom 15. September 2011 wird auf Bl. 6,7 dA. Bezug genommen.
Randnummer
11
Er hat beantragt,
die Verfügungsbeklagte vorläufig bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu verpflichten, den Verfügungskläger regelmäßig nicht mehr als 40 Stunden verteilt auf 7 aufeinander folgende Tage im Unternehmen gemäß den betrieblichen Regelungen zu beschäftigen.
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12
Hilfsweise hat er beantragt:
Festzustellen, dass er vorläufig bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht verpflichtet ist, seine Arbeitsleistung regelmäßig an mehr als 40 Stunden verteilt auf 7 aufeinander folgende Tage zu erbringen.
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13
Das Arbeitsgericht Wetzlar hat ohne mündliche Verhandlung mit Beschluss vom 19. September 2011 – 1 Ga 6/11 – die begehrte Einstweilige Verfügung antragsgemäß erlassen
(Bl. 40 d.A)
. Sie wurde dem Klägervertreter am 21. September 2011 zugestellt. Hiergegen hat die Beklagte unter dem 28. September 2011, bei Gericht eingegangen am 29. September 2011, Widerspruch eingelegt.
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14
Der Kläger hat beantragt,
die einstweilige Verfügung des Arbeitsgerichts Wetzlar vom 19. September 2011 – Aktenzeichen 1 Ga 6/11 – aufrechtzuerhalten.
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15
Die Beklagte hat beantragt,
die einstweilige Verfügung des Arbeitsgerichts Wetzlar vom 19. September 2011 – Aktenzeichen 1 Ga 6/11 – aufzuheben und den Antrag zurückzuweisen.
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16
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, der Kläger habe eine falsche Eidesstattliche Versicherung abgegeben, bereits deshalb sei die erlassene Einstweilige Verfügung aufzuheben. Die Schichteinteilung stelle keine Vertragsänderung dar und sei im Hinblick auf die vorliegenden Betriebsvereinbarungen betriebsverfassungsgemäß.
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17
Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien, des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhalts und des arbeitsgerichtlichen Verfahrens wird ergänzend auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung
(S. 2 - 6 des Urteils, Bl. 69 – 73 dA.)
Bezug genommen.
Randnummer
18
Das Arbeitsgericht Wetzlar hat nach mündlicher Verhandlung mit Urteil vom 29. November 2011 – 1 Ga 6/11 – die Einstweilige Verfügung vom 19. September 2011 aufgehoben und den Antrag zurückgewiesen
(Bl. 68 - 78 dA.)
.
Randnummer
19
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die erlassene Einstweilige Verfügung sei aufzuheben, weil die Anordnung der Beklagten an den Kläger nicht offensichtlich unwirksam sei und der deshalb erforderliche besondere Verfügungsgrund nicht vorliege. Dies gelte vor allem vor dem Hintergrund, dass der Kläger gem. Ziff. 5 Absatz 3 des Arbeitsvertrags die Verpflichtung zu Mehr- und Überstunden, Nacht-, Schicht- und Sonntagsarbeit eingegangen sei. Außerdem sei nicht ausgeschlossen, dass dadurch, dass der Kläger im Zeitraum vom 12. September 2005 bis zum 11. November 2006 in der Sieben-Trage-Woche eingesetzt war, eine Vertragsänderung eingetreten sei und der Kläger schon deshalb nicht beanspruchen könne, nicht mehr als 40 Stunden in der Woche eingesetzt zu werden.
Randnummer
20
Gegen das ihm am 6. Januar 2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 6. Februar 2012 per Telefax Berufung eingelegt und diese mit am 6. März 2012 per Telefax eingegangener Berufungsbegründungsschrift begründet.
Randnummer
21
Der Kläger rügt, seine Beschäftigung in der Sieben-Tage-Woche sei nicht wegen Ziff. 5 Absatz 3 des Arbeitsvertrags vertragsgemäß. Hiernach schulde er zwar Überstunden, eine Erhörung der Regelarbeitszeit könne hierauf aber nicht gestützt werden. Es müsse vielmehr zwischen Mehr- und Überstunden einerseits und Regelarbeitszeit andererseits genau unterschieden werden. In der Anordnung der Beklagten liege aber gerade nicht die Zuweisung von Mehrarbeit, sondern die Erhöhung der Regelarbeitszeit.
Randnummer
22
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Wetzlar vom 29. November 2011 – 1 Ga 6/11 – abzuändern und die Einstweilige Verfügung des Arbeitsgerichts Wetzlar vom 19. September 2012 – 1 Ga 6/11 – aufrechtzuerhalten, mit der Maßgabe, dass es sich beim Hauptsacheverfahren um das Verfahren 14 Sa 438/12 handelt.
Randnummer
23
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Randnummer
24
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Dabei vertritt sie die Ansicht, die Beschäftigung des Klägers im Rahmen der Sieben-Tage-Woche sei nicht offensichtlich unzulässig, sondern vertragsgemäß. Unabhängig davon liege auch kein Verfügungsgrund vor, insbesondere sei nicht ersichtlich, dass der Gesundheitszustand des Klägers gefährdet werde, wenn ihm zugemutet werde, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens entsprechend dem Schichtplan tätig zu werden.
Randnummer
25
In dem vor dem Arbeitsgericht Gießen eingeleiteten Hauptsacheverfahren ist der Kläger mit seinen mit dem hiesigen Verfahren identischen Anträgen unterlegen. Der Kläger hat gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 28. Februar 2012 (7 Ca 274/11) vor der erkennenden Kammer Berufung eingelegt (14 Sa 438/12). Terminierung ist hier noch nicht erfolgt.
Randnummer
26
Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsschriftsätze und den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 1. Juni 2012 (
Bl. 130 dA.)
verwiesen. | Die Berufung des Verfügungsklägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wetzlar vom 29. November 2011 – 1 Ga 6/11 – wird auf Kosten des Verfügungsklägers zurückgewiesen. | 0 |
OLG Frankfurt 1. Zivilsenat | Hessen | 0 | 1 | 04.02.2002 | 1 | Randnummer
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Die Kläger verlangen von dem Beklagten aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung Schadensersatz mit der Begründung, dass die Flurbereinigungsbehörde ihren Anspruch auf wertgleiche Abfindung im Flurbereinigungsverfahren schuldhaft verletzt habe.
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Die Kläger waren Eigentümer des 2.006 qm großen Grundstücks, Gemarkung … Flur …, Flurstück …, eingetragen im Grundbuch von …, Band …, Blatt … . Nach dem am 11.09.1963 von der Gemeindevertretung der damals selbständigen Gemeinde …als Satzung beschlossenen Bebauungsplan war das Grundstück der Kläger zur Hälfte Bauland (Blatt 9-12 der Akten). Die Hauptsatzung dieser Gemeinde ist nicht mehr auffindbar.
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Gemäß Anordnung des hessischen Amtes für Landeskultur vom 9.08.1966 wurde für die Grundstücke der Gemarkung … die Flurbereinigung angeordnet (Blatt 144-148 der Akten).
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Die Gemeindevertretung … behandelte in ihrer Sitzung am 30.06.1971 die Frage, welche Flächen aus dem Baugebiet herausgenommen werden sollen. Das Sitzungsprotokoll lautet zu Tagesordnungspunkt 4 „Regulierung des Bebauungs- und Flächennutzungsplanes:
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Vom Bürgermeister wurde vorgetragen, welche Fläche nach dem augenblicklichen Stand der Flurbereinigung in Frage stehen, die eventuell aus dem Baugebiet herausgenommen werden sollen.
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a) Links der Straße nach … hinter dem Forsthaus.
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Da dieses Gelände nach den derzeitigen Bestimmungen nicht mehr mit Gebäude und Anlagen bebaut werden kann soll es aus dem Baugebiet ausgeklammert werden. - Beschluss einstimmig - ..." (Blatt 52 - 53 der Akten).
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Am 29.08.1972 stellte das hessische Amt für Landeskultur als Flurbereinigungsbehörde den Flurbereinigungsplan auf (Auszug aus dem Flurbereinigungsplan Seite 1 - 14, Blatt 154 - 166 der Akten). Am 19.12.1972 erfolgte die Feststellung der Schätzungsergebnisse (Blatt 149 der Akten), am 5.01.1973 wurde die Feststellung des Schätzungsergebnisses öffentlich bekannt gemacht (Blatt 150 der Akten). Durch Schlussfeststellung vom 3.05.1979 wurde das Flurbereinigungsverfahren abgeschlossen. Am 16.05.1979 wurde die Schlussfeststellung im Amtsblatt der Gemeinde … veröffentlicht (Blatt 152, 153 der Akten).
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In das Flurbereinigungsverfahren waren außer dem oben genannten Grundstück 10 weitere im Eigentum der Kläger stehende Grundstücke einbezogen. Anstelle dieser Grundstücke wurden den Klägern im Rahmen einer Planvereinbarung andere Grundstücke zugewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 38 bis 47 der Akten Bezug genommen. Das Grundstück Gemarkung … Flur …, Flurstück … wurde bei der Ermittlung der Wertverhältnisse nicht als Bauland, sondern als landwirtschaftliche Fläche bewertet.
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Die Kläger haben die Auffassung vertreten, dass ihr Grundstück Flur …, Flurstück … fehlerhaft von den zuständigen Mitarbeitern der Flurbereinigungsbehörde nicht zur Hälfte als Bauland bewertet worden sei. Hierzu haben sie behauptet, dass ihnen in einer Besprechung mit Mitarbeitern des hessischen Amtes für Landeskultur am 21.02.1973 erklärt worden sei, bei ihrem Grundstück Flur …, Flurstück … handele es sich lediglich um eine Wiese, die gegen eine andere Wiese ausgetauscht werde. Nur im Vertrauen auf die Richtigkeit dieser Beurteilung hätten sie der Planvereinbarung zugestimmt. Ihnen sei unbekannt gewesen, dass das Grundstück nach dem Bebauungsplan von 1963 zur Hälfte Bauland gewesen sei.
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Von der Fehlbeurteilung des Grundstückswertes durch die Mitarbeiter des hessischen Amtes für Landeskultur hätten sie erstmals im Mai 1999 erfahren, als ihr Rechtsnachfolger im Eigentum dieses Grundstück an einen Investor zum Zwecke der Errichtung eines Verbrauchermarktes verkauft habe.
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Durch die Fehlbeurteilung des Grundstückswertes durch die Flurbereinigungs-behörde sei ihnen ein Schaden von 168.002,50 DM entstanden. Der Schaden ergebe sich daraus, dass der Wert eines nicht erschlossenen Baugrundstückes im Bereich … mindestens 200 DM pro qm betrage, so dass sich für eine Fläche von
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1.003 qm ein Wert von 200.600 DM ergebe. Unter Abzug des Wertes der Ausgleichsfläche und unter Berücksichtigung eines höchst vorsorglich zu erklärenden Vorbehalts einer eventuellen anderweitigen Verrechnung mit 15% der Summe, mithin 30.090 DM, verbleibe die Klageforderung als Schadensbetrag.
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Die Kläger haben beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Kläger als Gesamtgläubiger 168.002,50 DM zzgl. 4% Zinsen seit 8.06.2000 zu zahlen.
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Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Er hat die Auffassung vertreten, die Flurbereinigungsbehörde habe den Wert des Grundstücks Flur …, Flurstück … zutreffend bewertet. Es habe sich um eine landwirtschaftliche Fläche gehandelt, weil der Bebauungsplan von 1963 aus formalen Gründen nicht wirksam geworden sei. Jedenfalls sei das Grundstück der Kläger Flur …, Flurstück … durch den Beschluss der Gemeindevertretung … vom 30.06.1971 wirksam aus der bebaubaren Fläche herausgenommen worden. Dementsprechend sei in dem im Jahre 1983 genehmigten Flächennutzungsplan das streitige Grundstück als landwirtschaftliche Fläche bezeichnet.
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Ein Schadensersatzanspruch der Kläger aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung sei bereits deshalb ausgeschlossen, weil diese vorwerfbar ein Rechtsmittel im Flurbereinigungsverfahren unterlassen hätten. Ihnen sei bekannt gewesen, dass der Bebauungsplan aus dem Jahre 1963 auch das Grundstück Flur … Flurstück … betroffen habe. Es sei lebensfremd anzunehmen, dass die Kläger als Inhaber eines Lebensmittelgeschäftes in einem kleinen Ort wie … von der Aufstellung eines Bebauungsplanes nichts erfahren haben sollten. Auch beziehe sich der Antrag auf Errichtung eines Verbrauchermarktes auf ein Grundstück, bei welchem es sich nicht um die ehemalige Fläche Flur …, Flurstück … handele.
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Das Landgericht hat die Klage durch am 27.11.2000 verkündetes Urteil abgewiesen (Blatt 70 bis 77 der Akten). Gegen das ihnen am 29.11.2000 zugestellte Urteil haben die Kläger am 27.12.2000 Berufung eingelegt und das Rechtsmittel am 29.01.2001 (Montag) begründet.
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Die Kläger verfolgen die erstinstanzlich erhobene Forderung im vollen Umfang weiter. Sie rügen, dass das Landgericht verkannt habe, dass der Bebauungsplan vom 9.11.1963 die hier in Bezug genommene Teilfläche des Grundstücks Flur …, Flurstück … als Bauland ausweise. Für Verfahrensmängel, die die Unwirksamkeit des Bebauungsplanes bewirken könnten, liege kein Anhaltspunkt vor. Der Bebauungsplan sei auch nicht durch den Beschluss der Gemeindevertretung vom 30.06.1971 teilweise aufgehoben worden. Dieser Beschluss sei unwirksam, weil der Gemeinde eine Verwerfungskompetenz nicht zugestanden habe. Amtspflichtwidrig hätten die Vertreter der Gemeinde … seinerzeit offenbar noch vor der Festlegung der Grundstückswerte „wertberichtigend“ in das Flurbereinigungsverfahren eingreifen wollen. Die Wirkungslosigkeit des Bebauungsplanes könne auch nicht damit begründet werden, dass seine Umsetzung während eines Zeitraumes von etwa 7 Jahren unterblieben sei. Dieser Zeitraum sei zu kurz, um eine derartige Rechtsfolge eintreten zu lassen. Den Klägern könne auch nicht vorgeworfen werden, wegen Flurbereinigungsverfahren Rechtsmittel gegen die Wertfestsetzung unterlassen zu haben. Nach Abschluss des Flurbereinigungsverfahrens hätten sie sich bei der Gemeindeverwaltung … nach der Grundstücksqualität erkundigt und dort die Auskunft erhalten, dass es sich um Ackerland gehandelt habe. Für die Kläger habe kein Anlass bestanden, an der Richtigkeit dieser Auskunft zu zweifeln.
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Die Kläger beantragen,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach dem erstinstanzlich gestellten Klageantrag zu erkennen.
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Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Er ist der Auffassung, dass ein Amtshaftungsanspruch nach der Rechtsprechung des BGH (BGH NJW 1987, 491 ff. ) ausgeschlossen sei, weil die Entscheidungen der Flurbereinigungsbehörde von den Klägern nicht angefochten worden seien. Es liege auch kein rechtswidriges und schuldhaftes Handeln der Bediensteten der Flurbereinigungsbehörde vor. Für die Unwirksamkeit des Bebauungsplanes aus dem Jahre 1963 spreche, dass der hessische Verwaltungsgerichtshof nach seiner damaligen Rechtsprechung sämtliche Bebauungspläne in Hessen aufgrund vielfacher formaler Fehler als nichtig eingestuft habe. Daran hätten sich alle Gemeinden orientiert und ihre Bebauungspläne bis zur Neuaufstellung nicht mehr angewandt. | Die Berufung der Kläger gegen das am 27.11.2000 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Gießen wird zurückgewiesen.
Die Kläger haben die Kosten der Berufung zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 16.000 DM (8.180,67 €) abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Der Wert der Beschwer wird auf 168.002,50 DM (85.898,31 €) festgesetzt. | 0 |
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt 8. Senat | Sachsen-Anhalt | 0 | 1 | 30.10.2013 | 0 | Randnummer
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Die Beteiligten streiten noch über höhere Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe - SGB XII) für die Betreuung der Klägerin in dem Wohnheim in Trägerschaft der Beigeladenen ab dem 1. Dezember 2007.
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Die am ... 1978 geborene Klägerin leidet zumindest seit ihrem 13. Lebensjahr unter Affekten gegen sich selbst nach massiven sexuellen Übergriffen ihr und ihren leiblichen Schwestern gegenüber. Sie befand sich auch nach ihrer Volljährigkeit häufig in stationärer Krankenhausbehandlung auf Grund einer schweren Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ mit autoaggressiven Tendenzen bei intellektueller Minderbegabung. Es wurde für die Klägerin ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 anerkannt. Sie lebt seit März 1999 in stationären Einrichtungen, seit dem 31. Oktober 2004 im Wohnheim St. E. für Menschen mit seelischer und seelischmehrfacher Behinderung in C. (Saale) (im Folgenden: Wohnheim), dessen Trägerin die Beigeladene ist.
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Zu dem Rahmenvertrag gemäß § 79 SGB XII für das Land Sachsen-Anhalt vom 27. August 2007 (im Folgenden: Rahmenvertrag) wird in der Anlage H der Personalschlüssel für Einrichtungen der Alten- und Behindertenhilfe geregelt. Danach ist für Wohnheime für Menschen mit seelischen Behinderungen ein Personalschlüssel höchstens von 1:6 vorgesehen (Nr. 2 Buchst. a zu 2.). Der für den Leistungsberechtigten günstigste Personalschlüssel von 1:1,5 ergibt sich für stationäre Langzeiteinrichtungen für geistig und mehrfach Behinderte bei schwerer und schwerster Pflege (Nr. 3 zu 2.2.). Nach den zwischen der Beigeladenen und dem Beklagten geschlossenen Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII galt eine Vergütung pro Leistungstag für die Betreuung im Wohnheim für Menschen mit seelischen Behinderungen (Leistungstyp 2b) vom 1. April bis zum 31. Dezember 2007 in Höhe von insgesamt 49,19 EUR/Leistungstag - einschließlich 4,45 EUR Verzehrgeld und 4,81 EUR Investitionsbetrag - sowie ab dem 1. Januar 2008 in Höhe von insgesamt 49,04 EUR/Leistungstag - einschließlich 4,45 EUR Verzehrgeld und 4,81 EUR Investitionsbetrag - (Vereinbarung vom 30. März 2007). Mit Vereinbarung vom 28. Dezember 2007 wurde die Vergütung ab dem 1. Januar 2008 auf 50,01 EUR angehoben.
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Der Landkreis B, der zum 1. Juli 2007 im S.-landkreis (im Folgenden: Landkreis) aufgegangen ist, bewilligte der Klägerin auch nach ihrem Umzug in das Wohnheim in C. Leistungen nach den §§ 39, 40 Abs. 1 Nr. 8 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 6 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - SGB IX) in Form der Hilfe zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten. Ab dem 1. Januar 2005 wurden die Leistungen nach den Regelungen des SGB XII, nun im Namen des Beklagten als überörtlichem Sozialhilfeträger, weitergewährt. Die laufenden Leistungen setzen sich aus der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (§§ 19 Abs. 2, 41 ff. SGB XII), der Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen einschließlich des Barbetrages (§§ 19 Abs. 1, 35 Abs. 1 und 2 Satz 2 SGB XII) und der Eingliederungshilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (§§ 19 Abs. 3, 53, 54 SGB XII) zusammen.
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Dem zweiten Entwicklungsbericht der Leiterin des Wohnheims für den Berichtzeitraum bis zum 1. November 2006 ist zu entnehmen, bei der Klägerin bestehe auf Grund ihrer seelischen Behinderung ein so hoher Hilfebedarf, dass die zu dieser Zeit bestehende landesweit übliche Personalbemessung für Menschen mit seelischer Behinderung diesem Einzelfall nicht gerecht werde. Im Sinne der Gewährleistung einer bedarfsgerechten Betreuung und Förderung werde um Prüfung des vorliegenden Einzelfalles gebeten.
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Auf die Bitte des Landkreises mit Schreiben vom 23. Oktober 2006 um Konkretisierung des erhöhtem Hilfebedarfs der Klägerin gab die Leiterin des Wohnheims auf dem von dem Landkreis übersandten beigefügten "Erhebungsbogen zur Bildung von Gruppen für Leistungsberechtigte mit seelischen Behinderungen" einen Gesamtpunktwert von 308 bei einer maximal vorgesehenen Gesamtsumme von 348 Punkten an. Mit wenigen Ausnahmen zu Einzelpunkten ist in sämtlichen Bereichen der Wert für einen sehr großen Hilfebedarf (Anleitung und umfassende Hilfestellung) angegeben. Im Bereich "Anmerkungen" des Vordrucks wird auf eine über die Maßen suizidale Gefährdung (sehr hoher Hilfebedarf an individueller Begleitung, sehr umfangreicher Hilfebedarf bei der fachärztlichen Versorgung), eine Fremdgefährdung bei instabilem psychosozialem Befinden und eine über die Maßen [erforderliche] Motivation in allen Lebensbereichen einschließlich externer Therapiebegleitung verwiesen. Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten auf Bl. 85ff. des Medizinischen Beihefts aus den Verwaltungsakten Bezug genommen.
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Aus der von der Leiterin des Sozialpsychiatrischen Dienstes des Landkreises, Dipl.-Med. R., verfassten amtsärztlichen Stellungnahme zur Feststellung von Eingliederungshilfe für behinderte Menschen vom 22. Februar 2007 ergibt sich, es sei nicht abzusehen, ob die Klägerin ihren Lebensüberdruss und ihre suizidale Phantasien in die Tat umsetze. Momentan bestünden zusätzlich berechtigte Ängste auf Grund der von der Klägerin gefürchteten Haftentlassung des Täters der sexuellen Übergriffe. Als Diagnosen lägen eine Borderline-Persönlichkeitsstörung (emotional instabile Persönlichkeitsstörung) mit dauerhafter latenter Suizidalität bei Unvermögen der angepassten emotionalen Reaktion auf Grund traumatischer Kindheitserfahrungen bei zerrütteter Familiensituation vor. Es liege eine auf einer schweren Persönlichkeitsstörung beruhende wesentliche seelische Behinderung vor. Als Maßnahmen würden eine erhöhte emotionale Zuwendung, vermehrte Gesprächs- und Beziehungsangebote durch betreuendes Personal, psychotherapeutische Betreuung und psychiatrische Behandlung (nur in einem Heim) empfohlen. Es bestehe ein erhöhter Hilfebedarf auf Grund der emotionalen Defizite; eine Erhöhung des Betreuungsaufwandes sei gerechtfertigt.
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Dipl.-Med. S. führte in ihrem Gutachten für den Rehapädagogischen Fachdienst (im Folgenden: RFD) über den individuellen Hilfebedarf der Klägerin vom 11. Juli 2007 aus, die Tendenz zur Selbstgefährdung der Klägerin sei erheblich rückläufig. Während der Arbeit (von 8.00 Uhr bis 14.00 Uhr) kämen ihr keine bösen Gedanken. Danach sei sie erschöpft und ruhe in ihrem Zimmer. Die Klägerin gebe an, dann kämen sehr oft Gedanken; sie verspüre dann das Bedürfnis, sich unbedingt mit einem Betreuer unterhalten zu müssen. Sie habe Angst, dass sie sich wieder etwas antue; sie wolle nie wieder in die Nervenklinik. Während der Zeit von 14.00 Uhr bis ca. 22.00 Uhr sähen die Betreuer und auch die Klägerin den höchsten Bedarf an Zuwendung zur Abwendung von Selbstgefährdung. Es werde deshalb ein täglicher individueller Betreuungsbedarf von sechs Stunden empfohlen, der selbstverständlich durch eine Fachkraft zu erbringen sei. Dieser Hilfebedarf sei als Durchschnittswert anzusehen, weil er jeweils abhängig von der Befindlichkeit der Leistungsberechtigten sei. Der Inhalt des weiteren Gutachtens von Dipl.-Med. S. für den RFD vom 23. April 2008 entspricht im Wesentlichen diesem Gutachten. Der Hilfebedarf als Durchschnittswert sei - entsprechend dem beantragten Personalschlüssel von 1:1 - analog einem Wohnheim für wesentlich geistig behinderte Menschen als Höchstmaß der Betreuung in einer vollstationären Einrichtung aus gutachterlicher Sicht zu befürworten.
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Mit Bescheid vom 24. Juli 2007 bewilligte der Landkreis der Klägerin im Namen des Beklagten u.a. Leistungen der Eingliederungshilfe in Höhe von monatlich 1.496,36 EUR (täglich 49,19 EUR) ab April 2007 unter Berücksichtigung der maßgebenden Entgeltvereinbarungen.
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Zu den Angaben der Beigeladen zum individuellen Hilfebedarf der Klägerin von November 2006 bis Oktober 2008 wird auf Bl. 108 ff. und 119 ff. des Medizinischen Beiheftes aus den Verwaltungsakten verwiesen. Mit Schreiben vom 31. Juli 2007 übersandte die Beigeladene dem Beklagten (dort eingegangen am 6. August 2007) ein "Kostenangebot/Pflegesatz" für die Betreuung der Klägerin, verbunden mit einem "Antrag auf behinderungsbedingten Mehrbedarf (1:1)" mit folgender Berechnung:
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( nachfolgender Absatz im Original als Tabelle dargestellt )
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Am 28. September 2007 stellte die Klägerin durch ihre Betreuerin den Antrag auf weitere Bewilligung der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, ohne insoweit einen bestimmten Umfang der Leistungen anzugeben. Der Landkreis bewilligte der Klägerin im Namen des Beklagten mit Bescheid vom 14. Dezember 2007 für die Zeit vom 1. Dezember 2007 bis zum 31. Mai 2008 Eingliederungshilfe in Höhe von monatlich 2.412,47 EUR. Dabei wurde für diesen Zeitraum ein Tagessatz auf Grund des erhöhten Betreuungsaufwandes in Höhe von 97,32 EUR (2.960,47 EUR/Monat) unter Berücksichtigung der maßgebenden Entgeltvereinbarungen zugrunde gelegt. Bedarfsmindernd wurden 548,00 EUR monatlich entsprechend dem Umfang der Grundsicherung und ein Kostenbeitrag der Klägerin in Höhe von monatlich 154,00 EUR berücksichtigt. Nach Mitteilung der für die Betreuung der Klägerin nun übernommenen Vergütung für die Zeit vom 1. Dezember 2007 bis zum 31. Mai 2008 fragte der Landkreis bei dem Wohnheim an, ob seit September 2006 besonderes Personal für die 1:1-Betreuung der Klägerin vorgehalten worden sei.
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Die Beigeladene legte am 31. Januar 2008 "Widerspruch" gegen den Bescheid 14. Dezember 2007 verwies auf ihren Antrag vom 22. September 2006. Gleichzeitig werde behelfsmäßig ein Neuantrag gestellt. Die Klägerin legte durch ihre Betreuerin, nach telefonischer Sachstandinformation von Seiten der Behörde, am 4. Februar 2008 Widerspruch gegen den Bescheid vom 14. Dezember 2007 ein und beantragte die Anerkennung des (von der Beigeladenen) beantragten Mehrbedarfs. Bei Ablehnung des Widerspruchs beantrage sie die Zahlung des Mehrbedarfs in Höhe der anfallenden Kosten des Wohnheimes ab Februar 2008.
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Der Beklagte gab sodann ein Kostenanerkenntnis nach § 75 Abs. 4 SGB XII für die Betreuung der Klägerin im Wohnheim vom 1. bis zum 31. Dezember 2007 in Höhe von 117,30 EUR/Leistungstag und für die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Mai 2008 in Höhe von 118,27 EUR/Leistungstag ab, über das der Landkreis die Beigeladene informierte.
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Die Klägerin widersprach der Höhe der Vergütung mit bei dem Landkreis am 14. April 2008 eingegangenem Schreiben vom 10. April 2008 mit der Begründung, dass ihre Betreuung über sieben Tage rund um die Uhr mit dem bewilligten Tagessatz nicht zu leisten sei, nahm diesen Widerspruch und den Widerspruch gegen den Bescheid vom 14. Dezember 2007 am 14. Mai 2008 aber wieder zurück.
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Die Beigeladene teilte dem Beklagten mit Schreiben vom 7. April 2008 mit, die vorgenommene Kostenberechnung sei unzutreffend. Bei einem Ansatz von 29 Urlaubstagen und drei Fortbildungstagen betrage die Nettoarbeitszeit eines Mitarbeiters für die 1:1-Betreuung der Klägerin (360 Minuten pro Tag) 152 Stunden pro Monat. Daraus errechne sich hier ein erforderlicher Personalaufwand von 1,2 Vollzeitkräften (VK). Mit dem vertraglich vereinbarten Personalschlüssel von 1:6 seien auf der Grundlage einer Siebentagewoche lediglich 57 Minuten täglich finanziert (4 VK x 40 Stunden: 24 Plätze: 7 Tage x 60 Minuten). Bei 152 Stunden Nettoarbeitszeit im Monat seien 1,01 VK mit einem betreuungstäglichen Bedarf von 84,13 EUR (Kosten des zusätzlich einzustellenden Personals 30.721 EUR/Jahr, 2.559,34 EUR/Monat) anzusetzen. Nach gängiger Verwaltungspraxis sei ein Personalkostenansatz in Höhe von 30.388 EUR/Jahr der Kalkulation zugrunde zu legen. In der Summe mit der vereinbarten Vergütung in Höhe von 49,04 EUR bzw. seit dem 1. Januar 2008 50,01 EUR ergebe sich eine Vergütung pro Tag für Dezember 2007 in Höhe von 133,17 EUR und ab dem 1. Januar 2008 in Höhe von 134,14 EUR.
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Mit Bescheid vom 18. April 2008 erfolgte eine Erhöhung der Eingliederungshilfeleistungen auf monatlich 3.020,27 EUR vom 1. bis zum 31. Dezember 2007 und auf monatlich 3.049,77 EUR vom 1. Januar bis zum 31. Mai 2008. Dabei wurde nun ein Tagessatz auf Grund des erhöhten Betreuungsaufwandes der Klägerin in Höhe von 117,30 EUR (3.568,27 EUR/Monat) für Dezember 2007 und in Höhe von 118,27 EUR (3.597,77 EUR) für Januar bis Mai 2008 (unter Berücksichtigung der maßgebenden Entgeltvereinbarungen) zugrunde gelegt. Der Landkreis informierte die Beigeladene mit Schreiben vom 18. April 2008 über dieses Kostenanerkenntnis für den Zeitraum vom 1. Dezember 2007 bis zum 31. Mai 2008.
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Am 14. Mai 2008 legte die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 18. April 2008 in Bezug auf die Kostenübernahme im Einzelfall "ab 01.12.2007-31.05.2008" ein. Die Entgeltberechnung entspreche auf Grund der Schwere der seelischen Behinderung und Suizidalität nicht ihrem Betreuungsbedarf. Der Landkreis half dem Widerspruch im Namen des Beklagten in Bezug auf den Zeitraum vom 1. Dezember 2007 bis zum 31. Mai 2008 mit Bescheid vom 27. August 2008 mit der Anhebung der Eingliederungshilfe auf 3.602,04 EUR/Monat, 118,41 EUR/Tag ab Dezember 2007 und auf 3.631,54 EUR/Monat, 119,38 EUR/Tag ab dem 1. Januar 2008 bei im Übrigen unveränderten Regelungen teilweise ab. Im Übrigen wies er den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 9. Oktober 2008 als unbegründet zurück. Für die Klägerin bestehe kein höherer Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe für die Zeit vom 1. Dezember 2007 bis zum 31. Mai 2008 auf der Grundlage von § 53 SGB XII i.V.m. § 9 Abs. 1 SGB IX. Die gewährte Vergütung auf der Grundlage eines täglichen individuellen Betreuungsbedarfs an 1:1-Betreuung von sechs Stunden sei entsprechend den Feststellungen der Gutachterin des RFD vom 11. Juli 2007 ausreichend, zweckmäßig, wirtschaftlich und notwendig, den Bedarf der Klägerin auf Hilfen während ihrer stationären Betreuung im Wohnheim zu decken. Für das Wohnheim sei mit der Beigeladenen eine Personalbemessung von 1:6 vereinbart. Das entspreche der Finanzierung von insgesamt vier VK für 24 Leistungsberechtigte, auf die rein rechnerisch, unabhängig von der Verteilung des Personals auf Wochentage oder Schichten, jeweils ein Anteil von 0,167 VK entfalle. Für die Klägerin sei damit die Differenz von 0,833 VK zusätzlich durch den Sozialhilfeträger zu finanzieren. Bei einem durchschnittlichen Personalkostenaufwand in Höhe von 30.388 EUR/Jahr für eine fachlich geeignete VK seien für das bei der Klägerin im Einzelfall erforderliche Zusatzpersonal jährliche Aufwendungen in Höhe von 25.323,33 EUR bzw. eine Zusatzvergütung in Höhe von 69,37 EUR betreuungstäglich (25.323,33 EUR: 365,04 Tage/Jahr = 30,42 Tage/Monat x 12 Monate) anzusetzen. Die festgelegte Vergütung pro Leistungstag ergebe sich aus der vertraglichen Vergütung und der Zusatzvergütung.
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Nachfolgend rechnete die Beigeladene gegenüber dem Landkreis für den Zeitraum vom 1. Dezember 2007 bis zum 31. Mai 2008 die bewilligten Leistungen für Eingliederungshilfe im Wohnheim vollständig ab.
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Für die Eingliederungshilfe ab dem 1. Juni 2008 erließ der Landkreis den Bescheid vom 21. April 2008, half dem hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin (in einem zweiten Schreiben vom 14. Mai 2008) mit zwei Bescheiden vom 28. August 2008 teilweise ab und wies den Widerspruch im Übrigen mit einem zweiten Widerspruchsbescheid vom 9. Oktober 2008 als unbegründet zurück. Der Zugang dieses Widerspruchsbescheides ist zwischen den Beteiligten inzwischen unstreitig. Mit Bescheid vom 19. Dezember 2008 erfolgte die Bewilligung von Eingliederungshilfe in dem Wohnheim für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2009. Die Klägerin lebt weiterhin in der Einrichtung.
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Mit ihrer am 7. November 2008 vor dem Sozialgericht (SG) Magdeburg erhobenen und nach Änderung des Passivrubrums gegen den Beklagten gerichteten Klage hat die Klägerin unter Anfechtung des Bescheides vom 18. April 2008 in der Gestalt des Bescheides vom 27. August 2008 und des Widerspruchsbescheides vom 9. Oktober 2008 die Verpflichtung des Beklagten erstrebt, als Eingliederungshilfe die Kosten zu übernehmen, die die Beigeladene ihr, der Klägerin, für ihre ganztägige Betreuung im Wohnheim in Rechnung stellt, und zwar für den Zeitraum 29. September 2006 bis 31. Dezember 2007 in Höhe von 133,17 EUR/Tag und ab dem 1. Januar 2008 in Höhe von 134,14 EUR/Tag unter Anrechnung ihr bewilligter und gezahlter behinderungsbedingter monatlicher Pauschalen und Mehrbedarfsleistungen. Der Klageschrift war als Anlage K 1 eine Kopie des Widerspruchsbescheides vom 9. Oktober 2008 in Bezug auf den Bewilligungszeitraum vom 1. Dezember 2007 bis zum 31. Mai 2008 beigefügt. Zur Begründung der Klage hat die Klägerin ausgeführt, weder der Landkreis noch die Sozialagentur seien hier zum Erlass von Bescheiden berechtigt gewesen. Bei grundsätzlich gleicher Rechnungsweise und einem Ansatz von 152 Stunden Nettoarbeitszeit pro Monat (109.440 Minuten/Jahr) sowie einem Personalkostenansatz von 30.388,00 EUR/Jahr ergebe sich die von der Beigeladenen im Schreiben vom 7. April 2008 angegebene Vergütung pro Tag für den Dezember 2007 in Höhe von 133,17 EUR und ab dem 1. Januar 2008 in Höhe von 134,14 EUR. Es sei nicht erkennbar, unter welchem Gesichtspunkt der RFD auf den nach ihrer, der Klägerin, Auffassung niedrigeren Bedarf für geistig behinderte Menschen abgestellt habe. Der Vergleich sei nicht nur unglücklich. Weder auf die vereinbarte Vergütung nach § 75 Abs. 3 SGB XII noch auf den Personalschlüssel nach dem Rahmenvertrag, der nur für nach § 75 SGB XII abzuschließende Vereinbarungen gelte, komme es hier an. Eine Einrichtung, welche die für sie erforderliche Eingliederungshilfe günstiger als die Beigeladene erbringen könne, sei von dem Beklagten nicht benannt worden.
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Der Beklagte hat seinen Antrag auf Klageabweisung im Wesentlichen auf den Rahmenvertrag gestützt. Vergütungen dürften nach § 75 Abs. 4 SGB XII nur bis zu der Höhe übernommen werden, wie sie der Sozialhilfeträger am Ort der Unterbringung oder in seiner nächsten Umgebung für vergleichbare Leistungen nach den nach Absatz 3 dieser Regelung abgeschlossenen Vereinbarungen mit anderen Einrichtungen übernehme. Es gebe im Land Sachsen-Anhalt keine Einrichtung, mit der regelhaft eine Wohnheimbetreuung von seelisch behinderten Menschen unter einer Personalbemessung 1:1 vereinbart worden sei. Für das Wohnheim der Beigeladenen für seelisch und mehrfach behinderte Menschen in O. sei bei einer (im Vergleich höchsten) empfohlenen Personalrelation von 1:1,1 der personelle Mehraufwand mit 0,89 VK abzüglich 0,14 VK (entsprechend Personalschlüssel 1:7) und für die auf dieser Basis ermittelten 0,75 VK 62,43 EUR pro Leistungstag im Rahmen einer Einzelfallregelung vergütet worden. Die von der Klägerin verfolgten Mehrkosten in Höhe von 84,17 EUR/Leistungstag seien nicht realistisch.
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Das SG hat den Beklagten mit Urteil vom 19. April 2011 "unter Abänderung des Bescheides vom 18. April 2008 in der Gestalt des Bescheides vom 27. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Oktober 2008" verpflichtet, die Kosten der Eingliederungshilfe der Klägerin im Wohnheim der Beigeladenen "in Höhe von 133,17 EUR im Zeitraum 1.12. bis zum 31.12.2007 sowie in Höhe von 134,14 EUR ab 1.1.2008 zu übernehmen, wobei bereits gezahlte Kosten anzurechnen sind" und die Klage im Übrigen abgewiesen. Soweit die Klage zulässig sei, sei diese auch begründet. Die Klägerin werde durch die im Tenor bezeichneten Bescheide insoweit in ihren Rechten verletzt, als für den Monat Dezember 2007 kalendertäglich 118,41 EUR statt 133,17 EUR sowie von Januar bis einschließlich Mai 2008 kalendertäglich 119,38 EUR statt 134,14 EUR bewilligt worden seien. Die Klägerin sei durch eine seelische Behinderung wesentlich behindert im Sinne des § 53 SGB XII. Die in der Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII für das betreffende Wohnheim festgelegte Vergütung in Höhe von 49,19 EUR/Leistungstag bis zum 31. Dezember 2007 und in Höhe von 49,04 EUR/Leistungstag ab dem 1. Januar 2008 reiche entsprechend dem dieser zugrunde liegenden Personalschlüssel von 1:6 nach der Anlage H zum Rahmenvertrag zur Betreuung der Klägerin unstreitig nicht aus. Das werde insbesondere durch die Feststellungen des RFD unter dem 11. Juli 2007 belegt. Der individuelle Hilfebedarf der Klägerin mit einer 1:1-Betreuung zwischen 15.00 Uhr und 21.00 Uhr täglich werde von den bewilligten Leistungen nicht abgedeckt, sodass ihr unter Berücksichtigung des § 75 Abs. 4 SGB XII weitere Hilfe zu leisten sei. Ausgehend von dem Kostenansatz des Beklagten mit jährlichen Aufwendungen in Höhe von 30.388,00 EUR koste eine 5/6-Kraft (0,833 VK) jährlich 25.323,33 EUR und damit kalendertäglich 69,33 EUR (bei unter Berücksichtigung von Schaltjahren 365,25 Kalendertagen pro Jahr). Unter Berücksichtigung der rechtlich maßgebenden Nettoarbeitszeit von 152 Stunden pro Monat bei Berücksichtigung von jährlich 29 Urlaubstagen sowie drei Fortbildungstagen ergebe sich ein jährlicher Kostenbetrag in Höhe von 30.721,00 EUR, um den Bedarf der Klägerin sicherzustellen. Dem entspreche kalendertäglich ein Betrag in Höhe von 84,13 EUR, der zusätzlich zu den bereits gezahlten Beträgen von 49,04 EUR für Dezember 2007 sowie 50,01 EUR ab Januar 2008 von dem Beklagten zu zahlen sei.
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Der Beklagte hat gegen das ihm am 16. Mai 2011 zugestellte Urteil am 15. Juni 2011 bei dem Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt Berufung eingelegt.
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Die Beiladung ist von dem Senat mit Beschluss vom 9. Juli 2012 bewirkt worden.
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Zur Begründung seines Rechtsmittels, gegen die seines Erachtens erfolgte Verurteilung zu höheren Leistungen für den Zeitraum vom 1. Dezember 2007 bis zum 31. Mai 2008, führt der Beklagte aus, die Standards für die personelle Ausstattung von Einrichtungen der Eingliederungshilfe, die für den Abschluss von Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarungen gemäß § 75 Abs. 3 SGB XII zugrunde gelegt würden, seien mit Erlass der Geschäftsstelle der Pflegesatzkommission beim Ministerium für Gesundheit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt festgelegt worden und als Anlage H Bestandteil des Rahmenvertrages geworden. Hiernach richte sich auch die vereinbarte Betreuungsleistung der Beigeladenen für das Wohnheim. Die höchstmögliche Personalrelation ergebe sich aus der Regelung in Nr. 3 zu 2.2. des Rahmenvertrages mit 1:1,5. Diese Einstufung sei begründet, wenn zum Beispiel eine akute Eigen- und Fremdgefährdung des Leistungsberechtigten vorliege und einen intensiven Betreuungsbedarf "rund um die Uhr" bedinge. Soweit im Einzelfall auf Grund der Art und/oder Schwere der Behinderung gem. § 75 Abs. 4 SGB XII maximal eine Personalbemessung 1:1 zugrunde gelegt werde, sei diese für die Klägerin in Ansatz gebracht worden.
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Der Beklagte beantragt,
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das Urteil des SG Magdeburg vom 19. April 2011 aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Einschätzung zum Hilfebedarf durch den RFD sei nicht nachvollziehbar. Bereits mit Schreiben vom 1. Februar und vom 7. April 2008 habe die Beigeladene dem Beklagten mitgeteilt, dass von 152 Stunden Nettoarbeitszeit einer VK pro Monat (109.440 Minuten/Jahr) bei einem Personalkostenansatz von 30.388,00 EUR/Jahr auszugehen sei. Für diese Vergütung sei die Beigeladene zur Betreuung in der Lage und bereit. Mit der von dem Beklagten vorgenommenen Berechnung werde denknotwendig der für sie, die Klägerin, attestierte behinderungsbedingte Mehrbedarf in Form einer kalendertäglichen sechsstündigen 1:1-Betreuung (7 Tage x 6 h = 42 h) nicht abgedeckt. Das ergebe sich bereits daraus, dass eine Betreuungsperson nur eine 40-Stunden-Woche und einen gesetzlichen Urlaubsanspruch habe, auch einmal krank werden könne und auch wegen Fortbildung zeitweise nicht anwesend sei. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Berechnungsmethodik nach dem Rahmenvertrag gelten solle. In der mündlichen Verhandlung des Senats am 30. Oktober 2013 hat die Klägerin folgende Unterlagen vorgelegt, wobei es sich bereits bei dem Exemplar, das Grundlage der zur Gerichtsakte genommenen Rechnung gewesen ist, um eine Fotokopie handelt:
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Die Beigeladene hat keinen Antrag stellt und sich nur in Bezug auf ihre Beteiligung an der mündlichen Verhandlung des Senats geäußert.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten Bezug genommen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind. | Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 19. April 2011 geändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin die Hälfte ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Baden-Württemberg | 0 | 1 | 0 | 1
Der Kläger wendet sich gegen die Vollstreckung eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides durch den Beklagten.
2
Mit Bescheid vom 16.04.2007 hob der Beklagte unter anderem die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.02.2005 bis 31.12.2005 in Höhe von 3.916,74 EUR auf (Nr. 1), machte die Erstattung dieses Betrags geltend (Nr. 2), verfügte weiterhin die Aufrechnung der entstandenen Überzahlung mit den ab 01.05.2007 bestehenden Ansprüchen auf Arbeitslosengeld II (Nr. 3) und ordnete die sofortige Vollziehung der verfügten Aufhebung und Erstattung an (Nr. 5). Die Zustellung des Bescheides erfolgte durch Postzustellungsurkunde. In der in den Akten des Beklagten befindlichen Zustellungsurkunde beurkundete die Zustellerin T. die Einlegung des Bescheides in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten für den 19.04.2007.
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Erst am 03.05.2016 erfolgte die behördeninterne Mitteilung an die Kreiskasse des Beklagten als der zuständigen Einzugsstelle über den nach Tilgung von 80,00 EUR noch offenen Betrag in Höhe von insgesamt 3.836,74 EUR zum Zwecke der Sollstellung. Am 25.08.2018 erfolgte eine Mahnung über den noch offenen Betrag zuzüglich Mahngebühren von 5,00 EUR, insgesamt 3.841,74 EUR, unter Nennung des Bescheides vom 16.04.2007. Mit Schreiben vom 21.09.2016 kündigte der Beklagte die Zwangsvollstreckung aufgrund dieser Forderung an. Mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 20.10.2016 unternahm der Beklagte einen Pfändungsversuch bei der B.-Bank. Diese teilte dem Beklagten unter dem 28.10.2016 mit, das einzig vom Kläger bei ihr geführte Girokonto weise kein pfändbares Guthaben auf. Es sei ein Pfändungsschutzkonto im Sinne von § 850k Abs. 7 Zivilprozessordnung (ZPO). Mit einer an den Polizeiposten S. gerichteten Strafanzeige vom 05.11.2016 gegen den Beklagten wegen „Verdachts der versuchten Nötigung, der Vollstreckung gegen Unschuldige, der Falschbeurkundung im Amt sowie Gebührenüberhebung“ legte der Kläger zugleich „Beschwerde“ gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 20.10.2016 ein und führte zur Begründung unter anderem aus, einen Bescheid aus dem Jahre 2007 gebe es nicht.
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Nachdem der Beklagte erstmals im Mai 2017 von einem Beschäftigungsverhältnis des Klägers bei D. (künftig: Arbeitgeber) Kenntnis erlangt hatte, erließ er am 22.05.2017 einen weiteren Pfändungs- und Überweisungsbeschluss über 3.849,08 EUR (laut beigefügter Forderungsaufstellung 3.836,74 EUR Hauptforderung, 5,00 EUR Mahngebühr, zweimal 3,67 EUR Postzustellungsgebühren), mit dem er die gegenwärtigen und künftigen Ansprüche des Klägers gegen seinen Arbeitgeber „insoweit, als die Forderung der Pfändung unterworfen ist“, pfändete. Mit Schreiben vom 12.07.2017, Eingang beim Beklagten am 14.07.2017, teilte der Kläger diesem mit, es würden keinerlei Ansprüche des Beklagten ihm gegenüber bestehen. Die beigefügte weitere, von ihm am 21.06.2017 beim Polizeiposten S. erstattete Strafanzeige leite er als „fristwahrende Beschwerde“ zu. In der Strafanzeige führte der Kläger aus, ein Bescheid vom 16.04.2007 existiere nicht. Weder sei ihm ein solcher Bescheid jemals zugestellt worden, noch bis ins Jahr 2016 jemals hierauf gestützt eine Forderung ihm gegenüber geltend gemacht worden.
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Am 17.07.2017 hat der Kläger beim Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt (AG) „Vollstreckungsabwehrklage“ gegen die „sogenannte Pfändung“ durch den Beklagten erhoben, welche das AG nach vorheriger Anhörung mit Beschluss vom 28.09.2017 an das Sozialgericht Stuttgart (SG) verwiesen hat. Zur Begründung der Klage hat der Kläger sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat geltend gemacht, dem titulierten Anspruch des Beklagten würden keine materiell-rechtlichen Einwendungen entgegenstehen. Der Bescheid vom 16.04.2007 gelte aufgrund der Postzustellungsurkunde, welche die Zustellung dokumentiere, als bekanntgegeben. Ein Widerspruch des Klägers gegen diesen Bescheid sei beim Beklagten nicht eingegangen. Auch sei spätestens bei Erhalt der Mahnung vom 25.08.2016 bzw. der Androhung der Zwangsvollstreckung vom 21.09.2016 eine entsprechende zeitnahe Reaktion des Klägers zu erwarten gewesen, wenn er von der Existenz des maßgeblichen Bescheides tatsächlich keine Kenntnis gehabt haben sollte.
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Mit Gerichtsbescheid vom 11.09.2019 hat das SG nach vorheriger Anhörung die Klage abgewiesen. Die erhobene Vollstreckungsabwehrklage sei zulässig, aber nicht begründet. Ausweislich der Verwaltungsakte des Beklagten sei der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 16.04.2007 dem Kläger formgerecht zugestellt worden und damit wirksam. Der Kläger könne die Bekanntgabe des Bescheides nicht widerlegen. Denn die Zustellung begründe als öffentliche Urkunde im Sinne des § 418 ZPO den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen. Ein möglicher Beweis für deren Unrichtigkeit verlange deshalb den vollen Nachweis eines anderen Geschehensablaufs, welchen der Kläger nicht erbracht habe.
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Gegen den ihm am 14.09.2019 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 25.09.2019 Berufung beim SG eingelegt. Der streitgegenständliche Bescheid, der die Forderungen begründen solle, sei ihm entgegen der unbewiesenen Behauptung des Beklagten nicht zugestellt worden, da er hiergegen zweifelsfrei sofort Rechtsmittel ergriffen hätte. Zu beachten sei, dass er zu dieser Zeit in einem Mehrfamilienhaus in Z. gewohnt habe, dessen Eingangstüre regelmäßig offen gestanden habe. Die direkt neben der Eingangstüre befindlichen Briefkästen seien für jedermann zugänglich gewesen. Hinzu komme, dass durch den Einwurf von umfangreichem Werbematerial die Briefkästen regelmäßig übergequollen seien und die dazwischen gequetschte Briefpost von jedermann habe entnommen werden können. Es sei daher nicht auszuschließen bzw. sogar wahrscheinlich, dass die Postzustellungsurkunde im Briefkasten zurückgelassen, aber durch unbekannte Täter entwendet worden sei. So habe sich sein Wohnhaus in einem durch Kleinkriminalität geprägten Milieu befunden. Hinzu komme, dass er im fraglichen Zeitraum aufgrund der schweren Traumatisierung und Schädigung durch den fortlaufenden Kindesentzug, den Justizbehörden in W. zu verantworten hätten, sich öfter über Tage nicht unter seiner Wohnadresse aufgehalten habe und deshalb auch nicht die Post geleert habe. Denn sein Lebensmittelpunkt habe sich auch zu diesem Zeitraum im Großraum S. befunden. Im Übrigen betrage der ihm zustehende Pfändungsfreibetrag aufgrund dessen, dass er Unterhalt gewähre, 1.622,16 EUR. Sein Arbeitseinkommen liege aber netto regelmäßig unter 1.000 EUR.
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Der Kläger beantragt,
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festzustellen, dass die Zwangsvollstreckung aus dem Bescheid vom 16.04.2007 unzulässig ist,
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hilfsweise,
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festzustellen, dass die Pfändung unzulässig ist, soweit sie sich auch auf den pfändungsfreien Sockelbetrag von monatlich 1.622,16 EUR erstreckt.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Beklagte bezieht sich zur Begründung seines Antrags auf den angefochtenen Gerichtsbescheid, der fehlerfrei sei. Nachdem der Arbeitgeber im November 2018 284,34 EUR, am 15.01.2019 21,00 EUR und am 15.11.2019 weitere 350,99 EUR an den Beklagten überwiesen habe, sei noch ein Betrag in Höhe von 3.192,75 EUR offen. Die Höhe des pfändbaren Betrags richte sich nach dem Nettolohn des Klägers, wobei die Berechnung und die Prüfung der pfändbaren Beträge dem Arbeitgeber als Drittschuldner selbst obliege und der Beklagte keine Einsicht in die Zusammensetzung und die Rechtmäßigkeit der Zahlungen habe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen. | Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 11.09.2019 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. | 0 |
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Hessisches Landesarbeitsgericht 17. Berufungskammer | Hessen | 0 | 1 | 22.05.2023 | 1 | Die Parteien streiten um die Rückzahlung eines Darlehnsbetrages.
Der Kläger ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der A (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin).
Die Insolvenzschuldnerin und der Beklagte schlossen am 17. Oktober 2018 eine „Ausbildungsvereinbarung zum Erwerb der Musterberechtigung als Co-Pilot auf dem Flugzeugmuster Airbus A320 Family“ (im Folgenden: Ausbildungsvereinbarung). Diese hat auszugsweise folgenden Inhalt:
„
§ 1 Gegenstand/Zeitrahmen
(1) Der Co-Pilot wird auf eigene Kosten an dem Lehrgang zum Erwerb der Musterberechtigung (Type Rating) als Co-Pilot auf dem Flugzeugmuster Airbus A320 Family teilnehmen und zwar in der Flugschule B als Ausbildungsbetrieb.
(2) Der Lehrgang wird voraussichtlich in dem Zeitraum vom 07.01.2019 bis zum 30.04.2019 stattfinden.
§ 2 Vergütung
Mit Beginn des Lehrgangs zum Erwerb der Musterberechtigung erhält der Co-Pilot eine Ausbildungsvergütung in Höhe von 1.550,00 € brutto monatlich.
(…)
§ 4 Arbeitsvertrag
Nach erfolgreich abgeschlossenem Type Rating erhält der/die Auszubildende
ein Arbeitsvertragsangebot als Co-Pilot.
(…)“
Wegen der weiteren Einzelheiten dieser Ausbildungsvereinbarung wird auf die Anlage K3 Bezug genommen (Bl. 14 d. A.).
Ebenfalls am 17. Oktober 2018 schlossen die Insolvenzschuldnerin und der Beklagte
einen „Darlehensvertrag zur Finanzierung der Type Rating Kosten für das Flugzeugmuster Airbus A320 Family“ (im Folgenden: Darlehensvertrag). In diesem heißt es auszugsweise wie folgt:
„Im Hinblick auf das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses mit der Gesellschaft vereinbaren die Parteien folgendes Darlehen und zwar zur Finanzierung des/der Type Rating Lehrganges/Prüfung als Co-Pilot auf dem Flugzeugmuster Airbus A320 Family:
§ 1 Darlehen
Die Gesellschaft gewährt dem Darlehensnehmer ein Darlehen in Höhe von 20.950 EUR (…) („Darlehensbetrag“).
§ 2 Fälligkeit der Auszahlung
Die Auszahlung des Darlehensbetrages erfolgt durch die Gesellschaft bei Ausbildungsbeginn direkt an den Darlehensnehmer. Die Auszahlung der ersten Rate in Höhe von 10.475 EUR erfolgt zum Ausbildungsbeginn 07.01.2019 und die Auszahlung der zweiten Rate in Höhe von 10.475 EUR erfolgt zum 21.01.2019.
§ 3 Zins/Lohnsteuer
(1) Das Darlehen ist nicht zu verzinsen.
(…)
§ 4 Tilgung
(1) Das Darlehen ist in monatlichen Raten in Höhe von 225 EUR (...) (Höhe der Einzelraten), mit dem Beginn des Arbeitsverhältnisses zu tilgen und zwar jeweils zum Ende des Monats, der dem Beginn des Arbeitsverhältnisses folgt (Datum der ersten Ratenzahlung).
(2) Nach der ersten Ratenzahlung sind die Tilgungsraten ebenfalls jeweils zum Ende eines jeden Monats fällig.
(3) Die Tilgung des Darlehens erfolgt über einen Zeitraum von 94 Monaten.
(…)
§ 6 Vorzeitige Beendigung des Darlehens/Fälligkeit
(1) Der ausstehende Darlehensrestbetrag wird insgesamt fällig, wenn das bestehende Arbeitsverhältnis, gleich aus welchem Grunde, beendet wird. Dies gilt nicht für die Fälle der betriebsbedingten Kündigung, der durch die Gesellschaft veranlassten Eigenkündigung, der einvernehmlichen Aufhebung des Arbeitsverhältnisses oder der gerichtlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses.
(2) Ferner wird der Darlehensbetrag insgesamt fällig, wenn der Darlehensnehmer nach der erfolgreichen Absolvierung des Type Rating Lehrganges als Co-Pilot den Arbeitsvertrag vor Arbeitsaufnahme kündigt und/oder seine arbeitsvertragliche Tätigkeit als Co-Pilot nicht aufnimmt. Voraussetzung für die Rückzahlung/Fälligkeit des Darlehensbetrages ist, dass die Kündigung vor Arbeitsaufnahme und/oder die Nichtaufnahme der Arbeit nicht durch die Gesellschaft veranlasst wurde.
(3) Ferner wird der Darlehensbetrag insgesamt fällig, wenn der Mitarbeiter das Ausbildungsziel schuldhaft nicht erreicht (etwa aufgrund endgültig nicht bestandener Prüfungen).
(4) Entschließt sich der Darlehensnehmer die Ausbildung aus von ihm zu vertretenden Gründen abzubrechen, ist er der Gesellschaft zur Rückzahlung des Darlehensbetrages in Höhe der bis dahin entstandenen Ausbildungskosten verpflichtet.
(…)“
Wegen der weiteren Einzelheiten des Darlehensvertrages wird auf die Anlage K2 Bezug genommen (Bl. 13 d. A.).
Die Insolvenzschuldnerin zahlte die erste Darlehensrate in Höhe von 10.475,00 Euro an den Beklagten aus.
Mit Beschluss vom 5. Februar 2019 ordnete das Amtsgericht Charlottenburg das vorläufige Insolvenzverfahren und mit Beschluss vom 1. April 2019 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin an. Der Kläger wurde zum Insolvenzverwalter bestellt.
Die Insolvenzschuldnerin kündigte das „Arbeitsvertragsverhältnis“ mit dem Beklagten mit Schreiben vom 25. März 2019 zum 10. April 2019 (Anlage B 1, Bl. 52 f. d.A.).
Die Insolvenzschuldnerin bzw. der Kläger zahlte die zweite Darlehensrate iHv. 10.475,- Euro nicht an den Beklagten aus. Vor dem Hintergrund hatte der Beklagte die Wahl, die Ausbildung abzubrechen oder die Ausbildung auf eigene Kosten zu Ende zu bringen. Der Beklagte zahlte die zweite Rate selbst und absolvierte den Lehrgang zum Erwerb der Musterberechtigung als Co-Pilot auf dem Flugzeugmuster Airbus A320 Family erfolgreich. Die Insolvenzschuldnerin bzw. der Kläger unterbreiteten dem Beklagten insolvenzbedingt kein Angebot auf Abschluss eines Arbeitsvertrages, so dass ein solcher nicht zustande kam.
Der Beklagte leistete weder Tilgungsraten iHv. 225 Euro monatlich auf das Teildarlehen noch zahlte er dieses insgesamt an die Insolvenzschuldnerin bzw. den Kläger zurück. Mit Schreiben vom 7. Januar 2021 forderte der Kläger den Beklagten erfolglos zur Zahlung in Höhe von 4.275,00 Euro und zur Aufnahme der Tilgung auf (Anlage K5, Bl. 19 f. d.A.). Mit Schreiben vom 2. März 2021 kündigte der Kläger das Darlehen und verlangte von dem Beklagten die Rückzahlung des gesamten Darlehens in Höhe von 10.475,00 Euro (Anlage K6, Bl. 22 d.A.).
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, es bestehe ein Anspruch auf Rückzahlung des gesamten Darlehnsbetrages. Da das Darlehen dem Beklagten unentgeltlich überlassen worden sei, sei § 605 Nr. 1 BGB entsprechend anzuwenden. Eine Kündigung sei auch nach § 498 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a BGB möglich, da der Beklagte mit mindestens zwei aufeinander folgenden Teilzahlungen in Verzug gewesen sei.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 10.475,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, ein Rückzahlungsanspruch bestehe nicht. Ein solcher folge weder aus dem Darlehensvertrag, da bereits kein Arbeitsverhältnis begründet worden sei noch - mangels planwidriger Regelungslücke - aus einer analogen Anwendung des § 605 Nr. 1 BGB.
Wegen des weiteren Vortrags der Parteien im ersten Rechtszug wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat die Klage durch am 25. Februar 2022 verkündetes Urteil (- 7 Ca 6313/21 -) abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, ein Anspruch auf Rückzahlung des gesamten Darlehensteilbetrages bestehe nicht nach § 6 Abs. 1 des Darlehensvertrages. Ein Arbeitsverhältnis sei nicht begründet worden. Selbst wenn man das zwischen den Parteien begründete Ausbildungsverhältnis als Arbeitsverhältnis iSd. Norm verstehen würde, lägen die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Darlehensvertrag nicht vor, da das Ausbildungsverhältnis zwischen der Insolvenzschuldnerin und dem Beklagten durch eine betriebsbedingte Kündigung beendet worden sei.
Eine Fälligkeit des gesamten noch offenen Darlehensbetrages in Höhe von 10.475,00 Euro ergebe sich mangels Arbeitsvertrag auch nicht aus § 6 Abs. 2 Darlehensvertrag. Zudem nehme die Regelung eine Kündigung, die durch die Gesellschaft veranlasst wurde, ausdrücklich von der Möglichkeit der Fälligstellung aus.
Ein Zahlungsanspruch ergebe sich ferner nicht aus der Möglichkeit der vorzeitigen Fälligstellung nach § 6 Abs. 3 oder § 6 Abs. 4 Darlehensvertrag.
Der Kläger habe auch kein gesetzliches Kündigungsrecht gemäß § 490 Abs. 1 BGB. Die Voraussetzung - der Eintritt einer wesentlichen Verschlechterung in den Vermögensverhältnissen des Darlehensnehmers - lägen bei dem Beklagten nicht vor.
Das Kündigungsrecht bestehe auch nicht nach § 605 Nr. 1 BGB analog. Die für eine Analogie erforderliche planwidrige Regelungslücke liege nicht vor. Auch ein zinsloses Darlehen stelle ein Darlehen im Sinne der §§ 488 ff. BGB dar. Würde man auf zinslose Darlehen die Regelungen der Leihe wie § 605 Nr. 1 BGB anwenden, stünde dies im klaren Widerspruch zu den gesetzlichen Regelungen zum Darlehen.
Gegen dieses ihm am 31. März 2022 zugestellte Urteil hat der Kläger am 26. April 2022 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auf rechtzeitigen Antrag hin bis zum 30. Juni 2022 am 30. Juni 2022 begründet.
Der Kläger hält die angefochtene Entscheidung für unrichtig. Er wiederholt und vertieft sein Vorbringen und vertritt die Auffassung, das Arbeitsgericht Frankfurt am Main verkenne das aus dem Rechtsgedanken des § 605 Nr. 1 BGB abgeleitete Recht zur außerordentlichen Kündigung bei einem unverzinslichen Gefälligkeitsdarlehen für den Fall, dass der Darlehensgeber des „verliehenen“ Geldes bedürfe. Die Gesetzessystematik stehe der Anwendung von § 605 Nr. 1 BGB nicht entgegen. Aus dieser ergebe sich nicht, dass die Vorschriften zum Gelddarlehen in jeder Hinsicht abschließend seien. Das Darlehen zeige vorliegend auch die Merkmale eines Gefälligkeitsdarlehens. Dies ergebe sich unmittelbar aus den von der Insolvenzschuldnerin zugunsten des Beklagten gewährten Sonderkonditionen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass das Darlehen zinslos, ohne vorhergehende Bonitätsprüfung und ausreichende Sicherheiten, an den Beklagten ausgegeben worden sei. Im Darlehen sei zudem eine besonders niedrige Annuität vereinbart worden, die den Beklagten wirtschaftlich nur wenig belaste und unterhalb marktüblicher Bedingungen liege. Die Rückzahlung sei zudem zunächst gestundet und auf den Beginn des Arbeitsverhältnisses als Co-Pilot vereinbart worden. Der Gefälligkeitscharakter ergebe sich außerdem aus der gleichzeitig mit Eingehung des Darlehens abgeschlossenen Ausbildungsvereinbarung und der darin geregelten Ausbildungsvergütung für die Dauer des Type Ratings in Höhe von monatlich 1.550,00 Euro, die nicht von der Rückzahlungsverpflichtung umfasst sei. Er habe das Darlehen in entsprechenden Anwendung von § 605 Nr. 1 BGB gesamtfällig stellen dürfen.
Hilfsweise ergebe sich die Gesamtfälligkeit des Darlehens aus dem Zahlungsverzug des Beklagten und der daraufhin erklärten Kündigung des Darlehens durch ihn. Der Beklagte habe sich mit mindestens zwei aufeinander folgenden Teilzahlungen im Verzug befunden und der Betrag übersteige fünf Prozent des Nennbetrags des Darlehens
(§ 498 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB)
.
Im Übrigen sei die Geschäftsgrundlage als gestört anzusehen, weil der Flugbetrieb der Insolvenzschuldnerin nicht weiterbetrieben worden sei. Vor dem Hintergrund sei es nicht zum Abschluss eines Arbeitsvertrages gekommen.
Wegen des weiteren Vortrags des Klägers im Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung vom 30. Juni 2022.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 25. Februar 2022, Aktenzeichen 7 Ca 6313/21, abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an ihn 10.475,- Euro zu zahlen, nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte ist der Ansicht, das Arbeitsgericht Frankfurt am Main habe zutreffend ein Kündigungsrecht des Darlehensvertrags durch den Kläger gem. § 605 Nr. 1 BGB analog verneint. Für die Annahme einer Analogie mangele es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Die analoge Anwendung von § 605 Nr. 1 BGB würde die vom Gesetzgeber zum Darlehensrecht getroffenen und im vorliegenden Fall anwendbaren Normen umgehen und zu diesen in einem Wertungswiderspruch stehen. Das zinslose Darlehen unterliege vollständig und ausschließlich dem Darlehensrecht und insoweit den Vorschriften der §§ 488 ff. BGB. Der Gesetzgeber habe die Störungen eines Darlehensvertrags und die sich hieraus ergebenden rechtlichen Konsequenzen abschließend in den Vorschriften des Darlehensrechts geregelt. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund von § 490 Abs. 3 BGB und dem hierin enthaltenen Verweis auf §§ 313, 314 BGB.
Wegen des weiteren Vortrags des Beklagten im Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die Berufungserwiderung vom 8. September 2022.
Wegen des weiteren Sachvortrages der Parteien, ihrer Beweisantritte und der von ihnen überreichten Unterlagen sowie ihrer Rechtsausführungen im Übrigen wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen. | Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 25. Februar 2022 – 7 Ca 6313/21 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Baden-Württemberg | 1 | 1 | 0 | 1
Die Parteien streiten über die Einstandspflicht der Beklagten aus einem Teilkaskoversicherungsvertrag nach einem Zusammenstoß mit einem Wildschwein.
2
Der Kläger befuhr mit seinem Pkw Ford Focus mit dem amtlichen Kennzeichen ...-... ... am 21.05.2005 die Autobahn A3 im Bereich der Gemarkung Elz in Richtung Köln. Gegen 02:30 Uhr bei Kilometer 103 lag auf der Fahrbahn ein Wildschwein, das sich nicht mehr bewegte. Auf Grund des Fahrverhaltens des Klägers - streitig ist, ob es zu einer Kollision kam - löste der seitliche Fahrerairbag aus, der wie das Airbagmodul erneuert werden musste, wofür 970,35 EUR anfielen.
3
Der Kläger behauptet, er habe eine Kollision mit dem Wildschwein nicht verhindern können, ebenso wenig wie die Fahrzeuge hinter ihm. Auf Grund der Kollision mit dem Wildschwein habe der Airbag ausgelöst.
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Der Vorfall sei von § 12 AKB erfasst, so dass die Beklagte einstandspflichtig sei. Denn nach dessen Wortlaut komme es nicht darauf an, dass sich das Tier noch bewege oder noch lebendig sein müsse.
5
Die Beklagte bestreitet, dass es zu einer Kollision mit dem Wildschwein kam. Da sich das Wildschwein nicht bewegt und schon länger dort gelegen habe, sei es wie jedes andere Hindernis zu bewerten, die spezifische Tiergefahr habe sich nicht verwirklicht und eine Einstandspflicht der Beklagten gemäß § 12 AKB scheide aus.
6
Das Amtsgericht hat den klägerischen Anspruch bejaht. Nach Zeugenvernehmung sowie Einholung eines Sachverständigengutachtens hat es festgestellt, dass der Airbag durch das Überfahren des am Boden liegenden Wildschweins ausgelöst wurde. Der Wortlaut des § 12 Abs. 1 I d AKB setze nicht voraus, dass das Tier sich bewegen müsse. Es könne keinen Unterschied machen, ob das Tier auf Grund Erschreckens oder vorausgegangener Tötung bewegungslos sei, in beiden Fällen verwirkliche sich die Tiergefahr.
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Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten mit dem Antrag,
8
das Urteil des Amtsgerichts abzuändern und die Klage zurückzuweisen, sowie die Revision zuzulassen.
9
Der Kläger beantragt,
10
die Berufung zurückzuweisen.
11
Er verteidigt die angefochtene Entscheidung. | 1.) Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt vom 13.07.2006 - 8 C 651/06 - wird
zurückgewiesen.
2.) Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.
3.) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4.) Die Revision wird zugelassen.
Berufungsstreitwert: 970,35 EUR | 0 |
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VG Greifswald 6. Kammer | Mecklenburg-Vorpommern | 0 | 1 | 19.07.2018 | 1 | Randnummer
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Die Klägerin begehrt die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe.
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Die am 12. April 1985 geborene Klägerin, eine Lehrerin mit zweitem Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien, ist derzeit an der Grundschule „Thomas Müntzer“ in Lüdershagen unbefristet und in Vollzeit tätig. Im Rahmen dieser Anstellung war sie auch als Mentorin eines Grundschulreferendars ausbildend tätig. Im Zeitraum September 2017 bis Juli 2019 nimmt sie an dem Fortbildungskurs „Auf dem Weg zur inklusiven Grundschule“ mit einem Kursumfang von 120 Stunden teil.
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Am 29. August 2016 stellte die Klägerin bei dem Beklagten einen Antrag auf Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe, den dieser mit Bescheid vom 29. September 2016 ablehnte. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass die Klägerin eine Lehrbefähigung für die Grundschule im Sinne der Bildungsdienst-Laufbahnverordnung Mecklenburg-Vorpommern (BildDLaufbVO M-V) nicht besitze. Dies gelte ungeachtet dessen, dass sie über ein zweites Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien verfüge.
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Gegen diesen ablehnenden Bescheid erhob die Klägerin am 19. Oktober 2016 Widerspruch. Zur Begründung führte sie aus, dass die Ausbildungsinhalte für das Lehramt für Gymnasien und das Lehramt für Grundschulen im Bereich der Fachdidaktik und der Pädagogik, überwiegend auch in der Psychologie, Übereinstimmungen aufweisen würden. Es gebe Kurse und Vorlesungen, die im Studium und Referendariat von angehenden Lehrern von Gymnasien und Grundschulen gleichermaßen besucht würden.
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Diesen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. November 2016 zurück. Zur Begründung verwies der Beklagte auf den Ausgangsbescheid sowie ergänzend auf die Höchstaltersgrenze von 40 Jahren für die Verbeamtung.
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Am 15. Dezember 2016 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, der Umstand, dass den an Grundschulen tätigen Lehrern, die eine Lehrbefähigung für das Lehramt an Gymnasien besitzen, im Gegensatz zu Seiten- und Quereinsteigern, nach der gegenwärtigen Ausgestaltung des
§ 5 BildDLaufbVO M-V
die Möglichkeit zur Verbeamtung nicht offen steht, stelle einen unverhältnismäßigen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) dar. Zudem sei die Regelung mit dem Grundsatz der Bestenauslese aus Art. 33 Abs. 2 GG unvereinbar. Selbst eine Gleichstellung mit Seiten- und Quereinsteigern im Sinne des
§ 5 Nr. 5 BildDLaufbVO M-V
würde einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG darstellen. Jene Gleichstellung verkenne, dass Absolventen und Absolventinnen mit Lehramtsabschluss für Gymnasien über wesentliche Kenntnisse und Fähigkeiten für die Tätigkeit als Grundschullehrer verfügten, die Absolventen eines Studiums anderer Hochschulstudiengänge nicht aufwiesen. Für diese Wertung spreche auch der
§ 9 Abs. 4 Lehrerbildungsgesetz
Mecklenburg-Vorpommern (LehbildG M-V), der Referendaren und Referendarinnen für Gymnasien die Erlangung einer Unterrichtserlaubnis für die Tätigkeit an Grundschulen durch eine Qualifizierung im zusätzlichen Umfang von nur sechs Monaten ermögliche. Rechtmäßig könne demnach nur eine Regelung sein, die eine Verbeamtung von an Grundschulen tätigen Lehrern mit einer Laufbahnbefähigung gemäß
§ 6 BildDLaufbVO M-V
grundsätzlich vorsehe und im Einzelfall diese in Verbindung mit berufsbegleitenden Qualifizierungsmaßnahmen ermögliche.
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7
Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 29. September 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2016 zu verpflichten, die Klägerin in das Beamtenverhältnis auf Probe zu übernehmen,
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hilfsweise,
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den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheids vom 29. September 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2016 zu verpflichten, über die Übernahme der Klägerin in das Beamtenverhältnis auf Probe unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung nimmt der Beklagte auf die Begründung des Bescheides vom 29. September 2016 Bezug und führt in diesem Sinne nochmals aus, dass die Klägerin ungeachtet ihres zweiten Staatsexamens für Gymnasien keine Lehrbefähigung für Grundschulen besitze, weswegen eine Verbeamtung nach § 7 Abs. 1 Ziff. 3 des Beamtenstatusgesetzes (BeamtStG) nicht möglich sei.
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Mit Schreiben vom 5. September 2017 teilte die Klägerin, mit Schreiben vom 26. September 2017 ebenso der Beklagte, das Einverständnis mit einer Entscheidung des Verfahrens ohne mündliche Verhandlung mit.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird im Übrigen auf den gesamten Inhalt der Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. | 0 |
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz 5. Kammer | Rheinland-Pfalz | 0 | 1 | 14.01.2021 | 0 | Randnummer
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Die Parteien streiten zweitinstanzlich noch über die Abgeltung des Zusatzurlaubs für schwerbehinderte Menschen.
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Der 1956 geborene Kläger war vom 22. August 2016 bis zum 15. Februar 2019 bei der Beklagten als Sicherheitskraft beschäftigt. Die vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit betrug 46 Stunden, der Stundenlohn belief sich zuletzt auf € 10,08 brutto. Die Bundesagentur für Arbeit gewährte der Beklagten auf ihren Antrag einen Eingliederungszuschuss nach §§ 88 ff SGB III. Dem Kläger stand der gesetzliche Mindesturlaub zu. Er kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 3. Januar zum 15. Februar 2019 selbst.
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Der Kläger ist seit Oktober 2014 als schwerbehinderter Mensch mit einem GdB von 50 anerkannt. Es ist streitig, ob der Beklagten bereits im August 2016 die Schwerbehinderung des Klägers bekannt war, weil sie einen Eingliederungszuschuss für schwerbehinderte Menschen beantragt hat.
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Nach Ausspruch der Kündigung verlangte der Kläger mit Schreiben vom 23. Januar 2019 vergeblich die teilweise Gewährung und Abgeltung von zwölf Tagen Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen (für 2016 anteilig zwei Tage, für 2017 und 2018 jeweils fünf Tage) sowie von elf Tagen Erholungsurlaub. Soweit zweitinstanzlich noch von Interesse machte er in erster Instanz mit dem Klageantrag zu 2) Urlaubsabgeltung für insgesamt 23 Tage iHv. € 2.492,28 brutto geltend. Die Beklagte zahlte ihm nach Klageerhebung Urlaubsabgeltung iHv. € 649,89 brutto.
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Das Arbeitsgericht Trier hat die Beklagte mit Urteil vom 15. Mai 2019 (Ziff. 2 des Tenors) verurteilt, an den Kläger € 1.113,65 brutto Urlaubsabgeltung für zwölf Tage Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen und sieben Tage Mindesturlaub (19 Tage x € 92,66 brutto = € 1.760,54 abzgl. gezahlter € 649,89) zu zahlen. Zur Begründung hat das Arbeitsgerichts im Wesentlichen ausgeführt, der Zusatzurlaub für die Jahre 2016 bis 2018 sei - wie der gesetzliche Mindesturlaub - am Ende des jeweiligen Kalenderjahrs nicht verfallen, weil die Beklagte den Kläger nicht über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt habe (vgl. BAG 19.02.2019 - 9 AZR 541/15). Es könne dahinstehen, ob der Beklagten die Schwerbehinderung des Klägers bekannt gewesen sei. Die durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union statuierte Hinweispflicht (vgl. EuGH 06.11.2018 - C-684/16) betreffe auch die Zusatzurlaubstage nach § 208 SGB IX nF bzw. § 125 SGB IX aF. Dem Arbeitgeber sei auch bei Unkenntnis von der Schwerbehinderung zumutbar, dem Arbeitnehmer mitzuteilen, dass ihm im Falle einer Schwerbehinderung fünf zusätzliche Urlaubstage zustehen und diese ebenfalls genommen werden müssen, um deren Verfall zu verhindern. Dadurch würde der Arbeitgeber sowohl seiner Hinweispflicht gerecht als auch dem Recht des Arbeitnehmers, seine Schwerbehinderung nicht zu offenbaren.
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Gegen das am 8. Juli 2019 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem am 19. Juli 2019 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 3. September 2019 eingegangenen Schriftsatz begründet.
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Sie trägt vor, sie habe erst im Januar 2019 von der Schwerbehinderung des Klägers Kenntnis erlangt. Den Eingliederungszuschuss habe sie im August 2016 beantragt, weil der Kläger längere Zeit arbeitslos gewesen sei. Der Kläger könne nicht, obwohl er ihr seine Schwerbehinderung verschwiegen habe, noch nach mehreren Jahren Zusatzurlaub beanspruchen. Eine generelle Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer auf einen Zusatzurlaub hinzuweisen und zur Urlaubsnahme aufzufordern, obwohl ihm die Schwerbehinderung nicht bekannt sei, bestehe nicht. Die vom Arbeitsgericht angenommene Hinweispflicht gegenüber allen Arbeitnehmern, dass ihnen im Fall einer theoretisch vorhandenen Schwerbehinderung zusätzlicher Urlaub zustehe, der bis zum Jahresende genommen werden müsse, schieße über das Ziel hinaus.
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Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 15. Mai 2019, Az. 4 Ca 160/19, teilweise abzuändern und den Klageantrag zu 2) auf Zahlung von € 1.113,65 brutto Urlaubsabgeltung abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er trägt vor, die Beklagte habe bereits bei seiner Einstellung im August 2016 von seiner Schwerbehinderung gewusst, weil ihr von der Bundesagentur für Arbeit ein Eingliederungszuschuss für schwerbehinderte Menschen bewilligt worden sei. Letztlich sei die Kenntnis der Beklagten gleichgültig. Da der Zusatzurlaubsanspruch das Schicksal des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs teile, könne bei fehlender Mitwirkung des Arbeitgebers auch der Zusatzurlaub nicht verfallen, selbst wenn - wie hier - der Arbeitgeber behaupte, angeblich nichts von der Schwerbehinderung gewusst zu haben.
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Die Berufungskammer hat Beweis erhoben über die Behauptung des Klägers, der Geschäftsführer der Beklagten habe vor seiner Einstellung im August 2016 bei der Agentur für Arbeit einen Eingliederungszuschuss für schwerbehinderte Menschen beantragt; der Geschäftsführer selbst habe telefonischen Kontakt mit dem zuständigen Sachbearbeiter Reha/Schwerbehinderung des Arbeitgeberservice X. sowie der Reha-SB-Vermittlerin P. aufgenommen durch Einholung von schriftlichen Zeugenaussagen der vom Kläger als Zeugen benannten Sachbearbeiter. | 1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 15. Mai 2019, Az. 4 Ca 160/19, teilweise abgeändert und der Klageantrag zu 2) auf Zahlung von € 1.113,65 brutto nebst Zinsen abgewiesen.
2. Die Kosten erster Instanz werden gegeneinander aufgehoben. Die Kosten zweiter Instanz hat der Kläger zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen. | 0 |
Landessozialgericht Hamburg 1. Senat | Hamburg | 0 | 1 | 23.02.2023 | 0 | Randnummer
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Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Rechtsstreit beim Sozialgericht Hamburg mit dem Aktenzeichen S 21 KR 3106/19 durch den am 3. Februar 2020 geschlossenen Vergleich beendet worden ist.
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Streitig war im Ausgangsverfahren zwischen den Beteiligten der Abhilfebescheid vom 30. April 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Juni 2019 in Bezug auf die Erstattung von zu viel geleisteten Zahlungen über der Belastungsgrenze gemäß §§ 61, 62 SGB V.
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Der Kläger machte seine Ansprüche auf Erstattung als Erbe und Rechtsnachfolger seines Vaters geltend, welcher bei der Beklagten krankenversichert war. Die Beklagte erließ am 14. November 2018 in Verbindung mit den Bescheiden vom 26. Februar 2018, 1. Juni 2018, 22. August 2018 und vom 28. September 2018 einen Abhilfebescheid über die Erstattungen von Zuzahlungen wegen Überschreitung der Belastungsgrenze.
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Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein.
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Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers durch Widerspruchsbescheid vom 6. Juni 2019 mit der Begründung zurück, dass kein Anspruch auf eine über die bereits geleisteten Beiträge hinausgehende Erstattung bestehe. Die Berechnung der Erstattungsbeiträge für die Jahre 2015, 2016 und 2017 sei nunmehr korrekt.
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Hiergegen hat der Kläger am 26. Juli zunächst am Sozialgericht Gelsenkirchen, welches die Streitigkeit zuständigkeitshalber an das Sozialgericht Hamburg verwiesen hat, 2019 Klage erhoben.
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In dem Verfahren hat am 19. April 2021 vor dem Sozialgericht Hamburg ein Erörterungstermin stattgefunden. Die Beteiligten haben in dieser Verhandlung einen gerichtlichen Vergleich mit folgendem Inhalt beschlossen:
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1. Die Beklagte verpflichtet sich unter Abänderung des Widerspruchbescheids vom 6. Juni 2019 dem Kläger eine weitere Zuzahlung insgesamt in Höhe von 29,32 € für den Zeitraum 22.09.2015 bis 6.10.2015 Behandlung medizinische Fußpflege G. zu zahlen.
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2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
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3. Die Parteien erklären das Verfahren übereinstimmend für erledigt.
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Der Vergleich ist von dem Vorsitzenden laut diktiert, den Beteiligten vorgespielt und sodann von ihnen genehmigt worden.
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Mit Schlussverfügung vom 28. April 2021 sind die Beteiligten darüber informiert worden, dass das Verfahren durch den Vergleich aus dem Erörterungstermin vom 19. April 2021 wirksam erledigt sei.
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Mit Schreiben vom 8. Mai 2021 hat der Kläger gegenüber dem Gericht moniert, der Vorsitzende habe das konkrete Klagebegehren nicht behandelt und ihn zum Abschluss des Vergleichs „gezwungen“. Mit Schreiben vom 7. Juni 2021 hat das Gericht den Kläger um Klarstellung gebeten, ob mit seinem Schreiben vom 28. April 2021 der Vergleich angefochten werden solle.
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Mit Schreiben vom 29. März 2022 hat der Kläger bestätigt, den Vergleich vom 19. April 2021 anzufechten zu wollen.
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Daraufhin hat das Sozialgericht nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid vom 19. Mai 2022 festgestellt, dass der Rechtstreit unter dem Aktenzeichen S 21 KR 3106/19 mit zu Protokoll des Gerichts am 19. April 2021 geschlossenem gerichtlichen Vergleich beendet sei.
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Gegen den Gerichtsbescheid hat der Kläger mit Schreiben vom 5. Juni 2022 und 12. Juni 2022 sowohl Nichtzulassungsbeschwerde als auch einen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt. Zentrales Anliegen des Klägers ist dabei gewesen, dass seine „ursprüngliche Klage“ nicht behandelt worden sei.
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Nachdem das Sozialgericht daraufhin für den 5. Oktober 2022 eine mündliche Verhandlung angesetzt hatte, hat der Kläger mit Schreiben vom 24. August 2022 mitgeteilt, dass er eine mündliche Verhandlung nicht beantragt habe und eine solche mit Richter Nühlen auch nicht durchführen wolle. Vielmehr wolle er ein schriftliches Verfahren.
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Daher hat das Sozialgericht nochmals durch Gerichtsbescheid vom 5. September 2022 die schon im vorangegangenen Gerichtsbescheid ausgesprochene Feststellung getroffen. Zur Begründung hat das Sozialgericht angeführt, dass im Falle eines Streites darüber, ob ein Rechtsstreit wirksam durch Rücknahme, Vergleich etc. beendet worden sei, vorrangig zu prüfen sei, ob die Beendigung tatsächlich eingetreten sei. In dem Fall sei dies entsprechend festzustellen. Andernfalls werde der Rechtsstreit in der Sache fortgeführt. Der vorliegende Rechtsstreit sei durch den am 19. April 2021 geschlossenen Vergleich beendet worden. Der Vergleich sei auch nicht durch wirksame Anfechtung materiell-rechtlich nichtig geworden. Die Beteiligten hätten im Erörterungstermin am 19. April 2021 einen wirksamen Prozessvergleich geschlossen. Vor dem mit der Sache befassten Gericht hätten der Kläger und die Beklagte im Vergleich sich deckende Erklärungen abgegeben und eine zwischen den Beteiligten bestehende Ungewissheit durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt (vgl. § 54 SGB X und § 779 BGB). Die Erklärungen der Beteiligten seien entsprechend § 101 Abs. 1 SGG in die Sitzungsniederschrift aufgenommen sowie vorgespielt und genehmigt worden (§ 122 SGG i.V.m. § 162 Abs. 1, § 160 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Dies sei in der Sitzungsniederschrift vermerkt worden (§ 162 Abs. 1 S. 3 ZPO), die unterschrieben worden sei (§ 163 ZPO). Es bestünden auch keine Zweifel an der materiell-rechtlichen Wirksamkeit des Vergleichs. Eine nach § 119 Abs. 1 BGB wirksame Anfechtung durch den Kläger sei nicht erfolgt. Danach könne derjenige, der bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum gewesen sei (Inhaltsirrtum) oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht habe abgeben wollen (Erklärungsirrtum), diese anfechten. Diese Voraussetzungen lägen offensichtlich nicht vor. Der Kläger habe sich weder über den Inhalt des Vergleichs zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses geirrt, noch habe er einem Erklärungsirrtum in Form eines Versprechens oder Verschreibens unterlegen. Ein Irrtum über die (gesetzlichen) Rechtsfolgen der Vereinbarung berechtige indes als unbeachtlicher Motivirrtum nicht zur Anfechtung.
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Mit dem Begleitschreiben zur Zustellung des Gerichtsbescheides hat das Sozialgericht den Kläger darauf hingewiesen, dass sein Schreiben vom 12. Juni 2022 als Antrag sowohl als Nichtzulassungsbeschwerde sowie auf mündliche Verhandlung verstanden worden sei. Gemäß § 105 Abs. 2 S. 3 SGG finde eine mündliche Verhandlung statt, wenn sowohl ein Rechtsmittel eingelegt als auch mündliche Verhandlung beantragt worden sei; der Gerichtsbescheid gelte als nicht ergangen. Sein Schreiben vom 24. August 2022 sei als Rücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung verstanden worden, sodass der Termin zur mündlichen Verhandlung entsprechend seinem Wunsch im Schreiben vom 24. August 2022 aufgehoben worden sei. Es werde allerdings darauf hingewiesen, dass ein Wiederaufleben des Gerichtsbescheids als Rechtsfolge nicht möglich sei, sodass eine erneute Entscheidung im hiesigen Verfahren habe ergehen müssen. Eine erneute Anhörung zur Entscheidung per Gerichtsbescheid gemäß § 105 Abs. 1 S. 2 SGG sei nicht erforderlich, diese sei in der Regel nur einmal erforderlich, denn eine wesentliche Änderung der Prozesssituation liege nicht vor. Daher habe das Gericht den Gerichtsbescheid nunmehr erneut erlassen, was nach Rücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung möglich sei. Das Gericht weise auf die Rechtsmittelbelehrung des erneuten Gerichtsbescheids hin, insbesondere auf die nunmehr bestehende Möglichkeit, alleine und ausschließlich die Nichtzulassung der Berufung anzufechten mit der Rechtsfolge, dass nach der schriftlichen Einreichung der Nichtzulassungsbeschwerde sodann das Landessozialgericht Hamburg über den Antrag zu entscheiden habe.
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Die daraufhin vom Kläger eingereichte Nichtzulassungsbeschwerde ist vom erkennenden Senat unter dem Aktenzeichen L 1 KR 83/22 NZB D geführt worden und hat mit der Zulassung der Berufung geendet (Beschluss vom 2. November 2022).
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Zur Begründung der Berufung hat der Kläger im Wesentlichen vorgetragen, dass er wolle, dass über seine „ursprüngliche Klage“ entschieden werde.
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Der Kläger beantragt,
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unter Aufhebung des Gerichtsbescheids vom 05.09.2022 aus dem Schriftsatz vom 30.11.2019 festzustellen:
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1. Die K. hat sich trotz meines Antrags in 2015 nicht um die Ausstellung der Befreiungsausweise gekümmert.
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2. die Geschäftsstelle der K. hat sich nicht um die Zusammenstellung der Zuzahlungsbelege gekümmert, sondern von mir die Beschaffung der Belege gefordert.
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3. Alle ausnahmslos erstatteten Zuzahlungen erfolgten immer erst kleckerweise nach meinen Eingaben und Belegen.
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4. Ich kann nicht sicher sein, dass die K. alle relevanten Zuzahlungen vollständig erstattet hat.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, sowie das Sitzungsprotokoll der mündlichen Verhandlung vom 23. Februar 2023 Bezug genommen. | Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt unter Abänderung der Kostenentscheidung des Sozialgerichts die weiteren Kosten des Klagverfahrens und des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
VG Berlin 5. Kammer | Berlin | 0 | 1 | 23.07.2012 | 1 | Randnummer
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Die Klägerin begehrt die Gewährung eines Unterhaltsbeitrags.
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Die 1956 geborene Klägerin heiratete im August 2003 ihren 1937 geborenen Ehemann, der als Beamter des Landes Berlin wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen mit Ablauf des Monats Juli 2000 in den Ruhestand versetzt worden war. Ihr Ehemann war zuvor bereits einmal verheiratet gewesen, mit dem damaligen Scheidungsurteil wurden zu Lasten seiner beamtenrechtlichen Versorgungsbezüge Rentenanwartschaften seiner geschiedenen Ehefrau begründet. Dementsprechend setzte das Landesverwaltungsamt mit Bescheid vom November 2002 fest, dass die Versorgungsbezüge des Ehemannes der Klägerin um 43,52% zu kürzen seien, und änderte später die Festsetzung geringfügig auf 42,95%.
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Bei dem Ehemann der Klägerin wurde im Jahr 2007 fortgeschrittener Prostatakrebs festgestellt, im August 2009 kam es zu einer wesentlichen Verschlechterung seines Zustandes, so dass er die Pflegestufe I erhielt. Die Klägerin pflegte und begleitete ihren Ehemann in dieser letzten Lebensphase und erkrankte nach eigenen Angaben infolge der stetigen Verschlechterung des Gesundheitszustandes ihres Ehemannes und des zunehmenden Pflegeaufwands selbst. Seit März 2009 war sie schließlich wegen mehrerer psychischer Erkrankungen nicht mehr arbeitsfähig und erhält seit Juni 2010 (rückwirkend zum März 2010) eine Rente wegen voller Erwerbsminderung der Deutschen Rentenversicherung in Höhe von 918,70 Euro. Zudem erhält sie einen monatlichen Betrag von 443,30 Euro aus einer betrieblichen Altersversorgung, die zugehörigen Versicherungsbeiträge trug ihr Arbeitgeber zu 2/3, sie selbst zu 1/3.
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Der Ehemann der Klägerin verstarb im Dezember 2010.
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Mit Bescheid vom 31. März 2011 setzte das Landesverwaltungsamt in Berlin die Versorgungsbezüge der Klägerin fest und kam nach Berücksichtigung des Versorgungsausgleiches für die geschiedene Ehefrau ihres Ehemannes und einer Hinterbliebenenrente sowie nach teilweiser Anrechnung der eigenen Versorgungsleistung der Klägerin zu dem Ergebnis, dass kein auszahlbarer Betrag verbleibt. Auch der durch ihren Verfahrensbevollmächtigten eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg und wurde mit Widerspruchsbescheid vom 8. August 2011 durch das Landesverwaltungsamt zurückgewiesen.
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Mit ihrer am 22. August 2011 beim Verwaltungsgericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Nach Klärung einiger im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren entstandener Missverständnisse wendet sich die Klägerin vorrangig dagegen, dass ihre individuellen Lebensumstände bei der angemessenen Anrechnung ihrer eigenen Renteneinkünfte auf die Versorgungsbezüge nicht berücksichtigt wurden. Es dürfe nicht unbeachtet bleiben, dass sie nur deshalb Erwerbsersatzeinkommen und nicht (ein höheres) Erwerbseinkommen beziehe, weil sie wegen der Pflege ihres erkrankten Ehemannes selbst erkrankt sei und schließlich wegen der darauf beruhenden vollen Erwerbsminderung in den Ruhestand versetzt worden sei. Zur Sicherung ihres bisherigen Lebensstandards fehlten ihr monatlich 300-400 Euro.
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Sie beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Landesverwaltungsamtes Berlin vom 31. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides derselben Behörde vom 8. August 2011 zu verpflichten, ihr einen Unterhaltsbeitrag zu gewähren
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9
und
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10
den Beklagten zu verurteilen, an sie aus dem jeweils fälligen Betrag Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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11
Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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13
Selbst wenn ab April 2011 die Hinterbliebenenrente nicht mehr zu berücksichtigen sei, ändere dies nichts am Ergebnis, dass es bei keinem auszahlbaren Betrag verbleibe. Die Anrechnung der eigenen Erwerbsminderungsrente und der betrieblichen Zusatzversorgung erfolge im angemessenen Umfang. Der Umstand, dass es sich dabei um Versorgungsleistungen aus eigenem Recht handele, sei ausreichend mit dem angesetzten Freibetrag berücksichtigt. So groß auch das Verständnis für die persönlichen Lebensumstände der Klägerin sei, käme doch eine darüber hinausgehende Berücksichtigung persönlicher Umstände nicht in Betracht.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Streitakte, die Personalakten des verstorbenen Ehemannes der Klägerin und die Versorgungakten (zwei Bände) sowie die Rentenakte der Klägerin verwiesen, die in der mündlichen Verhandlung vorlagen und Teil der Entscheidungsfindung waren. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen. | 0 |
Verwaltungsgericht des Saarlandes 2. Kammer | Saarland | 1 | 0 | 10.03.2015 | 0 | Randnummer
1
Die Klägerin ist die Rechtsträgerin des Städtischen Klinikums A-Stadt, welches seit Jahren in den Krankenhausplan des Saarlandes aufgenommen ist. Mit der Klage wendet sie sich gegen den Bescheid über die Feststellung der Aufnahme des Städtischen Klinikums A-Stadt in den Krankenhausplan des Saarlandes 2011 – 2015 insoweit, als sie verpflichtet wird, die in ihrem Krankenhaus eingerichtete Hauptfachabteilung Gefäßchirurgie sowie die Stroke Unit jeweils durch bestimmte medizinische Fachgesellschaften zertifizieren bzw. rezertifizieren zu lassen.
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2
Bereits im Geltungszeitraum des vorangegangenen Krankenhausplanes 2006 – 2010 bzw. bis zum 30.6.2011 verfügte das Städtische Klinikum A-Stadt über einen Schwerpunkt Gefäßchirurgie innerhalb der Hauptfachabteilung Allgemeine Chirurgie sowie eine als Teil der Hauptfachabteilung Neurologie betriebene zertifizierte Stroke Unit. Nachdem eine Reihe von saarländischen Krankenhäusern – darunter die Klägerin – beantragt hatten, eine Abteilung für Gefäßchirurgie oder ein Gefäßzentrum zu etablieren, wurde dieses Fachgebiet im Krankenhausplan für das Saarland 2011 – 2015 erstmals in eigenständigen Hauptfachabteilungen ausgewiesen. Dazu ist im Krankenhausplan zu Ziffer 6.3. u.a. ausgeführt:
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3
"Der bereits heute vorhandene hohe Spezialisierungsgrad der Gefäßchirurgie erfordert ausreichend erfahrene Operateure, eine umfangreiche apparative Ausstattung … und interdisziplinäre Zusammenarbeit insbesondere mit der Radiologie. Diese Entwicklungen sowie die steigenden qualitativen und strukturellen Anforderungen erlauben eine adäquate Versorgung nur in Kliniken mit gefäßchirurgischen Zentren ausreichender Größe. Kleine Abteilungen werden diese Voraussetzungen kaum mehr erfüllen können. Der Gutachter hat daher der Krankenhausplanungsbehörde geraten, für die zukünftigen Versorgungsstrukturen kompetente Gefäßzentren aufzubauen bzw. zu stärken. Komplexe gefäßchirurgische Eingriffe sollten in diesen Zentren konzentriert werden. Eine Zertifizierung gefäßchirurgischer Abteilungen kann die Qualität der Leistungserstellung im Sinne einer leitliniengerechten Behandlung objektivieren und langfristig sicherstellen.
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4
In den Trägergesprächen wurde die Notwendigkeit einer qualitativen hochwertigen Leistungserbringung mit den Krankenhausträgern erörtert. Zur Qualitätssicherung der Leistungserbringung in diesen neuen Fachabteilungen und den zusätzlich noch ergänzend vorgehaltenen Schwerpunkten Gefäßchirurgie in den saarländischen Krankenhäusern wird daher der Versorgungsauftrag an die unter Ziffer 2.1.3 beschriebene Dreier-Zertifizierung geknüpft."
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Zu Ziffer 2.1.3 des Krankenhausplanes (Planungsziele) heißt es:
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"Die Minimalanforderungen der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie (DGG) für die Erbringung gefäßchirurgischer Leistungen wie die Vorhaltung einer Gefäßsprechstunde als Anlaufstelle, die Gewährleistung einer Rund-um-die-Uhr-Versorgung durch voll weitergebildete Fachärzte, Expertise durch hohe Fallzahlen, funktionierende interdisziplinäre Zusammenarbeit, Teilnahme an qualitätssichernden Maßnahmen oder das Vorliegen einer fortgeschrittenen Weiterbildungsermächtigung machen aus Sicht der Qualitätssicherung und der Konzentration solcher Leistungen in den Händen darauf spezialisierter Krankenhäuser Sinn.
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Dem gegenüber weitergehend, wohl aus der Erkenntnis, dass wesentliche Voraussetzungen für eine qualifizierte Diagnostik und Therapie von Patientinnen und Patienten mit Gefäßerkrankungen die Interdisziplinarität sowie eine entsprechende personelle und apparative Ausstattung sind, haben die Deutsche Gesellschaft für Angiologie (DGA), die Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie (DGG) und die Deutsche Röntgengesellschaft (DRG) gemeinsam die Minimalanforderungen an ein interdisziplinäres Gefäßzentrum für eine sogenannte Dreier-Zertifizierung formuliert. Diese ist Grundlage für eine Zertifizierung als 'Interdisziplinäres Gefäßzentrum'. Hierbei finden Interdisziplinarität …, Art und Zahl der Behandlungsfälle, personelle und apparative Ausstattung, Weiterbildungsermächtigung und Qualitätssicherung Berücksichtigung.
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8
Die Krankenhausplanungsbehörde hat daher beschlossen, dass zukünftig die 'Fachabteilungen für Gefäßchirurgie' oder 'Schwerpunkte für Gefäßchirurgie an chirurgischen Fachabteilungen' ihren Versorgungsauftrag nur dann behalten können, wenn sie zertifizierte interdisziplinäre Gefäßzentren mit 'Dreier-Zertifizierung' sind. Diese Voraussetzung muss der Krankenhausplanungsbehörde spätestens am 01. Januar 2014 nachgewiesen werden. Die bisherigen 'Fachabteilungen für Gefäßchirurgie' bzw. 'Schwerpunkte für Gefäßchirurgie an chirurgischen Fachabteilungen' werden dann als 'Interdisziplinäre Gefäßzentren' im Krankenhausplan ausgewiesen."
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9
Zu den Stroke Units wird zu Ziffer 3.4 (Behandlung von Patientinnen und Patienten mit akutem Schlaganfall) u.a., insbesondere unter Bezugnahme auf eine am 18.11.2011 bei der Krankenhausplanungsbehörde durchgeführte Expertenrunde (Runder Tisch "Notfallversorgung bei akutem Schlaganfall im Saarland") im Wesentlichen festgestellt, dass die Schlaganfallversorgung im Saarland bereits gut sei. Unter der Voraussetzung, dass die neun vorhandenen Stroke Units mit 57 Planbetten insgesamt (nach der ISO-Norm 9001) zertifiziert bzw. rezertifiziert würden, seien die Voraussetzungen für eine sichere und sehr gute Schlaganfallversorgung im Saarland gegeben. Für die Zukunft werde (daher) der Versorgungsauftrag zur Vorhaltung einer Stroke Unit an die Zertifizierung nach den Kriterien der Stiftung der Deutschen Schlaganfallhilfe in Kooperation mit der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft geknüpft. Könne eine Rezertifizierung nicht erreicht werden, entfalle der Versorgungsauftrag für die Zukunft. Ferner wird zu Ziffer 2.1.3 des Krankenhausplanes (Planungsziele) erläutert:
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"Der Begriff 'Stroke Unit' ist in Deutschland nicht geschützt. Um eine einheitliche, leitliniengerechte Behandlung zu garantieren, haben die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft und die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe gemeinsam ein Zertifizierungsverfahren entwickelt. Das Zertifizierungsverfahren überprüft systematisch die Erfüllung gewisser Strukturkriterien. Um eine qualitativ hochwertige Versorgung auch zukünftig sicherzustellen, hat die Krankenhausplanungsbehörde beschlossen, dass zukünftig die 'Stroke Units' ihren Versorgungsauftrag nur dann behalten können, wenn sie nach dem Qualitätsstandard der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft und der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe zertifiziert sind. Diese Voraussetzung muss der Krankenhausplanungsbehörde spätestens am 1. Januar 2012 nachgewiesen werden.
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Ausnahmen von dieser Regelung bilden die sogenannten Stroke Unit Lights, die von einigen Krankenhäusern in Abteilungen der Inneren Medizin (allgemein) vorgehalten werden. Im Krankenhausplan erfolgt allerdings kein Ausweis von Stroke Unit Lights."
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12
Mit Bescheid vom 22.6.2011 wurde die Aufnahme des Städtischen Klinikums A-Stadt mit zunächst 279 Betten und fünf teilstationären Plätzen in den Krankenhausplan des Saarlandes 2011 – 2015 festgestellt. Im Krankenhausstammblatt Teil 1 wurden (u.a.) die Gefäßchirurgie als eigene Hauptfachabteilung mit 16 Betten sowie sechs Betten der Stroke Unit als Teil der Hauptfachabteilung Neurologie ausgewiesen. Im Krankenhausstammblatt Teil 2 wurde zu Ziffer 5. "Besondere Aufgaben und Leistungen gemäß Tz. 3 des Krankenhausplans für das Saarland 2011 – 2015" u.a. ausgeführt:
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"
- Stroke Unit mit sechs Betten innerhalb der Hauptfachabteilung Neurologie unter der Voraussetzung, dass bis 01. Januar 2012 die Rezertifizierung nach dem Qualitätsstandard der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft und der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe abgeschlossen ist. Die Zertifizierung ist dauerhaft zu gewährleisten. Wird die Zertifizierung bis zum 01. Januar 2012 nicht nachgewiesen, entfällt dieser Versorgungsauftrag.
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- Hauptfachabteilung Gefäßchirurgie mit 16 Betten bis zunächst 31. Dezember 2013. Unter den Voraussetzungen der Dreier-Zertifizierung nach den Vorgaben der Deutschen Gesellschaft für Angiologie (DGA), der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie (DGG) und der Deutschen Radiologischen Gesellschaft (DRG) ist die Hauptfachabteilung Gefäßchirurgie ab 01. Januar 2014 Teil eines interdisziplinären Gefäßzentrums. Die Zertifizierung ist dauerhaft zu gewährleisten und erstmals am 01. Januar 2014 nachzuweisen. Wird die Dreier-Zertifizierung am 01. Januar 2014 nicht nachgewiesen, entfällt auch der Versorgungsauftrag der Hauptfachabteilung Gefäßchirurgie."
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Schließlich heißt es zu Ziffer III. 4. des Feststellungsbescheides, dass die entsprechenden Zertifizierungs- und Rezertifizierungsurkunden dem Beklagten unaufgefordert vorzulegen sind.
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Gegen diesen ihr am 29.6.2011 zugestellten Bescheid hat die Klägerin am 27.7.2011 zur Fristwahrung Klage erhoben, ohne den Klagegrund anzugeben. Aufgrund schwebender Vergleichsverhandlungen wurde das Klageverfahren (2 K 648/11) auf Antrag der Beteiligten durch Beschluss vom 2.12.2011 zum Ruhen gebracht.
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In der Folgezeit erhielt die Klägerin mit Datum vom 5.3.2012 das bis zum 4.3.2015 gültige Zertifikat, wonach ihre Stroke Unit mit sechs Betten dem Qualitätsstandard der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft und der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe entspricht. Ferner trat die Saarländische Krankenhausgesellschaft an den Beklagten heran und bat für ihre Mitglieder darum, das Zeitfenster für die Zertifizierung der Abteilungen für Gefäßchirurgie auszuweiten. Daraufhin entschloss sich der Beklagte, die Nachweisfrist für die Dreier-Zertifizierung für alle Krankenhäuser mit einer Hauptfachabteilung oder einem Schwerpunkt Gefäßchirurgie bis zum 01. September 2014 zu verlängern.
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18
Im Rahmen der Ersten Fortschreibung des Krankenhausplans für das Saarland 2011 – 2015 vom 19.4.2013 (Amtsblatt Teil II S. 442 ff.) erließ der Beklagte daraufhin gegenüber der Klägerin den Änderungsbescheid vom 22.5.2013, der in seinem Tenor wie folgt lautet:
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1. Für den Planungszeitraum bis zum 31.12.2015 werden für das Städtische Klinikum A-Stadt die im beigefügten Krankenhausstammblatt Teil 2 vorgenommenen Änderungen festgelegt.
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2. Das Krankenhausstammblatt Teil 2 ist Bestandteil dieses Bescheides.
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3. Der Feststellungsbescheid vom 22.6.2011 bleibt im Übrigen unverändert gültig.
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Im Krankenhausstammblatt Teil 2 wurde zu den besonderen Aufgaben und Leistungen gemäß Tz. 3 des Krankenhausplans Satz 2 des Passus betreffend die Stroke-Unit wie folgt neu gefasst: "Die Zertifizierung ist dauerhaft zu gewährleisten, sonst entfällt dieser Versorgungsauftrag." Der Abschnitt betreffend die Hauptfachabteilung Gefäßchirurgie wurde hinsichtlich der Befristung angepasst mit den jeweiligen geänderten Formulierungen "bis zunächst 31. August 2014" sowie "erstmals am 01. September 2014 nachzuweisen". Abschließend hieß es sodann: "Wird die Dreier-Zertifizierung am 01. September 2014 nicht nachgewiesen, entfällt auch der Versorgungsauftrag der Hauptfachabteilung Gefäßchirurgie." Zur Begründung ist ausgeführt, dass mit der Dreier-Zertifizierung in der Gefäßchirurgie das Saarland bundesweit die höchste Qualitätsanforderung stelle. Angesichts dessen werde nach Anhörung der Saarländischen Krankenhauskonferenz die Frist für den Nachweis dieser Zertifizierung für alle beteiligten Krankenhäuser bis zum 1.9.2014 verlängert, um diesen eine realistische Chance zu geben, "diese Hürde" zu nehmen.
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Nach Zustellung des Änderungsbescheides am 1.6.2013 hat die Klägerin auch gegen diesen am 1.7.2013 Klage erhoben (2 K 871/13). Ferner hat sie das zum Ruhen gebrachte Verfahren betreffend die Klage gegen den Feststellungsbescheid vom 22.6.2011 (2 K 648/11) im April 2014 wieder aufgenommen. Dieses Verfahren trug fortan das Geschäftszeichen 2 K 422/14. Mit Beschluss vom 10.3.2015 sind beide Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden und werden unter dem Geschäftszeichen 2 K 422/14 fortgeführt.
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Zur Begründung ihrer Klagen trägt die Klägerin im Wesentlichen vor, sowohl der Feststellungsbescheid vom 22.6.2011 als auch der Änderungsbescheid vom 22.5.2013 seien, soweit in ihnen jeweils im Krankenhausstammblatt Teil 2 zu Ziffer 5 die Zertifizierung der Gefäßchirurgie sowie der Stroke Unit verlangt werde, rechtswidrig und würden sie in ihren Rechten verletzen, da es für die erteilten Auflagen an einer Rechtsgrundlage fehle. Rechtswidrig sei es bereits, den Krankenhausträger überhaupt an solche Vorgaben zu binden. Abgesehen davon sei es offenkundig gesetzeswidrig, den Versorgungsauftrag der Klägerin für ihre Hauptfachabteilung Gefäßchirurgie und die Stroke Unit in der Weise an den Nachweis der Zertifizierung zu binden, dass bei einer Fristüberschreitung für diesen Nachweis "automatisch" der diesbezügliche Versorgungsauftrag des Krankenhauses entfalle.
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Voraussetzung für die Aufnahme eines Krankenhauses in den Krankenhausplan eines Landes sei nach den Vorschriften des bundesrechtlichen Krankenhausgesetzes (KHG) die Erfüllung der materiellen Planungskriterien der Bedarfsgerechtigkeit, Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit. Leistungsfähig in diesem Sinne sei ein Krankenhaus, wenn sein Angebot die Anforderungen erfülle, die nach dem aktuellen Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft an ein Krankenhaus der betreffenden Art zu stellen seien. Dabei werde die Leistungsfähigkeit eines Krankenhauses letztlich durch seine personelle und sächliche Ausstattung bestimmt; sein Leistungsangebot werde mit seiner Ausstattung gleichgesetzt, welches seine quantitative und qualitative Leistungskapazität begrenze. An die so zu bestimmende Leistungsfähigkeit eines Krankenhauses dürften keine überspannten qualitativen Anforderungen gestellt werden; gefordert sei lediglich die Einhaltung medizinischer Mindeststandards. Fordere man mehr, wie die Krankenhausplanungsbehörde im Saarland hinsichtlich der in Rede stehenden Zertifizierungspflichten, bedürfe dies mit Blick auf den damit verbundenen Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) einer spezifischen gesetzlichen Grundlage. Auch müsse eine entsprechende Regelung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten. An einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage für eine Zertifizierungspflicht fehle es jedoch.
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Auf bundesrechtlicher Ebene betreffe die den zugelassenen Krankenhäusern auferlegte Verpflichtung zur Qualitätssicherung (§ 108 SGB V) vor allem die Beachtung der Qualitätssicherungsmaßnahmen, die aufgrund der Neufassung des § 137 SGB V der Beschlussfassung durch den gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) unterlägen. Dieser sei ein zentrales Steuerungselement im Gesundheitswesen, zu dessen Aufgaben auch die Qualitätssicherung (§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 13 SGB V) gehöre. Die umfassende und für das Leistungsrecht der Versicherten hinsichtlich Art und Umfang der ihnen von ihrer Krankenkasse geschuldeten medizinischen Leistung abschließende Kompetenz des G-BA werde dabei nur scheinbar durch den Landesrechtsvorbehalt des § 137 Abs. 3 Satz 9 SGB V gelockert. Danach seien ergänzende Qualitätsanforderungen im Rahmen der Krankenhausplanung der Länder zwar zulässig. Dies müsse aber dahin verstanden werden, dass für ergänzende landesrechtliche Regelungen kein Raum verbleibe, soweit der G-BA von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht habe oder auch nur seine Zuständigkeit für die Sicherung der Qualität der Leistungserbringung begründet sei. Soweit indes nicht die Leistungserbringung, sondern die Zulassung der Krankenhäuser "qualitativ" geregelt werden solle, kämen nur ergänzende Qualitätsanforderungen im Rahmen der Krankenhausplanung der Länder in Betracht. Der Krankenhausplan als solcher eigne sich hierfür jedoch nicht, denn er sei bereits keine dem Gesetzesvorbehalt genügende Rechtsnorm, sondern habe wie eine innerdienstliche Weisung lediglich die Anordnung zum Inhalt, die dem Plan entsprechenden positiven oder negativen Einzelentscheidungen zu erlassen. Das saarländische Landesrecht biete ebenfalls keine Rechtsgrundlage, auf welche die Vorgabe einer Pflicht zur Zertifizierung gestützt werden könne. Erforderlich wäre insoweit eine Regelung, die nicht lediglich die Qualität der Krankenhausversorgung als (zusätzliches) Ziel der Krankenhausplanung benenne, sondern eine Vorschrift, die konkret – und mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar – die Anforderungen umschreibe, denen ein Krankenhaus unter dem Gesichtspunkt der Qualitätssicherung bei der Leistungserbringung unterworfen sein solle. Eine solche spezialgesetzliche Ermächtigung, welche krankenhausplanungsrechtlich die Anordnung einer so genannten Zertifizierung von Leistungsangeboten ermögliche, existiere im Saarland indes nicht.
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Unabhängig davon sei die zu Ziffer 5 des Krankenhausstammblatts Teil 2 getroffene Regelung zur Zertifizierungspflicht aus weiteren Gründen als rechtswidrig anzusehen. Zunächst müsse bedacht werden, dass die Abhängigkeit der Planaufnahme eines Krankenhauses oder einer Abteilung von einer Zertifizierung seitens einer medizinischen Fachgesellschaft rechtsstaatlich bedenklich sei, weil die an das Gesetz gebundene Verwaltung hierdurch ihre Entscheidungsbefugnisse weitgehend auf Dritte verlagere, die als Private keiner rechtsstaatlich gebundenen Kontrolle unterlägen und für die Wahrnehmung jener Aufgaben nicht demokratisch legitimiert seien. Gleichzeitig stelle diese Übertragung von Entscheidungsbefugnissen eine Umgehung der Zuständigkeit des G-BA dar, welcher etwa zur Qualitätssicherung, ebenso wie die im Bescheid genannten Fachgesellschaften, Mindestmengen hinsichtlich der Behandlung entsprechender Patienten vorschreibe.
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Des Weiteren sei die Regelung zur Zertifizierungspflicht als Nebenbestimmung im Sinne des § 36 VwVfG deshalb rechtswidrig, weil sie den diesbezüglich geltenden rechtlichen Anforderungen nicht gerecht werde. Als Ermächtigungsgrundlage für die Aufnahme von Nebenbestimmungen komme zwar generell § 25 Abs. 2 Nr. 10 des Saarländischen Krankenhausgesetzes (SKHG) in Betracht, wonach der Feststellungsbescheid über die Aufnahme in den Krankenhausplan insbesondere die inhaltlichen und zeitlichen Beschränkungen für einzelne Festlegungen und die dafür maßgeblichen Gründe enthalte. Die betreffende Vorschrift stelle aber keine im dargelegten Sinne spezialgesetzliche Grundlage dar, auf welche der mit der Zertifizierungspflicht einhergehende Eingriff in das Grundrecht des Krankenhausträgers auf Ausübung seines Berufs rechtmäßig gestützt werden könne. Darüber hinaus widerspreche eine befristete oder auflösend bedingte Aufnahme eines Krankenhauses in den Krankenhausplan dem Ziel des § 1 KHG, die wirtschaftliche Sicherung des Krankenhauses auf Dauer zu gewährleisten. Etwas anderes gelte auch nicht mit Blick auf die vom Beklagten in Bezug genommene Teilziffer 3 des Krankenhausplanes für das Saarland. Die dort vorgesehene Möglichkeit, einzelnen Krankenhäusern zur Sicherung einer bedarfsgerechten, leistungsfähigen und wirtschaftlichen Versorgung "besondere Aufgaben und Leistungen" zuzuordnen, hänge zum einen gemäß § 23 Abs. 4 SKHG von der Zustimmung des jeweiligen Krankenhausträgers ab; zum anderen erlaube § 23 Abs. 2 Nr. 4 SKHG als Inhalt des Feststellungsbescheides lediglich die Bezeichnung besonderer Aufgaben und Leistungen, nicht aber die Auferlegung etwa einer Zertifizierungspflicht.
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Offensichtlich gesetzeswidrig sei schließlich die vorgesehene "auflösende Befristung", wonach der jeweilige Versorgungsauftrag automatisch wegfalle, wenn die so genannte Dreier-Zertifizierung für die Gefäßchirurgie bzw. die Zertifizierung für die Stroke Unit nicht mehr nachgewiesen sei. Eine solche Herausnahme der Stroke Unit bzw. der Gefäßchirurgie aus dem Krankenhausplan könne nur nach Maßgabe des § 25 Abs. 3 Satz 3 SKHG erfolgen und setze demnach eine im Ermessen der zuständigen Behörde stehende Entscheidung voraus, welche ggf. uneingeschränkt der gerichtlichen Kontrolle unterläge. Ungeachtet all dessen erweise sich eine entsprechende Nebenbestimmung auch als unverhältnismäßig, weil dem Ziel einer Qualitätssicherung im Fachgebiet Neurologie bzw. Gefäßchirurgie auch eine "Auflage" genügt hätte, wonach es dem Krankenhausträger möglich gewesen wäre, ggf. aufgrund einer Nachfristsetzung die mit der Zertifizierungspflicht verbundenen Auflagen zu erfüllen.
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Die Klägerin beantragt,
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den Feststellungsbescheid vom 22.6.2011 und den Änderungsbescheid vom 22.5.2013 insoweit aufzuheben, als diese für das Städtische Klinikum A-Stadt der Klägerin jeweils mit Bezug zum Krankenhausstammblatt Teil 2 Ziffer 5 die Verpflichtung zur Zertifizierung der im Krankenhausstammblatt Teil 1 ausgewiesenen Gefäßchirurgie sowie der Stroke Unit aussprechen, einschließlich der dazugehörigen Nebenbestimmungen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klagen abzuweisen.
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Er ist der Auffassung, dass die Klägerin mit Blick auf die Festlegungen im Feststellungsbescheid vom 22.6.2011, soweit es die Stroke Unit betreffe, nicht (mehr) beschwert sei, weil sie die diesbezügliche Zertifizierung erreicht habe. Im Übrigen sei die Klage rechtsmissbräuchlich. So habe die Klägerin bereits zurzeit der Geltung des Krankenhausplanes 2006 – 2010 über eine zertifizierte Stroke Unit verfügt, ohne die Notwendigkeit einer Zertifizierung jemals in Frage gestellt zu haben. Des Weiteren sei es ihr aus den Trägergesprächen zum Krankenhausplan bekannt gewesen, dass die erstmalige Beplanung der Gefäßchirurgie an die Qualitätsvoraussetzungen der Dreier-Zertifizierung gebunden sein würde; auch habe sie gewusst, dass es der Krankenhausplanungsbehörde hierbei um eine Qualitätsverbesserung in der medizinischen Versorgung der Bevölkerung in einem Wettbewerb der Krankenhäuser gegangen sei. Dies habe sie akzeptiert, was daran deutlich werde, dass zwar eine Klage erhoben, diese aber über zwei Jahre nicht begründet worden sei. In diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin in der Vergangenheit wiederholt gegen Feststellungsbescheide zur Krankenhausplanung geklagt habe, ohne einen Antrag zu stellen oder die Klage zu begründen bzw. die Verfahren regelmäßig zum Ruhen gebracht habe. Vor diesem Hintergrund sei anlässlich des aktuellen Verfahrens beim Beklagten der Eindruck entstanden, die Klägerin werde nicht gegen die beiden Zertifizierungspflichten gerichtlich vorgehen. Der Beklagte habe sich deshalb darauf eingerichtet, dass die Krankenhäuser ihrer Zertifizierungspflicht nachkämen und daher die Frist zum Nachweis der Dreier-Zertifizierung für den Bereich der Gefäßchirurgie in der Ersten Fortschreibung des Krankenhausplanes verlängert. Diese Maßnahme habe die Klägerin indes in treuwidriger Weise zum Anlass genommen, ihre Klage erstmals zu begründen sowie dabei die Vorgabe der Dreier-Zertifizierung für ihre Gefäßchirurgie sowie die Zertifizierungspflicht für ihre Stroke Unit grundsätzlich in Frage zu stellen, und dies, obwohl die Verlängerung der Nachweispflicht für die Dreier-Zertifizierung sie lediglich begünstige und der Bescheid vom 22.5.2013 abgesehen von der Fristverlängerung die materiell-rechtlichen Regelungen zur Zertifizierungspflicht im Bescheid vom 22.6.2011 unverändert belasse.
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Unabhängig davon habe der Beklagte die Zertifizierungsvoraussetzungen auf der Grundlage des § 9 i.V.m. den §§ 1, 23 Abs. 1 SKHG rechtmäßig verfügt. Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 KHG stellten die Länder Krankenhauspläne auf, zu denen das Nähere gemäß § 6 Abs. 4 KHG das Landesrecht bestimmte. Dies bedeute, dass die Länder die Verantwortung für die Sicherstellung der Krankenhausbehandlung der Bevölkerung trügen. Im Saarland ergäben sich rechtliche Anforderungen an die Qualität der Krankenhausleistungen aus § 9 Satz 1 SKHG und könne der Beklagte als Planungsbehörde nach dieser Vorschrift in Verbindung mit § 23 Abs. 1 SKHG in den Grundsätzen der Krankenhausplanung die bundesrechtlichen Anforderungen ergänzende Qualitätsvorgaben definieren. Es sei auch nicht richtig, dass eine Qualitätssicherung nur über den G-BA sinnvoll und möglich sei, denn nur etwa 20 % aller Krankenhausfälle seien über die herkömmlichen Verfahren der stationären Qualitätssicherung abgedeckt; es bestehe daher sowohl ein Bedarf als auch Spielraum für ergänzende Regelungen auf Landesebene. So habe etwa das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in seiner Rechtsprechung (etwa im Urteil vom 18.4.2013 – 13 A 1167/12 –) im Rahmen der Anerkennung von Brustzentren die Rechtmäßigkeit einer Zertifizierungspflicht angenommen. Auch sei es ein Ansinnen des Beklagten gewesen, interdisziplinäre Gefäßzentren und nicht nur Gefäßchirurgien auszuweisen. Auch dieses Ziel habe erreicht werden können.
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Schließlich sei es rechtlich nicht zu beanstanden, die Zertifizierung durch Fachgesellschaften zu verlangen. Soweit es bei der Leistungsfähigkeit eines Krankenhauses um die gebotene Einhaltung medizinischer Mindeststandards gehe, bedeute dies, dass die Betreiber eines Krankenhauses auch aktuelle Erkenntnisse der Wissenschaft beobachten und ggf. Anpassungen vornehmen müssten. Dabei könne insbesondere die Beratung durch die Fachgesellschaften sinnvoll sein. Dieser Expertise der Fachgesellschaften habe sich der Beklagte im Zuge der Festlegung der Grundsätze der Krankenhausplanung sowohl bei der erstmaligen Beplanung der Gefäßchirurgie als auch bei der Fortentwicklung der Planung der Stroke Units bedienen wollen und im Interesse der qualitätsgesicherten Behandlung der Patientinnen und Patienten die besagte Zertifizierungspflicht vorgegeben. Dazu müsse gesehen werden, dass die Behandlungsleitlinien der Fachgesellschaften den gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand widerspiegelten, so dass sich die Krankenhäuser auch deshalb regelmäßig an den Leitlinien zu orientieren hätten, um keine Haftungsrisiken einzugehen. Der Beklagte habe mit dieser Vorgehensweise seine Entscheidungsbefugnis nicht in unzulässiger Weise auf private Dritte übertragen, denn er bleibe jederzeit Herr des Verfahrens. Insgesamt gesehen dürfe die Erteilung eines Versorgungsauftrages sehr wohl an disziplinbezogene Strukturqualitäten wie eine Zertifizierung gebunden sein. Hierdurch solle auch verhindert werden, dass sich Krankenhausträger aus wirtschaftlichen Gründen auf lukrative Teilbereiche der Versorgung beschränkten. Die für die Gefäßchirurgie geforderte Dreier-Zertifizierung sowie die Zertifizierung der Stroke Unit seien jeweils die Messlatte, um eine nicht vertretbare Leistungsausweitung einzugrenzen, die auch zu einer Verschlechterung der Qualität führen würde.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsunterlagen des Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war. | Der Feststellungsbescheid vom 22.6.2011 und der Änderungsbescheid vom 22.5.2013 werden insoweit aufgehoben, als in diesen für das Städtische Klinikum A-Stadt der Klägerin bzw. die im Krankenhausstammblatt Teil 1 ausgewiesene dortige Hauptfachabteilung Gefäßchirurgie sowie die Stroke Unit (innerhalb der Hauptfachabteilung Neurologie) jeweils mit Bezug zum Krankenhausstammblatt Teil 2 Ziffer 5 die Verpflichtung zu deren Zertifizierung durch medizinische Fachgesellschaften ausgesprochen und zu Ziffer III.4. des Feststellungsbescheides vom 22.6.2011 (Nebenbestimmungen) gefordert wird, die entsprechenden Zertifizierungs- bzw. Rezertifizierungsurkunden unaufgefordert dem Beklagten vorzulegen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. | 0 |
Finanzgericht Rheinland-Pfalz 3. Senat | Rheinland-Pfalz | 0 | 1 | 18.09.2019 | 1 | Randnummer
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Zwischen den Beteiligten steht in Streit, ob die entgeltliche Überlassung eines Dorfgemeinschaftshauses für private Feiern nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) steuerfrei ist.
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Die Klägerin, eine rheinland-pfälzische Ortsgemeinde, der gestattet war, die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten zu berechnen, errichtete in den Streitjahren (2012 bis 2014) ein Dorfgemeinschaftshaus, das im Jahr 2014 fertig gestellt wurde und über einen großen und einen kleinen Saal sowie eine mit Elektrogeräten, Geschirr und Besteck ausgestattete Küche und eine Thekenanlage im großen Saal verfügte.
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Der große und der kleine Saal wurden nach der Fertigstellung im Jahr 2014 unentgeltlich an Vereine überlassen und für Gemeinderatssitzungen genutzt sowie – jeweils für einen Tag – an nicht unternehmerisch tätige Privatpersonen für Familienfeiern, Beerdigungen und ähnliche Anlässe vermietet, wobei keine Umsatzsteuer ausgewiesen wurde. Hierfür flossen der Klägerin im Streitjahr 2014 insgesamt 755 € zu. Soweit die Mietverträge die Vereinbarung einer „Reinigungspauschale (inkl. Geschirr- und Besteckkontrolle)“ ermöglichten, wurde hiervon in den Streitjahren kein Gebrauch gemacht. Wegen der Einzelheiten wird auf die Mietverträge vom 14. März 2014, 11. April 2014, 16. April 2014, 26. April 2014, 3. Mai 2014, 26. September 2014, 6. August 2014 und 2. Oktober 2014 (Blatt 9 ff. der Einspruchsakte) Bezug genommen. In der Nutzung des Dorfgemeinschaftshauses war die Nutzung des dort vorhandenen Geschirrs und Bestecks inbegriffen.
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Ab dem 1. Oktober 2014 vermietete die Klägerin den großen Saal des Dorfgemeinschaftshauses an den Musikverein R e.V. (Musikverein) zur gelegentlichen Nutzung. Die Nutzung durfte einmal wöchentlich in der Zeit von 19 bis 21 Uhr erfolgen. Dem Musikverein war es gestattet, während und nach den Proben Getränke zu verkaufen. Die vorhandene Thekeneinrichtung durfte für diesen Zweck genutzt werden. Der erzielte Überschuss sollte dem Musikverein zustehen. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Mietvertrag vom 21. Juli 2015 (Blatt 9 der Umsatzsteuerakte), in dem die bisherige, mündliche Vereinbarung zwischen den Vertragsparteien nunmehr schriftlich fixiert werden sollte. Der Musikverein zahlte im Streitjahr 2014 Miete in Höhe von 60 € an die Klägerin.
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In ihren Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre gab die Klägerin steuerpflichtige Umsätze zu 19% in Höhe von 10.727 € (2012), 11.040 € (2013) und 11.230 € (2014) sowie Vorsteuerbeträge aus Rechnungen von anderen Unternehmern in Höhe von 18.664,16 € (2012), 29.436,32 € (2013) und 4.829,33 € (2014) an, wobei die Vorsteuerbeträge ausschließlich auf die Errichtung und den Betrieb des Dorfgemeinschaftshauses entfielen.
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In ihrem Bericht vom 20. Mai 2016 (Blatt 17 ff. der Umsatzsteuerakte) über eine bei der Klägerin durchgeführte Umsatzsteuer-Sonderprüfung vertraten die Prüfer die Auffassung, das Gebäude werde gemischt genutzt. Ein sachgerechter Aufteilungsmaßstab dürfte regelmäßig im Verhältnis der tatsächlichen Nutzungszeiten zu sehen sei. Maßgeblich seien zunächst die Verhältnisse im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung. Es ergäbe sich ein abzugsfähiger Anteil von 43,46%. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Anlage 2 zum Bericht vom 20. Mai 2016 (Blatt 22 der Umsatzsteuerakte).
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Dem schloss sich der Beklagte zunächst an und erließ am 26. Juli 2016 – unter Berufung auf § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) – entsprechend geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre.
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Mit Bescheiden vom 7. November 2016 setzte der Beklagte – wiederum unter Berufung auf § 164 Abs. 2 AO – die Umsatzsteuer auf 1.718,74 € für 2012, auf 2.119,83 € für 2013 und auf 2.189,18 € für 2014 fest, wobei er keine Vorsteuerbeträge aus Rechnungen von anderen Unternehmern in Abzug brachte. In den Anlagen zu den Bescheiden führte der Beklagte aus, bei der Nutzungsüberlassung der Veranstaltungsräume handele es sich um eine zwingend nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG steuerbefreite Grundstücksvermietung ohne Optionsmöglichkeit, was den Abzug der Vorsteuern aus der Errichtung und Unterhaltung des Gemeindehauses ausschließe. Auch die Zurverfügungstellung der Küche sowie des Bestecks und des Geschirrs wiesen keinen prägenden Leistungscharakter auf und seien aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers nebensächlich. Es handele sich hierbei lediglich um Nebenleistungen zur vertraglich vereinbarten Überlassung der Säle bzw. Teilen davon, welche umsatzsteuerrechtlich das Schicksal der Hauptleistung teilten. Die Kurzfristigkeit der Überlassung sei in dem Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 25. Februar 2011 XI B 63/10 lediglich eine Hilfsüberlegung.
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Mit ihrem hiergegen gerichteten Einspruch machte die Klägerin u.a. geltend, bei den Entgelten für die Nutzungsüberlassung des Dorfgemeinschaftshauses an Privatpersonen handle es sich um steuerpflichtige Umsätze. Nach Art. 135 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) sei die Gewährung von Unterkunft i.R. des Hotelgewerbes oder Sektoren mit ähnlicher Zielsetzung genannt, die nicht von der Mehrwertsteuer befreit seien. Dies lasse erkennen, dass für kurzfristige Nutzungsüberlassungen von Grundstücken keine Steuerbefreiung vorgesehen sei. In diese Richtung tendiere auch der BFH in seinem Beschluss vom 25. Februar 2011 XI B 63/10. Danach sei aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers die Mietdauer ein geeignetes Kriterium, um eine selbständige Vermietungsleistung von einer einheitlichen sonstigen Leistung abzugrenzen. Die Kurzfristigkeit einer Raumnutzung spreche in der Regel gegen eine Vermietung i.S. der Befreiungsvorschrift. Weiter werde ausgeführt, dass die Raumnutzer auch nicht in der Kurzfristigkeit der Raumüberlassung die unbeschränkte Verfügungsmacht über den zur Nutzung überlassenen Gegenstand erhalten hätten. Diese unbeschränkte Verfügungsmacht sei allerdings für die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG erforderlich. Inwiefern vor diesem Hintergrund die Kurzfristigkeit der Vermietung nur eine „Hilfsüberlegung“ des BFH gewesen sei, um zur Steuerpflicht der Raumüberlassung zu gelangen, könne nicht nachvollzogen werden.
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Die Raumüberlassung trete gegenüber der Möglichkeit der eigenen Speisezubereitung für die Bewirtung der Gäste in den Hintergrund. Die Raumüberlassung sei Nebenleistung zur Hauptleistung der Beköstigung der Gäste mit selbst hergestellten Speisen.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 27. April 2017 wies der Beklagte die Einsprüche der Klägerin als unbegründet zurück. Bei der Vermietung des Gemeindehauses an Privatpersonen für Familienfeiern bzw. den Musikverein zu Probezwecken handele es sich nicht um einheitliche steuerpflichtige Leistungen eigener Art. Die Nutzungsüberlassung der Veranstaltungsräume stelle vielmehr eine zwingend nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG steuerbefreite Grundstücksvermietung ohne Optionsmöglichkeit i.S. von § 9 UStG dar. Die Abgrenzung steuerfreier Vermietungsumsätze von sonstigen steuerpflichtigen Leistungen erfolge aus der Sicht des BFH nicht allein anhand der Kurzfristigkeit der Grundstücksüberlassung. Maßgebend sei vielmehr, dass neben der Raumüberlassung weitere erhebliche und prägende Leistungen des Vermieters hinzuträten.
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Die Zurverfügungstellung der Küche sowie des Bestecks und des Geschirrs seien als Nebenleistungen zu der vertraglich vereinbarten Überlassung der Säle anzusehen. Sie wiesen keinen prägenden Leistungscharakter auf und seien aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers im Vergleich zur Grundstücksüberlassung nebensächlich. Den Mietern komme es gerade auf die Nutzung der Räumlichkeiten an. Des Weiteren hingen die o.g. Nebenleistungen eng mit der Grundstücksüberlassung zusammen und dienten üblicherweise der Inanspruchnahme der Räumlichkeiten. Für das Vorliegen einer einheitlichen Leistung spreche auch, dass die Leistung gegen Zahlung eines Gesamtentgeltes und auf Grundlage eines eigenen Vertrags erbracht worden sei. Die Raumüberlassung an Privatpersonen trete nicht hinter die Möglichkeit der Speisezubereitung und die Überlassung der dafür erforderlichen Vorrichtungen und Maschinen zurück. Es sei nicht erwiesen, dass die Mieter die Möglichkeit der Speisezubereitung tatsächlich in Anspruch genommen hätten und nicht einen Lieferservice mit der Lieferung von Speisen beauftragt hätten. Zudem finde die Küche keine Erwähnung in den Mietverträgen.
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Da keine Grundstücksvermietung an Unternehmer für deren Unternehmen stattgefunden habe, sei eine Option wegen § 9 Abs. 1 UStG nicht eröffnet. Auch hinsichtlich der Vermietung an den Musikverein sei die Option zur Steuerpflicht ausgeschlossen. Dies gelte auch mit Blick auf die Nutzung zum Getränkeverkauf, da der Musikverein als Kleinunternehmer das Gemeindehaus insoweit nicht zur Ausführung steuerpflichtiger Umsätze verwende.
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Mit ihrer Klage macht die Klägerin geltend, sie sei in unionsrechtskonformer Auslegung der in den Streitjahren geltenden Regelung des § 2 Abs. 3 UStG als Unternehmerin anzusehen. Die Nutzungsüberlassung für Zwecke von Familienfeiern und an den Musikverein sei umsatzsteuerpflichtig.
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Das Dorfgemeinschaftshaus werde in der Regel nur für die Dauer eines Tages überlassen, wobei Zeiten der Vor- und Nachbereitung (Aufräumen und Säubern der Räume) in diese Nutzungsüberlassung einzubeziehen seien. Diese kurzfristige Nutzungsüberlassung stelle keine Vermietung i.S. des § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG dar. Der Nutzende werde nicht in die Lage versetzt, das Grundstück so in Besitz zu nehmen, als ob er dessen Eigentümer sei, und jede andere Person von diesem Recht auszuschließen. Der BFH sei in einer Vielzahl von Urteilen zu der Auffassung gelangt, dass die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG für die Vermietung möblierter Räume oder Gebäude nur zum Tragen komme, wenn die Nutzungsüberlassung auf Dauer angelegt sei und es sich nicht um eine kurzfristige Überlassung handele.
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In dem Urteil des BFH vom 24. September 2015 V R 30/14 weise ein Hotelzimmer die Besonderheit auf, dass das Merkmal der steuerfreien Vermietung unabhängig von der Mietdauer zu beurteilen sei, da bei einem Hotelzimmer der Vertragspartner gegen Vergütung den Raum auch für eine kurze Zeit so in Besitz nehmen könne, als wäre er dessen Eigentümer, und jede andere Person von diesem Recht ausschließen könne. Dies sei nicht mit der Vermietung eines speziell für diese Zwecke eingerichteten Dorfgemeinschaftshauses an Privatpersonen zum Zwecke der Durchführung von Familienfeiern für kurze Zeit vergleichbar.
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Zur Aufteilung der Vorsteuerbeträge seien die Zeiten der reinen Nutzung maßgeblich. Bei jeder Nutzung, sei es im wirtschaftlichen oder nicht-wirtschaftlichen Bereich, gebe es eine Zeit der Vor- und Nachbereitung. Die Vorsteuerbeträge seien daher in einem Umfang von 62 % zum Abzug zuzulassen. Insoweit wird wegen der Einzelheiten auf die Anlage zur Klageschrift vom 16. Juni 2017 (Blatt 20 der Gerichtsakte) Bezug genommen.
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Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Umsatzsteuerbescheide für 2012 bis 2014 – jeweils vom 7. November 2016 – unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 27. April 2017 dahingehend zu ändern, dass Vorsteuerbeträge aus Rechnungen von anderen Unternehmern in Höhe von 18.664,16 € für 2012, 29.436,32 € für 2013 und 4.826,33 € für 2014 in Ansatz gebracht werden.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Er verweist auf seine Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, für Veranstaltungsräume sei der Anwendungsbereich des § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG nicht eröffnet, so dass der Kurzfristigkeit der Überlassung für die Beurteilung der Steuerfreiheit keine Bedeutung zukomme. Auch aus dem Beschluss des BFH vom 25. Februar 2011 XI B 63/10 ergebe sich, dass allein in der Kurzfristigkeit der Leistung kein Abgrenzungskriterium einer steuerfreien Vermietungsleistung zu einer sonstigen steuerpflichtigen Leistung zu sehen sei. Maßgebend sei nach Auffassung des BFH vielmehr, dass neben der Raumüberlassung weitere erhebliche und prägende Leistungen des Vermieters hinzuträten. Die Klägerin habe gegenüber den Mietern neben der reinen Grundstücksüberlassung jedoch keine weiteren erheblichen Leistungen geschuldet. | I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen. | 0 |
SG Marburg 12. Kammer | Hessen | 0 | 1 | 30.04.2008 | 0 | Randnummer
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Die Beteiligten streiten im Rahmen einer Fortsetzungsfeststellungsklage um den Umfang der Ermächtigung des Beigeladenen zu 1) und hierbei noch um die Ermächtigung zur Versorgung morbider Adipositas-Patienten nach deren Operation nach Ablauf der 2 Jahres-Frist.
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2
Der Beigeladene zu 1) ist Facharzt für Urologie und Chirurgie mit der Schwerpunktbezeichnung Visceralchirurgie. Er ist Chefarzt der Chirurgie und Unfallchirurgie am in A-Stadt. Der Zulassungsausschuss für Ärzte bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen ermächtigte den Beigeladene zu 1) zuletzt mit Beschluss vom 25.10.2005 befristet bis 31.12.2007 für folgende Leistungen:1. Konsiliarische Beratung eines Vertragsarztes zur Indikationsstellung der operativen Behandlung der morbiden Adipositas-Patienten, abzurechnen nach den Nrn. 01310 bis 01312, 01600, 01601, 07215, 40120 und 40122 EBM 2000.2. Ambulante Nachbehandlung der morbiden Adipositas-Patienten nach stationärer Krankenhausbehandlung, eingeschränkt auf die Dauer von zwei Jahren – mit Bekanntgabe des Operationstermins-; eine Abrechnung innerhalb der ersten 14 Tage nach der Entlassung ist nur dann möglich, wenn eine Abrechnungsmöglichkeit nach § 115a SGB V nicht gegeben ist.
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Der Beigeladene zu 1) wandte sich am 07.04.2006 an den Zulassungsausschuss wegen der Beschränkung der ambulanten Nachbehandlung auf die Dauer von zwei Jahren. Diese zeitliche Begrenzung widerspreche den allgemeinen medizinischen Richtlinien, da die Betreuung der Patienten ein Leben lang garantiert werden müsse. Während die Nachbetreuung im ersten Jahr nach der Operation engmaschig (nach einem Monat) sowie quartalsweise erfolge, werde nach Ablauf von zwei Jahren eine einmalige jährliche Konsultation gefordert. Da zunehmend restriktive Verfahren (Einschränkung der Nahrungszufuhr durch Magenband), auch malsorptive Verfahren einsetzten, die langfristig gesehen Mangelerscheinungen hervorriefen, müsse diese Betreuung lebenslänglich erfolgen. Sie hätten versucht, diese Patienten auch an andere Einrichtungen und niedergelassene Ärzte weiter zu leiten, hätten jedoch feststellen müssen, dass die spezielle Nachbehandlung nicht nur bei auftretenden Problemen nach biliopankreatische Diversion, Magenbypass, biliopankreatische Diversion mit Duodenal-Switch auf erhebliche Probleme gestoßen sei. Die Patienten bräuchten letztendlich eine fachgerechte Betreuung, um die Entwicklung schwerer Mangelzustände, lebensbedrohliche Zustände zu vermeiden. Er bitte daher auch für Kassenpatienten um die Möglichkeit der jährlichen Konsultation durch Erweiterung der Laufdauer eine Nachbetreuung zu berichtigen.
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Die Klägerin führte hierzu unter Datum vom 31.07.2006 aus, aufgrund der derzeitigen Ermächtigung rechne der Kläger durchschnittlich 235 Fälle pro Quartal ab. Den Antrag auf Erweiterung der Ermächtigung empfehle sie abzulehnen, die Behandlung von morbiden Adipositas-Patienten falle nicht in den Bereich der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen. Es handele sich um so genannte IGEL-Leistungen. Für die Operation eines Magenbandes sei eine schriftliche Kostenübernahmeerklärung der jeweiligen Krankenkasse notwendig. Somit fallen die konsiliarische Betreuung und die ambulante Nachbehandlung in das Gesamtpaket, welches direkt mit den Krankenkassen abzurechnen sei. Diese Leistungen könnten im Rahmen einer Ermächtigung nicht zu Lasten der Gesamtvergütung gehen.
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Der Kläger erwiderte hierauf unter Datum vom 15.08.2006, es gehe hier nicht um die Nachbehandlung von morbiden Adipositas-Patienten. Es gehe nicht um so genannte IGEL-Leistungen. Es sei zwar richtig, dass eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen derzeit nicht bestehe, dennoch nehme die Zahl der erteilten Genehmigungen durch die gesetzlichen Krankenkassen deutlich zu. Alle Patienten, die mit einer adipositas-chirurgischen Maßnahme behandelt worden seien, müssten sich einer lebenslangen Nachbetreuung unterziehen. Dazu gehörten nicht nur Operationen des Magenbandes, sondern auch die Magenbypass-Verfahren, die biliopankreatischen Diversionen und weitere komplizierte operative Eingriffe. Während bei Magenband-Patienten lediglich die Füllung des Magenbandes unter Röntgen-Durchleuchtung durch einen Chirurgen notwendig werde, seien alle anderen Operationsverfahren durch eine lebenslange Supplementation von Vitaminen und Mineralien zu behandeln. Zur Realisierung der Nachbetreuung der wachsenden Anzahl von Patienten, auch in Deutschland, die sich einer adipositas-chirurgischen Maßnahme unterzogen hätten, hätten sie in A-Stadt ein Netzwerk gegründet. Es träten gelegentlich chirurgisch relevante Probleme auf, die einer fachchirurgischen Konsultation bedürften. Dies müsse gewährleistet sein. Unter Datum vom 17.08.2006 führte er weiter aus, der Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses gehe in die Richtung einer besser koordinierten Behandlung der Adipositas als chronische Krankheit.
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Der Zulassungsausschuss lehnte mit Beschluss vom 12.09.2006 den Antrag auf Erweiterung der Ermächtigung ab. Er machte sich die Ausführungen der Klägerin zu eigen.
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Der Beigeladene zu 1) legte hiergegen am 14.12.2006 Widerspruch ein. Er wies nochmals darauf hin, dass alle Operationen mit Genehmigung der Krankenkassen durchgeführt würden. Es müsse deshalb auch für eine Nachbetreuung Sorge getragen werden. Die willkürliche Festlegung auf einen Zeitraum von zwei Jahren sei irrational und durch nichts zu begründen. Sollte der Hintergrund der Mangel an finanziellen Ressourcen sein, dürfte man die Operation auch nicht genehmigen.
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Die Klägerin blieb unter Datum vom 26.06.2007 bei ihrer Meinung, dass die Behandlung von morbiden Adipositas-Patienten nicht in den Bereich der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen gehörte. Somit fielen die konsiliarische Beratung, ambulante Nachbehandlung sowie alle im Zusammenhang stehenden Behandlungen in das Gesamtpaket, welches direkt mit den Krankenkassen abzurechnen sei. Der Beigeladene zu 1) habe selbst erwähnt, dass es sich derzeit hierbei nicht um eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse handele.
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Der Beklagte gab dem Widerspruch mit Beschluss vom 01.08.2007, ausgefertigt am 07.11. und dem Beigeladenen zu 1) zugestellt am 12.11.2007 insoweit statt, als er den Leistungskatalog um folgende Nr. 3 erweiterte:3. Konsiliarische Beratung eines Vertragsarztes bei der Behandlung von morbiden Adipositas-Patienten nach operativer Behandlung derselben und Ablauf der Nachbehandlungsmöglichkeit gemäß Ziffer 2. dieser Ermächtigung, abzurechnen nach den Nummern 01310 bis 01312, 01600, 01601, 07215, 40120 und 40122 EBM 2000; das Operationsdatum ist anzugeben.
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Zur Begründung führte er aus, es bestehe eine Versorgungslücke. Die Behandlung und Versorgung von morbiden Adipositas-Patienten nach deren Operation sei eine Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung jedenfalls dann, wenn die gesetzliche Krankenversicherung durch ihre Operationsgenehmigung festgestellt habe, dass eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung bestehe. Da die Versorgung dieser Patienten auch nach Ablauf von zwei Jahren nach der Operation den medizinischen Erfordernissen entspreche und aus therapeutischer Sicht zwingend sei, könne nicht davon ausgegangen werden, dass nach Ablauf von zwei Jahren nach der Operation diese Leistungen zu sog. IGEL-Leistungen würden. Grundsätzlich sei diese Beurteilung auch nicht umstritten, da gegen die Ermächtigung des Beigeladenen zu 1) für die Nachbehandlung derartiger Patienten für die Dauer von zwei Jahren mit Beschluss des Zulassungsausschusses Ärzte kein Rechtsmittel eingelegt worden sei. Es sei daher in keiner Weise nachvollziehbar, weshalb nach Ablauf der 2-Jahres-Frist die für die Versorgung morbider Adipositas-Patienten nach deren Operation zu erbringenden Leistungen aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung herausfallen sollten. Es treffe zu, dass für den konsiliarischen Rat nach Ablauf der 2-Jahres-Frist nach der Operation eine Lücke in der vertragsärztlichen Versorgung bestehe. Es sei daher folgerichtig, auch für die Indikationsstellung bezüglich weiterer Eingriffe wie Umwandlungs- und Revisionseingriffe eine derartige Ermächtigung zu erteilen.
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Hiergegen hat die Klägerin am 30.11.2007 die Klage erhoben.
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Der Zulassungsausschuss für Ärzte erneuerte mit Beschluss vom 13.12.2007 die Ermächtigung des Beigeladenen zu 1) befristet bis zum 31.12.2009. Im Ermächtigungskatalog folgte er dem angefochtenen Beschluss des Beklagten. Der Beschluss wurde mit Datum vom 31.01.2008 ausgefertigt und den Beteiligten übersandt.
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Die Klägerin trägt zur Begründung ihrer Klage vor, sie habe gegen den weiteren Beschluss des Zulassungsausschusses Widerspruch eingelegt. Ihre Klage sei als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig. Leistungsrechtliche Voraussetzung für eine Ermächtigung sei insbesondere, dass die Leistungen der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung zuzurechnen seien. Es würden somit keine Leistungen umfasst, für welche die Krankenkassen nicht leistungspflichtig seien oder deren Sicherstellung anderen Leistungserbringern obliege (§ 3 Abs. 1 BMV-Ä). Sie sei weiterhin der Auffassung, dass die Behandlung von morbiden Adipositas-Patienten nicht dem Bereich der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen falle. Die Krankenkasse könne zwar die Genehmigung erteilen. Allerdings komme die Implantation eines Magenbandes nur als ultima ratio und nur bei Patienten in Betracht, die ein Reihe weiterer Bedingungen für eine erfolgreiche Behandlung erfüllten (BSG, Beschluss vom 17.10.2006 – B 1 KR 104/06 B - ; BSG, Urteil vom 19.02.2003 – B 1 KR 1/02 R -). Die Leistungen seien außerdem nicht im EBM enthalten. Somit fielen konsiliarische Beratung, ambulante Nachbehandlung sowie alle im Zusammenhang stehenden Behandlungen in das Gesamtpaket, welches direkt mit den Krankenkassen abzurechnen sei. Diese Leistungen könnten folglich nicht im Rahmen einer Ermächtigung zu Lasten der Gesamtvergütung gehen. Der Beklagte übersehe, dass selbst bei einer Operationsgenehmigung die in diesem Zusammenhang stehenden Behandlungen in das Gesamtpaket fielen, die direkt mit den Krankenkassen abzurechnen seien. Eine Abrechnung könne also nicht zu Lasten der Gesamtvergütung gehen. Dies gelte auch für Leistungen, die nach Ablauf von zwei Jahren nach der Operation erforderlich werden könnten. Auch sei die Ziffer 2.3 des Ermächtigungskataloges zu weit gefasst. Sie beinhalte auch die Behandlung von Patienten, für die keine Operationsgenehmigung vorliege. Sie habe inzwischen auch gegen die Erneuerung der Ermächtigung vollumfänglich Widerspruch eingelegt. Der Versorgungsbedarf sei nicht ersichtlich. Im Übrigen verweise sie auf ihr bisheriges Vorbringen im Verwaltungsverfahren.
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Die Klägerin beantragt,
1. den Beschluss des Beklagten vom 01.08.2007 insoweit aufzuheben, als unter Ziffer 3 des Bescheidtenors eine Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Auslagen des Beigeladenen zu 1) festgesetzt wurde,
2. festzustellen, dass der Beschluss des Beklagten vom 01.08.2007 hinsichtlich der Ermächtigung nach Ziffer 2.3 des Bescheidtenors rechtswidrig war.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Unter Verweis auf die Ausführungen im angefochtenen Beschluss im Übrigen führt er ergänzend aus, Gegenstand des Rechtsstreits sei nicht die Frage, überhaupt die konsiliarische Beratung im Vorfeld einer operativen Behandlung morbider Adipositas-Patienten sowie ihre Nachbehandlung innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren nach der Operation Gegenstand einer Ermächtigung sein könne. Aus der bestandskräftigen Ermächtigung zur konsiliarischen Beratung vor einer Operation sowie zur Nachbehandlung innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren ergebe sich zwangsläufig, dass dem Beigeladenen zu 1) auch eine Ermächtigung zur konsiliarischen Beratung nach dem Ablauf der 2-Jahres-Frist nach der Magenband-Operation zu erteilen sei. Mit der Ermächtigung habe die Klägerin akzeptiert, dass die Leistungen aus der Gesamtvergütung vergütet werden müssten. Es sei nicht nachzuvollziehen, weshalb die Leistungspflicht der Klägerin aus der Gesamtvergütung nach Ablauf von zwei Jahren erlöschen solle. Eine weitere ärztliche Behandlung sei aber lebenslänglich erforderlich (vgl. Urteil des BSG vom 19.02.2003 – B 1 KR 1/02 R– juris Rndr. 21). Liege eine Genehmigung vor, so handele es sich um eine krankenversicherungsrechtliche Leistung. Gegenstand des Genehmigungsverfahrens sei eine Indikationsprüfung. Liege die Indikation vor, handele es sich um eine Kassenleistung. Die Modalitäten der Abwicklung richteten sich in einem solchen Fall nach den üblicherweise bestehenden Finanzierungsgrundsätzen. Aus dem Kontext des gesamten Ermächtigungskataloges ergebe sich, dass nur Patienten erfasst werden, bei denen eine genehmigte Operation durchgeführt worden sei. Im Übrigen bedürfe diese Operation stets der vorherigen Genehmigung der Krankenkasse. Der Vortrag, es fehle an einem quantitativ-allgemeinen bzw. qualitativ-speziellen Versorgungsbedarf, sei völlig neu. Der Beigeladene zu 1) sei ein ausgewiesener Fachmann im Bereich der chirurgischen Behandlung extremer Adipositas. Die Klägerin habe auch den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 25.10.2005 akzeptiert gehabt. Von daher habe er es nicht für erforderlich angesehen, hier nochmals im Einzelnen zur Frage des Bedarfs Stellung zu nehmen.
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17
Der Beigeladenen zu 1) beantragt,
die Klage abzuweisen.
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18
Er trägt vor, die Klägerin habe ihm eine schriftliche Untersagung der Abrechnung von ärztlichen Leistungen für die Punkte 2. und 3. der Ermächtigung zugestellt. Wegen der langfristigen Vergabe von Terminen komme dies einer logistischen Katastrophe gleich.
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Die Beigeladenen zu 2) bis 8) haben keinen Antrag gestellt und sich schriftsätzlich nicht zum verfahren geäußert.
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Die Kammer hat mit Beschluss vom 30.11.2007 die Beiladung ausgesprochen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen. | 1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Gerichtskosten und die notwendigen Verfahrenskosten des Beklagten und des Beigeladenen zu 1) zu tragen. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten. | 0 |
Hessisches Landessozialgericht 3. Senat | Hessen | 0 | 1 | 05.02.2010 | 0 | Randnummer
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Die Beteiligten streiten zum einen um die Höhe der nach einem erlittenen Arbeitsunfallereignis verbliebenen Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) und andererseits um die Rechtmäßigkeit einer Entziehungsentscheidung einer gewährten Verletztenrente.
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Der Kläger ist 1939 geboren und war seit 1. Dezember 1961 im Rahmen eines Beamtenverhältnisses bei der XY. tätig.
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Am 17. März 1987 erlitt der Kläger einen Unfall im Rahmen seiner selbständigen Tätigkeit als Kanalreiniger, die er inzwischen aufgenommen hatte, als er beim Aussteigen aus dem LKW am Trittbrett hängen blieb und auf die rechte Seite fiel. Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass der Kläger hierbei eine Hüftpfannenfraktur rechts und eine Sitzbeinfraktur rechts erlitt.
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Des Weiteren ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass der Kläger einen weiteren versicherten Arbeitsunfall am 18. Mai 1994 erlitt, der aufgrund eines Bescheids vom 10. Mai 2002 nach einer MdE in Höhe von 10 v.H. seit dem 1. Januar 1997 entschädigt wird.
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Erstmals am 26. März 2001 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Rentenleistungen wegen der Folgen des Unfalles vom 17. März 1987. Die Beklagte veranlasste ein unfallchirurgisches Gutachten bei Dr. X. vom 24. September 2001, der darin ausführte, dass die Beweglichkeit des rechten Hüftgelenkes leicht bis endgradig behindert sei, wobei auch links eine leichte Beeinträchtigung festzustellen sei. Röntgenologisch zeige sich, dass die Knochenbrüche sowohl der Hüftpfanne als auch des Sitzbeines zwischenzeitlich vollständig konsolidiert seien. Eine Fehlstellung sei nicht erkennbar. Es würden sich diskret vermehrte Abnutzungserscheinungen des rechten Hüftgelenkes zeigen. Unfallunabhängig bestünden aber geringe Verschleißerscheinungen beider Hüftgelenke. Die MdE sei auf unfallchirurgischem Fachgebiet auf unter 10 v.H. einzuschätzen.
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Die Beklagte veranlasste ein neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten bei Dr. AU. vom 15. November 2001, der feststellte, dass das Unfallereignis vom 17. März 1987 eine leichte Schwäche der Hüftabduktion und ein angedeutet gestörtes Gangbild beim Kläger verursacht habe. Es sei davon auszugehen, dass unfallbedingt eine geringfügige neurogene Schädigung, wie sie im Rahmen eines Periformis-Syndroms bei massivem Gesäßanprall vorkomme, eingetreten sei. Daraus resultiere eindeutig eine leichte Schwäche der Hüftabduktion und auch des glutius maximus bei entsprechend angedeutet gestörtem Gangbild mit angedeutetem Trendellburgischem Phänomen und Absinken des Beckens in Einbeinstand. Hierdurch sei auch auf neuro-psychiatrischem Gebiet eine messbare MdE in Höhe 10 v.H. zu bewerten. Darüber hinaus bewertete Dr. AU. auch die verbliebenen Folgen des weiteren Arbeitsunfalles aus dem Jahre 1994 auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet und führte hierzu aus, dass aufgrund einer erlittenen pilontibialer Fraktur eine perinäus Profundusschädigung mit glaubhaft subjektiver Beschwerdesymptomatik verblieben sei und eine MdE von ebenfalls 10 v.H. deshalb zu verzeichnen sei.
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Die Beklagte holte eine ergänzende Stellungnahme bei Dr. X. vom 30. November 2001 ein, der die Folgen des Unfalles vom 17. März 1987 unter Einbeziehung der unfallchirurgischen Folgen mit einer MdE von unter 10 v.H. und der neurologischen Folgen mit einer MdE von 10 v.H. sowie die Gesamt-MdE auf 15 v.H. ab dem 1. Januar 1997 einschätzte.
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Durch Bescheid vom 12. Mai 2002 gewährte die Beklagte dem Kläger wegen der Folgen des Unfalles vom 17. März 1987 eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 10 v.H., beginnend ab 1. Januar 1997 und berücksichtigte hierbei eine leichte Schwäche der Hüftabspreizung sowie Gefühlsstörung der Gesäßaußenseite rechts. Die Rentenansprüche vor dem 1. Januar 1997 seien gemäß § 45 SGB I verjährt. Die Rente werde gezahlt, weil und solange gleichzeitig infolge des Unfalles vom 18. Mai 1994 mindestens eine MdE in Höhe von 10 v.H. bestehe.
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Auf den hiergegen am 27. Mai 2002 mit der Begründung erhobenen Widerspruch, dass eine MdE von mindestens 15 v.H. gegeben sei, veranlasste die Beklagte eine weitere ergänzende Stellungnahme des Dr. X. vom 10. September 2002. Er korrigierte die Gesamt-MdE auf 10 v.H. mit der Begründung, seine erste Stellungnahme habe einen Schreibfehler enthalten, weil unfallchirurgisch keine messbare MdE vorliege. Eine Stellungnahme des Beratungsarztes der Beklagten vom 15. Oktober 2002 ergab, dass entsprechend den Ausführungen von Dr. X. die Gesamt-MdE infolge des Unfalles vom 17. März 1987 nur 10 v.H. betrage.
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Eine Arbeitgeberauskunft der XY. AG vom 19. November 2002 ergab, dass dem Kläger vom 17. März 1986 bis zum 16. März 1987 Entgelt in Höhe von 33.880,19 DM gezahlt worden seien. Eine Nebentätigkeit während der Zugehörigkeit zu dem Unternehmen sei nicht bekannt gewesen. Ein entsprechender Nebentätigkeitsantrag bzw. Genehmigung sei nicht in der Personalakte enthalten. Weiterhin teilte die XY. AG mit, dass der Kläger mit Ablauf des 31. Juli 1987 zur Ruhe gesetzt worden sei und ab 1. August 1987 Versorgungsbezüge nach allgemeinen beamtenrechtlichen Vorschriften erhalten habe. Der Kläger selbst reichte am 21. Februar 2003 die Kopie einer zur Einsichtnahme vorgelegten Originalurkunde mit Datum vom 27. April 1987 zu den Akten, wonach er als Postbetriebsassistent in den Ruhestand versetzt werde. Nach schriftlicher Mitteilung der XY. AG vom 23. März 2003 wurde der Kläger mit Bescheid vom 27. April 1987 in den Ruhestand gemäß § 44 Abs. 2 BBG versetzt, weil dauerhafte Dienstunfähigkeit gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 BBG vorgelegen habe. Der Kläger habe seine Tätigkeit bei der XY. bis zum 1. Oktober 1986 ausgeführt, er sei ab 2. Oktober 1986 bis zur Versetzung in den Ruhestand krank gewesen. Bis 31. Juli 1987 habe er aktive Dienstbezüge und ab 1. August 1987 Versorgungsbezüge nach allgemein beamtenrechtlichen Vorschriften bezogen.
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Am 18. Februar 2003 hörte die Beklagte den Kläger zur beabsichtigten Entziehung der wegen der Folgen des Unfalles vom 17. März 1987 gewährten Rente an. Durch Bescheid vom 26. März 2004 nahm die Beklagte den Bescheid vom 10. Mai 2002 zurück und entzog dem Kläger die Verletztenrente wegen des Arbeitsunfalls vom 17. März 1987 zum 31. März 2004 mit der Begründung, dass aufgrund des durch die Ermittlungen festgestellten Sachverhalts, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt Beamter gewesen sei, die Regelung des § 61 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB VII) einschlägig sei, weil der formelle Beamtenstatus unabhängig von der Dienstunfähigkeit über den 17. März 1987 hinaus bestanden hätte. Danach werde eine Versichertenrente mindestens in Höhe des Unfallausgleichs bei Dienstunfällen gezahlt, die in Höhe der Grundrente nach § 31 BVG gewährt werde. Die entsprechende MdE müsse mindestens 25 v.H. betragen, die jedoch auch unter Berücksichtigung des weiteren Arbeitsunfalles vom 18. Mai 1994 im Falle des Klägers nicht gegeben sein. Daher sei die Gewährung der Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. März 1987 rechtswidrig gewesen, weshalb der Bescheid vom 10. Mai 2002 mit Wirkung zum 1. April 2004 aufzuheben sei. Das öffentliche Interesse an einer Korrektur des Bescheides im Sinne einer materiellen Entscheidung das Vertrauen des Klägers auf die Bestandskraft der Entscheidung seien abzuwägen, weshalb eine rückwirkende Änderung des günstigen Bescheides ausscheide, jedoch mit Wirkung für die Zukunft diese aufzuheben sei, weil das Interesse der Solidargemeinschaft der Versicherten für Leistungen aufzukommen, die der geltenden Rechtslage nicht entsprechend höher einzuschätzen sei, als das Interesse des Klägers auf Dauerrentenleistungen ohne Rechtsgrundlage zu erhalten. Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch den der Kläger damit begründete, dass sein Arbeitsplatz bei der XY. zum Unfallzeitpunkt bereits weggefallen gewesen sei, sowie, dass die Folgen des Arbeitsunfalles vom 17. März 1987 eine MdE von 15 v.H. ergäben, weshalb unter Beachtung des Stützrententatbestandes insgesamt die MdE 25 v.H. erreicht werde, wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 2006 zurück. Es sei für dieses Unfallereignis weder eine höhere MdE anzunehmen noch komme es für den Beamtenstatus darauf an, ob der Kläger bereits vorher nicht mehr aktiv gewesen sei.
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Die hiergegen erhobene Klage vom 2. Januar 2007 hat das Sozialgericht Wiesbaden durch Urteil vom 3. August 2007 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die MdE-Einschätzung der Beklagten unter Berücksichtigung sämtlicher vorliegender Gutachten und Befunde nicht zu beanstanden sei und jedenfalls die Summe der MdE aus beiden Unfällen 25 v.H. nicht erreiche. Des Weiteren komme es auf den formalen Beamtenstatus an und in diesem Sinne sei der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalles vom 17. März 1987 aktiver Beamter im Sinne der vorgenannten beamtenrechtlichen Vorschriften gewesen, weil die Ruhestandsurkunde vom 27. April 1987 und damit nach dem Unfallzeitpunkt datiere.
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Gegen das am 15. August 2007 dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellte Urteil richtet sich dessen Berufung vom 14. September 2007, die er im Wesentlichen mit der Klagebegründung begründet. Vor allem vertritt er die Auffassung, dass er aufgrund der bestehenden Dienstunfähigkeit kein aktiver Beamter gewesen sei.
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Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 3. August 2007 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 2002 abzuändern sowie den Bescheid vom 26. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 2006 aufzuheben, sowie die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger wegen der Folgen des Unfalls vom 17. März 1987 eine Verletztenrente nach eine MdE von mindestens 15 v.H. zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Sie bezieht sich im Wesentlichen auf die Begründung des Widerspruchsbescheides sowie die Begründung des erstinstanzlichen Urteils.
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Im Anschluss an den Erörterungstermin haben sich die Beteiligten übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter als Einzelrichter einverstanden erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten auch im Vorbringen der Beteiligten wird auf die Gerichts- und auf die Beklagtenakte Bezug genommen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war. | I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 3. August 2007 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Baden-Württemberg | 0 | 1 | 1 | 1
Vorliegend begehrt die Klägerin von der Beklagten die Erstattung der von ihr gezahlten Aufwandspauschale i.H.v. 300,00 EUR.
2
Die bei der Klägerin krankenversicherte ... wurde vom 16. bis 21.05.2014 in der Tropenklinik P.-L.-Krankenhaus, deren Trägerin die Beklagte ist, vollstationär behandelt.
3
Für diesen vollstationären Krankenhausaufenthalt stellte die Beklagte der Klägerin mit Rechnung vom 16.06.2014 einen Betrag i.H.v. 2.700,19 EUR (ohne Selbstbeteiligung) in Rechnung, der von der Klägerin auch in vollem Umfang bezahlt wurde.
4
Hierbei hatte die Beklagte unter anderem für die Hauptdiagnose den ICD-10-Kode R53 („akute Blutungsanämie“) und als Fallpauschale die Diagnosis Related Group (DRG) Q61E („Erkrankungen der Erythrozyten ohne komplexe Diagnose, ohne aplastischer Anämie, ohne äußerst schwere CC“) in Ansatz gebracht.
5
Mit Schreiben vom 18.06.2014 beauftragte die Klägerin den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) mit der Abgabe einer gutachterlichen Stellungnahme zu den Fragen „Ist die DRG korrekt?“ und „Ist die Hauptdiagnose (HD) korrekt?“. Dr. ... vom MDK gelangte in seinem Gutachten vom 19.09.2014 zu dem Ergebnis, sowohl Hauptdiagnose als auch DRG seien korrekt in Ansatz gebracht worden.
6
Die Beklagte stellte der Klägerin daraufhin mit der dort am 16.10.2014 eingegangenen Rechnung vom 15.10.2014 für die erfolglose MDK-Prüfung eine Aufwandspauschale i.H.v. 300,00 EUR in Rechnung, die von der Klägerin am 30.10.2014 gezahlt wurde.
7
Gestützt auf mehrere Urteile des Bundessozialgerichtes (BSG) vom 25.10.2016 forderte die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 21.03.2017 zur Erstattung der gezahlten Aufwandspauschale mit der Begründung auf, für den hier vorliegenden Fall einer sachlich-rechnerischen Rechnungsprüfung sei jedenfalls nach der für den Zeitraum bis 31.12.2015 geltenden Rechtslage keine Aufwandspauschale zu zahlen.
8
Nachdem Erinnerungen vom 19.04. und 02.06.2017 erfolglos geblieben waren, hat die Klägerin am 06.11.2018 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) mit dem Begehren erhoben, die Beklagte zur Erstattung der gezahlten Aufwandspauschale nebst Zinsen hieraus zu verurteilen.
9
Zur Begründung hat sie im Wesentlichen vorgetragen, nach der Rechtsprechung des BSG bestehe ein Anspruch auf Aufwandspauschale nur dann, wenn eine Auffälligkeitsprüfung in Bezug auf das Wirtschaftlichkeitsgebot erfolgt sei. Die hier von ihr beauftragte Kodierungsprüfung betreffe aber nicht die Frage der Wirtschaftlichkeit, sondern die sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnung. Danach sei ein Anspruch der Beklagten auf die Aufwandspauschale nicht entstanden. Diese sei daher auf der Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs verpflichtet, ihr die gezahlte Aufwandspauschale zu erstatten.
10
Die Klägerin beantragt,
11
die Beklagte zu verurteilen, an sie 300,00 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 31.10.2014 zu zahlen.
12
Die Beklagte beantragt,
13
die Klage abzuweisen.
14
Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, sie habe zu Recht eine Aufwandspauschale gegenüber der Klägerin abgerechnet. Die durch die Klägerin veranlasste Prüfung durch den MDK habe nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages geführt. Nach dem Wortlaut des § 275 Abs. 1c des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) schulde die Klägerin daher die abgerechnete und von ihr vorbehaltlos bezahlte Aufwandspauschale.
15
Zudem handelt es sich bei der Überprüfung durch den MDK um eine Auffälligkeitsprüfung, nicht um eine sachlich-rechnerische Überprüfung. Weder der MDK noch die Klägerin hätten den Prüfauftrag als sachlich-rechnerische Überprüfung bezeichnet. Überdies impliziere die Frage nach der richtigen DRG zwangsläufig auch die Frage der Wirtschaftlichkeit und der Verweildauer. Zweifel bei der Frage der Auslegung des Prüfauftrags an den MDK gingen zu Lasten der Auftraggeberin, hier also der Klägerin. Aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Empfängers habe es sich beim Prüfauftrag der Klägerin um eine Auffälligkeitsprüfung gehandelt, weshalb sie die vorbehaltlos bezahlte Aufwandspauschale zu Recht entrichtet habe.
16
Zudem stehe der Anwendung der Rechtsprechung des BSG zur sogenannten sachlich-rechnerischen Überprüfung auf Fälle vor dem 01.07.2014 das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot entgegen.
17
Die Klägerin habe die streitgegenständliche Aufwandspauschale vorbehaltlos gezahlt, und zwar nach der Veröffentlichung der Entscheidung des BSG vom 01.07.2014. Sie habe also in Kenntnis der Rechtsprechung des BSG geleistet. Unterstelle man, die Leistung sei tatsächlich zu Unrecht erfolgt, habe die Klägerin jedoch in Kenntnis der Nichtschuld gezahlt, so dass sie mit einer Rückforderung in entsprechender Anwendung von § 814 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ausgeschlossen sei.
18
Darüber hinaus stehe der Rückforderung der Einwand von Treu und Glauben entgegen. Die Klägerin habe über Jahre hinweg in vergleichbaren Konstellationen stets Aufwandspauschalen entrichtet. Mit dem Grundsatz von Treu und Glauben sei es unvereinbar, eine vorbehaltlos in Kenntnis der Rechtsprechung des BSG vom 01.07.2014 bezahlte Aufwandspauschale zurückzufordern. Auch das SG, bestätigt durch das Landessozialgericht Baden-Württemberg (Urteil vom 09.04.2019 - L 11 KR 1359/18 -) sei der Auffassung, dass vorbehaltlos bezahlte Aufwandspauschalen nicht zurückzuzahlen seien, da dies dem Grundsatz von Treu und Glauben widerspreche.
19
Zudem sei der Erstattungsanspruch verjährt.
20
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorgelegten Beklagtenakte und der Gerichtsakte Bezug genommen.
21
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt. | 1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Die Sprungrevision wird zugelassen. | 0 |
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Landessozialgericht Berlin-Brandenburg 11. Senat | Berlin | 0 | 1 | 17.08.2023 | 0 | Randnummer
1
Die Klägerin wendet sich gegen eine Absenkung ihres Grades der Behinderung (GdB) auf unter 50.
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2
Bei der 1960 geborenen Klägerin wurde 2013 ein invasiv duktales Mammakarzinom links im Stadium cT1c pN1a G3 diagnostiziert. An eine Sentinel-Lymph-Node-Biopsie schlossen sich eine Chemotherapie und eine brusterhaltende Therapie nach Markierung sowie eine axilläre Revision links am 27. Februar 2014 und schließlich eine Bestrahlung an. Mit Bescheid vom 16. Januar 2014 stellte der Beklagte zugunsten der Klägerin wegen einer Gewebeneubildung der linken Brustdrüse in Heilungsbewährung den GdB mit 60 fest. Auf einen Neufeststellungsantrag der Klägerin erhöhte der Beklagte den GdB mit Bescheid vom 18. Dezember 2014 auf 70, wobei er zusätzlich eine psychische Störung (Einzel-GdB 20), eine Nervenstörung (Polyneuropathie) beider Beine (Einzel-GdB 20) und einen Teilverlust der linken Brust (Einzel-GdB 10) berücksichtigte.
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Anfang 2019 leitete der Beklagte eine Nachprüfung des GdB von Amts wegen ein. Nach medizinischen Ermittlungen und nach Anhörung der Klägerin mit Schreiben vom 3. April 2019 stellte der Beklagte mit Bescheid vom 15. Januar 2020 unter entsprechender Aufhebung seines Bescheides vom 18. Dezember 2014 mit Wirksamkeit ab Bekanntgabe des Bescheides den GdB mit 30 fest, wobei er eine psychische Störung (Einzel-GdB 20), eine Harninkontinenz (Einzel-GdB 20), eine Nervenstörung (Polyneuropathie) beider Beine (Einzel-GdB 20), einen Teilverlust der linken Brust (Einzel-GdB 10), eine Funktionsstörung der Wirbelsäule (Einzel-GdB 20), ein Lymphödem des linken Armes (Einzel-GdB 20) und eine Nervenstörung (Polyneuropathie) beider Arme (Einzel-GdB 20) berücksichtigte. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 6. April 2020 zurück.
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Hiergegen hat die Klägerin am 27. April 2020 Klage erhoben.
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Das Sozialgericht hat Befundberichte eingeholt bei dem Frauenarzt Dr. G, dem Orthopäden F, der Internistin Dr. K-G und bei dem Medizinischen Versorgungszentrum D T Z – A F Tor.
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6
Das Sozialgericht hat bei dem praktischen Arzt M ein medizinisches Gutachten vom 15. April 2021 eingeholt, das dieser nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 5. März 2021 erstellt hat und in dem er zu der Einschätzung gelangt ist, der GdB bei der Klägerin habe am 6. April 2020 40 betragen und betrage auch aktuell 40. Dabei sei von folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und Einzel-GdB auszugehen:
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- Funktionsminderung der Hand- und Fingergelenke, Nervenstörung der Arme (Polyneuropathie), Lymphödem des linken Armes (20),
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8
- Funktionsminderung der Wirbelsäule (20),
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- Nervenstörung (Polyneuropathie) beider Beine (20),
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- rezidivierende depressive Störungen (20),
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- Harninkontinenz (20),
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- Teilverlust der linken Brust (10).
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Der Beklagte hat zu dem Gutachten des Sachverständigen M eine umfangreiche ärztliche Stellungnahme von Dr. H zu den Gerichtsakten gereicht, der erklärt hat, dem Sachverständigen könne nicht gefolgt werden, es liege sogar nur ein Gesamt-GdB von 20 vor.
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Auch die Klägerin hat zu dem Gutachten von dem Sachverständigen M eingehend Stellung genommen. Sie hat erklärt, die Funktionsstörungen im Bereich der Hände, Finger und Handgelenke, der Hals- und der Lendenwirbelsäule sowie die Neuropathie in den Füßen und Beinen und die Reizblase und Harninkontinenz seien jeweils unzureichend bewertet worden. Zu Unrecht unberücksichtigt geblieben seien ein allergisches Asthma, eine Fettleber mit Leberzyste, ein chronischer Bluthochdruck, eine Mikroangiopathie der Hirngefäße und eine Wanderniere.
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Zu den Einwänden der Beteiligten hat der Sachverständige unter dem 29. Juni 2021 (Beklagter) und dem 4. August 2021 (Klägerin) auf Anforderung des Sozialgerichts gutachtlich Stellung genommen, der jeweils im Wesentlichen erklärt hat, an seiner Einschätzung festzuhalten.
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Die Klägerin hat Befunde zu ihrer Asthma-Erkrankung zu den Gerichtsakten gereicht, zu denen der Sachverständige M unter dem 9. September 2021 auf Anforderung des Sozialgerichts Stellung genommen hat. Der Sachverständige hat erneut erklärt, an seiner Einschätzung festzuhalten.
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Das Sozialgericht hat der auf Erhalt eines GdB von 50 gerichteten Klage durch Urteil vom 19. Mai 2022 teilweise stattgegeben, als es den Bescheid des Beklagten vom 15. Januar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. April 2020 aufgehoben hat, soweit damit bei der Klägerin ein GdB von weniger als 40 festgestellt worden ist. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen bei einer Kostenquote von der Hälfte. Der angefochtene Bescheid sei, auch soweit er sich Wirksamkeit ab Bekanntgabe beimesse, hinreichend bestimmt. Er sei im Übrigen rechtswidrig, soweit mit ihm der GdB auf unter 40 abgesenkt worden ist. Grundlage sei § 48 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Hier sei allerdings in den tatsächlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheides vom 18. Dezember 2014 vorgelegen hätten, eine wesentliche Änderung insoweit eingetreten, als hinsichtlich der Brustkrebserkrankung Heilungsbewährung eingetreten sei. Nach Teil B Nr. 14.1 der versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG) habe der Beklagte die Brustkrebserkrankung bei dem hier einschlägigen Tumorstadium zutreffend mit 60 bewertet. Da in der Folgezeit kein Rezidiv und auch keine Metastasen aufgetreten seien, sei die Heilungsbewährung abgelaufen und könne ein GdB für die Brustkrebserkrankung daher nicht mehr festgestellt werden. Die noch verbliebenen Funktionsbeeinträchtigungen seien mit einem GdB von 40 zu bewerten. Dies ergebe sich aus dem Gutachten des Sachverständigen M, wobei maßgeblich bei der hier zulässigen reinen Anfechtungsklage der Zeitpunkt bei Erlass des Widerspruchsbescheides im April 2020 sei. Nicht mit Einzel-GdB zu bewerten sei ein Asthma bronchiale (Teil B Nr. 8.5 VMG), da hier keine relevante Lungenerkrankung vorliege. Insoweit seien keine Luftnotanfälle bei der Klägerin dokumentiert, der körperliche Befund sei bei der Untersuchung durch den Sachverständigen M unauffällig gewesen. Auch die Fettleber mit Leberzyste sei nach Teil B Nr. 10.3.3 VMG mit keinem Einzel-GdB zu bewerten, da normale Leberwerte vorliegen würden und die Syntheseleistung der Leber nicht beeinträchtigt sei. Auch für die Schilddrüsenerkrankung sei nach Teil B Nr. 15.6 VMG bei ausgeglichener Funktionslage unter Substitutionstherapie kein GdB zu vergeben. Auch die Mikroangiopathie der Hirngefäße rechtfertige ohne nachgewiesene kognitive Einschränkungen keinen Einzel-GdB (Teil B Nr. 3.1 VMG). Soweit der Sachverständige eine zweitgradige Einschränkung der Nierenfunktion anhand der Laborbefunde festgestellt habe, sei dies nach dem hier in den Blick zunehmenden Prüfungszeitraum aufgetreten und daher für den Fall irrelevant.
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Zu berücksichtigen sei nach Teil B Nr. 3.7 VMG eine psychische Störung mit einem Einzel-GdB von 20. Höher zu bewertende stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit lägen nicht vor. Die in der Untersuchung durch den Sachverständigen erhobenen Befunde würden auf keine relevante psychische Erkrankung hinweisen. Eine Selbsteinschätzung habe nur eine leichtgradige Depressivität ergeben. Eine fachärztliche Therapie finde zudem nicht statt. Die Klägerin erhalte von ihrer Hausärztin ein Antidepressivum verordnet und nehme mittelstarke Schmerzmittel bei Bedarf. Es werde von ihr eine gute soziale Einbindung und ein aktiver Tagesablauf geschildert. Die hier demnach bestehende leichtere psychische Störung sei mit einem Einzel-GdB von 20 maximal bewertet.
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Die Polyneuropathie der Beine sei nach Teil B Nr. 3.11 VMG ebenfalls mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Der Sachverständige habe insoweit bei der Klägerin eine stumpfförmige Sensibilitätsminderung der Beine mit nicht reduziertem Vibrationsempfinden festgestellt. Die Motorik sei intakt, es bestehe keine Ataxie. Die Befunde an den Gelenken der unteren Extremitäten seien ohne GdB-relevanten Befund gewesen. Im Vordergrund hätten ausweislich des Sachverständigengutachtens Gleichgewichtsstörungen gestanden. Gleichgewichtsstörungen mit Schwindelerscheinung mit Fallneigung bereits bei alltäglichen Belastungen oder mit Schwindel mit vegetativen Begleiterscheinungen bei höherer Belastung würden nicht vorliegen, sodass die Bewertung mit einem Einzel-GdB von 20 angemessen sei (vgl. Teil B Nr. 5.3 VMG). Die Polyneuropathie der Arme bedinge nach Teil B Nr. 3.11 VMG keinen Einzel-GdB von wenigstens 10, da sich relevante Sensibilitätsstörungen im Bereich der Hände und Finger nicht hätten nachweisen lassen.
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20
Das Lymphödem des linken Armes sei nach Teil B Nr. 9.2.3 VMG mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Dieser sei vorgesehen für einen Lymphödem an einer Gliedmaße ohne wesentliche Funktionsbehinderung. Ein höherer GdB setze eine stärkere Umfangsvermehrung (mehr als 3 cm) voraus. Eine solche liege bei der Klägerin mit einer Umfangsvermehrung von 2 cm und ohne das Tragen eines Kompressionsstrumpfes nicht vor.
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Für die Funktionsstörungen im Bereich der Hände sei entsprechend Teil B Nr. 18.13 VMG (Angabe im Urteil 14.13 ist ein offensichtlicher Schreibfehler) ein Einzel-GdB von 20 angemessen. Es bestehe bei der Klägerin eine Schmerzsymptomatik im Bereich beider Hand- und Fingergelenke bei nachgewiesenen deutlichen Arthrosen in den Fingermittel- und -endgelenken sowie degenerativen Veränderungen in den Handwurzeln und Daumengelenken. Wegen der Beschwerden habe 2020 eine Röntgenbestrahlung stattgefunden. Eine Knochenszintigraphie habe eine deutliche Mehrspeicherung im Bereich der Fingergelenke ergeben. Der behandelnde Arzt Dr. F habe eine Morgensteife von 30 Minuten dokumentiert und einen auf das ca. zweieinhalbfache erhöhten Entzündungswert CRP. Ergotherapeutisch werde eine deutliche Funktionseinschränkung der Hand- und Fingergelenke dokumentiert. Der Sachverständige M habe in der Untersuchung eine ausreichende Beweglichkeit der Handgelenke bei beidseitigem endgradigen Bewegungsschmerz in alle Richtungen ohne Schwellungen oder Entzündungszeichen der Handgelenke festgestellt. Es hätten schmerzhafte Schwellungen in den Fingermittel- und -endgelenken außer beider Kleinfinger bestanden. Die Daumengelenke seien druckschmerzhaft gewesen. Die Feinmotorik sei nicht relevant beeinträchtigt gewesen. Die Klägerin könne beispielsweise ein Maßband betätigen, Schleifen binden, Reißverschlüsse betätigen, Kochen, gebe aber etwa Probleme beim Kartoffelschälen und Gläser öffnen an. Es bestehe eine schmerzbedingte Kraftminderung der Hände, die mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten sei. Die Einschränkungen der Klägerin seien nicht vergleichbar mit beispielsweise dem kompletten Verlust eines Daumens, weshalb ein höherer Einzel-GdB ausscheide.
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22
Nach Teil B Nr. 9.3 VMG sei der medikamentös therapierte Bluthochdruck der Klägerin mit nur geringer Leistungsbeeinträchtigung mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten.
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Die Harninkontinenz sei nach Teil B Nr. 12.2.4 VMG als relative Harninkontinenz mit leichtem Harnabgang bei Belastung mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Eine Harninkontinenz mit Harnabgang tags und nachts sei bei der Klägerin nicht dokumentiert. In einem insoweit aktenkundigen Befundbericht werde ein Urinabgang nur bei Hustenprovokation, nur tröpfchenweise und keine Restharnbildung dokumentiert. Die Beschwerden würden einer leichten Stressinkontinenz mit Urinverlust beim Husten und Niesen entsprechen.
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24
Die linksseitig etwas kleinere Brust ohne kosmetische Entstellung sei nach Teil B Nr. 14.1 VMG mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten.
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25
Die Funktionsstörung der Wirbelsäule sei nach Teil B Nr. 18.9 VMG mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Eine höhere Bewertung würde mittelgradige funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten oder schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt voraussetzen. Beides liege bei der Klägerin nicht vor. Die von dem Sachverständigen M erhobenen Befunde würden allenfalls die Annahme leichter funktioneller Auswirkungen im Bereich der Halswirbelsäule und mittelgradige funktionelle Auswirkungen im Bereich der Lendenwirbelsäule rechtfertigen.
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26
Aus den vorgenannten Einzel-GdB ergebe sich kein höherer Gesamt-GdB als 40. Dabei würden sich die Einzel-GdB von je 10 nicht erhöhend auswirken. Die Funktionsstörung der Wirbelsäule und die Polyneuropathie der Beine würden sich gegenseitig verstärken, woraus sich insoweit ein GdB von 30 ergebe. Dieser GdB werde um weitere 10 Punkte aufgrund der Funktionsstörungen im Bereich der Hände erhöht, da es sich hierbei um eine zusätzliche Einschränkung in der Teilhabe handele, die Auswirkungen auf das Gesamtmaß der Behinderung habe. Eine weitere Erhöhung des GdB durch das psychische Leiden komme zur Vermeidung von Doppelbewertungen nicht in Betracht. Denn nach Teil A I. i und j VMG würden die Einzel-GdB für die orthopädischen Leiden bereits die üblichen seelischen Begleiterscheinungen und die üblicherweise vorhandenen Schmerzen miteinschließen und berücksichtigten auch erfahrungsgemäß besonders schmerzhafte Zustände. Bei dem Einzel-GdB von 20 für die psychische Störung der Klägerin handele es sich um einen schwachen GdB, der auch die Schmerzsymptomatik der Klägerin mit umfasse, sodass eine weitere Anhebung des Gesamt-GdB nicht gerechtfertigt sei.
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27
Gegen das ihr am 1. Juni 2022 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 27. Juni 2022 Berufung eingelegt. Sie meint, der angefochtene Bescheid sei nicht hinreichend bestimmt, soweit er sich Wirksamkeit „ab Bekanntgabe“ beimesse. Die Begutachtung durch den Sachverständigen M sei unzureichend und oberflächlich gewesen. Die Vielzahl der bei ihr bestehenden Erkrankungen und Leiden bedingten zwangsläufig einen GdB von 50.
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28
Auf Antrag der Beteiligten hat der Senat mit Beschluss vom 1. September 2022 mit Blick auf das beim Bundessozialgericht (BSG) anhängige Revisionsverfahren B 9 SB 2/22 R das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Nach Abschluss des genannten Revisionsverfahrens hat der Senat das Verfahren von Amts wegen wieder aufgenommen.
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29
Die Klägerin beantragt,
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30
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 19. Mai 2022 abzuändern und den Bescheid des Beklagten vom 15. Januar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. April 2020 insoweit aufzuheben, als ein geringerer Grad der Behinderung als 50 festgestellt worden ist.
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31
Der Beklagte beantragt,
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32
die Berufung zurückzuweisen.
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33
Er hält das angefochtene Urteil im angegriffenen Umfang für zutreffend.
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34
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. | Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 19. Mai 2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Kostenentscheidung des Sozialgerichts in dem angefochtenen Urteil bleibt hiervon unberührt.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
VG Berlin 38. Kammer | Berlin | 0 | 1 | 26.08.2019 | 1 | Randnummer
1
Die Klägerin begehrt ein Visum zum Zwecke des Familiennachzugs.
Randnummer
2
Die 26-jährige Klägerin ist syrische Staatsangehörige und die Ehefrau des Beigeladenen zu 2 – Herrn A... *2...1992 –, der ebenfalls syrischer Staatsangehöriger ist. Dieser ist nach eigenen Angaben im August 2015 nach Deutschland eingereist. Ihm wurde im Januar 2018 subsidiärer Schutz zuerkannt und daraufhin im Mai 2018 eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis erteilt. Die Eheschließung erfolgte im Juni 2018 vor einem Gericht in Amuda/Syrien, wobei die Klägerin von ihrem Onkel (Herrn M...) und der Beigeladene zu 2 von einem Rechtsanwalt vertreten wurden. Im Dezember 2018 beantragte die Klägerin beim Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Erbil die Erteilung eines Visums zum Zwecke des Ehegattennachzugs. Hierzu gab sie an, sie und der Beigeladene zu 2 hätten sich im Januar 2015 verlobt. Da der Beigeladene zu 2 zum Militärdienst hätte eingezogen werden sollen, sei er im Februar 2015 aus Syrien ausgereist. Sie habe bis 2017 weiter bei ihrer Mutter gelebt und sei, als diese nach Deutschland gegangen sei, zur Familie des Beigeladenen zu 2 gezogen. Im September 2018 habe der Beigeladene zu 2 sie in Erbil besucht, wo sie seitdem bei Freunden wohne. Mit Bescheid vom 10. Dezember 2018 lehnte die Botschaft den Visumantrag der Klägerin mit der Begründung ab, es fehle an der Voraussetzung, dass die Ehe vor der Ausreise aus dem Heimatland geschlossen worden ist.
Randnummer
3
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 20. Dezember 2018 erhobenen Klage. Hierzu trägt sie ergänzend vor, nach dem Aufenthaltsgesetz sei die Erteilung eines Visums zwecks Nachzuges zu einem subsidiär schutzberechtigten Ehemann nicht automatisch, sondern nur in der Regel ausgeschlossen. Eine ordnungsgemäße Ermessensabwägung der Beklagten hierzu sei nicht zu erkennen, weil die Ehe aufgrund einer tiefgehenden Liebesbeziehung geschlossen worden sei und unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes stehe. Weitere Einschränkungen als die Kontingentierung auf 1.000 Personen pro Monat seien unverhältnismäßig.
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4
Die Klägerin beantragt,
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5
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland in Erbil vom 10. Dezember 2018 zu verpflichten, ihr ein Visum zum Zwecke des Familiennachzuges (zu ihrem Ehemann) erteilen.
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6
Die Beklagte beantragt,
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7
die Klage abzuweisen.
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8
Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.
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9
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Beigeladenen zu 1 Bezug genommen, die der Kammer vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Berufung und die Sprungrevision werden zugelassen. | 0 |
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg 27. Senat | Berlin | 0 | 1 | 20.09.2012 | 0 | Randnummer
1
Der Kläger erstrebt die Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung in Form von Pflegegeld durch die Beklagte ab dem 3. Februar 2010.
Randnummer
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Bei dem 1933 geborenen und bei der Beklagten pflegeversicherten Kläger wurde im April 2005 ein Prostatakarzinom diagnostiziert. Aufgrund seines Zustandes nach Bestrahlung und regionärer Lymphknotenentfernung sowie weiterer Erkrankungen wie u.a. Harn- und Stuhlinkontinenz, arterieller Hypertonie, links vertikulärer Hypertrophie, Thalassämia minor (Mittelmeeranämie), Niereninsuffizienz, Leberzellschaden und reaktiver Depressionen beantragte der Kläger unter dem 25. Oktober 2005 bei der Beklagten die Gewährung von Pflegegeld. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Der ärztliche Gutachter P verneinte in seinem Gutachten vom 4. November 2005 das Vorliegen einer Pflegebedürftigkeit: Der tägliche Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege umfasse 0 Minuten; der Zeitbedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung betrage täglich 60 Minuten. Mit Bescheid vom 7. Dezember 2005 lehnte die Beklagte gestützt auf die Feststellungen des MDK den Antrag auf Gewährung von Pflegegeld ab. Den dagegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. April 2006 zurück.
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3
Mit der am 28. April 2006 beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Das Sozialgericht hat das Gutachten der Ärztin für Chirurgie Dr. H vom 9. August 2007 nebst ergänzender Stellungnahme vom 25. Oktober 2007 sowie das Gutachten des Pflegesachverständigen A vom 21. Juni 2008 eingeholt. Beide Sachverständigen kamen zu dem Ergebnis, dass Pflegebedürftigkeit nicht vorliege, wobei die Sachverständige Dr. H weder einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege noch der hauswirtschaftlichen Versorgung ermittelte, während der Sachverständige A bei Verneinung eines Pflegebedarfs im Bereich der Hauswirtschaft für die Grundpflege einen täglichen Hilfebedarf von 6 Minuten ansetzte. Nachdem der Kläger zur Begründung seiner Pflegebedürftigkeit auf ein forensisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten des Landesinstituts für gerichtliche und soziale Medizin Berlin vom 22. November 2007 zur Frage der Schuldfähigkeit in einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren verwies, hat das Sozialgericht die Einholung eines weiteren Gutachtens von Prof. Dr. Z angeordnet. Die Begutachtung ist jedoch nicht durchgeführt worden, da der Kläger eine weitere ambulante Untersuchung in seiner Wohnung ablehnte.
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Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil im schriftlichen Verfahren am 12. März 2009 abgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt, dass der Kläger die Voraussetzungen für die Zuordnung zu einer Pflegestufe nach den übereinstimmenden und überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. H und A nicht erfülle. Die beabsichtigte weitere Begutachtung durch Prof. Dr. Z sei an der fehlenden Mitwirkung des Klägers gescheitert, welches zu seinen Lasten gehe.
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Gegen das ihm am 18. April 2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 18. Mai 2009 Berufung zum
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg unter dem Aktenzeichen L 27 P 20/09
eingelegt, mit der er sich gegen die Feststellungen des MDK sowie der Sachverständigen Dr. H und A wendet. Diese enthielten Unwahrheiten und Entstellungen.
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Der Senat hat im Berufungsverfahren Befundberichte des Facharztes für Innere Medizin/Hämatologie und internistische Onkologie Dr. S vom 25. August 2009, des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. M vom 6. September 2009, des Arztes für Orthopädie Dr. S vom 18. September 2009, des Hautarztes Dr. M vom 18. Dezember 2009 und des Arztes für Orthopädie Dr. K vom 28. April 2010 eingeholt und zur weiteren Sachaufklärung betreffend die Gewährung von Pflegegeld für die Zeit ab dem 3. Februar 2010 das Verfahren mit Beschluss vom 22. März 2011 abgetrennt und unter dem hiesigen Aktenzeichen fortgeführt. Die gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. März 2009 gerichtete Berufung unter dem Aktenzeichen
L 27 P 20/09
, mit der der Kläger die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 7. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2006 und die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung eines Pflegegeldes mindestens der Pflegestufe I für die Zeit vom 1. Oktober 2005 bis zum 2. Februar 2010 begehrte, hat der Senat mit Urteil vom 22. März 2011 zurückgewiesen.
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7
Anschließend hat der Senat im hiesigen Verfahren Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Umfang der Pflegebedürftigkeit des Klägers bei der Allgemeinmedizinerin Dr. B. Die Sachverständige diagnostizierte in ihrem Gutachten vom 20. Mai 2011 aufgrund der Untersuchung des Klägers in seinem Wohnumfeld am Vortag eine allgemeine Schwäche und Interesselosigkeit, ein Rezidiv eines Prostatakrebses, bisher ohne bekannte Metastasen, ein Hormondefizit nach therapeutischer Entfernung beider Hoden, ein Herzleiden, Herzrhythmusstörungen, Anfälle von Bewusstlosigkeit, Bluthochdruck, Aortenklappenfehler, ein Leber- und Nierenleiden, eine Hörschwäche, Abnutzungserscheinungen des Skelettsystems, Zustand nach Bruch des 4. Brustwirbelkörpers sowie eine Blasen- und Schließmuskelschwäche. Im Bereich der Körperpflege stellte die Sachverständige einen Hilfebedarf von insgesamt 22 Minuten im Tagesdurchschnitt fest (zehn Minuten für das Waschen/Duschen, jeweils eine Minute für das Bereitstellen der Utensilien für die Zahnpflege bzw. das Rasieren, zehn Minuten für das Säubern nach der Darm-/Blasenentleerung). Weiterhin beschreibt die Sachverständige einen Hilfebedarf im Bereich der Mobilität von elf Minuten am Tag (sechs Minuten für das An-/Auskleiden von Stützkniestrümpfen, zum Teil auch Schuhen und Hosen, fünf Minuten für das einmal wöchentliche Verlassen des Hauses zur Psychotherapie auf den Tag umgerechnet) sowie für den Bereich der hauswirtschaftlichen Verrichtungen von mindestens 45 Minuten am Tag. Auch wenn der Pflegebedarf des Klägers im Vergleich zu den Vorgutachten zugenommen habe, würden mit dem festgestellten Hilfebedarf die zeitlichen Kriterien für die Pflegestufe I weiterhin nicht erfüllt werden. Die Ursache für den inzwischen erhöhten Pflegebedarf sei in einer vermehrten Schwäche mit Antriebsarmut und möglicherweise infolge einer Änderung des psychischen Leidens zu sehen. In der Folgezeit nahm der Kläger vom 2. August 2011 bis zum 13. September 2011 an einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme teil. In Kenntnis des Rehabilitationsentlassungsberichtes vom 27. September 2011 hielt die Sachverständige Dr. B in einer ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 24. Februar 2012 an ihrer Einschätzung des Pflegebedarfs beim Kläger fest und teilte ergänzend mit, in einem Telefonat mit dem Sekretariat der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie der Rehabilitationseinrichtung in Erfahrung gebracht zu haben, dass Voraussetzung für eine Behandlung in dieser Abteilung weitgehende Selbständigkeit der Patienten sei, da die Klinik personell nicht in der Lage sei, Pflegemaßnahmen durchzuführen. Da auch im Entlassungsbericht keine Pflegeproblematik aufgeführt sei, könne vermutet werden, dass der Pflegebedarf beim Kläger in der Klinik eher niedriger gewesen sei, als in ihrem Gutachten angegeben.
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8
Der Kläger, der im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 20. September 2012 nicht erschienen ist, obwohl ihm am 3. August 2012 von einem Postbediensteten unter seiner Zustellanschrift persönlich eine Terminsmitteilung übergeben worden ist, in der auf die Möglichkeit der Verhandlung und Entscheidung auch bei seinem Ausbleiben hingewiesen wurde, beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
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9
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. März 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 7. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit ab dem 3. Februar 2010 Pflegegeld mindestens der Pflegestufe I zu gewähren.
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10
Die Beklagte beantragt,
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die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. März 2009 zurückzuweisen, soweit noch nicht darüber entschieden worden ist.
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12
Sie hält das erstinstanzliche Urteil auch insoweit für zutreffend.
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Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegen-stand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten. | Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. März 2009 wird auch insoweit zurückgewiesen, als das Verfahren durch Beschluss des Senats vom 22. März 2011 abgetrennt worden ist.
Kosten sind auch für das weitere Berufungsverfahren im Umfang der Abtrennung nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz 2. Kammer | Rheinland-Pfalz | 0 | 1 | 23.02.2015 | 0 | Randnummer
1
Die Verfügungsklägerin begehrt den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Verfügungsbeklagten auf Unterlassung von Tätigkeiten für ein im Wettbewerb zu ihr stehendes Unternehmen.
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2
Die Verfügungsklägerin mit Sitz in B.-B. ist ein im Bereich der Warehouse-Logistik als Software-Entwicklerin sowie Software-Vertriebs- und Beratungsgesellschaft auftretendes Unternehmen. Zu ihren Kommanditisten zählt auch die C.-H. GmbH, deren Stammkapital von 25.000,-- EUR in Höhe von 20.049,-- EUR vom Verfügungsbeklagten gehalten wird.
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3
Der Verfügungsbeklagte war bei der Verfügungsklägerin seit 18. Mai 1992 beschäftigt, zuletzt als "Chief Product Officer" auf der Grundlage des Vertrags vom 30. Dezember 1996 (Bl. 57 - 60 d. A.), der u.a. folgende Regelungen enthält:
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4
"(…)
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5
§ 4
Wettbewerbsverbot, Verschwiegenheit
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6
(1) Herrn C. ist es untersagt, sich unmittelbar oder mittelbar, gewerbsmäßig oder gelegentlich für eigene oder fremde Rechnung im Geschäftszweig der Gesellschaft zu betätigen, ein Unternehmen, das Geschäfte in dem Geschäftszweig der Gesellschaft betreibt (Konkurrenzunternehmen), zu erwerben, sich an einem solchen Unternehmen zu beteiligen oder es auf andere Weise zu unterstützen. Dieses Verbot gilt bis zum Ablauf von einem Jahr nach Ausscheiden des Herrn C. aus der Gesellschaft. Im Falle der Verletzung des Wettbewerbsverbotes gilt § 113 HGB entsprechend.
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(2) Herr C. verpflichtet sich, über alle im Rahmen seiner Tätigkeit zur Kenntnis gelangenden geschäftlichen Angelegenheiten und Vorgänge, insbesondere auch Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der Kunden der Gesellschaft, Stillschweigen zu bewahren.
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8
§ 5
Vertragsdauer und Kündigung
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(1) Dieser Vertrag tritt mit Wirkung zum 1. Januar 1997 in Kraft.
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(2) Das Vertragsverhältnis wird auf eine Mindestdauer von fünf Jahren fest abgeschlossen, eine ordentliche Kündigung ist erstmalig zum 31.12.2001 möglich.
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(3) Wird der Vertrag nicht zum 31. Dezember 2001 gekündigt, so verlängert er sich jeweils um 3 weitere Jahre, wenn er nicht zum Ende eines solchen Dreijahreszeitraumes gekündigt wird.
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(4) Nach Ablauf der Mindestlautzeit gemäß Ziff. 2 ist das Vertragsverhältnis von beiden Parteien jeweils zum 31. Dezember eines Dreijahreszeitraumes gemäß Abs. 3 kündbar.
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(5) Die Kündigung des Vertrages erfolgt mittels eingeschriebenem Brief gegen Rückschein oder gegen schriftliches Empfangsbekenntnis gegenüber dem anderen Vertragspartner, wobei das Datum des Zugangs gültig ist. Die Kündigung ist mit einer Frist von zwölf Monaten zum Kündigungstermin auszusprechen.
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(6) Die Kündigung des Kommanditverhältnisses gilt abweichend von Abs. 2 bis 4 gleichzeitig als Kündigung dieses Tätigkeitsvertrages. Umgekehrt ist die Kündigung dieses Tätigkeitsvertrages gleichzeitig als Kündigung des Kommanditverhältnisses mit der Gesellschaft zu behandeln.
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(7) Wird die Tätigkeit von Herrn C. vorzeitig ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist beendet, so ist eine Vertragsstrafe in Höhe einer zehnfachen Tätigkeitsvergütung gemäß § 2 Nr. 1 zur Zahlung fällig. Die Vertragsstrafe ist im Zeitpunkt der Beendigung der Tätigkeit fällig und kann gegen eine Restvergütung aufgerechnet werden.
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(…)"
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17
Anfang Mai 2014 teilte der Verfügungsbeklagte dem Geschäftsführer der Verfügungsklägerin mit, dass er das Unternehmen gerne verlassen würde. Daraufhin führten die Parteien ab Mai 2014 Verhandlungen über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses und das Ausscheiden der C.-H. GmbH aus der E. + Partner-Gruppe. Nachdem der Verfügungsbeklagte im Juli 2014 zunächst bis zum 31. Juli 2014 freigestellt worden war und seiner weiteren Freistellung über den 31. Juli 2014 hinaus mit Schreiben vom 21. Juli 2014 widersprochen hatte, erklärte die Verfügungsklägerin mit Schreiben vom 24. Juli 2014 (Bl. 66, 67 d. A.), dass der Verfügungsbeklagte auch über den 31. Juli 2014 hinaus bis auf weiteres von der Erbringung der Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Vergütung freigestellt werde. Mit Schreiben vom 29. Juli 2014 (Bl. 69 - 71 d. A.) lehnte der Verfügungsbeklagte den von Seiten der Verfügungsklägerin unterbreiteten Vorschlag zur Regelung einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses ab und teilte der Verfügungsklägerin u.a. Folgendes mit:
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18
"(…)
Unter Mandant will arbeiten; eine Teilübergabe der von ihm betreuten Objekte war nur deshalb erfolgt, weil er aufgrund des Fortgangs der Gespräche in der ersten Phase von einer umfassenden Regelung auf beiden Ebenen ausgegangen war. Wir fordern die E. + Partner GmbH & Co. KG deshalb auf, bis
morgen Mittag 12 Uhr
rechtsverbindlich zu erklären, dass die Freistellung aufgehoben wird. Wird diese Erklärung nicht abgegeben, behält sich unser Mandant sämtliche arbeitsrechtlichen Schritte vor, insbesondere auch eine fristlose Kündigung des Anstellungsvertrages."
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19
Sodann erteilte die Verfügungsklägerin mit Schreiben vom 30. Juli 2014 (Bl. 72, 73 d. A.) dem Verfügungsbeklagten für die Zeit vom 01. August bis 05. September 2014 unter Aufhebung der mit Schreiben vom 24. Juli 2014 erklärten Freistellung Erholungsurlaub. Nachdem der Verfügungsbeklagte die Urlaubserteilung nicht akzeptierte und am 01. August 2014 im Firmengebäude in B.-B. erschien, wurde er von der Verfügungsklägerin mit Schreiben vom 01. August 2014 (Bl. 74 d. A.) schriftlich des Hauses verwiesen. Daraufhin teilte der Verfügungsbeklagte der Verfügungsklägerin mit Schreiben vom 04. August 2014 (Bl. 75, 76 d. A.) Folgendes mit:
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20
"Sehr geehrter Herr Kollege S.,
unter Mandant hat bekanntlich am 01. August 2014, um 08:00 Uhr, seine Arbeitsleistung bei ihrer Mandantin angeboten. Ihre Mandantschaft hat diese nicht angenommen und darüber hinaus unseren Mandanten des Hauses verwiesen. Wir hatten Ihnen bereits mitgeteilt, dass Ihre einseitige Urlaubserteilung rechtswidrig ist. Der nunmehr erteilte Hausverweis ist auch unter Anbetracht der Stellung unseres Mandanten im Unternehmen als Führungskraft und Gesellschafter schikanös und als eine erhebliche Verletzung des Persönlichkeitsrechts unseres Mandanten zu werten. Namens und in Vollmacht unseres Mandanten mahnen wir Ihre Mandantschaft hiermit ausdrücklich ab.
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21
Unser Mandant wird am
22. August 2014, um 12:00 Uhr
(= 15,5 Arbeitstage) erneut seine Arbeitsleistung anbieten. Ihrer Mandantschaft wird seitens unseres Mandanten
letztmalig
die Möglichkeit eingeräumt, unseren Mandanten wieder vertragsgemäß zu beschäftigen. Unser Mandant hat bereits am 21. Juli 2014 einer weiteren Freistellung widersprochen und mitgeteilt, dass er seine Beschäftigung wieder aufnehmen möchte. Soweit Sie behaupten, dass
"Projekte und anstehende Arbeitsaufgaben neu organisiert werden müssen"
, hat Ihre Mandantschaft seit dem 21. Juli bis zum 22. August 2014 mit einer Frist von mehr als einem Monat ausreichend Zeit, dies zu tun.
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22
Sie selbst haben die mit Ihrem Schreiben vom 24. Juli 2014 von Ihnen erklärte weitere Freistellung mit Ihrem Schreiben vom 30. Juli wieder aufgehoben. Im Hinblick auf Ihre Ankündigung
"zwecks Arbeitsaufnahme"
auf die Sache zurückzukommen, stellen auch Sie den Beschäftigungsanspruch unseres Mandanten offensichtlich nicht in Frage. Vorsorglich verweisen wir auf die Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts zum Beschäftigungsanspruch, der diesem Grundrechtsschutz zukommen lässt.
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23
Sollte Ihre Mandantschaft dennoch am 22. August 2014 erneut die - vertragsgemäße - Beschäftigung unseres Mandanten verweigern, wird unser Mandant das Anstellungsverhältnis fristlos kündigen.
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24
Der guten Ordnung halber dürfen wir darauf hinweisen, dass Ihre einseitige Urlaubserteilung der Urlaubstage für 2014 damit
nicht
von unserem Mandanten akzeptiert wird. Vielmehr werden wir dies einer gerichtlichen Klärung zuführen. Dies gilt auch für die Erteilung des anteiligen Urlaubsanspruches für 2015."
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25
Mit Schreiben vom 29. August 2014 (Bl. 86 d. A.) forderte die Verfügungsklägerin den Verfügungsbeklagten zur Arbeitsaufnahme in den Geschäftsräumen in C-Stadt auf. Am 04. September 2014 erschien der Verfügungsbeklagte in den Geschäftsräumen der Verfügungsklägerin in B.-B., woraufhin ihm Hausverbot erteilt wurde.
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Mit seinem daraufhin beim Arbeitsgericht Koblenz eingereichten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 08. September 2014 - 6 Ga 61/14 - begehrte der Verfügungsbeklagte, im Betrieb der Verfügungsklägerin "A-Straße in B.-B." zu unveränderten Arbeitsbedingungen gemäß Arbeitsvertrag vom 30. Dezember 1996 als "Chief Product Officer" beschäftigt zu werden. Bis zu dem in diesem einstweiligen Verfügungsverfahren anberaumten Termin vom 08. Oktober 2014 kündigten mehrere Kollegen des Verfügungsbeklagten ihr Arbeitsverhältnis zum 30. September 2014, hilfsweise zum 31. Dezember 2014. Im Termin vom 08. Oktober 2014 schlossen die Parteien vor dem Arbeitsgericht Koblenz - 6 Ga 61/14 -folgenden Vergleich (Bl. 89 d. A.):
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"V e r g l e i c h :
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1. Die Parteien sind sich einig darüber, dass der Verfügungskläger beginnend ab heute bis einschließlich 15.11.2014 unter Fortzahlung der Arbeitsvergütung von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt ist. Der Verfügungskläger wird bis zum 15.11.2014 keinen Beschäftigungsanspruch geltend machen.
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29
2. Die Parteien sind sich ferner darüber einig, dass der Kläger beginnend mit dem 16.11.2014 vertragsgerecht beschäftigt wird nach Maßgabe des Inhalts des schriftlichen Arbeitsvertrages der Parteien vom 30.12.1996 und mit der weiteren Maßgabe, dass der Hauptarbeitsplatz des Verfügungsklägers sich befindet in der A-Straße, B.-B..
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30
3. Die Parteien erklären im Übrigen übereinstimmend und als Absichtserklärung:
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31
Wir werden zeitnah Verhandlungen aufnehmen zur Klärung und Ausräumung der gegenwärtig weiter offenen Rechtsfragen und der in tatsächlicher Hinsicht bestehenden Schwierigkeiten über die Fortsetzung und gegebenenfalls Abwicklung der Vertragsverhältnisse der Parteien.
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4. Damit ist das einstweilige Verfügungsverfahren erledigt."
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33
Nachdem zwischen den Parteien in der Folgezeit keine Einigung erzielt werden konnte, erschien der Verfügungsbeklagte am Montag, 17. November 2014, um 08:00 Uhr bei der Verfügungsklägerin in B.-B., A-Straße, zur Arbeitsaufnahme. Der dort anwesende Herr G. verwies zunächst auf das erteilte Hausverbot und informierte schließlich Herrn S., der sodann gemeinsam mit dem Verfügungsbeklagten nach C-Stadt zu den dortigen Büroräumen fuhr. Daraufhin informierte der Verfügungsbeklagte seine Prozessbevollmächtigten, die dem Prozessbevollmächtigten der Verfügungsklägerin am selben Tag um 09:48 Uhr folgendes Telefax-Schreiben (Bl. 157, 158 d. A.) übermittelten:
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"Sehr geehrter Herr Kollege S.,
in der oben genannten Angelegenheit hat unser Mandant heute Morgen um 08:00 Uhr seine Arbeitsleistung am Firmensitz A-Straße, B.-B. ordnungsgemäß angeboten. Es wurde ihm sodann mitgeteilt, er habe "
Hausverbot
". Unser Mandant wurde aufgefordert, weiter am Projekt "S" in C-Stadt, D-Straße, zu arbeiten. Unser Mandant hat sich unter Protest nach C-Stadt begeben. Er musste feststellen, dass ihm kein Netzwerkzugang zur Verfügung steht.
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Die Parteien haben sich bekanntlich im Vergleich vom 08.10.2014 vor dem Arbeitsgericht Koblenz dahingehend vereinbart, dass unser Mandant ab dem 16.11.2014 vertragsgerecht beschäftigt wird und der Hauptarbeitsplatz sich in der A-Straße, B.-B. befindet.
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Wir haben Ihre Mandantschaft aufzufordern, unverzüglich, spätestens bis
heute Mittag, 12:00 Uhr
unseren Mandanten vertragsgerecht am Arbeitsplatz in der A-Straße, B.-B. zu beschäftigen.
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37
Sollte eine fristgemäße vertragsgerechte Beschäftigung nicht erfolgen, wird unser Mandant das Arbeitsverhältnis fristlos kündigen."
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38
Darauf erwiderte der Prozessbevollmächtigte der Verfügungsklägerin um 11:58 Uhr wie folgt (Bl. 159 d. A.):
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39
"Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen,
wir nehmen Bezug auf Ihr Schreiben vom heutigen Tage.
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40
Nach dem Vergleich vor dem Arbeitsgericht Koblenz wurde vereinbart, Ihren Mandanten ab dem 16.11.2014 zu beschäftigen auf der Basis des Arbeitsvertrages mit dem Hauptarbeitsort B-Stadt. Sonstige Regelungen wurden nicht getroffen, so dass sich die Sachlage nicht geändert hat gegenüber dem Zeitpunkt vor dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Zu erwähnen ist insbesondere, dass Ihr Mandant mehrfach, auch vor dem Arbeitsgericht Koblenz, erklärt hat, er werde für den Arbeitgeber nicht mehr arbeiten. Es ist daher ernsthaft zu bezweifeln, ob Ihr Mandant überhaupt arbeitswillig ist.
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41
Ungeachtet dessen ist die von Ihnen gesetzte Frist unangemessen, insbesondere unter Berücksichtigung, dass sich der Unterzeichner in einer Fortbildungsveranstaltung befindet und somit erst im Laufe des Nachmittages die Angelegenheit mit der Partei abgestimmt werden kann.
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42
Wir werden Ihnen daher im Laufe des Tages, bis 18.00 Uhr, mitteilen, welche Tätigkeit an welchem Ort Ihrem Mandanten ab morgen 8.00 Uhr zugewiesen werden."
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Daraufhin kündigte der Verfügungsbeklagte mit Schreiben vom 17. November 2014 (Bl. 160 d. A.), das der Verfügungsklägerin am gleichen Tag per Boten zuging, sein Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. Hiergegen hat die Verfügungsklägerin unter dem 20. November 2014 Klage auf Feststellung erhoben, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 17. November 2014 nicht aufgelöst worden ist (Arbeitsgericht Koblenz - 10 Ca 4437/14 -).
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Am 13. November 2014 hat die Verfügungsklägerin den vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung beim Arbeitsgericht Koblenz eingereicht, mit dem sie vom Verfügungsbeklagten die Unterlassung von Tätigkeiten für die zu ihr in Wettbewerb stehende Firma P. S. GmbH verlangt.
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Wegen des wechselseitigen erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts vom 21. November 2014 - 10 Ga 73/14 - und die erstinstanzlich eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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46
Die Verfügungsklägerin hat beantragt
,
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dem Verfügungsbeklagten bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zur rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, zu untersagen, für die P. S. GmbH tätig zu werden, insbesondere sie bei dem Aufbau, der Planung, der Organisation, der Einrichtung, dem Markteintritt, bei der Werbung um Mitarbeiter und Kunden oder in sonstiger Weise zu unterstützen,
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48
hilfsweise dem Verfügungsbeklagten zu untersagen, bei Meidung eines für den Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zur rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, für die P. S. GmbH im Geschäftsverkehr zu Wettbewerbszwecken tätig zu werden.
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49
Der Verfügungsbeklagte hat beantragt
,
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50
die Anträge zurückzuweisen.
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Mit Urteil vom 21. November 2014 - 10 Ga 73/14 - hat das Arbeitsgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Wegen der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe seines Urteils verwiesen.
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Gegen das ihr am 04. Dezember 2014 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Verfügungsklägerin mit Schriftsatz vom 05. Januar 2015, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am gleichen Tag (Montag) eingegangen, Berufung eingelegt und diese gleichzeitig begründet.
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Sie trägt vor, entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts habe der Verfügungsbeklagte gegen seine arbeitsvertragliche Verpflichtung zur Unterlassung von Wettbewerb verstoßen. Der Verfügungsbeklagte habe die Errichtung und Gründung des Wettbewerbsunternehmens P. S. GmbH und ihren Markteintritt in leitender Stellung vorbereitet und begleitet sowie den abtrünnigen Mitarbeitern, die ihre Beschäftigungsverhältnisses zu ihr planmäßig im September 2014 gekündigt hätten, unzulässige Unterstützungsleistungen (Aufbauhilfe) zu Gute kommen lassen. Durch sein Verhalten habe der Verfügungsbeklagte unmittelbar in ihre Geschäfts- und Wettbewerbsinteressen eingegriffen, so dass die Grenze zulässiger Vorbereitungshandlungen überschritten sei. Der Verfügungsbeklagte habe federführend an der Errichtung und der Marktplatzierung der P. S. GmbH mitgewirkt. Die Kündigungswelle sei vom Verfügungsbeklagten maßgeblich geplant worden und beruhe auf einer gemeinsamen Absprache der abtrünnigen Mitarbeiter sowie des Verfügungsbeklagten. Vor sowie nach der Kündigungswelle habe der Verfügungsbeklagte maßgebliche Unterstützungshandlungen für die abtrünnigen Mitarbeiter geleistet, indem er z. B. bei der Auswahl der Mieträume geholfen und den Geschäftsführer sowie einen Mitgesellschafter der P. S. GmbH nach deren Auftritten bei ihren Kunden zum Notar begleitet habe. Die werbende Tätigkeit der P. S. GmbH müsse sich der Verfügungsbeklagte kraft seiner führenden Position und leitenden Stellung zurechnen lassen. Der Verfügungsbeklagte habe am Markteintritt der Konkurrenzfirma P. S. GmbH zu ihren Lasten und zu Gunsten der abtrünnigen Mitarbeiter mitgewirkt und damit unmittelbar in ihre Geschäfts- und Wettbewerbsinteressen eingegriffen. Die von ihr dargestellte Korrespondenz belege, dass sich der Verfügungsbeklagte aktiv an wettbewerbswidrigen Handlungen beteiligt habe. Die hierzu vorgelegten Chat-Protokolle, die sich auf den Dienstrechnern befunden hätten, unterlägen keinem Verwertungsverbot. Das Wettbewerbsverbot gelte bis zum rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses, auch wenn der Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung freigestellt sei. Zur Darlegung der Unwirksamkeit der vom Verfügungsbeklagten ausgesprochenen außerordentlichen fristlosen Kündigungen, die Gegenstand des vor dem Arbeitsgericht Koblenz unter dem Aktenzeichen 10 Ca 4437/14 geführten Verfahrens seien, verweise sie auf den von ihr vorgelegten Schriftsatz an das Arbeitsgericht Koblenz vom 19. Februar 2015 (Anlage 1 zum Schriftsatz vom 20. Februar 2015 = Bl. 420 - 440 d. A.). Nach ihrem Vorbringen in diesem Schriftsatz würden sich die außerordentlichen Kündigungen des Verfügungsbeklagten mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als unwirksam erweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Verfügungsklägerin wird auf die Berufungsbegründung vom 05. Januar 2015 und ihren ergänzenden Schriftsatz vom 20. Februar 2015 verwiesen.
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Die Verfügungsklägerin beantragt
,
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56
1. das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 21. November 2011 - 10 Ga 73/14 - abzuändern und dem Verfügungsbeklagten es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zur rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu untersagen, für die P. S. GmbH tätig zu werden, insbesondere sie beim Aufbau, der Planung, der Organisation, der Einrichtung, dem Markteintritt, bei der Werbung um Mitarbeiter und Kunden oder in sonstiger Weise zu unterstützen,
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2. hilfsweise, dem Verfügungsbeklagten zu untersagen, bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zur rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, für die P. S. GmbH im Geschäftsverkehr zu Wettbewerbszwecken tätig zu werden.
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58
Der Verfügungsbeklagte beantragt
,
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59
die Berufung zurückzuweisen.
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60
Er erwidert, er habe zu keiner Zeit gegen das ihm obliegende vertragliche Wettbewerbsverbot verstoßen. Er habe weder Arbeitnehmer noch Kunden der Verfügungsklägerin für die P. S. GmbH abgeworben und auch keine wettbewerbswidrige "Aufbauhilfe" geleistet. Da er sein Arbeitsverhältnis rechtmäßig außerordentlich gekündigt habe und die Parteien kein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart hätten, sei der Klageanspruch nicht gegeben. Die mehrfache Erteilung des Hausverbots trotz Abmahnung stelle einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung dar. Auch die von ihm ausgesprochene weitere fristlose Kündigung vom 21. Dezember 2014 sei gerechtfertigt. Er habe am 10. Dezember 2014 an seinem Privatfahrzeug einen GPS-Transponder gefunden. Die Verfügungsklägerin habe im Parallelverfahren eingeräumt, dass sie unter dem 08. September 2014 eine Detektei zu seiner Überwachung beauftragt habe. Die Verfügungsklägerin habe durch die umfangreiche Überwachung und die Ausspähung der Daten unverhältnismäßig und rechtswidrig in sein Persönlichkeitsrecht eingegriffen, so dass ein wichtiger Grund gemäß § 626 BGB gegeben sei. Auch der bereits am 12. November 2014 erfolgte Entzug der Prokura stelle einen wichtigen Grund zur Kündigung dar. Konkrete wettbewerbswidrige Handlungen seien von der Verfügungsklägerin darzulegen und zu beweisen. Die von der Verfügungsklägerin vorgelegten Detektivberichte sowie angeblichen Chat-Unterhaltungen seien rechtswidrig erlangt. Eine Verwertung im Verfahren sei bereits wegen des Verstoßes gegen sein Persönlichkeitsrecht nicht zulässig.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen. | Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 21.11.2014 - 10 Ga 73/14 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen. | 0 |
Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein 2. Senat | Schleswig-Holstein | 0 | 1 | 30.04.2019 | 0 | Randnummer
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Die Beteiligten streiten über die Höhe von Forderungen aus vertraglichen Ablösebeträgen auf Abwasseranschlussbeiträge.
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Die Beklagten sind Gesellschafter der … GbR (im Folgenden: GbR). Die GbR ist Trägerin eines Vorhabens auf dem Gebiet der Klägerin für ein touristisches Erlebnismuseum. Die Beklagte zu 1. firmierte damals noch unter „…gesellschaft … GmbH".
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Zum Zwecke der Errichtung des Museums sollte ein vorhabenbezogener Bebauungsplan aufgestellt und ein entsprechender Durchführungsvertrag geschlossen werden.
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In der Folgezeit kam es zu Vertragsverhandlungen. Hinsichtlich diesbezüglicher Einzelheiten zur Vertragshistorie wird auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang (Beiakte A zur verwaltungsgerichtlichen Verfahrensakte) verwiesen.
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5
Mit „Durchführungsvertrag zum Vorhaben-und Erschließungsplan „…“ - vorhabenbezogener Bebauungsplan Nummer 1 der Stadt Fehmarn“ vom 10. November 2011 wurde die Verpflichtung der GbR zur Durchführung des Vorhabens sowie die Tragung der Planungs- und Erschließungskosten geregelt (§ 1.4 des Vertrages).
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Neben anderen Regelungen findet sich in § 7.3 des Vertrages eine Regelung mit folgendem Wortlaut:
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„Ablösungsvereinbarung und Verrechnungsabrede.
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8
Für den Anschluss der Grundstücke an die Schmutz-und Niederschlagsentwässerungseinrichtungen der Stadt wird grundsätzlich ein von der Stadt zu erhebender Anschlussbeitrag entstehen. Dieser künftige Beitrag beläuft sich nach der derzeitigen Satzung über die Erhebung von Abgaben für die zentrale Abwasserbeseitigung der Stadt auf rund 92.438 Euro für Niederschlagswasser und auf rund 89.953 EUR für Schmutzwasser. Die Parteien vereinbaren, dass die Beitragspflicht für diese Grundstücksflächen durch Zahlung von 92.438 EUR für Niederschlagswasser und durch Zahlung von 89.953 EUR für Schmutzwasser abzulösen ist. Der jeweils die Beitragspflicht begründende Grundstücksanschluss (jeweils getrennt für Niederschlags-und Schmutzwasser) wird erst nach Anforderung durch den Vorhabenträger hergestellt. Die Vorhabenträgerin ist berechtigt, die Grundstücksanschlüsse selbst durch eine zugelassene Fachfirma zu beauftragen. Die technischen Vorgaben der Stadt Fehmarn sind dabei einzuhalten. Die hierfür entstehenden Kosten sind mit dem Ablösebetrag aufzurechnen. Der Ablösebetrag ist mit der Herstellung des jeweiligen Grundstücksanschlusses fällig.“
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Nach Erlass des vorhabenbezogenen Bebauungsplanes, einer entsprechenden Baugenehmigung für das Vorhaben und u.a. der antragsgemäßen Erteilung einer Entwässerungsgenehmigung vom 7. Juni 2012 (Antrag der Beklagten vom 19. Januar 2012) wurde das Vorhaben errichtet. Dazu gehörte auch der Bau eines Regenrückhaltebeckens auf dem Grundstück der GbR und zweier Kontrollschächte. Deren Bau wurde notwendig, weil in die Einrichtungen der Klägerin Wasser maximal mit einer Geschwindigkeit von 2,4 l/s (statt der zu Spitzenzeiten tatsächlich anfallenden 300 l/s) erfolgen kann.
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Die GbR ließ das Regenrückhaltebecken, die Kontrollschächte sowie die Grundstücks- und Hausanschlüsse für die Niederschlags- und Schmutzwasserbeseitigung durch eine Fachfirma installieren.
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Mit Schreiben vom 13. Juni 2012 forderte die Klägerin die GbR auf, die im Vertrag genannten Ablösesummen (von 92.438 EUR für Niederschlagswasser und von 89.953 EUR für Schmutzwasser) zu begleichen.
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Nach Aufrechnungserklärung der GbR durch Schreiben vom 22. Juni 2012 – unter Bezugnahme auf die Rechnungen der Fachfirma für die Errichtung des Regenrückhaltebeckens, der Kontrollschächte sowie der Niederschlags- und Schmutzwasseranschlüsse – zahlte die GbR die Differenzbeträge auf die vertraglichen Ablösebeträge in Höhe von 15.096,22 EUR (für Niederschlagswasser) und 87.634,48 EUR (für Schmutzwasser).
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Die Klägerin akzeptierte die Aufrechnung hinsichtlich der Kosten für die Herstellung der Grundstücksanschlüsse (3.403,80 EUR für Niederschlagswasser und 1.227,66 EUR für Schmutzwasser) und wies die Aufrechnung mit Schreiben vom 25. Juni 2012 zurück, soweit sie die Kosten für die Errichtung des Regenrückhaltebeckens (72.847,12 EUR) und mit Schreiben vom 17. September 2012 soweit sie die Kosten der zwei Kontrollschächte (je 1.090,86 EUR für Niederschlags- und Schmutzwasser) betraf und forderte von der GbR insgesamt 75.028,84 EUR nach. Dies begründete sie unter Bezugnahme auf den Durchführungsvertrag damit, dass nur mit den Kosten aufgerechnet werden könne, die für die Herstellung der jeweiligen Grundstücksanschlüsse angefallen seien. Das Regenrückhaltebecken und die beiden Kontrollschächte seien aber Teil der privaten Grundstücksentwässerungsanlage und damit nicht vom Grundstücksanschluss umfasst.
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Die GbR lehnte weitere Zahlungen ab und verwies darauf, dass insbesondere nach dem o.g. Vertrag die Kosten für die Erstellung des Regenrückhaltebeckens aufrechnungsfähig seien, da sie dadurch nur die von der Klägerin gemachten Vorgaben zur Drosselung der Einleitungsgeschwindigkeit in die klägerische Entwässerungseinrichtung umgesetzt habe.
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Am 17. Januar 2014 hat die Klägerin Klage erhoben. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat eine von dem Werkleiter der Stadtwerke Fehmarn unterschriebene Vollmacht vorgelegt.
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Die Klägerin hat vorgetragen, die Ablösungsbeträge seien hinsichtlich der bisher nicht gezahlten Differenzbeträge in Höhe von insgesamt 75.028,- Euro nicht durch Aufrechnung oder Verrechnung erloschen. Die Verrechnungsabrede des Vertrages erstrecke sich lediglich auf Kosten für die Herstellung des Grundstücksanschlusses, nicht aber auf solche für die Herstellung von Teilen der privaten Grundstücksentwässerungsanlage. Hierzu zähle insbesondere das Regenrückhaltebecken.
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Die Regelung des Vertrages könne auch im Wege der Vertragsauslegung, insbesondere im Regelungszusammenhang der Beitrags- und Gebührensatzung Abwasserbeseitigung der Klägerin (im Folgenden: BGS) und der Allgemeinen Abwasserbeseitigungssatzung der Klägerin (im Folgenden: AAS), nicht anders verstanden werden. Es komme auch nicht auf etwaige entgegenstehende Formulierungen früherer Vertragsentwürfe an, denn maßgeblich sei die Bestimmung, die letztlich die Zustimmung beider Vertragsparteien gefunden habe.
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Die Bevollmächtigung der Klägervertreter für den Verwaltungsprozess sei ordnungsgemäß erfolgt, da die Abwasserbeseitigung im Gebiet der Klägerin durch den Eigenbetrieb Stadtwerke Fehmarn wahrgenommen werde und dieser die Klägerin insoweit vertrete.
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Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte zu 1. und die Beklagte zu 2. als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag von 75.028,84 EUR nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagten haben beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie haben vorgetragen, der Wortlaut des § 7.3 des Vertrages sei so zu verstehen, dass die „hierfür entstehenden Kosten" die Anschlusskosten meine, die aufgrund Einhaltung technischer Vorgaben der Stadtwerke für den Anschluss an die öffentliche Entwässerung entstanden seien. Dies umfasse auch die Kosten für das Regenrückhaltebecken, weil das Entwässerungssystem der Klägerin lediglich in der Lage sei, 2,4 l/s Niederschlagswasser aufzunehmen, während tatsächlich eine Aufnahmekapazität von 300 l/s notwendig sei. Die zur Aufrechnung gebrachten Kosten resultierten daher allein daraus, dass die Klägerin kein effektives Abwassersystem zur Verfügung stelle und deshalb technische Vorgaben machen müsse, die erhebliche Investitionen zur Folge haben.
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Insbesondere wegen der vorherigen Vertragsentwürfe, die von einer „Vorfinanzierung“ gesprochen hätten, seien sie - die Beklagten - davon ausgegangen, dass sie die Voraussetzungen für die Einleitung der Abwässer insgesamt zu schaffen hätten und die Kosten sodann gegen die Anschlussbeiträge aufrechnen dürften.
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Die Klägerin habe sich überraschend auf Definitionen aus der Allgemeinen Abwasserbeseitigungssatzung berufen, während sie - die Beklagten - davon ausgegangen seien, dass die vertraglichen Regelungen die Abwassersatzung verdrängten, soweit der Vertrag nicht ausdrücklich Bezug auf sie nehme.
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Die Auslegung der Regelungen des § 7.3 führe überdies zu einer Unangemessenheit im Sinne von § 11 Abs. 2 BauGB. Das gesamte Projekt habe auch im Interesse der Klägerin gestanden (Tourismusförderung), weshalb es ihr zumutbar sei, die Kosten für die Beklagten niedrig zu halten.
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Wenn sich die rechtliche, tatsächliche und wirtschaftliche Lage ohne die Regelung des § 7.3 wirklich gleich darstellen würde, sei unklar, warum die entsprechende Regelung dennoch in den Vertrag aufgenommen worden sei.
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Zu beachten sei auch, dass sie - die Beklagten - von der Klägerin hinsichtlich des Vertragsschlusses in eine massive Drucksituation gebracht worden seien. Die Klägerin habe die Vertragsverhandlungen trotz Drängens immer wieder verschleppt, so dass das gesamte Projekt wegen der Fristgebundenheit der Fördermittel beinahe vollständig gescheitert wäre. In dieser Drucksituation habe die Klägerin versucht, Vertragsstrafen gegen sie - die Beklagten - in Millionenhöhe im Vertrag zu verankern. Sie hätten sich letztlich nur noch mit diesen Forderungen auseinandergesetzt und die übrigen, wiederholt vorgenommenen Detailänderungen hingenommen, soweit sie ihnen vertretbar erschienen.
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Es bestünden schließlich schon Zweifel an der ordnungsgemäßen Bevollmächtigung des Klägervertreters. Der Werkleiter der Stadtwerke sei nicht befugt, Rechtsstreitigkeiten der Stadt Fehmarn zu führen und ein Anwaltsbüro zu beauftragen, da seine diesbezügliche Befugnis auf Streitigkeiten mit einem Wert von weniger/gleich 25.000,00 EUR begrenzt sei.
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30
Mit Urteil vom 11. Dezember 2015, auf dessen Inhalt wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie der Entscheidungsgründe verwiesen wird, hat das Verwaltungsgericht die Beklagten verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin 75.028,84 EUR nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. Januar 2014 zu zahlen.
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Bereits vor Stellung des Antrags auf Zulassung der Berufung haben die Beklagten am 28. Dezember 2015 mit Wertstellung für den 24. Dezember 2015 „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ an die Klägerin 86.957,15 EUR gezahlt.
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32
Mit Schreiben vom 15. Februar 2016 wies die Klägerin die Beklagten daraufhin, dass lediglich 8 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz zu zahlen seien und erstattete der Beklagten daraufhin 1.417,88 EUR.
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33
Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 24. März 2016 erklärt, dass sie ihren Klageantrag wegen der Zinsen dahingehend beschränkt, dass sie anstatt ursprünglich 9 Prozentpunkten nur noch 8 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz fordert und hat – nachdem die Stadtvertretung am 16. Dezember 2015 in nichtöffentlicher Sitzung einen entsprechenden Beschluss gefasst hatte – eine Vollmacht des Bürgermeisters für die Prozessbevollmächtigten vorgelegt.
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Die mit Beschluss vom 15. November 2017 zugelassene Berufung haben die Beklagten unter Bezugnahme auf die im Rahmen des Berufungszulassungsverfahrens vorgetragenen Gründe im Wesentlichen wie folgt begründet:
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35
Die Klage sei bereits unzulässig gewesen, da die durch den Werkleiter der Stadtwerke Fehmarn erfolgte Bevollmächtigung der Prozessbevollmächtigten unwirksam gewesen sei. Zur Wirksamkeit der Beauftragung hätte es eines Beschlusses der Stadtvertretung bedurft.
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Auch der nachträgliche Beschluss der Stadtvertretung der Klägerin vom 16. Dezember 2015 führe nicht zu einer Zulässigkeit der Klage, da es hierdurch nicht zu einer wirksamen Beauftragung und Bevollmächtigung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin gekommen sei. Der Beschluss sei entgegen
§ 35 GO
und § 5 Abs. 1 der GeschO der Stadtvertretung unter Ausschluss der Öffentlichkeit und damit in einer rechtswidrigen Weise gefasst worden. Ein Grund zum Ausschluss der Öffentlichkeit habe nämlich nicht bestanden.
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37
Weiterhin sei die Auslegung von § 7.3 des Durchführungsvertrags durch das Verwaltungsgericht unrichtig. Insbesondere die Auslegung hinsichtlich der „äußeren Umstände und der Historie des Vertragsschlusses“ sei einseitig ergebnisbezogen erfolgt. Das Verhalten der Klägerin sei treuwidrig, da sie derart versuche, doppelt zu profitieren und sich ihrer eigenen Verpflichtungen finanziell zu entziehen, zumal sie in anderen Fällen Regenrückhaltebecken auf eigene Kosten gebaut habe.
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38
Die ausgesprochene Zinshöhe sei dem Grunde und der Höhe nach unrichtig.
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39
In der mündlichen Verhandlung vom 30. April 2019 hat die Klägerin die Beschränkung ihres Klagantrags auf Prozesszinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz wiederholt. Die Beklagten haben dem widersprochen.
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40
Die Klägerin hat den Rechtsstreit hinsichtlich der ursprünglichen Zahlungsanträge für erledigt erklärt. Die Beklagten haben sich der Erledigungserklärung angeschlossen.
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Die Beklagten beantragen,
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das auf die mündliche Verhandlung vom 27. November 2015 am 11. Dezember 2015 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts – 4. Kammer, Einzelrichterin - zum Aktenzeichen
4 A 16/14
abzuändern und die Klage abzuweisen,
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sowie im Wege der Widerklage die Klägerin zu verurteilen, an die Beklagten 85.539,27 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. April 2019 zu zahlen.
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Die Klägerin hat in die Erhebung der Widerklage eingewilligt und beantragt,
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nach Maßgabe des geänderten Klagantrags die Berufung der Beklagten gegen das angefochtene Urteil zurück- und die Widerklage abzuweisen.
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In der Sache verteidigt sie das erstinstanzliche Urteil. Sie trägt zur Unbegründetheit der Berufung ergänzend und vertiefend vor, die Prozessvertretung sei – unabhängig von der Wirksamkeit der Prozessvollmacht durch den Werkleiter der Stadtwerke Fehmarn – mittlerweile jedenfalls durch die Beauftragung durch den Bürgermeister infolge des wirksamen Beschlusses der Stadtvertretung der Klägerin vom 16. Dezember 2015 erfolgt.
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Das Verwaltungsgericht habe den Durchführungsvertrag zutreffend ausgelegt und ihr Verhalten sei auch nicht treuwidrig gewesen. Für den Anschluss an die öffentliche Abwasserbeseitigungseinrichtungen habe es überhaupt keine Bedeutung, ob das Vorhaben der Beklagten im kommunalpolitischen Interesse der Klägerin stehe oder nicht. | Soweit die Klägerin ihre Klage hinsichtlich des Zinsanspruchs von 9 auf 8 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz beschränkt hat, wird das Verfahren eingestellt.
Soweit die Beteiligten hinsichtlich der Zahlungsanträge den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren ebenfalls eingestellt.
Das auf die mündliche Verhandlung vom 22. November 2015 am 11. Dezember 2015 ergangene Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts – 4. Kammer, Einzelrichterin – ist wirkungslos.
Die Widerklage der Beklagten wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen die Beklagten.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
SG Berlin 37. Kammer | Berlin | 0 | 0 | 27.05.2016 | 0 | Randnummer
1
Streitig ist die Übernahme einer Betriebs- und Heizkostennachforderung trotz Absenkung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung auf die Richtwerte der bis Juni 2015 angewandten Wohnaufwendungs-Verordnung (WAV) und der seit Juli 2015 geltenden AV-Wohnen.
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Die Kläger sind eine Großfamilie, die seit 2005, ergänzend zu Erwerbseinkommen des Klägers zu 1), SGB II-Leistungen beziehen. Im Juni 2004 zogen sie nach einer Verkleinerung des Familienverbandes auf 6 Personen in eine 6-Zimmer-Wohnung (133,48 qm) desselben Hauses, in dem sie zuvor eine noch größere Wohnung bewohnt hatten.
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3
In Umsetzung einer Kostensenkungsaufforderung aus dem Jahr 2006 erhielten die Kläger von Januar bis Juni 2014 Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II in Höhe von 866 €. Von Juli bis Dezember 2014 hatte der Beklagte 904 € für die KdU-Bedarfe gewährt.
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Die tatsächlichen Miet- und Heizkosten für die Wohnung im sozialen Wohnungsbau betrugen von Januar bis August 2014 1.005 € und von September bis Dezember 2014 1.026,08 € und wurden von den Klägern durchgehend pünktlich gezahlt.
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5
Im November 2015 ging den Klägern im laufenden Alg II-Bezug die Betriebs- und Heizkostenabrechnung für das Jahr 2014 zu. Danach war eine Nachzahlung von 994,41 € spätestens bis zum 16.12.2015 zu leisten, die sich aus einer Nachforderung für die Betriebskosten in Höhe von 175,69 € und eine Nachforderung für Heizung und Warmwasser der zentralen, mit Heizöl betriebenen Anlage in Höhe von 818,72 € zusammensetzt.
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Den am 30.11.2015 gestellten Antrag auf Übernahme der Nachforderung lehnte der Beklagte mit der Begründung ab, infolge der Kostensenkung auf Richtwerte könne dem Antrag nicht entsprochen werden (Bescheid vom 2.12.2015).
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Auf den Widerspruch der Kläger erhöhte der Beklagte die für 2014 zu übernehmenden KdU-Bedarfe auf die fortgeschriebenen Werte der WAV (= 916 € für Januar und Februar 2014 sowie 938 € für März bis Dezember 2014). Damit seien die Ansprüche der Kläger nach § 22 SGB II umfassend erfüllt worden (Änderungsbescheide vom 7.1.2016, bestätigt mit Widerspruchsbescheid vom 20.1.2016).
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Hiergegen richtet sich die am 10. Februar 2016 beim Sozialgericht Berlin erhobene Klage auf Übernahme der Nachforderung in Höhe von 5/6 der tatsächlichen Kosten unter Berücksichtigung des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 5 SGB II eines Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft.
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Die Kläger machen geltend, der Beklagte müsse die von einem Mietanwalt geprüfte Nachforderung übernehmen. Die Werte der WAV seien nach Rechtsprechung des BSG unschlüssig.
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Der Bevollmächtigte der Kläger beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 2.12.2015 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 7.1.2016, diese in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.1.2016 zu verurteilen, die Betriebs- und Heizkostennachforderung 2014 in Höhe von 5/6 der tatsächlichen Kosten zu übernehmen.
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Die Beklagtenvertreterin beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Ergänzend wird zum übrigen Sach- und Streitstand auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die beigezogenen Leistungsakten verwiesen. | Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 2.12.2015 und Abänderung der Bescheide vom 7.1.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.1.2016 verurteilt, die Betriebs- und Heizkostennachforderung 2014 (994,41 €) in Höhe von 5/6 zu übernehmen.
Der Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten. | 0 |
Hessisches Finanzgericht 9. Einzelrichter | Hessen | 0 | 1 | 03.07.2019 | 1 | Die Beteiligten streiten um die Anerkennung von Internatskosten als vorweggenommene Werbungskosten.
Der am 04.10.1992 geborene Kläger besuchte in den Jahren 2009 und 2010 anstelle der 11. Klasse an einem deutschen Gymnasium die Internatsschule „A School“ in England. Im Anschluss absolvierte er in Deutschland die Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe (Klassen 12 und 13) und bestand im Jahr 2012 das Abitur mit der Note 1,0. Danach studierte er den von der B-Universität und dem College in England angebotenen Kooperationsstudiengang „Deutsches und Englisches Recht“.
Der Kläger reichte am 30.12.2014 beim Beklagten Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2009 und 2010 ein, in denen er die Feststellung vorweggenommener Werbungskosten i.H.v. 6.179 € bzw. 13.739 € beantragte. Die geltend gemachten Kosten betreffen Schulgebühren und andere Kosten für das Internat in England. Zur Begründung trug der Kläger vor, dass er im Rahmen des Internatsbesuchs den sog. Cambridge-Test abgelegt habe, der Voraussetzungen gewesen sei, um in England nach dem Abitur Rechtswissenschaften studieren zu können. Der Aufenthalt im Internat sei somit eine unerlässliche Maßnahme gewesen, um die Zulassung für das später aufgenommene zweisprachige Studium zu erhalten. Der Englischunterricht im Leistungskurs an einem deutschen Gymnasium hätte nicht ausgereicht, um den Cambridge-Test zu bestehen. Er bat darum, die beim Bundesverfassungsgericht - BVerfG - anhängigen Verfahren im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses des Werbungskostenabzugs für eine erstmalige Berufsausbildung (Az. 2 BvL 23/14 und 2 BvL 24/14) abzuwarten.
Der Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 20.04.2016 mit, dass die beantragten Einkommensteuerveranlagungen nicht durchgeführt würden. Die geltend gemachten Aufwendungen seien der privaten Lebensführung zuzurechnen, da diese bis zum bestandenen Abitur im Jahr 2012 angefallen seien. Aufwendungen für den Besuch von Schulen, die mit der allgemeinen Hochschulreife abgeschlossen würden, könnten nicht als (vorweggenommene) Werbungskosten berücksichtigt werden. Da es sich bei den geltend gemachten Aufwendungen weder um Kosten einer erstmaligen Berufsausbildung noch um Kosten für ein Erststudium handele, scheide ein Ruhen des Verfahrens im Hinblick auf die beim BVerfG anhängigen Verfahren aus. Im Übrigen lasse auch der angeführte unerlässliche Zusammenhang zwischen dem Aufenthalt in A zum Bestehen des Cambridge-Tests im Jahr 2010 und dem erfolgreichen Abitur mit der Note 1,0, als Voraussetzung für die Aufnahme des zweisprachigen Studiums der Rechtswissenschaften am College in England ab Herbst 2012, keine andere steuerliche Beurteilung zu.
Hiergegen legte der Kläger am 03.05.2016 jeweils Einspruch ein. Er ergänzte sein Vorbringen unter Vorlage von Nachweisen dahingehend, dass der Internatsaufenthalt nicht nur zur Ablegung von Sprachtests, die Voraussetzung für das spätere Studium gewesen seien, gedient habe, sondern dort auch ein im Hinblick auf das spätere Studium fachspezifischer und eben kein allgemeinbildender Unterricht stattgefunden habe. Daneben wies er auf vier Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - hin (vom 15.03.2012, BStBl. II 2012, 743; vom jeweils 09.06.1999, BStBl. II 1999, 710, bzw. Az. VI R 4/99 und vom 23.07.1999, Az. VI R 187/98).
Mit Einspruchsentscheidung vom 08.12.2017 wies der Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, dass entgegen den Ausführungen des Klägers an der „A School“ eine allgemeinbildende schulische Vermittlung von Lerninhalten stattgefunden habe, wobei sich der Beklagte auf Charakterisierungen der Schule im Internet berief. Danach gehöre außerdem die für jede Schule typische Erziehung im menschlichen Miteinander in besonderem Maße zum Bildungsanspruch des vom Kläger besuchten Internats. Der vom Kläger dargestellte geradlinige Übergang vom Internatsaufenthalt in den Jahren 2009 und 2010 zum – nach Ablegung des deutschen Abiturs im Jahre 2012 – darauffolgenden Studium entspreche nicht der allgemeinen Lebenserfahrung. Der Kläger habe als 16- bzw. 17-jähriger noch keine konkrete Lebensplanung hinsichtlich seiner späteren beruflichen Laufbahn entwickeln können. Er sei vielmehr durch den Besuch der Schule erst dazu befähigt worden, seine eigenen beruflichen Fähigkeiten zu erkennen und daraufhin in einem Studium weiterzuverfolgen. Die im Rahmen der Schulausbildung abgelegten Sprachtests stünden in unmittelbarem Zusammenhang mit dieser und könnten keine isolierte Betrachtung erfahren. Der Schulbesuch in England habe somit nur die allgemeinen Voraussetzungen für die spätere Lebensführung des Klägers geschaffen. Nach Literatur und Rechtsprechung seien jedoch Kosten für den Besuch allgemeinbildender Schulen jeder Art nicht als Werbungskosten abziehbar. Die vom Kläger angeführten Urteile des BFH könnten für den vorliegenden Sachverhalt keine Bedeutung erlangen, da sie sämtlich Bildungsmaßnahmen erst nach Abschluss der allgemeinen Schulausbildung zum Gegenstand hätten.
Hiergegen hat der Kläger am 05.01.2018 Klage erhoben. Er vertieft sein Vorbringen dahingehend, dass er schon seit frühem Kindesalter den Berufswunsch gehegt habe, Jurist zu werden. Aufgrund der räumlichen Nähe seines Wohnortes zum Finanzplatz Frankfurt habe sich ihm früh der Einblick in eine juristische Karriere im Bereich des von Großkanzleien dominierten Wirtschaftsrechts eröffnet, in welchem die Kenntnis und Anwendung der englischen Sprache zum alltäglichen Geschäft gehöre. Im Wissen um die hohe Bedeutung der Sprachkenntnisse potentieller zukünftiger Arbeitgeber habe sich der Kläger entschlossen, sein angestrebtes Studium der Rechtswissenschaften so international wie möglich zu gestalten und in jedem Fall einen Studienaufenthalt im englischsprachigen Ausland zu absolvieren. Bei der Recherche, wie dies am besten möglich sein würde, sei er auf den besagten Kooperationsstudiengang aufmerksam geworden. Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bewerbung seien unter anderem die Erbringung eines qualifizierten Nachweises über die Kenntnis der englischen Sprache auf studierfähigem Niveau sowie das erfolgreiche Bestehen eines juristischen Aufnahmetests („National Admissions Test for Law“) gewesen. Da der Kläger einen Studienbeginn direkt nach Ablegung der allgemeinen Hochschulreife angestrebt habe und die Bewerbungsfrist sogar noch vor Ablegung des Abiturs geendet habe, habe der Kläger die Notwendigkeit erkannt, seine sprachlichen Leistungen schon vor Ablegung des Abiturs auf ein Niveau heben zu müssen, das ein überdurchschnittliches Abschneiden bei den Sprachtests und im juristischen Test ermöglichen würde. Mit Blick auf die an ihn gestellten Anforderungen sei der Kläger im Frühjahr des Jahres 2009 zu dem Schluss gekommen, dass die im Schuljahr 2009/2010 für ihn anstehende Einführungsphase der Abiturzeit die letzte Möglichkeit für einen längeren Aufenthalt im englischsprachigen Ausland bieten werde, da ab der Qualifikationsphase ab dem Schuljahr 2010/2011 die Noten ergebnisrelevant für die Abiturprüfung an seinem deutschen Gymnasium sein würden. Die Wahl sei auf das konkrete Internat gefallen, weil dieses zum einen ein Programm angeboten habe, das speziell auf den für das spätere Studium des Klägers erforderlichen Sprachtest vorbereitet habe. Zum anderen habe das Internat zur Gruppe der wenigen Internate gehört, die einen Kurs „Englisches Recht“ im Kursangebot geführt hätten, der durch einen qualifizierten englischen Rechtsanwalt unterrichtet worden sei. Der Kläger habe diesen Kurs gewählt, weil er sich davon einen Wettbewerbsvorteil bei der Bewerbung für sein späteres Studium versprochen habe. Daneben habe er die Kurse „Geschichte“ und „Politikwissenschaft“ gewählt. Als angehendem Juristen sei dem Kläger bekannt gewesen, dass gute Kenntnisse des politischen Systems eines Landes und seiner jüngeren Geschichte vor allem im Bereich des öffentlichen Rechts ein hohes Maß an Bedeutung für das Verständnis und die Anwendung des Rechts hätten. Darüber hinaus habe die Ablegung einer Prüfung im öffentlichen Recht zu den zwingenden Voraussetzungen für den Erwerb eines qualifizierten Bachelor of Laws am College in England gehört. Die Inhalte der drei genannten Kurse seien für den Kläger in den folgenden zwei Abiturjahren in Deutschland nicht verwertbar gewesen, da sie sich jeweils nur mit der Lage im Vereinigten Königreich befasst hätten. Eine Ausbildung im Bereich der Mathematik, der Naturwissenschaften, der Religionswissenschaften, der Musikwissenschaft, der Germanistik oder im Bereich der deutschen Politikwissenschaft, die in Deutschland für den Kläger im Abitur verwertbar gewesen sei, sei in der Zeit am Internat nicht erfolgt. Des Weiteren habe das Internat ein wöchentliches Training für die sog. UCAS-Bewerbung, ein hochspezialisiertes Verfahren der Studienvergabe, angeboten, welches er für die spätere Bewerbung für das Studium habe nutzen können. Die darüber hinaus von dem Internat angebotenen Freizeit- und Sportaktivitäten habe der Kläger nicht in Anspruch genommen. Im Übrigen bezieht sich der Kläger zur beruflichen Veranlassung auf ein Urteil des Finanzgerichts - FG - Hamburg (vom 05.07.2005, Az. 1 K 87/05), wonach Kosten für einen allgemeinen Spracherwerb als Werbungskosten anerkannt worden seien.
Dass die Klägerin in dem dortigen Fall bereits das Abitur abgelegt hatte, sei unerheblich, da der Zeitpunkt des Erwerbs der allgemeinen Hochschulreife keine zwingend dem Gesetz zu entnehmende zeitliche Grenze für den erwerbsbezogenen Veranlassungszusammenhang darstelle.
Der Kläger beantragt,
die Einspruchsentscheidungen des Beklagten aufzuheben,
den Beklagten zu verpflichten, die Einkommensteuerveranlagung wie beantragt durchzuführen, und
die Feststellung des Verlustabzuges in der Folge gemäß § 10d EStG vorzunehmen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen und die Kosten des Verfahrens dem Kläger aufzuerlegen.
Er wiederholt im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. Darüber hinaus sei es entgegen der Auffassung des Klägers nicht egal, ob Aufwendungen, die hier als Vorbereitungszeit auf das Studium bezeichnet würden, vor bzw. nach dem Abitur entstanden seien, da das grundsätzliche Bestehen des Abiturs zwingende Voraussetzung für die Verwirklichung des gehegten Berufswunsches des Klägers sei. Die dafür erforderlichen Voraussetzungen seien unbestritten als hoch anzusehen und die Qualifikation des Klägers sei zweifellos außerordentlich. Dennoch sei es unbestritten und aktuelle Realität, dass auch andere Studiengänge aufgrund der unterschiedlichsten Gründe enorme Hürden aufwiesen, zusätzliche Qualifikationen unabdingbar machten und das Absolvieren eines sehr guten Abiturs voraussetzten. Darüber hinaus bezögen sich auch die weiteren vom Kläger im Klageverfahren herangezogenen Urteile nur auf Aufwendungen, die nach dem Schulabschluss angefallen seien. Im Übrigen sei vom Kläger nicht nachgewiesen worden, dass die geltend gemachten Kosten tatsächlich von ihm getragen worden seien.
Dem Gericht hat ein Band Einkommensteuerakten vorgelegen.
Das Gericht hat am 05.04.2019 einen Gerichtsbescheid erlassen, woraufhin der Kläger fristgemäß Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt hat, welche am 03.07.2019 stattgefunden hat. Wegen der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen. | Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. | 0 |
Verwaltungsgericht des Saarlandes 3. Kammer | Saarland | 0 | 1 | 08.02.2013 | 0 | Randnummer
1
Die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG).
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Am 23.10.2009 beantragte die Klägerin für die Kinder A. und B. beim Beklagten Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz. Dabei wurde ihr ausweislich des von ihr handschriftlich unterzeichneten Antrags ein Merkblatt zum Unterhaltsvorschussgesetz übergeben. Mit Bescheid vom 27.10.2009 gewährte der Beklagte der Klägerin für die beiden Kinder jeweils Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz in Höhe von 158 bzw. 117 € monatlich. In den Bescheiden wird jeweils ausgeführt:" Sie sind verpflichtet, der Unterhaltsvorschussstelle alle Änderungen, die für den Anspruch auf Unterhaltsleistungen von Bedeutung sind, unverzüglich mitzuteilen (Merkblatt Absatz III), insbesondere, wenn sie heiraten, umziehen oder … (siehe auch Merkblatt Absatz VI). Zu Unrecht gezahlte Unterhaltsleistungen müssen zurückgezahlt werden. Besonders dann, wenn vorsätzlich oder fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben gemacht oder Änderungen nicht angezeigt wurden (Siehe auch Merkblatt Absatz VII).".
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Die Klägerin sprach am 9.8.2011 beim Beklagten -FD 51- vor. Über diese Vorsprache wurde von einer Mitarbeiterin des Beklagten folgender Aktenvermerk gefertigt:" Die Mutter der o. g. Kinder hat heute hier mitgeteilt, dass sie am 3.9.2011 heiraten wird. Sie bittet um Einstellung der UV-Leistungen. … Kopien über die Anmeldung der Eheschließung sind beigefügt." Auf dem Aktenvermerk befindet sich folgender handschriftlicher Vermerk:" o. g. Mitteilung habe ich am 7.11.2011 erhalten.".
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Zwischen den Beteiligten steht in Streit, ob die Klägerin nach der Heirat dem Beklagten die Heiratsurkunde vorgelegt hat.
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Mit Bescheid vom 30.11.2011 - gerichtet an die Klägerin - stellte der Beklagte die Unterhaltsvorschussleistungen zum 31.12.2011 ein. Zugleich wurden die Bescheide vom 27.10.2009 zum 31.12.2011 aufgehoben. Zur Begründung wird ausgeführt, die Klägerin habe am 3.9.2011 geheiratet. Gemäß § 1 UVG habe ein Kind nur Anspruch auf Unterhaltsvorschuss, wenn es bei einem alleinstehenden Elternteil lebe. Die laufenden Unterhaltsvorschusszahlungen für die Kinder seien jedoch bis einschließlich dem Monat Dezember 2011 an die Klägerin gezahlt worden. Es bestehe somit eine Überzahlung für die Zeit vom 4. September bis 31. Dezember 2011. Von daher werde der überzahlte Betrag in Höhe von insgesamt 907 € zurückgefordert.
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Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 12.12.2011, beim Beklagten am 14.12.2011 eingegangen, legte die Klägerin gegen diesen Bescheid Widerspruch ein. Zur Begründung wird ausgeführt, es treffe zwar zu, dass die Klägerin am 3.9.2011 geheiratet habe. Die Unterhaltsansprüche gegenüber der Unterhaltsvorschusskasse bestünden jedoch nicht seitens der Kindesmutter, sondern seien selbstständige Ansprüche der Kinder. Die Kindesmutter habe jedoch nicht den Vater der Kinder geheiratet. Dieser sitze zur Zeit eine langjährige Freiheitsstrafe in der JVA A-Stadt ab und sei daher nicht in der Lage, seinen Unterhaltsverpflichtungen nachzukommen. Der Ehemann der Klägerin wiederum sei den Kindern gegenüber nicht unterhaltsverpflichtet. Aus dieser Situation ergebe sich, dass den Kindern der Unterhalt entzogen werde, weil die Kindesmutter geheiratet habe. Würde man einen derartigen Zustand vergleichsweise herstellen, dann würde dies einen Vertrag zulasten Dritter darstellen, der von Gesetzes wegen unzulässig sei. Wenn ein derartiger Vergleich unzulässig wäre, könne eine einseitige hoheitliche Verfügung mit demselben Ergebnis nicht zulässig sein.
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Dieser Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid des Rechtsausschusses vom 27.6.2012 mit der Begründung zurückgewiesen, die Voraussetzungen für einen Rückforderungsanspruch nach § 5 Abs. 1 UVG seien erfüllt. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 11.7.2012 zugestellt.
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Am 2.8.2012 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.
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Sie ist der Auffassung, die Entscheidung des Beklagten sei fehlerhaft, da sie diesem neben ihrer Absicht zu heiraten auch die Eheschließung mitgeteilt habe. Sie habe in Begleitung ihres Ehemannes etwa ein bis zwei Wochen nach der Heirat bei dem Beklagten vorgesprochen und eine Heiratsurkunde abgegeben. Dies könne ihr Ehemann bezeugen. Dabei sei die Heiratsurkunde nicht von der für sie zuständigen Sachbearbeiterin, sondern von deren Urlaubsvertretung entgegen genommen worden. Sie sei daher ihrer Mitteilungspflicht voll umfänglich nachgekommen.
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Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 30.11.2011 und den Widerspruchsbescheid des Rechtsausschusses für den Regionalverband vom 27.6.2012 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er behauptet, die Klägerin habe bei ihm keine Heiratsurkunde abgegeben. Sicherlich sei es ein Fehler gewesen, die Unterhaltsvorschussleistungen nicht unverzüglich einzustellen. Die Klägerin könne sich trotzdem nicht auf den Tatbestand des Vertrauensschutzes berufen, da sie durch ihr Verhalten - Ankündigung der Eheschließung bei der Unterhaltsvorschussstelle am 9.8.2011 - gezeigt habe, dass ihr sehr wohl bewusst gewesen sei, dass mit der Heirat der Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistungen für die Kinder entfalle. Die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz seien ihr sowohl bei der Antragstellung am 23.10.2009 als auch mit der Bewilligung vom 27.10.2009 mitgeteilt worden. Aus diesen Gründen sei sie auf jeden Fall zur Mitteilung der Überzahlung und gemäß § 5 UVG zur Herausgabe der überzahlten Gelder verpflichtet gewesen. Die Behauptung der Klägerin, sie habe die Heiratsurkunde vorgelegt, sei daher für die Rückforderung nach § 5 UVG irrelevant.
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Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsunterlagen des Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war. | Die Klage wird abgewiesen.
Die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Kostenschuld abwenden, falls nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet. | 0 |
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz 2. Kammer | Rheinland-Pfalz | 0 | 1 | 31.07.2019 | 0 | Randnummer
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Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über die Wirksamkeit einer hilfsweise zur außerordentlichen Kündigung ausgesprochenen ordentlichen Kündigung.
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Der Kläger war bei der Beklagten seit 11. April 2016 aufgrund Vertrags vom gleichen Tag (Bl. 9 - 13 d.A.) als LKW-Fahrer beschäftigt.
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Mit Schreiben vom 5. Dezember 2017 (Bl. 65 d.A.) wurde dem Kläger vom Polizeipräsidium - Zentrale Bußgeldstelle - mitgeteilt, dass ihm zur Vollstreckung des einmonatigen Fahrverbotes, das in dem seit 2. Dezember 2017 rechtskräftigen Bußgeldbescheid angeordnet worden sei, eine Frist von vier Monaten ab Rechtskraft des Bußgeldbescheides eingeräumt worden sei, wonach er seinen Führerschein spätestens am 2. April 2018 abgeliefert haben müsse.
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Der Kläger und seine Ehefrau erwarteten für den 15. März 2018 die Geburt ihres weiteren Kindes. Im Hinblick darauf beantragte der Kläger am 4. Januar 2018 für die Zeit vom 12. bis 30. März 2018 Urlaub, der ihm bis zum 24. März 2018 bewilligt wurde (Bl. 51 d.A.). Tatsächlich wurde das Kind am 21. März 2018 geboren. Ab Montag, 26. März 2018, erschien der Kläger nicht zur Arbeit. Der Urlaub des Klägers wurde bis zum 3. April 2018 verlängert, wobei die Einzelheiten zwischen den Parteien streitig sind, insbesondere ob der Kläger mit der Disponentin E., die ab dem 27. März 2018 erkrankt war und von Herrn F. vertreten wurde, zuvor eine Verlängerung seines bis zum 24. März 2018 bewilligten Urlaubs abgesprochen hatte. Am Mittwoch, 4. April 2018, fand zwischen dem Kläger und Herrn F. ein Gespräch statt, dessen Einzelheiten zwischen den Parteien streitig sind.
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Mit Schreiben vom 4. April 2018 (Bl. 14 d.a.) kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis fristlos, ersatzweise fristgerecht zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Hiergegen hat sich der Kläger mit seiner am 23. April 2018 beim Arbeitsgericht Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - eingegangenen Kündigungsschutzklage gewandt.
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Wegen des wechselseitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 26. Juli 2018 - 7 Ca 273/18 - Bezug genommen.
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Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt
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festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die erklärte Kündigung der Beklagten vom 4. April 2018 weder fristlos aufgelöst wurde noch fristgerecht aufgelöst werden wird, sondern ungekündigt fortbesteht.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen F.. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 26. Juli 2018 verwiesen. Mit Urteil vom 26. Juli 2018 - 7 Ca 273/18 - hat das Arbeitsgericht der Klage teilweise stattgegeben, soweit sie sich gegen die fristlose Kündigung richtet, und sie im Übrigen abgewiesen, weil es die hilfsweise ordentliche Kündigung zum 15. Mai 2018 für wirksam erachtet hat. Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme ist das Arbeitsgericht nach der Urteilsbegründung davon ausgegangen, dass der Kläger im Ergebnis die Arbeit im Lager der Beklagten unter Hinweis auf seinen Urlaubswunsch und die Notwendigkeit der Betreuung seiner Kinder nachhaltig verweigert habe. Wegen der Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe seines Urteils verwiesen.
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Gegen das ihm am 13. August 2018 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat der Kläger mit Schriftsatz vom 13. September 2018, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am gleichen Tag eingegangen, Berufung eingelegt und diese nach antragsgemäßer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 15. November 2018 mit Schriftsatz vom 1. November 2018, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am gleichen Tag eingegangen, begründet.
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Der Kläger trägt vor, das Arbeitsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass er seine Arbeitsleistung beharrlich verweigert hätte und das Arbeitsverhältnis aufgrund der ordentlichen Kündigung zum 15. Mai 2018 beendet worden sei. Der Zeuge habe bestätigt, dass er in der Besprechung auf die Notwendigkeit, seine Kinder zu betreuen, hingewiesen und ausdrücklich um Urlaubsgewährung gebeten habe. Sein Urlaubsbegehren habe der Zeuge sodann aus sachfremden Gründen einfach zurückgewiesen. Grund für die Nichtgewährung von Urlaub solle gewesen sein, dass ihm noch offenstehende Gehaltsvorschüsse geleistet worden seien. Völlig unklar sei, weshalb die frühere Leistung eines Gehaltsvorschusses der Urlaubsgewährung entgegenstehen solle, weil ja auch der Urlaub vergütungspflichtig sei und man hier auch Gegenansprüche auf Urlaubsvergütung hätte verrechnen können. Irgendeinen Sinn mache die eigentümliche Begründung für die Verweigerung der Urlaubsgewährung durch die Beklagte nicht. Im Übrigen habe er zu diesem Zeitpunkt noch übertragene Urlaubsansprüche aus dem Vorjahr gehabt, weil er während der Zeit seines vorangegangenen Urlaubs eine Woche lang arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Selbst wenn es aber nur um Gewährung neuen Urlaubs gegangen wäre, sei die Verweigerung der Urlaubsgewährung durch die Beklagte rechtswidrig gewesen. Jedenfalls wäre er auch ohne einen Anspruch auf Urlaubsgewährung wegen einer für ihn unauflöslichen Pflichtenkollision berechtigt gewesen, sich weiterhin um die Betreuung seiner nach der Geburt bettlägerigen Frau, des Neugeborenen und seiner Tochter K., die zu diesem Zeitpunkt nur ein paar Stunden täglich den Kindergarten besucht habe, zu kümmern und die Arbeit hintan stehen zu lassen. Insoweit habe der Zeuge auch bestätigt, dass er in dem mit ihm geführten Gespräch auf die Notwendigkeit der Kinderbetreuung hingewiesen habe. Der Zeuge habe sich aber - vielleicht auch wegen der vom Zeugen ausdrücklich erwähnten und offenbar als hinderlich empfundenen Sprachebarriere - offenbar nicht sonderlich für diese Problematik bei ihm interessiert. Er sei offenbar von rechtlich falschen Voraussetzungen ausgegangen, etwa dass man sich wegen einer Krankheit der Ehefrau "kinderkrank" schreiben lassen könne und habe vielleicht auch deshalb "nicht weiter nachgefragt". Dabei sei es ihm auch nicht um Putzdienste gegangen, sondern primär um die Betreuung der Kinder. Dies sei in der konkret bestehenden Situation auch zwingend erforderlich gewesen. Sowohl nach Einschätzung der seine Ehefrau im Krankenhaus betreuenden Ärztin als auch nach derjenigen der nachbetreuenden Hebamme sei seine Ehefrau auch nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus am 1. April 2018 und danach für einen Zeitraum von mindestens drei Wochen nicht in der Lage gewesen, sich in irgendeiner Weise um die Kinderbetreuung zu kümmern, sondern dringend auf Schonung angewiesen gewesen. Er und seine Ehefrau hätten auch nicht über irgendwelche Angehörige im näheren oder auch im weiteren Umfeld verfügt, welche die Betreuungsleistungen hätten übernehmen können. Auch andere mögliche Betreuungspersonen hätten nicht zur Verfügung gestanden. Danach sei er in einer Situation gewesen, in welcher ihm das Erbringen einer Arbeitsleistung nicht zumutbar gewesen sei. Wäre er zur Arbeit erschienen, hätte er damit schwere Straftaten zum Nachteil seiner betreuungsbedürftigen Ehefrau und der Kinder begangen. Er stelle nochmals klar, dass er sich selbstverständlich nicht gegen eine Arbeit im Lager gewandt hätte, wenn er nicht in der beschriebenen besonderen familiären Notsituation gewesen wäre. Ersichtlich habe er nicht dauerhaft, sondern nur so lange zur Kinderbetreuung zu Hause bleiben wollen, wie seine Frau aufgrund ihrer nachgeburtlichen Beschwerden hierzu nicht in der Lage wäre. Zum Zeitpunkt der Entlassung seiner Ehefrau aus dem Krankenhaus am 1. April 2018 sei dieser Zeitraum auf drei weitere Wochen geschätzt worden. Entgegen der Darstellung der Beklagten habe er in dem Gespräch am 4. April 2018 ganz ausdrücklich auf seine Verpflichtung, sich in der Situation der nicht handlungsfähigen Ehefrau um die Kinder kümmern zu müssen, hingewiesen. Bedauerlicherweise habe der möglicherweise durch die Anforderungen der Vertretungstätigkeit überforderte Zeuge ihm allerdings nicht zuhören wollen, sondern es vorgezogen, ihn anzuschreien. Die eigentliche Disponentin der Beklagten, Frau E., habe ihm angesichts der Schwierigkeiten, die er mit seiner durch die Geburt körperlich stark beeinträchtigten Ehefrau gehabt habe, bedeutet, er solle vorbeikommen, wenn er könne und dann finde man eine Lösung, bis dahin werde der Urlaub verlängert. Dementsprechend sei dann auch bis zum 3. April 2018 verfahren worden. Am 4. April 2018 habe er um 18:00 Uhr zum Gespräch über alles Weitere erscheinen und keine Arbeit leisten sollen. In diesem Gespräch habe er ausdrücklich nochmals seinen gesamten ihm noch zustehenden Urlaub im Hinblick auf die erforderliche Betreuungssituation zu Hause verlangt und dem Zeugen klargemacht, dass er wegen der nach der Geburt erforderlichen Betreuung der Kinder in jedem Falle zu Hause bleibe. Ihm sei auch keine "Haushaltshilfe" angeboten worden. Auch der Zeuge habe insoweit nur von einer Putzdienstfirma gesprochen, die ihm, der vor allem die Kinderbetreuung habe stemmen müssen, nichts geholfen hätte. Seine Ehefrau sei in dem betreffenden Zeitraum tatsächlich nicht zur Kinderbetreuung in der Lage gewesen. Es habe auch für das Kind K. keine Betreuungsmöglichkeit gegeben, welche die normalen Arbeitszeiten bei der Beklagten abgedeckt hätte. Zudem sei auch das Neugeborene noch zu betreuen gewesen, soweit seine Ehefrau es nicht gestillt habe. Eine "professionelle" Kinderbetreuung, auf welche die Beklagte nunmehr zu verweisen suche, sei ihm nicht nur nicht bekannt gewesen. Bei den benannten Firmen wäre eine Betreuung auch nur mit einem Vorlauf von im Regelfall einer bis mehreren Wochen möglich gewesen. Er habe sich aber sofort um seine Familie kümmern müssen. Er sei noch am 4. April 2018 davon ausgegangen, die Beklagte würde ihm den ihm zustehenden Urlaub in der Notsituation bewilligen. Wenn er seine Situation dabei dem Zeugen F. nur in Ansätzen und nicht vollständig habe darlegen können, dann allein deshalb, weil dieser nicht zugehört und herumgeschrien habe. Zwar sei es richtig, dass ihm angeboten worden sei, am 9. April 2018 die Arbeit aufzunehmen. Er habe aber in dem Gespräch erklärt, dass er bis zum nächsten Montag, den 9. April 2018, keine Lösung hinsichtlich der erforderlichen Kinderbetreuung finden könne, weswegen er nochmals Urlaub beantragt habe. Am 28. März 2018 habe er nur deshalb die Gerichtsverhandlung (Einspruch gegen Führerscheinentzug) und den Besprechungstermin abends (mit seiner Tochter K.) wahrnehmen können, weil sich an diesem Tage die Hebamme etwas mehr Zeit genommen habe.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 26. Juli 2018 - 7 Ca 273/18 - abzuändern, soweit es die Klage abgewiesen hat, und festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch durch die ordentliche Kündigung vom 4. April 2018 nicht aufgelöst worden ist.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie erwidert, das Arbeitsgericht habe das Verhalten des Klägers zutreffend als beharrliche Arbeitsverweigerung bewertet, das den Anspruch einer fristgerechten Kündigung gerechtfertigt habe. Der Zeuge F., der nach Erkrankung der Disponentin E. die Aufgaben des Disponenten übernommen habe, habe am 27. März 2018 versucht, den nicht als krank oder urlaubsabwesend geführten Kläger telefonisch zu erreichen. Nach mehreren vergeblichen Anrufversuchen habe der Kläger am 27. März 2018 zurückgerufen und angekündigt, dass er am nächsten Tag, den 28. März 2018, arbeiten werde. Entgegen seiner Ankündigung sei der Kläger zunächst nicht erschienen. Auch hier habe der Zeuge dem Kläger hinterhertelefonieren müssen und dann die Antwort erhalten, dass er gleich komme. Erst nach 2,5 Stunden sei der Kläger dann erschienen und habe in Begleitung seiner Tochter gegenüber dem Zeugen F. erklärt, dass er seine Arbeit nicht aufnehmen werde, da er auf sein Kind aufpassen wolle und zudem in Kürze seinen Führerschein abgeben müsse. Danach sei der Urlaub einvernehmlich bis einschließlich 3. April 2018 gewährt worden. Eine Information darüber, dass sich die Ehefrau des Klägers noch im Krankenhaus befinde oder weshalb er sonst die Kinder versorgen wolle, sei nicht erfolgt. Zum vereinbarten Arbeitstag am 4. April 2018 sei der Kläger nicht erschienen. Der Zeuge F. habe erneut dem Kläger hinterhertelefonieren müssen. Als der Kläger dann gegen 18:00 Uhr im Betrieb erschienen sei, habe er ein Schreiben vorgelegt, dass er am 1. April 2018 den Führerschein abgegeben habe. Daraufhin habe der Zeuge F. dem Kläger angeboten, für die Dauer des Fahrverbotes im Lager zu arbeiten und zwar von 7:00 Uhr bis 17:00 Uhr. Der Kläger habe erwidert, dass ihm diese Zeiten nicht passen würden. Rechtliche Konsequenzen bei Verweigerung seien dem Kläger durch den Zeugen F. in Aussicht gestellt worden, was dem Kläger allerdings egal gewesen sei. In einem weiteren Telefonat, etwa 30 Minuten nach der persönlichen Unterredung, habe der Zeuge dem Kläger nochmals angeboten, Urlaub bis zum 8. April 2018 zu nehmen. Unter Verweis auf die arbeitsrechtlichen Konsequenzen habe der Kläger die Tätigkeit abgelehnt. Auch das Angebot, dass sich die Beklagte um eine Haushaltshilfe für den Kläger kümmern werde, habe er abgelehnt. Selbst wenn man den Vorhalt des Klägers gegenüber dem Zeugen, dass er noch 16 Tage Resturlaub aus dem Jahr 2017 hätte, als wirksam unterstelle, was jedoch bestritten werde, wäre dieser bis zum 30. März 2018 vollständig in natura genommen worden. Das Angebot, die Arbeit erst am 9. April 2018 im Lager aufzunehmen, hätte gleichfalls zur Folge gehabt, dass noch weitere fünf Tage Urlaub aus dem Jahr 2018 bewilligt worden wären. Auf Basis eines Jahresurlaubs von 24 Arbeitstagen hätte der Kläger ohnehin nur sechs Tage Erholungsurlaub bis dahin gehabt. Der Kläger habe auch nur erklärt, dass er auf seine Kinder aufpassen müsse, während er zu keiner Zeit erklärt habe, aus welchem Grund nicht seine Ehefrau auf die Kinder aufpassen könne, da diese sich ja nach der Entbindung ohnehin zu Hause befunden habe. Die Bettlägerigkeit der Ehefrau werde bestritten. Hierzu sei ein ärztliches Attest nicht vorgelegt worden. Selbst wenn der Kläger während seines vorangegangenen Urlaubs eine Woche lang arbeitsunfähig erkrankt gewesen sein sollte, was bestritten werde, hätte dies keine weitergehenden Auswirkungen mehr auf den etwaigen Resturlaubsanspruch aus dem Jahr 2017 gehabt. Bei dem ursprünglich gestellten Urlaubsantrag des Klägers für die Zeit vom 12. bis 30. März 2018 habe es sich um 15 Urlaubstage gehandelt, die somit vollständig eingebracht worden seien. Über den Umfang von 15 Urlaubstagen hinaus bestehende Resturlaubsansprüche aus dem Jahr 2017 seien gemäß § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG verfallen, weil sie nicht rechtzeitig beantragt worden seien. Der Zeuge habe den Kläger auch darauf hingewiesen, dass er zum Arzt gehen könne, um sich die Notwendigkeit der Kinderbetreuung bescheinigen zu lassen, damit er in den Genuss des Krankengeldes i.S.v. § 45 SGB V gelangen könne. Der Zeuge habe auch vielfache Anstrengungen unternommen, um die Interessen des Klägers zu wahren. So habe er nicht nur Urlaube verlängert, er habe auch erklärt, dass er den Kläger zum vereinbarten Termin mangels Fahrmöglichkeit abgeholt hätte bzw. hätte abholen lassen. Ferner habe der Zeuge dem Kläger auch angeboten, später zur Arbeit zu erscheinen, wenn kein Zug zum vorgesehenen Arbeitsbeginn fahre. All dies habe der Kläger pauschal abgelehnt sowie die Tätigkeit im Lager verweigert und erklärt, er werde nicht zur Arbeit erscheinen, er müsse sich um seine Kinder kümmern, die Arbeitszeiten würden ihm nicht passen. Dies stelle eine beharrliche Arbeitsverweigerung dar. Der Zeuge F. habe weiterhin ausgesagt, dass der Kläger von gesundheitlichen Problemen seiner Ehefrau nichts erwähnt habe. Auf die Frage des Zeugen F., ob seine Frau noch im Krankenhaus sei, habe der Kläger mit "nein" geantwortet. Folglich sei die Weigerung des Klägers, im Lager zu arbeiten, als beharrliche Arbeitsverweigerung anzusehen. Ungeachtet dessen stelle die Selbstbeurlaubung durch den Kläger einen fristlosen Kündigungsgrund dar, der eine weitere Zusammenarbeit unzumutbar mache. Der Kläger könne sich auch nicht auf ein Leistungsverweigerungsrecht i.S.v. § 275 Abs. 3 BGB berufen. Er habe nichts dafür vorgetragen, dass es ihm aus rechtlichen oder tatsächlichen unmöglich gewesen sei, seiner vertraglichen Verpflichtung zur Arbeitsleistung nachzukommen. Er habe auch nicht dargelegt, welche Anstrengungen er unternommen habe, um den Konflikt der Erfüllung der elterlichen Sorge einerseits und der Arbeitsverpflichtung andererseits zu lösten. Insoweit fehle es bereits an einer Konfliktsituation. Denn der Kläger hätte beim Kindergarten nachfragen können, ob seine Tochter K. vorübergehend länger im Kindergarten bleiben und betreut werden könne. Er hätte auch bei Eltern von Freunden seiner Tochter im Kindergarten nachfragen können, ob für eine kurze Übergangszeit die Möglichkeit bestehe, seine Tochter für wenige Stunden zu beaufsichtigen, bis er von der Arbeit zurückkomme. Zum anderen werde bestritten, dass seine Ehefrau überhaupt nicht in der Lage gewesen sein solle, sich um die Kinderbetreuung zu kümmern. Wenn dem so gewesen wäre, so stelle sich die Frage, wo das neugeborene Baby gewesen sei, als der Kläger zur vereinbarten Arbeitsaufnahme bzw. zur Besprechung im Betrieb erschienen sei. Darüber hinaus bleibe unklar, welche negativen Folgen in medizinischer Hinsicht die Geburt für die Ehefrau des Klägers gehabt habe. Unabhängig davon werde bestritten, dass diese medizinischen Beeinträchtigungen die Ehefrau des Klägers bis zum 21. April 2018 oder länger daran gehindert hätten, sich ganz oder zumindest teilweise um die Kinderbetreuung zu kümmern. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, hätte sich der Kläger als Sorgeberechtigter darum kümmern müssen, Alternativen zu finden. Denn wenn die Ehefrau des Klägers den Haushalt und die Kinderbetreuung aus medizinischen Gründen vorübergehend nicht leisten könne, würden die Kosten für eine Haushaltshilfe im Regelfall von der Krankenkasse übernommen. Mögliche Einsätze seien während und nach einem Klinikaufenthalt, während der Schwangerschaft und nach der Entbindung möglich. Dies gelte auch für die Wochenbettpflege. Die gesetzlichen Krankenkassen würden diese Unterstützung in der Regel bis zu acht Stunden täglich bezahlen. Die Haushaltshilfe sei von L. auch in N-Stadt angeboten worden. Es gebe auch noch weitere Institutionen, die Haushaltshilfen anbieten oder vermitteln würden. Der Kläger habe sich offenbar nicht nur über Betreuungsmöglichkeiten nicht informiert, er habe auch aktiv die vom Zeugen F. angebotene Haushaltshilfe abgelehnt und pauschal darauf verwiesen, er wolle sich um seine Kinder kümmern. Dabei habe er nicht geäußert, dass er sich um seine Kinder kümmern müsse, weil seine Ehefrau noch bettlägerig sei bzw. sich aus gesundheitlichen Gründen nicht um die Kinder und den Haushalt kümmern könne. Danach habe keine Konfliktsituation und damit keine Zwangslage vorgelegen, die dem Kläger keine andere Wahl gelassen habe, als von der Arbeit fern zu bleiben. Selbst bei unterstellter Zwangslage sei diese jedenfalls nicht unverschuldet gewesen. Nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast hätte der Kläger seinerseits die Rechtfertigungs- bzw. Entschuldigungsgründe konkret darlegen müssen. Dieser Darlegungslast sei der Kläger allerdings nicht hinreichend nachgekommen. Wenn sich im Anschluss an die Geburt des Kindes am 21. März 2018 Komplikationen bei seiner Ehefrau ergeben hätten und ein stationärer Aufenthalt bis zum 1. April 2018 sowie eine darüber hinausgehende Erkrankung bis mindestens 21. April 2018 indiziert gewesen sei, hätte der Kläger sich umgehend nach einer Betreuungskraft umschauen müssen. Obgleich ihm Urlaub nur bis zum 24. März 2018 bewilligt worden sei, sei er am 26. März 2018 weder zur Arbeit erschienen noch habe er seine Verhinderung gegenüber der Beklagten kundgetan. Auch am 27. März 2018 habe sich der Kläger bei ihr nicht gemeldet und sei auch nicht zur Arbeit erschienen. Nachdem der Zeuge F. den Kläger nach der weiteren Urlaubsgewährung bis zum 3. April 2018 für die Dauer des Fahrverbotes im Lager von 7.00 Uhr bis 17:00 Uhr habe einsetzen wollen, habe der Kläger erwidert, dies passe ihm nicht, er wolle Urlaub haben. Zu der ihm vom Zeugen angebotenen Hilfe, z.B. eine Haushaltshilfe zu finden, habe der Kläger nur gesagt, das sei ihm egal, er müsse auf die Kinder aufpassen. Der Zeuge habe bei seiner Vernehmung auch erklärt, dass er dem Kläger nochmals das Angebot unterbreitet habe, eine Stunde später anfangen zu können, wenn er beispielsweise mit dem Zug Probleme bekomme. Darauf habe der Kläger geantwortet, dass er dies ablehne und Urlaub mache. Nach der Aussage des Zeugen habe der Kläger in monotoner Weise immer nur erklärt, er wolle auf die Kinder aufpassen, während er von gesundheitlichen Problemen seiner Ehefrau nichts gesagt habe. Der Kläger hätte sich um eine Betreuungsmöglichkeit bemühen und entsprechende Vorkehrungen treffen müssen, was er offenbar nicht getan habe. Er habe lediglich nachträglich und zwar erst im Prozess vorgetragen, dass seine Ehefrau krankheitsbedingt verhindert gewesen sei. Es fehle aber jeglicher Sachvortrag des Klägers, dass er versucht habe, während dieser Zeit zwischen Geburt und dem Urlaubsende die Personensorge durch Dritte wahrnehmen zu lassen. Vielmehr habe er sogar das Angebot des Zeugen, ihm eine Haushaltshilfe zur Verfügung zu stellen, aktiv abgelehnt. Danach habe der Kläger die Arbeitspflichtverletzung rechtswidrig und schuldhaft begangen. Auch wenn man noch eine Interessenabwägung zwischen der elterlichen Sorge einerseits und der Arbeitspflicht andererseits vornehmen würde, falle diese zu Lasten des Klägers aus. Im Rahmen der Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass der Kläger der ihm schon seit längerer Zeit obliegenden Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins nicht während seiner Urlaubszeit im März 2018, sondern erst nach Beendigung des Urlaubs im April 2018 nachgekommen sei und sie erst zu einem Zeitpunkt informiert habe, als er seinen Führerschein bereits abgegeben habe. Trotz des bereits beendenden Urlaubs sei der Kläger weder am 26. noch am 27. März 2018 zur Arbeit erschienen und habe sie hierüber ebenso wenig informiert. Die Angebote des Zeugen, den Urlaub nochmals bis zum 8. April 2018 zu verlängern, ihm bei der Suche einer Haushaltshilfe behilflich zu sein, eine Putzfrau zur Verfügung zu stellen, die Arbeit im Lager aufzunehmen, den avisierten Beginn im Lager von 7:00 Uhr auf 8:00 Uhr zu schieben, habe der Kläger mit der Begründung abgelehnt, er wolle Urlaub und Zeit haben, um nachzudenken. Der Kläger habe noch nicht einmal den genauen Grund genannt, weshalb er sich um die Kinder kümmern wolle und auch zu keinem Zeitpunkt erwähnt, wie lange er sich um Kinderbetreuung kümmern wolle, so dass der Zeitpunkt einer erneuten Arbeitsaufnahme völlig unklar gewesen sei. Nach ihrem erheblichen Entgegenkommen sei es ihr nicht zumutbar gewesen, für eine weitere, zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs unabsehbare Zeit auf die Arbeitsleistung des Klägers zu verzichten. Der Kläger habe mithin beharrlich die Arbeitsleistung verweigert und sich widerrechtlich selbst beurlaubt. Selbst bei unberechtigter Verweigerung des Urlaubs hätte der Kläger klagen oder eine einstweilige Verfügung beantragen müssen. Schließlich sei auch zu berücksichtigten, dass das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt der Kündigung erst knapp zwei Jahre bestanden habe und der Kläger aufgrund seines Alters und der hervorragenden Berufschancen als LKW-Fahrer in vielen Betrieben jederzeit hätte unterkommen können. Danach habe dem Kläger wegen fehlender Pflichtenkollision kein Zurückbehaltungsrecht i.S.v. § 275 Abs. 3 BGB zur Seite gestanden. Überdies hätte der Kläger ein solches auch nicht hinreichend deutlich gemacht. Der pauschale Hinweis, dass er sich um seine Kinder zu kümmern habe, sei nicht ausreichend, weil diese Verpflichtung jeden Familienvater treffe. Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Beklagten wird auf ihre Schriftsätze vom 27. November 2018, 15. April 2019 und 13. Mai 2019 verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen. | I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach vom 26.07.2018 - 7 Ca 273/18 - abgeändert, soweit es die Klage abgewiesen hat:
Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch durch die ordentliche Kündigung vom 04. April 2018 nicht aufgelöst worden ist.
II. Die Kosten des Rechtsstreits (1. und 2. Instanz) hat die Beklagte zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt 3. Senat | Sachsen-Anhalt | 0 | 1 | 26.04.2018 | 0 | Randnummer
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Der Kläger begehrt im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X) die Feststellung weiterer Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) mit den dazugehörigen Entgelten und wendet sich gegen die Rücknahme eines Teilabhilfebescheides auf seinen Widerspruch, mit dem die geltend gemachten Zeiten teilweise festgestellt wurden.
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Dem am ... 1950 geborenen Kläger wurde mit der Urkunde der Ingenieurschule für Bauwesen E. vom 21. Juli 1972 die Berechtigung verliehen, die Berufsbezeichnung Ingenieur zu führen. Ausweislich seines Ausweises für Arbeit und Sozialversicherung war er vom 1. September 1972 bis zum 31. Dezember 1978 als Heizungsingenieur bei dem VEB Betonprojekt D. (auch: "BEPRO" genannt) und daran anschließend bis zum 31. März 1984 als Leiter des technischen Büros - Fernwärme - bei dem VEB Gebäudewirtschaft D. beschäftigt. Nachfolgend arbeitete er als Objektbauleiter bei dem VEB Energiekombinat H ... Ab dem 1. Oktober 1975 leistete der Kläger Beiträge der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung der ehemaligen DDR (FZR). Eine Versorgungszusage erhielt er in der ehemaligen DDR nicht.
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Mit Bescheid vom 7. Dezember 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 2013 stellte die Beklagte für den Kläger Beschäftigungszeiten nach dem Gesetz zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebietes (Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz - AAÜG) vom 1. April 1984 bis zum 30. Juni 1990 fest. Die Berücksichtigung weiterer entsprechender Zeiten vom 21. Juli 1972 bis zum 31. Dezember 1978 lehnte sie ab, weil der VEB Betonprojekt D. weder ein volkseigener Produktionsbetrieb (Industrie oder Bau) noch einem solchen im Sinne von § 1 Abs. 2 der Zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz vom 24. Mai 1951 (2. DB) gleichgestellt gewesen sei. Soweit eingewendet werde, dass der Zusatzversorgungsträger in gleichgelagerten Fällen Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz anerkannt habe, könne aus einer möglicherweise fehlerhaft ergangenen Entscheidung kein Anspruch auf Gleichbehandlung hergeleitet werden. Der Widerspruchsbescheid vom 3. Juli 2013 ist mit der Rechtsbehelfsbelehrung über die innerhalb eines Monats nach seiner Bekanntgabe zulässige Klage vor dem Sozialgericht Dessau-Roßlau versehen.
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Der Kläger teilte der Beklagten am 19. Juli 2013, d.h. innerhalb der Monatsfrist, nach einem Aktenvermerk sinngemäß telefonisch mit, empört zu sein, dass auf dem ihm übersandten Exemplar des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 2013 keine Unterschriften zu erkennen seien und der Zeitraum von "7/72-12/76 bzw. 78" abgelehnt worden sei. Er - der Kläger - wolle keine Klage einreichen, werde jedoch einen Antrag auf Überprüfung stellen. Am 31. Juli 2013 beantragte der Kläger schriftlich bei der Beklagten die Überprüfung des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 2013 zum "Rentenanspruch und Ablehnung ihres Schreibens vom 3. Juli 2013" unter Berücksichtigung auch der Zeiten seiner Beschäftigung vor dem 1. April 1984. Er verwies insoweit auf die Kopie der ersten beiden Seiten einer von der Altersversorgung der Intelligenz an den VEB Betonprojekt D. gerichteten Rechnung über die Beitragsumlage betreffend das Jahr 1976 für die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz vom 3. November 1975. Diese Umlage wurde nach den Hinweisen in der Rechnung insbesondere für Personen im Rentenbezug erhoben, bei denen der Rentenfall während der Beschäftigung im Betrieb eingetreten war. Die Anlagen zu diesem Schreiben mit den Tabellenlisten über den Gesamtumlagebetrag, die Versorgungsberechtigten und die Rentner fehlen.
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Die Beklagte lehnte den Überprüfungsantrag des Klägers nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X) mit Bescheid vom 16. August 2013 ab. Der VEB Betonprojekt D. und der VEB Gebäudekombinat D. seien jeweils nicht als Betriebe anzusehen, die vorrangig Produktionsaufgaben zu erfüllen gehabt hätten. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 30. August 2013 Widerspruch ein und meinte, die Beklagte müsse ihm nachweisen, dass die vorgenannte an den VEB Betonprojekt D. gerichtete Rechnung nicht auf ihn zutreffe. Die Fernwärmeversorgung sei ein Produktionsbereich der VEB Gebäudewirtschaft D. gewesen. Seine damaligen Kollegen in beiden vorgenannten VEBen hätten die Zusatzversorgung erhalten, ihm aber keinen Nachweis durch eine Urkunde erbringen können.
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Mit Schreiben vom 30. Oktober 2013 forderte die Beklagte den Kläger nochmals auf, Nachweise hinsichtlich seiner tatsächlichen Entgelte in der Zeit vom 1. August 1972 bis zum 31. Dezember 1977 zu übersenden.
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Mit Bescheid vom 11. Februar 2014 half die Beklagte unter Hinweis auf das laufende Widerspruchsverfahren sinngemäß dem Widerspruch teilweise ab und stellte die Zeiten vom 1. August 1972 bis zum 31. Dezember 1977 und (wie bereits erfolgt) die Zeiten vom 1. April 1984 bis zum 30. Juni 1990 als nachgewiesene Zeiten der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz fest. Für die Zeiten ab dem 1. April 1984 sind die Beträge zu erzieltem, zu berücksichtigendem und sozialversicherungspflichtigem Arbeitsentgelt, zu FZR und Versorgung mit denjenigen in dem Bescheid vom 7. Dezember 2012 identisch. In dem Bescheid wird ausgeführt, für die Zeit vom 1. August 1972 bis zum 30. September 1975 reichten die bei der Beklagten vorliegenden Informationen nicht aus, um die Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem als Pflichtbeitragszeit der Rentenversicherung vollständig festzustellen. Die erforderlichen Auskünfte und Unterlagen habe die Beklagte nicht erhalten. Nach Eingang der angeforderten Unterlagen mit den tatsächlich erzielten Entgelten werde dieser Bescheid gemäß § 44 SGB X überprüft. Die Beträge für den Zeitraum vom 1. August 1972 bis zum 31. Dezember 1977 lauten wie folgt:
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8
Zeitraum
von bis
erzieltes zu berücksich- davon: FZR Versorgung
01.08.-31.12.72
2.857,60
2.857,60
2.857,60
-
-
01.01.-31.12.73
7.140,00
7.140,00
7.140,00
-
-
01.01.-31.12.74
6.929,20
6.929,20
6.929,20
-
-
01.01.-30.09.75
5.400,00
5.400,00
5.400,00
-
-
01.10.-31.12.75
2.518,00
2.518,00
1.165,00
1.353,00
-
01.01.-31.12.76
12.998,40
12.998,40
7.121,70
5.876,70
-
01.01.-31.12.77
13.882,00
13.882,00
6.983,00
6.899,00
-
Randnummer
9
Der Bescheid vom 16. August 2013 werde aufgehoben. Der Bescheid vom 7. Dezember 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 2013 werde aufgehoben, soweit er diesem Bescheid entgegenstehe. Dieser Bescheid vom 11. Februar 2014 ergehe auf Grund des Widerspruchs des Klägers vom 30. August 2013.
Randnummer
10
Der Kläger hielt sinngemäß seinen Widerspruch aufrecht.
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11
Nach Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 28. Februar 2014 zu einer Fehlerhaftigkeit des Bescheides vom 11. Februar 2014 in Bezug auf die festgestellten Zeiten vom 1. August 1972 bis zum 31. Dezember 1977 nahm die Beklagte den Teilabhilfebescheid vom 11. Februar 2014 mit Bescheid vom 23. April 2014 insoweit nach § 45 SGB X mit Wirkung für die Zukunft zurück. Die Voraussetzungen des § 5 AAÜG seien in der Zeit vom 1. August 1972 bis zum 31. Dezember 1977 nicht erfüllt gewesen. Auch dieser Bescheid werde zum Gegenstand des Widerspruchsverfahrens. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 23. Mai 2014 Widerspruch ein.
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12
Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juli 2014 wies die Beklagte "den Widerspruch gegen den Bescheid vom 16. August 2013 in Verbindung mit dem Bescheid vom 23. April 2014" als unbegründet zurück. Die Feststellung der Zeit vom 1. August 1972 bis zum 31. Dezember 1977 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz habe sich im Nachhinein als rechtswidrig herausgestellt. Bei dem VEB Betonprojekt D. habe es sich nicht um einen volkseigenen Produktionsbetrieb (Industrie oder Bau) oder einen einem solchen gleichgestellten Betrieb, sondern um einen Projektierungsbetrieb gehandelt, der zu keiner Zeit selbst Bauleistungen erbracht habe. Damit seien die betrieblichen Voraussetzungen einer Einbeziehung in die Zusatzversorgung der technischen Intelligenz nicht erfüllt. Der Kläger habe hier zwar im Sinne des § 45 Abs. 2 SGB X auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertrauen können. Dieses Vertrauen sei jedoch unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme nicht schutzwürdig. Bei dem Bescheid handele es sich um einen Nichtleistungsbescheid, mit dem keine Rentenzahlung zuerkannt worden sei. Es lägen auch keine Vermögensdispositionen des Klägers vor. Im Rahmen der Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens seien keine weiteren Gründe des Klägers vorgetragen worden und damit auch nicht zu berücksichtigen gewesen. Hinsichtlich des ursprünglichen Widerspruchs des Klägers bezüglich der Zeit vom 1. Januar 1978 bis zum 31. März 1984 sei daran festzuhalten, dass der VEB Betonprojekt D. und der VEB Gebäudewirtschaft D. jeweils weder volkseigene Produktionsbetriebe (Industrie oder Bau) noch solchen gleichgestellte Betriebe im Sinne der 2. DB gewesen seien. Es bestehe auch kein Anspruch des Klägers auf Gleichbehandlung durch den Zusatzversorgungsträger in Bezug auf andere gleichgelagerte Fälle.
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13
Der Kläger hat am 8. August 2014 Klage vor dem Sozialgericht Dessau-Roßlau mit dem Begehren erhoben, den Bescheid der Beklagten vom 16. August 2013 in Verbindung mit dem Bescheid vom 23. April 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, für ihn antragsgemäß weitere Zusatzversorgungszeiten in der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz vom 1. August 1972 bis zum 31. März 1984 festzustellen. Mit Schriftsatz in anwaltlicher Vertretung vom 28. Mai 2015 hat der Kläger seinen Antrag in Bezug auf den vor dem 1. Januar 1978 liegenden Zeitraum auf die Anfechtung der den Bescheid vom 11. April 2014 zurücknehmenden Entscheidung der Beklagten beschränkt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 29. Juni 2017 hat der Kläger folgenden Antrag gestellt:
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14
den Bescheid der Beklagten vom 23. April 2014 aufzuheben.
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15
unter Abänderung des Feststellungsbescheides vom 11. Februar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2014 die Beklagte zu verpflichten, die Beschäftigungszeiten vom 1. Januar 1978 bis 31. März 1984 als Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz nach Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG und die in diesem Zeitraum hieraus erzielten Entgelte festzustellen.
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16
Zur Begründung hat sich der Kläger auf eine Beschreibung des 1971 von dem VEB Betonprojekt D. bezogenen Gebäudes gestützt, in dem auch die Mitarbeiterstruktur dieses Betriebes dargelegt und die Zielsetzung des Beitrags zum industriellen Bauen (aber nicht das industrielle Bauen) dargelegt wird. Zu den Einzelheiten wird auf Blatt 44 bis 46 Bd. I der Gerichtsakten Bezug genommen. Er meint, bei ihm seien alle drei Voraussetzungen für die fiktive Einbeziehung in die AVItech erfüllt. Sowohl der VEB Betonprojekt D. als auch der VEB Gebäudewirtschaft D. erfüllten auch die betriebliche Voraussetzung in diesem Sinne. In Bezug auf den VEB Betonprojekt D. bilde ein wichtiges Indiz, dass der Betrieb "Beiträge zur Altersversorgung der technischen Intelligenz abgeführt" habe. Dieser VEB habe im Übrigen ein umfangreiches Spektrum ingenieurtechnischer Aufgaben, von der planerischen Vorbereitung über die Projektierung und Autorenkontrolle bis zur Inbetriebnahme neuer und rekonstruierter Anlagen wahrgenommen. Darin eingeschlossen seien Konstruktionsarbeiten der Maschinen-, Elektro-, Heizungs- und Anlagentechnik gewesen. Die Aufgabe des VEB habe vorrangig in den Vorbereitungsleistungen für die Kalk-, Gips- und Kreideindustrie sowie dem beschleunigten Ausbau der betontechnischen Vorfertigung bestanden.
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17
Das Sozialgericht hat Betriebsunterlagen aus anderen Verfahren zu dem VEB Betonprojekt D. und dem VEB Gebäudewirtschaft D. nach Kenntnisgabe an die Beteiligten als Beiakten zu der Gerichtsakte genommen.
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18
Mit Urteil auf die mündliche Verhandlung vom 29. Juni 2017 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Im Tatbestand hat das Sozialgericht den von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag wiedergegeben. In den Entscheidungsgründen hat das Sozialgericht sodann ausgeführt, der Bescheid vom 23. April 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2014 sei rechtmäßig. Die Beklagte habe zu Recht den Bescheid vom 11. Februar 2014 zurückgenommen, soweit darin die Zeiten vom 1. August 1972 bis 31. Dezember 1977 als nachgewiesene Zeiten zur AVItech festgestellt worden seien. Zudem habe es die Beklagte zu Recht abgelehnt, die Zeiten vom 1. Januar 1978 bis zum 31. März 1984 als weitere Zeiten nach der AVItech festzustellen. Der Rücknahmebescheid vom 23. April 2014 sei nicht zu beanstanden. Die Voraussetzungen des § 45 SGB X lägen vor, da der Bescheid vom 11. Februar 2014 als begünstigender Verwaltungsakt bei seinem Erlass zumindest teilweise rechtswidrig gewesen sei. Denn er habe die Zeiten vom 1. August 1972 bis zum 31. Dezember 1977 rechtswidrig als Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech festgestellt. Der Kläger habe keinen Anspruch darauf gehabt, dass gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 und § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG Zugehörigkeitszeiten zu einem Zusatzversorgungssystem festgestellt wurden. Er sei nicht dem Geltungsbereich des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG unterfallen, weil er weder tatsächlich noch im Wege der Unterstellung der AVItech (Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG) angehört habe. Insbesondere sei ihm von Organen der DDR eine Versorgung nicht zugesagt worden. Ein fiktiver Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage habe ebenfalls nicht bestanden. Auch wenn man der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu der Erweiterung der Anwendbarkeit des AAÜG auf Personen, die am 30. Juni 1990 einen Anspruch auf Einbeziehung bzw. eine Versorgungszusage gehabt hätten - was auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten sei - folgen würde, hätte die Beklagte den Zeitraum vom 1. August 1972 bis zum 31. Dezember 1977 nicht als Zeiten nach der AVItech feststellen dürfen. Die gemäß § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (VO-AVItech) in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB erforderlichen Voraussetzungen in persönlicher, sachlicher und betrieblicher Hinsicht erfülle der Kläger in Bezug auf die betriebliche Voraussetzung nicht. Zwar sei er seit dem 21. Juli 1972 berechtigt, den Titel eines Ingenieurs im Sinne der 2. DB zu führen. Er sei im Übrigen vom 1. August 1972 bis zum 31. Dezember 1977 als Heizungsingenieur entsprechend seiner Qualifikation als Ingenieur beschäftigt, jedoch nicht in einem Produktionsbetrieb im Sinne von § 1 Abs. 2 der 2. DB tätig gewesen. Der VEB Betonprojekt D. sei kein volkseigener Produktionsbetrieb im Sinne von § 1 Abs. 2 der 2. DB. Insoweit werde auf die - in dem Urteil im Übrigen als Zitat wiedergegebenen - Gründe des Urteils des 1. Senats des Landessozialgerichts (LSG) Sachsen-Anhalt vom 29. Mai 2007 (- L 1 R 92/06 -) verwiesen. Der 1. Senat des LSG Sachsen-Anhalt habe diese Rechtsprechung mit den Urteilen vom 30. Oktober 2007 (- L 1 RA 199/05 -) und vom 14. August 2008 (- L 1 RA 203/05 -) bestätigt. In der vorgenannten Entscheidung vom 29. Mai 2007 sei schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt worden, dass der VEB Betonprojekt D. nicht die enge Begriffsauslegung des BSG erfülle, wonach der Begriff des Produktionsbetriebes nur solche Betriebe erfasse, die Sachgüter im Hauptzweck industriell (d.h. serienmäßig wiederkehrend) fertigten. Speziell im Bereich des Bauwesens erfasse der Begriff des Produktionsbetriebes nur solche Betriebe, deren Hauptzweck in der Massenproduktion von Bauwerken liege, die dabei standardisierte Produkte massenhaft ausstoßen und eine komplette Serienfertigung von gleichartigen Bauwerken zum Gegenstand haben (Hinweis auf BSG, Urteil vom 8. Juni 2004 - B 4 RA 57/03 R -, juris). Der vom Kläger eingereichte Nachweis der Zahlung von Beiträgen an die Staatliche Versicherung der DDR führe zu keiner anderen Einschätzung. Es sei vielmehr allein auf den Wortlaut der Verordnung abzustellen, nach der ein Anspruch auf Einbeziehung nicht bestanden habe. Ein etwaiges Vertrauen des Klägers auf den Bestand des Bescheides vom 23. April 2014 (gemeint ist: des Bescheides vom 11. Februar 2014) sei unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme nicht schutzwürdig nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X. Auf Seiten des Klägers seien keine Aspekte vorgebracht worden oder sonst erkennbar, die über das bloße Begehren hinausgingen, dass die Zeiten zur AVItech feststellt würden. Das Interesse an der Herstellung rechtmäßiger Zustände überwiege daher deutlich das Vertrauen des Klägers am Fortbestand der rechtswidrigen Feststellung. Die Beklagte habe das ihr zustehende Ermessen erkannt und es in rechtlich nicht zu beanstandender Wiese ausgeübt. Insbesondere sei eine Unverhältnismäßigkeit des Rücknahmebescheides vom 23. April 2014 nicht ersichtlich. Der Kläger könne insbesondere keine "Gleichbehandlung im Unrecht" dahingehend beanspruchen, mit Kollegen, bei denen - nach den Angaben des Klägers - Zeiten nach der AVItech für die Beschäftigung in demselben Betrieb berücksichtigt worden seien, gleichgestellt zu werden. Der Bescheid vom 11. Februar 2014 sei rechtmäßig, soweit die Zeiten vom 1. Januar 1978 bis zum 31. März 1984 nicht als weitere Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech festgestellt worden seien. Der Kläger erfülle in diesem Zeitraum nicht die Voraussetzungen des § 5 AAÜG. Insoweit sei in der Entscheidung bereits ausgeführt worden, dass der VEB Betonprojekt D. kein Produktionsbetrieb im Sinne von § 1 Abs. 2 der 2. DB gewesen sei. Dasselbe gelte für den VEB Gebäudewirtschaft D ... Das Sozialgericht hat sich diesbezüglich auf die als Zitat wiedergegebenen Gründe in dem Urteil des LSG Sachsen-Anhalt vom 30. November 2005 (- L 1 RA 154/05 -) gestützt. Dieser Auffassung schließe sich das Sozialgericht an, weil es sich bei dem VEB Gebäudewirtschaft D. in seiner Gesamtheit nicht um einen Versorgungsbetrieb (Gas, Wasser, Energie) gehandelt habe. Vielmehr habe die Energieversorgung dem Betrieb nicht das Gepräge gegeben. In der Gesamtschau habe es sich um einen Dienstleistungsbetrieb der Wohnungswirtschaft gehandelt.
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19
Gegen das ihm am 26. Juli 2017 zugestellte Urteil hat der Kläger am 25. August 2017 Berufung beim LSG Sachsen-Anhalt eingelegt.
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20
Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 26. April 2018 folgendes Teilanerkenntnis abgegeben, das der Kläger angenommen hat:
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21
Ich hebe den Bescheid vom 23. April 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2014 insoweit auf, als darin der Bescheid vom 11. Februar 2014 in Bezug auf die Feststellung nachgewiesener Zeiten in der AVItech vom 1. August 1972 bis zum 31. Dezember 1977 zurückgenommen worden und nicht nur die Rechtswidrigkeit dieser Feststellung ausgesprochen worden ist.
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22
Zur Begründung seines Rechtsmittels hat der Kläger ausgeführt, es genüge für die Einbeziehung in die AVItech, dass der VEB Betonprojekt D. ein volkseigener Betrieb gewesen sei und und "einen Vertrag über die Altersversorgung der Intelligenz mit der Registernummer 7375" geschlossen habe. Der VEB Gebäudewirtschaft D. sei ein volkseigener Betrieb und im Register der volkseigenen Wirtschaft eingetragen gewesen. Auch die Fernwärme sei in Bezug auf ihre Umwandlung in die spätere Fernwärmeversorgungs-GmbH D. registriert worden. Er hat auf eine Arbeitsbeurteilung des VEB Betonprojekt D. vom 15. Februar 1979, seinen Arbeitsvertrag mit dem VEB Gebäudewirtschaft D. ab dem 1. Januar 1979 und eine Beschreibung der Arbeitsaufgaben verwiesen. Bezüglich der Einzelheiten wird insoweit auf Blatt 176 bis 180 Bd. II der Gerichtsakten Bezug genommen.
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Der Kläger beantragt,
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24
das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 29. Juni 2017 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 23. April 2014 in der Fassung des Teilanerkenntnisses aufzuheben, unter Abänderung des Feststellungsbescheides vom 11. Februar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2014 die Beklagte zu verpflichten, die Beschäftigungszeiten vom 1. Januar 1978 bis 31. März 1984 als Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz nach Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG und die in diesem Zeitraum hieraus erzielten Entgelte festzustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend. Der Kläger habe eine Einbeziehung in das Versorgungssystem der DDR nicht durch einen Versicherungsschein (Police) belegt. Sie verweist insoweit auf das Merkblatt der Staatlichen Versicherung der DDR für die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz der volkseigenen Betriebe und ihnen gleichgestellter Betriebe.
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Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten auf die Gerichtsakten nebst Beiakten sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Diese Akten haben bei der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats vorgelegen. | Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Hessisches Landesarbeitsgericht 10. Berufungskammer | Hessen | 0 | 1 | 06.12.2019 | 0 | Die Parteien streiten über die Frage, ob die Beklagte für das Umkleiden aufgewendete Arbeitszeit in den Kalenderjahren 2013 bis 2015 zu vergüten hat bzw. ob hierfür hilfsweise eine Freistellung zu erfolgen hat.
Die Beklagte gehört zu dem Konzern der A und stellt Verpflegung für den Verzehr/Verkauf auf den Flügen der A her.
Die Klägerin war bei der Beklagten seit dem 1. Juli 2011 beschäftigt. In dem Arbeitsvertrag
(Bl. 135 ff. der Akte)
wird auf die im Betrieb geltenden Tarifverträge verwiesen. Die Arbeitszeit sollte entsprechend dem Arbeitsanfall erbracht werden. Der Bruttostundenlohn belief sich auf 10,39 Euro.
Seit dem 1. Januar 2013 besteht bei der Beklagten die Pflicht, Arbeitskleidung im Betrieb anzulegen. Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass sich die Umkleidezeit auf 8 Minuten je Umkleidevorgang, also 16 Minuten pro Arbeitstag beläuft.
Die Konzernbetriebsparteien haben am 9. September 2013 eine Konzernbetriebsvereinbarung „Abschluss der Gesamtbetriebsvereinbarungen Flex/Glaz der ehem. B“
(im folgenden KonzernBV
) abgeschlossen, die zum Regelungsgegenstand hat, die Gesamtbetriebsvereinbarungen für bestimmte, dort näher bezeichnete Gesellschaften des C Konzerns mit Wirkung zum 1. Januar 2014 für anwendbar zu erklären. Davon erfasst war unter anderem die Rahmenbetriebsvereinbarung über die Flexibilisierung der Arbeitszeit (Flex) bei der B vom 13. Juni 2006
(im Folgenden RahmenBV Flex)
. Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass diese Betriebsvereinbarung schon im Kalenderjahr 2013 im Betrieb Anwendung fand. Darin heißt es auszugsweise wie folgt:
„
§ 2 Definitionen
Jahresarbeitszeitkonto:
Für die Mitarbeiter/-innen wird ein Jahresarbeitszeitkonto geführt. Hierauf wird zu Beginn des Bezugszeitraumes die tarifliche oder individuelle Jahresarbeitszeit als Sollarbeitszeit dokumentiert. Jede tatsächlich gearbeitete Stunde bzw. Ersatzzeiten werden gegen diese Sollarbeitszeit gebucht.
Bezugszeitraum:
Die Dauer des Bezugszeitraums ist die Zeit vom 01.01. bis 31.12. des jeweiligen Kalenderjahres bzw. bei unterjährigem Eintritt des Mitarbeiters/der Mitarbeiterin der Beginn des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende des Kalenderjahres.
Ausgleichszeitraum:
Der Ausgleichszeitraum ist der Zeitraum vom 01.01. bis 30.06. des auf den Bezugszeitraum folgenden Kalenderjahres, in welchem Überstunden abgebaut und Minusstunden ausgeglichen werden sollen.
…
§ 3 Jahresarbeitszeit
(1) Für die Mitarbeiter/-innen gilt auf der Basis der tariflich vereinbarten Stundenwoche bzw. bei Teilzeitmitarbeitern/innen auf Basis der vertraglichen Vereinbarung (Berechnungsgrundlage) eine Jahresgesamtarbeitszeit (zwölfmonatiger Bezugszeitraum 01.01. bis 31.12.) als vereinbart. … Der Bezugszeitraum endet stets am 31.12. des Jahres.
(2) …
(3) Für die Mitarbeiter/innen wird pro Bezugszeitraum ein Jahresarbeitszeitkonto geführt. Innerhalb eines Kontos werden die Zeiten nach oben oder unten durch Auf- oder Abbau des jeweiligen Zeitkontostandes erfasst.
(4) Arbeitszeit, welche durch Dienst- oder Schichtpläne festgelegt wird, gilt im Rahmen der Jahresarbeitszeit als Grundarbeitszeit. Geleistete Arbeitszeit, die über die im Dienst- oder Schichtplan festgelegte Arbeitszeit hinausgeht, ist Überarbeit.
…
Überstunden nach § 9 Abs. 2a MTV Nr. 14 werden im Rahmen der Jahresarbeitszeit als zuschlagsberechtigte Stunden erfasst. Die Auszahlung erfolgt nicht sofort, sondern richtet sich nach den Regelungen des § 3 Abs. 6 dieser Betriebsvereinbarung.
…
(6) Der Stand des Jahresarbeitszeitkontos soll am Ende des Bezugszeitraums (31.12.) die regelmäßige tarifliche oder individuelle Jahresarbeitszeit zuzüglich 75,00 Stunden (Auslösegrenze) nicht überschreiten. Stunden bis zur Auslösegrenze werden in das Folgejahr übertragen. …“
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der RahmenBV Flex wird Bezug genommen auf die zur Akte gereichte Anl. K2.
Im Betrieb findet der Manteltarifvertrag Nr. 2 für Mitarbeiter der LSG mit Verträgen zur Anpassung der Arbeitszeit an den Arbeitsanfall in der Fassung des Änderungstarifvertrages vom 1. Januar 2008
(MTV AnpArbZ)
Anwendung. Darin heißt es unter anderem wie folgt:
„§ 16 Krankenbezüge
(1) Wird der Mitarbeiter durch Erkrankung oder Unfall arbeitsunfähig, so erhält er für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit unter den nachfolgenden Voraussetzungen Krankenbezüge.
(2) Bis zur Dauer von sechs Wochen wird als Krankenbezug die aktuelle Grundvergütung weitergezahlt. Außerdem erhält der Mitarbeiter je Kalendertag zur Abgeltung von Mehrarbeitsvergütung und Zeitzuschlägen ein Pauschalbetrag, der sich nach § 24 Abs. (2) - umgerechnet auf Kalendertage - errechnet. ...
…
§ 24 Erholungsurlaub
(1) Jeder Mitarbeiter hat in jedem vom 01. Januar bis 31. Dezember laufenden Urlaubsjahr Anspruch auf Erholungsurlaub, der möglichst zusammenhängend zu nehmen und zu gewähren ist. Eine dem Urlaubszweck widersprechende Erwerbstätigkeit darf der Mitarbeiter während des Urlaubs nicht ausüben.
(2) Für die Zeit des Erholungsurlaubs werden dem Mitarbeiter die Grundvergütung und die Zulagen weitergezahlt. Außerdem erhält der Mitarbeiter je Urlaubstag zur Abgeltung von Zeitzuschlägen auf Grundarbeitsstunden einen Pauschalbetrag, der sich wie nachstehend ausgeführt errechnet. ...“
Vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht war zu der Frage der Vergütungspflicht für Umkleidezeiten bei der Beklagten ein Berufungsverfahren anhängig. Das Landesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 18. Dezember 2017 - 7 Sa 150/17 - entschieden, dass den Arbeitnehmern dem Grunde nach ein Anspruch auf Schadensersatz nach den §§ 280, 283 BGB gerichtet auf Freizeitausgleich zusteht. Dieses Urteil ist mittlerweile rechtskräftig.
Seit 2016 stellt die Beklagte freiwillig eine Zeitgutschrift von 16 Minuten pro Arbeitstag in das jeweilige Arbeitskonto ein.
Mit ihrer am 21. Dezember 2017 eingereichten und am 5. Januar 2018 zugestellten Klage hat die Klägerin ihre Ansprüche bei dem Arbeitsgericht Frankfurt rechtshängig gemacht.
Hinsichtlich der Darstellung der streitigen Behauptungen und der Rechtsansichten der Parteien wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Frankfurt a.M.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.202,15 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. Januar 2018 zu zahlen;
2. hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin unter Fortzahlung der vertragsgemäßen Vergütung an 212 Arbeitsstunden von der Arbeitsleistung freizustellen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht Frankfurt a.M hat mit Urteil vom 19. Juni 2019 der Klage in Bezug auf eine Freistellung für die Umkleidezeiten für 2014 und 2015 stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen angenommen, die notwendige Zeit für das Umkleiden am Tag von 16 Minuten sei grundsätzlich zu vergüten, ein Entgeltanspruch sei jedoch aufgrund der KonzernBV und der RahmenBV Flex ausgeschlossen. Danach bestünde nur dann ein Anspruch auf Vergütung, wenn die Stunden auf das Arbeitszeitkonto gebucht worden seien und am Ende des Ausgleichszeitraums ein positiver Arbeitszeitsaldo bestanden habe. Der Klägerin stünde aber ein Schadensersatzanspruch nach den §§ 280 Abs. 1, 3 und 283 BGB zu, da es die Beklagte pflichtwidrig unterlassen habe, die Umkleidezeiten im Arbeitszeitkonto zu berücksichtigen. Für das Jahr habe die Klägerin aber nicht konkret angegeben, an welchen Tagen sie gearbeitet habe. An Tagen, an denen sie wegen Urlaubs oder infolge einer Arbeitsunfähigkeit nicht gearbeitet hat, habe sie sich nicht umkleiden müssen, so dass insoweit auch kein Schaden entstanden sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des Urteils der ersten Instanz wird Bezug genommen auf Bl. 54 bis 62 der Akte.
Dieses Urteil ist der Klägerin am 19. Juli 2019 zugestellt worden. Die Berufungsschrift ist am 13. August 2019 bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangen. Nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 4. Oktober 2019 ist die Berufungsbegründung am 30. September 2019 bei dem Berufungsgericht eingegangen.
Die Klägerin meint in der Berufungsinstanz, dass der Klage zu Unrecht nicht vollumfänglich stattgegeben worden sei. Nach den Vorgaben der RahmenBV Flex sei es nicht möglich, nach Ablauf des Ausgleichszeitraums noch eine bezahlte Freistellung für den Arbeitnehmer - auch in Form eines Schadensersatzanspruchs - anzunehmen. Der von der Rechtsprechung statuierte Schadensersatzanspruch im Zusammenhang mit verfallenem Urlaub könne nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden, da Urlaub und bezahlte Freistellung nicht vergleichbar seien. Urlaub sei schon seiner Natur nach stets in Natur zu gewähren. Es sei widersprüchlich, einerseits die RahmenBV Flex anzuwenden, sofern es um das Erfordernis des Einbuchens der Arbeitszeit geht, sodann aber die Betriebsvereinbarung in Bezug auf die finanzielle Abgeltung und den Ausgleichszeitraum für unanwendbar zu erklären. Außerdem müsse der Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung Berücksichtigung finden. Der finanzielle Schaden umfasse auch Zeiten, in denen sich der Arbeitnehmer nicht zur Durchführung der Arbeit umgezogen hat, etwa im Fall von Urlaub oder Krankheit. Die 16 Minuten Umkleidezeit pro Tag würden Teil der Regelarbeitszeit. In Hessen seien im Kalenderjahr 2013 251 Arbeitstage, im Kalenderjahr 2014 gleichfalls 251 Arbeitstage und im Jahr 2015 253 Tage zu leisten gewesen. Die Klägerin könne daher für 755 Tage insgesamt 2.091,82 Euro verlangen. Hilfsweise verlange sie Entgelt auf der Grundlage der tatsächlich angefallenen Arbeitstage. Im Kalenderjahr 2013 habe sie konkret an 189 Arbeitstagen, im Kalenderjahr 2014 an 160 Arbeitstagen und im Kalenderjahr 2015 an 92 Arbeitstagen gearbeitet und sich umgezogen.
Die Klägerin stellt den Antrag,
das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt a.M. vom 19. Juni 2019 - 7 Ca 8796/17 - abzuändern und
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.091,82 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19. Januar 2018 zu zahlen;
2. hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin unter Fortzahlung der vertragsgemäßen Vergütung für 201,33 Arbeitsstunden von der Arbeitsleistung freizustellen;
3. höchst hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin unter Fortzahlung der vertragsgemäßen Vergütung für 164 Arbeitsstunden von der Arbeitsleistung freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts und meint, allenfalls käme nach den zu Grunde liegenden Kollektivvereinbarungen ein Anspruch auf Freizeitausgleich in Betracht. Sie vertritt die Auffassung, dass die zu Grunde liegenden Betriebsvereinbarungen zwar nicht ausdrücklich die Frage regelten, was mit zu Unrecht nicht verbuchten Arbeitszeitstunden zu geschehen habe, eine an Sinn und Zweck der Vereinbarung orientierte Auslegung müsse allerdings ergeben, dass auch in diesem Fall zunächst versucht werden müsse, Freizeitausgleich zu gewähren. Zum gleichen Ergebnis komme man, wenn man mit dem Landesarbeitsgericht bzw. dem Arbeitsgericht dem Grunde nach eine Schadensersatzpflicht der Beklagten bejaht. Auch in diesem Fall sei der Schadensersatz zunächst auf einen tatsächlichen Freizeitausgleich gerichtet. Das Arbeitsgericht habe darüber hinaus zutreffend angenommen, dass dem Kläger dann kein Schaden entstanden sei, sofern er wegen Krankheit oder Urlaub nicht im Betrieb anwesend und sich dann auch nicht umgezogen habe. Sie erhebe ferner die Einrede der Verjährung in Bezug auf vermeintliche Ansprüche für das Jahr 2013. Außerdem sei der Anspruch verwirkt. Aus den monatlichen Abrechnungen habe die Klägerin ersehen können, dass Umkleidezeiten nicht vergütet würden. Hiergegen habe sie sich gegenüber der Beklagten nicht gewandt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird ergänzend Bezug genommen auf sämtliche gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften. | Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 19. Juni 2019 – 7 Ca 8796/17 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt insgesamt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.388,10 EUR (in Worten: Eintausenddreihundertachtundachtzig und 10/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19. Januar 2018 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Klägerin 37 % und die Beklagte 63 % zu tragen. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 34 % und die Beklagte 66 % zu tragen.
Die Revision wird für die Beklagte zugelassen. | 1 |
LG Frankfurt 6. Kammer für Handelssachen | Hessen | 1 | 0 | 19.12.2019 | 0 | Die Klägerin ist ein Zusammenschluss von Taxizentralen verschiedener Städte in Deutschland. Ihr Unternehmensgegenstand ist nach ihrer Satzung die wirtschaftliche Förderung und Betreuung ihrer Mitgliedsunternehmen. Sie betreibt die Taxi-Bestell-App „………………..“ und den bundesweiten mobilen Taxibestellruf „……“. Mithilfe der App können registrierte Benutzer über ein internetfähiges Smartphone in deutschen Städten – in welchen konkret ist streitig - Taxis bestellen, ohne eine Taxizentrale oder ein Taxiunternehmen anrufen zu müssen. Die App registriert den Standort des Benutzers und leitet die Taxibestellung nach der Bestätigung der Bestellung automatisch an die an das System angeschlossene Taxizentrale weiter, die dem Besteller sodann ein Taxi schickt. Mithilfe des bundesweiten Taxirufes „……….“ kann unter einer einheitlichen Rufnummer in Orten mit mehr als 5000 Einwohnern ein Taxi bestellt werden.
Die Beklagte betreibt mit ihrer Software-Applikation (im Folgenden ………..-App) eine digitale Plattform, auf der entsprechend konzessionierte Anbieter von Personenbeförderungsdienstleistungen, die über entsprechende Kapazitäten verfügen, mit Privatpersonen verbunden werden, die eine Beförderung benötigen. Diese Dienstleistung bietet sie nach eigenen Angaben in Deutschland in den Städten Frankfurt am Main, Berlin, München, Düsseldorf, Köln und Hamburg an. Die Beklagte selbst ist nicht im Besitz einer Verkehrsgenehmigung nach dem PBefG.
Die,……………..-App steht u.a. Mietwagenunternehmern zur Nutzung zur Verfügung. Diejenigen Mietwagenunternehmer, die die …………….App nutzen wollen, müssen sich nicht exklusiv an ….. binden, sondern können auch anderweitige Aufträge annehmen. Voraussetzung für die Registrierung für die Nutzung der …………..-App ist, dass der Mietwagenunternehmer die gesetzlich erforderlichen Genehmigungen hat. Des Weiteren muss er von ………….. gesetzte Standards hinsichtlich des Fahrzeugs erfüllen. Die Beklagte kommuniziert in ihrem ………….. Blog und auf ihrer Internetseite ……….., dass sie als Vermittler tätig ist (Anlagen B 4, 5). Bezüglich ihrer Außendarstellung in der Werbung wird auf die Anlage K 6 Bezug genommen. Die Beklagte stellt ihre Stellung als Vermittler von Beförderungsdienstleistungen in ihren Nutzungsbedingungen, auf deren Inhalt (Anlage B 7) Bezug genommen wird und in dem Dienstleistungsvertrag mit dem Mietwagenunternehmer, auf dessen Inhalt (Anlage B 8) Bezug genommen wird, dar.
Das System funktioniert dergestalt, dass der Fahrgast mithilfe der ………..-App eine Fahrt zu einem von ihm anzugebenden Ziel anfragt. Vor Bestätigung seiner Anfrage wird ihm ein Preis für die Fahrt, der Abhol- und Zielort, die Wartezeit und das gewählte Zahlungsmittel angezeigt. Die ………….-App ermittelt sodann automatisiert einen geeigneten Fahrer, der die Fahrt ausführen soll. Auswahlkriterium ist dabei der aktuelle Standort des Fahrers, der während der angemeldeten Vermittlungsbereitschaft und Fahrtausführungen ständig von der Beklagten per GPS festgestellt wird. Ist ein Fahrer ausgewählt, erhält dieser eine „Push-Mitteilung“ über sein Smartphone und wird über das Vorliegen einer Fahrtanfrage informiert. Dabei kann er bereits sehen, wo sich der Fahrgast aufhält. Gleichzeitig wird er aufgefordert, eine „Dienstanweisung“ des Mietwagenunternehmens abzuwarten. Dem Fahrer ist es allerdings technisch möglich, dass er die Anfahrt in seinem Fahrzeug bestätigt. Das System informiert zeitgleich mit der Push-Mitteilung an den Fahrer das Mietwagenunternehmen per E-Mail über die neue Fahrtanfrage und fragt an, ob der von der Beklagten ausgesuchte Fahrer die Fahrt ausführen soll. Für die Beantwortung hat das Mietwagenunternehmen 30 Sekunden Zeit. Soll der Auftrag angenommen werden, klickt das Mietwagenunternehmen den entsprechenden Link in der E-Mail an und der Fahrer wird durch die generierte SMS angewiesen, die Fahrt auszuführen. Kommt es in diesem Zeitraum zu keiner positiven Beantwortung, erhält der Fahrer auf seinem Mobiltelefon die Nachricht, dass er sich in der App abmelden solle, indem er offline geht und er keine Fahrten mehr durchführen solle. Nach Abschluss einer Beförderung teilt der Fahrer der Beklagten über ihr System mit, dass die Fahrt beendet wurde. Die Beklagte errechnet sodann den konkreten Beförderungspreis, lässt sich die Beförderung von dem Fahrgast über die App bestätigen und belastet dann das vom Fahrgast zu hinterlegende Konto (Ziff. 3 der Allgemeinen Nutzungsbedingungen) mit dem Fahrpreis. Wegen eines beispielhaften Buchungsprozesses wird auf die Anlage B 6 Bezug genommen. Nach Beendigung der Fahrt wird die Beförderung im Auftrag, im Namen und auf Rechnung unter Angabe der Umsatzsteuer-ID des Mietwagenunternehmers über die……………-App abgerechnet. Die Zahlungsabwicklung erfolgt dergestalt, dass der Mietwagenunternehmer die Beklagte als eingeschränkte Inkassobevollmächtigte beauftragt, den Fahrpreis vom Fahrgast einzuziehen. Dieser zahlt schuldbefreiend an die Beklagte, die den Betrag abzüglich der ihr zustehenden Servicegebühr an das Mietwagenunternehmen weiterleitet.
Das System der Beklagten erfasst die jeweilige Position der angeschlossenen Fahrzeuge jedenfalls während des Zeitraums, in dem der Fahrer bei der App eingeloggt ist, eine darüber hinaus gehende Kenntnis der Beklagten über den Aufenthaltsort der Fahrzeuge ist streitig.
Die Klägerin mahnte die Beklagte mit Schreiben vom 16.05.2019 ab und forderte sie zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf (Anlage K 1). Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 24.05.2019 ab.
Die Klägerin behauptet, sie biete ihre oben genannten Vermittlungsleistungen durch die ……………………… in Frankfurt am Main, Berlin, Düsseldorf, Dortmund, Bremen und Hamburg an.
Die Klägerin ist der Auffassung, bei der Beklagten handele es sich um eine Unternehmerin im Sinne von § 3 PBefG und sie benötige daher auch eine Mietwagenkonzession, da sie die Beförderung der Nutzer ihrer Vermittlungsplattform organisiere. So bestimme sie entgegen der Bestimmung in ihren Nutzungsbedingungen, wonach die jeweiligen Preise der Beförderungs- oder Logistikdienstleistung von dem jeweiligen unabhängigen Leistungsanbieter festgelegt werden tatsächlich den von den Nutzern zu zahlenden Beförderungspreis. Die Vereinbarung eines abweichenden – niedrigeren- Fahrtpreises zwischen Nutzer und Beförderungsunternehmen werde durch die Nutzungsbedingungen tatsächlich verhindert. Auf die Möglichkeit einer solchen Vereinbarung werde der Nutzer im Bestellprozess auch nicht hingewiesen, vielmehr bezeichne sie auf ihrer Webseite den errechneten Fahrpreis als „Festpreis“. Zudem verlange sie die 25%ige Provision vom Mietwagenunternehmen unabhängig davon, ob ein niedrigerer Fahrpreis mit dem Nutzer vereinbart wird. Das einseitige Preisbestimmungsrecht der Beklagten ließe sich auch daraus ersehen, dass allein die Beklagte den Zeitpunkt für „erhöhte“ Fahrtengelte wegen starker Nachfrage bestimme.
Die Beklagte beschränke sich auch nicht auf reine Vermittlungsdienste, vielmehr organisiere die Beklagte den gesamten Ablauf der Beförderungsleistung dergestalt, dass für den Nutzer die Beklagte als Vertragspartner für die Beförderungsleistung erscheine. So suche diese den „geeigneten“ Fahrer aus, auf diesen Prozess habe der Nutzer keine Einflussmöglichkeit. Auch die angeschlossenen Mietwagenunternehmen hätten keine Einflussmöglichkeit auf den Vermittlungsprozess, da sie den von der Beklagten konkret ausgesuchten Fahrer nur akzeptieren oder die Ausführung der Fahrt ablehnen könne.
Die Beklagte habe das von ihr im Jahr 2014 eingeführte Geschäftsmodell nur insoweit abgeändert, dass sie – nach dessen gerichtlicher Untersagung - nunmehr die Beförderungsanfragen an lizensierte Mietwagenunternehmen weiterleite und bei Anmeldung von Fahrern, die am System teilnehmen wollen, deren Fahrerlaubnis zur Personenbeförderung überprüfe. Alle anderen wesentlichen Kriterien der Organisation der Personenbeförderung indes seien unverändert beibehalten worden.
Aus der maßgeblichen Sicht des Vertragspartners der vereinbarten Beförderungsleistung, also des Fahrgastes, sei die Beklagte Vertragspartner für die Beförderungsleistung. So geschehe die Vermarktung der bei der Beklagten angeschlossenen Mietwagenunternehmer unter dem einheitlichen Markennamen „………….“, ebenso die einheitliche Werbung (Anlage K 6). Die Beklagte steuere den gesamten Beförderungsvorgang von der Kundenregistrierung über die Stellung der Beförderungsbedingungen und Festlegung - einschließlich Gewährung von Rabatten - sowie Einziehung des Fahrpreises unter obligatorischer Hinterlegung von unbaren Bezahlmethoden zugunsten der Beklagten. Daran ändere eine Vereinbarung der Beklagten mit ihren „unabhängigen Dienstleistern“ in dem Nachtrag zum Dienstleistungsvertrag nichts, da in den Nutzungsbedingungen zwischen der Beklagten und den Fahrgästen nach wie vor die Hinterlegung und Aufrechterhaltung von unbaren Zahlungsmöglichkeiten vorgesehen sei. Die Beklagte bestimme über die Zulassung der Mietwagenunternehmen und deren Fahrer nach eigenen Kriterien und entscheide über den Ausschluss von der Plattform. Ihr oblägen Auswahl und Zuweisung der Beförderungsanfragen an konkrete Unternehmen und Fahrer. Die deklaratorischen Angaben der Beklagten in den Nutzungsbedingungen, dass sie keine Beförderungsleistungen erbringe, ändere nichts daran, dass sie aufgrund ihres konkreten Handelns Vertragspartner sei.
Sie behauptet, die Auftragsvermittlung der Beklagten genüge nicht den Erfordernissen des PBefG, da sie die Vorschrift missachte, wonach Mietwagenunternehmer nur dann Beförderungsaufträge durchführen dürfen, wenn diese zuvor am Betriebssitz oder in der Wohnung des Mietwagenunternehmers eingegangen sind. Vielmehr ermögliche es die technische Applikation der Beklagten den teilnehmenden Fahrern die Fahraufträge direkt im Fahrzeug anzunehmen. Dies werde von den Fahrern auch so ausgeübt, indem sie Fahraufträge ausgeführt hätten, ohne dass zuvor eine entsprechende „Dienstanweisung“, die am Betriebssitz des Mietwagenunternehmens oder der Wohnung Mietwagenunternehmers erteilt wurde, vorgelegen habe. In der Woche vom 14.1. bis 21.1.2019 hätten mehrere Fahrer von der Beklagten vermittelte Fahraufträge ausgeführt, nachdem sie sich über das im Fahrzeug mitgeführte „Zweit-Smartphone“ die „Dienstanweisung“ selbst erteilt hätten. Es bestehe daher die Möglichkeit der Annahme des Fahrauftrages direkt im Fahrzeug. Der vertragswidrige Gebrauch der technischen Möglichkeiten des Vermittlungssystems sei naheliegend, was schon daraus folge, dass den angeschlossenen Mietwagenunternehmen lediglich 30 Sekunden Zeit für die Annahme einer Fahrtbestellung eingeräumt wird. Da die Beklagte ein wirtschaftliches Interesse an jeder vermittelten und ausgeführten Fahrt infolge der von ihr vereinnahmten Provision von 25 % des Fahrpreises habe, bestehe kein Interesse daran, den technischen Missbrauch des Vermittlungssystems zu verhindern.
Sollte man die Unternehmereigenschaft der Beklagten verneinen, so hafte sie für den technischen Missbrauch der bei ihr angeschlossenen Unternehmen als Teilnehmerin.
Die Missachtung der gesetzlichen Rückkehrpflicht werde durch das von der Beklagten betriebene Geschäftsmodell provoziert und begünstigt. Seit Anfang 2019 habe es zahlreiche Verstöße von………………………-Fahrern gegen das Rückkehrgebot gegeben, die Gegenstand von wettbewerbsrechtlichen Eilverfahren waren und bei denen es in vielen Fällen zur Abschlusserklärung bzw. Unterlassungserklärung gekommen sei. In diesen Fällen hätten sich die Fahrer außerhalb ihres Betriebssitzes des jeweiligen Mietwagenunternehmens bereitgehalten, unmittelbar nach Beendigung einer Beförderung über das ……….-System. Die Beauftragung zu einer weiteren Beförderung sei dann ebenfalls über das …………………-System erfolgt. Auf die im Anlagenkonvoluts „Rückkehrpflicht“ zum Schriftsatz vom 05.10.2019 benannten Fälle wird Bezug genommen.
Der Fall Nr. 1 des Anlagenkonvoluts „Rückkehrpflicht“ zum Schriftsatz vom 05.10.2019 betreffe eine Fahrt mit dem PKW …………….am 20.06.2019 ab 16:19 Uhr. Dieser Fall sei Streitgegenstand der einstweiligen Verfügung des Landgerichts Gießen Az. 8 O 45/19 vom 24.07.2019 ……………….. gegen ………………. Die Erteilung eines …………..-Auftrags sei am 20.06.2019 um 16:24 Uhr erfolgt. Der Fahrer sei beobachtet worden, dass er von 16:19 bis 16: 24 Uhr in Frankfurt am Mainkai in der Nähe des Eisernen Stegs auf einem Busparkplatz gestanden habe. Er habe den um 16:24 Uhr erteilten …………..-Auftrag angenommen. Eine Abschlusserklärung sei am 14.08.2019 abgegeben worden.
Der Fall Nr. 4 des Anlagenkonvoluts „Rückkehrpflicht“ zum Schriftsatz vom 05.10.2019 betreffe eine Fahrt mit dem PKW …………….. am 19.02.2019 ab 19:01 Uhr. Dieser Fall sei Streitgegenstand der einstweiligen Verfügung des Landgerichts Frankfurt am Main Az3-06 O 22/19 vom 26.03.2019 ………………. gegen ………….. Die Erteilung eines …………….Auftrags sei am 19.02.2019 um 20:50 Uhr am Frankfurter Flughafen Terminal 2 erfolgt. Der Fahrer habe die Suchanfrage laut Angaben in der App vom Tor 3 aus angenommen. Binnen 3 Minuten sei er am Terminal 2 gewesen und auftragsgemäß zum Hotel ………………………. gefahren. Zuvor sei er beobachtet worden, dass er mit seinem Fahrzeug an der …… Tankstelle an der Unterschweinstiege von 19:01 bis 19:48 Uhr gestanden habe. Der Fahrer sei im bzw. in unmittelbar in Nähe seines Autos gewesen. Eine Abschlusserklärung sei am 25.04.2019 abgegeben worden.
Die Klägerin behauptet weiter, sie habe am 10.7.2019 und 11.7.2019 Testfahrten durchführen lassen. Am 10.07.2019 gegen 23.55 Uhr habe der Zeuge ………………. über die Bestell-App der Beklagten ein Fahrzeug für eine Beförderung vom Marbachweg 318 zum Fliederweg 35 bestellt. Den Beförderungsauftrag habe der Fahrer des Fahrzeuges VW Passat mit dem amtlichen Kennzeichen …………….erhalten. Dieser habe zuerst die Mitteilung über den Beförderungsauftrag auf seinem Fahrer-Smartphone erhalten. Wenige Sekunden später sei die Beförderungsanfrage auch auf dem Unternehmer-Smartphone eingegangen. Der Fahrer habe den Beförderungsauftrag auf seinem Fahrer-Smartphone angenommen, ohne zuvor die Beförderungsanfrage auf dem Unternehmer-Smartphone zu beantworten. Dies sei erst geschehen, nachdem er mit der Beförderung begonnen habe. Für die Fahrt seien dem Zeugen …………….9,36 € berechnet worden.
Am 11.07.2019 gegen 0.10 Uhr habe der Zeuge………….. über die Bestell-App der Beklagten ein Fahrzeug für eine Beförderung vom Fliederweg 35 zur Bertramstraße bestellt. Den Beförderungsauftrag habe der Fahrer des Fahrzeuges VW Passat mit dem amtlichen Kennzeichen ……………. erhalten. Dieser habe zuerst die Mitteilung über den Beförderungsauftrag auf seinem Fahrer-Smartphone erhalten. Wenige Sekunden später sei die Beförderungsanfrage auch auf dem Unternehmer-Smartphone eingegangen. Der Fahrer habe den Beförderungsauftrag auf seinem Fahrer-Smartphone angenommen, ohne zuvor die Beförderungsanfrage auf dem Unternehmer-Smartphone zu beantworten. Dies sei erst geschehen, nachdem er mit der Beförderung begonnen habe. Für die Fahrt seien dem Zeugen…………….. 10,82 € berechnet worden.
Am 11.07.2019 gegen 0.26 Uhr habe der Zeuge ………….. über die Bestell-App der Beklagten ein Fahrzeug für eine Beförderung von der Bertramstraße zur Basaltstraße bestellt. Den Beförderungsauftrag habe der Fahrer des Fahrzeuges VW Passat mit dem amtlichen Kennzeichen …………. erhalten. Dieser habe zuerst die Mitteilung über den Beförderungsauftrag auf seinem Fahrer-Smartphone erhalten. Wenige Sekunden später sei die Beförderungsanfrage auch auf dem Unternehmer-Smartphone eingegangen. Der Fahrer habe den Beförderungsauftrag auf seinem Fahrer-Smartphone angenommen, ohne zuvor die Beförderungsanfrage auf dem Unternehmer-Smartphone zu beantworten. Dies sei erst geschehen, nachdem er mit der Beförderung begonnen habe. Für die Fahrt seien dem Zeugen …….. 15,00 € berechnet worden.
In den aufgezeigten Fällen habe die Beklagte den angeschlossenen Fahrzeugen Fahrtaufträge erteilt, obwohl für sie erkenntlich gewesen sei, dass die Fahrzeuge nach Beendigung der von der Beklagten zuvor vermittelten Beförderungsfahrt nicht die Rückfahrt zum Betriebssitz angetreten hätten, sondern sich vielmehr im Zielgebiet der Ankunft bereitgehalten hätten.
Von den ca. 360 Fahrzeugen, die in Frankfurt am Main Beförderungsaufträge für die Beklagte ausführten, seien lediglich ca. 120 Fahrzeuge einem dortigen Betriebssitz zugeordnet, die restlichen im Umland angemeldet. Die weitaus größte Anzahl von Beförderungsaufträgen über die App der Beklagten werde für den Flughafen Frankfurt und das Stadtgebiet erteilt. Da die Mehrheit der Fahrzeuge jedoch ihren Betriebssitz weit außerhalb von Frankfurt am Main habe, sei ein Verstoß gegen die Rückkehrpflicht besonders naheliegend.
Die Klägerin beantragt,
I. der Beklagten zu untersagen, bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu € 250.000,--, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollziehen an den Geschäftsführern der Beklagten, für jeden Fall der Zuwiderhandlung
im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken
1. entgeltliche Beförderungsaufträge für Mietwagen (§ 49 Abs. 4 PBefG), die über die von der Beklagten betriebene Smartphone – Applikation “……………“ erteilt werden und bei denen der Beförderungspreis über den Betriebskosten der Fahrt (so genannte bewegliche Fahrtkosten wie z.B. Treibstoff, Schmiermittel, Abnutzung der Reifen, Reinigung und Wartung u. ä.) liegt, an Beförderungsunternehmen weiterzugeben, wenn die Bestellung der Fahrt, die Auswahl oder die Zuweisung der bestellten Fahrt an ein angeschlossenes Mietwagenunternehmen, die Berechnung des Fahrpreises und die Zahlungsabwicklung ausschließlich über das von der Beklagten zur Verfügung gestellte System erfolgt und die Beklagte nicht im Besitz einer Verkehrsgenehmigung für den Mietwagenverkehr (§ 49 Abs. 4 PBefG) ist, wenn dies geschieht wie bei den Fahrten mit dem …………………… am 10.7.2019 um ca. 23:55 Uhr und am 11.7.2019 gegen ca. 0:10 Uhr und 0:26 oder wie bei den Fahrten, die in dem Anlagenkonvolut „Rückkehrpflicht“ zum Schriftsatz der Klägerin vom 7.10.2019 aufgeführt sind,
2. entgeltliche Beförderungsaufträge für Mietwagen (§ 49 Abs. 4 PBefG), die über die von der Beklagten betriebene Smartphone – Applikation “………………“ erteilt werden und bei denen der Beförderungspreis über den Betriebskosten der Fahrt (so genannte bewegliche Fahrtkosten wie z.B. Treibstoff, Schmiermittel, Abnutzung der Reifen, Reinigung und Wartung u. ä.) liegt, an Mietwagenfahrer zu übermitteln und/oder den Mietwagenfahrern die für die Annahme und Ausführung des Beförderungsauftrages notwendigen Informationen über das von der Beklagten betriebene ……………. – System zur Verfügung zu stellen, ohne dass der von der Beklagten über das ……………… – System mitgeteilte Beförderungsauftrag zuvor am Betriebssitz oder in der Wohnung des beauftragten Mietwagenunternehmers eingegangen ist und der Mietwagenunternehmer den Fahrern, die die beauftragte Beförderungsfahrt durchführen, bzw. durchführen sollen, den Beförderungsauftrag erteilt hat, wenn dies geschieht wie bei den Fahrten mit dem …………….. ……. am 10.7.2019 ca. 23:55 Uhr und am 11.7.2019 gegen ca. 0:10 Uhr und 0:26 Uhr,
3. entgeltliche Beförderungsaufträge, die über die von der Beklagten betriebene Smartphone – Applikation „……………….“ erteilt werden und bei denen der Beförderungspreis über den Betriebskosten der Fahrt (so genannte bewegliche Fahrtkosten wie z.B. Treibstoff, Schmiermittel, Abnutzung der Reifen, Reinigung und Wartung u.ä.) liegt, an Mietwagenfahrer zu übermitteln und/oder den Mietwagenfahrern die für die Annahme und Ausführung des Beförderungsauftrages notwendigen Informationen über das von der Beklagten betriebene ……………….. – System zur Verfügung zu stellen, die sich im Zeitpunkt der Auftragserteilung unter Verstoß gegen die gemäß § 49 Abs. 4 PBefG bestehende Rückkehrpflicht im Zielgebiet der Auftragserteilung bereithalten, es sei denn, der Beförderungsauftrag wurde bereits vor Antritt der Fahrt vom Betriebssitz oder während der Beförderungsfahrt oder während der Rückfahrt zum Betriebssitz erteilt, wenn dies geschieht wie bei dem Vorfall mit dem Mietwagen ……………….. am 19.02.2019 ab 19:01 Uhr (Fall Nr. 4 des Anlagenkonvoluts „Rückkehrpflicht“ zum Schriftsatz vom 05.10.2019)“ hilfsweise „wenn dies geschieht wie bei dem Vorfall mit dem Mietwagen …………………………. am 20.06.2019 ab 16:19 Uhr (Fall Nr. 1 des Anlagenkonvoluts „Rückkehrpflicht“ zum Schriftsatz vom 05.10.2019)“,
II. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2305,40 € zzgl. 5 % über dem Basiszinssatz der EZB seit Klageerhebung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Vorsorglich beantragt die Beklagte mit Schriftsatz vom 26.11.2019, eine Sicherheitsleistung für die vorläufige Vollstreckbarkeit eines klagestattgebenden Urteils auf nicht unter 10 Millionen € festzusetzen sowie weiter vorsorglich, ihr zu gestatten, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung der Klägerin abzuwenden.
Weiterhin beantragt die Beklagte, hilfsweise für den Fall einer klagestattgebenden Entscheidung zu Ziffer 1 der Klageanträge ihr eine Umstellungsfrist von mindestens 6 Monaten zu gewähren.
Die Beklagte behauptet, die der Beklagten angeschlossenen konzessionierten Mietwagenunternehmen träten eigenständig am Markt auf, würden kraft eigenen Rechts Verkehrsdienstleistungen erbringen und ihre Beförderungsleistung bewerben (Anlagen B 1, B 2). Sie behauptet, die Nutzer der Beförderungsleistungen würden aus dem Außenauftritt klar ersehen, dass die Beklagte sich auf Vermittlungsleistungen beschränke (Anlagen B 4-6, B 17, Anlagenkonvolut B 18). Die Nutzer, die diese Art von Vermittlungsplattformen inzwischen in verschiedenen Lebensbereichen gewöhnt seien, seien sich darüber ohne Weiteres im Klaren.
Sie ist der Auffassung, es sei widersinnig und mit dem einheitlichen Unternehmerbegriff des PBefG für alle Beförderungsarten nicht zu vereinbaren, dass es einem Vermittlungsdienst nur für Taxis erlaubt sei, genau diejenigen Vermittlungsdienstleistungen ohne Erlaubnis nach dem PBefG zu erbringen, für die ein Mietwagenunternehmer eine Erlaubnis bräuchte.
Sie behauptet, sie erbringe keine Beförderungsleistungen, sondern lediglich plattformtypische Serviceleistungen. Mangels eigener Erbringung von Personenbeförderungsleistungen nach § 2 Abs. 1 PBefG fehle ihr die Unternehmereigenschaft im Sinne von § 3 Abs. 1 PBefG. Bei denjenigen Aufgabenbereichen, die der Mietwagenunternehmer selbst wahrnehme und in die sie nicht eingebunden sei, handele es sich um die zentralen Bereiche, wie etwa deren Beförderungsbedingungen, Fahrzeugeinsatz, Schichtplan und Einsatz der Fahrer, Flottenbetrieb und gesetzliche Anforderungen an die Fahrzeuge. Entscheidend sei auch ihr fehlendes Weisungsrecht gegenüber dem Mietwagenunternehmen und dem Fahrer. Auch wähle sie keineswegs aus und weise nicht die Beförderungsanfragen an konkrete Unternehmen, sondern vermittle nur Anfragen oder Vorschläge, die die Unternehmen annehmen oder ablehnen könnten. Dabei wähle sie zunächst den dem Fahrgast nächsten Fahrer aus, dies sei ein transparentes Kriterium.
Sie ist der Auffassung, dass es für die Vermittlungsfunktion entscheidend darauf ankomme, dass die Mietwagenunternehmen die Beförderungsleistungen selbst durchführen. Insoweit könne auf die Rechtsprechung des BGH zu Vermittlungsleistungen für Taxiunternehmen zurückgegriffen werden (BGH NJW 2018, 2484 – Bonusaktion für Taxiapp).
Eine Anwendung des Unternehmerbegriffs gemäß dem PBefG auf die Beklagte sei wegen Verstoßes gegen Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 12 GG verfassungswidrig. Zudem müssten §§ 49 Abs. 4 S. 2 und 3 PBefG europarechtskonform ausgelegt werden. Eine Verurteilung der Beklagten wegen Verletzung dieser Normen stelle eine Verletzung des Herkunftslandprinzips dar.
Ihr jetziges Geschäftsmodell unterscheide sich klar von den früheren Geschäftsmodellen …………….und …………………… auf den Vortrag in der Klageerwiderung Bl. 103 ff. wird Bezug genommen.
Sie behauptet weiter, ihr sei daran gelegen, dass es nicht zu Rechtsverstößen im Rahmen der Personenbeförderung seitens der Mietwagenunternehmen komme. Daher seien die Pflichten der Mietwagenunternehmen zur Einhaltung gesetzlicher Vorgaben im Dienstleistungsvertrag explizit geregelt, dort Ziff. 2.10, 3.2. Bei Verstoß gegen diese Pflichten hat die Beklagte ein Kündigungsrecht, das Recht zum Ausschluss und ggf. einen Schadensersatzanspruch, Ziff. 2.8, 17.2. Zudem führe sie Informationsveranstaltungen für Fahrer und Mietwagenunternehmer durch (B 20, 21), in deren Anschluss sie sich die Teilnahme und die Einhaltung der Rückkehrpflicht bestätigen lasse. Überobligatorisch treffe sie in der App Vorkehrungen, indem diese die Fahrer bei jeder Fahrt an das Rückkehrgebot erinnere (Anlage B 22). Im Rahmen eines Updates sei eine Rückkehrfunktion - bisher nur in Düsseldorf und Frankfurt - verfügbar, danach werde der Fahrer nach Fahrtabschluss zum Betriebssitz navigiert. Sollte er die Rückfahrt nicht antreten, werde er erneut erinnert und offline gestellt, wenn er nicht zum Betriebssitz zurückfährt (Anlage B 23).
Sie behauptet, ihr System erkenne den Standort eines Fahrzeugs nur, solange der Fahrer in der App eingeloggt sei, diese Daten würden aber nicht gespeichert. Daher sei für sie nicht erkennbar, ob der Fahrer nach Ausführung des Beförderungsauftrags und vor Entgegennahme eines neuen Auftrags zurück zum Betriebssitz gefahren sei. Eine lückenlose Überwachung der Fahrzeuge sei datenschutzrechtlich auch nicht statthaft. Des Weiteren könne sie nicht kontrollieren, ob die Fahrer die Dienstanweisung von ihrem Betriebssitz abwarten, bevor sie die App öffnen und die Anfahrt bestätigen. Die entsprechenden SMS würden von einem externen Anbieter versendet. Allerdings vergleiche die Zahl der von einem Vertragspartner versandten Dienstanweisungen und der tatsächlich durchgeführten Fahrten und ziehe bei Abweichungen die Konsequenzen wie Abmahnung oder Ausschluss. Aus Sicht der beklagten gebe es auch ein ausreichendes Netz an Mietwagenunternehmen- davon zahlreiche an strategisch günstigen Stellen in Ballungsgebieten – (Anlage B 28), so dass die Einhaltung der Rückkehrpflicht und niedrige Bedienzeiten miteinander vereinbar seien.
Die Anmeldung in der ……………………App sei auch ohne Angabe von digitalen Zahlungsmethoden möglich. Nunmehr sei in Berlin und Düsseldorf die Bezahlung der Fahrt ausweislich des Nachtrags zum Dienstleistungsvertrag auch mit Bargeld möglich (Anlage B 27).
Sie erhebt den Einwand des Rechtsmissbrauchs, soweit die Klägerin sich auf die behaupteten Testfahrten stützt. Da die Klägerin den Mietwagenfahrer offenbar zur regelwidrigen Benutzung der App aufgefordert habe, seien diese Verstöße konstruiert und könnten keine Wiederholungsgefahr begründen.
Soweit es zu Verstößen seitens der Fahrer gekommen sein sollte, scheide auch eine Haftung der Beklagten als Teilnehmerin aus. Das Vermittlungsmodell stimme mit den gesetzlichen Vorgaben des PBefG überein. Zudem ergäben sich für die Beklagte keine Anhaltspunkte, aufgrund derer sie mit Gesetzesverstößen rechnen müsse, sie habe von solchen auch keine Kenntnis.
In Bezug auf die von ihr beantragte Umstellungsfrist behauptet die Beklagte, ein klagestattgebendes Urteil träfe sie völlig überraschend. Der Erwerb einer personenbeförderungsrechtlichen Genehmigung stelle sie vor erhebliche Anforderungen, dies könne durchaus sechs Monate in Anspruch nehmen. Zudem seien erhebliche organisatorische Vorkehrungen von ihr zu treffen. | I. Der Beklagten wird untersagt, bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu € 250.000,--, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollziehen an den Geschäftsführern der Beklagten, für jeden Fall der Zuwiderhandlung
im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken
1. entgeltliche Beförderungsaufträge für Mietwagen (§ 49 Abs. 4 PBefG), die über die von der Beklagten betriebene Smartphone – Applikation “………………….“ erteilt werden und bei denen der Beförderungspreis über den Betriebskosten der Fahrt (so genannte bewegliche Fahrtkosten wie z.B. Treibstoff, Schmiermittel, Abnutzung der Reifen, Reinigung und Wartung u. ä.) liegt, an Beförderungsunternehmen weiterzugeben, wenn die Bestellung der Fahrt, die Auswahl oder die Zuweisung der bestellten Fahrt an ein angeschlossenes Mietwagenunternehmen, die Berechnung des Fahrpreises und die Zahlungsabwicklung ausschließlich über das von der Beklagten zur Verfügung gestellte System erfolgt und die Beklagte nicht im Besitz einer Verkehrsgenehmigung für den Mietwagenverkehr (§ 49 Abs. 4 PBefG) ist, wenn dies geschieht wie bei den Fahrten mit dem PKW ……………….. am 10.7.2019 um ca. 23:55 Uhr und am 11.7.2019 gegen ca. 0:10 Uhr und 0:26 Uhr,
2. entgeltliche Beförderungsaufträge für Mietwagen (§ 49 Abs. 4 PBefG), die über die von der Beklagten betriebene Smartphone – Applikation “…………….“ erteilt werden und bei denen der Beförderungspreis über den Betriebskosten der Fahrt (so genannte bewegliche Fahrtkosten wie z.B. Treibstoff, Schmiermittel, Abnutzung der Reifen, Reinigung und Wartung u. ä.) liegt, an Mietwagenfahrer zu übermitteln und/oder den Mietwagenfahrern die für die Annahme und Ausführung des Beförderungsauftrages notwendigen Informationen über das von der Beklagten betriebene ………..– System zur Verfügung zu stellen, ohne dass der von der Beklagten über das ………….. – System mitgeteilte Beförderungsauftrag zuvor am Betriebssitz oder in der Wohnung des beauftragten Mietwagenunternehmers eingegangen ist und der Mietwagenunternehmer den Fahrern, die die beauftragte Beförderungsfahrt durchführen, bzw. durchführen sollen, den Beförderungsauftrag erteilt hat, wenn dies geschieht wie bei den Fahrten mit dem PKW ……….. ……… am 10.7.2019 ca. 23:55 Uhr und am 11.7.2019 gegen ca. 0:10 Uhr und 0:26 Uhr,
3. entgeltliche Beförderungsaufträge, die über die von der Beklagten betriebene Smartphone – Applikation „…….. erteilt werden und bei denen der Beförderungspreis über den Betriebskosten der Fahrt (so genannte bewegliche Fahrtkosten wie z.B. Treibstoff, Schmiermittel, Abnutzung der Reifen, Reinigung und Wartung u.ä.) liegt, an Mietwagenfahrer zu übermitteln und/oder den Mietwagenfahrern die für die Annahme und Ausführung des Beförderungsauftrages notwendigen Informationen über das von der Beklagten betriebene …………. – System zur Verfügung zu stellen, die sich im Zeitpunkt der Auftragserteilung unter Verstoß gegen die gemäß § 49 Abs. 4 PBefG bestehende Rückkehrpflicht im Zielgebiet der Auftragserteilung bereithalten, es sei denn, der Beförderungsauftrag wurde bereits vor Antritt der Fahrt vom Betriebssitz oder während der Beförderungsfahrt oder während der Rückfahrt zum Betriebssitz erteilt, wenn dies geschieht wie bei dem Vorfall mit dem Mietwagen …………. am 19.02.2019 ab 19:01 Uhr (Fall Nr. 4 des Anlagenkonvoluts „Rückkehrpflicht“ zum Schriftsatz vom 05.10.2019).
II. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2305,40 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 28.06.2019 zu zahlen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
IV. Das Urteil ist hinsichtlich des Unterlassungstenors vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 150.000,- €, im Übrigen ist es vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. | 1 |
VG Frankfurt 9. Kammer | Hessen | 1 | 0 | 27.10.2003 | 0 | Randnummer
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Der am 16.08.1948 geborene, mit einem Grad der Behinderung von 50 v. H. schwerbehinderte Kläger ist aufgrund eines Arbeitsvertrags vom 29.08.1984 seit dem 01.09.1984 als Berufsberater im Angestelltenverhältnis bei der Beklagten tätig. Mit Bescheid vom 01.10.1984 wurde ihm der Erwerb der Laufbahnbefähigung für die Laufbahn des gehobenen nichttechnischen Dienstes bei der Beklagten bestätigt. Bereits im Jahr 1985 verfolgte der Kläger seine Ernennung zum Verwaltungsinspektor z. A. unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe. Ausweislich eines Vermerks in der Personalakte (Bl. 41 a) bat der Kläger jedoch am 04.09.1985 die Beklagte, die "Verbeamtung" vorerst zu "stoppen". Mit Antrag vom 14.12.2000 begehrte der Kläger erneut die Einstellung in das Beamtenverhältnis in der Laufbahn des gehobenen nichttechnischen Dienstes der Bundesanstalt für Arbeit. In einem internen Vermerk befürwortete das Arbeitsamt Frankfurt diesen Antrag im Hinblick auf den Umstand, dass der Kläger im Hinblick auf sein Begehren in der Vergangenheit durch Mitarbeiter der Personalabteilung falsch beraten worden sei. Das Landesarbeitsamt Hessen wandte sich hingegen zunächst gegen die Anträge des Klägers wie auch dreier Kolleginnen des Klägers, erklärte sich dann aber mit einer Berufung zweier dieser Kolleginnen ins Beamtenverhältnis einverstanden, während beim Kläger eine positive Bescheidung des Antrags wegen seines eindeutigen früheren Willensentschlusses, das Verbeamtungsverfahren nicht weiterzuführen, nicht in Betracht kommen könne.
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Mit Bescheid vom 08.02.2002 teilte das Arbeitsamt Frankfurt dem Kläger mit, eine Übernahme in das Beamtenverhältnis sei nicht möglich. Er habe das Höchstalter von 35 Jahren überschritten. überdies sei zu seinen Lasten auch zu berücksichtigen, dass er das frühere Verfahren auf eigenen Wunsch nicht weiter verfolgt habe. Unter diesen Umständen könne auch ein Ausnahmeantrag gem. § 44 BLV nicht begründet werden.
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Mit Schreiben vom 08.03.2002 erhob der Kläger Widerspruch. Er vertrat die Auffassung, dass ein Verzicht auf die Ableistung der Mindestprobezeit (§ 7 BLV) eine direkte Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit ermögliche, für die eine Höchstaltersgrenze nicht gelte. Darüber hinaus verwies er auf den Fall der beiden Kolleginnen, die - was unstreitig ist - in das Beamtenverhältnis trotz Überschreitung des Höchstalters berufen worden seien. Für ihn müssten die gleichen Maßstäbe gelten. Seinem Begehren dürfe auch nicht entgegengehalten werden, dass er das frühere Verfahren aus eigenem Willen nicht weiter betrieben habe, da es für die Einstellung lediglich auf Eignung, Befähigung und fachliche Leistung ankomme. Erneut wies er auf die falsche Beratung durch den Personalsachbearbeiter der Beklagten hin.
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Das Landesarbeitsamt Hessen wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 07.08.2002 zurück. Der Kläger habe die für ihn maßgebende Höchstaltersgrenze von 43 Jahren überschritten. Diese Grenze gelte nicht nur für Beamte auf Probe und im Vorbereitungsdienst. Eine "Wiedereinsetzung" sei in seinem Fall nicht möglich; er müsse sich daran festhalten lassen, dass er seinen im Jahr 1985 gestellten Antrag seinerzeit nicht weiterverfolgt habe. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 02.09.2002 persönlich übergeben.
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Der Kläger hat am 02.10.2002 Klage erhoben. Er vertieft seine Argumentation aus dem Widerspruchsverfahren. Die Höchstaltersgrenze, die § 14 Abs. 2 BLV festsetze, sei in seinem Fall bei einer unmittelbaren Einstellung im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit unbeachtlich.
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Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheids des Arbeitsamts Frankfurt am Main vom 08.02.2002 und des Widerspruchsbescheides des Landesarbeitsamts Hessen vom 07.08.2002 zu verpflichten, über den Antrag des Klägers vom 14.12.2000 auf Übernahme in das Beamtenverhältnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Sie vertieft im wesentlichen ihre Ausführungen aus dem Widerspruchsbescheid. Erstmals trägt sie im gerichtlichen Verfahren vor, dass eine positive Entscheidung über den Antrag des Klägers auch nicht im Hinblick auf § 48 BHO in Betracht komme. Zwar sei sie - die Beklagte - für eine Zulassung von Ausnahmen von der darin bestimmten haushaltsrechtlichen Höchstaltersgrenze selbst zuständig; sie könne aber einer entsprechenden Ausnahme bereits deswegen nicht zustimmen, weil der Kläger zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits älter als 50 Jahre gewesen sei und die Voraussetzungen des § 107 b BeamtVG nicht vorliegen, so dass eine Ausnahme nach § 48 BHO ohnehin nicht in Frage komme (Seite 2 d. Ss. v. 22.07.2003, Bl. 60 d. A.).
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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter allein einverstanden erklärt.
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Ein gehefteter Verwaltungsvorgang (Bl. 1-56) sowie die den Kläger betreffende Personalakte wurden zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.
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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird auf die genannten Unterlagen sowie die Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, Bezug genommen. | Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheids des Arbeitsamts Frankfurt am Main vom 08.02.2002 und des Widerspruchsbescheids des Landesarbeitsamts Frankfurt am Main vom 07.08.2002 verpflichtet, über den Antrag des Klägers vom 14.12.2002 auf Übernahme in das Beamtenverhältnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist im Kostenausspruch vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. | 0 |
Baden-Württemberg | 0 | 1 | 1 | 1
Die Kläger, Betreiber medizinischer Labore, wenden sich gegen eine aus ihrer Sicht stattfindende (weitgehende) Verlagerung von Laboruntersuchungen von der (labor-)fachärztlichen in die hausarztzentrierte Versorgung (HzV).
2
Die Kläger (des Berufungsverfahrens) sind eine als GbR verfasste ärztliche Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) - Kläger zu 7) -, als GmbH verfasste Medizinische Versorgungszentren (MVZ) - Kläger zu 1), 2), 4), 5), 6), 8) - sowie ein niedergelassener Facharzt für Laboratoriumsmedizin - Kläger zu 3) -. Der Kläger zu 3), die in der ärztlichen Berufsausübungsgemeinschaft tätigen Fachärzte für Laboratoriumsmedizin und die MVZ nehmen auf Grund entsprechender Zulassungen an der vertragsärztlichen Versorgung mit Leistungen der Laboratoriumsmedizin teil. Erbracht werden Laborleistungen nach Kapitel 32 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM). Im Abschnitt 32.2 EBM sind Allgemeine Laboratoriumsuntersuchungen geregelt (Allgemeinlabor). Diese dürfen nicht nur von (nur auf Überweisung zur vertragsärztlichen Leistungserbringung befugten) Fachärzten für Laboratoriumsmedizin, sondern bei Vorliegen der einschlägigen Qualifikationsvoraussetzungen auch von Hausärzten erbracht und abgerechnet werden.
3
Die Beklagten schlossen am 08.05.2008 nach Maßgabe des § 73b Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) einen Vertrag zur HzV in Baden-Württemberg (hier maßgeblich i.d.F. der Änderungsvereinbarung vom 15.04.2011, im Folgenden: HzV-Vertrag). Der HzV-Vertrag enthält (teils in als Vertragsbestandteil beigefügten Anlagen) u.a. folgende Regelungen:
4
§ 5 Besondere Leistungen des Hausarztes im Rahmen der HzV
5
(1) Der Hausarzt ist gegenüber der A., der H. und dem M. gemäß den folgenden Absätzen 2 bis 6 zum Angebot einer besonderen hausärztlichen Versorgung an die HzV-Versicherten unter Beachtung der nach Maßgabe von Abschnitt V erbring- und abrechenbaren Leistungen sowie besonderer Qualitäts- und Qualifikationsanforderungen verpflichtet. ...
...
6
(4) Der Hausarzt erbringt in der HzV folgende besonderen Leistungen für HzV-Versicherte:
7
...
c) Überweisung an Fachärzte unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgebotes nach Durchführung aller dem Hausarzt möglichen und notwendigen hausärztlichen Abklärungen;
...
8
§ 19 Anspruch des Hausarztes auf die HzV-Vergütung
9
(1) Der Hausarzt hat nach Maßgabe der Anlage 12 Anspruch auf Zahlung der Vergütung für die von ihm vertragsgemäß in Rahmen der HzV erbrachten und nach Maßgabe von diesem § 19 und Anlage 12 abgerechneten Leistungen („HzV-Vergütungsanspruch“). ...
10
Anlage 12 Vergütung und Abrechnung
11
Abschnitt III: Allgemeine Vergütungsbestimmungen
12
...
II. Abrechnung des Hausarztes für die HzV-Versicherten, die ihn als Hausarzt gewählt haben
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(1) Der Hausarzt rechnet für die HzV-Versicherten, die ihn als Hausarzt gewählt haben, Pauschalen und Einzelleistungen gemäß dieser Anlage 12 ab. Damit sind grundsätzlich alle hausärztlichen, von der HzV erfassten Leistungen abgegolten. Die im Ziffernkranz (Anhang 1) als obligatorisch gekennzeichneten Ziffern müssen dabei, soweit im Einzelfall medizinisch erforderlich, zwingend vom Hausarzt als Teil der Pauschalen (Abschnitt I) abgerechnet werden. Sie dürfen nicht gesondert gegenüber der KV abgerechnet werden.
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(2) Leistungen, die im Ziffernkranz (Anhang 1) als Bestandteil der Pauschale, aber als nicht-obligatorisch gekennzeichnet sind, sind vom Hausarzt als Bestandteil der Pauschale zu erbringen, sofern er sie nach seiner Qualifikation und/oder Ausstattung selbst erbringen kann. Andernfalls kann, soweit medizinisch erforderlich, ein Zielauftrag bzw. eine Auftragsüberweisung für die Erbringung der jeweiligen Einzelleistung erfolgen.
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Erläuterungen zum Gesamtziffernkranz
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...
2. Erläuterungen für Hausärzte
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...
2.1.1 GOPs mit der Kennzeichnung „obligatorisch“ in der Spalte „Anmerkung“
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Die in der Spalte „Anmerkung“ als „obligatorisch“ gekennzeichneten Ziffern müssen für in den HzV-Vertrag eingeschriebene Versicherte, soweit im Einzelfall medizinisch sinnvoll, vom Hausarzt, der an diesem Vertrag teilnimmt, als Teil der Pauschale erbracht werden.“...
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Im Gesamtziffernkranz (des HzV-Vertrags) sind folgende (Laborleistungs-)GOP des EBM (Allgemeinlabor) in der Spalte „HZV“ aufgeführt und in der Unterspalte „Honorierung“ mit dem Attribut „Pauschale“ und in der Unterspalte „Anmerkung“ mit dem Attribut „obligatorisch“ versehen: 32001, 32025 - 32027, 32030 - 32032, 32035 - 32047, 32050 - 32079, 32081 - 32089, 32092, 32094, 32101 - 32107, 32110 - 32117, 32120 -32125.
20
Nach ergebnislosem Schriftwechsel mit den Beklagten zu 1), 3) bis 5) erhoben (u.a.) die Kläger (des Berufungsverfahrens) am 08.07.2013 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG); es möge festgestellt werden, dass sie im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung berechtigt seien, alle Laborleistungen des EBM (namentlich nach GOP 32001 - 32094 und GOP 32101 - 32125 EBM <Allgemeinlabor>) von HzV-Ärzten überwiesen zu bekommen, zu erbringen und gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) abzurechnen, und dass die dem entgegenstehenden Regelungen des HzV-Vertrags nichtig seien. Zur Begründung trugen sie vor, mit dem HzV-Vertrag, an dessen Aushandlung sie bzw. ihre Berufsverbände nicht beteiligt gewesen seien, würden die nur auf Überweisung zur vertragsärztlichen Leistungserbringung befugten Fachärzte für Laboratoriumsmedizin von der Erbringung des ganz überwiegenden Teils (91,6%) der Laborleistungen faktisch ausgeschlossen, da diese Laborleistungen in der HzV zwingend von den HzV-Ärzten selbst erbracht werden müssten; Überweisungen an Fachärzte für Laboratoriumsmedizin seien insoweit ausgeschlossen. Mit der Regelung in § 5 Abs. 4c HzV-Vertrag (Überweisung an Fachärzte erst nach Selbstvornahme möglicher hausärztlicher Abklärungen) würden auch die im HzV-Vertrag nicht als „obligatorisch“ (HzV-ärztlich) eingestuften Laborleistungen den Laborärzten entzogen; die im Gesamtziffernkranz des HzV-Vertrags aufgeführten Leistungen des Allgemeinlabors könnten Hausärzte grundsätzlich selbst erbringen. Im Ergebnis werde den Fachärzten für Laboratoriumsmedizin damit ein wesentlicher Teil ihrer wirtschaftlichen Existenzgrundlage genommen. Die Konzentration der Laborleistungen in der HzV sei von den Beklagten gewollt, um die Doppelvergütung von Laborleistungen aus dem der Gesamtvergütung im Wege der Bereinigung entnommenen HzV-Vergütungsvolumen und bei Überweisung zusätzlich aus der Gesamtvergütung zu verhindern. Nach Klage der bayerischen Laborärzte seien sämtliche Laborleistungen durch Schiedsspruch aus dem bayerischen HzV-Vertrag ausgenommen worden. Die Klage sei als Feststellungsklage (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) statthaft. Sie habe, unbeschadet der Notwendigkeit zur Entscheidung über die Gültigkeit von als Rechtsnormen einzustufenden HzV-Vertragsregelungen, ein konkretes Rechtsverhältnis zum Gegenstand (vgl. dazu auch Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 20.03.1996, - 6 RKa 21/95 -, in juris Rdnr. 12). Sie wollten die Leistungen des Allgemeinlabors als rechtlich und wirtschaftlich prägende Laborleistungen neben den Leistungen des Speziallabors in ihren Laboren weiterhin erbringen. Daran hindere sie der HzV-Vertrag. Dass sie nicht Vertragspartner dieses Vertrags, sondern insoweit „Dritte“ seien, stehe der Statthaftigkeit der Feststellungsklage nicht entgegen. Die streitigen Vertragsregelungen griffen in ihr (Zulassungsstatus-)Recht auf uneingeschränkte Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ein. Daraus folge auch das Feststellungsinteresse. Effektiven Rechtsschutz könnten sie nur durch Feststellungsklage erlangen; zur Anfechtung der streitigen HzV-Vertragsregelungen seien sie nicht befugt. Auf die gerichtliche Klärung der maßgeblichen Streitfragen in einem Abrechnungsstreit (Anfechtungsklage gegen einen Honorarbescheid) dürfe man sie nicht verweisen, weil dies die HzV-vertragswidrige Ausstellung von Überweisungen durch einen HzV-Arzt voraussetzen würde (vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 20.03.1996, a.a.O. Rdnr. 13). Das in den streitigen HzV-Vertragsregelungen festgelegte Überweisungsverbot sei rechtswidrig. Es beschneide im Rahmen eines unzulässigen Vertrags zu Lasten Dritter (vgl. auch § 57 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch <SGB X>: Zustimmungspflicht bei in Rechte Dritter eingreifenden sozialrechtlichen Verwaltungsverträgen) ohne ausreichende Rechtsgrundlage mittelbar das vertragsärztliche (Zulassungsstatus-)Recht der Laborärzte auf uneingeschränkte Teilnahme an der vertragsärztlichen (laborärztlichen) Versorgung; dass sich das Überweisungs- und Abrechnungsverbot (unmittelbar) an die HzV-Ärzte richte, sei unerheblich (vgl. BSG, Urteil vom 20.03.1996, a.a.O. Rdnr. 15). Unbeachtlich sei auch, dass die privatärztliche Erbringung von Laborleistungen unberührt bleibe, dass nur die Beklagte zu 5) als Krankenkasse Vertragspartner des HzV-Vertrags sei und dass nicht alle Hausärzte an der für sie nicht obligatorischen HzV teilnähmen. Unbeschadet dessen, dass auch der teilweise Ausschluss von der vertragsärztlichen Leistungserbringung in das Zulassungsstatusrecht des Vertragsarztes eingreife, müssten die anderen Krankenkassen ebenfalls eine HzV anbieten und könnten daher vergleichbare Verträge abschließen. Die Beklagte zu 5) habe zudem einen Marktanteil von 42,4% und verschließe den Laborärzten daher nahezu die Hälfte des Marktes für Laborleistungen. Die Regelung des § 73b SGB V erlaube die Einführung und Ausgestaltung der HzV, ermächtige jedoch nicht zu Eingriffen in vertragsärztliche (Zulassungs-)Statusrechte und insbesondere nicht zur Ausdehnung des HzV-Bereichs zu Lasten der fachärztlichen Versorgung, zumal sich dadurch die Abgrenzung der hausärztlichen von der fachärztlichen Versorgung (§ 73 Abs. 1 Satz 1 SGB V) nach der Krankenkassenmitgliedschaft der Versicherten richten würde. Die Vertragspartner von HzV-Verträgen seien nicht berechtigt, die in § 73 Abs. 1 Satz 1 SGB V vorgegebene Abgrenzung der Versorgungsbereiche vertraglich zu verändern und sie dürften auch Regelungen zum fachärztlichen Versorgungsbereich nicht treffen; dieser solle, wie etwa die in § 73b Abs. 7 SGB V vorgeschriebene Bereinigung der Gesamtvergütung um das HzV-Vergütungsvolumen zeige, von HzV-Vertragsregelungen unberührt bleiben.
21
Die Beklagten traten der Klage entgegen. Sie trugen vor, die Klage sei unzulässig. Sie richte sich auf die Feststellung der Nichtigkeit von HzV-Vertragsregelungen und habe nicht die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines konkreten Rechtsverhältnisses (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG) zwischen den Beteiligten zum Gegenstand; divergierende Rechtsauffassung zur Anwendung der streitigen HzV-Vertragsregelungen genügten hierfür nicht. Das Urteil des BSG vom 20.03.1996 (a.a.O.) betreffe eine andere Fallgestaltung. Es fehle auch am Feststellungsinteresse. Die Kläger, die außerhalb der selektivvertraglichen HzV im kollektivvertraglichen System weiterhin uneingeschränkt Laborleistungen erbringen und abrechnen dürften, strebten letztendlich die Garantie eines Mindestumsatzes an. Die Klage sei auch unbegründet. Der HzV-Vertrag greife in (Zulassungsstatus-)Rechte nicht ein, treffe insbesondere keine Berufsausübungsregelungen (Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz <GG>). Er wirke sich nur („rechtsreflexhaft“) auf Erwerbsaussichten aus. Die Errichtung einer HzV sei (verfassungs-)rechtlich zulässig, einschließlich der damit verbundenen (mittelbaren) Folgewirkungen auf den fachärztlichen Versorgungsbereich. Da der Sicherstellungsauftrag im Rahmen der HzV auf die Beklagte zu 5) übergegangen sei, dürfe diese (gemeinsam mit den anderen HzV-Vertragspartnern) Regelungen zur Leistungserbringung, auch zur Erbringung von hausärztlichen Laborleistungen (Allgemeinlabor), durch die HzV-Ärzte treffen. Die einschlägigen HzV-Vertragsregelungen seien insgesamt rechtsgültig. Es entspreche der Zielsetzung des § 73b SGB V bzw. der HzV, dass die HzV-Ärzte, die als Vergütung eine Grundpauschale erhielten, die Leistungen der hausärztlichen Versorgung auch vollumfänglich selbst erbrächten. Die Teilnahme an der HzV sei für Ärzte und Versicherte im Übrigen freiwillig. Die Laborärzte könnten alle Laborleistungen nach wie vor in der kollektivvertraglichen Versorgung uneingeschränkt erbringen und außerdem mit den HzV-Ärzten Vereinbarungen über hausärztliche Laborleistungen (Allgemeinlabor) außerhalb des Kollektivvertragssystems abschließen, was auch nicht selten praktiziert werde. Die HzV-Ärzte dürften alle nicht mit der Grundpauschale abgegoltenen Laborleistungen an Laborärzte überweisen. Die Kläger würden durch die HzV daher nicht von sämtlichen Laborleistungen ausgeschlossen. Sollte es bei den Klägern gleichwohl zu Umsatzrückgängen kommen, wäre das rechtlich unbeachtlich (vgl. Bundesverfassungsgericht <BVerfG>, Urteil vom 17.08.2004, - 1 BvR 378/00 -; BSG, Urteil vom 11.10.2006, - B 6 KA 48/05 R -, beide in juris). Ein Vertrag zu Lasten Dritter liege nicht vor.
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Mit Urteil vom 25.08.2016 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die auf die Berechtigung der Kläger, von HzV-Ärzten alle Laborleistungen überwiesen zu bekommen, erbringen und gegenüber der KV abrechnen zu dürfen, gerichtete Feststellungklage sei unzulässig; sie habe kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zum Gegenstand. Anders als in der dem Urteil des BSG vom 20.03.1996 (a.a.O.) zugrundeliegenden Fallgestaltung stehe nicht die Anwendung bzw. Anwendbarkeit einer Rechtsnorm auf einen bestimmten Sachverhalt und eine daraus folgende Rechtsbeziehung zwischen den Beteiligten in Rede. Der HzV-Vertrag sei ein sozialrechtlicher Verwaltungs-, jedoch kein Normsetzungsvertrag und enthalte daher keine Rechtsnormen. § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG sei auch nicht entsprechend anzuwenden, da eine auf die Feststellung der Nichtigkeit einer verwaltungsvertraglichen Regelung gerichtete Klage grundsätzlich statthaft sei. Es fehle auch an einer Rechtsbeziehung zwischen den am HzV-Vertrag nicht beteiligten Klägern und den Beklagten. Dass auch Rechtsverhältnisse zwischen nicht verfahrensbeteiligten Dritten statthafter Gegenstand einer Feststellungsklage sein könnten, sei unerheblich. Die Kläger stritten nämlich über die Befugnis zur Abrechnung von Leistungen des Allgemeinlabors auf Überweisung durch HzV-Ärzte und damit über ein Rechtsverhältnis zwischen ihnen und der KV; insoweit komme ein an die Beklagten gerichteter Feststellungsausspruch nicht in Betracht. Schließlich seien die Kläger nicht in (Zulassungsstatus-)Rechten, sondern nur „rechtsreflexhaft“ in wirtschaftlichen Interessen betroffen (vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 25.03.2003, - B 1 KR 29/02 R -, in juris). Leistungen des Allgemeinlabors dürften als arztgruppenübergreifende spezielle Leistungen nicht nur von Fachärzten für Laboratoriumsmedizin, sondern auch von an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten erbracht und abgerechnet werden. Die Kläger könnten daher nicht beanspruchen, dass diese Leistungen ganz oder zu einem überwiegenden Teil den Laborärzten vorbehalten blieben. Die HzV-Vertragspflicht der HzV-Ärzte zur Selbsterbringung der Leistungen des Allgemeinlabors ändere nichts. Jeder Hausarzt könne frei darüber entscheiden, ob er an der selektivvertraglichen Versorgung (HzV) teilnehmen wolle und er könne die Leistungen des Allgemeinlabors auch bei Teilnahme an der kollektivvertraglichen Versorgung selbst erbringen. Die Klage wäre auch unbegründet. Die Beklagten hätten die streitigen HzV-Vertragsregelungen auf der Grundlage des § 73b SGB V vereinbaren dürfen; hierfür stehe ihnen ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Sie dürften die hausärztliche Versorgung der Versicherten durch Vollversorgungsverträge aus der kollektivvertraglichen Versorgung ausgliedern und in eine selektivvertragliche Versorgung überführen. Diese Befugnis beschränke sich nicht auf die dem hausärztlichen Versorgungsbereich zugeordneten Leistungen (GOP). Die auf die Feststellung der Nichtigkeit der streitigen HzV-Vertragsregelungen gerichtete Feststellungsklage sei ebenfalls unzulässig. Ihr fehle es am Feststellungsinteresse (bzw. an der Klagebefugnis), da eine Rechtsbetroffenheit (wie dargelegt) nicht vorliege (vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 02.08.2001, - B 7 AL 18/00 R -, in juris). Auch diese Klage wäre im Übrigen unbegründet. Der HzV-Vertrag sei nicht gemäß § 57 Abs. 1 SGB X zustimmungspflichtig, da er in Rechte der Kläger nicht eingreife, sich vielmehr nur auf deren rechtlich nicht geschützte Interessen (Erwerbsaussichten) auswirke.
23
Gegen das ihnen am 06.09.2016 zugestellte Urteil haben die Kläger am 05.10.2016 Berufung eingelegt. Sie bekräftigen ihr bisheriges Vorbringen. Der HzV-Vertrag regele ein Überweisungsverbot für Leistungen des Allgemeinlabors (Abschnitt 32.2 EBM) und berühre damit nicht nur Erwerbsaussichten der Laborärzte, greife vielmehr in deren (Zulassungsstatus-)Rechte ein. Die dagegen gerichtete Klage sei entgegen der Auffassung des SG zulässig und begründet. Der HzV-Vertrag enthalte für nicht vertragsbeteiligte Dritte geltende Rechtsnormen, da in die HzV eingeschriebene Versicherte (als nicht vertragsbeteiligte Dritte) Laborärzte nicht ohne Überweisung konsultieren dürften und das gesetzliche Pflichtenprogramm der Laborärzte (als ebenfalls nicht vertragsbeteiligte Dritte) verändert werde. Außerdem trete der HzV-Vertrag als Selektivvertrag für seinen Geltungsbereich an die Stelle der als Normsetzungsverträge einzustufenden Kollektivverträge. Für das Feststellungsinteresse (§ 55 Abs. 1 Nr. 5 SGG) komme es nicht darauf an, dass sie nicht Vertragspartner des HzV-Vertrags seien. Die Feststellungsklage habe nicht ein Rechtsverhältnis zur KV, sondern ein Rechtsverhältnis zwischen den Beklagten und den HzV-Ärzten als nicht verfahrensbeteiligten Dritten zum Gegenstand. Es liege auch eine Rechtsbetroffenheit vor. Das Recht der Laborärzte auf dem Zulassungsstatus entsprechende vollumfängliche Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung werde durch das Überweisungsverbot für die Leistungen des Allgemeinlabors als wirtschaftlich prägendem Teilbereich der Laborleistungen beschnitten. In der Praxis würden die Hausärzte die Leistungen des Allgemeinlabors teils im eigenen Labor selbst erbringen, in nennenswertem Umfang aber auch an Fremdlabore überweisen. Auf die vom SG angeführte grundsätzliche Freiwilligkeit der Selbsterbringung oder der Überweisung komme es nicht an, zumal der HzV-Vertrag mit den streitigen Vertragsregelungen ein zwingendes Überweisungsverbot statuiere und etwa drei Viertel der Hausärzte an der HzV teilnähmen. Für das Überweisungsverbot gebe es keine ausreichende Rechtsgrundlage. Außerdem würden die Grenzen zwischen haus- und fachärztlicher Versorgung unzulässig verschoben.
24
Die Kläger beantragen,
25
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 25.08.2016 aufzuheben und festzustellen
26
1. dass sie im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung berechtigt sind, alle Laborleistungen des EBM (insbesondere nach GOP 32001 - 32094, 32101 - 32125 EBM) von an der HzV teilnehmenden Hausärzten überwiesen zu bekommen, zu erbringen und gegenüber der KV abzurechnen, und
27
2. dass die dem entgegenstehenden Regelungen des HzV-Vertrags (§§ 5 Abs. 1 Satz 1, 19 Abs. 1 Satz 1 HzV-Vertrag i.V.m. Anlage 12 Abschnitt III (Allgemeine Vergütungsbestimmungen), Unterabschnitt II (Abrechnung des Hausarztes für die HzV-Versicherten, die ihn als Hausarzt gewählt haben) Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 i.V.m. Anhang 1 Nr. 2.1.1 mit den Anmerkungen zu den GOP 32001 ff. EBM) nichtig sind,
28
Die Beklagten beantragen,
29
die Berufung zurückzuweisen.
30
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend und bekräftigen ebenfalls ihr bisheriges Vorbringen. Es fehle an einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis (§ 55 Abs. 1 Nr. 5 SGG). Der HzV-Vertrag als Selektivvertrag sei im Unterschied zu Kollektivverträgen kein Normsetzungsvertrag und enthalte keine Rechtsnormen. HzV-Verträge hätten für die an ihnen nicht beteiligten Fachärzte keine Rechtswirkung; sie wirkten sich nur faktisch auf deren rechtlich nicht geschützte Erwerbsaussichten aus. Die Hausärzte überwiesen nach wie vor Leistungen des Allgemeinlabors in erheblichem Umfang an Laborärzte. Ein Feststellungsinteresse liege ebenfalls nicht vor. Die Hausärzte dürften die in Rede stehenden Laborleistungen grundsätzlich selbst erbringen. Die Laborärzte könnten nicht beanspruchen, dass man ihnen diese Leistungen überweise. Der HzV-Vertrag sei nicht gemäß § 57 Abs. 1 SGB X zustimmungspflichtig. Die HzV-Ärzte dürften ebenso wie die nicht an der HzV teilnehmenden Hausärzte Verträge mit Laborärzten abschließen und sich Leistungen des Allgemeinlabors „einkaufen“. Die Kläger hätten die ihnen angeblich entgangenen Umsätze nicht beziffern können, weshalb fraglich sei, ob sie überhaupt eingetreten seien. Die Klage sei zudem unbegründet. Ein Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts der Berufsausübungsfreiheit (Art 12 Abs. 1 GG) liege nicht vor; sollte er vorliegen, wäre er jedenfalls gerechtfertigt, namentlich verhältnismäßig.
31
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten des SG und des Senats Bezug genommen. | Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 25.08.2016 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens zu je einem Achtel.
Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 60.000,00 EUR endgültig festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen. | 0 |
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VG Trier 2. Kammer | Rheinland-Pfalz | 0 | 1 | 18.02.2016 | 1 | Randnummer
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Die Klägerin erstrebt mit der vorliegenden Klage weitere Eingliederungshilfe in Form der Schulbeförderung von ihrem Wohnort in B... zur privaten Grundschule St. ... in A... sowie der Gewährung einer zusätzlichen Integrationshilfe für die Zeit der Hausaufgabenbetreuung am Nachmittag in der Grundschule.
Randnummer
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Der Klage liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
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Die Klägerin wurde am 01. Januar 2007 geboren. Ausweislich des Berichts der Tagesklinik C... für Kinder- und Jugendpsychiatrie der ... Fachklinik D... vom 21. März 2014 wurden bei der Klägerin ein Asperger-Syndrom (ICD-10: F84.5 G) sowie eine tiefgreifende Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörung (ICD-10: F80.20 G) diagnostiziert. Derzeit besucht die Klägerin die zweite Klasse der privaten Grundschule ... in A..., in der sie auch die Hausaufgaben im Rahmen der allgemeinen Hausaufgabenbetreuung erledigt.
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Die Klägerin besuchte im Schuljahr 2013/2014 die erste Klasse in der Grundschule in E... Am 07. Mai 2014 beantragten die Eltern der Klägerin beim Beklagten erstmals die Gewährung von Jugendhilfe. Daraufhin fand im Juni 2014 ein Hilfeplangespräch zur Ausgestaltung der Hilfe für die Klägerin statt. Nach Erstellung eines Hilfeplans wurden der Klägerin mit Bescheid vom 04. Juni 2014 bis zu zehn Therapieeinheiten im Monat für die autismusspezifische Einzelförderung, für die Beratung der Eltern und der Bezugsperson in der Schule sowie die notwendigen Fahrtkosten des Fachpersonals des Autismus-Therapiezentrums F... zur Grundschule und zu ihrer Familie vom 01. Juni 2014 bis zum 31. Juli 2014 bewilligt. Mit Bescheiden vom 10. Juli 2014 und vom 30. Juli 2015 wurde die Therapie weiterhin bewilligt bis zum 31. Juli 2016.
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Am 09. Juli 2014 beantragten die Eltern der Klägerin über die bereits gewährten Leistungen hinaus „Integrationshilfe“. Im Rahmen des Gespräches zur Ausgestaltung der Hilfe wurde über die Frage der richtigen Beschulung der Klägerin sowie über die Möglichkeit einer Integrationshilfe gesprochen. Der Beklagte sah vor, dass eine Integrationshilfe in der Grundschule E... zum Schuljahr 2014/2015 eingesetzt werden sollte. Die Eltern der Klägerin äußerten jedoch den Wunsch, dass die Klägerin zum nächsten Schuljahr auf die integrative Grundschule ... in A... wechseln solle. Der Beklagte hatte Bedenken dagegen, die Klägerin außerhalb des sozialen Umfeldes zu beschulen. Dies sei für die Integration im sozialen Umfeld nicht ratsam. Zudem wies er darauf hin, dass die Zubringung nach A... nicht geregelt sei.
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Die Klägerin wechselte gleichwohl die Grundschule mit Genehmigung der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Trier auf Wunsch ihrer Eltern und wiederholte in der Grundschule ... in A... die erste Schulklasse.
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7
Mit Bescheid vom 03. September 2014 wurde der Klägerin Eingliederungshilfe in Form einer Integrationshilfe zur Wahrnehmung der allgemeinen Schulpflicht während der verpflichtenden Unterrichtszeiten in der Grundschule ... bewilligt. Die Integrationshilfe wurde zunächst ab dem 09. September 2014 bis zum 06. Juli 2015 gewährt. Mit Bescheid vom 14. August 2015 wurde sie aufgrund des Hilfeplans vom 06. Juli 2015 weiterbewilligt bis zum 17. Juli 2016. Zudem wurde der Klägerin für das Schuljahr 2015/2016 Integrationshilfe für bis zu einer Stunde Förderunterricht pro Woche bewilligt.
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8
Mit E-Mail vom 22. September 2014 beantragten die Eltern der Klägerin zusätzliche Eingliederungshilfe für die Zubringung zur privaten Grundschule. Das Schulzentrum ...unterrichte seit zehn Jahren nach dem TEACHH-Modell und sei somit für Autisten hervorragend geeignet.
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9
Mit Antrag vom 25. Februar 2015 und E-Mail vom 16. März 2015 beantragten die Eltern der Klägerin zudem Integrationshilfe für die Zeit der Hausaufgabenbetreuung am Nachmittag. Die Hausaufgaben könne die Klägerin nicht zu Hause erledigen. Dies führe immer wieder zu Streit und Verwirrung. Die Sphären von Schule und zu Hause müssten für die Klägerin getrennt sein. In der Schule könne die Klägerin - anders als zu Hause - ihre Hausaufgaben ordnungsgemäß und zufriedenstellend erledigen. Aufgrund der Schwierigkeiten bei der Hausaufgabenerledigung zu Hause sei die Klägerin zwar von den Hausaufgaben befreit worden. Dies sei jedoch keine Lösung, weil sie den Stoff so nicht richtig erlerne.
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10
Im April wurde den Eltern der Klägerin im Rahmen eines Gespräches mitgeteilt, dass weder eine Schülerbeförderung, noch eine Integrationshilfe für die Hausaufgabenbetreuung bewilligt werden könne. Zudem wurden andere Beschulungsmöglichkeiten aufgezeigt.
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11
Mit Bescheid vom 22. Mai 2015 wurden die Anträge der Klägerin abgelehnt. Der Beklagte begründete die Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Eingliederungshilfe sich nicht auf die Einrichtung einer Einzelbeförderung zu einer selbst gewählten Schule beziehen würde, insbesondere dann nicht, wenn andere behinderungsgerechte Beschulungsmöglichkeiten samt Beförderung angeboten würden. Die grundsätzliche Geeignetheit des Schulbesuchs in der gewählten privaten Grundschule werde nicht infrage gestellt. Allerdings habe man in zahlreichen Gesprächen mitgeteilt, dass die Beförderung zur Grundschule in A... in den eigenen Verantwortungsbereich falle.
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Auch die Gewährung von zusätzlichen Stunden der Integrationshilfe für die Zeit der Hausaufgabenbetreuung am Nachmittag in der Grundschule ... sei nicht von den Leistungen der Eingliederungshilfe umfasst. Aus Sicht des Beklagten sei ein wesentliches Ziel der beantragten Hilfe die Entlastung der Eltern bzw. die Entschärfung der häuslichen Situation bei der Bearbeitung der Hausaufgaben. Es sei auch zu berücksichtigen, dass Hausaufgaben im häuslichen Umfeld bearbeitet werden sollen. Dies ergebe sich bereits aus dem Begriff „Hausaufgaben“. Für Grundschulen sei nach
§ 37 Abs. 1 der Schulordnung für die öffentlichen Grundschulen
geregelt, dass Hausaufgaben so zu stellen seien, dass die Schülerinnen und Schüler sie ohne außerschulische Hilfe in angemessener Zeit bewältigen können. Umfang und Schwierigkeitsgrad seien dabei dem Alter und dem individuellen Leistungsvermögen der Schülerinnen und Schüler anzupassen.
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Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 15. Juni 2015 Widerspruch ein. Sie machte geltend, dass die Aufzählung der in Betracht kommenden Eingliederungshilfe in den einschlägigen Vorschriften nur beispielhaft sei. Zu den Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung gehörten somit auch Hilfen, die den behinderten Menschen den Besuch der Schule erst ermöglichen. Maßgeblich sei, ob die Beschulung auf der Grundschule ... A... „erforderlich“ sei, um ihre Teilhabe an der schulischen Bildung sicherzustellen. Alle Beteiligten hätten die Grundschule A... als besonders geeignet für die Beschulung der Klägerin angesehen. Zudem sei nicht ersichtlich, wo die Beschulung stattfinden solle, wenn nicht in der Grundschule St. Martin. Keine andere Schule in vertretbarer Nähe sei für die Beschulung der Klägerin in gleicher Weise geeignet. Auch bezüglich der Hausaufgabenhilfe verkenne der Beklagte, dass der Katalog der Hilfen nicht abschließend sei. Der Begriff der Schulbildung sei weit zu verstehen. Es seien alle Maßnahmen zur Ermöglichung der Leistung des Schulbesuches umfasst, auch die Unterstützung bei der Bewältigung der Hausaufgaben.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 16. November 2015 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Es sei Aufgabe der zuständigen Schulbehörde, zu entscheiden, welche Schulform die geeignete ist. Es handle sich hierbei nicht um eine Frage, die der zuständige Jugendhilfeträger zu beantworten habe. Für eine Überweisung an die Grundschule ... habe aus schulischer Sicht keine Veranlassung bestanden. Im Gegenteil: Die Klassenlehrerin der Klägerin in der Grundschule E... habe keine auffälligen Leistungsdefizite feststellen können und habe den Aufstieg in die zweite Klasse für unproblematisch gehalten. Die Schwierigkeiten bei der Integration im sozialen Umfeld, die Kontaktprobleme und die Schwierigkeiten bei Abweichungen vom regulären Tagesablauf würden durch den Schulwechsel nicht behoben. Die Beschulung in der privaten Grundschule sei nicht „erforderlich“ im Sinne der maßgeblichen Vorschriften. Für den Besuch in der Grundschule E... werde eine kostenlose Schülerbeförderung angeboten. Damit stehe der allgemeine sozialhilferechtliche Nachranggrundsatz der Verpflichtung zur Übernahme der Fahrtkosten entgegen. Es gebe auch keine hinreichenden oder gar zwingenden Gründe dafür, dass gerade der Besuch einer privaten Grundschule zur Erlangung einer angemessenen Schulausbildung erforderlich wäre. Die zusätzlichen Stunden der Integrationshilfe für die Zeit der Hausaufgabenbetreuung am Nachmittag seien ebenfalls nicht „erforderlich“. Es sei nichts dafür ersichtlich, dass die Betreuung im häuslich-familiären Bereich aus zwingenden, insbesondere pädagogischen Gründen, nicht in ähnlicher Weise möglich wäre. Zweifel an der Erforderlichkeit folgten auch daraus, dass die Eltern der Klägerin sich eine eigene Entlastung am Nachmittag durch eine zusätzliche Hausaufgabenbetreuung erhofften.
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15
Die Klägerin hat am 14. Dezember 2015 Klage erhoben. Sie verfolgt unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vortrages aus dem Verwaltungsverfahren ihr Begehren weiter. Sie trägt überdies vor, dass die Entscheidung über die Art, den Umfang und die zeitliche Dauer der Hilfe im Grundsatz maßgeblich von der Beurteilung der Notwendigkeit der Hilfe aufgrund der individuellen Situation abhänge. Dem Jugendamt stehe insoweit aber kein Beurteilungsspielraum zu. Der Beklagte habe in der schwierigen Situation die Wahl einer geeigneten Schule nicht erarbeitet und angeboten. Das Bundesverwaltungsgericht habe den Grundsatz aufgestellt, dass auch dann, wenn die Krankenkasse die Therapie bezahlt, es am Träger der Eingliederungshilfe sei, die Fahrtkosten zu übernehmen. Es liege damit auf der Hand, dass erst Recht im vorliegenden Fall, in dem der Besuch der Privatschule für die Klägerin erforderlich sei, um ihr die Teilhabe an der schulischen Bildung zukommen zu lassen, die Fahrten unumgänglich seien, um den Zweck der Teilhabe sicherzustellen. Die Begründung des Bescheides sei völlig unzureichend. Die Hausaufgabenunterstützung gehöre zweifelsfrei zu den Leistungen, die den Schulbesuch förderten. Die Erforderlichkeit der Begleitung bei den Schulaufgaben in der Schule liege - wie bei der Bewältigung des Unterrichts – auf der Hand.
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Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 22. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2015 aufzuheben und ihn zu verpflichten, den Umfang der gewährten schulischen Integrationshilfe um die Zeiten der Hausaufgabenbetreuung zu erhöhen und den Einsatz eines Fahrdienstes zur Schule zu bewilligen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er trägt vor, dass aus schulischer Sicht keine Notwendigkeit eines Schulwechsels bestanden habe. Von keiner Seite sei vertreten worden, dass die Beschulung in E... ungeeignet sei. Die Übernahme von Fahrtkosten zur „Wunschschule“ könne daher nicht erfolgen. Die weitere Beschulung an der Grundschule E... mit Einsatz einer Integrationshilfe sei möglich gewesen. In der Schwerpunktschule C... sei der Unterricht auf die Fähigkeiten und den individuellen Förderbedarf abgestimmt. Bezüglich der Hausaufgabenhilfe trägt der Beklagte vor, dass es nicht Aufgabe der Eingliederungshilfe sei, häuslichen Aufwand zu vermeiden. Im Rahmen der Beschulung seien Hausaufgaben solche Aufgaben, die Schüler in der unterrichtsfreien Zeit bearbeiten sollen. Im Übrigen finde nunmehr eine Betreuung am Nachmittag statt.
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21
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten sowie der Verwaltungs- und Widerspruchsakten des Beklagten verwiesen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. | 0 |
VG Frankfurt 11. Kammer | Hessen | 0 | 1 | 21.11.2003 | 1 | Randnummer
1
Der Kläger reiste im März 1995 in die Bundesrepublik ein. Am 05.05.1995 stellte er einen Asylantrag, den er bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 08.05.1995 im wesentlichen damit begründete, er sei in Asmara/Eritrea geboren und aufgewachsen. Sein Vater sei 1974 von der eritreischen Befreiungsfront ELPF erschossen worden. Er selbst sein von Mitgliedern der ELPF verhaftet worden, weil man ihm vorgeworfen habe, gemeinsam mit seinem Vater für die Äthiopier tätig gewesen zu sein. Nach seiner Entlassung aus der Haft 1993 habe er Eritrea verlassen und sei nach Addis Abeba gegangen. Dort sei er wegen Aktivitäten für die Partei Mela Mara 1994 verhaftet und für ein halbes Jahr inhaftiert worden. Auf die nach Ablehnung des Asylantrages durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 22.05.1995 erhobene Klage wurde die Bundesrepublik Deutschland mit Urteil vom 06.06.2000 verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.
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2
Nach dem Verlust eines ihm im September 2002 erteilten internationalen Reiseausweises wurde dem Kläger auf seinen Antrag am 10.02.2003 ein internationaler Reiseausweis (IRA) im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention von der Ausländerbehörde der Beklagten erteilt mit einem Vermerk auf Seite 7 "Personalien und Staatsangehörigkeit sind nicht nachgewiesen und beruhen nur auf eigenen Angaben".
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3
Mit einem Widerspruchsschreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 04.05.2003 machte der Kläger geltend, eine Rechtsgrundlage für den Vermerk sei nicht ersichtlich. Der Vermerk widerspreche den Regelungen des Artikel 28 Genfer Konvention. Zudem dürften nach Artikel 25 Genfer Konvention anerkannte Flüchtlinge für die Beibringung von Personenstandsurkunden nicht auf die Hilfe ihrer Heimatbehörden verwiesen werden.
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Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 19.09.2003 zurückgewiesen mit der Begründung, er sei unstatthaft, da der angegriffene Vermerk nicht als Regelung und damit auch nicht als Verwaltungsakt angesehen werden könnte.
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Der Kläger hat am 15.10.2003 Klage erhoben. Er ist der Ansicht, er habe aus Artikel 28 Genfer Konvention einen Anspruch auf die Erteilung eines internationalen Reiseausweises, der zugleich als Ausweis und Identitätsnachweis fungiere. Diese Grundfunktion werde durch den Vermerk zunichte gemacht. Folge des Vermerks im Pass sei unter anderem auch, dass das Standesamt der Stadt Frankfurt für eine von ihm beabsichtigte Heirat die Vorlage einer Geburtsurkunde verlange unter Hinweis darauf, dass die Personalien im Reiseausweis nach dem Vermerk nur auf eigenen Angaben beruhten. Seine Identität sei zudem durch das durchlaufene Asylverfahren nachgewiesen, das zwangsläufig auch Feststellung der Identität des Betroffenen beinhalte. Zudem könnten Zweifel auch durch die im Bundesgebiet lebenden drei Brüder des Klägers, die deutsche Staatsangehörige seien, nachgewiesen werden.
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6
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 12.11.2003 hat der Kläger erklärt, dass die ursprünglich mit der Klageschrift erhobene Klage auf Feststellung, dass der Vermerk von Anfang an rechtswidrig sei, zurückgenommen werde.
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7
Der Kläger beantragt nunmehr,
die Beklagte zu verpflichten, ihm einen internationalen Reiseausweis ohne einen Vermerk "Personalien und Staatsangehörigkeit sind nicht nachgewiesen und beruhen nur auf eigenen Angaben" zu erteilen.
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8
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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9
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Gerichtsakte und einen Hefter Behördenvorgänge Bezug genommen, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind. | Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klage auf die Feststellung gerichtet ist, dass der Vermerk "Personalien und Staatsangehörigkeit sind nicht nachgewiesen und beruhen nur auf eigenen Angaben" von Anfang an rechtswidrig war. Die Klage im übrigen wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist im Kostenausspruch vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. | 0 |
Hessischer Verwaltungsgerichtshof 10. Senat | Hessen | 0 | 1 | 06.09.2005 | 0 | Randnummer
1
Die Beteiligten streiten über die Gewährung eines Betriebskostenzuschusses für einen vom Kläger betriebenen Kindergarten für die Jahre 2000 bis 2003.
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2
Der Kläger betreibt seit 1992 in der Gemeinde A-Stadt im Kreisgebiet des beklagten Landkreises die altersübergreifende Kindertagesstätte "...". Er erhielt zunächst die Erlaubnis für den Betrieb eines Kindergartens mit 15 Plätzen und später mit 18 Plätzen.
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Seit 1993 erhielt er von der Gemeinde A-Stadt einen monatlichen Zuschuss in Höhe von 66,00 DM pro Kindergartenplatz. Er erstrebte gegenüber der genannten Gemeinde zunächst eine Erhöhung dieses Zuschusses, was die Gemeinde jedoch ablehnte. Die vom Kläger hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Kassel mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 3. August 1999 (- 5 E 5346/94 (5) -, HSGZ 2000, 79) ab und führte zur Begründung im wesentlichen aus, ein Anspruch könne sich allenfalls gegen den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe ergeben, mithin gegen den Beklagten des vorliegenden Verfahrens, weil sich nach § 3 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII Leistungsverpflichtungen nur an die Träger der öffentlichen Jugendhilfe richteten, was gemäß § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII nur die Kreise und kreisfreien Städte seien, nicht jedoch die kreisangehörigen Gemeinden. Auch der Anspruch aus § 74 SGB VIII auf institutionelle Förderung könne sich allenfalls gegen den Beklagten als örtlichen Träger der Jugendhilfe richten.
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4
Der Kläger begehrte daraufhin mit Schreiben vom 16. Dezember 1999 vom Beklagten die Gewährung eines Betriebskostenzuschusses in Höhe von 100.274,00 DM für das Jahr 2000. Diesen Antrag lehnte der Beklagte nach Beteiligung des Jugendhilfeausschusses mit Bescheid vom 29. August 2000 ab. Zur Begründung führte er im wesentlichen aus, der Kläger habe keinen Anspruch auf die Gewährung eines Betriebskostenzuschusses, weil aus § 74 SGB VIII ein dahingehender Anspruch nicht folge. Ein solcher ergebe sich zum einen nicht aus der Anwendung des Gleichheitssatzes nach § 74 Abs. 5 SGB VIII, weil der Beklagte an keinen freien oder kommunalen Träger einen solchen Zuschuss leiste. Der beantragte Betriebskostenzuschuss hätte damit zur Folge, dass der Kläger als freier Träger gegenüber anderen freien Trägern, welche einen solchen Zuschuss nicht erhielten, bevorzugt würde. Auch aus der Regelung in § 74 Abs. 3 SGB VIII, wonach über Art und Höhe der Förderung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden sei, ergebe sich keine Pflicht zur Gewährung eines Betriebskostenzuschusses. Der Beklagte erfülle seine Förderungsaufgabe gegenüber freien Trägern von Kindergärten nicht durch Betriebskostenzuschüsse, sondern ausschließlich durch die Bezuschussung von Maßnahmen im investiven Bereich. Damit sei der Beklagte seiner Verpflichtung in ausreichendem Maße nachgekommen, nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Zudem sei zu berücksichtigen, dass der Kläger bereits von der kreisangehörigen Gemeinde einen Betriebskostenzuschuss erhalte. Auch das Hessische Kindergartengesetz habe auf eine Verpflichtung zur laufenden Förderung verzichtet. Das Verwaltungsgericht habe bei seinem Urteil vom 3. August 1999 die Regelung in
§ 19 HGO
völlig außer Betracht gelassen, wonach die Gemeinden gehalten seien, die für das Wohl der Einwohner notwendigen Dienste und Einrichtungen vorzuhalten, wozu auch Kindergärten gehörten. Die Wahrnehmung dieser Aufgabe sei Jugendhilfe, weshalb es der Praxis in Hessen entspreche, dass die kreisangehörigen Städte und Gemeinden jedenfalls parallel zum Landkreis die freien Träger zu fördern hätten. Schließlich seien die finanziellen Auswirkungen einer Förderung des Klägers für den Finanzhaushalt des Beklagten zu beachten, weshalb eine Förderung ohne gesetzliche Verpflichtung nicht vorgenommen werden könne.
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5
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit am 28. September 2000 beim Beklagten eingegangenem Schreiben vom 14. September 2000 Widerspruch ein. Diesen begründete er damit, dass § 74 Abs. 1 SGB VIII als Sollbestimmung dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe zwar keine Pflicht auferlege, ihm jedoch nur einen kleinen Ermessensspielraum lasse. Eine Förderung dürfe nur bei Vorliegen besonderer Umstände, die den Fall als atypisch erscheinen ließen, versagt werden. Solche atypischen Umstände seien vom Beklagten nicht benannt worden. Eine Berufung auf den beschränkten Rahmen des Finanzhaushaltes des Beklagten sei im Rahmen der Ermessensausübung unzulässig. Die Leistungen der Gemeinde führten nicht zu einer Entpflichtung des Beklagten. Die Gesamtverantwortung des Beklagten bleibe grundsätzlich davon unberührt und es sei ihm nicht gestattet, die ihm als örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe obliegenden Verantwortlichkeiten auf die kreisangehörigen Gemeinden abzuwälzen. Allein mit investiven Maßnahmen komme der Beklagte seiner gesetzlich auferlegten Pflicht nicht in ausreichendem Maße nach. Aus der fehlenden landesrechtlichen Regelung ergebe sich nichts anderes, da der Anspruch des Trägers der freien Jugendhilfe auf Förderung nicht aus dem Landesrecht, sondern aus dem Bundesrecht folge. Die in § 79 Abs. 1 und 2 SGB VIII geregelte Gesamtverantwortung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe beinhalte ausdrücklich die Bereitstellung von Fördermitteln für freie Träger, damit die in § 4 Abs. 1 und 2 SGB VIII vorgegebene Trägervielfalt gewährleistet werden könne.
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6
Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 2000 zurück und wiederholte zur Begründung im wesentlichen die Ausführungen aus dem Ausgangsbescheid. Ergänzend führte er aus, die zu treffende Entscheidung habe auch die verfügbaren Haushaltsmittel zu berücksichtigen. Auch wenn dies nicht dazu führen könne, dass die Förderung unter Hinweis auf nicht eingeplante Haushaltsmittel abgelehnt werde, ergebe sich andererseits jedoch kein Anspruch auf Förderung einer Überlebenshilfe. Der Träger einer Jugendhilfemaßnahme habe durch die Erfüllung der Fördervoraussetzungen des § 74 Abs. 1 SGB VIII keinen Anspruch auf Förderung im Sinne einer Grund- oder Mindestförderung. Er könne lediglich verlangen, an dem Verfahren zur Verteilung der Mittel beteiligt und ermessensfehlerfrei beschieden zu werden.
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7
Auch für die Folgejahre 2001 bis 2003 beantragte der Kläger jeweils beim Beklagten einen Betriebskostenzuschuss in konkret benannter Höhe von etwas über 100.000,00 DM bzw. 50.000,00 €. Für das Jahr 2001 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 16. Februar 2001 ab und wies den hiergegen eingelegten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 2001 zurück. Für das Jahr 2002 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 23. Januar 2002 ab und wies den hiergegen eingelegten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22. März 2002 zurück. Für das Jahr 2003 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 30. Dezember 2002 ab und wies den Widerspruch hiergegen mit Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 2003 zurück, wobei er jeweils seine oben wiedergegebene Rechtsauffassung wiederholte. Mit am 9. Januar 2001 beim Verwaltungsgericht Kassel eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger das vorliegende Klageverfahren anhängig gemacht. Die in den Folgejahren vom Kläger anhängig gemachten Klageverfahren bezüglich eines von ihm geltend gemachten Betriebskostenzuschusses für die Jahre 2001 bis 2003 wurden vom Verwaltungsgericht Kassel unter den Aktenzeichen 5 E 1642/01, 5 E 1000/02 und 5 E 774/03 bearbeitet und jeweils mit Beschluss vom 7. Mai 2003 mit dem Klageverfahren bezüglich eines Betriebskostenzuschusses für das Jahr 2000 unter dem Aktenzeichen 5 E 72/01 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
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8
Zur Begründung seiner Klage wiederholte der Kläger im wesentlichen seine Argumentation aus dem Verwaltungsverfahren und trug ergänzend vor, ein Förderungsanspruch dem Grunde nach ergebe sich bereits aus dem Umstand, dass der von ihm betriebene Kindergarten in der Bedarfsplanung der Kindergartenplätze des Beklagten berücksichtigt sei. Zudem sei der Kindergarten des Klägers für eine wohnortnahe Versorgung mit Kindergartenplätzen im Ortsteil N. besonders notwendig. Nur in atypischen Fällen, wozu eine schlechte Haushaltslage nicht gehöre, könne von der Förderungspflicht abgewichen werden.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Bescheide des Beklagten vom 29. August 2000, 16. Februar 2001, 23. Januar 2002 und 30. Dezember 2002 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 18. Dezember 2000, 5. Juli 2001, 22. März 2002 und 5. Februar 2003 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger für die Jahre 2000 bis 2003 einen angemessenen Betriebskostenzuschuss für die Kindertagesstätte "..." zu gewähren, hilfsweise eine Förderung in Höhe der durchschnittlichen Förderung der Gemeindekindergärten aus öffentlichen Kassen zu gewähren.
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Der Beklagte hat beantragt,
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12
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung hat er sich im wesentlichen auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden bezogen.
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Nachdem die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet hatten, wies das Verwaltungsgericht Kassel die Klage mit Einzelrichterurteil ohne mündliche Verhandlung vom 23. Februar 2004 - 5 E 72/01 - ab. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus, der Kläger habe keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Gewährung eines Betriebskostenzuschusses. Ein solcher könne sich nur aus § 74 Abs. 1 SGB VIII ergeben. Über die Art und Höhe der Förderung habe jedoch nach § 74 Abs. 3 SGB VIII der Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Der Kläger könne daher allenfalls einen Anspruch auf rechtsfehlerfreie Ermessensentscheidung des Beklagten haben. Er habe nur einen Anspruch darauf, an dem Verteilungsverfahren beteiligt zu werden. Ein weitergehender Anspruch auf eine Grund- bzw. Mindestförderung bestehe nicht. Ein solcher Anspruch ergebe sich auch nicht aus der Aufnahme des vom Kläger betriebenen Kindergartens in den Kindergartenbedarfsplan des Beklagten. § 74 Abs. 3 SGB VIII garantiere nämlich nicht den Bestand einer Einrichtung in Form einer gebotenen Förderung. Die Ermessenserwägungen des Beklagten ließen Ermessensfehler nicht erkennen. Er sei seiner Förderpflicht in ausreichendem Maße dadurch nachgekommen, dass er investive Maßnahmen fördere. Er leiste zudem weder den öffentlichen noch den freien Trägern der Jugendhilfe Betriebskostenzuschüsse, so dass eine Verletzung des Gleichheitssatzes nicht vorliege. Zu Recht habe der Beklagte in seine Erwägungen eingestellt, dass der Kläger von der Gemeinde A-Stadt einen Betriebskostenzuschuss erhalte. Auch die Heranziehung der begrenzten Haushaltsmittel stelle keinen Ermessensfehler dar. Nach § 74 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII sei die Entscheidung über die Gewährung von Leistungen von den verfügbaren Haushaltsmitteln abhängig. In welchem Umfang diese Mittel für die Förderung der freiwilligen Tätigkeit einzusetzen seien, obliege dem pflichtgemäßen Ermessen. Jedoch müsse hierdurch der Träger der Jugendhilfe in die Lage versetzt werden, seiner Gesamtverantwortung aus § 79 Abs. 1 und 2 SGB VIII gerecht zu werden. Dies habe der Beklagte mit der Gewährung von Leistungen im Bereich der Neubau- und Modernisierungsmaßnahmen ausreichend getan, so dass ein darüber hinaus gehender Anspruch des Klägers nicht bestehe.
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Der Senat hat dem am 2. April 2004 beim Verwaltungsgericht Kassel eingegangenen Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das dem Kläger am 4. März 2004 zugestellte Urteil mit Beschluss vom 31. Mai 2005 - 10 UZ 1395/04 - entsprochen. Nachdem dem Kläger der Beschluss des Senats am 10. Juni 2005 zugestellt worden war, hat er seine Berufung mit am 8. Juli 2005 beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage begründet.
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Er macht im wesentlichen geltend, nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 25. April 2002 - BVerwG 5 C 18.01 - bestehe ein Förderungsanspruch dem Grunde nach, wenn die Einrichtung des Trägers der freien Jugendhilfe in die Jugendhilfeplanung aufgenommen worden sei. Dies sei hinsichtlich des von ihm betriebenen Kindergartens der Fall, da der Beklagte diesen in seine Jugendhilfeplanung einbezogen habe. Auch der Höhe nach stehe ihm der geltend gemachte Anspruch auf Förderung zu. Die dem Beklagten als örtlichem Träger der öffentlichen Jugendhilfe zuzurechnende Förderung durch seine kreisangehörigen Städte und Gemeinden sei im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes auch auf die Einrichtung des Klägers zu übertragen. Die durchschnittliche Förderung im Bereich des Beklagten liege bei knapp 300,00 € pro Monat und Kindergartenplatz. Für eine niedrigere Förderung der Einrichtung des Klägers liege keine sachliche Rechtfertigung vor. Die angefochtenen Bescheide seien aber jedenfalls ermessensfehlerhaft, weil entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts eine Förderung, die sich lediglich auf investive Maßnahmen beschränke, unzureichend sei. Das Bundesverwaltungsgericht habe in einer weiteren Entscheidung vom 25. November 2004 - BVerwG 5 C 66.03 - ausdrücklich klargestellt, dass ein Landkreis als Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen des § 74 SGB VIII nicht allein auf eine Förderung durch Städte und Gemeinden verweisen könne. Das Bundesverwaltungsgericht habe in der genannten Entscheidung gleichzeitig klargestellt, dass sich der Träger der öffentlichen Jugendhilfe nicht darauf berufen könne, keine ausreichenden Haushaltsmittel zur Verfügung zu haben, wenn er für seine Aufgabe, Kindergärten zu fördern, generell auf eine entsprechende Kreisumlage verzichte. Bei der Ermessensentscheidung habe der Beklagte auch nicht den Aspekt der Pluralität des Angebotes an Kindergarteneinrichtungen hinreichend berücksichtigt.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 23. Februar 2004 - 5 E 72/01 - abzuändern und unter Aufhebung der Bescheide des Beklagten vom 29. August 2000, 16. Februar 2001, 23. Januar 2002 und 30. Dezember 2002 sowie der Widerspruchsbescheide vom 18. Dezember 2000, 5. Juli 2001, 22. März 2002 und 5. Februar 2003 den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger für die Jahre 2000 - 2003 einen angemessenen Betriebskostenzuschuss für die Kindertagesstätte "..." zu gewähren, hilfsweise eine Förderung in Höhe der durchschnittlichen Förderung der Gemeindekindergärten aus öffentlichen Kassen zu gewähren,
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19
hilfsweise,
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den Beklagten zu verpflichten, über die Anträge des Klägers auf Gewährung eines Betriebskostenzuschusses für die von ihm betriebene Kindertagesstätte "...." für die Jahre 2000 bis 2003 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Zur Begründung verteidigt er die Richtigkeit des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts Kassel. Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine bestimmte Art oder eine bestimmte Höhe der Förderung. Ein solcher Anspruch sei mit dem Vorbehalt der verfügbaren Haushaltsmittel nicht vereinbar, da in der Konsequenz der Träger der freien Jugendhilfe einen Träger der öffentlichen Jugendhilfe durch Anhäufung von Defiziten zur Bereitstellung weiterer Haushaltsmittel zwingen könnte. Aus § 74 Abs. 3 SGB VIII ergebe sich auch keine Bestandsgarantie für Jugendhilfeeinrichtungen in Form einer gebotenen Förderung. Die Behauptung des Klägers, es gebe in dem Bereich des Beklagten Kindergarteneinrichtungen, die durchschnittlich eine Förderung in Höhe 300,00 DM je Platz und Monat erhielten, treffe nicht zu. Der Beklagte erbringe vielmehr keinerlei Festbetragsförderung an irgendeine Einrichtung in seinem Kreisgebiet. Die unterschiedliche Behandlung ergebe sich allenfalls daraus, dass mehrere verschiedene Leistungsträger in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich eigenständig tätig würden. Eine Verletzung des Gleichheitssatzes könne hieraus nicht hergeleitet werden, weil dies eine Ungleichbehandlung durch ein und den selben Träger voraussetzen würde.
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Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte (Band I und II), die Verfahrensakten VG Kassel 5 E 1642/01, 5 E 1000/02, 5 E 774/03 und 5 G 418/01 sowie den einschlägigen Verwaltungsvorgang des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind. | Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 23. Februar 2004 - 5 E 72/01 - abgeändert.
Die Bescheide des Beklagten vom 29. August 2000, 16. Februar 2001, 23. Januar 2002 und 30. Dezember 2002 und die Widerspruchsbescheide vom 18. Dezember 2000, 5. Juli 2001, 22. März 2002 und 5. Februar 2003 werden aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, den Kläger hinsichtlich seiner Anträge auf Gewährung eines Betriebskostenzuschusses für den von ihm betriebenen Kindergarten "..." für die Jahre 2000 bis 2003 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger und der Beklagte haben die Kosten des gesamten Verfahrens jeweils zur Hälfte zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der Kostenfestsetzung abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg 12. Senat | Berlin | 1 | 1 | 28.06.2013 | 0 | Randnummer
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Der Kläger begehrt Zugang zu Informationen des Auswärtigen Amtes, die seinen Einsatz als internationaler Wahlbeobachter betreffen.
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Der Kläger war seit der Gründung im Jahre 2002 Mitglied des sog. Expertenpools des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze (ZIF), einer gemeinnützigen GmbH, deren Alleingesellschafterin die Beklagte ist. In Absprache mit dem Auswärtigen Amt obliegt dem ZIF u.a. die Vermittlung und Nominierung von Bewerbern für internationale Friedenseinsätze und Wahlbeobachtungsmissionen, die von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) oder der Europäischen Union durchgeführt werden. Über Vermittlung des ZIF war der Kläger in der Vergangenheit bereits mehrfach international als Wahlbeobachter tätig, zuletzt im Jahre 2010 für drei Monate anlässlich der Präsidentenwahlen in der Ukraine. Am Ende dieser Mission erstellte die zuständige Koordinatorin einen Evaluierungsbericht, in dem auch das Verhalten des Klägers bewertet wurde. Nach Angaben des Klägers wurden die entsprechenden Passagen nach einem Gespräch mit dem Leiter der Mission aus dem Bericht entfernt und eine neue Evaluation erstellt; das Auswärtige Amt wurde vom Kläger über den Vorgang informiert.
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3
In einem persönlichen Gespräch am 29. Juni 2010 teilte die Direktorin des ZIF dem Kläger mit, dass er künftig nicht mehr in dem Expertenpool geführt und für internationale Einsätze nominiert werde, da es zu mehreren Beschwerden über sein Verhalten bei vorangegangenen Missionen gekommen sei. Die Bitte des Klägers, ihm Auskunft über die Herkunft und den Inhalt der Beschwerden zu geben, lehnte sie ab. Die Beschwerden und weitere Bemühungen des Klägers um Aufklärung sind Gegenstand eines beim Auswärtigen Amt geführten Verwaltungsvorgangs.
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4
Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 3. Dezember 2010 beantragte der Kläger gestützt auf das Informationsfreiheitsgesetz (IFG), ihm schriftlich Auskunft über den Inhalt und den Ursprung der Beschwerden zu erteilen, die zu seinem faktischen Ausschluss aus dem ZIF-Expertenpool geführt haben, und ihm Akteneinsicht in den gesamten ihn betreffenden Verwaltungsvorgang zu gewähren.
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5
Auf den Antrag übersandte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 1. Februar 2011 teilweise geschwärzte Kopien des Verwaltungsvorgangs. Hinsichtlich der vorgenommenen Schwärzungen lehnte sie den begehrten Informationszugang unter Berufung auf die dem Schutz internationaler Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland, der Vertraulichkeit der übermittelten Informationen und dem Schutz personenbezogener Daten dienenden Ausschlussgründe des § 3 Nr. 1 Buchst. a, § 3 Nr. 7 und § 5 Abs. 1 IFG ab.
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6
Der dagegen eingelegte Widerspruch des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 2011 hielt die Beklagte an den vorgenannten Ausschlussgründen fest. Zu den von § 3 Nr. 1 Buchst. a IFG geschützten Belangen gehöre auch das diplomatische Vertrauensverhältnis der Bundesrepublik zur OSZE, deren Zielen und Standards Deutschland als Teilnehmerstaat verpflichtet sei. Dies gelte auch im Rahmen internationaler Wahlbeobachtungsmissionen; die von deutscher Seite entsandten Mitglieder müssten bestimmte Grundsätze wie Neutralität, Objektivität und Diskretion einhalten. Nachdem das ZIF über einen konkreten Vorfall bei einer Mission vertraulich Kenntnis erlangt habe, seien die Leistung und das Verhalten des Klägers eingehend mit der Folge eines Ausschlusses aus dem Expertenpool geprüft worden. Die Einzelheiten dieses Vorfalls könnten nicht öffentlich diskutiert werden, weil dies die Qualität und Glaubwürdigung der Wahlbeobachtungsmissionen insgesamt in Frage stellen würde. Insbesondere würde eine Offenlegung der begehrten Informationen das auf Dauer angelegte Vertrauensverhältnis der Bundesrepublik zur OSZE, zu den Empfangsstaaten derartiger Missionen und zu den diplomatischen Mitarbeitern anderer Teilnehmerstaaten der OSZE beschädigen. Die von einem Dritten aufgrund der besonderen Natur des Vorfalls vertraulich übermittelte Information unterliege zudem dem Schutz des § 3 Nr. 7 IFG. Der Dritte sei ausdrücklich am Verfahren beteiligt worden und habe sein fortbestehendes Interesse an einer vertraulichen Behandlung deutlich gemacht. Auch die Bundesrepublik habe ein eigenes Interesse daran, nur besonders geeignete Personen für OSZE-Missionen zu nominieren und gegebenenfalls vertraulich über mögliches Fehlverhalten informiert zu werden. Die Identität des Dritten sei schließlich auch als personenbezogenes Datum gemäß § 5 Abs. 1 IFG geschützt. Auf ein überwiegendes Informationsinteresse könne sich der Kläger schon deshalb nicht berufen, weil die begehrten Informationen direkt mit dem aktuellen Dienstverhältnis und einem vergangenen Mandat des Dritten im Zusammenhang stünden und daher nach Absatz 2 der Vorschrift vom Informationszugang ausgeschlossen seien. Der Versagungsgrund des § 5 IFG stehe auch einer Offenlegung des konkreten Vorwurfs entgegen, da dies zwangsläufig zu einer Identifizierung des Dritten führen würde.
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7
Mit der am 9. Juni 2011 erhobenen Klage hat der Kläger unter teilweiser Aufhebung der vorgenannten Bescheide begehrt, die Beklagte zu verpflichten, ihm vollständig Auskunft über den Inhalt und den Ursprung der Beschwerden zu erteilen, die zu seinem Ausschluss aus dem Expertenpool des ZIF geführt haben. Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 22. März 2012 stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen darauf verwiesen, dass dem Kläger nach § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG ein Anspruch auf die begehrte Auskunft zustehe. Die von der Beklagten geltend gemachten Ausschlussgründe lägen nicht vor. Darlegungspflichtig für das Vorliegen von Ausschlussgründen sei die informationspflichtige Stelle; die Gründe für die Ablehnung des Informationszugangs müssten hinreichend konkret und nachvollziehbar dargelegt werden. Daran fehle es vorliegend.
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8
Die von der Beklagten im Rahmen des Versagungsgrundes des § 3 Nr. 1 Buchst. a IFG angeführten Ziele seien so weit definiert, dass sie sich jenseits des ihr gesetzlich eingeräumten Beurteilungsspielraums bewegten. Sie ließen eine grundsätzlich der Einschätzung der Bundesregierung vorbehaltene außenpolitische Strategie nicht erkennen, sondern erschöpften sich in der allgemeinen Umschreibung eines wechselseitigen Wohlwollens insbesondere auf der Ebene persönlicher Beziehungen zu Angehörigen ausländischer Staaten und Organisationen. Zudem fehle es hinsichtlich der Prognose eines möglichen Eintritts nachteiliger Auswirkungen auf das Schutzgut an einer überzeugenden Begründung. Der Hinweis, dass eine Offenlegung von Informationen, die der Bundesrepublik von Mitgliedern anderer OSZE-Staaten vertraulich mitgeteilt worden seien, die künftige vertrauensvolle Zusammenarbeit in hohem Maße gefährden würde, sei schon deshalb nicht tragfähig, weil innerhalb der jeweiligen von der OSZE durchgeführten Wahlbeobachtungsmissionen unstreitig eine Evaluierung stattfinde, bei der auch kritikwürdiges Verhalten einzelner Wahlbeobachter angesprochen werden könne. Jedenfalls sei kein hinreichender Zusammenhang mit den auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik zu anderen Staaten und internationalen Organisationen erkennbar, wenn hier in Rede stehende privat übermittelte Erkenntnisse aus einer bereits beendeten Mission an die Öffentlichkeit gelangten.
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Ebenso wenig könne sich die Beklagte mit Erfolg auf den Ausschlussgrund des § 3 Nr. 7 IFG berufen. Dass der Informationsperson von der Direktorin des ZIF Vertraulichkeit zugesichert und im Drittbeteiligungsverfahren ein fortbestehendes Interesse an der Geheimhaltung geltend gemacht worden sei, genüge dafür nicht. Über die vereinbarte Vertraulichkeit hinaus setze der Ausschlussgrund ein schutzwürdiges Interesse des Dritten oder der Behörde an der vertraulichen Behandlung der Informationen voraus. Dies ergebe sich bereits aus dem systematischen Zusammenhang des § 3 Nr. 7 IFG mit den weiteren im Gesetz geregelten Versagungsgründen, die als Ausnahmetatbestände grundsätzlich eng auszulegen seien. Substantiierte Anhaltspunkte für ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse des Dritten bestünden nach den Angaben der Beklagten nicht. Mit Blick auf die ohnehin stattfindenden Evaluierungen sei auch nicht ersichtlich, dass das ZIF im konkreten Fall für seine Aufgabenerfüllung auf vertrauliche Informationen des Dritten angewiesen sei. Soweit mit den Evaluierungen ein Verfahren vorgesehen sei, in dem auf dem Dienstweg auch eventuelle Beanstandungen des Verhaltens der entsandten Wahlbeobachter übermittelt werden könnten, sei es insbesondere nicht als schutzwürdig anzusehen, auf informellen Kanälen und unter dem Schutz der Vertraulichkeit Vorhaltungen zu transportieren, zu denen der Kläger nicht Stellung nehmen könne.
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Hinsichtlich des darüber hinaus geltend gemachten Schutzes personenbezogener Daten überwiege das Informationsinteresse des Klägers das entgegenstehende Interesse des Dritten an einer Geheimhaltung. Die Regelung des § 5 Abs. 2 IFG stehe der Gewährung von Informationszugang nicht entgegen. Hinsichtlich des Klägers seien die streitbefangenen Informationen zwar vergleichbar mit Personalaktendaten, die von dem Anwendungsbereich der Vorschrift erfasst seien; der Kläger habe in Bezug auf die ihn betreffenden Informationen jedoch kein Geheimhaltungsinteresse. Bei dem Informationsgeber liege ein unmittelbarer Bezug zu seinem Dienstverhältnis ausweislich der Angaben der Beklagten nicht vor. Ebenso wenig habe die Beklagte nachvollziehbare Gründe für ein individuelles schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse des Dritten dargelegt. Bei der gebotenen Abwägung sprächen daher die erheblichen Folgen, die die Angaben der Informationsperson für die langjährige Tätigkeit des Klägers als Experte bei internationalen Missionen gehabt hätten, für ein überwiegendes Informationsinteresse.
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Gegen die vorgenannte Entscheidung richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung der Beklagten, mit der sie ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft.
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Zu Unrecht habe das Verwaltungsgericht im Rahmen des § 3 Nr. 1 Buchst. a IFG bemängelt, dass es an der Darlegung einer erkennbaren außenpolitischen Strategie fehle. Auch bloßen „Zuständen“ diplomatischen Wohlwollens komme, unabhängig von etwaigen konkreten „Projekten“ der Bundesregierung, ein erheblicher Eigenwert zu. Soweit - wie vorliegend - eine Kontaktaufnahme mit Mitarbeitern, die im Rechtskreis der Bundesregierung tätig seien, unter der ausdrücklichen Bitte um Vertraulichkeit von einem höherrangigen ausländischen Diplomaten ausgehe, könne bereits eine Verletzung dieser Vertraulichkeitszusage an sich als eklatanter diplomatischer Formverstoß offenkundig zu einer empfindlichen Störung im Verhältnis zu dessen Entsendestaat oder der durch ihn repräsentierten internationalen Organisation führen. Dies gelte unabhängig davon, ob zeitgleich bilaterale oder multilaterale Verhandlungen stattfänden; das „diplomatische Schadenspotential“ eines solchen Formverstoßes bestehe auch für zukünftige diplomatische Anliegen. Die Wahrung der diplomatischen Form sei daher kein Selbstzweck, sondern eine notwendige Vorstufe zur materiellen Verwirklichung außenpolitischer Zielsetzungen der Bundesregierung.
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In Bezug auf den vom Kläger begehrten Informationszugang gehe es konkret um die diplomatischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu drei Völkerrechtssubjekten, neben dem Entsendestaat des Informationsgebers und der OSZE auch dem Empfangsstaat der Wahlbeobachtungsmission. Soweit der Informationsgeber einer Herausgabe der vertraulich übermittelten Informationen nicht zugestimmt habe, sei die Gefahr nachteiliger Auswirkungen auf die Beziehungen zu seinem Entsendestaat keineswegs fernliegend. Gleiches gelte für das Verhältnis der Bundesrepublik zur OSZE. Eine besondere diplomatische Brisanz komme einer Offenlegung der Informationen vor allem im Verhältnis zum Empfangsstaat der Wahlbeobachtungsmission zu. Da es sich bei derartigen Missionen um völkerrechtlich sensible Angelegenheiten handele, könnten interne Unstimmigkeiten oder nach außen bekanntgewordene Kritik am Verhalten einzelner Beobachter dem Ansehen der Mission schaden und das Verhältnis zum Empfangsstaat belasten. Dies müsse umso mehr gelten, wenn es - wie vorliegend - um mehrfaches und massives persönliches Fehlverhalten gehe. Eine Bekanntgabe der in Rede stehenden Informationen könne daher auch gegenwärtig noch dem Ansehen der Mission in dem betreffenden Gastland abträglich sein, insbesondere wenn sich der Kläger zu einer öffentlichen Rechtfertigung der erhobenen Vorwürfe gehalten sehe. Würde das Gastland diese Rechtfertigungen als nicht stichhaltig bestreiten, hätte dies Auswirkungen auf die Bereitschaft von Gastländern, künftig der Entsendung von Wahlbeobachtungsmissionen zuzustimmen.
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Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts rechtfertige auch die Durchführung von Evaluierungen nicht die Ablehnung des Ausschlussgrundes. Zwar sei das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass Beschwerden, die von Seiten leitender Mitarbeiter innerhalb dieses Systems behandelt würden, trotz durchaus auch offen zu Tage tretenden Streits regelmäßig nicht zu einer Störung im diplomatischen Gefüge der OSZE oder im Verhältnis zum Empfangsstaat führten. Daraus könne jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass selbst massivsten Beschwerden keinerlei diplomatische Brisanz zukomme. Der Bundesregierung müsse es ebenso wie der Missionsleitung in Einzelfällen wie dem vorliegenden freistehen, eine besondere diplomatische Relevanz anzunehmen und sich für eine Behandlung der Sache außerhalb des üblichen Verfahrens zu entscheiden. Im Übrigen erfolgten seit 2010 keine Evaluierungen von OSZE-Wahlbeobachtungen mehr.
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Zudem sei der Ausschlussgrund des § 3 Nr. 7 IFG erfüllt. Zu Unrecht habe das Verwaltungsgericht angenommen, dass die Vorschrift über die vereinbarte Vertraulichkeit hinaus ein schutzwürdiges Interesse des Dritten oder der Behörde an der Geheimhaltung voraussetze. Eine Differenzierung zwischen subjektiven Interessen und deren objektiven Bewertung anhand des Merkmals der „Schutzwürdigkeit“ sei dem Gesetz - etwa beim Schutz personenbezogener Daten - nicht fremd. Soweit § 3 Nr. 7 IFG seinem Wortlaut nach nicht auf eine solche objektive Bewertung abstelle, sei für eine einschränkende Auslegung seines Anwendungsbereichs kein Raum. Die Auslegung des Verwaltungsgerichts führe im Übrigen auch rein tatsächlich, insbesondere in dem hier in Rede stehenden Bereich der diplomatischen Beziehungen, zu fragwürdigen Konsequenzen. Im Rahmen des diplomatischen Austauschs werde immer wieder an Mitarbeiter der Bundesregierung unter dem Vorbehalt der Vertraulichkeit herangetreten; dieser Austausch dürfe nicht unter das „Damoklesschwert“ einer im Einzelfall zu treffenden Abwägungsentscheidung gestellt werden. Im Gegenteil spreche - selbst auf der Grundlage der erstinstanzlichen Auffassung - viel dafür, diesen Bereich grundsätzlich als schutzwürdig anzusehen, ohne dass es zusätzlicher einzelfallbezogener Darlegungen bedürfe. Ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse lasse sich vorliegend auch nicht mit dem Hinweis auf ein ohnehin vorgesehenes Evaluierungsverfahren verneinen. Ein solches Verfahren sei weder nach nationalem Recht noch durch völkerrechtliche Vereinbarungen vorgegeben. Weder dem Auswärtigen Amt noch dem ZIF seien die persönlichen Beurteilungen offiziell von der Durchführungsorganisation der Wahlbeobachtungsmission zugeleitet worden. Ein offizieller Dienstweg existiere daher nicht; die über die Vermittlung des ZIF entsandten Wahlbeobachter hätten ihre Beurteilungen lediglich freiwillig zur Verfügung gestellt. Neben diesem rudimentären und seit 2010 ohnehin abgeschafften Verfahren müsse in Ausnahmefällen Raum für einen Rückgriff auf informelle Informationswege bleiben. Die Frage, ob ein derartiger Ausnahmefall diplomatisch geboten erscheine, obliege allein der Einschätzungsbefugnis der Bundesregierung.
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Das Informationsinteresse des Klägers überwiege auch nicht das entgegenstehende Interesse des Informationsgebers am Schutz seiner personenbezogenen Daten gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 IFG. Aus der Art der streitbefangenen Informationen lasse sich eine besondere Schutzbedürftigkeit des Interesses des Klägers nicht herleiten. Eine Vergleichbarkeit mit Personalaktendaten liege entgegen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts nicht vor. Ebenso wenig wie der Kläger beanspruchen könne, in den Expertenpool des ZIF aufgenommen oder als Wahlbeobachter eingesetzt zu werden, stehe ihm ein Anspruch auf uneingeschränkten Zugang zu den Hintergründen derartiger Entscheidungen zu. An die Darlegung des schutzwürdigen Interesses des Dritten am Ausschluss des Informationszugangs dürften vorliegend keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Da der Kreis der möglichen Informanten sehr überschaubar sei, würde eine Konkretisierung seiner Interessen die Möglichkeit einer Identifizierung seitens des Klägers eröffnen.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 22. März 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt im Wesentlichen das erstinstanzliche Urteil und weist ergänzend darauf hin, dass es sich bei den durchgeführten Evaluationen um einen offiziellen und vorgeschriebenen Akt gehandelt habe. Jeder Entsendestaat habe über das in Warschau ansässige Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte der OSZE die seine Langzeitwahlbeobachter betreffenden Evaluationsberichte erhalten. Auf anonym oder vertraulich übermittelte Informationen sei die Beklagte daher nicht angewiesen gewesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Streitakte und den von der Beklagten eingereichten Verwaltungsvorgang Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung des Senats gewesen sind. | Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweiligen Vollstreckungsbetrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Baden-Württemberg | 0 | 1 | 1 | 1
Der Kläger begehrt das Ergreifen geeigneter Maßnahmen zur Herstellung des Zugangs zu einem Bezirksamt der Beklagten, um die dort angebotenen Dienstleistungen in Anspruch nehmen zu können.
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Der Kläger ist Einwohner der Beklagten. Mit einer Schwerbehinderung von 100% mit dem Merkzeichen aG ist er auf einen Rollstuhl angewiesen. Die Verwaltungsräume des Bezirksamts in S. sind nur über vier Stufen zu erreichen. Eigenen Angaben zufolge wies der Kläger die Beklagte mehrmals darauf hin, dass ein barrierefreier Zugang zum Bezirksamt in S. nicht möglich sei. Dabei legte er der Beklagten Lichtbilder vor, die die Missstände aus seiner Sicht belegen sollen.
3
Am 21. Januar 2020 hat der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben.
4
Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, unverzüglich geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um dem Kläger den Zugang in das Bezirksamt S. zur Inanspruchnahme der dort angebotenen Dienstleistungen in zumutbarer Weise zu ermöglichen.
6
Zur Begründung trägt er vor, er sei in diskriminierender Weise faktisch von den im Bezirksamt S. angebotenen Dienstleistungen ausgeschlossen. Die zwei Treppen zu den Räumlichkeiten stellten für ihn ein unüberwindbares Hindernis dar. Durch eine einfache Rampe könne kostengünstig ein barrierefreier Zugang hergestellt werden. Aus § 10 Abs. 2 Satz 2 GemO folge, dass alle Einwohner im Rahmen des geltenden Rechts berechtigt seien, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde nach gleichen Grundsätzen zu benutzen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung trägt sie vor, der Kläger sei nicht von den im Bezirksamt angebotenen Dienstleistungen ausgeschlossen. Die Mitarbeiter würden auf telefonischen „Zuruf“ die Anliegen des Klägers bearbeiten. Sie kämen zu ihm vor das Bezirksamt, um ihm Dokumente auszuhändigen oder von ihm entgegenzunehmen. Zudem komme eine Benachteiligung des Klägers nicht in Betracht, da er die Dienstleistungen des Bezirksamts uneingeschränkt im Rathaus des Hauptortes der Beklagten in Anspruch nehmen könne. Dieses sei barrierefrei und von der Wohnung des Klägers etwa 5 Kilometer entfernt. Der Kläger habe kein subjektives Recht, wonach er von der Beklagten den barrierefreien Zugang zum Bezirksamt verlangen könne. Insbesondere ergebe sich ein solches nicht aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, das als Abwehrrecht und nicht als Leistungsrecht ausgestaltet sei. Als Stadt – insbesondere bei der Ausübung der kommunalen Selbstverwaltung – sei die Beklagte zudem nicht an die Regeln des § 1 Abs. 1a des Gesetzes zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung (kurz: Behindertengleichstellungsgesetz [BGG]) gebunden. Auch aus dem Landesgesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (kurz: Landes-Behindertengleichstellungsgesetz [L-BGG]) ergebe sich kein Anspruch auf die Herstellung eines rollstuhlgerechten Zugangs zum Bezirksamt. Gemäß § 12 L-BGG könne allenfalls ein Verstoß gegen die Regelung des L-BGG festgestellt werden. Ein solcher liege im Übrigen nicht vor. In § 7 Abs. 1 L-BGG werde das „Wie“ von Neu- und Umbaumaßnahmen geregelt, nicht aber ein Anspruch auf Umbaumaßnahmen definiert. Außerdem liege auch keine Benachteiligung im Sinne des § 3 L-BBG vor, da die Ungleichbehandlung von den baulichen Gegebenheiten herrühre. Die angespannte Haushaltslage der Beklagten stelle einen zwingenden Grund für die Ungleichbehandlung dar, da für einen Umbau Kosten von über 100.000 Euro entstünden. Aus denselben Gründen ergebe sich kein Anspruch auf eine bauliche Änderung aus § 10 Abs. 1 GemO. Schließlich ergebe sich kein Anspruch aus Art. 9 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung (kurz: UN-Behindertenrechtskonvention [UN-BRK]), da dieser nur die Vertragsstaaten, nicht aber die Beklagte verpflichte.
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Der Kläger trägt hierzu ergänzend vor, es gebe Amtshandlungen, bei denen es nicht möglich oder zumutbar sei, dass sie am Telefon oder auf einem Parkplatz erledigt würden. Auch treffe es nicht zu, dass alle Amtsgeschäfte in gleichem Maße im Rathaus der Beklagten erledigt werden könnten wie im Bezirksamt. Insbesondere könnten dort nicht die Protokolle der öffentlichen Sitzungen des Ortschaftsrats sowie örtliche Bebauungspläne und Bauanträge des Ortsteils S. eingesehen werden. Zudem beabsichtige er zu heiraten, wofür das Standesamt im Bezirksamt zuständig sei.
11
Das Gericht hat den Kläger und den Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 12. August 2021 gehört. Der Kläger gab hierbei im Wesentlichen an, im Eingangsbereich des Bezirksamts gebe es ein schwarzes Brett an dem öffentliche Aushänge hingen, die er nicht einsehen könne. Zur Vorbereitung der Eheschließung sei eine Mitarbeiterin des Standesamts zu ihm nach Hause gekommen. Er befasse sich derzeit zudem mit der Erweiterung des neuen Baugebiets „S. Süd 3. Erweiterung“ und habe deswegen bei der Beklagten die Woche zuvor einen Antrag auf Akteneinsicht gestellt. Eine Antwort habe er jedoch bislang nicht erhalten. Auch stehe ein Treffen mit dem Ortsvorsteher an. Es sei aber noch unklar, wo dieses stattfinden könne. Er wohne seit 22 Jahren in S. und habe bislang seine Behördenangelegenheiten im Rathaus in XX erledigt. Seine Behinderung habe sich jedoch in letzter Zeit verschlimmert und es gebe dort nur einen Behindertenparkplatz, der ständig belegt sei. Außerdem nehme das Be- und Entladen des Autos viel Zeit in Anspruch. Er wolle sich nicht aufgrund seiner Behinderung als ein „Mensch zweiter Klasse“ fühlen müssen.
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Der Vertreter der Beklagten trägt vor, sie stelle sicher, dass alle Leistungen der Verwaltung dem Kläger zugänglich gemacht würden. Die Aushänge am Bezirksamt könnten so angebracht werden, dass sie barrierefrei zugänglich sind. Die Niederschriften der Ortschaftsratssitzungen, die Bebauungspläne und Bauakten könnten in das Rathaus nach XX gebracht und dort vom Kläger eingesehen werden. Außerdem seien die Niederschriften und Pläne bereits online verfügbar. Die Bauakten würden auch bald digitalisiert werden. Die Einsichten erfolgten im Bezirksamt je nach Verfügbarkeit der Dokumente sofort oder nur zu einem späteren Zeitpunkt. Es sei auch denkbar, dass Dienstleistungen des Bezirksamts dem Kläger in den barrierefreien Räumlichkeiten in der Begegnungsstätte im D.-Zentrum angeboten werden.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen. | Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. | 0 |
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Landessozialgericht Rheinland-Pfalz 5. Senat | Rheinland-Pfalz | 0 | 1 | 14.07.2011 | 0 | Randnummer
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Umstritten ist, ob die Klägerin am 26.1.1989, als sie als Anhalterin vergewaltigt wurde, unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand.
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Die 1955 geborene Klägerin wurde am 26.1.1989 ihren Angaben zufolge auf dem Heimweg von der Universität G zu ihrer damaligen Wohnung in A zwischen 22.30 und 23.00 Uhr von einem ihr unbekannten Täter vergewaltigt. Noch in derselben Nacht stellte sie sich deshalb in der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe der G -Universität G vor. In dem ärztlichen Bericht der Klinik über die damalige Anamnese heißt es: Die Klägerin habe sich am 27.1.1989 um 2.25 Uhr in Begleitung eines Beamten der Kriminalpolizei nach vorausgegangener Vergewaltigung in der Poliklinik vorgestellt und folgenden Tathergang berichtet: Sie sei in G von der K nach Hause getrampt; während der Fahrt habe der Fahrer einen Umweg über O gemacht, sei dort in einen Wald gefahren und habe sie vergewaltigt. Die Klägerin habe danach in ihrer Wohnung geduscht und anschließend die Polizei angerufen.
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Dem für die Entschädigung nach dem Gesetz über die Entschädigung von Opfern von Gewalttaten zuständigen Versorgungsamt gab die Klägerin im Mai 2007 an: Sie sei am "27.1.1990" auf dem Heimweg von der Universität G zwischen 22.30 Uhr und 23 Uhr auf einem Waldweg zwischen O und A im PKW von einem Fremden vergewaltigt worden mit anschließendem Mordversuch (Erwürgen) zur Verdeckung der Tat. Seinerzeit habe sie bei der Kriminalpolizei Strafanzeige gestellt. Sie leide an Angstzuständen mit Schlafstörungen bei gleichzeitiger Verschlechterung ihrer Psoriasis-Arthrititis und anderer körperlicher Erkrankungen. Die damalige Akte der Staatsanwaltschaft ist vernichtet worden.
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Die Klägerin zeigte die Begebenheit vom 26.1.1989 im Juli 2007 der Beklagten an und gab im Verwaltungsverfahren an: Seinerzeit sei sie als ordentliche Studentin an der Philosophischen Fakultät der Universität G mit dem Hauptfach Kunstgeschichte und den Nebenfächern klassische Archäologie und Volkskunde immatrikuliert gewesen. Am "27".1.1989 habe ihre Tagesstudienzeit um ca 22 Uhr geendet, weil die Studenten des kunstgeschichtlichen Instituts einmal wöchentlich einen Gastvortrag eines auswärtigen Dozenten hätten anhören müssen. Sie habe den sog Alten Audimax (Hörsaalgebäude) etwa kurz nach 22 Uhr verlassen und sei zur Bushaltestelle am Bahnhof in der Nähe des Hörsaals gegangen. Da sie jedoch den Bus verpasst habe, sei sie mit einem fremden Autofahrer als Anhalterin mitgefahren, zumal es sehr kalt gewesen sei. Ihre Ausbildung und ihr beruflicher Werdegang hätten sich wie folgt gestaltet: Nach dem Abitur im Jahre 1976 habe sie im Wintersemester 1976/77 das Studium der Rechtswissenschaften begonnen und dieses im Wintersemester 1983 beendet. Von 1984 bis 1986 habe sie eine Tätigkeit in der Administration des Klinikums G ausgeübt (Vollzeit, befristeter Vertrag auf zwei Jahre). 1987/88 habe sie das Zweitstudium der Kunstgeschichte begonnen (Hauptfach und Nebenfächer). Dieses habe sie Anfang der Neunziger Jahre abgeschlossen und seither ihre Dissertation verfasst. Nebenher habe sie stets diverse berufliche Tätigkeiten in Voll- und Teilzeit ausgeübt. Ihren derzeit ausgeübten Beruf bezeichnete sie mit "Marketing-Fachfrau/Kunstwissenschaftlerin, Status: Doktorand)"; gegenwärtig sei sie vollzeitbeschäftigt (HE-Network Marketing).
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Die Beklagte nahm einen Bericht des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie F vom Januar 2008 zu den Akten. Darin heißt es, die Symptome der Klägerin seien am Ehesten im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsstörung erklärbar; des weiteren imponierten die charakteristischen Merkmale einer andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung. Die Patientin habe, auch im Rahmen einer Hypnose, von einem Ereignis berichtet, das sich im Januar 1989 zugetragen habe, bei dem sie auf dem Nachhauseweg von der Universität vergewaltigt worden sei; sie habe vom Täter jahrelang Morddrohungen erhalten und fühle sich bis heute von dem noch nicht gefassten Täter bedroht. Die Klägerin legte der Beklagten die Kopie einer Pressemitteilung in der G Tageszeitung vom 28./29.1.1989 vor, wo über die Notzucht an einer Anhalterin berichtet worden war. In ihrer Stellungnahme vom Mai 2008 sie ausführlich die Umstände der Vergewaltigung.
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Das Studentensekretariat der Universität G teilte der Beklagten im März und Oktober 2008 mit, die Klägerin sei zum Zeitpunkt der Vergewaltigung keine Studentin gewesen. Die Klägerin gab an, sie habe ihre sämtlichen Unterlagen aus der Studentenzeit in ihrer früheren Wohnung in N verloren, als diese im Zusammenhang mit dem Anschlag vom 11. September 2001 vernichtet worden seien.
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Durch Bescheid vom 8.10.2008 und Widerspruchsbescheid vom 25.3.2009 (zur Post gegeben per Einschreiben am 26.3.2009) lehnte die Beklagte die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, weil nicht festgestellt werden könne, dass die Klägerin im Januar 1989 Studentin gewesen sei.
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Am 27.4.2009 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie hat eine Bestätigung des Kunstgeschichtlichen Seminars der Universität G vom Mai 2009 vorgelegt, wonach sie im Sommersemester 1988 und im Wintersemester 1988/89 Lehrveranstaltungen des Kunstgeschichtlichen Seminars der Universität G besucht habe. Die Beklagte hat dem Sozialgericht (SG) eine Stellungnahme des Kunstgeschichtlichen Seminars der Universität Göttingen vom Juni 2009 zugeleitet, worin es heißt: Die Auskunft vom Mai 2009 beruhe auf handschriftlichen Eintragungen auf dem Personalblatt der Studentenkartei des Wintersemesters 1988/89; nach Auskunft des Studentensekretariats sei die Klägerin vom 10.6.1988 an exmatrikuliert gewesen.
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Durch Urteil vom 6.7.2010 hat das SG Trier die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Klägerin habe bei der von ihr behaupteten Tat nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden, da sie zu diesem Zeitpunkt nicht an einer Hochschule immatrikuliert gewesen sei. Der etwaige Besuch von Lehrveranstaltungen allein begründe keinen Versicherungsschutz nach § 2 Abs 1 Nr 8 Buchstabe c Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII).
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Gegen dieses ihr am 9.8.2010 zugestellte Urteil richtet sich die am 7.9.2010 eingelegte Berufung der Klägerin. Diese hat Unterlagen vorgelegt, ua eine Bestätigung des Kunstgeschichtlichen Seminars der G -Universität G über Eintragungen von Lehrveranstaltungen auf ihrem Personalblatt (im Wintersemester 1988/1989: Proseminar "Duccio" bei Prof Dr M ; Vorlesung "Architektur des Absolutismus" von Prof Dr W ). Außerdem hat sie dem Senat eine von ihr im Rahmen eines "Oberseminars" bei Prof Dr A gefertigte Hausarbeit über das Thema "Der Segen Jakobs" (ein Bild von Rembrandt), einen für die Zulassung zum Rigorosum dienenden Lehrveranstaltungsnachweis der Universität S vom Januar 1998 und ein Gutachten von Prof Dr B vom Institut für Kunstgeschichte der Universität S vom August 1999 vorgelegt. Der Senat hat eine Auskunft der Dekanin der Philosophischen Fakultät der Georg-August-Universität G vom November 2010 eingeholt, worin es heißt: Die Klägerin sei vom 1.4. bis zum 10.6.1988 für die Fächer Kunstgeschichte (per Einstufung im 2. Fachsemester) und Archäologie (1. Fachsemester) eingeschrieben gewesen. Nach Auskunft des Direktors des Instituts für Kunstgeschichte, Prof Dr W , sei es möglich gewesen, ohne Immatrikulation Proseminare zu besuchen. Die Dozentinnen und Dozenten überprüften die Immatrikulation der Teilnehmerinnen/Teilnehmer der Lehrveranstaltungen nicht. Der Besuch der abendlichen Gastvorträge sei nach Auskunft des Direktors des Instituts für Kunstgeschichte freiwillig gewesen. Über den Gastvortrag am "27".1.1989 lägen keine Unterlagen vor.
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Die Klägerin trägt vor: Sie habe im Wintersemester 1988/1989 das Proseminar über Duccio und die Vorlesung über die Architektur des Absolutismus besucht. Mittlerweile habe sie bei ihren Dissertationsunterlagen die von ihr im Hauptstudium der Kunstgeschichte für das Oberseminar bei Prof Dr K A im Wintersemester 1988/89 gefertigte Hausarbeit gefunden. Diese Hausarbeit, die sich mit der Deutung des Bildes "Der Segen Jakobs" von Rembrandt beschäftigt habe, sei nach den Angriffen auf das World Trade Center in New York am 11.9.2001 in stark beschädigtem Zustand geborgen worden. Bei den handschriftlichen Anmerkungen habe es sich um die Korrekturhandschrift von Prof Dr A gehandelt, der die Arbeit nach Umarbeitungen mit "voll befriedigend" bewertet habe. Die Arbeit sei ihr späteres Promotionsthema. Sie habe ihr Doktoratsstudium an der Universität S fortgeführt; Voraussetzung hierfür sei ua die Vorlage aller an der Universität G erworbenen Scheine gewesen, wozu auch der Schein des Proseminars über Duccio gehört habe. Der Versicherungsschutz als Studentin hänge nicht von einer förmlichen Immatrikulation ab.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des SG Trier vom 6.7.2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.3.2009 aufzuheben und das Ereignis vom 26.1.1989 als Wegeunfall festzustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie trägt vor: Nach dem Wortsinn des § 2 Abs 1 Nr 8 Buchstabe c SGB VII seien nach dieser Vorschrift nur eingeschriebene (ordentliche) Studenten versichert, nicht dagegen Gasthörer und sonstige Hochschulbesucher. Wäre der Aufenthalt an der Hochschule zu privaten Zwecken, dh ohne Immatrikulation, grundsätzlich versichert, würde dies eine vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte Ausweitung des Versicherungsschutzes bewirken. Im Übrigen stehe nicht fest, dass die Klägerin am 26.1.1989 ein Proseminar besucht habe.
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Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakte verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind. | 1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 6.7.2010 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen. | 0 |
SG Marburg 12. Kammer | Hessen | 0 | 1 | 11.07.2007 | 0 | Randnummer
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Die Beteiligten streiten um die Anerkennung einer gebietsärztlichen Rufbereitschaft Anästhesie im Versorgungsbereich des DRK-Krankenhaus A-Stadt.
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2
Die Kläger sind Fachärzte für Anästhesie und zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Sie sind zugleich Belegärzte am DRK-Krankenhaus A-Stadt. Bei dem DRK-Krankenhaus A-Stadt handelt es sich um ein reines Belegkrankenhaus mit vierzehn Belegärzten, die in vier Fachrichtungen tätig sind. Weitere Anästhesisten sind neben den Klägern am DRK-Krankenhaus nicht tätig.
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3
Einen Antrag des Klägers zu 2) auf Nachzahlung der Bereitschaftsdienstpauschalen gemäß § 8 (1) a der Notdienstordnung lehnte die Bezirksstelle GD. der Beklagten mit Bescheid vom 28.12.2004 ab, weil ihr Geschäftsausschuss eine gebietsärztlichen Rufbereitschaft nicht eingerichtet habe und die Einrichtung nicht für opportun ansehe auch im Hinblick auf die Bestimmung von § 6 (1) d der Notdienstordnung.
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4
Am 30.12.2004 beantragten die Kläger die Anerkennung einer gebietsärztlichen Rufbereitschaft Anästhesie ab 01.01.2005 für den Landkreis PK.-A-Stadt bzw. den Versorgungsbereich des DRK-Krankenhaus A-Stadt. Sie trugen vor, durch ihren Belegarztvertrag mit dem DRK-Krankenhaus A-Stadt seien sie zur anästhesiologischen Versorgung der dortigen Patienten anderer Belegärzte verpflichtet. Das schließe Wochenenden, Feiertage und mehr ein. Ihre ständig durchzuführende anästhesiologische Rufbereitschaft beschränke sich nicht nur auf die Versorgung von Notfällen belegärztlicher Operationen am DRK-Krankenhaus A-Stadt, sondern schließe ambulante Notfalloperationen ebenso ein. Aus diesem Grund sei den beiden chirurgischen Praxen Prof. R. u. Koll. sowie Dres. W. und Koll. von der Bezirksstelle GD. der Beklagten die gebietsärztliche Rufbereitschaft Chirurgie seit längerem anerkannt worden. Zusammen mit den Chirurgen würden sie in deren genehmigten Notdienst Notfallpatienten ambulant und stationär versorgen. Ihre Benachteiligung und Hintanstellung ihres Faches Anästhesie sei offensichtlich. Es sei ihnen nicht möglich, Narkosen bei Notfallpatienten deshalb abzulehnen. Sie würden dadurch genötigt werden, ihre Rufdienste unentgeltlich durchzuführen. Das Versorgungsgebiet umfasse 85.842 Einwohner. Es handele sich um eine ausschließlich ländliche Region. Umlandkliniken mit Notfallversorgung befänden sich in einer Entfernung von 29 km bis 32 km.
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5
Mit Bescheid vom 06.12.2005 gegenüber dem Kläger zu 2) und mit Bescheid vom 06.02.2006 gegenüber dem Kläger zu 1) lehnte die Beklagte den Antrag ab. Sie führte zur Begründung gleichlautend an, Belegärzte seien berechtigt, ihre Patienten voll- oder teilstationär zu behandeln, ohne hierfür vom Krankenhaus eine Vergütung zu erhalten. Auch bei der Versorgung von belegärztlichen Notfällen handele es sich nicht um Notfälle im Rahmen des Sicherstellungsauftrages. Der Umstand, dass Anästhesiologen sich verpflichteten, auch für die Versorgung dort auftretender Notfälle zu sorgen, tangiere deshalb nicht die Sicherstellung zu den sprechstundenfreien Zeiten (Not- bzw. Bereitschaftsdienst). Die Versorgung von belegärztlichen Notfällen könne kein Bestandteil des vertragsärztlichen Not- bzw. Bereitschaftsdienstes sein. Eine Ungleichbehandlung aufgrund der Anerkennung des chirurgischen Bereitschaftsdienstes liege nicht vor. Die Anerkennung des chirurgischen Bereitschaftsdienstes sei in Abhängigkeit von der regionalen Bedarfssituation für die ambulante chirurgische Notfallversorgung erfolgt. Eine äquivalente Bedarfssituation für anästhesiologische Leistungen im Rahmen der Versorgung von ambulanten Notfällen könne hingegen nicht festgestellt werden.
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6
Hiergegen legten die Kläger am 08.01. bzw. 07.03.2006 Widerspruch ein. Sie trugen weiter vor, das Belegkrankenhaus verfüge über keine anästhesiologische Hauptabteilung, weshalb es keinen anästhesiologischen Dienst bereitstellen könne. Die Schlussfolgerung, betreffs Notfallanästhesien für belegärztliche Notfalloperationen in sprechstundenfreien Zeiten fehle es an einem Sicherstellungsauftrag, sei nicht nachzuvollziehen. Auf die Lage der geburthilflichen Belegabteilung hätten sie bereits hingewiesen. Für sie sei es unerheblich, ob es sich um einen ambulanten oder stationären chirurgischen Fall handele.
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7
Mit Widerspruchsbescheiden vom 05.07.2006, der Klägerin jeweils zugestellt am 02.08., wies die Beklagte die Widersprüche als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, bereits aus § 121 Abs. 3 SGB V folge eine Unterscheidung zwischen belegärztlichen Notfällen und solchen Notfällen im Sinne des § 75 Abs. 1 SGB V. Den Klägern gehe es um die Versorgung der Belegpatienten, nicht der Bevölkerung. Die Genehmigung werde nur für die Versorgung der Belegpatienten am DRK-Krankenhaus A-Stadt begehrt. Damit fehle es bereits am Erfordernis eines gebietsärztlichen Bereitschaftsdienstes. Der Belegarztvertrag betreffe ausschließlich die Versorgung der Belegpatienten. Eine regionale Bedarfssituation für die ambulante anästhesiologische Notfallversorgung sei, anders als im chirurgischen Bereich, im Gebiet A-Stadt nicht gegeben. Die chirurgische Notfallversorgung mache nicht zwingend die Hinzuziehung eines Anästhesisten erforderlich. Sonderbedarfszulassungen für Belegärzte prüfe der Zulassungsausschuss. Zwar habe die Notdienstgemeinschaft A-Stadt im Jahr 2002 eine anästhesiologische Rufbereitschaft für notwendig erachtet und auch ihr Obmann die Einrichtung befürwortet, doch stellten die erwähnten Fälle keine ambulanten Notfälle dar. Aus diesem Grund könne der Einschätzung nicht gefolgt werden.
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8
Hiergegen haben die Kläger am 01.09.2006 die Klage erhoben. Sie tragen ergänzend zu ihrem bisherigen Vorbringen vor, ambulante Notfalloperationen könnten nur dann durchgeführt werden, wenn die erforderlichen anästhesiologischen Leistungen ebf. notfallmäßig vorgehalten werden würden. Die positive Stellungnahme des Obmanns der Notdienstgemeinschaft A-Stadt sei völlig übergangen worden. Sie erbrächten die Notfallanästhesien sowohl im Krankenhaus als auch in den Praxen der Kollegen. Dies übersehe die Beklagte, weshalb ein Ermessensfehler vorliege. Die Beklagte vergüte diese Leistungen auch als „normale“ ambulante Leistungen. Die gebietsärztliche Rufbereitschaft Chirurgie dokumentiere, dass auch die Beklagte von einem Bedarf ausgehe. Es sei ein Anspruch des Vertragsarztes zur Teilnahme an der Rufbereitschaft anerkannt. Ohne die gebietsärztliche Rufbereitschaft Anästhesie könne ihr Anspruch nicht erfüllt werden. Sie hätten jeder 180 Rufbereitschaften im Jahr zu erbringen. Auch hieraus folge, dass die Rufbereitschaft Anästhesie anzuerkennen sei. Die Beklagte lasse bei der Ermessensausübung ihr eigenes Verwaltungshandeln gegenüber den Klägern außer Betracht. Sämtliche ihrer Leistungen einschließlich der notfallmäßigen Anästhesieleistungen werte sie als „normale“, zu den regelmäßigen Sprechstundenzeiten erbrachte Leistungen ab. Nunmehr ordne sie diese Leistungen dem stationären Bereich zu. Widersprüchlich hierzu sei, diese Leistungen mit der Indikatorziffer 98997 zu kennzeichnen, damit die Leistungen als „stationäre Mitbehandlung des Anästhesisten nach ambulanten Grundsätzen“ bewertet und vergütet werden könnten. Vor diesem Hintergrund müsse die Beklagte einen Bedarf anerkennen. Die Ablehnung der Beklagten verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG. Während der Chirurg für seine Leistungen mit einem festen Punktwert von 4,6 Cent vergütet werde, könnten sie ihren Behandlungsfall für die notfallmäßigen Anästhesieleistungen nur im Regelleistungsvolumen abrechnen. Unverständlich sei, weshalb die Leistungen im Rahmen des Bereitschaftsdienstes für Belegpatienten im DRK-Krankenhaus nicht als stationäre bzw. belegärztliche Leistungen vergütet werden. Dadurch würden ihre Leistungen niedriger vergütet werden.
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9
Der Kläger zu 1) beantragt,
den Bescheid vom 06.02.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.07.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn über seinen Antrag vom 30.12.2004 auf Anerkennung einer gebietsärztlichen Rufbereitschaft Anästhesie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
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10
Der Kläger zu 2) beantragt,
den Bescheid vom 06.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.07.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn über seinen Antrag vom 30.12.2004 auf Anerkennung einer gebietsärztlichen Rufbereitschaft Anästhesie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
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11
Die Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen.
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12
Sie verweist auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, im Rahmen ihres Gestaltungsspielraumes sei sie zu dem Ergebnis gelangt, dass eine regionale Bedarfssituation nicht gegeben sei. Die belegärztliche Versorgung betreffe allein den stationären Versorgungsbereich. Die überwiegende Mehrzahl der ambulanten chirurgischen Notfälle sei ohne Hinzuziehung eines Anästhesisten behandelt worden. Bei den übrigen Fällen dürfte entweder die Einbestellung zu den üblichen Sprechstundenzeiten möglich oder die stationäre Einweisung erforderlich sein.
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13
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen. | 1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Kläger haben jeweils zur Hälfte die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beklagten und die Gerichtskosten zu tragen. | 0 |
SG Berlin 81. Kammer | Berlin | 0 | 1 | 09.11.2015 | 1 | Randnummer
1
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Vergütung für drei stationäre Krankenhausaufenthalte einer Versicherten in den Jahren 2008 und 2009 in Höhe von insgesamt 5.165,50 EUR nebst Zinsen.
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2
Die bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Frau Z. (im Folgenden: Versicherte) litt seit Jahren an Multipler Sklerose (EDSS: 8,0) und an einer hierdurch bedingten spastischen Paraparese. Sie wurde vom 9. bis 16. Dezember 2008 (Behandlungsfall 1, Fall Nr. 323846), 12. bis 19. Mai 2009 (Behandlungsfall 2, Fall Nr. 335836) und 29. Oktober bis 11. November 2009 (Behandlungsfall 3, Fall Nr. 348722) in der neurologischen Abteilung der Klägerin stationär behandelt. Grund für die Aufnahme war jeweils eine Verschlechterung der schmerzhaften Paraparese. Die Versicherte wurde im Krankenhaus der Klägerin jeweils drei Mal mit je einem Tag Pause mit einem intrathekal verabreichten Cortisonpräparat (Volon A, 40 mg) behandelt, was sie jeweils gut vertrug.
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3
Die Klägerin stellte der Beklagten für die Behandlungsfälle mit Rechnungen vom 23. Dezember 2008 (Behandlungsfall 1), 25. Mai 2009 (Behandlungsfall 2) und 16. Dezember 2009 (Behandlungsfall 3) Beträge in Höhe von 4.765,32 EUR, 4.314,86 EUR und 4.314,86 EUR in Rechnung. Sie rechnete hierbei jeweils auf der Basis der DRG B60A (Nicht akute Paraplegie/ Tetraplegie, mehr als ein Belegungstag) ab. Zu dieser gelangte sie unter Zugrundelegung folgender Parameter:
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4
Hauptdiagnose
G82.13 (Spastische Paraparese und Paraplegie, chronische komplette Querschnittslähmung)
Nebendiagnosen
G35.31 (Multiple Sklerose [Encephalomyelitis disseminata] mit sekundär-chronischem Verlauf mit Angabe einer akuten Exazerbation oder Progression)
N39.41 (Überlaufinkontinenz)
R27.0 (Ataxie, nicht näher bezeichnet)
Z99.3 Langzeitige Abhängigkeit vom Rollstuhl
Prozedur
8-020.x:L (Therapeutische Injektionen in sonstige Organe und Gewebe)
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5
Die Beklagte beglich die Rechnungsbeträge zunächst in voller Höhe am 8. Januar 2009, 10. Juni 2009 und 14. Januar 2010 und beauftragte in allen drei Fällen den MDK Berlin-Brandenburg e.V. (im Folgenden: MDK) mit einer Abrechnungsprüfung im Hinblick auf die von der Klägerin zu Grunde gelegte Hauptdiagnose. Dies teilten die Beklagte und der MDK der Klägerin am 20. August 2009 (Behandlungsfall 1), 12. Juni 2009 (Behandlungsfall 2) und 12. bzw. 13. Januar 2010 (Behandlungsfall 3) mit.
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6
Der MDK gelangte in seinen Gutachten vom 11. Juni 2010 zu der Einschätzung, die Klägerin hätte für den Behandlungszeitraum 2008 die DRG B68C (Multiple Sklerose und zerebrale Ataxie, ein Belegungstag oder ohne äußerst schwere CC, Alter >15 Jahre) und für die beiden Behandlungszeiträume 2009 die DRG B68D (Multiple Sklerose und zerebrale Ataxie, ein Belegungstag oder ohne äußerst schwere CC, Alter >15 Jahre, ohne komplexe Diagnose) abrechnen müssen. Zu dieser Einschätzung gelangte der MDK, weil er davon ausging, dass die Multiple Sklerose (G35.31) als Hauptdiagnose und die Paraparese (G82.13) als Nebendiagnose zu kodieren gewesen sei. Die Behandlung mit intrathekalem Cortison sei medizinisch sinnvoll und nachvollziehbar zur Therapie der entzündlichen Grunderkrankung, der Multiplen Sklerose. Eine kausale Therapie der Spastiken (z.B. mittels Baclofen, Botox etc.) sei nicht erfolgt.
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7
Die Klägerin widersprach dem Begutachtungsergebnis. Es seien während der drei stationären Aufenthalte jeweils nur die schmerzhaften Spastikzustände behandelt worden. Die Versicherte sei auch von einer Fachärztin für Neurologie explizit zur Durchführung der intrathekalen Cortisonapplikation eingewiesen worden.
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8
Der daraufhin nochmals von der Beklagten konsultierte MDK hielt in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 7. September 2010 an seiner Einschätzung fest. Die Therapie sei in der Befundkonstellation einer Spastik, die ihre Ursache in einer Entzündung des zentralen Nervensystems habe, eine andere als bei einer Spastik anderer Genese. Da Cortison als potentester Entzündungshemmer zu verstehen sei, könne auch in diesem Fall die Beeinflussung der Tonuserhöhung über den Weg der kausalen Auslösung, der entzündlichen Aktivität im zentralen Nervensystem, verstanden werden. Hauptursache der Behandlung sei damit die Verschlechterung der Grunderkrankung, die kausal behandelt worden sei.
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9
Die Beklagte rechnete daraufhin die Gesamtvergütungssumme für alle drei Behandlungsfälle zunächst am 10. Dezember 2010 mit Vergütungsansprüchen der Klägerin aus unstreitigen Behandlungsfällen auf und zahlte an die Klägerin am 14. Dezember 2010 Beträge in Höhe von 2.906,35 EUR, 2.624,44 EUR und 2.652,57 EUR.
Randnummer
10
Am 27. Dezember 2012 hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie die Differenz zwischen dem ursprünglich abgerechneten und den von der Beklagten am 14. Dezember 2010 gezahlten Vergütungsbeträgen in Höhe von insgesamt (1.858,97 EUR + 1.644,24 EUR + 1.662,29 EUR =) 5.165,50 EUR nebst Verzugszinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 11. Dezember 2010 geltend macht.
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11
Sie ist der Ansicht, in der vorgenannten Höhe seien die unstreitigen Vergütungsansprüche der Klägerin nicht durch die von der Beklagten vorgenommene Aufrechnung erloschen. Im Behandlungsfall 1 sei bereits die sechswöchige Ausschlussfrist gemäß § 275 Abs. 1c S. 2 SGB V nicht eingehalten. Die Beklagte sei dadurch mit Einwendungen ausgeschlossen. Soweit das Bundessozialgericht § 275 Abs. 1c S. 2 SGB V auf Fälle sachlich-rechnerischer Abrechnungsprüfungen nicht anwende, finde diese Rechtsprechung im Gesetz keine Stütze (Verweis auf SG Speyer, Urteil vom 28. Juli 2015 – S 19 KR 588/14; SG Mainz, Urteil vom 4. Mai 2015 – S 3 KR 428/14; Knispel, GesR 2015, 200 ff.). In der zwischen den Beteiligten geschlossenen Vereinbarung vom 21./30. April 2009 habe die Klägerin lediglich auf die Erhebung der Einrede der verspäteten Einleitung des Prüfverfahrens verzichtet, nicht aber auf die Einrede der nicht rechtzeitigen Anzeige der Prüfung durch den MDK. Die Klägerin habe überdies die Kodierung in allen drei Fällen korrekt vorgenommen. Die stationäre Aufnahme sei jeweils durch die schmerzhafte Paraparese veranlasst worden und nicht durch einen akuten Schub der bekannten Multiplen Sklerose. Die intrathekale Cortisoninjektion habe allein der Behandlung der schmerzhaften Paraparese gedient, nicht auch der Grunderkrankung, die gesondert systemisch immunsuppressiv behandelt worden sei. Maßgeblich sei auch hinsichtlich der Zuweisung eines Symptoms als Hauptdiagnose, wodurch der stationäre Aufenthalt hauptsächlich verursacht worden sei. Insoweit führe auch die Fortführung der immunsuppressiven Dauermedikation mit Imurek während des stationären Aufenthalts zu keiner anderen Bewertung. Gestützt werde diese Auslegung auch durch das in den Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) 2008 unter 0603d genannte Beispiel der Tetraplegie und Paraplegie, nicht traumatisch.
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12
Die Klägerin beantragt,
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13
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 5.165,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 11. Dezember 2010 zu zahlen.
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14
Die Beklagte beantragt,
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15
die Klage abzuweisen.
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16
Sie ist der Ansicht, hinsichtlich des Behandlungsfalls 1 sei eine Berufung auf die Versäumung der Sechswochenfrist nach § 275 Abs. 1c S. 2 SGB V ungeachtet der bereits am 5. Januar 2009 erfolgten Information über die bevorstehende Überprüfung der Rechnung durch den MDK verwehrt, weil die Beteiligten im April 2009 eine Vereinbarung geschlossen hätten, wonach die Klägerin auf die Geltendmachung der Einrede der verspäteten Einleitung des Prüfverfahrens verzichte. Zudem sei § 275 Abs. 1c S. 2 SGB V nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auf die hier vorliegenden Fälle sachlich-rechnerischer Abrechnungsprüfung nicht anwendbar. Anstelle der von der Klägerin kodierten Paraparese sei die Multiple Sklerose als Hauptdiagnose zu kodieren gewesen. Hierbei habe es sich um die dem Symptom (Paraparese) zu Grunde liegende Krankheit gehandelt, die durch die intrathekalen Cortisoninjektionen kausal behandelt worden sei. Überdies seien während der stationären Aufenthalte auch weitere therapeutische und pflegerische Maßnahmen zur Behandlung der vielfältigen Symptome der Multiplen Sklerose erfolgt.
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17
Die Klägerin hat ein weiteres Gutachten des MDK (Gutachter Dr. Sch.) vom 2. August 2013 übersandt, das dieser nach Auswertung der von der Klägerin zur Verfügung gestellten Patientenakten erstellt hat und wegen dessen Inhalt auf die Gerichtsakten Bezug genommen wird.
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18
In der mündlichen Verhandlung ist für die Klägerin auch die mit dem Behandlungsfall vertraute Oberärztin E. erschienen und für den Beklagten auch Dr. Sch. vom MDK. Wegen der von ihnen jeweils gemachten Angaben wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
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19
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf die Gerichtsakten, die Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die Patientenakten der Klägerin Bezug genommen, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. | 0 |
Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt 3. Senat | Sachsen-Anhalt | 0 | 1 | 17.10.2012 | 1 | Randnummer
1
Der Kläger wurde im Jahr 1993 gegründet und am 25. April 1994 unter der Geschäftsnummer VR X in das Vereinsregister des Amtsgerichts A eingetragen (inzwischen VR Y des Vereinsregisters des Amtsgerichts B). Nach der Gründungssatzung vom 16. Juni 1993 verfolgt der Verein ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke im Sinne des Abschnitts „steuerbegünstigte Zwecke“ der Abgabenordnung (AO) und zwar
-
Hilfestellung zur Selbstbewältigung von Krankheitsfolgen nach offener ärztlicher Diagnosestellung, Betreuung von Suchtkranken, Opfern von Gewalttaten und Menschen in Lebenskrisen, durch Vermittlung künstlerischer oder schöpferischer Betätigung und Anleitung hierzu,
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Förderung von Interessengemeinschaften, die mit ihren Zielsetzungen den Zweck des Vereins entsprechen, so z.B. Betreuung Erkrankter an Krebs, Multipler Sklerose, Parkinson´scher Krankheit, Stoffwechselstörungen, Nervenleiden, Asthma und anderen chronischen Leiden, Opfern von Gewalttaten sowie der Angehörigen solcher Personenkreise,
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Unterstützung zur Nutzung des Projekts „D“ in C, das in verschiedenen Funktionen eine praktische Betätigung von Angehörigen der vorbezeichneten Personenkreise durch Malerei, plastisches Gestalten und Erholung in seinen Freiräumen Innen- und Außenbereich anbietet und öffentlichkeitswirksam Isolation und soziale Folgen einer Behinderung aufheben soll, Gemeinsamkeit zwischen unmittelbar Betroffenen und Nichtbetroffenen fördert, Problemlösungen anbietet, Mut, Hoffnung und Rückhalt vermittelt, Individualität und aktive Verhaltensweise fördert, um Selbstheilungsprozesse in Behandlungsschemen einbringen zu können,
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Herstellung und Förderung zwischenmenschlicher Beziehungen zur Stärkung menschlicher Würde und von Verständnis im sozialen Umfeld,
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Initiierung von Kulturprojekten, Unterstützung und Zusammenarbeit mit solchen, die unmittelbar und ausschließlich die Zwecke des Vereins verfolgen und eine humanistische Gesellschaftsorientierung gewährleisten,
und zwar jeweils im Bereich des Bundeslandes Sachsen-Anhalt.
Randnummer
2
Weiter war in der Satzung vorgesehen, dass der Verein selbstlos tätig sei und nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke verfolge. Es dürften keine Personen durch Ausgaben, die dem Vereinszweck fremd seien, oder durch unverhältnismäßige hohe Vergütungen begünstigt werden. Vereinsmittel aus Beiträgen, etwaigen Spenden, Fördermitteln oder sonstigen Einnahmen dürften nur für satzungsgemäße Zwecke verwendet werden. Vereinsmitglieder sollten hieraus allenfalls angemessene Entschädigungen ihrer „Aufwände“ erhalten. Der Verein sollte nur durch Beschluss einer Mehrheit von 80 v.H. seiner zu der maßgeblichen Versammlung erschienen Mitglieder aufgelöst werden können. Ein vorhandenes Vereinsvermögen sollte in einem solchen Falle an eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder eine andere steuerbegünstigte Körperschaft zur ausschließlichen Verwendung für Förderung von Wissenschaft und Forschung auf medizinischem Gebiet oder zur Unterstützung schwerstbehinderter Menschen „auszufolgen“ sein. Gleiches sollte bei etwaigem Wegfall des steuerbegünstigten Vereinszwecks gelten. Beschlüsse über eine künftige Verwendung von Vereinsvermögen sollten nur nach Einwilligung des zuständigen Finanzamtes ausgeführt werden dürfen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die in den vom Beklagten vorgelegten Akten befindliche Kopie der Gründungssatzung Bezug genommen.
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3
Gründungsmitglied war u.a. K, die seit der Gründung (bis heute) auch Vorstandsvorsitzende des Klägers ist.
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In der Mitgliederversammlung vom 25. August 1993 wurde eine Änderung der Satzung dahingehend beschlossen, dass anstelle der Formulierung „und zwar jeweils im Bereich des Bundeslandes Sachsen-Anhalt“ nunmehr der Text gelten solle „und zwar für den gesamten Länderbereich der Bundesrepublik Deutschland Projekte wie Symposien, Sommerakademien u.a., die den Satzungszweck fördern, können auch im Rahmen der EG initiiert werden“.
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Mit Beschluss der Mitgliederversammlung vom 26. Dezember 2006 wurde der Katalog der verfolgten gemeinnützigen Zwecke ergänzt um
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6
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die Förderung von Kunst und Kultur,
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die Unterstützung hilfsbedürftiger Personen,
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die Förderung des Umwelt-, Landschafts- und Denkmalschutzes sowie
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die Traditions- und Brauchtumspflege.
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Der Kläger übt seine Tätigkeit auf einem Gelände aus, das die Vorstandsvorsitzende K dem Kläger aufgrund eines „Pachtvertrages“ aus dem Jahr 1994 unentgeltlich zur Nutzung überlassen hat. Nach der in den Akten des Beklagten befindlichen Kopie der Vertragsurkunde wurden in der Gemarkung C vier im Einzelnen bezeichnete und in einem Lageplan markierte Flurstücke verpachtet. Die Verpachtung sollte zum Zweck der Schaffung eines Bildungs- und Begegnungszentrums mit Wandelbereichen für die Öffentlichkeit erfolgen. Die Überlassung sollte „kostenlos“ sein. Die Pachtdauer sollte zunächst 20 Jahre betragen und sich um jeweils fünf Jahre verlängern, sofern der Vertrag nicht bis zum 30. Juni auf den Schluss des jeweiligen Kalenderjahres gekündigt wird. Der Verpächterin sollte das Wegerecht verbleiben.
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Eine Zusammenfassung der Aktivitäten bzw. der Projekte des Vereins seit Ende 1993 ist einer in den Akten des Beklagten befindlichen Aufstellung zu entnehmen (Bl. 47 ff der Bp-Arbeitsakte): z.B. Kunst als Lebenshilfe, Integration durch Reitsport, Frauen im Sozialdienst, Rekultivierung Grüner Bereich, Schaffung einer Museumsmühle, Schaffung eines Freilichtmuseums, Musik- und Theaterwerkstatt, Behindertenprojekt, Förderung der Kreativität von Behinderten, Öko-Freizeit, etc.
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Die von dem Kläger genutzte Grundstücksfläche gehört zu einem Areal, das als „... C“ bezeichnet wird. Hierbei handelt es sich um ein ehemaliges Rittergut, das Anfang des 20. Jahrhunderts in das Eigentum der Familie Z gelangte. Auf dem Gelände betrieb K, die Vorstandsvorsitzende des Klägers, in den Streitjahren ein Einzelunternehmen, das folgende Gegenstände umfasst: Betrieb eines Hotels, eines Heuhotels und eines Restaurants sowie eines Reiterhofs mit Pferdepension, Veranstaltung von Seminaren, Meetings, etc. Hierbei trat sie unter den Namen „Kunsthof ...“ bzw. „Seminarzentrum K. K“ auf. Inzwischen – d.h. nach den Streitjahren – wird das Unternehmen durch eine „... C GbR“ fortgeführt (vgl. auch den aktuellen Internetauftritt unter www....-C.com).
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10
Da der Kläger für die Streitjahre 1999 bis 2001 die vom Beklagten angeforderten Unterlagen zur Überprüfung der tatsächlichen Geschäftsführung der Jahre 1999 bis 2001 – u.a. die Umsatzsteuererklärungen – nicht abgegeben hatte (vgl. Schreiben des Beklagten an den Prozessbevollmächtigten vom 02. August 2002 und vom 05. November 2002), schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen und erließ hierauf basierend Umsatzsteuerbescheide für 1999, 2000 und 2001, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung standen.
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Mit Bescheid vom 04. November 2002 setzte der Beklagte die Umsatzsteuer 1999 auf 7.515,99 € (14.700,00 DM) fest. Er schätzte die Umsätze zu 16 v.H. auf 100.000,00 DM, die Umsätze zu 7 v.H. auf 10.000,00 DM und die abzugsfähigen Vorsteuern auf 2.000,00 DM.
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Die Umsatzsteuer 2000 setzte der Beklagte mit Bescheid vom 17. April 2003 auf 10.788,26 € (21.100,00 DM) fest; er legte dabei Umsätze zu 16 v.H. von 140.000,00 DM, Umsätze zu 7 v.H. von 10.000,00 DM und abzugsfähige Vorsteuern von 2.000,00 DM zugrunde.
Randnummer
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Für 2001 ging der Beklagte von Umsätzen zu 16 v.H. von 150.000,00 DM, Umsätzen zu 7 v.H. von 10.000,00 DM und abzugsfähigen Vorsteuern von 2.000,00 DM aus und setzte die Umsatzsteuer auf 11.603,33 € (22.700,00 DM) fest.
Randnummer
14
Am 18. Dezember 2003 gingen beim Beklagten die Umsatzsteuerjahreserklärungen 1999, 2000 und 2001, Tätigkeitsberichte und die Jahresabschlüsse auf den 31. Dezember 1999, 31. Dezember 2000 und 31. Dezember 2001 ein. Der Kläger erklärte folgenden Umsätze bzw. Vorsteuern:
Randnummer
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Umsätze 16 v.H.
DM
Umsätze 7 v.H.
DM
Vorsteuern
DM
Umsatzsteuer
DM / €
1999
39.580,00
9.350,00
7.609,29
– 622,00 / – 318,02
2000
39.455,00
40.411,00
6.257,66
2.883,90 / 1.474,05
2001
74.888,00
23571,00
6.790,40
6.841,60 / 3.497,75
Randnummer
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Den Bilanzen ist u.a. eine Position „Maschinen“ zu entnehmen. Aus den Anlageverzeichnissen zu den Jahresabschlüssen zum 31. Dezember 1999 und 31. Dezember 2000 ergibt sich, dass es sich dahinter zwei Unterpositionen verbergen, die beide mit „Diverse Maschinen“ bezeichnet sind. Es handelt sich dabei zum Einen um einen Zugang am 31. Dezember 1996 mit einer Bemessungsgrundlage für Absetzungen für Abnutzung (AfA) von 3.075,00 DM (Jahres-Afa 615,00 DM) und zum Anderen um einen Zugang am 06. Oktober 1997 mit einer AfA-Bemessungsgrundlage von 4.700,00 DM (Jahres-AfA 940,00) DM. Nach den während der Betriebsprüfung gegeben Erläuterungen (Bl. 588 ff der Bp-Arbeitsakte, Bd. II) gliedert sich der Zugang von 3.075,00 DM auf auf die Anschaffung eines Traktors des Typs ZT 300 (erworben von der Agrargenossenschaft „...“ eG zum Kaufpreis von 500,00 DM zuzüglich 75,00 DM Umsatzsteuer) sowie auf die Anschaffung eines Anhängers des Typs HW 60 (erworben von der ... GmbH & Co. KG zum Bruttokaufpreis von 2.500,00 DM). Nicht ausgewiesen ist eine Abrichte im Zeitwert von 995,00 DM, die der Kläger als Sachspende von der Tischlerei W im Jahr 1996 erhalten hatte (vgl. Bestätigung Bl. 601 der Bp-Arbeitsakte). Bei dem Zugang im Jahr 1997 handelt es sich nach den Erläuterungen des Klägers um von der ... Treuhand Liegenschaftsgesellschaft mbH zum Bruttokaufpreis von 4.700,00 DM erworbene „diverse Maschinen“ (Rechnungskopie Bl. 602 der Bp-Arbeitsakte, Bd. II).
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17
In der Gewinn- und Verlustrechnung sind die Erlöse aus Kursen zum ermäßigten Steuersatz im Wirtschaftsjahr 1999 mit 9.350,85 DM, im Jahr 2000 mit 40.411,87 DM und im Jahr 2001 mit 23.571,01 DM angegeben; diese Zahlen entsprechen den o.g. Angaben in den Umsatzsteuererklärungen. In der als Anlage zur der Umsatzsteuererklärung beigefügten Aufstellung für das Jahr 1999 ist unter dem Datum 30. Januar 1999 eine Position „Traktormiete mit Hänger“ mit einem Nettobetrag von 3.540,00 DM ausgewiesen. Hierzu gehört eine Rechnung an den ...-MARKT vom 18. Januar 1999 (Bl. 603 der Bp-Arbeitsakte, Bd. II). Unter dem Datum 23. Februar 1999 findet man eine Position „Miete Abrichte“ mit einem Nettobetrag von 4.500,00 DM (Rechnung hierzu siehe Bl. 604 der Bp-Abeitsakte, Bd. II). Mit Datum 31. Dezember 1999 ist eine Position „Miete Maschinen“ mit netto 8.336,55 DM ausgewiesen. Der dazugehörigen Rechnung (Bl. 605 der Bp-Arbeitsakte ist zu entnehmen, dass sich dahinter Mieten für einen Traktor mit Hänger und Miete für eine Abrichte verbergen. In der zum Jahr 2001 zugehörigen Aufgliederung der Erlöse (Bl. 19 ff der Umsatzsteuerakte) sind 3 Positionen „Lohngestellung“ mit einem Gesamtumsatz von 47.232,47 DM zu entnehmen. Wegen der weiteren Untergliederung dieser Umsätze wie auch der weiteren Umsätze wird auf die Unterlagen Bl. 30 ff der Bp-Arbeitsakte bzw. Bl. 13 ff der Umsatzsteuerakte verwiesen.
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18
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die in den Akten des Beklagten befindlichen Jahresabschlüsse verwiesen.
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19
Unter dem Datum 13. Mai 2004 erließ der Beklagte für 1999, 2000 und 2001 nach § 164 Abs. 2 AO geänderte Umsatzsteuerbescheide, in denen er die Umsatzsteuer jeweils erklärungsgemäß festsetzte; der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen.
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20
Am 18. Oktober 2004 begann der Beklagte beim Kläger mit einer Betriebsprüfung für die Streitjahre, die bis zum 03. April 2007 andauerte (Prüfungsanordnung vom 02. August 2004; Prüfungsbericht vom 04. April 2007).
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21
Die Prüferin stellte fest, dass durch geförderte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Modelle für künstlerische und therapeutische Kurse oder Seminare und die dafür notwendigen Betriebsvorrichtungen geschaffen worden seien. Zum Einen habe der Verein seine Zwecke durch die Beschäftigung von betroffenen Personen verwirklicht. Zum Anderen habe er aber auch Seminare, Werkstattarbeit, Aktionen, freie Veranstaltungen wie Konzerte, Lesungen, Modellarbeit für Selbsthilfegruppen und andere Besuchergruppen wie Schüler, Pädagogen, Senioren, Familien und Urlauber angeboten. Diese Leistungen seien gegen Entgelt erbracht worden. Für einen fremden Dritten sei leicht und einwandfrei erkennbar, dass der Kläger die Leistungen gegenüber dem jeweiligen Leistungsempfänger anbiete. Nachweislich habe der Kläger diese Leistungen auch erbracht (durch Mitglieder oder Angestellte). Die Leistungen bzw. die Umsätze seien somit dem Kläger zuzurechnen. Die Umsätze habe der Kläger zum Zeitpunkt der Ausführung der Leistungen im Rahmen seines steuerbegünstigten Zweckbetriebes erzielt. In Rechnung gestellt und vereinnahmt habe diese Erlöse jedoch die Vereinsvorsitzende für ihr bestehendes Einzelunternehmen. Eine Weiterleitung der Gelder an den Verein oder ein Vermögensausgleich in irgendeiner Weise, sei nicht erfolgt. Damit sei eine Verwendung der Mittel für satzungsmäßige Zwecke nicht erfolgt. Diese Mittelfehlverwendung führe wegen des Verstoßes gegen die Selbstlosigkeit zur Versagung der Steuerbegünstigung und damit zum Verlust der Steuerbefreiungen. Die Mittelfehlverwendung müsse dem Verein steuerlich zugerechnet werden, weil der Verein durch seine Organe die Fehlverwendung hätte erkennen und vermeiden können. Das Einkommen sei für die Veranlagungszeiträume nach den allgemeinen Grundsätzen zu ermitteln und nach § 8 Abs. 3 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) um den Wert der verdeckten Gewinnausschüttungen zu erhöhen.
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Die Prüferin sah verdeckte Gewinnausschüttungen in der unterbliebenen Erlöserfassung der Umsätze aus der Durchführung von Seminaren, Kreativkursen, Projekttagen, Verkauf und Verleih von angefertigten Kostümen, Betreuung von Modenschauen und Messen. Sie ermittelte nach ihrer Darstellung die Höhe der vereinnahmten Umsätze anhand der vom Einzelunternehmen abgerechneten Leistungen und kam so zu verdeckten Gewinnausschüttungen im Jahr 1999 in Höhe von 40.000,00 DM, im Jahr 2000 in Höhe von 90.000,00 DM und im Jahr 2001 in Höhe von 45.000,00 DM (vgl. Tz. 22 des Prüfungsberichts).
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23
Die Prüferin stellte weiterhin fest, dass sich im Anlagevermögen des Klägers ein Traktor mit Anhänger befand. Dieser sei im Prüfungszeitraum von dem Kläger entgeltlich an andere Unternehmen überlassen worden. Die Einnahmen daraus seien im steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb des Klägers erklärt worden. Im Jahr 2001 habe die Vereinsvorsitzende im Rahmen ihres Einzelunternehmens einen Traktor mit Hänger und eine Abrichte (Abrichthobelmaschine) an ein anderes Unternehmen (... GbR) vermietet, obwohl sich nachweislich kein Traktor mit Hänger und keine Abrichte im Betriebsvermögen des Einzelunternehmens befunden hätten. Die Prüferin sah insoweit den Nachweis als erbracht, dass die Vereinsvorsitzende den Traktor und die Abrichte des Klägers entgeltlich vermietet und die Erlöse daraus vereinnahmt habe. Die so bei dem Kläger verhinderte Vermögensmehrung sei durch das Mitgliedschaftsverhältnis veranlasst und führe zu einer verdeckten Gewinnausschüttung. Der Wert der verdeckten Gewinnausschüttung sei nach den von dem Einzelunternehmen in Rechnung gestellten Beträgen zu bemessen. Die Prüferin nahm Nettomieterlöse in Höhe von 7.490,00 DM an (6 Einzelrechnungen, vgl. Aufstellung im Schreiben des Beklagten vom 17. Januar 2007, Bl. 579 ff der Bp-Arbeitsakte, Bd. II; Rechnungsbeispiel Bl. 566 der Bp-Arbeitsakte, Bd. II) und setzte hiervon ausgehend im Jahr 2001 eine verdeckte Gewinnausschüttung in Höhe von (brutto) 8.688,40 DM an (vgl. Tz. 21 des Prüfungsberichts). Während der Betriebsprüfung hatte der Kläger eine Rechnung vom 31. Dezember 2003 vorgelegt (Bl. 606 der Bp-Arbeitsakte, Bd. II), die an die C GbR gerichtet ist, und in der für die Jahre 1998 bis 2003 für die „Gelegenheitsnutzungen“ diverser Wirtschaftsgüter und Räumlichkeiten „unter Berücksichtigung der uns gewährten zinslosen Darlehen und des gelegentlich überlassenen Kleintraktors, Mähwerks, Heuers und Schwaders“ ein Gesamtbetrag von 6.500,00 € zuzüglich 1.040,00 € (16 v.H.) Umsatzsteuer in Rechnung gestellt wurde. Bei den überlassenen Wirtschaftgütern bzw. Räumlichkeiten handelt es sich u.a. um „ZT-300“, „Anhänger“, „Abrichte“. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die in den Akten des Beklagten befindliche Rechnungskopie verwiesen.
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24
Schließlich stellte die Prüferin fest, dass der Kläger im Zeitraum vom 01. September 1996 bis zum 31. August 1997 mit der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme „Frauen schaffen Familienfreizeitplätze“ mit 25 Langzeitarbeitslosen auf dem Vereinsgelände Streichelgehege, Spielanlagen, Spielberg, Aufenthaltsbereiche, Freilichtbühne, Tag- und Freizeitanlagen, Wege etc. geschaffen habe (vgl. hierzu Unterlagen des Nachfolgeprojekts ... 2121/97 in Bp-Arbeitsakte, Bd. III). Dieser Sachverhalt sei auch auf Grund der mit den Steuererklärungen eingereichten Rechenschaftsberichte für 1997 und 1998 unstreitig. In diesen Rechenschaftsberichten habe der Kläger dargelegt, dass er als Angebotserweiterung bzw. neues Projekt sich die Erweiterung der Anlage Streichelzoo und der Tieroffenstelle als neues Ziel setze. Im nachfolgenden Zeitraum sei im Einzelunternehmen eine solche Anlage errichtet worden, die im Veranlagungszeitraum 2000 fertig gestellt worden sei. Aktiviert habe man lediglich die angefallenen Materialkosten als Herstellungskosten, nicht aber Lohnkosten der im Einzelunternehmen angestellten Arbeitnehmer oder Gemeinkosten des Einzelunternehmens. Die Prüferin bezog sich hierbei auf die Entwicklung des Anlagevermögens des Einzelunternehmens vom 01. Januar 2000 bis 31. Dezember 2000. Dort war unter dem Konto 100202 ein Zugang zum 27. Oktober 2000 mit der Bezeichnung „Freizeit Offenstall, Streichelzoo“ mit einem Betrag von 10.762,72 DM verzeichnet (vgl. Bl. 538 der Bp-Arbeitsakte). Hierzu gibt es eine Rechnung des ...-MARKT Holz/Baustoffe vom 20. Oktober 2000 an „K Kunsthof ... C“, in der die Lieferung diverser Baumaterialien in Rechnung gestellt wird. Die Prüferin vertrat die Auffassung, dass mit der Arbeitskraft des Klägers dieser Offenstall bzw. das Gehege errichtet worden sei. Der auf den Materialeinsatz entfallende Fertiglohneinsatz werde nach Richtsätzen auf Netto 15.000,00 DM geschätzt. Hiervon ausgehend setzte die Prüferin für das Jahr 2000 eine verdeckte Gewinnausschüttung in Höhe von 17.400,00 DM an (Tz. 24 des Prüfungsberichts).
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25
Insgesamt ging die Prüferin von folgenden verdeckten Gewinnausschüttungen aus: 1999 40.000,00 DM, 2000 107.400,00 DM und 2001 53.688,40 DM.
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26
Hinsichtlich der Umsatzsteuer zog die Prüferin aus den festgestellten verdeckten Gewinnausschüttungen die Konsequenz, dass die Ermäßigung des Steuersatzes nach § 12 Nr. 8 Buchstabe a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) nicht zur Anwendung kommt, d.h. alle Umsätze den Regelsteuersatz zu unterwerfen sind (Tz. 34, 35 des Prüfungsberichts). Die Prüferin rechnete die bisher berücksichtigten Umsätze zu 7 v.H. jeweils auf den Bruttobetrag (inklusive 7 v.H. Umsatzsteuer) hoch, rechnete von diesen Bruttobeträgen die Umsatzsteuer mit 16 v.H. heraus und schlug die sich so ergebenden (Netto-)Beträge den erklärten Umsätzen zu 16 v.H. zu.
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27
In Auswertung der Prüfungsfeststellungen ergingen unter dem Datum 12. Juli 2007 für 1999, 2000 und 2001 geänderte Bescheide über Umsatzsteuer. Der jeweils bisher bestehende Vorbehalt der Nachprüfung wurde aufgehoben.
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28
Der Beklagte setzte die Umsatzsteuer 1999 um 370,68 € erhöht auf nunmehr 52,66 € (103,00 DM) fest. Hierbei legte er Umsätze zu 16 v.H. von 48.205,00 DM, Umsätze zu 7 v.H. von 0,00 DM und abzugsfähige Vorsteuern von 7.609,29 DM zugrunde.
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29
Die Umsatzsteuer 2000 setzte der Beklagte um 1.603,42 € erhöht auf 3.077,47 € (6.019,00 DM) fest, wobei er die Umsätze zu 16 v.H. mit 76.731,00 DM, die Umsätze zu 7 v.H. mit 0,00 DM und die abzugsfähigen Vorsteuern mit 6.357,66 DM ansetzte.
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30
Für das Jahr 2001 erhöhte der Beklagte die Umsatzsteuer um 935,15 € auf 4.432,90 € (8.670,00 DM). Die Umsätze zu 16 v.H. berücksichtigte er mit 96.630,00 DM, die Umsätze zu 7 v.H. mit 0,00 DM und die abzugsfähigen Vorsteuern mit 6.790,40 DM.
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31
Der Kläger legte durch seinen Prozessbevollmächtigten am 10. August 2007 gegen die geänderten Umsatzsteuerbescheide für 1999, 2000 und 2001 vom 12. Juli 2007 Einspruch ein und kündigte an, die Begründung nachreichen zu wollen (Einspruchsschreiben vom 09. August 2007).
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32
Nachdem der Einspruch nicht weiter begründet wurde, wies ihn der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 17. Oktober 2007 als unbegründet zurück.
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33
Nach Absendung der Einspruchsentscheidung gelangte am 18. Oktober 2007 ein Schreiben des Steuerberaters Köhler, der die Klägerin in dem unter dem Aktenzeichen 3 K 1572/07 parallel anhängigen Klageverfahren wegen Körperschaftsteuer vertritt, vom 12. Oktober 2007 (am selben Tag beim Beklagten eingegangen) zur Rechtsbehelfsstelle, in dem er sich gegen den Ansatz der verdeckten Gewinnausschüttungen wendete.
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34
Der Kläger hat am 20. November 2007 durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage erhoben. Er wendet sich mit der Klage dagegen, dass die bisher mit dem ermäßigten Steuersatz versteuerten Umsätze nunmehr dem Regelsteuersatz unterworfen werden, weil der Kläger nicht mehr als gemeinnützig anerkannt werde. Der Kläger verweist auf das Klageverfahren wegen Körperschaftsteuer, dass unter dem Aktenzeichen 3 K 1572/07 geführt wird. Sollte der Verein in diesem Verfahren als gemeinnützig anerkannt werden, seien auch die Umsatzsteuerbescheide zu ändern.
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35
Der Kläger macht im Verfahren wegen Körperschaftsteuer 1999, 2000 und 2001 Ausführungen zur Gründungsgeschichte.
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36
Er trägt weiter vor, er sei zuletzt mit dem Körperschaftsteuerbescheid für 1998 vom 20. März 2001 als gemeinnützig i.S. der §§ 51 ff AO anerkannt worden. In dem Bescheid sei ausgesprochen, dass er nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) von der Körperschaftsteuer befreit sei. Während der Außenprüfung habe die Prüferin die Auffassung vertreten, der Kläger verfolge über die in der Satzung genannten Zwecke hinaus weitere gemeinnützige Zwecke, weshalb das Ausschließlichkeitsgebot des § 56 AO verletzt sei. Der Kläger verweist auf ein „Exposé“ die Prüferin vom 05. Juli 2005 (Bl. 529 ff der Bp-Arbeitsakte, Bd II.). Einen Hinweis, dass es zulässig sei, die Satzung hinsichtlich der nicht aufgeführten Zwecke „steuerunschädlich“ zu ergänzen, enthalte das Exposé nicht. Hierauf habe erst am 17. März 2006 ein Mitarbeiter des Beklagten (Herr H) anlässlich einer Ortsbesichtigung hingewiesen. Aus Vertrauensschutzgründen dürften keine nachteiligen Folgen für die Vergangenheit gezogen werden, wenn sich bei einer späteren Prüfung herausstellen sollte, dass die vorläufige Anerkennung der Steuervergünstigung zu Unrecht erfolgt sei (BMF-Schreiben vom 17. Dezember 2002, BStBl I 2004, 1059). Im Hinblick auf die am 26. Dezember 2006 beschlossene Satzungsänderung sei für die Streitjahre 1999 bis 2001 davon auszugehen, dass die satzungsmäßigen Voraussetzungen für die Steuervergünstigung und damit die formelle Satzungsmäßigkeit i.S. des § 60 AO gegeben sei.
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Der Kläger führt aus, dass eine verdeckte Gewinnausschüttung zwar auch bei einem Verein möglich sei. Voraussetzung sei jedoch, dass bei dem Kläger eine Vermögensminderung bzw. eine verhinderte Vermögensmehrung auch tatsächlich eingetreten sei und diese bei der Vereinsvorsitzenden zu einem bezifferbaren Vorteil geführt hätte. Dies sei jedoch nicht der Fall.
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38
Nach den Feststellungen der Prüferin soll es zu einem Vorteil beim Einzelunternehmen der Vereinsvorsitzenden gekommen sein. Die verdeckte Gewinnausschüttung soll sich in einem Dreiecksverhältnis vollzogen haben: 1. Zweckbetrieb des Vereins, 2. Hotel- und Gaststättenbetrieb, 3. K als Vereinsvorsitzende und Einzelunternehmerin. Im Streitfall habe der Beklagte die Rechtsfolgen der angenommenen verdeckten Gewinnausschüttung nur beim Verein gezogen, nicht aber bei der Vereinsvorsitzenden als der vermeintlichen Vorteilsempfängerin eintreten lassen. Für die Jahre 1999 und 2000 sei die zwingend vorzunehmende Herstellung der Ausschüttungsbelastung unterblieben. Dies sei ein Indiz dafür, dass der Beklagte die Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen der verdeckten Gewinnausschüttung nicht zu Ende gedacht habe.
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39
In den Streitjahren habe der Kläger wirtschaftliche Geschäftsbetriebe unterhalten, die als steuerunschädliche Zweckbetriebe i.S. des § 68 Nr. 3 und Nr. 7 AO anzusehen seien. Nach Ansicht der Betriebsprüfung hätte der Kläger wesentlich höhere Einnahmen bzw. Gewinn erzielen können und müssen, weshalb das Ergebnis der Zweckbetriebe nach oben zu korrigieren sei (1999 um 40.000,00 DM, 2000 um 90.000,00 DM und 2001 um 45.000,00 DM). Diese Zuschätzungen würden jeder realen Grundlage entbehren; sie seien Ausdruck des fiskalisch gewollten Prüfungsergebnisses.
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40
Im Prüfungsbericht werde zwar behauptet, die nicht vom Verein vereinnahmten Umsätze seien anhand der vom Einzelunternehmen abgerechneten Leistungen ermittelt worden, doch lasse sich eine solche Ermittlung weder aus dem Prüfungsbericht noch sonst aus den Unterlagen entnehmen. Der Aufforderung dazulegen, worin die verhinderten Vermögensmehrungen konkret bestehen, wem sie zugute gekommen seien und wie sie im Einzelnen ermittelt worden seien, sei der Beklagte, der die objektive Beweislast für das Vorliegen einer verdeckten Gewinnausschüttung trage, nicht nachgekommen, auch nicht im Rahmen einer Schlussbesprechung, deren Durchführung dem Kläger verweigert worden sei.
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41
Die angesetzten Beträge von 40.000,00 DM, 90.000,00 DM und 45.000,00 DM, seien sie ermittelt oder geschätzt, stünden im Widerspruch zu den Aufzeichnungen im Einzelunternehmen der Vereinsvorsitzenden. Die dort angesetzten Erlöse aus Seminarveranstaltungen würden im Jahr 1999 21.585,60 DM, im Jahr 2000 23.667,55 DM und im Jahr 2001 14.915,26 DM betragen. Bei dem Kläger könnten nicht mehr Erlöse unerfasst geblieben sein als das Einzelunternehmen tatsächlich gehabt habe. Die Schätzungen seien jedenfalls um die entsprechenden „Überhänge“ zu hoch ausgefallen (1999 18.414,40 DM, 2000 66.332,45 DM und 2001 30.084,74 DM).
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42
Der Beklagte gehe von der irrigen Vorstellung aus, der Kläger habe auf die Seminarveranstaltungen seiner im Hauptberuf als Unternehmerin eines Hotel- und Gaststättenbetriebs tätigen Vereinsvorsitzenden einen Exklusivanspruch mit der Folge, dass für Zwecke der Besteuerung alle Seminargebühren dem Verein und nicht dem Einzelunternehmen zuzurechnen seien. Dies sei jedoch nicht so. Das Steuerrecht kenne keinen Rechtssatz, wonach der Steuerpflichtige, der ehrenhalber einem gemeinnützigen Verein vorsitze, ausschließlich für diesen tätig sein darf bzw. Einkünfte der Vorsitzenden aus anderen Einkunftsquellen steuerlich stets dem Verein zuzurechnen seien. Es sei folglich nicht zu beanstanden, dass die Vereinsvorsitzende Seminarveranstaltungen mit unterschiedlichen Themenstellungen und wechselnden Zielgruppen sowohl für den Verein wie auch für ihr Einzelunternehmen abgehalten habe. Aus diesen Veranstaltungen, die ausschließlich von K als Vortragende (unentgeltlich) geleitet und gestaltet worden seien, hätten sowohl der Verein wie auch das Einzelunternehmen Einnahmen erzielt.
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43
Dass die Ansicht der Betriebsprüfung an den tatsächlichen Verhältnissen vorbeigehe, zeige auch der Umstand, dass bei Annahme von verdeckten Gewinnausschüttungen der operative Gewinn des Einzelunternehmens in den Jahren 1999 und 2000 in einen Verlust umschlage und im Jahr 2001 zu mehr als 60 v.H. aus der verdeckten Gewinnausschüttung stamme.
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44
Auch habe der Beklagte – von seiner Rechtsauffassung ausgehend – den Gewinn des Jahres 2001 unzutreffend ermittelt. Es sei nicht nur die verdeckte Gewinnausschüttung hinzuzurechnen, sondern auch die auf die verdeckte Gewinnausschüttung entfallende Körperschaftsteuer. Im Streitfall erhöhe sich durch die Hinzurechnung der auf die verdeckte Gewinnausschüttung entfallende Steuer das aufgrund der Betriebsprüfung festgestellte Einkommen um 17.896,13 DM (53.688,40 DM x 25/75 bzw. x 33 1/3 v.H.). Hiervon ausgehend weise der Prüfungsbericht das zu versteuernde Einkommen um diesen Betrag zu niedrig aus.
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45
Der Kläger wendet sich gegen den Ansatz der verdeckten Gewinnausschüttung im Zusammenhang mit der Errichtung eines „Offenstalls“ des Einzelunternehmens (17.400,00 DM). Er führt aus, dass die Prüferin in ihrem Bericht aus dem „Offenstall des Einzelunternehmens“ einen „Streichelzoo des Vereins“ und aus den „unternehmerischen Eigenleistungen des Einzelunternehmens“ einen „Fertiglohneinsatz des Vereins“ mache. Die Fertigstellung des „Offenstalls“ durch Arbeitskräfte des Vereins rechtfertige die Prüferin damit, dass „nicht etwa Lohnkosten der im Einzelunternehmen angestellten Arbeitnehmer aktiviert“ worden seien. Diese Feststellung könne keinen Bestand haben. Der „Offenstall“ sei in Eigenleistung errichtet worden.
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Hinsichtlich der verdeckten Gewinnausschüttung aus einer unentgeltlichen Nutzungsüberlassung eines „Traktors“ trägt der Kläger vor, dass sowohl im Vermögen des Klägers wie auch im Betriebsvermögen des Einzelunternehmens der Vorstandsvorsitzenden je ein Traktor und je eine Abrichte zugehörig seien. Die zum Einzelunternehmen gehörende Traktor (mit Hänger) und die Abrichte des Einzelunternehmens seien stundenweise an die ... GbR zur Nutzung überlassen worden. Hierüber habe das Einzelunternehmen abgerechnet (Aufstellung der Einzelrechnungen siehe Bl. 590 der Bp-Arbeitsakte, Bd. II). Auch der Verein habe den in seinem Eigentum stehenden Traktor im Rahmen seines Zweckbetriebes stundenweise vermietet (vgl. Zahlen Bl. 46 d.A.). Die Darstellung der Prüferin, dass die Vereinsvorsitzende den Traktor des Vereins vermietet und die Erlöse vereinnahmt habe, sei unzutreffend. Bereits während der Betriebsprüfung hatte der Kläger Unterlagen (u.a. Rechnungen) vorgelegt, die den Vortrag belegen sollten, dass sowohl der Verein wie auch das Einzelunternehmen je einen Traktor und eine Anrichte in ihrem Anlagevermögen gehabt hätten (Bl. 588 ff der Bp-Arbeitsakte, Bd. II).
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Der Kläger meint, dass sich ihm der Verdacht aufdränge, dass die angenommenen verdeckten Gewinnausschüttungen nur Mittel seien, um die Gemeinnützigkeit versagen zu können. Dies zumal der Beklagte, was die Steuerfestsetzung angeht, seinem gesetzlichen Auftrag nicht nachgekommen sei, die Steuern nach Maßgabe der Gesetze festzusetzen. Denn er habe in den Jahren 1999 und 2000 keine Ausschüttungsbelastung hergestellt, d.h. Steuern in Höhe von insgesamt 63.171,00 DM nicht festgesetzt, und im Jahr 2001 aufgrund eines zu niedrig berechneten zu versteuernden Einkommens von einer Steuerfestsetzung von 4.474,00 DM Abstand genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten zum Vortrag des Klägers im Verfahren wegen Körperschaftsteuer wird auf den Schriftsatz seines dortigen Prozessbevollmächtigten vom 10. März 2008 sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 17. Oktober 2012 Bezug genommen.
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Der Kläger beantragt, die Umsatzsteuerbescheide für 1999, 2000 und 2001 vom 12. Juli 2007 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 17. Oktober 2007 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer jeweils entsprechend der eingereichten Umsatzsteuerjahreserklärung festgesetzt wird.
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50
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte führt aus, dass er im Rahmen der Außenprüfung für die Jahre 1999 bis 2001 festgestellt habe, dass der Kläger gegen den Grundsatz der Selbstlosigkeit Mittel für andere als für satzungsmäßige Zwecke verwendet habe und die tatsächliche Geschäftsführung nicht ausschließlich auf die ausschließliche und unmittelbare Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke gerichtet gewesen sei. Darüber hinaus habe das Finanzamt verdeckte Gewinnausschüttungen betreffend unterlassener Erlöserfassungen für Umsätze aus der Durchführung von Seminaren, Kreativkursen usw. festgestellt. Betreffende Rechnungen seien gestellt worden und die Erlöse seien durch die Vereinsvorsitzende im Rahmen ihres Einzelunternehmens erfasst worden. Eine weitere verdeckte Gewinnausschüttung sei hinsichtlich der unentgeltlichen Nutzungsüberlassung des vereinseigenen Traktors mit Anhänger an die Vereinsvorsitzende festgestellt worden, die ihrerseits die Wirtschaftsgüter entgeltlich weiter vermietet habe. Außerdem sei eine verdeckte Gewinnausschüttung festgestellt worden, soweit der Kläger im Kalenderjahr 2000 nach den Feststellungen des Finanzamts für die Errichtung eines Tieroffenstalls/Streichelgeheges im Einzelunternehmen der Vereinsvorsitzenden Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt habe. Der Vortrag des Klägers im Klageverfahren rechtfertige keine andere Rechtsauffassung des Finanzamts.
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Nach den Feststellungen der Betriebsprüfung habe der Kläger die von ihm angebotene Leistungen (Seminare, Werkstattarbeit, Aktionen, freie Veranstaltungen wie Konzerte, usw.) tatsächlich auch erbracht. Entsprechend der für das Arbeitsamt erstellten Tätigkeitsberichte zur Förderung der Maßnahmen (ABM und SAM) seien in den Streitjahren mindestens 12 Arbeitskräfte mit folgenden Aufgaben betreut worden:
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Betreuung von Vereins- und Besuchergruppen zu Freizeitveranstaltungen, Vereinsfesten, kommunalen Veranstaltungen, Treffen, Gesprächskreisen, Vorträgen, Führungen, Kreativtechniken wie Malen, Basteln, Handarbeiten, Metallgestaltung, Applikationen, Holzgestaltung auch speziell zur Betreuung und Begleitung von Behinderten, Erstellen und Umsätzen eines freizeitpädagogischen Konzeptes, deren Erprobung, Aufarbeitung von Kursen, Gestaltung neuer Kursinhalte. Nachweislich seien Veranstaltungen von ABM-Kräften des Vereins betreut worden. Hierbei handele es sich um ein Kreativwochenende, dass von einer ABM-Kraft betreut worden sei. Auch für die Betreuung von Modenschauen sei laut Erfolgsbericht zu den ABM-Maßnahmen eine separate ABM-Kraft vorgesehen gewesen. Abgerechnet worden sei die Leistung durch das Einzelunternehmen.
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Wie der Kläger in seinem Schriftsatz ausführe, habe er das Gelände, auf dem er seine Tätigkeit ausübe, von der Vereinsvorsitzenden K gepachtet. Der Verpächterin verbleibe nur das Wegerecht. Gleichwohl nutze die Vereinsvorsitzende K im Rahmen ihres Einzelunternehmens „... C“ die Einrichtungen des Vereins. Der Beklagte verweist auf den entsprechenden Internetauftritt und eine Rechnung vom 31. Dezember 2003. Für die Nutzung der Einrichtungen des Vereins sei dem Verein in den Streitjahren kein Entgelt gezahlt worden.
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Für Seminare/Kurse etc., die im Rahmen der Tätigkeitsschwerpunkte des Vereins durchgeführt worden seien, habe das Einzelunternehmen „... C“ unter Angabe seines Kontos die Rechnungen oder bei Barzahlungen Quittungen ausgestellt. Nach dem Vortrag des Klägers soll die Vereinsvorsitzende die betreffenden Kurse und Seminare tatsächlich im Rahmen ihres Einzelunternehmens erbracht haben. Dagegen spreche, dass im Einzelunternehmen angestellte Arbeitnehmer an den ...markt ausgeliehen worden seien. Im Ergebnis sei im Einzelunternehmen im Kalenderjahr 2000 ein Personalaufwand in Höhe von 34.455,43 DM und im Jahr 2001 in Höhe von 63.181,60 DM verblieben. Mit diesem Personalaufwand will das Einzelunternehmen das Gaststätten- und Beherbergungsbetrieb betrieben haben, zusätzlich Seminare und Kurse ausgerichtet und den Anbau im Beherbergungsbetrieb (ausgenommen einzelne Fachgewerke) errichtet haben. Der Umfang der für die Kurse und Seminare erforderlichen Mitarbeiter sei in den Tätigkeitsberichten dargestellt. An einzelnen Tagen seien verschiedene Kurse und Seminare durchgeführt worden. Mit dem im Einzelunternehmen verbliebenen Personalaufwand könne der Umfang der behaupteten Arbeiten nicht durchgeführt worden seien. Die Ermittlung der den Verein zuzurechnenden Einnahmen habe das Finanzamt anhand der Unterlagen im Zusammenhang mit der Prüfung des Einzelunternehmens „... C“ ermittelt.
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Im Anlagevermögen des Klägers befinde sich ein Traktor des Typs ZT 300, der am 21. Mai 1996 für 595,00 DM angeschafft worden sei, und ein Hänger des Typs HW 60, angeschafft am 15. Januar 1996 für 2.500,00 DM. Außerdem habe der Kläger am 18. April 1996 im Rahmen einer Sachspende eine Abrichte für 995,00 DM erhalten und am 06. Oktober 1997 gebrauchte Maschinen für 4.700,00 DM angeschafft. In den im Rahmen der bei dem Einzelunternehmen der Vereinsvorsitzenden durchgeführten Betriebsprüfung vorgelegten Unterlagen hätten sich im Kalenderjahr 2001 Rechnungen über die Vermietung eines Traktors mit Anhänger sowie einer Abrichte befunden. Derartige Wirtschaftsgüter hätten sich jedoch nicht in dem Anlagevermögen des Einzelunternehmens, sondern im Anlagevermögen des Vereins befunden. Im Anlagevermögen des Einzelunternehmens der Vereinsvorsitzenden befanden sich unter anderem ein Aufsitzmäher der Firma ... (sogenannter Rasentraktor, angeschafft am 18. Oktober 1994, Rechnung siehe Bl. 567 der Bp-Arbeitsakte, Bd. II), ein Mäher (gebraucht, angeschafft am 27. September 2000), ein Anhänger (Humbaur HT 2000K, angeschafft am 03. Januar 1994, Rechnung siehe Bl. 568 der Bp-Arbeitsakte, Bd. II) und diverse Maschinen (angeschafft am 30. August 1994 und am 24. Oktober 1994). Unter dem Konto Fahrzeuge seien ein Nissan Terrano (PKW, angeschafft am 30. November 1993), ein Kfz-Anhänger (angeschafft am 07. Januar 1997, Anschaffungskosten 3.652,17 DM netto) und ein Transporter (Mercedes Benz 212d Sprinter, angeschafft am 29. September 1999) ausgewiesen. Nach der vorliegenden Rechnung der Firma H handele es sich bei dem Anhänger Humbaur HT 2000K um den im Anlageverzeichnis enthaltenen Kfz-Anhänger. Bei den vom Einzelunternehmen vermieteten streitbefangenen Wirtschaftsgütern (Traktor, Anhänger, Abrichte) könne es sich daher nur um die im Anlagevermögen des Vereins enthaltenen Wirtschaftsgüter handeln. Die Rechnung vom 31. Dezember 2003 (Blatt 606 der Bp-Arbeitsakte) stelle zumindest klar, dass im Rahmen des Einzelunternehmens Wirtschaftsgüter des Vereins in einem Zeitraum von 1998 bis einschließlich 2003 genutzt worden seien. Diese Rechnung sei trotz in der Sache bereits seit 2005 geführten Schriftverkehrs erstmals im Februar 2007 vorgelegt worden. Für die in der Rechnung im Einzelnen aufgeführten Wirtschaftsgüter sowie der Nutzung von Räumlichkeiten im Zeitraum von 1999 bis 2003 betrage das Nutzungsentgelt insgesamt 6.500,00 €, mithin pro Jahr 1.080,00 €. Es stelle sich grundsätzlich die Frage nach der Angemessenheit des Nutzungsentgeltes. Da der Traktor und der Hänger nur noch einen geringfügigen Abschreibungswert und die Abrichte mangels Anschaffungskosten keinen Abschreibungswert hatten, dürfte von dem geringen Nutzungsentgelt auf diese Wirtschaftsgüter kein Anteil entfallen. Insoweit sei das Finanzamt von einer unentgeltlichen Nutzungsüberlassung ausgegangen. Angesichts des erzielbaren Weitervermietungspreises seien die vom Einzelunternehmen vereinnahmten Beträge als verdeckte Gewinnausschüttungen berücksichtigt worden.
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Hinsichtlich der verdeckten Gewinnausschüttungen in Verbindung mit dem Tieroffenstall im Jahr 2000 stütze das Finanzamt seine Erkenntnisse auf die Tätigkeitsberichte des Vereins für die Kalenderjahre 1998 und 1999. In dem Tätigkeitsbericht für 1998 seien als Zielstellung neuer Projekte die Erweiterung des Streichelzoos und die Erweiterung der Tieroffenstelle aufgeführt gewesen (Blatt 323 der Bp-Arbeitsakte). Für diese Maßnahmen seien Fördergelder für ABM-Maßnahmen bewilligt worden. Es sei unstreitig das es bereits ein Streichelgehege im Verein gebe. Gleichwohl sei auch im Anlagevermögen des Einzelunternehmens ein (weiterer) Offenstall für das Streichelgehege (des Einzelunternehmens) errichtet worden. Dieser Stall befinde sich außerhalb des gepachteten Vereinsgeländes. Im Einzelunternehmen seien nur die Materialkosten aktiviert worden. Streitig sei, wer den Lohnaufwand geleistet habe. Nach den Tätigkeitsberichten 1998 und 1999 dürfte dieser durch den Verein erbracht worden seien. Nunmehr werde vorgetragen, W (Lebensgefährte der Vorstandsvorsitzenden), Z (Vater) und E hätten die Lohnarbeiten unentgeltlich erbracht. Alle diese drei Personen seien zugleich Vereinsmitglieder. Es seien keine Aussagen darüber getroffen worden, wann die Arbeiten ausgeführt worden seien. Hinsichtlich E habe Anschrift ermittelt werden können. Der Vortrag des Klägers sei nicht glaubhaft; er könne die Feststellungen des Finanzamts nicht entkräften. Der Beklagte gehe aufgrund der Tätigkeitsberichte des Vereins nach wie vor davon aus, dass Mitglieder des Vereins die Lohnarbeiten ausgeführt hätten. Die an das Einzelunternehmen erbrachten Lohnleistungen seien als verdeckte Gewinnausschüttungen zu berücksichtigen.
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58
Hinsichtlich der Rüge der unterbliebenen Schlussbesprechung führt der Beklagte aus, dass es mehrere Terminvorschläge für eine Schlussbesprechung gegeben habe, die nicht wahrgenommen worden seien. Seitens des Klägers seien neue Terminabsprachen nicht erfolgt. Für einen Steuerpflichtigen bestehe kein Rechtschutzbedürfnis auf die Durchführung einer Schlussbesprechung mehr, wenn die auf Grund der Betriebsprüfung ergangenen Bescheide bereits Gegenstand eines Einspruchsverfahrens seien. In diesem Falle bestehe für den Steuerpflichtigen ausreichend anderweitige Gelegenheit, seinen Rechtsstandpunkt darzulegen. Der Kläger habe Gelegenheit gehabt, sich zu den Prüfungsfeststellungen, die vor Ergehen der Änderungsbescheide mitgeteilt worden seien, zu äußern und auch im Einspruchsverfahren hierzu Stellung zu nehmen. Allerdings sei im Einspruchsverfahren keine Begründung vorgetragen worden.
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59
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt wird auf den Vortrag der Beteiligten sowie auf den Inhalt der vom Beklagten vorgelegten, den Streitfall betreffenden Akten Bezug genommen, soweit nicht schon bereits im Einzelnen schon hierauf Bezug genommen worden ist. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen. | 0 |
LG Frankfurt 15. Zivilkammer | Hessen | 0 | 0 | 02.10.2020 | 0 | Die Parteien streiten um die Zahlung von Gewerberaummiete für den Monat April 2020.
Die Klägerin vermietet an die Beklagte gemäß dem Mietvertrag vom 26./27.06.2020 sowie dessen Nachträgen vom 03.12.2013 und 11./17.11.2015 Gewerberäume in der A-Straße in B „zur Nutzung als Verkaufs- und Lagerräume eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art sowie aller Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs“. Auf die Vertragsunterlagen in Anlage K 1 (Bl. 7 ff. d.A.) wird Bezug genommen. Die Beklagte betreibt in den Räumlichkeiten ein dem entsprechendes Einzelhandelsgeschäft. Sie betreibt darüber hinaus mehrere Tausend weiterer solcher Märkte in Deutschland und einigen europäischen Ländern.
Die monatliche Miete einschließlich des Betriebskostenvorschusses und der Umsatzsteuer betrug zuletzt 6.170,04 €, fällig bis zum 5. eines Monats.
Im Zuge der Corona-Epidemie verordnete das Land Hessen die Schließung sämtlicher Verkaufsstätten des Einzelhandels, also auch des Geschäfts der Beklagten, in der Zeit vom 18.03. bis zum 20.04.2020.
Die Beklagte verzeichnete unternehmensweit gegenüber dem Durchschnitt der Jahre 2018 und 2019 im März 2020 einen Umsatzrückgang um 54 % und im April 2020 einen solchen von 41 %. Die Schließung der Filialen führte zu einer erheblichen Liquiditätslücke, so dass ihr die Mietzinszahlung im April 2020 nicht möglich war.
Die Beklagte nutzte für sämtliche Filialen in Deutschland Kurzarbeit. Darüber hinausgehende staatliche Unterstützungsleistungen erhielt die Beklagte nicht.
Für den Monat April entrichtete die Beklagte die Miete nicht.
Die Klägerin hat im Urkundsprozess ein dem Klageantrag entsprechendes Anerkenntnisvorbehaltsurteil über die Zahlung von 6.170,04 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.04.2020 erlangt.
Das Anerkenntnisvorbehaltsurteil ist der Beklagten am 25.06.2020 zugestellt worden.
Im Nachverfahren beantragt die Klägerin,
das Vorbehaltsurteil vom 25.06.2020 für vorbehaltlos zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
das Vorbehaltsurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, für die Zeit der Schließung nicht zur Mietzinszahlung verpflichtet zu sein.
Sie erklärt hilfsweise die Aufrechnung mit einer behaupteten Forderung i.H.v. 2.786,46 €. Sie meint, dass ihr in dieser Höhe ein Erstattungsanspruch wegen der von ihr für den Monat März 2020 entrichteten Miete zustehe, da das Mietobjekt - was unstreitig ist – auch im März 2020 aufgrund der staatlich verordneten Schließung an 14 von 31 Tagen nicht geöffnet gewesen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 23.09.2020 (Bl. 97 f. d.A.) Bezug genommen. | Das Anerkenntnisvorbehaltsurteil vom 25.06.2020 wird unter Wegfall des Vorbehalts aufrechterhalten.
Die Beklagte hat auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet. | 0 |
Baden-Württemberg | 0 | 1 | 1 | 1
Streitig ist, ob der Kläger den Mittelpunkt seiner gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung im häuslichen Arbeitszimmer hat und daher die Erhaltungsaufwendungen für ein Arbeitszimmer als Werbungskosten geltend machen kann. Zudem ist streitig, ob die Erhaltungsaufwendungen für eine Toilette beruflich veranlasst sind.
2
Der ledige Kläger erzielt als Betriebsprüfer Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit (§ 19 Einkommensteuergesetz - EStG -). Sein Dienstsitz ist das Finanzamt X, in dem er im Streitzeitraum einen festen Arbeitsplatz hatte. Bis November 2008 verrichtete der Kläger seine Dienstgeschäfte zeitweise im Finanzamt und zeitweise im Außendienst.
3
Der Kläger ist Fachprüfer für geschlossene Immobilienfonds und Sanierungsobjekte.
4
Seit Dezember 2008 hat ihm sein Dienstherr erlaubt, zusätzlich ein häusliches Arbeitszimmer, aufgrund der vom Finanzministerium Baden-Württemberg erlassenen „Rahmenbedingen für die zeitweilige Dienstverrichtung zu Hause für Beschäftigte der Prüfungsdienste“, zu nutzen. Danach gilt Folgendes:
5
„(1) Den Beschäftigten der Prüfungsdienste wird die Möglichkeit der zeitweiligen Dienstverrichtung zu Hause eröffnet. Damit kann - ergänzend zu der Dienstverrichtung im Unternehmen und an der Dienststelle - künftig auch im häuslichen Bereich ein Teil der Arbeitsleistung erbracht werden.
[…]
(3) Die zeitweilige Dienstverrichtung zu Hause erfolgt unter Berücksichtigung der dienstlichen Belange. Zu Hause ist nur die Verrichtung solcher Tätigkeiten zulässig, die nicht die Anwesenheit der Beschäftigten der Prüfungsdienste im zu prüfenden Unternehmen oder an der Dienststelle erfordern.
(4) Die genaue Ausgestaltung der zeitweiligen Dienstverrichtung zu Hause wird zwischen den Beschäftigten der Prüfungsdienste und der Dienststelle unter Beachtung der dienstlichen Erfordernisse festgelegt.“
6
Im Streitjahr 2008 renovierte der Kläger seine Wohnung (4 Zimmer, Küche, Bad, extra Gäste - WC; Grundriss Bl. 20 Rechtsbehelfsakte - RBA -) und richtete sich gleichzeitig ein häusliches Arbeitszimmer ein. Der renovierte Teil der Wohnung ist insgesamt 70,1 m² groß. Hiervon entfallen 16,97 m² (24,2 %) auf das Arbeitszimmer und 4,17 m² (5,95 %) auf eine separate Toilette. Das Gäste - WC liegt unmittelbar neben dem Schlafzimmer.
7
Für die Renovierung entstanden im Streitjahr 2008 die folgenden Aufwendungen (Bl. 18 EStA):
8
Anteil Arbeitszimmer lt. Kläger (grds. 24,2 %, teilweise Einzelzuweisung der Kosten)
Anteil separate Toilette lt. Kläger (grds. 5,95% teilweise Einzelzuweisung der Kosten)
Summe
x.xxx,xx Euro
x.xxx,xx Euro
9
In seiner Einkommensteuererklärung 2008 (Eingang Beklagter: 26. Januar 2011) beantragte der Kläger, die Aufwendungen für das Arbeitszimmer zunächst in Höhe von x.xxx,xx Euro als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit anzuerkennen. Der Beklagte erkannte mit Bescheid vom 04. Februar 2011 Aufwendungen für das Arbeitszimmer in Höhe von 1.250 Euro an. Im hiergegen eingelegten Einspruch vom 09. Februar 2011 (Zugang Beklagter: 16. Februar 2011) machte der Kläger den vollen Abzug der Aufwendungen für das Arbeitszimmer, für die separate Toilette und weitere nicht streitgegenständliche Aufwendungen als Werbungskosten geltend.
10
Mit Schreiben vom 07. März 2012 wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass er eine verbösernde Entscheidung durch Rücknahme des Einspruchs vermeiden könne (auf das Schreiben wird Bezug genommen). Er beabsichtige, die bisherige Berücksichtigung von Aufwendungen in Höhe von 1.250 Euro für das Arbeitszimmer nicht mehr anzuerkennen. Der Kläger hielt seinen Einspruch aufrecht.
11
Mit Einspruchsentscheidung vom 24. Mai 2012 setzte der Beklagte daraufhin unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 2008 vom 04. Februar 2011 die Einkommensteuer zu Lasten des Klägers neu fest (auf die Einspruchsentscheidung wird Bezug genommen). Er berücksichtigte weder die Aufwendungen für das Arbeitszimmer noch die Aufwendungen für die separate Toilette.
12
Der Kläger hat am 22. Juni 2012 Klage erhoben.
13
Er ist der Ansicht, der Mittelpunkt seiner betrieblichen und beruflichen Tätigkeit liege im Arbeitszimmer. Er behauptet, die geschlossenen Immobilienfonds würde er fast ausschließlich und die Sanierungsobjekte ausschließlich in seinem Arbeitszimmer prüfen. Die Prüfung der steuerlichen Verhältnisse stelle seine prägende Tätigkeit dar. Im Arbeitszimmer prüfe er die zusammengetragenen Unterlagen und Daten auf ihre steuerliche Würdigung, schreibe Anfragen an die Berater und Verwalter. Zuletzt schreibe er den Prüfungsbericht.
14
Im Außendienst spreche er mit den Steuerpflichtigen, Verwaltern der Immobilienfonds und Beratern. Er erhalte teilweise die notwendigen Prüfungsunterlagen und führe in seltenen Fällen Schlussbesprechungen durch. Oftmals würden die Berater auf die Schlussbesprechungen verzichten und nähmen nur schriftlich zum Außenprüfungsbericht Stellung. In 2009 habe er insgesamt vier allgemeine Besprechungen, drei Schlussbesprechungen und eine Betriebsbesichtigung durchgeführt.
15
Seitdem er im häuslichen Arbeitszimmer tätig sei, hole er sich im Finanzamt (nur noch) die Prüfungsakten, helfe den dortigen Sachbearbeitern bei der Fallauswahl (Prüfungswürdigkeit, Prüfungszeitraum) und informiere diese über prüfungswürdige Sachverhalte. Gespräche mit dem Sachgebietsleiter über den Prüfungsplan, die Prüfungen oder über den (vorläufigen) Prüfungsbericht fänden kaum statt.
16
Zunächst behauptete er, er habe in 2008 an 49,5 Tagen, in 2009 an 41 Tagen und in 2010 an 44 Tagen im Außendienst gearbeitet. In seinem Klageschriftsatz vom 22. Juni 2012 trug er dann vor, er habe im Kalenderjahr 2009 von insgesamt 219,5 Arbeitstagen an 29 Tagen im Außendienst, an 51,5 Tagen im Amt und an 139 Tagen in seinem häuslichen Arbeitszimmer gearbeitet. Mit Schriftsatz vom 20. November 2012 trug er zuletzt nochmals andere Zahlen vor.
17
Der Kläger ist der Auffassung, dass die Prüfung der Besteuerungsgrundlagen seine prägende Tätigkeit darstelle. Daher dürften nur insoweit die Arbeitszeitanteile verglichen werden. Er habe von insgesamt 116,25 Tagen in 2009 an 28 Tagen im Außendienst, an 21,5 im Amt und an 66,75 Tagen am Heimarbeitsplatz Besteuerungsgrundlagen geprüft. Die übrigen 102,25 Tage habe er nicht prägende Tätigkeiten, wie Akten abholen, Updates für die Software installieren, Teilnahme an Fortbildungen, Erstellen von Prüfungsberichten, Besprechungen von Feststellungen und Prüfungsschwerpunkten mit dem Innendienst, Besprechungsvorbereitungen usw. erbracht. Diese müssten unberücksichtigt bleiben.
18
Der Verweis auf § 200 Abgabenordnung - AO -, wonach die Außenprüfung grundsätzlich in den Räumen des Steuerpflichtigen stattfinde, sei in seinem Fall nicht sachgerecht. Die geprüften Immobilienfonds hätten selten eigene Verwaltungsräume. Die Prüfung könne daher nicht in den Geschäftsräumen der Firmen stattfinden.
19
Nach Auffassung des Klägers würde die bisherige Rechtsprechung seinen Fall nicht abbilden.
20
Seine Tätigkeit sei nicht mit der eines Richters vergleichbar. Nach einem vom Bundesfinanzhof - BFH - entschiedenen Fall würde ein Richter sein hoheitliches Tun nach der Verkehrsanschauung im Gericht und nicht im Arbeitszimmer ausüben. Dies würde für einen Betriebsprüfer nicht zutreffen. Zudem habe der Richter im entschiedenen Fall an 180 Tagen im Gericht gearbeitet, was auch einen qualitativen Unterschied darstelle (BFH-Urteil vom 18. Dezember 2011 VI R 13/11, Sammlung der Entscheidungen des BFH -BFHE - 236, 92, Bundessteuerblatt Teil II - BStBl II - 2012, 236; Vortrag Bl. 15 Gerichtsakte).
21
In einem Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts - FG - vom 1. Oktober 2009, 1 K 11149/05, www.juris.de habe der Großbetriebsprüfer ausschließlich Vor- und Nacharbeiten in seinem Arbeitszimmer geleistet. Er verrichte dort seine gesamte Prüfungstätigkeit.
22
Er beruft sich auf ein Urteil des FG Nürnberg vom 26. Oktober 2006, IV 83/2006, Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst - DStRE - 2007, 595 - 597. Im entschiedenen Fall sei das Gericht davon ausgegangen, dass ein Gerichtsvollzieher den Mittelpunkt seiner beruflichen Tätigkeit im Arbeitszimmer habe, wenn er die Mehrzahl der Fälle im Arbeitszimmer vom Schreibtisch aus erledige.
23
Die Aufwendungen für die Toilette seien ebenfalls abzugsfähig, soweit eine berufliche Nutzung vorliege.
24
Aufgrund eines Umkehrschlusses kommt er zu dem Ergebnis, dass es sich bei den Aufwendungen für eine während der Dienstzeit genutzte Toilette um Werbungskosten handeln müsse. Schließlich würde für die Nutzung einer im Betriebsvermögen befindlichen Toilette kein „
Eigenverbrauch angesetzt“.
Auch bei
„Hotelübernachtungen und bei der doppelten Haushaltsführung würde kein Anteil der Kosten für eine private Toilettennutzung angesetzt. Er gehe davon aus, dass die Toilettennutzung im Zusammenhang mit Einnahmen stehe und diese Kosten Werbungskosten seien “
.
25
Es gebe zwei mögliche objektive Aufteilungsmaßstäbe: entweder seine Dienstzeit könne anhand des Prüfertagebuchs oder anhand des von ihm angefertigten exemplarischen Toilettentagebuches über die tatsächliche Nutzung nachvollzogen werden (Toilettentagebuch, Schriftsatz vom 20. November 2012). Zeitlich betrachtet sei er zu ca. 33,33% privat und zu ca. 66,67% aus dienstlichen Gründen in seiner Wohnung. Die Toilette nutze er ca. 9 - 10 mal am Tag, davon ca. 8 - 9 mal beruflich. Es ergebe sich also eine berufliche Toilettennutzung von 73,58 %.
26
Auch Berufskraftfahrer könnten Ihre Aufwendungen für sanitäre Einrichtungen absetzen. Hieraus sei ersichtlich, dass diese Aufwendungen auch in seinem Fall beruflich veranlasst seien, solange er seiner beruflichen Tätigkeit nachgehe (BFH-Urteil vom 28. März 2012 VI R 48/11, BFHE 237, 82, BStBl II 2012, 926).
27
Zudem beruft er sich auf eine Entscheidung des Großen Senats des BFH vom 21. September 2009 GrS 1/06, BFHE 227, 1 BStBl II 2010, 672 und eine sich daran anschließende Entscheidung des FG Köln vom 19. Mai 2011 10 K 4126/09, Deutsches Steuerrecht - DStR - 2011, 1360-1363. Danach seien Aufwendungen für ein Arbeitszimmer auch dann abzugsfähig, wenn sie nur zum Teil beruflich veranlasst seien. Dies müsse auch in Bezug auf die Aufwendungen für die beruflich genutzte Toilette gelten. Diese Auffassung habe auch das FG Köln in seinem Urteil vom 19. Mai 2011, 10 K 4126/09 Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2011, 1410 - 1412 vertreten.
28
Der Kläger begehrt außerdem, die Aufwendungen nach § 82b EStDV auf zwei Jahre aufzuteilen.
29
Der Kläger beantragt, den Einkommensteuerbescheid 2008 vom 04. Februar 2011 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. Mai 2012 dahingehend abzuändern, dass die Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit um x.xxx,xx Euro (Arbeitszimmer: x.xxx,xx Euro x 50% = x.xxx,xx Euro , Toilette: x.xxx,xx Euro x 66% x 50% = x.xxx,xx Euro) erhöht werden, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
30
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
31
Der Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit liege jedenfalls nicht im Arbeitszimmer des Klägers.
32
Entscheidungserheblich sei, ob - unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung - das qualitativ für eine bestimmte Tätigkeit Typische im häuslichen Arbeitszimmer ausgeübt werde. Auch eine zeitlich weit überwiegende Nutzung des häuslichen Arbeitszimmers bewirke keine Verlagerung des Mittelpunktes (BFH - Urteil vom 20. April 2010 VI B 150/09, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 2010, 1434 - 1435; BFH-Urteil vom 27. Oktober 2011 VI R 71/10, BFHE 235, BStBl II 2012, 234 - Lehrer -; BFH-Urteil vom 08. Dezember 2011 VI R 13/11, BFHE 236, 92, BStBl II 2012, 236 - Richter -). Der zeitlichen Nutzung komme jedenfalls nur eine Indizwirkung zu.
33
Nach dem typischen Berufsbild unterscheide sich die Tätigkeit eines Außenprüfers von der Tätigkeit des Innendienstsachbearbeiters dadurch, dass er sich durch Betriebsbesichtigungen ein Bild der Verhältnisse der jeweiligen Unternehmen mache und anhand dessen prüfe, ob die in den Steuererklärungen geltend gemachten Ausgaben realitätsgerecht seien, sowie an Schlussbesprechungen teilnehme.
34
Aus den Unterlagen des Klägers ergebe sich, dass er an 20 Tagen im Außendienst und an 51 Tagen im Finanzamt, also außerhalb seines Heimarbeitsplatzes tätig gewesen sei. Es hätten auch Betriebsbesichtigungen und Schlussbesprechungen stattgefunden.
35
Zudem ergebe sich aus den Regelungen in den Rahmenbedingungen des Finanzministeriums Baden-Württemberg für die zeitweilige Dienstverrichtung zuhause für Beschäftigte der Prüfungsdienste, dass auch der Dienstherr davon ausgehe, dass ein Betriebsprüfer die berufstypischen Dienstverrichtungen im Außendienst ausübe.
36
Die Aufwendungen für die Toilette seien ebenfalls nicht abzugsfähig, da diese nach den gleichen Maßstäben wie die Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer zu beurteilen seien. Zudem habe das FG Düsseldorf mit Urteil vom 1. Februar 2012 7 K 87/11, EFG 2012, 1830 - 1833 entschieden, dass Aufwendungen für gemischt genutzte Räume kein häusliches Arbeitszimmer seien und die Aufwendungen für eine Toilette von den grundsätzlich nicht abziehbaren und nicht aufteilbaren unverzichtbaren Aufwendungen für die Lebensführung, die nach Maßgabe des subjektiven Nettoprinzips durch die Vorschriften zur Berücksichtigung des steuerlichen Existenzminimums bereits pauschal abgegolten seien, erfasst seien.
37
Dies ergebe sich ebenfalls aus dem Urteil des FG Köln vom 19. Mai 2011 10 K 4126/09, Deutsches Steuerrecht 2011, 1360 - 1363. Danach sei eine Toilette schon ihrem Typus nach nicht als häusliches Arbeitszimmer anzusehen, da keinerlei berufliche Nutzung vorliege (unter Punkt 4 des Urteils). Etwas anderes könne auch nicht aus dem Umstand folgen, dass der Kläger zwei Toiletten habe.
38
Am 25. Oktober 2012 hat ein Erörterungstermin stattgefunden. Die Berichterstatterin vertrat die Auffassung, dass der Mittelpunkt der gesamten beruflichen Tätigkeit des Klägers sich im Veranlagungszeitraum 2008 (bzw. 2009) nicht in seinem Arbeitszimmer befunden habe (auf die Niederschrift wird Bezug genommen, Bl. 149 Gerichtsakte).
39
Auf eine am 26. Oktober 2012 gesetzte Ausschlussfrist nach § 79 b Abs. 2 und Abs. 3 FGO (zugestellt am 3. November 2012) hat der Kläger mit Schriftsatz vom 20. November 2012 nochmals vorgetragen und Belege über die entstandenen Aufwendungen vorgelegt.
40
Der Sachverhalt ergibt sich aus den im Verfahren ausgetauschten Schriftsätzen und dem vom Beklagten vorgelegten Akten (§ 71 Abs. 2 FGO).
41
Am 21. Januar 2013 hat in der Sache eine mündliche Verhandlung stattgefunden. Mit Schriftsätzen vom 23. Januar 2013 und vom 11. Februar 2013 hat der Kläger seine Argumente nochmals schriftlich dargelegt und einen anderen Antrag gestellt, nämlich die Aufwendungen für Toilette und Arbeitszimmer statt bisher auf 2 Jahre nunmehr auf 5 Jahre zu verteilen (§ 82b EStDV). | 1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
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Hessisches Finanzgericht 6. Senat | Hessen | 0 | 1 | 12.11.2014 | 1 | Randnummer
1
Die Beteiligten streiten über das Vorliegen einer Geschäftsveräußerung im Ganzen.
Randnummer
2
In den Jahren 1999 bis 2001 errichtete die Klägerin ein Geschäftshaus in A. Ab dem 01.12.2000 war dessen Erdgeschoss mit 350 qm Fläche an den Ehemann der Klägerin vermietet. Die Mietzeit war bis zum 30.11.2010 befristet. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf Bl. 15 bis 20 der Umsatzsteuer-Akten verwiesen. Die Räume im Obergeschoss des Gebäudes mit ca. 350 qm Fläche sowie Werkstatt und Lagerraum im Erdgeschoss mit zusammen 76,3 qm Fläche waren zunächst an die B vermietet. Wegen Einzelheiten wird insoweit auf Bl. 9 bis 14 der Umsatzsteuer-Akten verwiesen. Später wurde das Obergeschoss an die Firmen C bzw. D vermietet. Auf die Steuerfreiheit der Vermietungsleistungen war verzichtet und demzufolge der Vorsteuerabzug aus den Eingangsleistungen in vollem Umfang gewährt worden.
Randnummer
3
Mit Kaufvertrag vom 24.05.2007 veräußerte die Klägerin das Geschäftshaus zum Preis von 345.000,00 € an die E, wobei ein Verzicht auf die Steuerfreiheit der Veräußerung unterblieb.
Randnummer
4
§ 6 Abs. 2 und 3 des Kaufvertrags lauten wie folgt:
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5
Der Grundbesitz ist an den Ehemann der Verkäuferin vermietet. Das Mietverhältnis wird nicht übernommen. Der Verkäufer hat für eine frist- und ordnungsgemäße Räumung zu sorgen.
Randnummer
6
Es bestehen zwei weitere Mietverhältnisse für Büroräume im 1. OG (D sowie C), welche durch den Käufer übernommen werden. Der Inhalt der Mietverträge ist dem Käufer bekannt.
Randnummer
7
Im Übrigen wird wegen des Inhalts des Kaufvertrags auf Bl. 1 bis 8 der Umsatzsteuer-Akten verwiesen.
Randnummer
8
Die E führte die Mietverhältnisse für das Obergeschoss der Immobilie unverändert fort, während sie das Erdgeschoss für eigene unternehmerische Zwecke nutzte.
Randnummer
9
Mit Bericht vom 20.04.2009 wurde eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung bei der Klägerin abgeschlossen. Nach den Prüfungsfeststellungen sei seitens der Klägerin offenbar von einer nichtsteuerbaren Geschäftsveräußerung im Ganzen ausgegangen worden und deshalb eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs unterblieben. Eine derartige Geschäftsveräußerung sei jedoch vorliegend nicht anzunehmen und die Umsatzsteuer für 2007 daher aufgrund der Berichtigung der Vorsteuer gemäß § 15a UStG um 24.317,80 € zu erhöhen.
Randnummer
10
Mit Bescheid vom 02.06.2009 folgte der Beklagte (das Finanzamt, FA) den Prüfungsfeststellungen und änderte die Umsatzsteuerfestsetzung 2009, indem es die festgesetzte Steuer von 1.176,10 € um 24.317,80 € auf 25.493,90 € erhöhte.
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11
Hiergegen legte die Klägerin am 16.06.2009 Einspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, dass ihrer Ansicht nach lediglich eine Vorsteuerkorrektur von 12.678,81 € vorzunehmen sei. Der Vorsteuerberichtigungsbetrag belaufe sich insgesamt auf 24.288,91 €. Darauf entfielen 47,80 %, d.h. 11.610,10 €, auf eine Teilgeschäftsveräußerung im Ganzen, nämlich soweit die Mietverträge im Obergeschoss durch die Erwerberin fortgeführt worden seien.
Randnummer
12
Mit Entscheidung vom 28.09.2011 wurde die festgesetzte Umsatzsteuer 2007 durch das FA von 25.493,90 € auf 24.711,95 € herabgesetzt und der Einspruch im Übrigen zurückgewiesen. Die Herabsetzung der Steuer erfolgte nach der Begründung der Einspruchsentscheidung deshalb, weil der von der Betriebsprüfung ermittelte Vorsteuerberichtigungsbetrag um 781,95 € auf 23.535,85 € herabzusetzen gewesen sei. Grund dafür sei gewesen, dass die im Erstjahr angefallene Vorsteuer nicht 138.264,61 DM, sondern nur 138.095,01 DM betragen habe. Insoweit folgte das FA den Einwendungen der Klägerin.
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13
Am 26.10.2011 hat die Klägerin beim Hessischen Finanzgericht Klage erhoben. Zu deren Begründung trägt sie vor, der BFH habe bereits die Möglichkeit einer partiellen Geschäftsveräußerung in seinem Urteil vom 22.11.2007 (BStBl II 2008, 448 ) bejaht. Das Urteil sei für den Streitfall insoweit von Bedeutung, als sich die Geschäftsveräußerung nicht zwingend auf das gesamte Grundstück beziehen müsse. Das gelte auch, wenn nicht lediglich Miteigentum, sondern Alleineigentum übertragen werde. Jedenfalls seien keine sachlichen Gründe erkennbar, warum beim Übergang des Volleigentums wie im Streitfall von anderen Grundsätzen auszugehen sein sollte.
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14
Werde eine voll vermietete Immobilie vom Erwerber teilweise zu eigenen unternehmerischen Zwecken genutzt und im Übrigen die Vermietungstätigkeit fortgeführt, beschränke sich der Tatbestand der Geschäftsveräußerung auf den fremd vermieteten Teil der Immobilie. Aus der einschlägigen Rechtsprechung des BFH folge nichts anderes.
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15
Die Klägerin beantragt,
den Umsatzsteuerbescheid 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.09.2011 dahingehend zu ändern, dass die festgesetzte Umsatzsteuer von 24.711,95 € um 10.856,36 € auf 13.855,59 € herabgesetzt wird,
die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendige zu erklären,
für den Fall des Unterliegens die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
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16
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
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17
Hierzu nimmt das FA zunächst auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung Bezug und führt ergänzend aus, das bisherigen Vermietungsunternehmen sei im Falle der Klägerin nicht in dem Umfang durch den Erwerber fortgeführt worden, in welchem es durch die Klägerin betrieben worden sei. Damit seien die Voraussetzungen einer nichtsteuerbaren Geschäftsveräußerung nicht erfüllt. Während die Klägerin das veräußerte Objekt voll vermietet habe, habe der Erwerber von Beginn an die Absicht gehabt, nur die Mietverträge im 1. Obergeschoss zu übernehmen. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Die Revision wird zugelassen. | 0 |
VG Berlin 2. Kammer | Berlin | 1 | 0 | 25.06.2014 | 0 | Randnummer
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Die Beteiligten streiten um die Festsetzung einer Gebühr für die Gewährung von Informationen.
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Der Kläger ist Journalist. Mit einem auf dem Briefkopf der „B...“-Zeitung angefertigten und dem Hinweis „A... … R...“ versehenen Fax vom 8. März 2013 bat er das Bundeskanzleramt (Referat 131) unter Berufung auf „Artikel 5 GG, IFG des Bundes sowie BArchG“ um Mitteilung, „welche Aktenbestände (Signaturen und kurze Bezeichnung der Akte)“ zu verschiedenen Personen der Zeitgeschichte in den dortigen Vorgängen bzw. im dortigen Archiv vorhanden seien.
Randnummer
3
Mit Bescheid des Bundeskanzleramts vom 5. April 2013 gab die Beklagte diesem Antrag statt. Gestützt auf § 1 Abs. 1 IFG gewährte sie dem Kläger die von ihm erbetenen Auskünfte. Hierfür erhob sie „Gebühren in Höhe von 262,50 EUR“. Zur Begründung für die Gebührenfestsetzung verwies sie auf § 10 IFG und führte aus, nach Teil A Nr. 2.2 des Gebühren- und Auslagenverzeichnisses der Informationsgebührenverordnung (IFGGebV) sei für die erteilte Auskunft ein Gebührenrahmen von 30,00 bis 500,00 Euro vorgesehen. Es sei folgender Personalaufwand entstanden: 390 Minuten von Mitarbeitern des mittleren Dienstes zu einem Pauschalstundensatz von 30,00 Euro und 90 Minuten von Mitarbeitern des gehobenen Dienstes zu einem Pauschalstundensatz von 45,00 Euro. Hieraus ergebe sich die Höhe der erhobenen Gebühr.
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Der Kläger widersprach der Gebührenfestsetzung unter Hinweis auf das Grundrecht der Pressefreiheit.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juli 2013 reduzierte die Beklagte die Gebühr auf 250,00 Euro und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Zur Begründung verwies sie darauf, dass der Kläger seinen Auskunftsanspruch „ausdrücklich auch auf das IFG“ gestützt habe. Richtiger Gebührentatbestand sei Teil A Nr. 1.2. der Anlage zu § 1 Abs. 1 IFGGebV. Gründe für eine Ermäßigung der Gebühr oder ein Absehen von der Gebühr lägen nicht vor. Befreiungs- oder Ermäßigungstatbestände seien nicht gegeben.
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Hiergegen wendet sich der Kläger mit der am 12. August 2013 erhobenen Klage, die nach zwischenzeitlicher Anordnung des Ruhens des Verfahrens durch Beschluss vom 25. September 2013 mit Schriftsatz vom 5. Februar 2014 wieder aufgerufen worden ist. Der Kläger wiederholt und vertieft sein bisheriges Vorbringen. Ergänzend weist er darauf hin, die Beklagte habe verkannt, dass er einen kostenfreien Anspruch auf Auskunft „nach Pressegesetz“ gehabt habe.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 5. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2013 aufzuheben, soweit dieser ihm Gebühren in Höhe von 250,00 Euro auferlegt.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags bezieht sie sich auf die Gründe des angefochtenen Bescheides. Ergänzend trägt sie vor, der Kläger habe sein Auskunftsbegehren ausdrücklich „auch“ auf das Informationsfreiheitsgesetz gestützt. Er habe sein Anliegen an den ihm bekannten „Sachbearbeiter für IFG-Anträge“ adressiert und sich nicht an das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung gewandt. Er sei in der weiteren Korrespondenz zudem selbst von einem „IFG-“ bzw. „BArchG-Antrag“ ausgegangen. Zudem habe die Anfrage der Vorbereitung von weiteren Informationszugangsansprüchen gedient und hätten die Voraussetzungen des presserechtlichen Auskunftsanspruchs nicht vorgelegen. Denn das Auskunftsbegehren habe sich nicht auf einen hinreichend konkret bezeichneten Tatsachenkomplex bezogen und es habe zudem Informationen betroffen, die zum Zeitpunkt des begehrten Informationszugangs bei der Beklagten tatsächlich nicht vorgelegen hätten. Die Beklagte führe nämlich keine Übersichten über ihre Aktenbestände zu bestimmten Personen der Zeitgeschichte. Das Auskunftsbegehren sei außerdem inhaltlich über das hinausgegangen, was auf der Grundlage des Presserechts als Auskunft hätte verlangt werden können.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte und auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist. | Der Bescheid des Bundeskanzleramtes vom 5. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2013 wird aufgehoben, soweit darin eine Gebühr in Höhe von 250,00 Euro festgesetzt worden ist.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. | 0 |
VG Greifswald 6. Kammer | Mecklenburg-Vorpommern | 0 | 1 | 04.04.2018 | 1 | Randnummer
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Die Kläger, armenische Staatsangehörige, armenischer Volks- und armenisch-orthodoxer Religionszugehörigkeit begehren die Anerkennung als Flüchtlinge.
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Ihren Angaben zufolge reisten die Kläger am 8. September 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 29. Oktober 2015 beantragten sie beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) die Anerkennung als Flüchtlinge.
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Im Rahmen der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt am 17. Oktober 2016 gaben die Kläger im Wesentlichen an, Armenien aufgrund aufgetretener Probleme infolge der sportlichen Erfolge des Klägers zu 3. beim Boxen verlassen zu haben. Im April 2015 habe der Kläger zu 3. bei den armenischen Ausscheidungskämpfen zur Teilnahme an den Meisterschaften teilgenommen. Obwohl er einen klaren Punktvorteil gehabt habe, habe man seinen Gegner zum Sieger erklärt. Der Protest der Eltern des Klägers zu 3., der Kläger zu 1. und 2., bei den Schiedsrichtern habe nichts genützt. Zwei Tage später sei der Kläger zu 3. von den Eltern des Gegners in Begleitung von sieben weiteren Personen angegriffen worden. Diese seien in das Haus der Kläger eingedrungen und hätten die Kläger zusammengeschlagen. Dem Kläger zu 1. sei eine Pistole an die Schläfe gehalten worden. Zudem hätten sie etwa 300 Euro mitgenommen. In der Folgezeit hätten die Kläger sich beobachtet und bedroht gefühlt. Der Kläger zu 3. sei nicht mehr zur Schule gegangen. Der Kläger zu 3. habe dann versucht, sich umzubringen.
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Die Klägerin zu 2. leide derzeit an einer mittelgradigen depressiven Verstimmung, Belastungsstörung und Hypertonie.
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Die Kläger wurden auch hinsichtlich des Einreise- und Aufenthaltsverbotes angehört.
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Mit Bescheid vom 25. November 2016 lehnte das Bundesamt den Asylantrag (Ziffer 2 des Bescheids), den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1 des Bescheids) sowie den Antrag auf subsidiären Schutz (Ziffer 3 des Bescheids) ab. Weiter wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) (Ziffer 4 des Bescheids) nicht vorliegen würden. Den Klägern wurde die Abschiebung nach Armenien angedroht (Ziffer 5 des Bescheids). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6 des Bescheids).
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Gemäß Aktenvermerk des Bundesamtes (Bl. 109 des Verwaltungsvorgangs) wurde der Bescheid am 25. November 2016 als Einschreiben zur Post gegeben.
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Am 13. Dezember 2016 haben die Kläger durch ihren Prozessbevollmächtigten Klage erhoben. Zur Begründung führen sie aus, dass bei der Klägerin zu 2. die Voraussetzungen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG erfüllt seien.
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Die Kläger beantragen,
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die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. November 2016 – Az. 6236566 - 422 – zu verpflichten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
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hilfsweise,
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die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. November 2016 – Az. 6236566 - 422 – zu verpflichten, den Klägern subsidiären Schutz zuzuerkennen,
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weiter hilfsweise,
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die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. November 2016 – Az. 6236566 - 422 – zu verpflichten, festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 S. 1 AufenthG bezüglich Armenien vorliegt.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung.
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Mit Beschluss vom 21. Juli 2017 wurde der Rechtsstreit der Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen (§ 76 Abs. 1 AsylG).
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Das Gericht hat zur Frage des Gesundheitszustandes der Klägerin zu 2. Beweis erhoben durch Einholung eines amtsärztlichen Gutachtens. Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Gutachtens des Landkreises Vorpommern-Rügen, Fachdienst Gesundheit, vom 14. September 2017 Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird im Übrigen auf den gesamten Inhalt der Gerichts- und Behördenakte sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 4. April 2018 und auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisgrundlagen Bezug genommen. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. | 0 |
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz 5. Senat | Rheinland-Pfalz | 0 | 1 | 31.08.2017 | 0 | Randnummer
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Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Mitgliedschaft des bei der beklagten Krankenkasse als hauptberuflich selbständig Erwerbstätiger freiwillig krankenversicherten Klägers nach der Gewerbeabmeldung zum 31.12.2013 weiter einen Anspruch auf Krankengeld umfasst.
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Der 1959 geborene Kläger ist seit 1999 als hauptberuflich selbstständiger Erwerbstätiger freiwilliges Mitglied der Beklagten. Aufgrund einer Wahlerklärung nach § 44 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) umfasste die Mitgliedschaft des Klägers ab 1.8.2009 einen Krankengeldanspruch ab dem 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit. Ab 10.1.2014 war der Kläger arbeitsunfähig wegen einer mittelgradigen depressiven Episode und einer somatoformen und phobischen Störung. Am 3.2.2014 meldete der Kläger als alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der R. A GmbH & Co. KG (Garten- und Landschaftsbau, Tiefbau) das Gewerbe bei der Verbandsgemeinde W -L ab; dabei gab er an, der Betrieb, bei dem zuletzt 20 Personen vollzeitbeschäftigt gewesen seien, sei zum 31.12.2013 aus persönlichen/ familiären Gründen wegen „Erbfolge/ Verkauf/ Verpachtung“ aufgegeben worden. Zur Begründung seines Antrags auf Krankengeld gab der Kläger gegenüber der Beklagten mit Schriftsatz vom 7.4.2014 an, der beigefügten betriebswirtschaftlichen Auswertung sei zu entnehmen, dass die GmbH & Co. KG im Zeitraum Januar bis Februar 2014 ein vorläufiges Ergebnis vor Steuern in Höhe von ca. -111.134,72 € erzielt habe; die ausgewiesenen Umsatzerlöse in Höhe von 62.701,45 € resultierten in erster Linie aus einem verbliebenen Bauvorhaben, welches bereits im Dezember angefangen und im Januar von einem Subunternehmen fertig gestellt worden sei, sowie aus bereits abgeschriebenen Forderungen, bei denen wider Erwarten Zahlungen vereinnahmt werden konnten und die damit wertzuberichtigen gewesen seien. Im Übrigen sei dieses Ergebnis Folge der Tatsache, dass aufgrund seiner Erkrankung keine neuen Aufträge mehr übernommen und dementsprechend keine neuen Umsatzerlöse mehr generiert werden konnten. Der zu bestimmende Verdienstausfall resultiere daraus, dass er krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen sei, Arbeitnehmer zu beschäftigen bzw. anzuleiten, was unmittelbar zur Folge habe, dass keine neuen Umsatzerlöse generiert werden könnten. Ohne seine Erkrankung hätte er mit ca. sechs bis sieben Mitarbeitern neue Aufträge bearbeiten und entsprechende Erträge generieren können. Aus der beigefügten Rentabilitätsberechnung seines Steuerrechtsanwalts ergebe sich, dass er mit der angegebenen Anzahl von Arbeitnehmern Umsatzerlöse in Höhe von 750.000 € und unter Berücksichtigung der üblichen Kosten für einen Betrieb dieser Größe das avisierte Betriebsergebnis von ca. 98.000 € p.a. hätte erreichen können. Diese Zahlen ergäben sich unter Berücksichtigung der üblichen Branchenauswertungen sowie aus der konkreten Erfahrung bei der GmbH & Co. KG und der bis 2010 von ihm geführten Einzelfirma.
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Mit Bescheid vom 5.5.2014 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sein Versicherungsschutz als hauptberuflich Selbständiger mit Anspruch auf Krankengeld habe mit Abmeldung seines Gewerbes zum 31.12.2013 geendet. Mit Bescheid vom 21.5.2014 teilte sie dem Kläger mit, für die seit 10.1.2014 bestehende Arbeitsunfähigkeit habe er keinen Anspruch auf Krankengeld, da sein Versicherungsschutz mit Anspruch auf Krankengeld zum 31.12.2013 geendet habe. Gegen beide Bescheide erhob der Kläger Widerspruch. Zur Begründung seiner Widersprüche führte er aus, das Gewerbe sei erst nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit rückwirkend zum 31.12.2013 abgemeldet worden. Im Jahr 2014 seien im Rahmen der Abwicklung der GmbH & Co. KG noch weitere Arbeiten wie Klärung der Verträge mit Subunternehmen, Überprüfung von Ausmaßen (gemeint wohl: Aufmaßen), Bearbeitung und Klärung eingehender Rechnungen und Zahlungen sowie Erstellen von Ausgangsrechnungen angefallen. Zudem sei für die GmbH & Co. KG auch bei der Verbandsgemeindeverwaltung T -T ein Gewerbe angemeldet, das noch nicht endgültig abgemeldet sei.
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Nachdem die Beklagte sich verpflichtet hatte, dem Kläger nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften Krankengeld zu zahlen, falls sie in dem gerichtlichen Verfahren gegen den Bescheid vom 5.5.2014 betreffend die Beendigung des Versicherungsschutzes mit Anspruch auf Krankengeld unterliegen sollte, waren die Beteiligten sich einig, das Widerspruchsverfahren betreffend den Krankengeldbescheid vom 21.5.2014 bis zur Entscheidung des Sozialgerichts ruhen zu lassen. Mit Widerspruchsbescheid vom 8.12.2014, den Verfahrensbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 16.12.2014, wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 5.5.2014 zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, gemäß § 23 Abs. 12 Nr. 1 ihrer Satzung ende der Krankengeld-Wahltarif, wenn der Versicherte nicht mehr zum Personenkreis nach Absatz 1 zähle, es sei denn die Versicherung oder die Zugehörigkeit zum Personenkreis nach Absatz 1 sei längstens einen Monat unterbrochen. Aufgrund der Gewerbeabmeldung zum 31.12.2013 habe der Kläger ab 1.1.2014 nicht mehr zum Personenkreis nach § 23 Abs. 1 der Satzung gehört, der Krankengeld-Wahltarif habe automatisch zum 31.12.2013 geendet.
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Hiergegen hat der Kläger am 16.1.2015 Klage erhoben. Er hat vorgetragen, für den Versicherungsschutz mit Anspruch auf Krankengeld sei es unerheblich, dass er im Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit seine Erwerbstätigkeit bereits eingeschränkt oder aufgegeben habe (BSG 12.3.2013 – B1 KR 4/12 R, Rn. 8). Die Einschränkung der Erwerbstätigkeit wirke sich nur auf die Höhe des Krankengeldanspruchs aus. Es obliege dem Versicherten selbst darüber zu entscheiden, inwieweit er an dem Versicherungsschutz mit Anspruch auf Krankengeld festhalten wolle, wenn die Zugangsvoraussetzungen zu einer freiwilligen Versicherung mit Anspruch auf Krankengeld entfallen. Er habe den Versicherungsschutz mit Anspruch auf Krankengeld nicht beendet. Zudem habe er seine selbstständige Erwerbstätigkeit nicht vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit aufgegeben. Die Gewerbeabmeldung sei erst am 3.2.2014 erfolgt. Eine endgültige Betriebsaufgabe liege erst dann vor, wenn nicht nur das Gewerbe abgemeldet sei, sondern der Versicherte sich sämtlicher personeller und sächlicher Betriebsmittel entledigt habe und alle potentiell vorhandenen behördlichen Genehmigungen erloschen seien. Die Abmeldung des Gewerbes sei lediglich ein Indiz für die tatsächliche Einstellung der selbstständigen Tätigkeit. Er sei noch im Rahmen der Liquidation der GmbH & Co. KG weiter tätig gewesen. Daneben sei unter derselben Firma noch ein Gewerbe bei der Verbandsgemeindeverwaltung T -T angemeldet gewesen. Auf Nachfrage des Sozialgerichts hat der Kläger angegeben, eine Betriebsaufgabeerklärung gegenüber dem Finanzamt sei nicht abgegeben worden, vielmehr seien weiterhin monatliche Umsatzsteuervoranmeldungen erfolgt. Der Kläger hat eine Gewinn- und Verlustrechnung der GmbH & Co. KG für das Geschäftsjahr 2014 vorgelegt, die einen Jahresfehlbetrag von 152.282,95 € ausweist, in den vorgelegten Feststellungen der Besteuerungsgrundlagen sind zuzurechnende laufende Einkünfte von -148.255,- € angegeben. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers erklärt, nach seinen Informationen solle das für die private Berufsunfähigkeitsversicherung erstattete Gutachten nach Angaben des Sachverständigen dem Kläger selbst nicht zugänglich gemacht werden, er wolle dieses Gutachten deshalb auch im vorliegenden Verfahren nicht vorlegen.
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Die Beklagte hat vorgetragen, soweit der Kläger vortrage, er sei im Rahmen der Liquidation noch weiter selbstständig tätig gewesen, stehe das in Widerspruch zu der von ihm geschilderten seit 10.1.2014 bestehenden Arbeitsunfähigkeit wegen einer mittelgradigen depressiven Episode sowie einer somatoformen und phobischen Störung. Wenn der Kläger weiter gearbeitet habe, stelle sich die Frage, ob er überhaupt arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei und einen Einkommensverlust gehabt habe. Einem Krankengeldanspruch stehe auch entgegen, dass er seit 1.2.2014 monatliche Leistungen in Höhe von 1987 € aus einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung erhalte.
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Mit Urteil vom 14.9.2016 hat das Sozialgericht Trier antragsgemäß den Bescheid der Beklagten vom 5.5.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.12.2014 aufgehoben und festgestellt, dass der Kläger auch über den 1.1.2014 hinaus weiter als hauptberuflich Selbstständiger mit Anspruch auf Krankengeld bei der Beklagten freiwillig versichert sei. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig, weil der Kläger auch ab 1.1.2014 als hauptberuflich selbstständiger Erwerbstätiger mit Anspruch auf Krankengeld freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung zu versichern gewesen sei. Streitgegenstand sei allein der Bescheid vom 5.5.2014, mit dem die Beklagte dem Kläger mitgeteilt habe, sein Versicherungsschutz habe mit der Gewerbeabmeldung zum 31.12.2013 geendet. Nicht Gegenstand der Klage sei der weitere Bescheid der Beklagten vom 21.5.2014, mit dem die Beklagte die Zahlung von Krankengeld abgelehnt habe. Aufgrund seiner Wahlerklärung nach § 44 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB V sei der Kläger mit Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen. Auch wenn man mit der Beklagten annehme, dass mit Wegfall der Eigenschaft als „hauptberuflich selbstständig Erwerbstätiger“ die Versicherung mit Anspruch auf Krankengeld ende, bedeute das nicht, dass ein bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit noch bestehender Versicherungsschutz entfalle, wenn der erkrankte Versicherte seine bisherige hauptberuflich selbstständige Erwerbstätigkeit nicht mehr ausüben könne. Abzustellen sei auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit, hier auf den Beginn der attestierten Arbeitsunfähigkeit ab 10.1.2014. Es könne nicht angenommen werden, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt nicht mehr hauptberuflich selbstständig erwerbstätig gewesen sei. Aus dem vom Kläger vorgelegten Jahresabschluss sei ersichtlich, dass er jedenfalls in den ersten drei Monaten des Jahres 2014 noch weiterhin nennenswerte Umsatzerlöse erzielt habe und Restarbeiten sowie in Auftrag befindliche Aufträge durchgeführt habe. Merkmale für die Beendigung einer selbstständigen Tätigkeit seien zwar die Abmeldung des Gewerbebetriebs, Auflösung, Liquidation oder Löschung des Betriebs im Handelsregister oder in der Handwerksrolle. Werde im Falle der Gewerbeabmeldung der Betrieb aufgrund einer nicht abgegebenen Betriebsaufgabeerklärung im steuerrechtlichen Sinne fortgeführt und würden dementsprechend weiterhin Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt, sei für diese Zeit weiterhin eine selbstständige Tätigkeit anzunehmen. Der Kläger habe im streitigen Zeitpunkt noch keine Betriebsaufgabeerklärung gegenüber dem Finanzamt abgegeben. Für diese Sicht spreche auch, dass die Leistungen aus der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung erst ab 1.2.2014 gezahlt worden seien. Auch ohne Kenntnis des zu Grunde liegenden Gutachtens könne daraus geschlossen werden, dass vor diesem Zeitpunkt noch keine relevante Berufsunfähigkeit vorgelegen habe, vielmehr offenkundig der Zeitpunkt der attestierten Arbeitsunfähigkeit mit einem Leistungsbeginn ab dem darauf folgenden Monat zu Grunde gelegt wurde. Leistungen aus dieser privaten Versicherung schlössen eine Versicherung mit Anspruch auf Krankengeld auch keineswegs aus, insbesondere handele es sich dabei nicht um eine Leistung, die mit Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbar sei.
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Gegen das ihr am 21.9.2016 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 20.10.2016 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, nach § 23 Abs. 12 Nummer 1 ihrer Satzung ende der Krankengeldwahltarif unabhängig von einer Kündigung, wenn der Versicherte nicht mehr zum Personenkreis nach § 23 Abs. 1 der Satzung zähle, es sei denn, die Versicherung oder die Zugehörigkeit zum Personenkreis nach Abs. 1 sei längstens einen Monat unterbrochen. Ein Versicherter gehöre dann nicht mehr zum Personenkreis nach § 23 Abs. 1 der Satzung, wenn er keine hauptberuflich selbstständige Erwerbstätigkeit mehr ausübe. Dabei seien entgegen der Annahme des Sozialgerichts beim Kläger nicht die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit – spätestens mit Beginn der attestierten Arbeitsunfähigkeit ab 10.1.2014 – maßgebend. Anders als im Falle pflichtversicherter Mitglieder komme es im Falle eines freiwilligen Mitglieds für den Anspruch auf Krankengeld nicht darauf an, ob zur Zeit des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit eine Mitgliedschaft in einer Krankenversicherung mit Krankengeldberechtigung bestehe. Der Krankengeldanspruch bestimme sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestands für Krankengeld vorliege. Maßgeblich sei demnach im Falle des Klägers der 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit, also der 21.2.2014. Die Gewerbeabmeldung am 3.2.2014 (zum 31.12.2013) sei demnach vor dem Leistungsentstehungszeitpunkt erfolgt. Der Krankengeldanspruch eines freiwillig Versicherten entstehe selbst dann nicht, wenn seine Krankengeldberechtigung nach erfolgter ärztlicher Feststellung der Arbeitsunfähigkeit und vor Ablauf einer in der Krankenkassensatzung vorgesehenen Karenzzeit entfalle (Hinweis auf BSGE 13.7.2004 – B 1 KR 39/02 R). Unabhängig davon sei davon auszugehen, dass der Kläger bereits ab dem 1.1.2014 nicht mehr hauptberuflich selbstständig erwerbstätig gewesen sei. Dafür spreche die vollständige Abmeldung des Gewerbes rückwirkend zum 31.12.2013 sowie auch die spätestens zum 31.12.2013 erfolgte Abmeldung aller bei der Beklagten gemeldeten Arbeitnehmer. Die vom Kläger nach der Abmeldung ab Januar 2014 im Rahmen der Abwicklung der Geschäftsaufgabe getätigten Restarbeiten stünden dieser Annahme nicht entgegen. Eine Tätigkeit sei nur dann hauptberuflich, wenn sie in einer Gesamtschau von der wirtschaftlichen Bedeutung und dem zeitlichen Aufwand her die übrigen Erwerbstätigkeiten zusammen deutlich übersteige (Hinweis auf BSG SozR 3-5420 § 3 Nr. 3 S. 17 ff., BT-Drucks. 11/2237 S. 159). Vom zeitlichen Umfang her sei eine selbstständige Tätigkeit dann als hauptberuflich anzusehen, wenn sie mehr als halbtags ausgeübt werde (Hinweis auf BSGE 10.3.1994 – 12 RK 1/94 und 12 RK 3/94). Das ergebe sich auch aus den Hinweisen zum Begriff der hauptberuflich selbstständigen Erwerbstätigkeit des GKV-Spitzenverbandes vom 11.6.2013. Das Sozialgericht habe keine Feststellungen zur wirtschaftlichen Bedeutung und zum zeitlichen Aufwand der vom Kläger ab 1.1.2014 angegebenen Tätigkeiten getroffen. Die vom Kläger vorgelegte Gewinn- und Verlustaufstellung enthalte für den Monat Januar 2014 keine Angaben. Der Kläger habe außer der seit Februar 2014 bezogenen Berufsunfähigkeitsrente keine Einnahmen aus seiner selbstständigen Tätigkeit belegt.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 14.9.2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und nimmt auf seinen erstinstanzlichen Vortrag Bezug. Soweit die Beklagte nunmehr vortrage, für den Zeitpunkt des Fortbestehens der Mitgliedschaft komme es auf den 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit, also den 21.2.2014, an, sei darauf hinzuweisen, dass im vorliegenden Verfahren lediglich der Versicherungsschutz mit Anspruch auf Krankengeld, nicht aber der Krankengeldanspruch Streitgegenstand sei.
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Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts verweist der Senat auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung war. | 1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 14.9.2016 wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten auch im Berufungsverfahren zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz 8. Kammer | Rheinland-Pfalz | 0 | 1 | 02.03.2021 | 0 | Randnummer
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Befristungsvereinbarung.
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Der 1969 geborene Kläger wurde von der J. W. G.-U., A-Stadt, mit Annahmebescheid vom 6. Mai 1998 als Doktorand im Promotionsfach Philosophie gemäß der dort geltenden Promotionsordnung vom 20. Januar 1988 angenommen. Seine Promotionszeit endete nach etwas mehr als sechs Jahren und sieben Monaten am 15. Dezember 2004 mit der erfolgreichen Verteidigung der Dissertation, woraufhin ihm mit Urkunde vom selben Tag der Grad eines Doktors der Philosophie verliehen wurde (Bl. 7 d.A). Über Beginn und Ende der Promotionszeit erteilte die G.-U.dem Kläger eine Bescheinigung zur Vorlage beim Arbeitgeber unter dem 7. August 2019 (Bl. 64 d.A).
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Der Kläger war nach seiner Promotion auf der Grundlage mehrerer Arbeitsverträge mit der G.-U. F. als wissenschaftlicher Mitarbeiter in befristeten Arbeitsverhältnissen beschäftigt wie folgt:
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4
- vom 1. April 2008 bis 31. März 2009 aufgrund des Arbeitsvertrags vom 17. März 2008 (12 Monate) und
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- vom 1. April 2009 bis 31. März 2011 aufgrund des Arbeitsvertrags vom 26. Januar 2009 (24 Monate).
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Er bewarb sich danach bei der Beklagten und füllte in diesem Zusammenhang deren Vordruck „Erklärung zu Vorbeschäftigungen (Anlage zum Personalbogen)“ unter dem 11. Mai 2014 unter Abschnitt A [nach Erreichen des Hochschulabschlusses in folgenden befristeten Beschäftigungsverhältnissen gestanden] aus, nicht jedoch die Erklärung zu Abschnitt B [Beginn und Ende des Promotionsvorhabens]. Der Vordruck endet mit der Zeile: „Mir ist bekannt, dass wahrheitswidrige Angaben die Anfechtung des Arbeitsvertrages zur Folge haben können.“ gefolgt von einer Unterschrift des Klägers (Bl. 46 d.A).
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Vor diesem Hintergrund war der Kläger sodann auf der Grundlage mehrerer Arbeitsverträge mit der U. K.-L. gemäß § 56 Abs. 1 HochschulG RLP als Lehrkraft für besondere Aufgaben in befristeten Arbeitsverhältnissen beschäftigt wie folgt:
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- vom 13. Mai 2014 bis 12. Mai 2017 aufgrund des Arbeitsvertrags vom 12. Mai 2014 mit der Beklagten (36 Monate),
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9
- vom 13. Mai 2017 bis 12. August 2019 aufgrund des Arbeitsvertrags vom 27. April 2017 mit der Beklagten (27 Monate) und diesen Vertrag mit Wirkung zum 30. Juni 2017 auflösend zuletzt
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- vom 1. Juli 2017 bis 12. August 2019 aufgrund des Arbeitsvertrags vom 8. Juni 2017 (Bl. 25 f. d.A) mit der Beklagten.
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Im Arbeitsvertrag vom 8. Juni 2017 heißt es, soweit hier von Bedeutung (Bl. 25 f. d.A):
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„§ 1
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Herr Dr. A. wird ab 01.07.2017 bis 12.08.2019 als vollbeschäftigter wissenschaftlicher Mitarbeiter nach
§ 56 Absatz 1 HochSchG
weiterbeschäftigt. Die Lehrverpflichtung beträgt 8 Wochenstunden.
§ 2
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14
[...]
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Die Befristung des Vertrages beruht auf § 30 Absatz 1 Satz 1 TV-L i.V.m. § 2 Absatz 1 WissZeitVG.“
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Die Dauer aller befristeten Arbeitsverhältnisse des Klägers in der Post-Doc-Phase an der G.-U. F. und an der U. K.-L. betrug inesamt acht Jahre und drei Monate, mithin 99 Monate (Bl. 45 d.A).
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Mit der am 18. Juli 2019 beim ArbG Mainz eingereichten Klageschrift, die der Beklagten am 26. Juli 2019 (Bl. 40 d.A) zugestellt wurde, wendet sich der Kläger gegen die Befristungsvereinbarung im Arbeitsvertrag vom 8. Juni 2017.
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Der Kläger hat vorgetragen:
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Die Befristung im Arbeitsvertrag vom 8. Juni 2017 sei unwirksam, weil gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 WissZeitVG nach abgeschlossener Promotion eine Befristung des Arbeitsverhältnisses nur bis zu einer Dauer von sechs Jahren zulässig sei, wenn die befristete Beschäftigung zur Förderung der eigenen wissenschaftlichen oder künstlerischen Qualifizierung erfolge. Er sei aber bereits seit dem 1. April 2008 an deutschen Hochschulen befristet beschäftigt, womit die zulässige Befristungshöchstdauer überschritten sei (Bl. 4 d.A).
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Nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 WissZeitVG dürfe die zulässige Befristungsdauer für die Beschäftigung in der Post-Doc-Phase nur in dem Umfang verlängert werden, in dem Zeiten einer befristeten Beschäftigung nach Satz 1 und Promotionszeiten ohne Beschäftigung nach Satz 1 zusammen weniger als sechs Jahre betragen haben (Bl. 62 d.A). Da seine Promotionszeit - insoweit unstreitig - mehr als sechs Jahre betragen habe, dürfe seine befristete Beschäftigung in der Post-Doc-Phase eine Gesamtdauer von sechs Jahren nicht überschreiten. Sinn und Zweck der Regelung sei es, den zügigen Abschluss des Promotionsvorhabens zu honorieren. Wer weniger als sechs Jahre benötige, könne mit der „eingesparten“ Zeit als Bonus die befristeten Beschäftigungen in der Post-Doc-Phase entsprechend verlängern. Damit werde sichergestellt, dass die gesamte Befristungshöchstdauer von zwölf Jahren aueschöpft werden könne, aber auch nicht überschritten werde (Bl. 62 d.A). Für diese Berechnung seien insbesondere Promotionszeiten ohne Beschäftigung zu berücksichtigen. Hieraus ergebe sich auch die Anrechenbarkeit von befristeten Beschäftigungsverhältnissen mit weniger als einem Viertel der regelmäßigen Arbeitszeit bei der Bestimmung der Ausschöpfung der zulässigen Befristungshöchstdauer (Bl. 63 d.A).
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Nach Maßgabe seiner Aufstellung (Bl. 82-88, 142-145 d.A) habe er die Zeiten seiner befristeten Beschäftigung in der Pre-Doc-Phase zum Zweck der Anfertigung seiner Dissertationsschrift genutzt, auch, soweit der Beschäftigungsumfang weniger als ein Viertel der regelmäßigen Arbeitszeit betragen habe. Als Beleg werde auf näher bezeichnete Stellen seiner gesamten Dissertationsschrift Bezug genommen (vgl. Bl. 153-382 d.A).
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Es sei die gefestigte Intention des Gesetzgebers sowohl zur Vorgängerregelung in § 57b Abs. 1 Satz 2 HRG (BT-Drucks. 14/6853, S. 30) als auch zu der Vorgängerregelung des § 2 WissZeitVG (BT-Drucks. 16/3438, S. 11), dass auch Beschäftigungsverhältnisse bis zu einem Viertel der regelmäßigen Arbeitszeit auf die Pre-Doc-Phase angerechnet würden und diese verbrauchten, wenn diese Beschäftigungsphase zum Zweck der Anfertigung einer Doktorschrift benutzt werde. In der nunmehr geltenden Fassung des § 2 WissZeitVG sei diese Intention in den Wortlaut aufgenommen worden, so dass die jeweils befristete Beschäftigung zur Förderung der eigenen wissenschaftlichen oder künstlerischen Qualifizierung erfolgen müsse. Dem folge das BAG im Umkehrschluss in seiner Entscheidung vom 27. September 2017 - 7 AZR 629/15 - (Bl. 89, 141 d.A).
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23
Im übrigen verkürze bereits der Eintritt des Doktoranden in die Promotionsphase durch Immatrikulation als Promotionsstudent oder Zuweisung eines Promotionsthemas gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 WissZeitVG die Bonuszeit ohne Rücksicht auf Vorhandensein, Art und Umfang einer Beschäftigung. Damit sei der Stundenumfang der Beschäftigungsverhältnisse in der Pre-Doc-Phase nicht relevant (Bl. 90 d.A).
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Den ursprünglichen Weiterbeschäftigungsantrag zu 2 haben die Parteien im Kammertermin vor dem Arbeitericht angesichts einer zwischenzeitlich erfolgten Prozessbeschäftigung übereinstimmend für erledigt erklärt (Bl. 384 d.A).
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Der Kläger hat zuletzt beantragt,
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festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund der im Arbeitsvertrag vom 08.06.2017 vereinbarten Befristung mit Ablauf des 12.08.2019 endet.
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Die beklagte Partei hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die beklagte Partei hat vorgetragen:
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30
Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 WissZeitVG sei die Befristung von Arbeitsverträgen von Personal, das nicht promoviert sei, bis zu einer Dauer von sechs Jahren zulässig (Pre-Doc-Phase). Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 WissZeitVG sei die Beschäftigung nach abgeschlossener Promotion bis zu einer Dauer von 6 Jahren zulässig (Post-Doc-Phase). Sodann enthalte § 2 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 und Satz 3 ff. WissZeitVG verschiedene Verlängerungsmöglichkeiten im Hinblick auf die zulässige Befristungsdauer. § 2 Abs. 3 WissZeitVG regele schließlich, dass abweichend vom TzBfG nicht nur die Befristungsdauer bei einem Arbeitgeber (Hochschule oder Forschungseinrichtung) zu betrachten sei, sondern entsprechende Vertragsverhältnisse mit sämtlichen deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen.
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Wenn der Kläger nun rüge, dass die Beschäftigungsdauer in seiner Post-Doc-Phase bereits mehr als sechs Jahre betrage, so sei das rechnerisch richtig. Er übersehe dabei jedoch, dass in seinem Fall die Verlängerung der Beschäftigungsdauer der Post-Doc-Phase gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 WissZeitVG einschlägig sei. Danach verlängere sich die zulässige Befristungsdauer in dem Umfang, in dem Zeiten einer befristeten Beschäftigung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 WissZeitVG und Promotionszeiten ohne Beschäftigung zusammen weniger als sechs Jahre betragen haben. Im Ergebnis heiße dies, dass eine in der Pre-Doc-Phase nicht voll aueschöpfte Beschäftigungsdauer an die Post-Doc-Phase angehangen werden könne (Bl. 44 d.A).
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Ein solcher Fall sei beim Kläger gegeben, denn aus der Aufstellung seiner Vorbeschäftigungszeiten in der Pre-Doc-Phase (Bl. 55 d.A) ergebe sich, dass weite Teile der dortigen Beschäftigungsverhältnisse unberücksichtigt bleiben müssten, weil bei diesen Beschäftigungsverhältnissen der notwendige Beschäftigungsumfang von einem Viertel der regelmäßigen Arbeitszeit nicht überschritten worden sei, vgl. § 2 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 WissZeitVG. Der Gesamtumfang der berücksichtigungsfähigen Beschäftigungsverhältnisse des Klägers in der Pre-Doc-Phase betrage - rechnerisch unstreitig - lediglich 44,97 Monate (Bl. 55, 80 - 82 d.A) und habe deshalb 27,03 Monate der möglichen sechs Jahre nicht aueschöpft (Bl. 45 d.A).
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33
Der Kläger habe infolgedessen in seiner Post-Doc-Phase im Umfang von sechs Jahren und 27,03 Monaten = 99,03 Monaten befristet beschäftigt werden dürfen. Damit seien die bislang mit dem Kläger in der Post-Doc-Phase vereinbarten Befristungszeiten im Umfang von 99 Monaten zulässig gewesen und auch die Befristung im Arbeitsvertrag vom 8. Juni 2017 wirksam.
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Auch die Beschäftigungszeiten der Pre-Doc-Phase mit einem Beschäftigungsumfang von mehr als einem Viertel der regelmäßigen Arbeitszeit seien nicht zu berücksichtigen, wenn betreffende Beschäftigung nicht der wissenschaftlichen Qualifizierung diene. Somit seien die Beschäftigungen des Klägers aus der Pre-Doc-Phase nicht gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2, Abs. 3 WissZeitVG anzurechnen, unabhängig davon, ob diese der wissenschaftlichen Qualifikation gedient hätten (Bl. 138 d.A).
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Mit Nichtwissen werde bestritten, dass der Kläger alle Zeiten seiner befristeten Beschäftigung in der Pre-Doc-Phase zur Anfertigung seiner Doktorarbeit genutzt habe (Bl. 138 d.A).
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36
Mit Urteil vom 5. März 2020 - 3 Ca 1039/19 - hat das Arbeitsgericht Mainz der Klage stattgegeben.
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Zur Begründung hat es - zusammengefasst - ausgeführt:
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Für die Frage nach der Beachtlichkeit von Arbeitsverhältnissen mit weniger als einem Viertel der regelmäßigen Arbeitszeit bei der Ermittlung der Höchstbefristungsdauer einer Post-Doc-Stelle sei das Zusammenspiel von § 2 Abs. 3 WissZeitVG und § 2 Abs. 1 Satz 2 WissZeitVG zu beachten; hier komme es auf die Auslegung des Gesetzes an.
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§ 2 Abs. 3 WissZeitVG beziehe sich auf den gesamten § 2 Abs. 1 WissZeitVG und damit auf die zulässige Befristungsdauer vor wie auch nach der Promotion. Mit der Wendung „zulässige Befristungsdauer“ in § 2 Abs. 3 WissZeitVG sei jeweils der Zeitraum von sechs Jahren gemeint und bei der Vorschrift zur Anrechnung alle in den jeweiligen Zeitraum fallenden befristeten Beschäftigungsverhältnisse mit einer deutschen Hochschule oder Forschungseinrichtung gemeint. Die Anrechnung beziehe sich auf die jeweilige Phase. Demgegenüber enthalte § 2 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 WissZeitVG eine Sonderregelung, die ausweislich ihres Wortlauts neben Zeiten einer befristeten Beschäftigung auch Promotionszeiten ohne Beschäftigung einbeziehe.
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Mit der Einbeziehung von Promotionszeiten ohne Beschäftigung liege es nahe, Zeiten mit Beschäftigung unabhängig davon, ob es sich um Zeiten mit geringen Beschäftigungsumfang handele, in den Anwendungsbereich der Norm einzuordnen. Für die Verlängerung nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 WissZeitVG käme nach dieser Auslegung die einschränkende Anrechnung nach § 2 Abs. 3 WissZeitVG nicht zum Tragen. Diese Auslegung vermeide einen Widerspruch, der darin bestehe, dass nach dem Verständnis der beklagten Partei Zeiten mit einer Beschäftigung im Volumen Null und mit einem Volumen ab 25 % Anrechnung fänden, nicht aber solche mit einem Volumen zwischen 0 und 25 %. Ein solches Verständnis lasse sich auch mit den Zielen des Gesetzes nicht in einen sinnvollen Einklang bringen.
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Ausweislich der Gesetzesbegründung in der BT-Drucks. 16/3438 solle mit der Verlängerungsregel im § 2 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 WissZeitVG eine zügige Promotionsphase honoriert werden, gleichgültig, ob sie innerhalb oder außerhalb des Beschäftigungsverhältnisses nach § 2 Abs. 1 Satz 1 iVm. Abs. 3 Satz 1 WissZeitVG absolviert worden sei. Wer innerhalb oder außerhalb eines solchen Beschäftigungsverhältnisses schneller als in sechs Jahren zum Abschluss seiner Promotion gelange, der könne die eingesparte Zeit in der Post-Doc-Phase entsprechend anhängen. Die Anrechnungsregelung stelle sicher, dass die inesamt zulässige Höchstdauer von zwölf Jahren nicht überschritten werde, andererseits aber auch aueschöpft werden könne. Die Berücksichtigung von Promotionszeiten ohne Beschäftigungsverhältnis bei der Berechnung des nach der Promotion zur Verfügung stehenden Befristungsrahmens folge aus dem Verständnis der nach § 2 Abs. 1 WissZeitVG eröffneten Möglichkeiten zum Abschluss befristeter Arbeitsverhältnisse als typisierte Qualifizierungsphase.
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Zielsetzung der Regelung sei nicht, den „Nichtverbrauch“ von befristeten Beschäftigungsmöglichkeiten vor Abschluss der Promotion zu honorieren. Dementsprechend könne es auch nicht darauf ankommen, ob die Promotion im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses oder außerhalb eines solchen absolviert worden sei.
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Beschäftigungsverhältnisse, die realistischerweise nicht zur wissenschaftlichen oder künstlerischen Qualifizierung genutzt werden, seien nicht in die Befristungshöchstdauer einzurechnen. Nach dem Grundprinzip des § 2 Abs. 1 Satz 2 WissZeitVG sei aber auch diese Zeit anzurechnen, wenn diese Beschäftigungsphase zum Zweck der Anfertigung einer Doktorschrift genutzt werde. Aus diesem Grund habe das BAG in der Entscheidung vom 27. September 2017 - 7 AZR 629/15 - eine teleologische Reduktion auf Zeiten solcher befristeten Beschäftigungsverhältnisse angenommen, die zur wissenschaftlichen Qualifikation genutzt werden könnten. Andere Beschäftigungen an Hochschulen, wie etwa reine Verwaltungstätigkeiten, habe es bei der Anrechnung auenommen. Auch in der nachfolgenden Entscheidung vom 21. August 2019 - 7 AZR 563/17 - habe das BAG ausdrücklich offengelassen, ob § 2 Abs. 3 WissZeitVG mit der Möglichkeit der zeitlich unbegrenzten Fortführung derartiger befristeter Teilzeitverträge aus europarechtlichen Gründen unwirksam sei.
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Die Frage könne auch hier aber offenbleiben, weil nach Auslegung von Wortlaut und Gesetzeszweck jedenfalls dann keine anrechnungsfreien Zeiten aus der Phase vor der Promotion vorlägen, wenn der Gesamtzeitraum für die Anfertigung der Promotionsschrift genutzt worden sei. Dies habe der Kläger vorgetragen. Die Einwände der Beklagten seien in tatsächlicher Hinsicht nicht konkret erhoben worden.
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Maßgeblich sei nicht, dass der Kläger während seines Arbeitsverhältnisses als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Promotionsschrift geschrieben habe, sondern ausweislich der Zwecksetzung des Gesetzes, dass er den Zeitraum für die Förderung seines Promotionsprojekts genutzt habe. Die Darlegung und Beweislast für die Wirksamkeit der Befristung treffe den Arbeitgeber. Das betreffe auch die Frage, ob eine frühere Beschäftigung zur wissenschaftlichen Qualifizierung habe genutzt werden können und daher auf die Höchstdauer anzurechnen sei. Das bestreiten mit Nichtwissen seitens der Beklagten genüge daher nicht.
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Demnach sei die Höchstbefristungsdauer überschritten und die Befristung im Arbeitsvertrag vom 8. Juni 2017 nicht nach § 2 WissZeitVG gerechtfertigt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgeerichts wird auf die Entscheidungsgrründe seines Urteils Bezug genommen (Bl. 387 ff. d.A).
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Gegen das ihr am 15. Mai 2020 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 27. Mai 2020, beim Landesarbeitsgeericht Rheinland-Pfalz eingegangen am selben Tag, Berufung eingelegt und mit Schriftsatz vom 2. Juli 2020, eingegangen am selben Tag, die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 6. August 2020 beantragt. Dem Antrag wurde entsprochen. Mit Schriftsatz vom 24. Juli 2020, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangen am 31. Juli 2020, hat die beklagte Partei die Berufung begründet.
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Hierzu trägt sie im wesentlichen vor:
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§ 2 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 WissZeitVG bestimme, dass die zulässige Befristungsdauer sich in dem Umfang verlängere, indem Zeiten einer befristeten Beschäftigung nach Satz 1 (Pre-Doc-Phase) und Promotionszeiten ohne Beschäftigung nach Satz 1 zusammen weniger als sechs Jahre betrügen. Mit anderen Worten verlängere sich die Befristungshöchstdauer der Post-Doc-Phase um den Zeitraum, der während der Pre-Doc-Phase gegenüber den vorgesehenen sechs Jahren habe eingespart werden können.
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Gemäß § 2 Abs. 3 WissZeitVG seien auf die in Abs. 1 geregelte zulässige Befristungsdauer alle befristeten Arbeitsverhältnisse mit mehr als einem Viertel der regelmäßigen Arbeitszeit, die mit einer deutschen Hochschule oder einer Forschungseinrichtung abgeschlossen worden seien, anzurechnen.
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Soweit das Arbeitsgericht davon ausgehe, dass die einschränkende Regelung in § 2 Abs. 3 WissZeitVG auf die Verlängerung der Befristungshöchstdauer nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 WissZeitVG keine Anwendung finde, also jegliche Beschäftigung zu berücksichtigen sei, könne dem nicht gefolgt werden. Das Arbeitsgericht verkenne die Intention des Gesetzgebers, erst ab einem gewissen Beschäftigungsumfang davon auszugehen, dass die Beschäftigung zur eigenen wissenschaftlichen Qualifizierung genutzt werde.
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Nach der gesetzgeberischen Intention dürften solche Beschäftigungsverhältnisse nicht in die Berechnung der Befristungshöchstdauer eingerechnet werden, die realistischerweise nicht zur wissenschaftlichen Qualifizierung haben genutzt werden können, was bei Arbeitsverhältnissen bis zu einem Viertel der regelmäßigen Arbeitszeit angenommen werde. Insbesondere untergeordnete Nebenbeschäftigungen blieben damit anrechnungsfrei, was zum inhaltleichen früheren Recht bereits in der BT-Drucks. 14/6853 S. 30 ausgeführt worden sei (Bl. 425 d.A).
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Entscheidend für die Anrechnung sei deshalb der zeitliche Umfang der Beschäftigung.
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Das Arbeitsgericht hingegen habe aus § 2 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 WissZeitVG, wonach auch Promotionszeiten ohne Beschäftigung in die Befristungsdauer einbezogen werden könnten, den Schluss gezogen, dass jegliche Beschäftigungsverhältnisse während der Pre-Doc-Phase unabhängig vom Beschäftigungsumfang auf die Befristungshöchstdauer anzurechnen seien. Diese Auslegung habe zur Folge, dass § 2 Abs. 3 WissZeitVG in diesem Zusammenhang überhaupt nicht zur Anwendung käme.
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Das stehe jedoch in eindeutigem Widerspruch zur gesetzlichen Intention, wonach bestimmte Beschäftigungen, die ihrem Umfang nach nicht der Förderung der eigenen wissenschaftlichen Qualifizierung dienen (könnten), nicht auf die Befristungsdauer angerechnet werden sollten. Es erscheine deshalb vorzugswürdig, die Regelung in § 2 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 WissZeitVG vor dem Hintergrund des § 2 Abs. 3 WissZeitVG einschränkend auszulegen. Zur Anrechnung auf die Befristungsdauer kämen hiernach nur solche Beschäftigungsverhältnisse, die den Anforderungen des § 2 Abs. 3 WissZeitVG genügten, also mehr als 25 % des Vollzeitbeschäftigungsaufwandes aufwiesen (Bl. 425 d.A).
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Der vom Arbeitsgericht aufgeworfene vermeintliche Widerspruch, dass hiernach Beschäftigungsverhältnisse mit einem Beschäftigungsumfang zwischen einem und 25 % nicht angerechnet würden, Promotionszeiten ohne Beschäftigung hingegen schon, lasse sich vor dem Hintergrund des § 2 Abs. 3 WissZeitVG erklären. § 2 Abs. 3 WissZeitVG wolle sicherstellen, dass nur Beschäftigungsverhältnisse bzw. solche Zeiten, die zweifelsfrei der wissenschaftlichen Qualifizierung dienten, anrechenbar seien. Reine Promotionszeiten ohne Beschäftigung dienten naturgemäß der eigenen wissenschaftlichen Qualifizierung und seien deshalb von den Anforderungen des § 2 Abs. 3 WissZeitVG ausgenommen.
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Da die streitgegenständlichen Zeiträume sich jedoch auf Beschäftigungs- und nicht auf Promotionszeiten bezögen, fänden die Einschränkungen des § 2 Abs. 3 WissZeitVG Anwendung. Demnach seien diejenigen Beschäftigungsverhältnisse mit einem Beschäftigungsumfang von weniger als 25 % der Vollzeitbeschäftigung herauszurechnen. Übrig blieben hiernach für die Pre-Doc-Phase des Klägers 44,97 Monate anrechenbare Beschäftigung, weshalb im Umfang von 27,03 Monaten die Höchstbefristungsdauer der Post-Doc-Phase des Klägers auf insgesamt 99,03 Monate habe erhöht werden können. Dies sei mit dem Arbeitsvertrag vom 8. Juni 2017 nicht überschritten worden.
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Die beklagte Partei beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 5. März 2020, Az. 3 Ca 1039/19, zugestellt am 4. Mai 2020, abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 05.03.2020, AZ 3 Ca 1039/19, zurückzuweisen.
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Zur Verteidigung gegen die Berufung der beklagten Partei wiederholt und vertieft der Kläger sein erstinstanzliches Vorbringen und verteidigt im übrigen die Entscheidung des Arbeitsgerichts.
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Die Auslegung des Arbeitsgerichts orientiere sich am Wortlaut und dem gesetzgeberischen Ziel. Danach lägen jedenfalls dann keine anrechnungsfreien Zeiten aus der Pre-Doc-Phase vor, wenn der Gesamtzeitraum von sechs Jahren gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 WissZeitVG für die Anfertigung der Promotionsschrift genutzt worden sei. Das ergebe sich auch aus der Gesetzesbegründung in der BT-Drucks. 16/3438, S. 12: „Nach dem Grundprinzip des § 2 Abs. 1 Satz 2 ist aber auch diese Zeit anzurechnen, wenn diese Beschäftigungsphase zum Zweck der Anfertigung einer Doktorschrift genutzt wird.“
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Unter Berücksichtigung der Intention des Gesetzgebers bei der Anwendung des § 2 Abs. 1 WissZeitVG habe bereits das BAG (27. September 2017 - 7 AZR 629/15) eine teleologische Reduktion auf Zeiten solcher befristeten Beschäftigungsverhältnisse angenommen, die zur wissenschaftlichen Qualifikation genutzt werden könnten. Daraus folge im Umkehrschluss, dass Beschäftigungsverhältnisse angerechnet werden könnten, wenn sie denn im Ergebnis zur wissenschaftlichen Qualifikation und Anfertigung der Promotionsarbeit genutzt werden könnten.
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Dem folge auch die Literatur. Danach verkürze der Eintritt des Doktoranden in die Promotionsphase durch Immatrikulation als Promotionsstudent oder Zuweisung eines Themas gemäß § 2 Satz 2 Halbs. 2 WissZeitVG die Bonuszeit ohne Rücksicht auf das Vorhandensein, Art und Umfang einer Beschäftigung.
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Den vom Arbeitsgericht aufgezeigten Widerspruch habe die Beklagte nicht entkräften können. Sie sei der Auffassung, dass reine Promotionszeiten ohne Beschäftigung naturgemäß der eigenen wissenschaftlichen Qualifizierung dienten und deshalb von den Anforderungen des § 2 Abs. 3 WissZeitVG ausgenommen seien. Bei Beschäftigungsverhältnissen unter 25 % sei eine wissenschaftliche Qualifikation und eine Verwendung der Beschäftigungszeit zum Zweck der Anfertigung einer Promotionsschrift nicht möglich, so die Beklagte. Der Kläger habe jedoch substantiiert mit Beweisangeboten dargelegt, dass auch die Beschäftigungsverhältnisse mit einem Umfang von weniger als 25 % einer Vollzeittätigkeit in vollem Maße seiner wissenschaftlichen Qualifizierung und der Anfertigung seiner Promotionsschrift gedient hätten. Dem sei die Beklagte nicht entgegengetreten.
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Schließlich könne sich die Beklagte auf § 2 Abs. 3 WissZeitVG auch deshalb nicht berufen, weil die Regelung die Möglichkeit einer zeitlich unbegrenzten Fortführung befristeter Teilzeitverträge eröffne dies stehe offensichtlich im Widerspruch mit der Intention des Gesetzgebers und sei mit der Befristungsrichtlinie 1999/70/EG nicht zu vereinbaren.
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69
Wegen des Sach- und Streitstands im übrigen wird auf den gesamten Akteninhalt, insbesondere auf die Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle verwiesen. | 1. Die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 5. März 2020 - 3 Ca 1039/19 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen. | 0 |
AG Bad Segeberg | Schleswig-Holstein | 0 | 1 | 31.01.2013 | 1 | Randnummer
1
Der Kläger begehrt von den Beklagten Zahlung von Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall in W….
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2
Am 14.04.2012 befuhr der Kläger mit dem in seinem Eigentum stehenden Pkw der Marke Golf mit dem amtlichen Kennzeichen … die O…straße in … W…. Dort kam es beim Überholen eines am rechten Fahrbahnrand parkenden Pkw zur Kollision zwischen dem von ihm geführten Pkw und dem dahinter fahrenden, von der Beklagten zu 1. geführten Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen …. Die Einzelheiten über den Unfallhergang stehen zwischen den Parteien im Streit.
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3
Der Kläger hat seinen Sachschaden zunächst auf der Grundlage eines Privatsachverständigengutachtens des Ingenieurbüros … vom 27.04.2012 (Bl. 5-18 d.A.) auf einen Wiederbeschaffungsaufwand in Höhe von 1.400,00 € sowie eine Nutzungsausfallentschädigung für 10 Tage á 29,00 €, insgesamt also 290,00 € zuzüglich einer Unkostenpauschale in Höhe von 25,00 € errechnet.
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4
Mit Schreiben vom 11.06.2012 teilte die Beklagte zu 2. mit, keinen Schadensersatz zu leisten.
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Mit seiner Klage vom 01.08.2012 hat der Kläger seine Ersatzansprüche zunächst weiterverfolgt. Ferner hat er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Mit Beschluss des Gerichts vom 21.09.2012 hat dieses dem Kläger Prozesskostenhilfe in Höhe von 950,00 € (2/3 des Wiederbeschaffungsaufwands und der Unkostenpauschale) zzgl. außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 155,30 € bewilligt und im Übrigen den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt (Bl. 34-37 d.A.).
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6
Mit Verfügung des Gerichts vom 21.09.2012 ist den Beklagten die Klageschrift sodann zugestellt worden, soweit Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist. Mit am 11.10.2012 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 05.10.2012 hat der Kläger erklärt, dass Klage nur im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe erhoben wird und im Übrigen der Antrag auf Prozesskostenhilfe zurückgenommen werde. In dem Termin am 13.12.2012 hat der Klägervertreter klargestellt, dass mit dem Schriftsatz vom 05.10.2012 auch die Klage zurückgenommen werden sollte, soweit diese über die bewilligte Prozesskostenhilfe hinausgeht.
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Der Kläger behauptet, er habe hinter dem rechts am Fahrbahnrand parkenden Fahrzeug gehalten, um den entgegen kommenden Pkw des Zeugen M… durchfahren zu lassen, wobei er dafür kurz den Rückwärtsgang eingelegt und seinen Pkw zurückgesetzt habe. Als der Pkw des Zeugen M… nahezu durchgefahren sei, habe er den Fahrtrichtungsanzeiger nach links gesetzt und habe sich durch doppelte Rückschau versichert, dass hinter ihm kein Fahrzeug kommt und habe zum Überholen angesetzt. Als er mit seinem Pkw etwa auf halber Höhe des parkenden Pkw gewesen sei, sei die Beklagte zu 1. plötzlich und offenbar mit überhöhter Geschwindigkeit in die vordere linke Fahrzeugseite seines Pkw gefahren. Aus den Beschädigungen an den Fahrzeugen ergebe sich, dass die Beklagte zu 1. in das Fahrzeug des Klägers hinein gefahren sei (Beweis: Sachverständigengutachten).
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Er beantragt,
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1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 950,00 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 26.05.2012 zu zahlen;
2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen außergerichtliche Kosten in Höhe von 155,30 € zu zahlen.
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Die Beklagten beantragen,
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11
die Klage abzuweisen.
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Die Beklagten tragen vor, die Beklagte zu 1. habe die O…straße zum Unfallzeitpunkt mit einer Geschwindigkeit von ca. 30 bis 35 km/h befahren.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen M… und J…. Ferner hat das Gericht den Kläger und die Beklagten zu 1. persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme sowie der Parteianhörung wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 13.12.2012 (Bl. 77-91 d.A.). | Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Der Streitwert wird bis zum 10.10.2012 auf 1.715,00 € und danach auf 950,00 € festgesetzt. | 0 |
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg 13. Senat | Berlin | 0 | 0 | 13.12.2012 | 0 | Randnummer
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Die Beteiligten streiten über die Zuerkennung der Merkzeichen „aG“ (außergewöhnliche Gehbehinderung) und „RF“ (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht).
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2
Auf den Antrag des 1929 geborenen Klägers vom 10. Januar 2011 stellte der Beklagte mit Bescheid vom 13. April 2011 bei ihm einen GdB von 100 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen „G“ und „B“ fest, lehnte jedoch die Zuerkennung der Merkzeichen „aG“ und „RF“ ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2011 ab, der am 31. Mai 2011 mit einfachem Brief zur Post gegeben wurde.
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Am 6. Juli 2011 ist bei dem Sozialgericht Cottbus die Klageschrift vom 5. Juli 2011 als Telefax eingegangen. Dem am folgenden Tag eingereichten Original Klageschrift ist eine Kopie des Widerspruchsbescheides beigefügt worden, die einen Stempel der Prozessbevollmächtigten des Klägers mit dem Datum „6. Juni 2011“ trägt.
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Nach Anhörung des Klägers hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 26. April 2012 die auf die Zuerkennung der Merkzeichen „aG“ und „RF“ gerichtete Klage als unzulässig abgewiesen: Der Kläger habe die Klagefrist des § 87 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) versäumt. Der Widerspruchsbescheid gelte nach § 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X) am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post, also am 3. Juni 2011, als bekannt gegeben. Die Klagefrist von einem Monat habe, da der 3. Juli 2011 ein Sonntag gewesen sei, nach § 64 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 SGG am 4. Juli 2011 geendet, weshalb die am 6. Juli 2011 eingegangene Klage verspätet sei.
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Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt, zu deren Begründung er vorträgt: Aus dem Eingangsstempel ergebe sich, dass der Widerspruchsbescheid am 6. Juni 2011 im Büro der Prozessbevollmächtigten eingegangen sei.
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Der Kläger beantragt,
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den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 26. April 2012 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Cottbus zurückzuverweisen,
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind. | Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 26. April 2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung – auch über die Kosten des Berufungsverfahrens – an das Sozialgericht Cottbus zurückverwiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
VG Kassel | Hessen | 0 | 1 | 07.06.2021 | 1 | Der Kläger steht als Polizeibeamter in den Diensten des Beklagten. Er versieht seinen Dienst im Statusamt eines Polizeihauptkommissars bei der Polizeiautobahnstation ...
Der dortige Dienstplan ist als Rahmendienstplan ausgestaltet. Er sieht grundsätzlich von Montag bis Freitag den Dienst zwischen 6.00 und 20.00 Uhr vor, wobei der Dienstplan auf eine Vier-Tage-Woche ausgelegt ist. Dies bedeutet, dass der Kläger - wie auch seine Kollegen - jeweils von Montag bis Freitag arbeitet. An den Wochenenden wird nicht gearbeitet, jedoch an den Feiertagen. Von diesen fünf Tagen haben die Beamten jeweils montags oder mittwochs frei. Die tägliche Arbeitszeit beträgt an den vier Tagen bei Beamten, die jünger als 50 Jahre sind, jeweils 10 Stunden und 30 Minuten, bei Beamten, die 50 Jahre oder älter sind, 10 Stunden und 15 Minuten. Beim Kläger beträgt sie, da er als Schwerbehinderter anerkannt ist, 10 Stunden. Die Arbeitszeit liegt in der Zeit zwischen 6.00 Uhr morgens und 18.00 abends, wobei diese Stunden jeweils ohne Pause durchzuarbeiten sind.
Nach der Änderung des Hessischen Beamtengesetzes durch das 2. Dienstrechtsmodernisierungsgesetz zum 1. März 2014 wurde der Kläger erstmals mit Bescheid vom 29. Juni 2016 über seine Altersgrenze zum Eintritt in den Ruhestand informiert. Dabei wurden auch die Belastungszeiten gemäß
§ 112 Abs. 3 HBG
einbezogen. Aufgrund dieser Zeiten, die auf insgesamt 18 Jahre und 24 Tage festgesetzt wurden, wurde für den Kläger als Altersgrenze mit Anrechnung von Belastungszeiten der 28. Februar 2033 ermittelt. Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf Blatt 6 - 8 der Behördenakte verwiesen.
Mit weiterem Bescheid vom 5. Februar 2018 änderte der Beklagte die Berechnung ab und erkannte nunmehr 20 Jahre und 32 Tage als Belastungszeiten an. Damit wurde als Altersgrenze mit Anrechnung von Belastungszeiten der 31. August 2032 festgesetzt. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 9 und 10 der Behördenakte verwiesen.
Nachdem das Polizeipräsidium Nordhessen durch interne Mitteilung vom 3. April 2019 erfahren hatte, dass der Kläger seit geraumer Zeit keinen Schichtdienst mehr verrichtete, wies die Behörde den Kläger mit Anhörungsschreiben vom 9. April 2019 (Blatt 15 f. der Behördenakte) darauf hin, dass eine neue Berechnung der Belastungszeiten vorgesehen sei. Im Rahmen einer Verwaltungsprüfung, so in der Begründung des Schreibens, sei festgestellt worden, dass die Zeiten ab dem 1. Januar 2011 bis 5. Februar 2018 nicht korrekt ermittelt worden seien, da der Kläger seit dem 26. Februar 2008 Tagesdienst versehe. Dieser falle nicht unter die berücksichtigungsfähigen Belastungszeiten. Dies bedeute, dass die Altersgrenze auf den 31. August 2033 falle und nicht, wie im Bescheid vom 5. Februar 2018 mitgeteilt, bereits auf den 31. August 2032. Es sei beabsichtigt, den Bescheid vom 5. Februar 2018 zurückzunehmen. Dem Kläger wurde Gelegenheit zur Äußerung gegeben.
Diese nahm er mit Schreiben vom 23. April 2019 wahr (Blatt 17 der Behördenakte) und trug vor, bereits im Bescheid vom 29. Januar 2016 sei festgestellt worden, dass seine Tätigkeit in den Sonderdiensten der Polizeiautobahnstation ab dem 1. Januar 2011 eine Verwendung im Schichtdienst darstelle. Der Schichtdienstplan mit vier Arbeitstagen pro Woche und einer Arbeitszeit von bis zu 10 ½ Stunden am Tag bedinge, dass keine regelmäßigen Arbeitszeiten gemäß
§§ 1
und
2 der Hessischen Polizeiarbeitszeitverordnung
(Verordnung vom 21. Juli 2017, im Folgenden: HPolAZV) vorlägen. Nach
§ 1 Abs. 2 der Hessischen Arbeitszeitverordnung (HAZVO)
, auf die die HPolAZV verweise, dürften die regelmäßigen Arbeitszeiten 10 Stunden nicht überschreiten. Dies sei beim Kläger nicht eingehalten worden. Außerdem sei eine Pausenregelung vorgeschrieben. Auch diese sei nicht gegeben.
Mit Bescheid vom 3. Juni 2019 (Blatt 28 ff. der Behördenakte, 4 ff. der Gerichtsakte) nahm das Polizeipräsidium Nordhessen den Bescheid vom 5. Februar 2018 über die Feststellungen der für den Ruhestandszeitpunkt berücksichtigungsfähigen Belastungszeiten zurück. In der Begründung heißt es, dieser Bescheid sei rechtswidrig. Nach der Definition des § 4 Abs. 1 Satz 1 HPolAZV liege kein Schichtdienst vor. Bei der täglichen Rahmenarbeitszeit des Klägers handele es sich nicht um einen regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeitszeit. Auch der Hinweis darauf, dass der Schichtdienstplan eine tägliche Arbeitszeit von 10,5 Stunden vorsehe, rechtfertige keine andere Betrachtung. Auf den Wechsel der Zeiten komme es nicht an, da bereits kein regelmäßiger täglicher Wechsel der Arbeitszeit vorliege.
Soweit der Kläger auf die bisherige Feststellung vertraut habe, sei dieses Vertrauen nicht schutzwürdig. Bei der erforderlichen Abwägung sei die Herstellung eines rechtmäßigen Zustands hervorzuheben. Es komme hinzu, dass der frühere Eintritt der Altersgrenze im Fall des Klägers ggf. mit erheblichen fiskalischen Belastungen einhergehe und damit ein erhebliches öffentliches Interesse an der Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustandes bestehe. Demgegenüber stehe lediglich das Vertrauen des Klägers in die Festlegung seiner Altersgrenze. Hier sei es so, dass dieser Zeitpunkt noch mehr als 13 Jahre in die Zukunft liege. Auch unter diesem Aspekt falle die Abwägung mit dem öffentlichen Interesse zu Lasten des Klägers aus. Die Rücknahme des Bescheides vom 29. Januar 2016 sei nicht erforderlich gewesen, da sich dieser durch den Erlass des Bescheides vom 5. Februar 2018 erledigt habe.
Ergänzend wies der Beklagte darauf hin, dass der Kläger nicht, wie in der Anhörung angegeben, seit dem 26. Februar 2008 Tagesdienst verrichte, sondern erst seit dem 6. April 2009, Das sei für den Kläger günstiger. Im Ergebnis verblieben hier berücksichtigungsfähige Belastungszeiten von 11 Jahren und 89 Tagen.
Es sei auch die Jahresfrist gemäß
§ 48 Abs. 4 HVwVfG
eingehalten worden. Erst am 3. April 2019 sei durch den Sachgebietsleiter des Sachgebiets 5 mitgeteilt worden, dass es sich bei der durch den Kläger ausgeübten Tätigkeit nicht um Schichtdienst handele. Erst ab diesem Zeitraum sei klar gewesen, dass der Bescheid vom 26. Januar 2019 rechtswidrig sei.
Mit Anwaltsschreiben vom 27. Juni 2019 legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 5. Juni 2019 ein. In der Begründung bezog er sich auf die Regelung des
§ 112 Abs. 3 HBG
und die Definition in § 4 HPolAZV. Danach handele es sich um Schichtdienst, wenn der Dienst nach einem Schichtplan verrichtet werde, der einen regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeitszeit in Zeitabschnitten von längstens einem Monat vorsehe. Eine Tätigkeit während der Nacht sei also gerade nicht erforderlich.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13. November 2019 wies das Polizeipräsidium Nordhessen den Widerspruch des Klägers zurück. In der Begründung heißt es, ein Schichtdienst liege nicht vor, da der Kläger seinen Dienst bei der Polizeiautobahnstation … mit einer werktäglichen Rahmenarbeitszeit zwischen 6.00 und 20.00 Uhr verrichte. Es gebe daher gerade keinen Wechsel der täglichen Arbeitszeit, vielmehr liege ein Rahmenarbeitszeitmodell mit der vorgenannten Rahmenzeit vor. Der Dienst werde auch nicht für längstens einen Monat, sondern vielmehr dauerhaft hinterlegt. Der Widerspruchsbescheid ging den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 18. November 2019 zu.
Am 17. Dezember 2019 hat der Kläger Klage erhoben. Er trägt vor, es handele sich entgegen der Auffassung des Beklagten bei der Tätigkeit des Klägers um Schichtdienst. Die Arbeitszeiten des Klägers wären nach der „normalen“ Arbeitszeitverordnung unzulässig, da die tägliche Arbeitszeit von 10 Stunden überschritten werde und auch eine Pausenregelung nicht vorgesehen sei.
Es liege auch ein Schichtdienst vor, denn der Kläger arbeite an den jeweiligen fünf Werktagen einer Woche jeweils unterschiedlich. An einem Tag werde 10 Stunden und dafür an einem anderen Tag null Stunden gearbeitet. Eine Wechselschicht, verbunden mit der Tätigkeit bei Nacht, sei nicht Voraussetzung für
§ 112 Abs. 3 HBG
. Ferner sei der Kläger im Jahr 2019 den Sonderdiensten als Gefahrgutsachbearbeiter zugeordnet. Ursprünglich sei diese Tätigkeit im Schichtmodell durchgeführt worden. Mit Einführung des Zeiterfassungssystems ICMA hätten sich jedoch Probleme mit der Arbeitszeiterfassung ergeben. Daraufhin seien die Arbeitszeiten so umgestellt worden wie sie heute seien. Gegen Ende des Jahres 2015 sei erstmals ein Rahmendienstplan hinterlegt worden. Dabei sei ein Abzug gemäß der Pausenregelung aufgrund der Vorgaben der Arbeitszeitverordnung erfolgt. Die Prüfung durch die zuständige Verwaltungsstelle habe ergeben, dass aufgrund der Arbeitszeiten und des Schichtablaufs die Tätigkeit als Schichtdienst gewertet werde. Danach sei die Belastung des Klägers und seiner Kollegen deutlich höher als diejenige der Beamten, die lediglich den allgemeinen Tagdienst an fünf Tagen in der Woche mit acht bis neun Stunden und entsprechender Pause ausübten. Der Kläger habe sich darauf verlassen, dass die Zeiten entsprechend anerkannt würden.
Der Kläger beantragt,
die Bescheide des Beklagten vom 5. Juni 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2019 aufzuheben und die Zeit bis zum 5. Juni 2019 als berücksichtigungsfähige Belastungszeit von 21 Jahren und 152 Tagen anzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 16. Oktober 2020 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf Gerichts- und Behördenakten. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. | 0 |
AG Charlottenburg | Berlin | 1 | 0 | 06.10.2015 | 0 | Randnummer
1
Die Beklagte mietete mit Vertrag vom 30.09.2011 (Anlage K 1 = Bl. 9 - 21) die streitgegenständliche Wohnung an. Der Kläger ist auf Vermieterseite gemäß § 566 BGB in das Vertragsverhältnis eingetreten. Die Miete beträgt seit September 2014 nun 313,00 € zzgl. Nebenkostenvorschüssen, insgesamt 459,00 €.
Randnummer
2
Per 15.01.2015 bestanden Rückstände in Höhe von 468,76 €, die anderweitig tituliert wurden. Darin waren rückständige Mieten in Höhe von 315,01 € für die Zeit von September 2014 - Januar 2015 enthalten.
Randnummer
3
Unstreitig bestehen weitere Rückstände, die Miete wird auch aktuell nicht vollständig gezahlt. Streitgegenständlich sind hier die Rückstände für Februar - Mai 2015 in Höhe von insgesamt 972,04 €. Wegen der Zusammensetzung im Einzelnen wird auf die Klageschrift (Bl. 6) Bezug genommen.
Randnummer
4
Der Kläger verlangt weiterhin Räumung und Herausgabe der Wohnung und stützt dies auf die Kündigungen vom 25.02.2015 (Anlage K 7 = Bl. 42) vom 27.04.2015 (Anlage K 9 = Bl. 47) und vom 17.0.5.2015 (Anlage K 11 = Bl. 49).
Randnummer
5
Das Gericht hat klagezusprechendes Versäumnisurteil erlassen (Bl. 59, 60), allerdings unter Berücksichtigung zwischenzeitlich gezahlter 837,02 €.
Randnummer
6
Der Kläger beantragt,
Randnummer
7
das Versäumnisurteil vom 06.08.2015 aufrecht zu erhalten.
Randnummer
8
Die Beklagte beantragt,
Randnummer
9
das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Randnummer
10
Sie beantragt darüber hinaus Einräumung einer großzügigen Räumungsfrist mit dem Argument, dass sie spätestens am 08.10.2015 die ersten 200,00 € auf die Rückstände zahlen werde.
Randnummer
11
Die Beklagte trägt vor, ihre Mieten würden eigentlich unmittelbar vom Jobcenter an den Vermieter gezahlt. Das Jobcenter verweigere aber zu Unrecht die Zahlung. Die Beklagte habe insoweit eine einstweilige Verfügung gegen das Jobcenter erwirkt. | 1. Das Versäumnisurteil vom 6. August 2015 bleibt aufrechterhalten.
2. Die Beklagte trägt die weiteren Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die vorläufige Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil darf nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 2.500,00 € fortgesetzt werden.
4. Eine Räumungsfrist wird nicht gewährt. | 0 |
Verwaltungsgericht des Saarlandes 1. Kammer | Saarland | 0 | 1 | 28.04.2020 | 1 | Randnummer
1
Die Klägerin betreibt in dem Gebäude Straße in x seit dem Jahr 2010 eine Spielhalle.
Randnummer
2
Der Beklagte erteilte der Klägerin auf Antrag im Rahmen eines Auswahlverfahrens mit Bescheid vom 17.09.2018 mit Wirkung ab dem 01.07.2017 eine bis zum 30.06.2022 befristete (weitere) Erlaubnis zum Betrieb der Spielhalle in dem Gebäude Straße in x unter Bezugnahme auf den Bauschein der Unteren Bauaufsichtsbehörde des Landrates in vom 03.11.2009, Aktenzeichen 63-00746/09. In dem Bescheid vom 17.09.2018 ist unter „III. Hinweise“ folgender Passus enthalten:
Randnummer
3
„Die Höchstzahl der Spielgeräte mit Gewinnmöglichkeit bestimmt sich nach § 3 Abs. 2 SpielV. Die Grundfläche im Sinne des § 3 Abs. 2 SpielV beträgt nach der vorgelegten Planskizze
146,44 m²
– laut bauaufsichtlich genehmigtem Plan 145,11 m² – (wovon allerdings noch die Fläche der Theke – und, soweit noch nicht erfolgt, die des Windfangs – in Abzug zu bringen ist). Somit ist derzeit – soweit nach Abzug der Fläche für die Theke (und ggfls. Windfang) mindestens 144 m² verbleiben – das Aufstellen von 12 Spielgeräten zulässig (bei einer kleineren Fläche entsprechend weniger Geldspielgeräte.
Sofern also die Theke die in der vorgelegten Planzeichnung vom 13.09.2016 ausgewiesenen Maße (etwa 5,40 m²) hat, ist lediglich das Aufstellen von
11 Spielgeräten
zulässig).
Darüber hinaus dürfen höchstens drei andere Spiele im Sinne von 33d Abs. 1 GewO veranstaltet werden.“
1
Vgl. Bl. 13 der Gerichtsakte.
Vgl. Bl. 13 der Gerichtsakte.
Randnummer
4
Erläuternd heißt es hierzu auf Seite 18 des Bescheides:
Randnummer
5
„Die Höchstzahl der Spielgeräte mit Gewinnmöglichkeit bestimmt sich nach § 3 Abs. 2 SpielV. Die Grundfläche im Sinne des § 3 Abs. 2 SpielV beträgt nach der vorgelegten Planskizze 146,44 m² und laut bauaufsichtlich genehmigtem Plan 145,11 m². Allerdings ist bei dieser Berechnung jedenfalls die Fläche der Theke und wohl auch die des Windfangs in Abzug zu bringen. Soweit nach Abzug der Flächen für die Theke und ggfls. den Windfang mindestens 144 m² verbleiben, ist das Aufstellen von 12 Spielgeräten zulässig (bei einer kleineren Fläche entsprechend weniger Geldspielgeräte). Die Theke nimmt laut den in der vorgelegten Planzeichnung vom 13.09.2016 ausgewiesenen Maßen eine Fläche von etwa 5,40 m² ein. Unter Zugrundlegung dieser Maße wäre lediglich das Aufstellen von 11 Geldspielgeräten zulässig. Gemäß § 3 Absatz 2 Satz 1 Spielverordnung (SpielV) darf je 12 Quadratmeter Grundfläche höchstens 1 Geld- oder Warenspielgerät aufgestellt werden; maximal dürfen 12 Geldspielgeräte aufgestellt werden. Diese Regelung stellt auf volle 12 Quadratmeter und nicht auf angefangene 12 Quadratmeter ab (eine Restfläche bleibt daher unberücksichtigt); […]). Bei der Berechnung dieser maßgeblichen Grundfläche müssen gemäß § 3 Abs. 2 Satz 4 SpielV die dort genannten Flächen außer Betracht bleiben. Diese gesetzliche Aufzählung ist nicht abschließend zu verstehen (siehe […]). Hierzu weise ich ergänzend auf Nr. 3.2.2.1 der Verwaltungsvorschriften zum Vollzug der §§ 33c, 33d, 33i und 60a Abs. 2 und 3 der Gewerbeordnung sowie der Spielverordnung (SpielVwV) hin: Danach zählen zu den Nebenräumen im Sinne von § 3 Absatz 2 Satz 3 SpielV die „räumlich klar abgrenzbaren Flächen, z.B. für eine Aufsichtskabine, den Servicebereich oder den Windfang“. Demnach rechnet die durch die Theke eingenommene Fläche nicht zur Spielfläche im Sinne von § 3 Abs. 2 SpielV. […]“
2
Vgl. Bl. 28 der Gerichtsakte.
Vgl. Bl. 28 der Gerichtsakte.
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6
Mit Schreiben vom 10.10.2018 bat die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigten beim Beklagten um Bestätigung, dass der Thekenbereich in der Spielhalle Teil der Grundfläche sei und bei der Berechnung der Grundfläche eingerechnet werde. Mit Schreiben vom 30.10.2018 teilte der Beklagte daraufhin mit, dass das Landesverwaltungsamt an seiner Rechtsauffassung festhalte.
Randnummer
7
Am 23.01.2019 hat die Klägerin Klage vor dem Verwaltungsgericht des Saarlandes erhoben. Die Klage sei als Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 Alt. 1 VwGO zulässig. Bei dem Theken- bzw. Servicebereich handle es sich nicht um einen Nebenraum i.S.d. § 3 Abs. 2 Satz 4 SpielV, sodass diese Fläche in die Grundfläche der Spielhalle einzurechnen sei. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.10.1991, Az. 1 C 25/90, setze ein „Nebenraum“ voraus, dass dieser vom Hauptraum deutlich abgegrenzt sei, es sich also um einen gesonderten Raum handle. Zudem müsse der Raum den Charakter eines Nebenraumes haben, folglich eine dem Zweck des Hauptraums gegenüber untergeordnete oder dienende Funktion erfüllen. Diese Voraussetzungen seien im Fall des streitgegenständlichen Thekenbereichs nicht erfüllt, weil dieser Bereich im Zentrum der Spielhalle liege und baulich nicht durch Wände oder Raumteiler abgegrenzt sei. Hinsichtlich der Bestimmung eines Nebenraums i.S.d. § 3 Abs. 2 SpielV könne auf die baurechtliche Rechtsprechung zurückgegriffen werden. So habe die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts des Saarlandes mit Urteil vom 10.04.2013, Az.: 5 K 37/12, in einer ähnlichen Konstellation entschieden, dass der Servicebereich bei der Berechnung der Grundfläche in bauplanungsrechtlicher Hinsicht – dort zum Nachteil des Spielhallenbetreibers – zu berücksichtigen sei. Diese baurechtliche Wertung, wonach der Servicebereich zur Grundfläche der Spielhalle gehöre, sei auf die spielhallenrechtliche Bewertung der Grundfläche nach § 3 Abs. 2 SpielVO zu übertragen. Denn die Ermittlung der Grundfläche erfolge sowohl im vorliegenden spielhallenrechtlichen Verfahren als auch im Rahmen der baurechtlichen Abgrenzung zwischen mischgebietsverträglichen und kerngebietstypischen Spielhallen anhand der Spielverordnung. So sei für die Einordnung der Spielhalle als kerngebietstypisch primär auf die Größe der Spielhalle abzustellen, die sich in erster Linie anhand der Anzahl der zulässigen Geldspielgeräte bestimme, die sich ihrerseits wiederum anhand des § 3 Abs. 2 SpielV bestimmen ließe. Es sei mit dem Gebot der Einheit der Rechtsordnung unvereinbar und höchst widersprüchlich, würde der Servicebereich zwar bei der bauplanungsrechtlichen Bewertung zum Nachteil des Spielhallenbetreibers zur Grundfläche der Spielhalle hinzugerechnet, sodann aber bei der glücksspielrechtlichen Bewertung – wiederum zum Nachteil des Spielhallenbetreibers – von der Grundfläche abgezogen. Einen sachlichen Grund für einen derart unterschiedlichen Prüfungsmaßstab beziehungsweise eine Differenzierung gebe es nicht. Zudem komme der Vergleich mit einer klassischen Aufsichtskabine, insoweit habe das Bundesverwaltungsgericht das Vorliegen eines Nebenraums bejaht, nicht in Betracht. Denn anders als eine Aufsichtskabine sei der hier streitgegenständliche Servicebereich nicht allseitig zum Hauptraum abgegrenzt. Neben der mangelnden baulichen Abgrenzung spreche auch der funktionale Aspekt gegen die Einstufung als Nebenraum. So sei der Servicebereich für den ordnungsgemäßen Betrieb der Spielhalle unerlässlich und diene damit dem Spielhallenbetrieb. Eine Trennung dieser beiden Bereiche sei lebensfremd und führe zu einer Zersplitterung einer räumlich-funktionalen Einheit. Der Servicebereich diene nicht nur Kontrollzwecken und der Erbringung spielhallenspezifischer Serviceleistungen (z.B. Ausgabe von Getränken und Wechselgeld), sondern der Aushändigung gerätegebundener, personengebundener Identifikationsmittel im Sinne von § 6 Abs. 5 Satz 1 SpielV, deren Verwendung für sämtliche Geldspielgeräte, deren Bauart nach dem 10.02.2016 zugelassen worden ist, verpflichtend sei. Der Servicebereich, der durch § 6 Abs. 5 SpielV eine massive Funktionserweiterung erfahren habe, sei damit dem Spiel gewidmet. Er erfülle, anders als eine reine Aufsichtskabine, die deutlich vom Hauptraum abgetrennt sei, nicht nur eine Hilfsfunktion im Rahmen des Spielhallenbetriebs, sondern sei für diesen unerlässlich, da er das Spielen an den aufgestellten Geldspielgeräten überhaupt erst ermögliche. Dementsprechend müssten die Spieler den Servicebereich vor Spielbeginn zwingend aufsuchen, um ein Identifikationsmittel zu erhalten. Erst nach Erhalt könnten sie die in der Spielhalle befindlichen Geräte mit neuer Bauartzulassung entsperren und ihr Spiel beginnen. Stehe somit der Servicebereich im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Spielhallenbetrieb und sei er rechtlich unerlässlich, könne von einem gegenüber dem Hauptraum untergeordneten Zweck keine Rede sein. Danach sei der Servicebereich auch kein Nebenraum i.S. § 3 Abs. 2 Satz 4 SpielV, sodass die hierauf entfallende Fläche von rund 5,4 m² – bzw. 7,53 m² – als Grundfläche anzuerkennen sei. Ob eine Grundfläche von mindestens 144 m² gegeben sei, die eine Aufstellung von 12 Geldspielgeräten – und nicht lediglich 11 Geldspielgeräten – zulasse, hänge fallbezogen allein davon ab, ob der Servicebereich in die Grundfläche einzuberechnen sei. Zudem sei die Beantwortung der Frage, ob es sich bei einer Fläche um einen Nebenraum i.S.d. § 3 Abs. 2 SpielV handle, eine Einzelfallentscheidung. Hierbei sei vorliegend zu sehen, dass ein ordnungsgemäßer Spielbetrieb ohne den Servicebereich, aus dem heraus die personengebundenen Identifikationsmittel abgegeben würden, nicht möglich sei. Überdies sei auch keine unangemessene Ausdehnung der Thekenfläche zwecks Massierung der Geldspielgeräte zu befürchten. Insofern schreibe § 3 Abs. 2 Satz 3 SpielV einen Gerätemindestabstand vor, der immer einzuhalten sei.
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8
Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,
Randnummer
9
festzustellen, dass die Fläche des Servicebereichs der Spielhalle der Klägerin in dem Gebäude x in x zur Grundfläche im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 SpielV zählt und bei deren Berechnung nicht gemäß § 3 Abs. 2 Satz 4 SpielV außer Ansatz zu bleiben hat.
Randnummer
10
Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
Randnummer
11
die Klage abzuweisen.
Randnummer
12
Bei dem Thekenbereich handle es sich um einen Nebenraum im Sinne des § 3 Abs. 2 SpielV, sodass diese Fläche bei der Grundflächenberechnung nicht berücksichtigt werden dürfe. In der durch die Klägerin im Rahmen des Antragsverfahrens vorgelegten Planskizze sei die Grundfläche der Spielhalle mit 146,44 m² ausgewiesen. In dieser Planskizze sei ein als „Theke“ bezeichneter Bereich eingezeichnet, welcher laut den Angaben der Klägerin eine Fläche von 5,4 m² umfasse und welcher offensichtlich in die Berechnung der Grundfläche der Spielhalle mit eingeflossen sei. Der Abzug der Thekenfläche führe dazu, dass eine Grundfläche von weniger als 144 m² vorliege, sodass in der Spielhalle maximal 11 Geldspielgeräte aufgestellt werden dürften. Aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts folge keineswegs, dass eine Theke als Nebenraum i.S.d. § 3 Abs. 2 Satz 4 SpielV nicht in Betracht komme. Maßgeblich sei insoweit lediglich eine Abgrenzung in Gestalt eines baulichen Hindernisses. Diese Voraussetzung erfülle eine Theke. Zudem sei dieser Bereich für Spielhallenbesucher nicht offen, d.h. durch diese nicht zu betreten. Die von der Klägerseite benannten bauplanungsrechtlichen Feststellungen seien vorliegend nicht relevant. Zudem sei zu sehen, dass Hauptnutzungszweck einer Spielhalle das Spielen sei und wegen des Aufstellens der hierzu bestimmten Geräte eine bestimmte Grundfläche vorgesehen sei. Flächen, auf denen nicht gespielt werden könne, stünden nicht dem Hauptzweck der Spielhalle zur Verfügung und hätten daher lediglich dienende Funktion. Da der Thekenbereich nicht zum Spielen genutzt werde und er zugleich durch ein bauliches Hindernis von dem Spielbereich für die Besucher abgegrenzt sei, handle es sich um einen Nebenraum. Die von der Klägerin benannten Funktionen seien zwar spielhallentypisch, stellten jedoch nicht die Betätigung des Spielens als solches dar, dienten folglich dem Spielbetrieb. Darüber hinaus werde das seitens der Klägerin offensichtlich verfolgte Ziel – 12 statt 11 Geldspielgeräte aufstellen zu können – höchstwahrscheinlich selbst dann nicht erreicht, wenn der Thekenbereich zur Spielfläche gehören würde; denn eine vorläufige Überprüfung anhand des Plans ergebe eine anrechenbare Grundfläche von lediglich 129,03 m². Bislang sei lediglich zu Gunsten der Klägerin darauf hingewiesen worden, dass (nur) der Thekenbereich außer Ansatz bleiben müsse. Eine verbindliche Vermessung und damit eine Festlegung der Höchstzahl der Spielgeräte seien bislang vorbehalten geblieben. Jedenfalls habe der Thekenbereich bei der Berechnung der Grundfläche außer Betracht zu bleiben.
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13
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin und zugleich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Randnummer
14
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte, der Gegenstand der Entscheidungsfindung war, Bezug genommen. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Kostenschuld abwenden, falls nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet. | 0 |
Verwaltungsgericht des Saarlandes 10. Kammer | Saarland | 0 | 1 | 24.02.2010 | 1 | Randnummer
1
Der Kläger, irakischer Staatsangehöriger arabischer Volks- und moslemischer Religionszugehörigkeit, reiste nach seinen Angaben am 26.01.2001 nach Deutschland ein und stellte anschließend unter den im Rubrum angegebenen alias-Personalien einen Asylantrag.
Randnummer
2
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte mit Bescheid vom 20.02.2001, bestandskräftig seit 13.03.2001, den Asylantrag ab, stellte jedoch fest, dass wegen der illegalen Ausreise aus dem Irak und der Asylantragstellung Abschiebungshindernisse gemäß § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Irak vorliegen. Am 23.05.2001 wurde dem Kläger ein Reiseausweis für Flüchtlinge ausgestellt und eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 AuslG 1990 erteilt, die regelmäßig verlängert wurde und ab 01.01.2005 als Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG fortbestand.
Randnummer
3
Am 16.10.2002 stellte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge fest, dass der Kläger unter einer weiteren alias-Identität in Norwegen Asyl begehrt hatte.
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4
Unter dem 28.11.2005 teilte die deutsche Botschaft in Damaskus der Ausländerbehörde A-Stadt mit, dass sich der Kläger in der Zeit vom 11.04.2005 bis 21.06.2005 sowie vom 12.10.2005 bis 23.11.2005 im Irak aufgehalten habe.
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5
Am 31.01.2006 beantragte der Kläger die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, worauf ihm Fiktionsbescheinigungen nach § 81 Abs. 4 AufenthG erteilt wurden.
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6
Durch Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 08.05.2006 wurde die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, widerrufen und festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 – 7 AufenthG nicht vorliegen. Die hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht des Saarlandes durch rechtskräftig gewordenes Urteil vom 11.01.2007, 2 K 204/06.A, ab.
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7
Unter dem 15.09.2006 wurde dem Kläger vom Landesamt für Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz ein Schwerbehindertenausweis (GdB 50) ausgestellt.
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8
Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 27.08.2007 beantragte der Kläger die Ausstellung eines deutschen Reisedokumentes für Ausländer. Hierzu legte er eine Bestätigung der irakischen Botschaft in Berlin vor, dass kein Reisepass ausgestellt werden könne, da der Kläger keine irakischen Dokumente vorgelegt habe. Unter dem 24.10.2007 offenbarte der Kläger seine wahre Identität und legte hierzu Kopien einer Geburtsurkunde sowie eines Registerauszuges vor. Nach schriftlichen Aufforderungen durch den Beklagten vom 22.01.2008 sowie vom 29.01.2008 legte der Kläger Geburtsurkunde und Registerauszug im Original vor. Unter dem 11.02.2008 wurde dem Kläger bei einer persönlichen Vorsprache von der Behörde mitgeteilt, dass er diese Unterlagen benötige, um einen Nationalpass bei der irakischen Botschaft zu beantragen. Am 18.08.2008 legte der Kläger sodann einen neuen Nationalpass vor.
Randnummer
9
Mit Bescheid vom 16.09.2008, zugestellt am 17.09.2008, lehnte der Beklagte den Antrag vom 31.01.2006 auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis von § 25 Abs. 3 AufenthG ab und drohte dem Kläger für den Fall der nicht freiwilligen Ausreise die Abschiebung an. Zur Begründung ist ausgeführt, dass die Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG mit Blick auf die Entscheidung des Bundesamtes vom 08.05.2006 nicht verlängert werden könne. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach einer anderen Rechtsgrundlage komme nicht in Betracht, da entgegen § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG der Lebensunterhalt des Klägers nicht gesichert sei. Dieser erhalte seit 01.01.2005 ununterbrochen Leistungen nach dem SGB II, ausweislich des Bescheides vom 06.08.2008 beziehe der Kläger bis einschließlich 31.01.2009 monatliche ALG-II-Leistungen von 597.- Euro. Im Rahmen einer Güter- und Interessenabwägung sei festzustellen, dass sich der Kläger aufgrund des Bezugs von Sozialleistungen nicht in die Struktur der Bundesrepublik Deutschland integriert habe. Auch beherrsche er nicht die deutsche Sprache auf einfache Art und Weise. Bei einer Vorsprache vom 11.02.2008 sei eine Kommunikation ohne Dolmetscher mit ihm nicht möglich gewesen. Bei einer Rückkehr in sein Heimatland, wo Ehefrau und Tochter des Klägers lebten, erwüchsen keine unüberwindbaren Probleme, sich dort wieder zu integrieren. Für das Bundesgebiet seien keine persönlichen Bindungen vorgetragen oder ersichtlich - im Gegenteil: seine Familie und wohl auch der größte Teil seines Freundeskreises lebten im Irak. Angesichts des öffentlichen Interesses, den Zuzug und Aufenthalt von Ausländern zu kontrollieren, liege es im Interesse Deutschlands, dass Ausländer grundsätzlich wieder ausreisten, wenn der Aufenthaltszweck im Bundesgebiet entfallen sei. Die Abschiebung des Klägers in den Irak werde wegen der derzeitigen Situation im Irak ausgesetzt. Bei Änderung der Verhältnisse könne jedoch die im Tenor ausgesprochene Abschiebungsandrohung vollstreckt werden.
Randnummer
10
Hiergegen legte der Kläger am 18.09.2008 Widerspruch ein.
Randnummer
11
Am 30.01.2009 wurde dem Kläger eine Duldung nach § 60 a AufenthG ausgestellt, die in der Folge verlängert wurde.
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12
Durch Bescheid vom 26.05.2009, zugestellt am 27.05.2009, wies der Beklagte den Widerspruch zurück. In der Begründung heißt es, ein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG scheide aus, da die Ausländerbehörde an die ablehnende Entscheidung des Bundesamtes zu § 60 Abs. 2 – 7 AufenthG gebunden und zu einer eigenen inhaltlichen Prüfung eines Abschiebungsverbots weder berechtigt noch verpflichtet sei. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG i.V.m. dem Erlass des Ministeriums für Inneres und Sport über ein Bleiberecht für wirtschaftlich und sozial integrierte ausreisepflichtige ausländische Staatsangehörige vom 20.12.2006 (Bleiberechtserlass) scheitere schon daran, dass der Kläger den Einreisestichtag am 17.11.1998 nicht erfülle. Auch sei der Kläger aufgrund seiner Arbeitslosigkeit und der fehlenden Deutschkenntnisse nicht wirtschaftlich und sozial in die deutschen Verhältnisse integriert und habe dieser auch nicht bis zum 17.05.2007 einen entsprechenden Antrag gestellt. Eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 104 a AufenthG scheitere ebenfalls an dem dort geforderten Einreisestichtag, dem 01.07.1999. Aufgrund des negativen Abschlusses des Asylverfahrens bzw. des Widerrufs der Anerkennung des Abschiebungsverbotes könne auch keine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 bzw. Abs. 2 AufenthG erteilt werden. Die Voraussetzungen des § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor, da der Kläger aufgrund des negativ abgeschlossenen Asylverfahrens vollziehbar zur Ausreise verpflichtet sei. Schließlich komme ein Anspruch aus § 25 Abs. 5 AufenthG nicht in Betracht, da der Kläger mittlerweile im Besitz eines bis 23.06.2016 gültigen irakischen Nationalpasses sei und aufgrund der Entspannung der politischen Lage im Irak mit einem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit gerechnet werden könne.
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Mit am 24.06.2009 eingegangener Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die Voraussetzungen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG lägen vor. Die Abschiebung sei seit mehr als 18 Monaten ausgesetzt, so dass ein Regelanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bestehe. Er sei unverschuldet an der Ausreise gehindert und es sei nicht in absehbarer Zeit mit einem Wegfall des Ausreisehindernisses zu rechnen. Eine Entspannung der Lage im Irak sei nach den neuesten Dokumentationen nicht erkennbar. Auf den aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes werde verwiesen. Zudem bestehe ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis. Eine Rückkehr in den Irak ginge mit einer erheblichen ggfs. lebensbedrohlichen Gefahr für Leib und Leben einher. Er befinde sich seit langer Zeit in nervenfachärztlicher Behandlung bei Dr. E. Nach dessen Attest vom 08.06.2009 bestehe eine depressive Verarbeitungsstörung, die wesentlich durch die Lebenssituation unterhalten werde. Es bedürfe der Fortsetzung der Therapie in Deutschland, eine Abschiebung in das Heimatland könne eine depressive Exazerbation hervorrufen, die bis zu suizidalen Krisen reichen könne. Die Gemeinschaftspraxis Dr. R habe am 03.06.2009 das Vorliegen von Depressionen sowie einen Schlaganfall im Jahre 2009 bescheinigt. Zudem werde das ärztliche Attest des Herrn H vom 04.06.2009 vorgelegt. Bereits im Jahr 2004 sei bei ihm eine 50%ige Behinderung festgestellt worden. Soweit der Beklagte auf eine fehlende wirtschaftliche Integration verweise, sei zu sehen, dass dem Kläger eine Erwerbstätigkeit nicht gestattet werde. Er habe in der Zeit vom 20.10.2008 bis 26.08.2009 an einem Integrationskurs der Fortbildungsakademie der Wirtschaft (FAW) teilgenommen. Zum Beleg seiner Angaben legt der Kläger nervenfachärztliches Attest Dr. E vom 08.06.2009, Bescheinigung der pneumologischen Gemeinschaftspraxis Dr. R vom 03.06.2009, ärztliches Attest Dr. H vom 04.06.2009, Schwerbehindertenausweis des Landesamtes für Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz vom 02.09.2008 sowie Duldung vom 30.01.2009 mit dem Vermerk „Erwerbstätigkeit nicht gestattet“ vor.
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 16.09.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.05.2009 zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung ist ausgeführt, dass eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nicht erteilt werden könne, weil der Kläger erst seit 30.01.2009 im Besitz einer Duldung sei und es aufgrund des aktuellen Lageberichts des Auswärtigen Amtes möglich erscheine, dass sich in absehbarer Zeit die Lage im Irak weiter entspanne, mithin mit einem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit zu rechnen sei. Hinsichtlich der geltend gemachten krankheitsbedingten Abschiebungshindernisse sei zu sehen, dass die Ausländerbehörde nach § 72 Abs. 2 AufenthG über isoliert gestellte Anträge auf subsidiären Schutz gemäß § 60 Abs. 2 – 7 AufenthG nur nach vorheriger Beteiligung des Bundesamtes entscheide, sofern diesem Antrag kein Asylverfahren vorangegangen sei. Dies sei beim Kläger nicht der Fall, weil das Bundesamt bereits einmal eine Entscheidung über zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 – 7 AufenthG getroffen habe. Der Kläger habe die Möglichkeit, beim Bundesamt insoweit einen isolierten Wiederaufgreifensantrag gemäß § 60 Abs. 2 – 7 AufenthG zu stellen. Hinsichtlich der Nebenbestimmung der nicht gestatteten Erwerbstätigkeit sei anzumerken, dass der Kläger bisher nicht gearbeitet habe und auch nicht vorgetragen habe, künftig arbeiten zu wollen. Er könne die Änderung der Auflage beantragen, so dass ihm bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen die Erlaubnis zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erteilt werden könne. Bis zum Erlass der Verfügung vom 11.09.2008 sei dem Kläger jede Erwerbstätigkeit gestattet gewesen. Trotzdem habe er seit 01.01.2005 bis einschließlich 31.01.2009 ununterbrochen Arbeitslosengeld II erhalten. Nach dem Bewilligungsbescheid vom 06.08.2008 seien dies monatliche Leistungen in Höhe von 597.- Euro gewesen. Seit 01.02.2009 beziehe der Kläger Sozialleistungen beim Sozialamt des Regionalverbandes in A-Stadt in Höhe von 617,57 Euro bis einschließlich 31.10.2009. Erst mit der Erteilung der Duldung am 30.01.2009 sei verfügt worden, dass die Erwerbstätigkeit nicht gestattet sei. Noch in einem Gespräch vom 06.02.2009 habe der Kläger der Behörde mitgeteilt, dass er wegen seiner gesundheitlichen Einschränkung nicht arbeiten könne und auch keine Arbeitsstelle bekommen werde. Zudem erscheine nach Auskunft der ARGE A-Stadt eine Arbeitsvermittelbarkeit aufgrund der massiven sprachlichen Schwierigkeiten kaum möglich. Der Kläger habe die Prüfung des Integrationskurses nicht bestanden. Ausweislich der beim Kursträger angeforderten Bescheinigung habe er im Hören und Lesen 13 von 45 Punkten, im Schreiben keine Punkte und im Sprechen 2 von 100 Punkten erreicht. Somit gelte der Integrationskurs als nicht bestanden. Soweit sich der Kläger darauf berufe, dass er aufgrund seiner gesundheitlichen Probleme bei Rückkehr in den Irak eine erhebliche ggfs. lebensbedrohliche Gefahr für Leib und Leben zu erwarten habe, handele es sich um zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote, über die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu entscheiden habe.
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Durch Beschluss vom 17.09.2009 wurde dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten, die beigezogenen Verwaltungsunterlagen sowie den Lagebericht des Auswärtigen Amtes für Irak (Stand: August 2009) vom 12.08.2009, 508-516.80/3 IRQ, Bezug genommen, deren Inhalt zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurde. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Kostenschuld abwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet. | 0 |
OLG Frankfurt 23. Zivilsenat | Hessen | 1 | 1 | 28.03.2001 | 0 | Randnummer
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Der Kläger wollte im Januar 1997 eine Taxikonzession erwerben. Bei dem ersten Vorsitzenden des Vorstands des Beklagten, Herrn … kamen in den Geschäftsräumen des Beklagten deshalb Verhandlungen mit dem Zeugen … zustande, der bereit war, sein Taxiunternehmen mit der Konzessionsnummer … auf den Kläger zu übertragen. Der Zeuge bot den Beteiligten seine Hilfe bei den notwendigen Formalitäten an, um die Genehmigung zur Betriebsübertragung bei dem Ordnungsamt durchzusetzen. Der erforderliche Antrag wurde auf einem von dem Beklagten entwickelten Formular gestellt. Ihm war der privatrechtliche Vertrag zwischen dem Zeugen … und dem Kläger beigefügt, wonach ersterer sein Unternehmen für einen zunächst mit 5.000,00 DM, später mit 3.500,00 DM angegebenen Betrag an den Kläger verkaufte. Der Kläger übergab dem Zeugen Z nach seinen Angaben jedoch einen weiteren Betrag von 64.000,00 DM. Hierüber hat ihm der Zeuge Z eine im Namen des Beklagten ausgestellte Quittung (Bl. 61 d. A.) erteilt. Der Betrag war zur Weiterleitung an den Veräußerer A bestimmt, sobald die Umschreibung beim Ordnungsamt erfolgt worden wäre. Bevor es zur Auszahlung kam, tauchte der Zeuge Z im April 1998 unter. Die Kassette, in der üblicherweise die von Z zu treuen Händen angenommenen Gelder in den Büroräumen des Beklagten aufbewahrt wurden, wurde leer, aber unbeschädigt vorgefunden. Der Zeuge Z der im November 1998 wieder auftauchte, wurde im Verfahren 740 Js 11482.7/97 des Amtsgerichts Frankfurt am Main wegen dieses und zehn weiterer gleichgelagerter Fälle rechtskräftig wegen Untreue zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
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Der Kläger hat behauptet, er habe sich wegen seines Interesses an dem Betrieb eines Taxiunternehmens an den Beklagten gewandt und sei dort von der Sekretärin, der Ehefrau des zweiten Vorsitzenden des Vorstands des Beklagten, Frau …, an den Zeugen Z verwiesen worden. Dieser habe ihm den Zeugen … als Verkaufsinteressenten benannt und seine Hilfeleistung Namens des Beklagten angeboten, wie sich schon daraus ergebe, daß dessen Betriebsräume und Formulare benutzt worden seien und die Quittung auf dessen Namen ausgestellt worden sei. Der Beklagte habe auch ein eigenes Interesse an der weitgehend kostenlos zur Verfügung gestellten Hilfe gehabt, da er bei dieser Gelegenheit die neuen Konzessionsinhaber als Mitglieder habe gewinnen wollen. Er habe deshalb gemäß § 31 BGB für die Handlungen des Zeugen … bei Durchführung dieser Geschäfte einzustehen, und zwar unabhängig davon, ob … Vertretungsmacht für diese Art der Konzessionsvermittlung unter treuhänderischer Verwahrung eines vor der Ordnungsbehörde geheimgehaltenen, erheblichen Aufgeldes gehabt habe; denn mindestens seien die Grundsätze der Duldungs- und Anscheinsvollmacht anzuwenden, zumal in den Geschäftsräumen des Beklagten mit seinem Wissen über hundert derartige Fälle abgewickelt und die Sekretärin, Frau … sowie der Sozialfond des Beklagten teilweise an dafür gezahlten, freiwilligen Provisionen beteiligt worden seien. … aber schulde ihm die Rückzahlung der in Verwahrung genommenen 64.000,00 DM abzüglich eines von der Staatsanwaltschaft zurückerstatteten Betrages von 1.169,71 DM sowohl aus unerlaubter Handlung als auch aus Verletzung des Treuhandvertrags. Der Ausschluß der Rückforderung gemäß § 817 Satz 2 BGB greife gegenüber derartigen Ansprüchen nicht durch. Auch sei ihm wegen Kreditaufnahme ein zusätzlicher Zinsschaden entstanden.
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Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 64.000,00 DM nebst 10% Zinsen seit 01.06.1997 zu zahlen abzüglich am 28.04.1999 gezahlter 1.169,71 DM.
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Der Beklagte hat beantragt
die Klage abzuweisen.
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Er hat gemeint, die Beteiligung des Zeugen … an dem Geschäftsabschluß zwischen … und dem Kläger, die beide nicht seine Vereinsmitglieder gewesen seien, könne ihm nicht zugerechnet werden. … habe insoweit nicht als sein Vorstand, sondern als Privatperson gehandelt. Nach der Vereinssatzung habe … in geschäftlichen Dingen nur zusammen mit einem anderen Vorstandsmitglied rechtsverbindliche Erklärung abgeben dürfen; auch die Quittung aber habe er allein unterschrieben und zu dem Tresor bzw. der Kassette, in der - was allerdings bestritten werde - das Geld gelegen haben soll, habe nur er allein einen Schlüssel gehabt. Im übrigen hätten - wie die falsche Kaufpreisangabe gegenüber dem Ordnungsamt belege - alle Beteiligten gewußt, daß es sich um einen verbotenen, gemäß § 134 BGB gesetzwidrigen Konzessionshandel gehandelt habe, der Rückforderungsansprüche gemäß § 817 Satz 2 BGB ausschließe.
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Das Landgericht hat Beweis erhoben gemäß Beschlüssen vom 01.04.1999 (Bl. 54 f. d. A.) und 14.10.1999 (Bl. 105 f. d. A.). Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Vernehmungsprotokolle vom 17.06.1999 (Bl. 74 f. d. A.), 19.08.1999 (Bl. 90 f. d. A.) und 09.12.1999 (Bl. 131 f. d. A.) Bezug genommen.
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Durch Urteil vom 13.01.2000 hat das Landgericht der Klage bis auf geringfügige Abstriche bei den geltend gemachten Zinsen stattgegeben. Es hat ausgeführt, Z habe die Mithilfe und Vermittlungstätigkeit bei Konzessionsübertragungen im Rahmen der ihm von dem Beklagten übertragenen Aufgaben wahrgenommen, für die dort eigens Formulare entwickelt worden seien. Wenn er dabei seine Befugnisse und/oder Vertretungsmacht durch treuhänderische Entgegennahme von nichtdeklarierten Geldern und deren Veruntreuung überschritten und einzelnen Beteiligten Schaden zugefügt habe, so habe der Beklagte hierfür gemäß § 31 BGB einzustehen. In Anbetracht des branchenbekannten unerlaubten Konzessionshandels hätte er geeignete Vorkehrungen zur Unterbindung solcher Geschäfte in seinen Räumen treffen müssen und … nicht allein und - einschließlich des Zugangs zum Tresor und der Kassette - völlig unkontrolliert handeln lassen dürfen.
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Gegen dieses, ihm am 27.01.2000 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 24.02.2000 Berufung eingelegt und diese am letzten Tag der bis zum 08.05.2000 verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet.
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Er vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen und verfolgt weiterhin die Abweisung der Klage, weil er sich für den dem Kläger entstandenen Schaden nicht für verantwortlich hält. Insofern vertritt er die Auffassung, daß das Landgericht nicht einmal klar dargelegt habe, aufgrund welcher Norm … selbst dem Kläger ersatzpflichtig sein soll, so daß offen bleibe, wofür er gemäß § 31 BGB haftbar ge- macht werden solle. Dazu sei festzustellen, daß … das Geld nur als Bevollmächtigter des Zeugen … entgegengenommen habe und nur jenem haften könne. Gegenüber dem Kläger als Nichtmitglied habe der Beklagte keine Dienste vornehmen wollen und können. Jener habe sich nur auf Empfehlung des Zeugen … unmittelbar an Z gewandt.
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Außerdem hat der Beklagte die Auffassung vertreten, daß die treuhänderische Entgegennahme des Geldes des Klägers durch … nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht mehr in den allgemeinen Rahmen des Geschäftskreises des Zeugen … als ersten Vorsitzenden des Beklagten falle, wie für die Anwendung von § 31 BGB erforderlich sei. Sie habe zum einen dessen Vertretungsmacht überschritten, da gemäß § 12 der Vereinssatzung Gesamtvertretung vorgeschrieben sei und zum anderen als Mithilfe zu dem gemäß § 2 Abs. 3 PBefG verbotenen Konzessionshandel auch dessen Aufgabenkreis. Letzteres sei für Außenstehende ohne weiteres erkennbar gewesen. Dazu hat der Beklagte behauptet, insbesondere … und der Kläger hätten die Gesetzwidrigkeit der Konzessionsübertragung gekannt, da beide an einem Fach- und Sachkundekurs für Taxiunternehmer teilgenommen hätten, in dem dies gelehrt worden sei. Nur daraus erkläre sich die fehlerhafte Versicherung gegenüber dem Ordnungsamt, es seien allein 3.500,00 DM als Kaufpreis zwischen den Parteien vereinbart worden. Der Beklagte und die Zeugin … hätten dagegen von der Zusatzvereinbarung über die darüber hinausgehende Zahlung und den Inhalt der im Tresor befindlichen privaten Kassette des Zeugen … keine Kenntnis gehabt. Der ihm vom Landgericht angelastete Organisationsmangel liege aber auch deshalb nicht vor, weil er solchem Handeln gerade durch die Beschränkung der Vertretungsmacht entgegenwirkt habe. Diesen Mangel der Vertretungsmacht hätte der Kläger ohne weiteres dem Vereinsregister entnehmen können, so daß ihn ein Mitverschulden an der Schadensentstehung treffe und er sich.außerdem aufgrund der Kenntnis der Gesetzeswidrigkeit des Geschäfts den Vorwurf unzulässiger Rechtsausübung gefallen lassen müsse. Schließlich beruft sich der Beklagte erneut auf den Anspruchsausschluß gemäß § 817 Satz 2 BGB.
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Der Beklagte beantragt,
1) die Klage in Abänderung des angefochtenen Urteils abzuweisen,
2) ihm nachzulassen, eine etwa von ihm zu erbringende Sicherheitsleistung auch durch selbstschuldnerische, unbefristete und unbedingte Bürgschaft eines als Zoll- und Steuerbürgen zugelassenen inländischen Kreditinstituts erbringen zu können.
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Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Er trägt vor, es sei unverständlich, daß der Beklagte eine Haftung des Zeugen … für das verschwundene Geld auch nach dessen strafgerichtlicher Verurteilung wegen Untreue noch in Zweifel ziehe.
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Jener habe dafür sowohl aus unerlaubter Handlung als auch wegen Verletzung des Treuhandvertrags mit dem Kläger einzustehen. Es sei abwegig, daß … nur als Bevollmächtigter von … gehandelt haben solle.
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Der Kläger trägt weiter vor, das Landgericht habe auch die Einstandspflicht des Beklagten gemäß § 31 BGB zu Recht bejaht, weil die Hilfeleistung beim Verkauf von Taxikonzessionen, für die er unstreitig eigene Formulare entwickelt habe und durch die er neue Mitglieder habe werben wollen, zu seinem Geschäftskreis gehört habe. Von der entsprechenden, seit über zehn Jahren vorgenommenen, Tätigkeit des Zeugen … und der Geldverwahrung in dem Tresor habe der Beklagte auch Kenntnis gehabt. Schließlich hätten ca. hundert Vermittlungsfälle in zwei Jahren, die auf Grund des Strafverfahrens nicht mehr bestritten seien und an denen Frau … und der Sozialfond des Beklagten in der Regel provisionsmäßig beteiligt worden seien, auch nicht verborgen bleiben könne. Im übrigen werde der Zeuge … zusätzlich dafür benannt, daß der Beklagte in seinen Schulungen die Vermittlungstätigkeit angeboten und die Zeugin … die Interessenten insoweit an den Beklagten bzw. … verwiesen habe. Die eventuelle Gesetzwidrigkeit der Geschäfte und Überschreitung der Vertretungsbefugnis des Zeugen … ändere an der Anwendbarkeit des § 31 BGB nichts.
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Im Übrigen finde auch weder § 817 Satz 2 BGB Anwendung, noch sei eine unzulässige Rechtsausübung des Klägers oder sein Mitverschulden gegeben, zumal jener 1996 den Schulungskurs abgebrochen und erst 1999 von der Unzulässigkeit des Konzessionshandels erfahren habe.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die eingereichten Schriftsätze Bezug genommen. | Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 13.01.2000 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung, Hinterlegung oder selbstschuldnerische, unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines als Zoll- und Steuerbürgen zugelassenen inländischen Kreditinstituts in Hohe von 91.000,00 DM abwenden, falls nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Der Wert der Beschwer beträgt 64.000,06 DM. | 0 |
VG Wiesbaden 6. Kammer | Hessen | 1 | 0 | 07.12.2007 | 0 | Randnummer
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Der Kläger begehrt die Anerkennung der bei ihm eingetretenen Oesteochondrosis dissecans des linken Sprungbeines als Folge eines Arbeitsunfalls am 30.06.2005 sowie Unfallausgleich aufgrund der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 25 v. H.
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Der Kläger, ein beamteter Zusteller, verunfallte am 30.06.2005 als er im Bezirk ... die Post zustellte. Auf dem Fußweg der H-Straße in Richtung K-straße rutschte er während dem Gehen mit dem Fuß von der Bordsteinkante ab und knickte mit dem linken Fuß um.
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Am Folgetag begab sich der Kläger aufgrund starker Schmerzen in die Praxis des Herrn Dr. D., als Durchgangsärzte, wo als Befund eine Distorsion des linken Sprunggelenkes festgestellt wurde. Aufgrund der stark auftretenden Schmerzen und der eingeschränkten Bewegungsfähigkeit war der Kläger nicht mehr in der Lage seinen Beruf auszuüben, so dass zunächst eine Dienstunfähigkeit attestiert wurde. Diese dauerte zunächst vom 01.07.2005 bis zum 19.11.2005. Der Kläger unternahm am 20.11.2005 einen Arbeitsversuch, der jedoch am 29.12.2005 wegen Beschwerden wieder abgebrochen wurde.
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Am 07.09.2005 wurde eine Kernspintomographie des linken Sprunggelenkes durchgeführt, dabei wurde erstmals eine Osteonekrose an der medialen Talusrolle ohne Knorpeldestruktion festgestellt und eine Verlaufskontrolle nach drei Monaten empfohlen.
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Wegen weiterer bestehender Schmerzen wurde der Kläger am 16.09.2005 ambulant in der E.-Klinik vorstellig. Aufgrund der Beschwerdesymptomatik wurde von einer posttraumatischen osteochondralen Läsion ausgegangen, aufgrund dessen weitere Untersuchungen veranlasst wurden. Im Nachschaubericht der Durchgangsärzte vom 20.09.2005 wurde darauf hingewiesen, dass sich ein Nachweis einer Osteonekrose an der med. Talusrolle ergeben habe.
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Am 22.09.2005 erfolgte eine Arthroskopie des linken oberen Sprunggelenkes in der E.-Klinik. Hierbei konnte keine Knorpelläsion festgestellt werden. Am 20.11.2005 wurde die Behandlung abgeschlossen und die Erwerbsfähigkeit von den Durchgangsärzten als um 20% gemindert attestiert.
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Nach dem Bericht der Durchgangsärzte vom 17.01.2006 unternahm der Kläger einen erneuten Arbeitsversuch am 20.11.2005 der jedoch wegen Beschwerden am 29.12.2005 wieder abgebrochen wurde. Die Kernspintomographische Kontrolle des linken OSG am 22.12.2005 habe eine Partielle Revitalisierung des Dissekats an der linken medialen Talusrolle ergeben. Es sei eine Schonung des linken OSG für weitere drei Monate erforderlich. Belastungsaufbau nach erneuter Kernspintomographischer Kontrolle in drei Monaten. Als Arbeitsunfähigkeit wurde angegeben bis auf weiteres. Ferner wurde eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 25 % in der speziellen Tätigkeit als Briefzusteller als gegeben angesehen.
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Bereits mit Schreiben der Beklagten vom 10.08.2005 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass etwa noch bestehende Folgen des Dienstunfalls die Erwerbsfähigkeit um weniger als 25 v. H. beeinträchtige und die Gewährung eines Unfallausgleichs daher nach § 35 BeamtVG nicht möglich sei. Der Kläger legte gegen dieses Schreiben mit Schreiben vom 04.01.2006 Einspruch ein.
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Die Beklagte erließ darauf hin einen Bescheid am 05.04.2006 und lehnte die Anerkennung der nach dem 26.09.2005 geklagten Beschwerden des Klägers als Folge des Dienstunfalls ab. Zur Begründung führte sie an, der Dienstunfall sei abgeschlossen. Aufgrund der Einwände des Klägers gegen die Feststellung im Schreiben vom 10.08.2005 habe die Beklagte ein Gutachten in Auftrag gegeben. In diesem unfallchirurgischen Gutachten von Herrn Prof. Dr. F. und Herrn Dr. G. der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik ... vom 09.03.2006 sei festgestellt worden, dass das Ereignis vom 30.06.2005 nicht geeignet sei, als alleinige oder überwiegende Ursache der festgestellten Beschwerden gelten zu können. Ferner wird in der Begründung angeführt, eine messbare Minderung der Erwerbsfähigkeit sei nicht gegeben, da der ursächliche Zusammenhang mit dem Ereignis vom 30.06.2005 und der nachgewiesenen Osteochondrosis dissecans nicht wahrscheinlich sei.
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Der Kläger hat am 20.04.2006 per E-Mail Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten eingelegt.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 29.08.2006 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Die Begründung entspricht der des Ausgangsbescheides vom 05.04.2006. Zusätzlich wird als tatsächliche Ursache eine vorbestehende Krankheitsanlage in Form der nachgewiesenen Osteochondrosis dissecans des Sprungbeines links angegeben. Diese Veränderung sei als Schadensanlage bereits vor dem Unfall vorhanden gewesen. Zusammenfassend wird aufgeführt, dass die Distorsion des linken oberen Sprunggelenkes innerhalb einer angemessenen Zeit ohne Folgen verheilt sei und die bestehenden Beschwerden im linken Sprunggelenk nicht unfallbedingt seien.
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Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 25.09.2006, eingegangen beim Verwaltungsgericht Wiesbaden am 26.09.2006 Klage erhoben.
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Der Kläger trägt vor, dass zum Zeitpunkt der Verunfallung habe keine Osteochondrosis dissecans bestanden. Die Erkrankung habe sich erst danach posttraumatisch entwickelt. Vor dem Unfallereignis habe er zu keiner Zeit an Beschwerden im Bereich des linken Sprunggelenkes gelitten.
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Der Kläger ist der Ansicht, dass die Folgen des Dienstunfalls seine Erwerbsfähigkeit um mehr als 25 v. H. erniedrigt haben. Er leide nach wie vor unter erheblichen Beschwerden im Bereich des linken Sprunggelenkes. Diese Schmerzsymptomatik werde beim Gehen, trotz Tragens einer Sprunggelenkmanschette, unvermindert fortbestehen.
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Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 05.04.2006 - ...- in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2006 aufzuheben und die beim Kläger eingetretene Osteochondrosis dissecans des Sprungbeines links als Folgen des Arbeitsunfalles vom 30.06.2005 anzuerkennen und mit einer MdE von mindestens 25 v. H. zu entschädigen.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte behauptet, die nachfolgend aufgetretenen Beschwerden des Klägers seien nicht als Folgen des Dienstunfalls vom 30.06.2005 anzuerkennen.
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Sie stützt ihre Behauptung insbesondere auf das von ihr beauftragte unfallchirurgische Gutachten der berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik ..., wonach ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Verunfallung und der nachfolgend diagnostizierten Osteochondrosis dissecans an der medialen Talusrolle nicht bestehe.
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Die Beklagte behauptet ferner, die tatsächliche Ursache sei eine vorbestehende Krankheitsanlage in Form der Osteochondrosis dissecans. Diese Schadensanlage sei bereits vor dem Unfall vorhanden gewesen.
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Nach Ansicht der Beklagten handelt es sich um eine Gelegenheitsursache, bei der die bereits vorbestehende Osteochondrosis dissecans des Sprungbeins links erstmals offenkundig und durch das Ereignis nicht verschlimmert worden sei. Eine Gelegenheitsursache sei ein Ereignis, das zwar mit der versicherungsrechtlich geschützten Tätigkeit in einem inneren Zusammenhang steht, deren Einfluss auf den Körperschaden jedoch nicht so erheblich ist, dass das Ereignis als eine wesentliche Bedingung angesehen werden kann. Es handele sich daher um eine innere, aus dem Körper selbst kommende Ursache, d. h. ein bereits bestehender Körperschaden habe sich nur gelegentlich durch das Abknicken klinisch symptomatisch gemacht, was jedoch auch bei sonstigen (privaten) Ereignissen hätte erfolgen können.
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Mangels feststellbarer Unfallfolgen sei die Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit entbehrlich.
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Selbst wenn eine Ursächlichkeit gegeben wäre, würde daraus aufgrund der nur geringen funktionellen Einschränkungen keine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 25 v. H. resultieren.
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Das Gericht hat zu der Frage, ob die bei dem Kläger diagnostizierte Osteochondrosis dissecans an der medialen Talusrolle links von der Verunfallung am 30.06.2005 herrührt oder bei dem Kläger schon vorhanden war Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sachverständigengutachten von Dr. med. C. vom 19.02.2007 (Bl.57-76 d. A.) verwiesen.
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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren durch den Berichterstatter einverstanden erklärt (Blatt 104 und 106 d.A.).
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die Behördenakte Bezug genommen, welche sämtlich zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gemacht worden sind. | Der Bescheid der Beklagten vom 05.09.2006 und der Widerspruchsbescheid vom 29.08.2006 werden aufgehoben.Die Beklagte wird verpflichtet, die bei dem Kläger eingetretene Osteochondrosis dissecans des Sprungbeines links als Folgen des Arbeitsunfalles vom 30.06.2005 anzuerkennen und mit einer MdE von 25 v. H. zu entschädigen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet. | 0 |
Finanzgericht Berlin-Brandenburg 4. Senat | Berlin | 0 | 1 | 18.06.2020 | 1 | Randnummer
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Der ledige Kläger wurde im Veranlagungszeitraum 2017 (Streitjahr) mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit sowie Einkünften aus Vermietung und Verpachtung antragsgemäß einzeln zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt. In dem Bruttoarbeitslohn i. H. v. 120.635 € ist eine aufgrund eines arbeitsgerichtlichen Vergleichs erstrittene Abfindung (Entlassungsentschädigung/Arbeitslohn für mehrere Jahre) i. H. v. 70.200 € enthalten, die von der damaligen Arbeitgeberin (B… GmbH) ausweislich der Lohnsteuerbescheinigung für 2017 (Bl. 42 ESt-Akte) nicht ermäßigt lohnversteuert worden war und welche unstreitig die Voraussetzungen der §§ 24 Nr. 1a, 34 Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erfüllt. Ferner zahlte der Kläger im Streitjahr an die Agentur für Arbeit einen Betrag – zwischen den Beteiligten unstrittig – i. H. v. von 17.330 € für zuvor erhaltenes Arbeitslosengeld zurück (Bl. 45b, 45c, 47 ESt-Akte).
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Mit Einkommensteuerbescheid für 2017 vom 04.06.2018 (Bl. 25 ff. Streitakte) setzte der Beklagte die Einkommensteuer auf
20.973 €
wie folgt fest (Beträge in €).
Randnummer
3
zu versteuerndes Einkommen (zvE)
93.352
zu versteuern nach dem Progressionsvorbehalt (§ 32b EStG)
nach dem Grundtarif mit 19,3919 % aus 95.352
18.490
(tarifliche ESt)
abzüglich Ermäßigung für Handwerkerleistungen
23
verbleiben
18.467
zuzüglich
Altersvorsorgezulage
154
Kindergeld (Kigeld) für das am xx.06.1999 geborene Kind
1.176
Kigeld für das am xx.02.2013 geborene Kind
1.176
Festzusetzende ESt
20.973
Randnummer
4
Gegen die Einkommensteuerfestsetzung für 2017 legte der Kläger rechtzeitig Einspruch ein, mit dem er beantragte, die tarifliche ESt auf den Betrag von 9.658 € herabzusetzen. Nach seinen Berechnungen würde sich anstelle des vom Beklagten ermittelten Steuersatzes ein solcher von 13,759 % ergeben. Angewandt auf ein Fünftel der Abfindung von 14.040 € betrage die tarifliche ESt lediglich 9.658 €.
Randnummer
5
Nachdem der Beklagte erwidert hatte, dass die Abfindung mit dem ermäßigten Steuersatz (§ 34 Abs. 1 EStG) besteuert und das vom Kläger zurückgezahlte Arbeitslosengeld beim negativen Progressionsvorbehalt berücksichtigt worden sei und eine weitere Reduzierung der festgesetzten ESt ausscheide, ermittelte der Kläger nunmehr eine tarifliche ESt von 14.501 €, die auf folgender Berechnung beruht (Beträge in €):
Randnummer
6
zvE
95.352
abzüglich Abfindung
70.200
korrigiertes zvE
25.152
zuzüglich 1/5 Abfindung
14.040
fiktives zvE
39.192
darauf entfallende ESt
8.096 (20,657 % * 5 = 103,286 %)
Randnummer
7
Angewandt auf 1/5 der Abfindung von 14.040 € würde sich deshalb eine tarifliche ESt von 14.501 € ergeben.
Randnummer
8
Mit Einspruchsentscheidung vom 29.08.2018 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, im angefochtenen Bescheid sei das tatsächliche zvE mit dem für den Kläger günstigsten Steuersatz (19,3919 %) besteuert worden. Unterlägen die Einkünfte wie im Streitfall sowohl der Fünftelregelung des § 34 Abs. 1 EStG als auch dem negativen Progressionsvorbehalt gemäß § 32b Abs. 1 und 2 EStG sei nach R 34.3 der Einkommensteuerrichtlinien (EStR) eine integrierte Steuerberechnung nach dem Günstigkeitsprinzip vorzunehmen. Danach seien die maßgeblichen Ermäßigungsvorschriften in der Reihenfolge anzuwenden, die zu einer geringeren Steuerbelastung führe, als dies bei ausschließlicher Anwendung des negativen Progressionsvorbehalts der Fall wäre. Im angefochtenen Steuerbescheid sei diesen Vorgaben gefolgt und aufgrund des Zusammentreffens von Fünftelregelung und negativem Progressionsvorbehalt eine integrierte Steuerberechnung vorgenommen worden. Dem Günstigkeitsprinzip folgend sei die Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 1 EStG im Rahmen der Ermittlung des besonderen Steuersatzes nach § 32b EStG berücksichtigt worden, mit der Konsequenz, dass die tarifliche ESt insoweit lediglich 18.490 € betrage, während sie im umgekehrten Fall bei Anwendung des negativen Progressionsvorbehalts im Rahmen der Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 1 EStG höher ausgefallen wäre und 27.125 € betragen würde (jeweils ohne Ansatz der besonderen Steuererhöhungs-/ermäßigungstatbestände). Wegen der Einzelheiten zu den Berechnungen nimmt der Senat auf die Seiten 5 und 6 der Einspruchsentscheidung Bezug.
Randnummer
9
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner beim Finanzgericht (FG) fristgerecht eingegangenen Klage vom 12.09.2018. Zur Begründung trägt er vor, dass - mit Ausnahme der Abfindung – seine übrigen Einkünfte aufgrund des Progressionsvorbehalts mit einem besonderen Steuersatz zu besteuern seien. Dieser betrage 0 %. Eine Einkommensteuerfestsetzung komme nur für die von ihm bezogene Abfindung unter Anwendung der Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG zum Zuge. Die hierauf entfallende tarifliche ESt betrage entsprechend der insoweit zutreffenden Berechnung des Beklagten 15.130 € (Seite 5 und 6 Einspruchsentscheidung).
Randnummer
10
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Einkommensteuerbescheid 2017 vom 04.06.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.08.2018 mit der Maßgabe zu ändern, dass die Einkommensteuer unter Berücksichtigung der auf die Abfindung entfallenden Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 1 EStG sowie unter Berücksichtigung eines besonderen Steuersatzes nach Maßgabe des § 32b Abs. 1 und 2 EStG von 0 % für die übrigen Einkünfte eine Einkommensteuer vor Abzug bzw. Hinzurechnung der nicht strittigen Steuerermäßigungen für Handwerkerleistungen, Altersvorsorgezulage und Kindergeld in Höhe von 15.130 € festzusetzen ist,
hilfsweise die Revision zum Bundesfinanzhof zuzulassen.
Randnummer
11
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Randnummer
12
Er hält an seiner bisher vertretenen Auffassung fest und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Gründe seiner Einspruchsentscheidung vom 29.08.2018.
Randnummer
13
Mit Schriftsätzen vom 14.06.2020 und 16.06.2020 (Bl. 43, 44 Streitakte) haben die Beteiligten auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.
Randnummer
14
Dem Senat hat bei seiner Entscheidungsfindung neben einem Band (Bd.) Streitakten zum vorliegenden Klageverfahren ein Bd. Einkommensteuerakten des Beklagten zur Steuernummer … vorgelegen, auf deren Inhalt ergänzend Bezug genommen wird. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt. | 0 |
VG Berlin 5. Kammer | Berlin | 0 | 0 | 15.01.2019 | 1 | Randnummer
1
Die Beteiligten streiten nur noch um den Zeitpunkt der beamtenversorgungsrechtlichen Umsetzung eines familiengerichtlichen Versorgungsausgleichsabänderungsverfahrens. Daneben ging es dem Kläger ursprünglich auch noch um Schadensersatz wegen vorgeblich unrichtiger Auskünfte der Rechtsvorgängerin der Beklagten in einem früheren familiengerichtlichen Abänderungsverfahren.
Randnummer
2
Der im Mai 1940 geborene Kläger trat 1961 in den Dienst der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA). Nachdem er dort zunächst angestellt war, wurde er im Juli 1972 in das Beamtenverhältnis berufen. Mit Ablauf des Mai 2005 ging der Kläger als Verwaltungsoberamtsrat (Besoldungsgruppe A 11) in den Altersruhestand; seitdem erhält er Versorgungsbezüge und eine Regelaltersrente.
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3
Der Kläger war vom 11. November 1965 an mit Frau G...(im Folgenden: Ehefrau) verheiratet. Die Ehefrau war bei der Landesversicherungsanstalt Berlin beschäftigt; sie ging 2008 in Rente. Die Ehe wurde auf den am 3. September 1976 zugestellten Scheidungsantrag am 16. Oktober 1978 geschieden. Mit rechtskräftigem Beschluss des Amtsgerichts C... vom selben Tage (Az. 1...) wurden für die nach § 1587 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) bemessene Ehezeit (November 1965 bis einschließlich August 1976) im Wege des analogen Quasisplittings gemäß § 1 Abs. 3 des Versorgungsausgleichshärtegesetzes (VAHRG) zulasten der für den Kläger bei der BfA bestehenden Versorgungsanwartschaften zugunsten der Ehefrau Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von monatlich 238,16 DM (dies entspricht 121,77 Euro) begründet.
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4
Auf Antrag des Klägers änderte das Amtsgericht T... den oben genannten Beschluss des Amtsgerichts C... mit rechtskräftigem Beschluss vom 12. März 2001 (Az. 1...) dahingehend ab, dass zulasten der beamtenrechtlichen Versorgungsanwartschaften des Klägers statt der ursprünglichen 238,16 DM nur noch 227,92 DM (dies entspricht 116,29 Euro) zugunsten der Rentenanwartschaften der Ehefrau begründet wurden.
Randnummer
5
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 23. März 2005 setzte die BfA die Versorgung des Klägers für die Zeit des Ruhestands ab Juni 2005 fest. Dabei kürzte sie dessen Versorgungsbezüge nach § 57 des Beamtenversorgungsgesetzes (BeamtVG) ausgehend von dem durch das Amtsgericht T... begründeten Betrag von 227,92 DM und unter Berücksichtigung der Erhöhungen um die Vomhundertsätze der beamtenrechtlichen Versorgungsanpassungen bis zum Tag vor dem Beginn des Ruhestands um 250,82 Euro.
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6
Im Oktober 2005 ging die BfA in der neugebildeten Deutsche Rentenversicherung Bund, der Beklagten, auf.
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7
Zum September 2009 trat das Versorgungsausgleichgesetz (VersAusglG) zusammen mit dem reformierten Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) in Kraft.
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8
Auf Antrag des Klägers, der im Juni 2014 beim Familiengericht eingegangen war, änderte das Amtsgericht T... mit Beschluss vom 8. März 2016 (Az. 1...) seinen Beschluss vom 12. März 2001 mit Wirkung vom 1. Juli 2014 ab. Nunmehr wurde im Wege der internen Teilung zulasten der beamtenversorgungsrechtlichen Anrechte des Klägers bei der Beklagten nur noch ein Betrag von 113,09 DM (dies entspricht 57,82 Euro) übertragen. Der Beschluss ist seit dem 19. April 2016 rechtskräftig; der gerichtliche Rechtskraftvermerk gelangte der Versorgungsstelle der Beklagten am 9. Mai 2016 zur Kenntnis.
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9
Daraufhin änderte die Beklagte mit Bescheid vom 10. August 2016 den Versorgungsfestsetzungsbescheid der BfA vom 23. März 2005. Ausgehend von dem familiengerichtlich zuletzt festgesetzten Betrag von 113,09 DM und unter Berücksichtigung der Erhöhungen um die Vomhundertsätze der beamtenrechtlichen Versorgungsanpassungen minderte sie zwar den Kürzungsbetrag nach § 57 BeamtVG von 250,82 Euro auf 154,87 Euro. Die Beklagte entschied jedoch, dass der Bescheid erst zum 1. Juli 2016 Wirkung entfaltete. Dies begründete sie wie folgt: Die Abänderungsentscheidung wirke gemäß § 52 VersAusglG i. V. m. § 226 Abs. 4 FamFG zwar auf den Zeitpunkt des der Stellung des familiengerichtlichen Abänderungsantrags folgenden Monatsersten zurück. Da jedoch vor Eintritt der Rechtskraft der familiengerichtlichen Entscheidung bereits Leistungen an den Kläger als bisher ausgleichspflichtige Person gezahlt worden seien, sei die Beklagte für eine Übergangszeit vom Juli 2014 bis einschließlich Juni 2016 nach § 30 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VersAusglG von ihrer Leistungspflicht befreit.
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10
Dieser zeitlichen Einschränkung widersprach der Kläger. Er machte geltend, die Beklagte dürfe sich auf eine Leistungsbefreiung nicht berufen. Sie habe die lange Dauer des familiengerichtlichen Verfahrens mitverursacht, weil sie die Auskünfte, die das Familiengericht zur Berechnung des Versorgungsausgleichs erbeten hatte, letztlich erst im November 2015 erteilt habe. Der Kläger rügte in seinem Widerspruchsschreiben außerdem, dass bereits der familiengerichtliche Beschluss vom 12. März 2001 aufgrund einer unzutreffenden Auskunft der BfA fehlerhaft gewesen sei.
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Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 6. Dezember 2016 und folgender Begründung zurück: Hinsichtlich der vorgeblich falschen Auskunft der BfA im ersten familiengerichtlichen Abänderungsverfahren sei der Widerspruch mangels durchgeführten Vorverfahrens zwar unzulässig, werde aber als eigenständiger Schadensersatzantrag behandelt, über den gesondert entschieden werde. Hinsichtlich der Versorgungsbezüge für die Zeit von Juli 2014 bis einschließlich Juni 2016 sei der Widerspruch unbegründet. Die Beklagte trete dem klägerischen Eindruck entgegen, sie habe die Dauer des familiengerichtlichen Verfahrens verursacht, weil sie Auskünfte an das Familiengericht verzögert erteilt habe. Vielmehr habe das familiengerichtliche Verfahren so lange gedauert, weil andere Auskunftsbehörden technische Probleme gehabt hätten. Außerdem habe es zwischen dem Familiengericht und der Beklagten unterschiedliche Rechtsauffassungen über die Berechnungsmodalitäten (Höhe der zu berücksichtigenden Sonderzahlung) gegeben. Im Übrigen sei die zeitliche Umsetzung der familiengerichtlichen Entscheidung erst zum Juli 2016 berechtigt, weil sich die Beklagte insoweit auf § 30 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VersAusglG berufe. Der Kläger müsse sich daher an seine Ehefrau halten, um deren diesbezügliche (Renten-)Überzahlungen wirtschaftlich abzuschöpfen.
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Mit der noch im Dezember 2016 erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren zunächst nur hinsichtlich der Versorgungsbezüge für die Zeit von Juli 2014 bis einschließlich Juni 2016 weiterverfolgt.
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13
Mit Bescheid vom 22. Februar 2017 hat die Beklagte zwischenzeitlich auch die Zahlung von Schadensersatz wegen vorgeblich unrichtiger Auskünfte im ersten familiengerichtlichen Abänderungsverfahren abgelehnt, weil der Kläger es unterlassen habe, ein Rechtsmittel gegen den Beschluss des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 12. März 2001 einzulegen; im Übrigen habe die BfA dem Familiengericht auch keine unrichtige Auskunft erteilt. Den hiergegen eingelegten Widerspruch hat die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7. April 2017 zurückgewiesen. Mit Schriftsatz vom 10. April 2017 hat der Kläger die Klage hinsichtlich des Schadensersatzbegehrens wegen unzutreffender Auskünfte der BfA als Rechtsvorgängerin der Beklagten im ersten familiengerichtlichen Versorgungsausgleichsabänderungsverfahren erweitert; der Schriftsatz wurde der Beklagten am 19. April 2017 zugestellt. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger die Klage insoweit zurückgenommen.
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Der Kläger beantragt zuletzt nur noch,
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15
die Beklagte zu verpflichten, ihm erhöhte Versorgung nach Maßgabe des Beschlusses des Amtsgerichts T... vom 8. März 2016 (Az. 1...) bereits ab dem 1. Juli 2014 zu gewähren, und den Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 10. August 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides derselben Behörde vom 6. Dezember 2016 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
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16
Die Beklagte beantragt,
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17
die Klage abzuweisen.
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18
Sie vertieft ihre Ansicht, sich auf § 30 VersAusglG berufen zu können, und weist ergänzend darauf hin, dass auch die Änderung der Anrechte bei der gesetzlichen Rentenversicherung und der betrieblichen Altersversorgung einheitlich zum 1. Juli 2016 erfolgt sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang der Beklagten (zwei Halbhefter) verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind. | Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger erhöhte Versorgung nach Maßgabe des Beschlusses des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 8. März 2016 (Az. 138 F 11263/14) bereits ab dem 1. Juli 2014 zu gewähren.
Der Bescheid der Deutsche Rentenversicherung Bund vom 10. August 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides derselben Behörde vom 6. Dezember 2016 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 4/5 und die Beklagte zu 1/5.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Berufung und die Sprungrevision werden zugelassen. | 0 |
Baden-Württemberg | 0 | 1 | 0 | 1
Streitig ist die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung.
2
Die Klägerin, ein nach § 108 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zur Versorgung gesetzlich Krankenversicherter zugelassenes Hochschulklinikum, behandelte vom 19.06.2016 bis 27.06.2016 vollstationär die Versicherte der Beklagten, G (geb. 1953). Die Versicherte war an einem Karzinom im Bereich des Blinddarms erkrankt. Am 20.06.2016 erfolgte die operative Entfernung eines Teils des Dickdarmes (Hemikolektomie rechts). Der Histologiebefund ergab eine Infiltration des terminalen Ileums.
3
Am 06.07.2016 stellte die Klägerin der Beklagten für die Behandlung der Versicherten 11.955,89 EUR in Rechnung. Sie brachte unter anderem den Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) 5-455.91 [Resektion des Colon ascendens mit Coecum und rechter Flexur und Colon transversum (Hemikolektomie rechts mit Transversumresektion)] zum Ansatz und rechnete mit der Diagnosis Related Group (DRG) G02B (komplexe Eingriffe an Dünn- und Dickdarm) ab.
4
Die Beklagte beglich die Rechnung zunächst. Sodann legte sie die Sache dem MDK zur Prüfung der Kodierung vor (Prüfanzeige vom 28.07.2016). Im Gutachten vom 29.09.2016, das auf Grundlage einer Vorort-Prüfung von G1 am 28.09.2016 erstellt wurde, kam der MDK zu dem Ergebnis, anstatt des OPS 5-455.91 sei der OPS 5-455.41 [Resektion des Colon ascendens mit Coecum und rechter Flexur (Hemikolektomie rechts)] zu kodieren. Damit sei die Klägerin einverstanden. Daraus ergebe sich anstatt der DRG G02B die DRG G18B (bestimmte Eingriffe an Dünn- und Dickdarm). In der Fallerörterung habe die Klägerin den OPS 5-454.20 (Segmentresektion des Ileums) nachkodiert. Entsprechend dem OP-Bericht sei ein Absetzen des Ileums von ca. 40 cm vor dem tumorösen Prozess erfolgt. Dies stelle einen integralen Bestandteil der Hemikolektomie rechts dar und könne nicht extra kodiert werden.
5
Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 13.10.2016 mit, es bestehe ein Erstattungsanspruch in Höhe von 3.084,40 EUR. Die Klägerin entgegnete mit Schreiben vom 06.10.2016, die Resektion sei nicht integraler Bestandteil des geänderten OPS 5-455.41. In diesem Kode sei die Mitresektion einer Ileummanschette enthalten; im vorliegenden Fall seien 40 cm Ileum entfernt worden. Diese Länge sei eindeutig mehr als eine Manschettenresektion.
6
Am 07.08.2017 verrechnete die Beklagte den strittigen Betrag.
7
Am 29.05.2019 hat die Klägerin zum Sozialgericht Mannheim (SG) Klage erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, die Kodierung des OPS 5-454.20 sei zutreffend erfolgt. Bei der Versicherten sei eine erweiterte Hemikolektomie rechts mit partieller Omentumresektion, eine Ileumresektion und eine komplette Lymphadenektomie bis an den Pankreaskopf und eine partielle Bauchwandresektion erfolgt. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei die Segmentresektion des Ileums (OPS 5-454.20) nicht integraler Bestandteil der Hemikolektomie, welche mit OPS 5-455.41 abgebildet werde. Nach dem OP-Bericht seien 40 cm Ileum reseziert worden. Dabei handele sich nicht um die Resektion einer Manschette, die Bestandteil von OPS 5-455.4 sei. Zu dem Sachverständigengutachten von S (s. unten) hat sie unter Vorlage einer Stellungnahme von H vom 03.11.2019 ausgeführt, die Lokalisation des Tumors und die Infiltration aus onkologischer Sicht habe das erweiterte Ausmaß der Resektion indiziert. Das Resektionsausmaß sei korrekt gewählt und unabdingbar erforderlich gewesen.
8
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Die Prüfung durch den MDK habe ergeben, dass eine andere DRG als zunächst in der Rechnung angenommen zu vergeben sei. Dem habe sich die Klägerin angeschlossen. Der streitige Betrag stehe ihr aber nicht zu. Die Kodierung sei nicht ordnungsgemäß. Der OPS 5-454.20 könne nicht kodiert werden, da er integraler Bestandteil der Hemikolektomie sei. Das Sachverständigengutachten von S (s. unten) bestätige den Vergütungsanspruch nicht. Der Gutachter habe ausgeführt, es sei wenig nachvollziehbar, warum 40 cm Ileum entfernt worden seien.
9
Das SG hat ein Gutachten nach Aktenlage bei S, Facharzt für Chirurgie und Sozialmedizin, eingeholt. Im Gutachten vom 07.10.2019 hat S ausgeführt, die Entfernung des terminalen Ileums sei Bestandteil einer Hemikolektomie. Die erforderliche Länge des Ileumresektates betrage allerdings im Normalfall 10 cm (-20 cm), nicht jedoch 40 cm, soweit sich nicht Umstände ergäben, die ein davon abweichendes Ausmaß erforderten. Insoweit könne der Einschätzung des MDK nicht zugestimmt werden. Ein Ileumsegment von 40 cm könne dem Wortlaut nach eher nicht als Manschette bezeichnet werden, allerdings auch nicht bei einer (nach geltendem operativen Standard üblichen) Länge von 10 (-15 bis 20 cm). Habe die Länge des resezierten Ileumabschnitts 40 cm betragen, sei das regelhaft vorzunehmende und operationstechnisch erforderliche Ausmaß der Ileumresektion offenbar überschritten. Nach den Hinweisen zum OPS 5-455 (partielle Resektion des Dickdarms) wäre dann auch ein Nachbarorgan teilreseziert worden und dies somit gesondert zu kodieren (5-454.20). Habe die Ileumresektion lediglich ca. 20 cm betragen, überschreite dieses Maß nicht den operativ erforderlichen bzw. üblichen Umfang im Rahmen einer Hemikolektomie rechts. Ob und weshalb die Entfernung von 40 cm Ileum notwendig gewesen sei, müsse offenbleiben, da entsprechende Hinweise im Operationsbericht nicht enthalten seien.
10
Mit Urteil vom 18.05.2020 hat das SG die Beklagte verurteilt, der Klägerin 3.084,40 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.08.2017 zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe im vorliegenden Fall zu Recht den OPS-Kode 5-454. 20 (Teilresektion des Ileums) angesetzt. Während der Operation der Versicherten in Form einer Hemikolektomie rechts bei Karzinom sei im vorliegenden Fall unter anderem auch eine Segmentresektion des Ileums erfolgt. Entgegen der Auffassung der Beklagten und des MDK sei die vorgenommene Segmentresektion aber nicht integraler Bestandteil der durchgeführten Hemikolektomie rechts. Der entfernte Teil des Ileums sei nicht als „Ileummanschette“, die aus operationstechnischen Gründen habe mit entfernt werden müssen, im Sinne des Hinweises in 5-455.4 aufzufassen. Zum einen ergebe sich aus der Stellungnahme von H vom 03.11.2019, dass die Teilresektion gerade nicht aus operationstechnischen Gründen erfolgt sei, sondern aus chirurgisch-onkologischen Gründen, um den Tumor radikal und vollständig sicher zu entfernen. Die Lokalisation des Tumors in der Ileocoekalklappe und die Infiltration des terminalen Ileums hätten aus onkologischer Sicht das erweiterte Ausmaß der Resektion oralwärts erforderlich gemacht. Mithin sei bereits das Erfordernis des zitierten Hinweises in 5-455.4, nämlich die aus „operationstechnischen Gründen erforderliche" Mitresektion eines Ileumsteils im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Wie sich aus dem Gutachten von S ergebe, sei zum anderen die Mitresektion eines Ileumsegments von mehr als 10-15 cm nicht integraler Bestandteil einer Hemikolektomie rechts. Dies werde auch gestützt durch das Vorbringen des damaligen Operateurs, H. Auch dieser teile nachvollziehbar und schlüssig mit, dass die „übliche“ Länge eines mitresezierten Ileumsegments in der Regel 10 cm sei. Aus dem Gutachten des MDK ergebe sich an keiner Stelle, wie lang nach Auffassung des MDK normalerweise die mitentfernten Ileumteile bei einer Operation wie der vorliegenden seien. Mithin sei das hier mit entfernte Ileumteil nicht als „Ileummanschette“ im Sinne des Hinweises in OPS 4 - 455.4 zu sehen. Soweit H in seiner Stellungnahme vom 03.11.2019 angegeben habe, es könne sein, dass das entfernte Stück nicht 40 cm, sondern auch nur 30 cm gewesen sei, ergebe sich hieraus nichts Anderes. Auch in der Pathologie sei das entfernte Stück noch mehr als 21 cm lang gewesen. Ausgehend von den Werten, die sowohl H wie auch, mit diesem also übereinstimmend, S angegeben hätten, nämlich von 10-15, max. 20 cm, habe im vorliegenden Fall eine weitergehende Entfernung vorgelegen. Im Übrigen dürfte ohnehin bei einer Resektion von mehr als 10 Zentimetern nicht mehr von einer üblicherweise mitentfernten „Manschette" zu sprechen sein; hierauf komme es vorliegend aber aus den genannten Gründen nicht an. Daraus ergebe sich, dass die vorliegend erfolgte Segmentresektion eines Teils des Ileums nicht integraler Bestandteil einer Hemikolektomie rechts gewesen sei und mithin nicht von OPS 5-455.41 umfasst werde. Soweit der Gutachter S am Ende seines Gutachtens angegeben habe, es sei für ihn nicht ersichtlich gewesen, weshalb im vorliegenden Fall ein so großer Teil des Ileums reseziert worden sei, sei dies durch H schlüssig und nachvollziehbar erläutert worden. Im vorliegenden Fall sei die Entfernung des großen Stückes eben nicht aus operationstechnischen Gründen erfolgt, sondern aufgrund der Lage des Tumors. Um den erforderlichen Sicherheitsabstand zum betroffenen Gewebe einzuhalten, sei es ihm Falle der Versicherten erforderlich gewesen, dieses große Stück des Ileums mit zu entfernen. Auch dies zeige wiederum, dass die vorliegend erforderliche und erfolgte Teilresektion des Ileums nicht Bestandteil einer „normalen“ Hemikolektomie rechts sei. Der entgegenstehenden Auffassung der Beklagten unter Verweis auf den MDK könne sich das Gericht nicht anschließen. Der MDK habe sich nur mit dem einen Satz, die Entfernung stelle einen integralen Bestandteil der Hemikolektomie rechts dar und könne nicht extra kodiert werden, zu dem Fall geäußert. Weitere medizinische Äußerungen lägen ansonsten von ihm nicht vor. Wie dargestellt, erweise sich dies jedoch als unzutreffend. Die Auffassung des MDK sei daher widerlegt.
11
Gegen das ihr am 22.05.2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 11.06.2020 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Sie macht geltend, die Voraussetzungen für die Kodierung des OPS 5-454.20 lägen nicht vor. Die Teilresektion des Ileums sei integraler Bestandteil der durchgeführten Hemikolektomie (OPS 5-455.41) und könne nicht zusätzlich kodiert werden. Dies folge aus dem eindeutigen Wortlaut des OPS 5.455, wonach die aus operationstechnischen Gründen erforderliche Mitresektion einer Ileummanschette im Kode enthalten sei. Auch der Sachverständige bestätigte dies. Der OPS 5-455.4 unterscheide nicht nach der Länge der mitentfernten Ileummanschette. Zudem sei die Entfernung von 40 cm Ileum nicht medizinisch notwendig gewesen. Außerdem werde bestritten, dass überhaupt 40 cm Ileum entfernt worden seien. Das SG hätte aufklären müssen, ob die die Entfernung von 40 cm Ileum tatsächlich notwendig gewesen sei. Außerdem hätte es die Bedeutung des Begriffs „Ileummanschette“ klären müssen. Schließlich sei die Klägerin mit der Nachkodierung des OPS 5-455.4 nach § 7 Prüfverfahrensvereinbarung (PrüfvV) ausgeschlossen. Bislang sei kein entsprechender neuer Rechnungsdatensatz an die Beklagte übermittelt worden. Ergänzend hat die Beklagte ein weiteres Gutachten des MDK vom 21.06.2021 vorgelegt. S führt darin aus, die durchgeführte Resektion entspreche der im Code der Hemikolektomie enthaltenen operationstechnisch erforderlichen Mitresektion des terminalen Ileumsegmentes. Ein operativer Mehraufwand zusätzlich zur üblichen Resektion im Rahmen der Ileozökalresektion sei im OP-Bericht nicht beschrieben; die Skelettierung der Arteria ileocolica sei integraler Bestandteil der Hemikolektomie rechts und stelle ein operatives Standardvorgehen dar. Die Mitresektion des terminalen Ileums sei medizinisch immer notwendig, da das terminale Ileum in den Versorgungsbereich der Arteria ileocolica falle. Eine Hemikolektomie rechts ohne Mitresektion des terminalen Ileums sei nicht möglich. Die Dokumentation der Klägerin sei widersprüchlich. Die Resektion von 40 cm im Ileum sei weder mit dem Histologiebericht noch mit der im OP-Bericht beschriebenen durchgeführten Skelettierung in Einklang zu bringen.
12
Die Beklagte beantragt,
13
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 18.05.2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
14
Die Klägerin beantragt,
15
die Berufung zurückzuweisen.
16
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der OPS 5-454.20 sei kein integraler Bestandteil der Hemikolektomie, abgebildet mit dem OPS 5-455.41. Ausweislich des Operationsberichts seien ca. 40 cm Ileum reseziert worden. Im Operationsbericht heiße es: „Absetzen des Ileums ca. 40 cm vor dem tumorösen Prozess mit dem GIA 55 und komplette Skelettierung des Resektates.“ H habe in seiner Stellungnahme vom 03.11.2019 erklärt, dass es sich bei der im OP angegebenen Länge um eine Schätzung am gestreckten Frischpräparat gehandelt habe. Die Länge könne intraoperativ auch lediglich 30 cm betragen haben. Dass diese nach Fixierung mit lediglich 21,5 cm ausgemessen worden sei, sei verständlich und völlig nachvollziehbar. Bei der erfolgten Resektion des Ileums von ca. 40 cm handele es sich nicht um eine Manschettenresektion, die im Hinweis unter dem OPS 5-455.41 verankert sei. Eine Manschette meine im semantischen Sinne eine Ummantelung eines Gegenstands oder eines Körperteils. Bei einer Länge von 40 cm respektive 21,5 cm sei im Hinblick auf den vorliegenden Eingriff das Ausmaß einer Ummantelung hingegen überschritten. Das SG sei zu Recht nicht auf den Begriff der Manschette eingegangen, da bereits die Voraussetzung der erforderlichen Mitresektion aus operationstechnischen Gründen nicht vorgelegen habe. Hierzu führe der Sachverständige S in seinem Gutachten vom 07.10.2019 aus, dass lediglich die Entfernung des letzten Ileumabschnittes in einem Umfang, der eine sichere Durchblutung des terminalen Ileums bei Wegfall der Versorgung durch die Arteria ileocolica und deren Äste gewährleiste, operationstechnisch erforderlich sei. Das Gutachten verhalte sich nicht zu der Frage, ob die vorgenommene Resektion im Allgemeinen medizinisch notwendig gewesen sei. Streitgegenstand sei lediglich die Frage, ob die durchgeführte Resektion von der Kodierung OPS 5-455.41 mitumfasst sei. Da es sich vorliegend um einen fokal fortgeschrittenen, radikal entfernten Tumor gehandelt habe, der in der Ileocoekalklappe lokalisiert und der terminale Ileum infiltriert gewesen sei, habe das hier vorliegende erweiterte Ausmaß der Resektion oralwärts aus chirurgisch-onkologischen Gründen - nicht aus operationstechnischen Gründen - radikal reseziert werden müssen. Damit sei gleichzeitig die medizinische Notwendigkeit der radikalen Resektion begründet. Soweit die Beklagte behaupte, die Klägerin sei mit der „Nachkodierung“ des OPS 5-455.41 nach § 7 PrüfvV ausgeschlossen, da kein entsprechender neuer Rechnungsdatensatz an die Beklagte übermittelt worden sei, so irre sie. Da sich die abgerechnete DRG und der damit einhergehende Rechnungsbetrag durch den Austausch des OPS und der zusätzlichen Kodierung des streitigen OPS nicht geändert habe, sei eine Rechnungskorrektur nicht erforderlich. Zudem müsse nochmals hervorgehoben werden, dass infolge des nicht zu erzielenden Konsenses mit dem MDK die Klägerin dem Austausch der beiden Prodezurenschlüssel nur unter der Maßgabe zugestimmt habe, dass für den Fall des Austauschs der beiden Prozedurenschlüssel der OPS 5-454.20 kodiert werden müsse, faktisch keine geänderte Kodierung erfolgt sei. Zu dem von der Beklagten vorgelegten Gutachten des MDK vom 21.06.2021 hat die Klägerin eingewendet: Unabhängig davon, ob es sich um eine Länge von 40 cm oder aber 21,5 cm gehandelt habe, bleibe zu konstatieren, dass, bestätigt durch den Sachverständigen, der entfernte Teil des Ileums nicht als „Ileummanschette", die aus operationstechnischen Gründen mitentfernt werden musste, im Sinne des Hinweises in 5-455.4 aufzufassen sei. Da eine Abgrenzung einer „Manschette“ gegenüber einem separat kodierbaren Dünndarmsegment nicht festgelegt gewesen sei, sei im Jahr 2014 auf Vorschlag der gemeinsamen DRG-Kommission von BDC (Berufsverband der Deutschen Chirurgen e.V.) und DGCH (Deutsche Gesellschaft für Chirurgie) in den OPS aufgenommen worden: „Eine über die Mitresektion einer Manschette hinausgehende Resektion eines Segmentes mit seiner radiären mesenterialen Gefäßversorgung ist gesondert zu kodieren (5-454f., 5-455ff.).“ Eine ca. 2 bis 5 cm lange, über Gefäßarkaden versorgte Darm-Manschette erfülle diese Bedingung nicht. Längere Darmabschnitte beziehungsweise Darmsegmente seien dagegen als Segmentresektion zusätzlich kodierbar (Quelle: https://www.bdc.de/diagnosen-und prozedurenkodierung2014-chirurgisch-relevante-aenderungen-3-icd-10-gm-und-ops/). Dies stütze die Feststellungen des Sachverständigen, dass jedenfalls bei einer Länge von 10 bis 15 cm nicht von einer Manschette gesprochen werden könne und damit die vorgenommene Segmentresektion auch nicht integraler Bestandteil der stattgehabten Hemikolektomie gewesen sei. Der entfernte Teil des Ileums sei nicht als „Ileummanschette" zu begreifen, die aus operationstechnischen Gründen mitentfernt werden musste.
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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG, die von der Klägerin vorgelegte Patientenakte der Versicherten sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen. | Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 18.05.2020 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird endgültig auf 3.084,40 EUR festgesetzt. | 0 |
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VG Kassel | Hessen | 0 | 1 | 19.05.2023 | 1 | Der am ….. geborene Kläger begehrt die Anerkennung von Vordienstzeiten als ruhegehaltsfähig.
Er erlangte am 7. März 1983 die Lehrbefähigung für das Lehramt an Gymnasien. Vom 2. April 1987 bis zum 30. Juni 1992 war er als Lehrer beim C. tätig. Vom 2. April 1987 bis zum 22. April 1990 erfolgte dies im Rahmen einer Teilzeitbeschäftigung. Im Anschluss war der Kläger bis zum 17. Mai 1991 in Vollzeit als hauptberuflicher Lehrer beim C, beschäftigt. Es folgte eine weitere Beschäftigung in Teilzeit vom 18. Mai 1991 bis zum 30. Juni 1992. Vom 1. Juli 1992 bis zum 15. September 1993 war der Kläger bei dem C. als Sozialpädagoge angestellt. Daneben war er zwischen 1988 bis 1991 Dozent bei der D.
Am 1. September 1991 nahm der Kläger eine Tätigkeit als angestellter Lehrer in der Justizvollzugsanstalt E. auf. Es folgte am 1. Oktober 1993 die Ernennung zum Oberlehrer im Justizvollzugsdienst z.A. unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe. Nachdem der Kläger zuletzt das Amt eines Hauptlehrers im Justizvollzugsdienst innehatte, trat er mit Ablauf des 31. März 2019 in den Ruhestand.
Mit Schreiben vom 12. April 2018 beantragte der Kläger beim Regierungspräsidium Kassel die Anerkennung von hauptberuflichen Beschäftigungszeiten nach
§ 11 Abs. 2 des Hessischen Beamtenversorgungsgesetzes (HBeamtVG)
sowie die Anerkennung förderlicher beruflicher Tätigkeit nach
§ 12 Abs. 2 HBeamtVG
. Weiterhin beantragte der Kläger die Berechnung seiner Ruhegehaltsbezüge.
Mit Schreiben vom 4. Oktober 2018 (Bl. 7 bis 12 der Gerichtsakte) erteilte das Regierungspräsidium Kassel dem Kläger eine Versorgungsauskunft. In dieser wurde eine Anrechnung der Lehrtätigkeit des Klägers beim Berufsfortbildungswerk nach
§ 11 Abs. 2 HBeamtVG
und
§ 12 Abs. 2 HBeamtVG
abgelehnt. Eine Anwendung von
§ 12 Abs. 2 HBeamtVG
komme nicht in Betracht, da der Kläger als Lehrer nicht Vollzugsbeamter gewesen sei. Eine Anrechnung der Lehrtätigkeit in der Justizvollzugsanstalt vom 1. September 1991 bis zum 30. November 1991 wurde wegen ihres Umfangs von 4/23 Wochenstunden abgelehnt. Das Schreiben enthält eine Rechtsmittelbelehrung, wonach binnen eines Jahres Klage erhoben werden könne.
Mit Bescheid vom 24. Januar 2019 (Bl. 13 ff der Gerichtsakte) setzte das Regierungspräsidium Kassel die Versorgungsbezüge des Klägers fest. Auch dieser Bescheid enthält eine Rechtsmittelbelehrung. Wiederum heißt es dort, es könne Klage binnen Jahresfrist erhoben werden.
Mit Schreiben vom 6. Juni 2019 wies der Bevollmächtigte des Klägers darauf hin, dass hinsichtlich der Lehrtätigkeit des Klägers beim C. im Zeitraum vom 23. Februar 1988 bis zum 25. Juni 1991 eine Berücksichtigung nach
§§ 11
und
12 HBeamtVG
zu prüfen sei. Auch erfülle die entsprechende Tätigkeit des Klägers das Merkmal der Hauptberuflichkeit im Sinne der
§§ 10
und
11 HBeamtVG
.
In seinem Schreiben vom 14. August 2019 teilte das Regierungspräsidium Kassel dem Bevollmächtigten des Klägers mit, dass die Beschäftigungszeit des Klägers beim C. nach keiner Rechtsvorschrift als ruhegehaltsfähige Dienstzeit Berücksichtigung finde könne. Mangels einer Tätigkeit im öffentlichen oder nicht öffentlichen Schuldienst im Rahmen einer Unterrichtserteilung mit Lehrbefähigung scheide eine Anwendung des
§ 11 Abs. 1 Nr. 1 b HBeamtVG
aus. Eine Berücksichtigung könne nicht nach
§ 11 Abs. 2 HBeamtVG
erfolgen, da der Kläger aus dieser Tätigkeit keine besonderen Fachkenntnisse erworben habe, die die Voraussetzung für die Wahrnehmung seines Amtes bildeten. Es habe sich bei der Tätigkeit weder um eine vorgeschriebene Ausbildung noch um eine vorgeschriebene praktische hauptberufliche Tätigkeit gehandelt, weshalb auch eine Berücksichtigung nach
§ 12 HBeamtVG
ausscheide.
Der Kläger hat am 4. Oktober 2019 gegen die Versorgungsauskunft vom 4. Oktober 2018 und den Festsetzungsbescheid vom 24. Januar 2019 Klage erhoben.
Zur Begründung trägt er vor, dass es sich bei der Tätigkeit beim C. um Schuldienst im Sinne des
§ 11 Abs. 1 Nr. 1 b HBeamtVG
handle. Den Großteil der Beschäftigung des Klägers habe der Unterricht in den allgemeinbildenden Fächern Deutsch, Mathematik, Biologie, Wirtschafts- und Sozialkunde, Erdkunde sowie Arbeitslehre ausgemacht. Der Unterricht habe auf den Erwerb des Hauptschulabschlusses abgezielt. Auch sei der Begriff des Schuldienstes über das klassische Verständnis einer Schule hinaus auszulegen. So unterfalle etwa nach § 42 der Hessischen Laufbahnverordnung (HLVO) auch die Lehrtätigkeit in einer Justizvollzugsanstalt dem Begriff des Schuldienstes. Die Lehrtätigkeit des Klägers beim Berufsfortbildungswerk sei hauptberuflich erfolgt und unterscheide sich nicht von seiner späteren Lehrtätigkeit in der Justizvollzugsanstalt. Daher habe es sich auch bei der Tätigkeit beim C. um Schuldienst im Sinne des
§ 11 Abs. 1 Nr. 1 b HBeamtVG
gehandelt.
Da die Tätigkeit des Klägers inhaltlich gar nicht geprüft worden sei, stelle sich die Entscheidung der Versorgungsbehörde als unzutreffend und ermessensfehlerhaft dar.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, die Versorgungsauskunft vom 04. Oktober 2018 und die Festsetzung der Versorgungsbezüge vom 24. Januar 2019 durch den Beklagten in Bezug auf die Nichtberücksichtigung von Vordienstzeiten nach
§ 11
und
12 HBeamtVG
insoweit abzuändern, dass dem Kläger weitere Versorgung gewährt wird,
hilfsweise,
den Beklagten zu verpflichten, den Kläger unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des angerufenen Gerichts neu zu verbescheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt er aus, dass eine Berücksichtigung ruhegehaltsfähiger Dienstzeiten nach
§ 11 Abs. 1 Nr. 1 b HBeamtVG
nicht in Betracht komme, da die Lehrtätigkeit nicht im Schuldienst im Sinne der Vorschrift stattgefunden habe. Danach seien Lehrtätigkeiten im nicht öffentlichen Schuldienst nur insofern zu berücksichtigen, als sie bei einer als Ersatz für eine öffentliche Schule staatlich genehmigten Privatschule geleistet worden seien. Zweck der Vorschrift sei eine Erleichterung des Überwechselns vom privaten in den öffentlichen Schuldienst. Diese enge Auslegung ergebe sich durch die Aufführung des nicht öffentlichen Schuldienstes als Alternative zum öffentlichen Schuldienst in
§ 11 Abs. 1 Nr. 1 b HBeamtVG
. Das Berufsfortbildungswerk stelle jedoch keine staatlich anerkannte Ersatz- oder Ergänzungsschule dar.
Die Lehrtätigkeit könne auch nach
§ 11 Abs. 2 HBeamtVG
keine Berücksichtigung finden, da der Kläger hierdurch keine Fachkenntnisse erworben habe, die Voraussetzung für die Wahrnehmung seines Amtes darstellten. Vorausgesetzt seien Fachkenntnisse nur dann, wenn sie aufgrund von Laufbahn- oder Prüfungsvorschriften oder tatsächlichen Gründen für die Besetzung des Amtes gefordert würden.
Eine Anwendung des
§ 12 Abs. 1 HBeamtVG
sei deshalb ausgeschlossen, weil die Tätigkeit beim C. anders als der mit der zweiten Staatsprüfung abgeschlossene Vorbereitungsdienst keine erforderliche Mindestzeit darstelle.
Die Vorschrift des
§ 12 Abs. 2 HBeamtVG
ziele auf den Umstand ab, dass Beamtinnen und Beamte des Justizvollzugsdiensts infolge der niedrigeren Altersgrenze oftmals nicht den Höchstruhegehaltssatz erreichen können. Dagegen sei der Kläger als Hauptlehrer im Justizvollzugsdienst nach Erreichen der allgemeinen gesetzlichen Regelaltersgrenze gemäß
§ 33 Abs. 1 bis 3 HBG
in den Ruhestand getreten. Eine Berücksichtigung könne daher auch nicht nach
§ 12 Abs. 2 HBeamtVG
erfolgen.
Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 1. September 2020 und 9. September 2020 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Die Kammer hat den Rechtstreit mit Beschluss vom 25. Oktober 2021 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichts- und Behördenakten. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet. | 0 |
AG Hanau | Hessen | 0 | 0 | 16.03.2011 | 0 | Randnummer
1
Der Kläger begehrt als Vermieter die Zustimmung der Beklagten zu einer Mieterhöhung.
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2
Zwischen den Parteien besteht ein Wohnraummietverhältnis aus dem Jahr 1981. Die Wohnung hat eine Größe von 110 qm. Das Bad der Wohnung ist umlaufend an den Wänden, nicht jedoch am Boden gekachelt.
Randnummer
3
Mit Schreiben vom 02.06.2010 hat der Kläger die Beklagten aufgefordert, einer Mieterhöhung im Zuge einer Anpassung an die in dem Mietspiegel für H. angegebenen Mieten von bisher monatlich 429,79 EUR auf monatlich 506,00 EUR (4,60 EUR/qm) zuzustimmen, die damalige Miete war seit 15 Monaten unverändert.
Randnummer
4
Die Beklagten haben der Mieterhöhung innerhalb der hierfür vorgesehenen Frist nicht zugestimmt.
Randnummer
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Der Kläger behauptet, dass Haus sei zwischen 1949 und 1964 errichtet worden.
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Der Kläger beantragt,
die Beklagten zu verurteilen, der Erhöhung der Nettokaltmiete von bisher monatlich 429,79 EUR um 76,21 EUR auf nunmehr monatlich 506,00 EUR für ihre im Hause G., … H., 3. Obergeschoss, bestehend aus 4 Zimmern, 1 Küche, 1 Korridor, 1 Bad, 1 Kellerraum und 1 Toilette innegehaltene Mietwohnung zum 01.09.2010 zuzustimmen.
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Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
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Die Beklagten bestreiten das Baualter des Gebäudes. Sie bringen weiter vor, dass aufgrund des Zustandes der Wohnung eine Mieterhöhung nach dem Mietspiegel nicht zulässig wäre, da die Wohnung zahlreiche Mängel aufweise (Bl. 26 d.A.). Bei dem Einzug der Beklagten sei die Wohnung in einem desolaten Zustand gewesen, sie hätten diese daher selbst u.a. mit neuen Teppichböden und durch Tapezieren ausgestattet. Der Fußboden des Badezimmers sei nicht gefliest und das Bad verfüge über keine Toilette. Ein Fliesen des Fußbodens sei hier nicht möglich, da der Boden nachgebe. Die Toilette sei nicht gefliest, die Toilettenschüssel sei bei Einzug in einem heruntergekommenen Zustand gewesen und habe von den Beklagten ausgetauscht werden müssen. Die Toilette sei nicht beheizt, das Fenster sei ein altes Holzfenster, das keine Wärmedämmung biete. Weiterhin weise die Tür bei geschlossenem Zustand einen Spalt auf. Die Wände in der Küche befänden sich in einem schlechten Zustand und seien ungerade, so dass keine Hängeschränke befestigt werden könnten, die Beklagten hätten daher eine Rigipswand eingebaut. Die Küche sei bei Einzug nicht gefliest gewesen. Der Boden der Küche knarre und quietsche beim Laufen, er sei zudem ungerade. Die Küchendecke weise eine Wölbung auf. Die Speisekammer sei nicht wärmegedämmt, die Tür sei 1 cm dick und im Winter trete kalte Luft ein. Der Boden im Kinderzimmer sei ungerade, knarre und quietsche. Im Wohnzimmer fehle die Eingangstür, an der Wandseite seien Holbretter angebracht, die übertapeziert wurden. Die übrigen Wände seien ungerade. Ein in die Wand im Wohnzimmer eingelassener Schrank weise Löcher auf, die zum Dach führten. Der Boden im Wohnzimmer knarre und gebe nach. Die Decke weise auch hier Wölbungen auf. Die Substanz der Wände in den Zimmern sei in schlechtem Zustand. Man höre die Unterhaltungen der Nachbarn deutlich. Die Wände im Schlafzimmer seien ungerade, der Fensterbelag verfault und locker. Die Türen der Wohnung seien entweder nicht vorhanden, alt oder mit mehreren Schichten Farbe überzogen. Die Schlüssel seien entweder nicht verwendbar oder beschädigt. Man könne in der Wohnung hören, wenn jemand den Flur benutze und die Eingangstüren zu den Wohnungen geschlossen würden. Der Kläger habe eine herausziehbare Treppe zum Dachboden vor ihrer Tür entfernt und eine feste Treppe eingesetzt, so dass der Dachboden offen wäre und es bei den Beklagten wegen der Undichtigkeit der Tür ziehen würde.
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9
Die Beklagten sind weiterhin der Ansicht, der Mietspiegel für H. sei der Mieterhöhung nicht zugrunde zu legen. Diese resultiere bereits daraus, dass es sich nicht um einen qualifizierten Mietspiegel handele, es fehle ihm das Kriterium der Beschaffenheit der Wohnungen, sowie Kriterien zu Art und Lage des Wohnraums. Zudem könne nicht allein auf das Baujahr abgestellt, sondern es müsse die Baualtersklasse berücksichtigt werden. Hierzu sei ein Sachverständigengutachten von dem Gericht einzuholen. Zudem sei von dem Gericht festzustellen und zu würdigen, ob und in welcher Weise das in einem Mietspiegel enthaltene Zahlenmaterial heranzuziehen ist, der Tatrichter müsse feststellen, ob das Zahlenmaterial richtig erstellt worden sei und die ortsübliche Vergleichsmiete zutreffend wiedergebe.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin S. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Bl. 142 ff. d.A. verwiesen. | Die Beklagte werden verurteilt, der Erhöhung der Nettokaltmiete von bisher monatlich 429,79 EUR um 76,21 EUR auf nunmehr monatlich 506,00 EUR für ihre im Hause G., … H., 3. Obergeschoss, bestehend aus 4 Zimmern, 1 Küche, 1 Korridor, 1 Bad, 1 Kellerraum und 1 Toilette innegehaltene Mietwohnung zum 01.09.2010 zuzustimmen.
Die Beklagen tragen die Kosten des Rechtsstreits als Gesamtschuldner.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet. | 1 |
Verwaltungsgericht des Saarlandes 1. Kammer | Saarland | 0 | 1 | 14.06.2011 | 1 | Randnummer
1
Die Klägerin wendet sich gegen den Widerruf ihrer Gaststättenerlaubnis.
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2
Sie betreibt in A-Stadt in der A-Straße die Gaststätte . Die Gaststättenerlaubnis wurde ihr mit Bescheid vom 6. März 2007 erteilt.
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3
Bereits mit Schreiben vom 17. Juli 2008 teilte das Finanzamt A-Stadt dem Beklagten mit, dass die Klägerin dem Finanzamt Umsatz-, Einkommen- und Kirchensteuer, Verspätungszuschläge zur Umsatz- und Einkommenssteuer, sowie Zinsen zur Einkommenssteuer in Höhe von insgesamt 20.425,59 € schulde. Am 10. September 2008 sei die Schuld auf inzwischen 24.757,59 € gestiegen, Vollstreckungsmaßnahmen seien im Wesentlichen erfolglos verlaufen, Forderungspfändungen hätten nicht zum Erfolg geführt. Die letzte freiwillige Zahlung an das Finanzamt sei am 7. März 2008 in Höhe von 290,00 € erfolgt. Ratenzahlungsvereinbarungen seien nicht eingehalten worden. Die Klägerin sei wirtschaftlich leistungsunfähig und infolge des Fehlens der erforderlichen Geldmittel zu einer ordnungsgemäßen Betriebsführung im Allgemeinen, sowie zur Erfüllung der öffentlich- rechtlichen Zahlungsverpflichtungen im Besonderen nicht in der Lage. Anzeichen für eine Besserung der wirtschaftlichen Situation seien nicht erkennbar. Auch ihren sonstigen steuerlichen Verpflichtungen sei sie nicht ordnungsgemäß nachgekommen. So hätte sie Steuererklärungen nur verspätet oder überhaupt nicht abgegeben, weshalb die Besteuerungsgrundlagen teilweise hätten geschätzt werden müssen. Es sei davon auszugehen, dass die Steuerrückstände weiter anwachsen würden. Der Widerruf der gaststättenrechtlichen Erlaubnis sei geboten, um die Allgemeinheit vor weiterem Schaden zu schützen.
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4
Auf das Schreiben des Beklagten vom 11. August 2008, mit dem der Klägerin zu dem geplanten Widerruf Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde, antwortete die Klägerin nicht.
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Mit Bescheid vom 11. September 2008 widerrief der Beklagte die der Klägerin am 6. März 2007 erteilte Erlaubnis zum Betreib der Gaststätte. Zugleich forderte er sie auf, die Gaststättentätigkeit innerhalb einer Woche nach Rechtskraft des Bescheides einzustellen und die Gaststätte zu schließen. Für den Fall der Nichtbefolgung wurde ihr die Anwendung des unmittelbaren Zwangs durch Versiegelung der Betriebsräume angedroht. Zur Begründung gab der Beklagte an, Steuerrückstände allein reichten zwar in der Regel nicht, um die Annahme der gewerblichen Unzuverlässigkeit zu begründen. Jedoch lasse die Nichterfüllung steuerlicher Pflichten den Gewerbetreibenden dann als unzuverlässig erscheinen, wenn sie nicht bloß auf schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen beruhten, sondern auch vom schlechten Willen zeugten, die öffentlich-rechtlichen Pflichten gewissenhaft zu erfüllen. Dies sei hier der Fall. Denn durch die Nichtabgabe bzw. verspätete Abgabe der Steuererklärungen habe die Steuerschuld geschätzt werden müssen. Obwohl die geschätzte Steuerschuld regelmäßig höher ausfalle, als die tatsächliche, sei die Klägerin dagegen nicht vorgegangen. Dies lasse eine diesbezügliche Gleichgültigkeit erkennen. Daher könne nicht angenommen werden, dass sich ihr steuerliches Verhalten künftig bessern werde. Der Widerruf der gaststättenrechtlichen Erlaubnis sei geboten, insbesondere um weiteren finanziellen Schaden für die Allgemeinheit abzuwenden.
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Die Fortsetzung des Betriebes sei aufgrund des Widerrufs und der mangelnden Zuverlässigkeit zu verhindern. Die Zwangsmittelandrohung richte sich nach §§ 13, 19, 22 und 22 b SVwVG. Für den Widerruf der Erlaubnis nach § 15 GastG sei nach Nr. 385, 1.14 des Allgemeinen Gebührenverzeichnisses (GebVerz) für das Saarland i.V.m. § 7 SaarlGebG eine Gebühr in Höhe von 25,50 bis 1.533,00 € (je nach Aufwand) zu erheben. Unter Berücksichtigung des Verwaltungsaufwandes, als auch der finanziellen Situation der Klägerin, sei eine Gebührenfestsetzung in Höhe von 500,00 € angemessen.
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7
Gegen den am 15. September 2008 zugestellten Bescheid legte die Klägerin am 10. Oktober 2008 zur Niederschrift Widerspruch ein. Zur Begründung trug sie vor, zwar sei es richtig, dass sie in der Vergangenheit ihren steuerlichen Verpflichtungen nicht ordnungsgemäß nachgekommen sei. Dies werde sich aber künftig ändern. Ihr Steuerberater habe die Umsatzsteuervoranmeldungen bis Dezember 2007 inzwischen erstellt und beim Finanzamt A-Stadt eingereicht. Die Unterlagen für die Umsatzsteuervoranmeldungen von Januar 2008 bis August 2008 habe sie dem Steuerberater übergeben. Mit der Erstellung der Erklärungen und Einreichung beim Finanzamt sei in Kürze zu rechnen, so dass sich die Steuerschuld erheblich verringern dürfte. Sobald die eigentliche Steuerschuld feststehe, werde sie mit dem Finanzamt A-Stadt eine Ratenzahlungsvereinbarung abschließen.
Randnummer
8
Am 7. Januar 2009 teilte das Finanzamt mit, dass eine Zahlungsvereinbarung zur Rückführung der Steuerrückstände mit der Klägerin getroffen worden sei. Es wurde gebeten, das Untersagungsverfahren ruhen zu lassen. Mit Schreiben vom 19. Januar 2009 informierte der Beklagte die Klägerin, dass die Entscheidung über den Widerspruch bis zum 30. Juni 2009 ausgesetzt werde. Am 18. Juni 2009 wies das Finanzamt auf gestiegene Steuerrückstände in Höhe von 37.493,90 € hin. Da die Klägerin zum wiederholten Male die Zahlungsvereinbarung nicht eingehalten habe, bitte man um Fortführung des Untersagungsverfahrens. Am 30. Juni 2009 legte sie beim Finanzamt einen Einzahlungsbeleg über 1.000,00 € vor. Daraufhin traf man eine neue Zahlungsvereinbarung über 1.000,00 €/ Woche. Das Finanzamt bat die Stadt, das Verfahren bis 07. August 2009 ruhen zu lassen.
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Die Stadt setzte das Widerspruchsverfahren bis zum 31. Dezember 2009 aus.
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Mit Schreiben vom 05. Januar 2010 regte das Finanzamt die Wiederaufnahme des Untersagungsverfahrens an, da die Klägerin die Zahlungsvereinbarung zum wiederholten Male nicht eingehalten habe und auch ihren laufenden steuerlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen sei. Die Steuerschuld sei mittlerweile wieder auf 32.895,64 € angewachsen.
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Am 08. Februar 2010 vereinbarte der Beklagte mit der Klägerin, aufgrund der folgenden Fastnachtszeit das Verfahren bis zum 22. Februar 2010 auszusetzen. Die Klägerin sagte zu, sie werde bis dahin klären, ob ihr die Brauerei ein Darlehen zur Tilgung ihrer Steuerschulden gewähren werde. Nachdem die Klägerin bis zum 24. Februar 2010 mit der Stadt keinen Kontakt aufgenommen hatte, wurde sie noch am gleichen Tag schriftlich zur Vorsprache aufgefordert. Sie reagierte nicht. Zahlungen auf die Steuerschuld leistete sie ebenfalls nicht.
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Der Beklagte half dem Widerspruch nicht ab und legte ihn mit Schreiben vom 09. März 2010 dem Rechtsausschuss für den Regionalverband Saarbrücken zur Entscheidung vor. Im Termin zur mündlichen Verhandlung über den eingelegten Widerspruch erschien die Klägerin nicht
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Durch Widerspruchsbescheid vom 16.11.2010 - der Klägerin zugestellt am 09.12.2010 - wies der Rechtsausschuss den Widerspruch mit der Begründung zurück, der Widerruf der Gaststättenerlaubnis sei rechtmäßig.
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Er finde seine Rechtsgrundlage in § 15 Abs. 2 GastG. Danach sei die Erlaubnis zum Betrieb eines Gaststättengewerbes zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen einträten, die die Versagung der Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG rechtfertigten. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG sei eine Gaststättenerlaubnis zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme begründeten, dass der Betroffene nicht die für den Gewerbebetrieb erforderliche Zuverlässigkeit besitze. Einem Gewerbetreibenden fehle die erforderliche Zuverlässigkeit, wenn er nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür biete, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben werde. Dies sei der Fall, wenn nach verständiger Würdigung aller Umstände ernsthafte Zweifel bestünden, dass die Gewerbeausübung nicht im Einklang mit dem geltenden Recht erfolgen werde.
Randnummer
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Die Klägerin sei unzuverlässig im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG. Denn der unbestimmte Rechtsbegriff der Unzuverlässigkeit sei hier bereits aufgrund der bestehenden Steuerschulden erfüllt. Entstünden über einen längeren Zeitraum bei einem Inhaber einer gaststättenrechtlichen Erlaubnis Steuerschulden, rechtfertigten diese grundsätzlich die Annahme der Unzuverlässigkeit im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG, wenn dessen Verhalten den Schluss zulasse, dass es an dem erforderlichen Willen oder der Eignung fehle, die öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen.
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Dass es bei der Klägerin an der Eignung bzw. dem Willen fehle, ihre öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen einzuhalten, zeige die Tatsache, dass sie schon ca. ein Jahr nach Erteilung der gaststättenrechtlichen Erlaubnis nicht in der Lage gewesen sei, ihre steuerlichen Verpflichtungen einzuhalten. Ihre Zahlungsrückstände hätten sich am 17.07.2008 auf 20.425,59 € belaufen. Obwohl das Gewerbeuntersagungsverfahren mehrfach ausgesetzt gewesen sei, um der Klägerin Gelegenheit zur Begleichung ihrer Schulden zu geben, sei die Steuerschuld bis zum 05.01.2010 auf 32.895,64 € gestiegen. Das Verfahren sei letztmalig bis zum 22. Februar 2010 ausgesetzt worden, damit die Klägerin habe klären können, ob ihr die Brauerei ein Darlehen zur Tilgung ihrer Steuerschulden gewähre. Abredewidrig habe sie sich jedoch nicht mehr gemeldet. Auch zur mündlichen Verhandlung vor dem Rechtsausschuss sei sie nicht erschienen.
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Die Folgen der ausgesprochenen Widerrufsverfügung würden die Klägerin zwar hart treffen. Dennoch liege hierin grundsätzlich keine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die Gefahr eines Existenzverlustes und selbst die drohende Sozialhilfebedürftigkeit müssten als Konsequenz eines entsprechenden Verbots hingenommen werden, weil der Schutz der Allgemeinheit und des redlichen Wirtschaftsverkehrs insoweit vorrangig seien.
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Die auf § 31 GastG in Verbindung mit § 15 Abs. 2 Satz 1 GewO gestützte, aufschiebend bedingte Anordnung der Betriebsschließung innerhalb einer Woche nach Rechtskraft des Bescheides (Ziffer 2 der Verfügung), sei rechtmäßig. Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 GewO könne die Fortsetzung des Betriebes eines erlaubnispflichtigen Gewerbes verhindert werden, wenn es ohne die Erlaubnis betrieben werde. Der Betrieb der Schankwirtschaft der Klägerin sei nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GastG erlaubnispflichtig. Nach Bestandskraft des Bescheides sei die formelle Illegalität des von ihr betriebenen Gewerbes eingetreten. Ab diesem Zeitpunkt könne die Ausübung verhindert werden. Die Einräumung einer einwöchigen Abwicklungsfrist nach Eintritt der Rechtskraft sei dabei unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht zu beanstanden.
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Schließlich begegne die Zwangsmittelandrohung keinen rechtlichen Bedenken. Sie genüge den Anforderungen der §§ 13, 19, 22 und 22 b SVwVG. Die Androhung eines Zwangsgeldes verspreche angesichts der wirtschaftlichen Situation der Klägerin keinen Erfolg.
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Am 10.01.2011 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung hat sie nichts vorgetragen.
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Die Klägerin hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
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22
den Bescheid des Beklagten vom 11.09.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Rechtsausschusses für den Regionalverband Saarbrücken vom 16.11.2010 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Wegen des Sachverhaltes im Einzelnen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsunterlagen, der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurde. | 1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar; die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Kostenschuld abwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet. | 0 |
Landessozialgericht für das Saarland 10. Senat | Saarland | 0 | 1 | 30.04.2010 | 0 | Randnummer
1
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des 2. Buches des Sozialgesetzbuchs, Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) und in diesem Zusammenhang insbesondere darüber, ob und inwieweit das Einkommen des Klägers M. Sp. (im Folgenden M genannt) im Rahmen der Bedarfsberechnung zu berücksichtigen ist.
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2
Die 1960 geborene Klägerin U. Sp. (im Folgenden U genannt) und der 1963 geborene M sind verheiratet. Der am 1984 geborene Kläger C. Sp. (im Folgenden C genannt) ist der Sohn von U und lebt mit U und M zusammen in einer Wohnung in S.
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3
Bis zum 30.09.2006 hatte allein C Leistungen der Grundsicherung in Höhe von 493,77 € monatlich erhalten. Nachdem die Beklagte C anlässlich eines Fortzahlungsantrages mitgeteilt hatte, dass von einer Bedarfsgemeinschaft aller 3 Kläger auszugehen sei, stellte U am 01.10.2006 für alle 3 Kläger einen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
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4
M übt bei der Firma T. L eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aus; in den Monaten Juni, Juli und August 2006 erzielte er ein Nettoeinkommen von jeweils 1.756,97 €, 1.703,91 € und 1.703,91 €.
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5
Mit allein an U gerichtetem Bescheid vom
28.08.2006
lehnte die Beklagte den gestellten Antrag mit der Begründung ab, mit den nachgewiesenen Einkommensverhältnissen sei U nicht hilfebedürftig i.S.d. SGB II und habe deshalb keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
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6
Gegen diesen Bescheid legten die Kläger Widerspruch mit der Begründung (im Wesentlichen) ein, die Beklagte habe zum Einen dem Bescheid unrichtige Einkommensverhältnisse zugrunde gelegt, und zum anderen könne das Einkommen von M nicht herangezogen werden.
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7
Der eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom
10.10.2006
als unbegründet zurückgewiesen.
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8
Gegen den am 11.10.2006 abgesandten Widerspruchsbescheid haben die Kläger am 13.11.2006 Klage erhoben.
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Das Sozialgericht für das Saarland hat die Klage mit Urteil vom
26.02.2007
abgewiesen.
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Es hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, zu Recht berufe sich die Beklagte in Bezug auf die Bildung der klägerischen Bedarfsgemeinschaft auf den ausdrücklichen Wortlaut des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II, wonach insbesondere auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils und dessen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Partners, mithin von U, zu berücksichtigen sei. Der Gesetzgeber sei nicht daran gehindert gewesen, durch die Neufassung des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II für die Zeit ab dem 01.08.2006 bzw. hier mit Wirkung ab dem 01.10.2006 entgegen der alten gesetzlichen Regelung eine Berücksichtigung des Einkommens und Vermögens von Stiefeltern innerhalb der „Solidargemeinschaft“ einer Bedarfsgemeinschaft vorzusehen. Denn erweise sich eine Lebensgemeinschaft von Personen, die für sich allein schon eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des Gesetzes bildeten, als so qualifiziert, dass sie durch die Einbeziehung von Stiefkindern in den gemeinsamen Haushalt geprägt sei, erscheine es in Anknüpfung an die Erfahrungen des täglichen Lebens einerseits geboten, von „Wechselbezüglichkeit“ der Solidarität nicht nur im Verhältnis der Eheleute bzw. Lebenspartner auszugehen, und andererseits gerechtfertigt, den Grundsatz der Subsidiarität wie in Eltern-Kind-Beziehungen mit leiblichen Kindern zur Anwendung zu bringen. Hinsichtlich der Berechnung der monatlichen Regelsatzleistungen sowie der Kosten der klägerischen Unterkunft und des zu berücksichtigenden Nettoeinkommens von M werde auf die zutreffenden Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 10.10.2006 verwiesen. Die klägerische Darstellung leide an dem Mangel der Heranziehung eines gesetzlich nicht vorgesehenen Freibetrages für M als Stiefvater von C sowie an der unzutreffenden Berechnung des Nettoeinkommens (richtig: Bruttogehalt abzüglich des Arbeitgeberanteils an den vermögenswirksamen Leistungen abzüglich der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge). Darüber hinaus gingen die Kläger fälschlich und zu eigenen Lasten von Kosten der Unterkunft von 465,50 € pro Monat statt zutreffender 482,00 € pro Monat aus.
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Gegen das am 21.03.2007 zugestellte Urteil richtet sich die am 12.04.2007 bei Gericht eingegangene Berufung.
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Zur Begründung tragen die Kläger im Wesentlichen vor, die Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II sei hinsichtlich der Anrechnung von Einkommen des Stiefvaters verfassungswidrig; die Neufassung dieser Vorschrift verletze das Gebot zur Sicherung des Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. dem Sozialstaatsgebot. Dieses Gebot werde durch § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II nicht mehr verfassungskonform umgesetzt, weil die Regelung allein die schematische Anrechnung von Einkommen zum Inhalt habe, ohne dass darauf Rücksicht genommen werde, ob das Existenzminimum des jeweiligen betroffenen Kindes tatsächlich durch entsprechenden Einkommenszufluss durch den Stiefpartner gesichert sei. Sollte dies nämlich nicht der Fall sein, wie vorliegend zu bejahen, stehe dem Kind keinerlei rechtliche Möglichkeit zur Verfügung, eine tatsächliche Deckung seines Bedarfs durchzusetzen. Ein zivilrechtlicher Unterhaltsanspruch gegen den neuen Partner seines Elternteils stehe dem Kind nicht zu. Hierdurch sei die verfassungsrechtlich gebotene Sicherstellung des Existenzminimums nicht mehr gewährleistet. Auch sei eine Verletzung des Art. 6 GG darin zu sehen, dass mit dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II automatisch mit der Eheschließung eine Unterhaltsverpflichtung für die Kinder der Ehefrau verknüpft sei. Durch diese Regelung überschreite der Gesetzgeber den ihm zustehenden weiten Gestaltungsspielraum. M verweigere Unterhalt für C. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass C die Partnerschaft bzw. Ehe nicht auflösen könne. Weiterhin sei § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II auch nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Für den Stiefvater bestehe keine Möglichkeit, Unterhaltsleistungen an das Kind steuerlich geltend zu machen. Im Übrigen spreche § 9 Abs. 2 SGB II nur von Einkommensberücksichtigung, ohne selbst den Umfang der Einkommensberücksichtigung festzulegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) dürfe der Einkommenseinsatz leiblicher Eltern gegenüber ihren Kindern die Selbstbehalt-Grenze des doppelten Sozialhilfe-Regelsatzes nicht überschreiten; anderenfalls werde Art. 2 GG verletzt. Es sei kein sachlicher Grund dafür erkennbar, Stiefeltern schlechter zu stellen als die gesteigert unterhaltspflichtigen Eltern. Ein voller Einkommenseinsatz des Stiefvaters führe außerdem zu einer willkürlichen Schlechterstellung gegenüber Leistungsberechtigten nach dem 12. Buch des Sozialgesetzbuchs, Sozialhilfe (SGB XII). Ein Verstoß sei hier gegen Art. 3 GG zu sehen, denn nach den §§ 20, 36 SGB XII gelte hier eine widerlegbare Unterstützungsvermutung bei Überschreitung eines Selbstbehalts von mindestens dem doppelten Regelsatz. Letzten Endes sei weiterhin zu berücksichtigen, dass das unbereinigte Nettoeinkommen von M unterhalb des von Art. 2 GG geschützten Mindestselbstbehalts liege. Die Familienverhältnisse seien mittlerweile aufgrund der finanziellen Situation und persönlichen Problemen zwischen M und C auch stark zerrüttet. Vor diesem Hintergrund sei auch nicht mehr von einer einheitlichen Bedarfsgemeinschaft auszugehen. C erhalte auch keinerlei Unterstützung durch M. Da sich das bereinigte Nettoeinkommen von M auf 1.392,63 € belaufe, seien hiervon die Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 465,50 € sowie der fiktive SGB II-Bedarf von U in Höhe von 311,00 € in Abzug zu bringen, so dass an Nettoeinkommen nur noch 616,13 € verblieben, also ein Betrag unterhalb des geschützten Mindestselbstbehalts.
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Die Kläger beantragen schriftsätzlich sinngemäß,
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1. das Urteil des SG vom 26.02.2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28.08.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.10.2006 aufzuheben,
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2. die Beklagte zu verurteilen, den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab dem 01.10.2006 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen,
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wobei sie zur Begründung im Wesentlichen vorträgt, nach Art. 20 Abs. 3 GG seien die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden; für die Beklagte verbiete es sich bereits allein deshalb, von der Anwendung des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II abzusehen. Nach Auffassung der Beklagten verstoße § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II auch nicht gegen Verfassungsrecht. Die Einkommensanrechnung erfolge im Falle des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II auch allein nach § 11 SGB II. Die analoge Anwendung von § 9 Abs. 5, 13 SGB II i.V.m. § 1 Abs. 2 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II / Sozialgeld (Alg II-V) mit der Folge der Gewährung eines zusätzlichen „Freibetrages“ für den Stiefelternteil scheide aus. Infolge der Ehe der leiblichen Mutter mit dem Stiefvater bestehe zwar eine Schwägerschaft zwischen C und M, so dass grundsätzlich die Voraussetzungen für die Anwendung des § 9 Abs. 5 SGB II vorlägen. Diese Vorschrift trete jedoch in den Hintergrund, weil M gleichzeitig Mitglied der Bedarfsgemeinschaft sei. Nach dem Willen des Gesetzgebers greife § 9 Abs. 5 SGB II ausschließlich bei Haushaltsmitgliedern, die zwar verwandt oder verschwägert mit Bedarfsgemeinschaftsmitgliedern seien, der Bedarfsgemeinschaft selbst jedoch nicht angehörten.
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Durch den Berichterstatter sind zwei Erörterungstermine durchgeführt worden. Im letzten Erörterungstermin am 23.11.2009 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
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Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, den weiteren Akteninhalt sowie auf die Leistungsakte der Beklagten (BG-Nr.: 55502 BG 0029048) und die sozialgerichtliche Beiakte (Az.: S 21 ER 114/06 AS) verwiesen. | Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 26.02.2007 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Finanzgericht Berlin-Brandenburg 13. Senat | Berlin | 0 | 1 | 28.02.2017 | 1 | Randnummer
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Die Kläger, die am 24.10.2014 geheiratet haben, beantragten am 5.11.2014 beim Beklagten die Änderung der Lohnsteuerklassen -LSK- dahingehend, dass der Arbeitslohn beziehende Kläger die LSK V und die Arbeitslosengeld I -ALG I- beziehende Klägerin die LSK III erhalten solle. Dies lehnte der Beklagte ab und verwies darauf, dass es bei der automatisierten LSK-Einordnung nach der Heirat von IV/IV bleibe. Der Einspruch hiergegen blieb erfolglos. Der Beklage führte in seiner Einspruchsentscheidung zur Begründung aus, dass nach § 38b Einkommensteuergesetz -EStG- allenfalls der Kläger die LSK III bekommen könne, weil die Klägerin kein Arbeitnehmer sei.
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Zur Begründung ihrer Klage machen die Kläger geltend, dass § 38b EStG eine Einordnung in eine ungünstigere LSK zulasse. Es bestehe eine Wahlfreiheit, solange dem Staat keine Steuereinnahmen verloren gingen. Das Abstellen auf den Begriff des Arbeitnehmers in § 38b EStG durch den Beklagten würde dazu führen, dass sie -die Klägerin- auch nicht in die LSK V eingeordnet werden dürfe und im Ergebnis LSK-los wäre. Trotz des Ziels, mit der begehrten LSK-Verteilung mehr ALG I für sie -die Klägerin- zu erlagen, liege kein rechtmissbräuchliches Verhalten vor.
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Der Arbeitnehmerbegriff müsse im Streitfall weiter gefasst werden als in der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung -LStDV-. Auch in anderen Vorschriften des EStG werde davon ausgegangen, dass ein Arbeitnehmer nicht zwingend Arbeitslohn beziehen müsse, etwa in § 3 Nr. 2 Buchst. a oder 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG. Zudem zeige § 52 Abs. 52 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung -EStG 2014-, wonach nach Heirat den Ehegatten automatisiert die Steuerklassen IV/IV zugeteilt würden, dass es bei der LSK-Einordnung nicht auf ein bestehendes Dienstverhältnis ankomme. Im Übrigen gehe es im Streitfall um die erstmalige Bildung einer LSK nach Heirat und nicht um einen Wechsel.
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Die Kläger beantragen,
unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 7.11.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9.10.2015 den Beklagten zu verpflichten, ab dem 24.10.2014 für die Klägerin die Lohnsteuerklasse III und für den Kläger die Lohnsteuerkasse V zu bilden.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Er stützt sich auf die in der Einspruchsentscheidung vorgebrachten Gründe und führt ergänzend aus, dass die beantragte Steuerklassenverteilung auch deshalb zu versagen sei, weil sie eine unzulässige Rechtsausübung darstellen würde. Den Klägern ginge es nur um den Bezug eines höheren ALG I. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern auferlegt. | 0 |
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg 3. Senat | Berlin | 0 | 1 | 03.05.2016 | 1 | Randnummer
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Der 46-jährige algerische Kläger begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
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Der Kläger stellte 1994 in Deutschland unter Aliaspersonalien einen Asylantrag, der als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Er wurde im Juli 1995 abgeschoben und stellte im September 1999 unter seinen richtigen Personalien einen Folgeantrag, der mit Bescheid vom 14. Oktober 1999 ebenfalls abgelehnt wurde. Der Kläger erhielt eine Duldung wegen ungeklärter Identität, die bis zum 27. August 2001 verlängert wurde. Danach war der Kläger unbekannt verzogen.
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Am 2. Januar 2003 wurde T... der Sohn des Klägers und der Zeugin, geboren. Sowohl die Zeugin als auch der Sohn sind deutsche Staatsangehörige. Am 18. Februar 2003 stellte der Kläger einen Antrag, die Wirkung der Abschiebung zu befristen. Am 9. September 2003 heirateten der Kläger und die Zeugin in Algerien.
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Mit Bescheid vom 3. Dezember 2003 wurde die Wirkung der Abschiebung auf den 4. Dezember 2003 befristet. Dem Kläger wurde am 20. Januar 2004 eine bis zum 19. Januar 2007 gültige Aufenthaltserlaubnis erteilt. Am 26. September 2006 wurde S..., die Tochter des Klägers und der Zeugin, geboren. Sie ist deutsche Staatsangehörige. Dem Kläger wurde die Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug bis zum 19. Januar 2010 verlängert. Nachdem der Kläger angegeben hatte, dass er seit November 2009 von seiner Ehefrau getrennt lebe, wurde ihm am 30. März 2010 eine bis zum 29. März 2011 gültige ehegattenunabhängige Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 AufenthG erteilt.
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In einem zwischen dem Kläger und der Zeugin vor dem Amtsgericht Z... (6 F 433/10) geführten sorge- und umgangsrechtlichen Verfahren wurde am 25. August 2010 ein familienrechtlicher Vergleich für die Zeit der Begutachtung im sorgerechtlichen Verfahren 6 F 363/10 geschlossen, wonach ein begleiteter Umgang des Klägers mit den Kindern T...und S...für die Dauer von vier Stunden wöchentlich stattfinden solle. Soweit die Kinder angstfrei bereit seien, den Umgang auch ohne die Umgangsbegleitung durchzuführen, sei der Kläger berechtigt, die Kinder zum Umgang mit sich zu nehmen und unbeaufsichtigt den Umgang auszuführen.
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Den Antrag des Klägers, ihm bis zur Entscheidung in der Hauptsache im Wege der einstweiligen Anordnung das Sorgerecht, hilfsweise das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen, wies das Amtsgericht Z... (6 F 45/11) mit Beschlüssen vom 2. Februar 2011 und 6. April 2011 zurück.
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7
Der Kläger beantragte am 28. März 2011 die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis. Er trug vor, dass er in einem Arbeitsverhältnis stehe, das noch nicht gekündigt sei; allerdings sei ihm kein Gehalt gezahlt worden, so dass er gezwungen gewesen sei, einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II zu stellen. Gegen den ablehnenden Bescheid des Jobcenters Neukölln sei Widerspruch eingelegt worden. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG lägen vor. Dem Kläger wurde am 26. Mai 2011 eine bis zum 25. Mai 2012 gültige Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung der Personensorge nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG erteilt.
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8
Nach vorläufiger Aussetzung des Umgangs mit Eilbeschluss vom 1. Juni 2011 (6 F 253/11) setzte das Amtsgericht Z... mit Beschluss vom 7. Juli 2011 das Umgangsrecht für die Dauer von 6 Monaten aus (6 F 364/10). Die Eltern seien verpflichtet, ihren Konflikt aufzuarbeiten. Nach Ablauf des halben Jahres sei über die Vermittlung des Jugendamtes erneut Umgang aufzunehmen, gegebenenfalls seien die Kinder mit Hilfe einer neuen Umgangsbegleitung wieder behutsam an den Vater heranzuführen. Außerdem übertrug das Amtsgericht Z... mit Beschluss vom selben Tag das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf die Zeugin und wies den weitergehenden Antrag auf Übertragung der Alleinsorge ab (6 F 363/10). Hiergegen erhoben der Kläger und die Zeugin Beschwerde. Mit Beschluss vom 31. Januar 2012 holte das Brandenburgische Oberlandesgericht in dem Beschwerdeverfahren (13 UF 173/11,13 UF 181/11) ein fachpsychologisches Gutachten zur Sorgerechtsübertragung ein, ordnete im Wege einstweiliger Anordnung für die Dauer der Begutachtung eine Umgangspflegschaft an und legte fest, dass der Kläger das Recht habe, mit den Kindern in jeder vierten Woche jeweils zwei Stunden persönlich Kontakt zu pflegen. Durchgreifende Gründe für eine weitere Fortdauer der Aussetzung des persönlichen Umgangs seien nach summarischer Prüfung nicht ersichtlich. Es lasse sich weder feststellen, dass die Vorwürfe der Zeugin gegen den Kläger berechtigt seien, noch bestehe die sehr hohe Wahrscheinlichkeit einer konkreten Kindeswohlgefährdung bei Wiederanbahnung des Umgangs im Rahmen der Umgangspflegschaft.
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Am 28. November 2011 wurde die Ehe des Klägers und der Zeugin geschieden. Am 29. März 2012 stellte der Kläger einen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Er erhielt eine Fiktionsbescheinigung mit der Nebenbestimmung „Erwerbstätigkeit gestattet“. Eingereicht wurden Bescheide über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II des Jobcenters Berlin Neukölln vom 17. Oktober 2011 für die Zeit vom 1. November 2011 bis zum 30. April 2012, vom 8. Mai 2012 für die Zeit vom 1. Mai 2012 bis zum 31. Oktober 2012, vom 18. März 2013 für die Zeit vom 1. Mai 2013 bis 31. Oktober 2013 und vom 1. Oktober 2013 für die Zeit vom 1. November 2013 bis 30. April 2014.
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Der Sachverständige Dr. O...erstellte am 27. Dezember 2012 das vom Brandenburgischen Oberlandesgericht im Beschwerdeverfahren über das Sorgerecht in Auftrag gegebene Gutachten und regte an, das Sorgerecht auf einen Vormund zu übertragen. Nach Anhörung des Sachverständigen in der Sitzung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 30. Januar 2013 erklärten der Kläger und die Zeugin, sie hätten übereinstimmend den Wunsch, dass ein Umgang zwischen T... und S... und dem Kläger stattfinden solle. Dieser sei darauf gerichtet, langfristig unbegleitet stattzufinden. In Umsetzung dieser Absicht solle die Umgangsanbahnung möglichst unter Einbeziehung der bisherigen Umgangspflegerin stattfinden. Der Kläger und die Zeugin nahmen jeweils ihre Beschwerde gegen die Sorgerechtsentscheidung des Amtsgerichts Z... zurück.
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Mit Beschluss vom 17. September 2013 (6 F 222/13) hob das Amtsgericht Z... die gemeinsame Sorge der Kindeseltern auf und übertrug sie auf die Zeugin. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass die Kindeseltern hochgradig zerstritten seien. Eine die Kinder betreffende Kooperation der Eltern finde nicht mehr statt. Kommunikation erfolge lediglich über Anwälte und gerichtliche Auseinandersetzung. Dies zeige sich bereits an den enormen gerichtlichen Streitigkeiten, die sich durch alle Bereiche zögen. Die Übertragung der Alleinsorge auf die Zeugin entspreche dabei am besten dem Kindeswohl. Die Kinder lebten seit der Trennung der Eltern im Haushalt der Mutter. Der Kontinuitätsgrundsatz spreche daher für den Verbleib in deren Haushalt. Die Beschwerde gegen die Sorgerechtsentscheidung wies das Brandenburgische Oberlandesgericht mit Beschluss vom 11. Dezember 2013 zurück (13 UF 226/13).
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Mit Bescheid vom 20. Mai 2014 lehnte das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (Ausländerbehörde) den Antrag des Klägers auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab und drohte die Abschiebung an, wenn er nicht bis zum 28. Juni 2014 freiwillig ausgereist sei. Zur Begründung führte die Ausländerbehörde im Wesentlichen aus, dass die Aufenthaltserlaubnis des Klägers bis zum 29. März 2011 verlängert worden sei, weil er nach Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erlangt habe. Da er seinen Lebensunterhalt im Bundesgebiet überwiegend aus öffentlichen Mitteln bestritten habe, sei diese Aufenthaltserlaubnis jedoch nicht verlängert und ihm bisher auch kein unbefristeter Aufenthaltstitel erteilt worden. Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG könne nicht erteilt werden, weil ihm das Sorgerecht für seine minderjährigen deutschen Kinder entzogen worden sei. Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG sei nicht zu erteilen, weil eine familiäre Lebensgemeinschaft mit den Kindern nicht bestehe. Es sei zwar nachgewiesen, dass die Kindesmutter den Umgang zu verhindern suche, dennoch sei es eine Tatsache, dass der Kläger inzwischen seit zwei Jahren keinen Kontakt mehr zu seinen Kindern habe, und es sei auch nicht ersichtlich, wann es zur Aufnahme eines regelmäßigen und vor allem auch längerfristigen Umgangs mit den Kindern kommen werde. Auch nach Ablauf des Umgangsausschlusses sei es nicht wieder zu einer Kontaktaufnahme gekommen. Die Positionen des Klägers und der Zeugin schienen unverändert starr. Die Kinder hätten aufgrund der strittigen Situation dem Kläger gegenüber derzeit eine ablehnende Haltung. Die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis sei wegen fehlender Lebensunterhaltssicherung abzulehnen. Auch eine Verlängerung nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG scheide aus. Das bloße Nichtvorliegen bzw. der Wegfall der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 AufenthG rechtfertige die Annahme einer außergewöhnlichen Härte nicht. Zudem stehe die Erteilung nach § 25 Abs. 4 AufenthG ebenso wie im Fall von § 25 Abs. 5 AufenthG im Ermessen. Das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts falle schwerer ins Gewicht als die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Klägers im Bundesgebiet.
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Mit seiner hiergegen erhobenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen geltend gemacht, dass er im Hinblick auf seine intensiven, langjährigen Bemühungen um seine beiden Kinder, die als Ausdruck einer tatsächlichen tiefen emotionalen Verbundenheit zwischen ihm und den Kindern im Rahmen einer schützenswerten Beistandsgemeinschaft anzusehen seien, einen Anspruch auf Erteilung bzw. Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen habe. Dem stehe auch nicht die Verhinderungs- bzw. Boykotthaltung der Kindesmutter entgegen, die ihm nicht zur Last gelegt werden könne. Im Übrigen müsse ihm in Anbetracht der derzeit anhängigen familiengerichtlichen Verfahren eine weitere Anwesenheit ermöglicht werden, damit er im Interesse seiner beiden Kinder bzw. zu deren Wohl zu einer umfassenden Rechtswahrung und Prozessführung im Inland in der Lage sei.
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Mit Urteil vom 23. Juli 2014 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären oder familiären Gründen verneint. Insbesondere bestehe kein Anspruch nach § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG. Eine familiäre Lebensgemeinschaft zwischen dem Kläger und seinen Kindern habe zwar bestanden, als er noch mit der Kindesmutter zusammengelebt und sich um die Kinder gekümmert habe. Allerdings seien die in der Folge getroffenen Umgangsvereinbarungen nicht umgesetzt worden. Eine familiäre Gemeinschaft zwischen dem Kläger und seinen Kindern bestehe seit längerer Zeit wegen fehlenden Kontakts nicht mehr. Auf die Gründe hierfür komme es nicht an. Soweit der Kläger meine, ihm müsse ein Recht auf Prozessführung im Familienrechtsstreit eingeräumt werden mit der Folge, dass ihm auch ein Aufenthaltstitel zu erteilen sei, sei dem entgegenzuhalten, dass er seine Position in ausreichendem Maße vor den Familiengerichten habe darstellen können. Seine persönliche Anwesenheit in den von ihm angestrengten familiengerichtlichen Verfahren sei im Übrigen nicht notwendig. Das Amtsgericht Z... habe die Anhörung der Kinder auf neutralem Gebiet ohne Beisein der Eltern angeordnet. Sollte die Anwesenheit des Klägers dennoch notwendig werden, könne dies auch durch die Erteilung einer Betretenserlaubnis oder eines Visums zum Zwecke der Teilnahme am familiengerichtlichen Termin gewährleistet werden.
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Mit der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Berufung macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass eine Aufrechterhaltung der Vater-Kind-Beziehung während der gesetzlich vorgesehenen familiengerichtlichen Verfahrensabläufe zu gewährleisten sei, wozu insbesondere auch ein Verbleib des betroffenen Elternteils in der Bundesrepublik Deutschland gehöre, um angestrebte, von der Familiengerichtsbarkeit goutierte tatsächliche persönliche Kontakte zwischen dem betroffenen ausländischen Elternteil und dem Kind überhaupt erst zu ermöglichen. Der Verwaltungsgerichtsbarkeit komme ein Wächteramt im Hinblick auf die Gewährleistung des Kindeswohls zu. Sie müsse die Grundlage dafür schaffen bzw. erhalten, dass der betroffene Elternteil in einer derartigen Konfliktsituation im Interesse des Kindeswohls Umgänge mit seinen beiden deutschen Kindern unter Inanspruchnahme des Rechtswegs erreichen könne. Außerdem gehe er seit dem 1. November 2015 einer Beschäftigung mit einer monatlichen Nettovergütung von 1.200 Euro nach.
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16
Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. Juli 2014 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 20. Mai 2014 zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, hilfsweise über den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt das angegriffene Urteil und führt darüber hinaus aus, dass zwar auch die mögliche Kontaktanbahnung zwischen einem Elternteil und einem Kind schützenswert sei. Eine solche Weiterentwicklung sei hier aber unwahrscheinlich und diene nicht dem Kindeswohl.
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Während des...Berufungs-(zulassungs-)verfahrens sind weitere familiengerichtliche Verfahren durchgeführt worden. Das Amtsgericht Z... hat mit Beschluss vom 10. September 2014 den Antrag des Klägers auf Regelung des unbegleiteten Umgangs zurückgewiesen und seinen Umgang mit den Kindern für die Dauer eines Jahres ausgesetzt (6 F 84/14). Es hat festgestellt, dass der Umgang mit dem Kläger das Kindeswohl gefährde. Der Umgangsausschluss von einem Jahr sei notwendig, damit die Kinder den nötigen Abstand zum Kläger gewönnen, um sich von ihren Verängstigungen und Unsicherheiten zu befreien. Der Kläger könne in dieser Zeit postalischen Kontakt halten. Die Beschwerde hat das Brandenburgische Oberlandesgericht mit Beschluss vom 10. März 2015 zurückgewiesen (13 UF 223/14) und zugleich klargestellt, dass die Kindesmutter angehalten werde, in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt rechtzeitig vor Auslaufen der Aussetzung geeignete Maßnahmen zu unternehmen, um T... und S... auf die Anbahnung eines zunächst begleiteten Umgangs mit dem Kläger vorzubereiten. Der Kläger sei berechtigt, jederzeit die Kinder brieflich zu kontaktieren und ihnen zu den Geburtstagen und zu Weihnachten Geschenke zu übersenden. Zur Begründung hat das Oberlandesgericht ausgeführt, es sei davon auszugehen, dass bei künftigen Umgängen, die aufgrund der Verweigerungshaltung der Kindesmutter zwangsweise durchgesetzt werden müssten, derzeit eine erhebliche Beeinträchtigung des Wohls der beiden Kinder zu erwarten sei. Wegen der hoch verstrittenen Situation der Eltern liege ausweislich des Gutachtens des Sachverständigen Dr. O... vom 27. Dezember 2012 bei beiden Kindern ein schweres „Parental Alienation Syndrome“ vor. Der Kläger nutze nicht die Möglichkeit des schriftlichen Kontakts zu den Kindern, um deren Ängste abzubauen. Vielmehr verschärfe er die angespannte Situation. Es sei unverhältnismäßig, die Kinder aus dem derzeitigen Lebensumfeld herauszunehmen, um den Umgang mit dem Kläger zu ermöglichen.
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Den auf Übertragung des alleinigen Sorgerechts gerichteten Abänderungsantrag des Klägers hat das Amtsgericht Z... mit Beschluss vom 4. November 2014 zurückgewiesen (6 F 156/14). Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat die Beschwerde mit Beschluss vom 10. März 2015 zurückgewiesen (13 UF 5/15). Den vom Kläger angestrengten familiengerichtlichen Eilantrag auf Umsetzung von Ziffer 2 des Tenors des Beschlusses des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 10. März 2015 hat das Amtsgericht L... mit Beschlüssen vom 23. Juli 2015 und vom 22. September 2015 abgelehnt (31 F 252/15). Die hiergegen gerichtete Beschwerde war ebenfalls erfolglos (BbgOLG, Beschluss vom 30. November 2015 - 3 UF 126/15). Außerdem hat das Amtsgericht L... einen Verfahrenskostenhilfeantrag für den Antrag auf Übertragung des alleinigen Sorgerechts im Bereich Gesundheitsfürsorge mit Beschluss vom 5. Oktober 2015 zurückgewiesen (31 F 353/15).
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Die hiergegen erhobene Beschwerde hat das Brandenburgische Oberlandesgericht mit Beschluss vom 16. März 2016 zurückgewiesen (3 WF 11/16).
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Das familiengerichtliche Verfahren vor dem Amtsgericht L..., in dem der Kläger jeweils 14-tägig von freitags 15 Uhr bis sonntags 19 Uhr sowie abwechselnd die 1. und 2. Hälfte der Schulferien und an dem jeweils 2. Tag von gesetzlichen Doppelfeiertagen unbegleiteten persönlichen Umgang mit seinen Kinder begehrt (31 F 432/15), ist noch nicht abgeschlossen. In diesem Verfahren hat die Verfahrensbeiständin der Kinder mit Schreiben vom 17. Dezember 2015 erklärt, dass die Ablehnung der Kinder gegenüber ihrem Vater derzeit so massiv sei, dass es dem Kindeswohl nicht entspräche, wenn die Kinder gegen ihren ausdrücklichen Willen zum Umgang mit ihrem Vater gezwungen würden. Mit Schreiben vom 29. März 2016 hat sie erklärt, dass die Kinder nach wie vor verstört seien und keinen Kontakt zum Vater wünschten. Dies sei nachvollziehbar, wenn sie nicht ansatzweise erlebten, dass der Vater sie ernst nehme. Ein Briefwechsel zwischen den Kindern und dem Vater habe sich bereits dadurch nicht entwickeln können, dass der Vater die Sorgen und Wünsche seiner Kinder nicht ernst genommen habe. Ein Vertreter des Jugendamts habe dem Kläger bereits vor längerer Zeit angeboten, ihn beim Schreiben von Briefen an seine Kinder zu unterstützen. Dies sei aber vom Vater abgelehnt worden. Außerdem hat der Sachverständige Prof. Dr. B... am 17. März 2016 ein vom Amtsgericht in Auftrag gegebenes Gutachten erstattet und ausgeführt, dass der Umgang der Kinder mit ihrem leiblichen Vater dem Kindeswohl letztlich nicht dienlich wäre. Darüber hinaus hat das Jugendamt dem Amtsgericht mit Schreiben vom 5. April 2016 mitgeteilt, dass die Kindesmutter am 20. Januar 2016 Hilfe zur Erziehung beantragt habe. Seit Mitte Februar 2016 werde eine ambulante Familientherapie durchgeführt mit dem Ziel der Anbahnung eines Umgangs der Kinder mit ihrem Vater entsprechend der richterlichen Anregung. Seitdem fänden einmal wöchentlich Gespräche mit den Kindern und/oder mit der Kindesmutter statt. Der Kläger sei hierüber Anfang März 2016 informiert worden und habe dies sehr begrüßt. Ein weiteres Treffen des Klägers mit den Therapeutinnen habe jedoch trotz mehrfacher telefonischer Kontaktaufnahme nicht stattgefunden. Ohne eine aktive Zusammenarbeit, die Entwicklung einer hinreichenden Beziehungstoleranz gegenüber der Kindesmutter und einer Impulskontrolle des Kindesvaters, sehe der Träger, welcher die Familientherapie durchführe, keine Grundlage für die Umsetzung eines Umgangs.
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24
In der mündlichen Verhandlung am 3. Mai 2016 hat das Gericht den Kläger persönlich angehört und die geschiedene Ehefrau als Zeugin vernommen. Hinsichtlich der Angaben der Klägers und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie die Akten des Amtsgerichts L... in den Verfahren 31 F 432/15, 31 F 252/15 und 31 F 353/15 verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind. | Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Baden-Württemberg | 1 | 0 | 0 | 1
Der Kläger begehrt von der Beklagten Ausbildungsförderung für eine Ausbildung, die er erst nach Vollendung des 30. Lebensjahres begonnen hat.
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Der am 06.07.1974 in Accra/Ghana geborene und inzwischen eingebürgerte Kläger kam nach seiner Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen im Jahr 2003 nach Deutschland. In der Zeit der Ehe war er verschiedentlich arbeitssuchend oder ging Gelegenheitsjobs nach. Nach der im Jahre 2010 erfolgten Scheidung begann der Kläger sich beruflich zu qualifizieren.
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Zunächst besuchte der Kläger einen Deutsch-Kurs zur Verbesserung seiner Sprach-Kenntnisse. Nachdem er anschließend, ab September 2011, an der Volkshochschule Xxx den Hauptschulkurs besucht hatte, erreichte er im Juli 2012 als Schulfremder an der Xxxschule Xxx - Grund- und Werkrealschule - mit einem Noten-Durchschnitt von 1,4 den Hauptschulabschluss. Im Anschluss daran, ab September 2012, besuchte der Kläger den Werkrealschulzug an der Xxx schule, wo er am 18.07.2013 mit einem Noten-Durchschnitt von 1,5 und einem Preis den Realschulabschluss erlangte.
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Ein erster Antrag des Klägers, ihm für den Erwerb des Realschulabschlusses Ausbildungsförderung nach dem BAföG zu gewähren, wurde von der Beklagten mit bestandskräftigem Bescheid vom 27.09.2012 abgelehnt. Bereits seit Juni 2012 arbeitete der Kläger in einem Hotel als Nachtportier. Nach der Ablehnung seines Antrages auf Ausbildungsförderung sicherte er mit dieser Berufstätigkeit dann auch seinen Lebensunterhalt während des Besuchs der Realschule.
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Ab September 2013 wechselte der Kläger auf das zweijährige Berufskolleg Chemie an der Xxx schule in Xxx, einer Berufsfachschule, die einen berufsqualifizierenden Abschluss - den des chemisch-technischen Assistenten - vermittelt. Für diese Ausbildung beantragte er nunmehr bei der Beklagten unter dem 11.02.2014, ihm ab dem 2. Halbjahr des Schuljahres 2013/14 Ausbildungsförderung zu gewähren. Notwendige Unterlagen hierzu legte er vor.
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Mit Bescheid vom 17.04.2014 lehnte die Beklagte nach Rücksprache mit dem Regierungspräsidium Stuttgart - Landesamt für Ausbildungsförderung - den Antrag auf Ausbildungsförderung des Klägers wegen Überschreitens der Altersgrenze ab. Zur Begründung heißt es dort u.a., die Voraussetzungen einer Ausnahme nach § 10 Abs. 3 Satz 2 BAföG lägen nicht vor. Namentlich die Ausnahmevorschrift nach Nr. 1 der Norm hinsichtlich der Aufnahme einer förderungsfähigen Ausbildung nach Vollendung des 30. Lebensjahres beträfe nur Auszubildende, die die Zugangsvoraussetzungen für die jetzt begonnene Ausbildung auf dem sog. „Zweiten Bildungsweg“ in einer der in dieser Vorschrift aufgezählten Bildungseinrichtung erworben hätten. Das sei beim Kläger nicht der Fall. Den Realschulabschluss als Zugangsvoraussetzung für das jetzige Berufskolleg habe der Kläger auf einer „normalen“ Werkrealschule erlangt.
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Der Kläger legte gegen diesen Bescheid Widerspruch ein. Zur Begründung berief er sich darauf, es liege ein Härtefall vor.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 16.07.2014 wies das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesamt für Ausbildungsförderung - den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung ist auf die Ausgangsentscheidung der Beklagten verwiesen. § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BAföG enthalte eine Vergünstigung für ältere Auszubildende des „Zweiten Bildungsweges“. Dazu zähle die Einrichtung, an der der Kläger zuvor seinen Realschulabschluss erlangt habe, nicht.
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Der Kläger hat am 15.08.2014 das Verwaltungsgericht angerufen. Zur Begründung bezieht er sich auf sein bisheriges Vorbringen. Sein Ausbildungsgang entspreche einem typischen Verlauf des „Zweiten Bildungsweges“. Bereits den Hauptschulabschluss habe er über einen Abendkurs der Volkshochschule Xxx erlangt. Anschließend habe er seinen Realschulabschluss gemacht, um nunmehr das Kolleg zu besuchen. Das sei ein typischer Werdegang des Zweiten Bildungsweges.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 17.04.2014 und des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidium Stuttgart - Landesamt für Ausbildungsförderung - vom 16.07.2014 zu verpflichten, dem Kläger antragsgemäß Ausbildungsförderung in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung verweist sie auf die angegriffenen Bescheide.
15
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die eingereichten Schriftsätze, die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. | Der Bescheid der Beklagten vom 17. April 2014 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart - Landesamt für Ausbildungsförderung - vom 16. Juli 2014 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger antragsgemäß Ausbildungsförderung nach dem BAföG in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien - Verfahrens. | 0 |
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Baden-Württemberg | 0 | 1 | 1 | 1
Der Kläger begehrt die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit.
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Der am ...1970 in den USA geborene Kläger ist US-amerikanischer Staatsangehöriger. Er reiste im Januar 1981 in das Bundesgebiet ein. Seit dem 23.09.2009 ist er im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Der Kläger ist mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet. Die am ...2003 und am ...2004 im Bundesgebiet geborenen Kinder besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit.
3
Am 26.07.2016 beantragte der Kläger beim Landratsamt ... die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit und brachte zur Begründung vor, sein Vater sei amerikanischer Staatsangehöriger, seine Mutter sei im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit. Seine Eltern hätten nicht gewusst, dass sie bis 1977 im Hinblick auf seine Person einen Antrag auf Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit hätten stellen können. Im Jahr 1981 sei er zusammen mit seiner Mutter nach Deutschland gezogen. In Deutschland habe er das Abitur erlangt und sein Studium erfolgreich abgeschlossen. Sein Sohn G leide an einer Form des Autismus. Er sei auf eine Schulumgebung angewiesen, wo er individuell und gemäß seiner Stärken und Schwächen in einer Kleingruppe beschult und betreut werden könne. Bis zur 9. Klasse könne er an seiner bisherigen Förderschule unterrichtet werden. Danach gebe es in Deutschland kein Angebot mit einem Konzept für weiterführende Schulen. Er könne jedoch eine gute, weiterführende Schulausbildung mit einem höheren Abschluss im Rahmen einer geeigneten kleinen Klassengröße in den USA erlangen. Die Familie plane deshalb, nach Erreichen der 9. Klasse im Jahr 2018 in die USA zu ziehen, um den Sohn bis zum College begleiten zu können. In Kalifornien gebe es die ... School in A; dort könne sein Sohn in sehr kleinen Klassen bis zum High School-Abschluss geführt werden. A liege in der Nähe von San Francisco; dort hätten viele IT-Firmen ihren Sitz oder ihre Niederlassung. Voraussetzung für die Anmeldung seines Sohnes zum Schulbesuch in den USA sei, dass er dort unternehmerisch tätig sein könne. Seit vielen Jahren führe er mit seinem Partner ein erfolgreiches IT-Unternehmen. Sie seien auf die Entwicklung und Implementierung von Software für Gruppenanwendungen spezialisiert. Aufgrund ihrer Funktions- und Sicherheitszertifizierungen in Europa hätten sie sich eine gewisse Alleinstellung erarbeitet. Er beabsichtige, die in Deutschland hergestellten Produkte in den US-amerikanischen Markt einzuführen. Für seine unternehmerische Tätigkeit erfülle er nicht die Voraussetzung der US-Green Card. Denn er werde im ersten Schritt nicht gleich mehr als zehn Mitarbeiter haben und auch nicht gleich eine Million US-Dollar investieren. Als Deutscher ohne US-Staatsangehörigkeit hätte er jedoch bei diesem unternehmerischen Schritt größte Schwierigkeiten. Er müsse mit wesentlichen Mehrkosten, ausländerrechtlichen Hindernissen und informellen Verzögerungen rechnen. Seinen Sohn könne er in die USA nur begleiten, wenn er dort auch unternehmerisch tätig sein könne. Dies könne er aber nur, wenn er die US-Staatsangehörigkeit behalten dürfe.
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Mit weiterem Schriftsatz vom 10.10.2016 trug der Kläger vor, er habe eine deutsche Mutter, spreche deutsch und sei bei S aufgewachsen. In Deutschland habe er die Schule besucht und studiert. Im Alter von 5 oder 7 Jahren habe seine Mutter eine ihr unbekannte Frist verstreichen lassen. Wäre er 5 Jahre später geboren wie seine Schwester, dann hätte er durch Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Aus familiären Gründen müsse er einige Jahre sein Unternehmen von Kalifornien aus mitführen und dessen Geschäfte dort fördern. Ohne die US-Staatsangehörigkeit sei dies schwer, wenn nicht gar nicht möglich.
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Mit Bescheid vom 09.01.2017 lehnte das Landratsamt ... den Antrag auf Einbürgerung ab und führte zur Begründung aus, der Kläger sei nicht bereit, seine bisherige Staatsangehörigkeit aufzugeben. Eine Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit bedürfe der Zustimmung des Regierungspräsidiums .... Das Regierungspräsidium habe einer Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit jedoch nicht zugestimmt. Die Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 Nr. 5 StAG seien nicht gegeben. Der Kläger habe bislang noch keinerlei geschäftliche Beziehungen in die USA. Die vom Kläger angestrebte unternehmerische Tätigkeit im Ausland könne er als amerikanischer Staatsangehöriger problemlos ausführen. Bei einer Rückkehr nach Deutschland werde er keine Probleme haben, einen Aufenthaltstitel zu erwerben, da seine Ehefrau und die Kinder deutsche Staatsangehörige seien.
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Hiergegen legte der Kläger mit Schriftsatz vom 27.01.2017 Widerspruch ein und verwies auf sein bisheriges Vorbringen. Ergänzend trug er vor, angesichts der Veränderungen in der amerikanischen Politik sei ihm nicht zumutbar, auf Dauer aus dem Kultur- und Rechtskreis der deutschen Staatsangehörigen ausgeschlossen zu bleiben. Als Deutscher ohne US-Staatsangehörigkeit müsse er in den USA mit noch mehr Behinderungen rechnen als schon bisher.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 16.06.2017 wies das Regierungspräsidium ... den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, mangels aktueller geschäftlicher Beziehungen könne gegenwärtig nicht beurteilt werden, ob für den Kläger tatsächlich objektive Nachteile, die deutlich über das normale Maß hinausreichten, vorlägen. Die momentane politische Entwicklung zwinge den Kläger nicht, jetzt die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben, zumal er in nächster Zeit seine Zukunft und die seiner Familie in den USA sehe. Es gebe auch keine Nachweise dafür, dass der an Autismus erkrankte Sohn des Klägers in Deutschland keine Chance habe, einen entsprechenden Bildungsabschluss wie in den USA zu erreichen. Es sei die persönliche Entscheidung des Klägers, dass sein Sohn eine Schule in den USA besuchen soll. Dass der Kläger für seinen Aufenthalt in den USA zugleich die deutsche Staatsangehörigkeit erlange, sei nicht erforderlich. Um das Erlöschen der Niederlassungserlaubnis zu vermeiden, könne sich der Kläger bei der Ausländerbehörde eine „Nichterlöschensbescheinigung“ nach § 51 AufenthG ausstellen lassen. Dem Kläger sei zumutbar, seinen Einbürgerungswunsch zurückzustellen, bis sich sein Lebensmittelpunkt wieder in Deutschland befinde. Dass die Mutter des Klägers bis zum Jahr 1977 versäumt habe, eine Erklärung im Hinblick auf den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit beim Kläger abzugeben, führe nicht zu einem Anspruch, unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit eingebürgert zu werden.
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Am 27.06.2017 hat der Kläger Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, sein Sohn leide an einer Autismus-Spektrum-Störung und besuche die achte Klasse einer Förderschule. Die 1:1 Schulbegleitung benötige er für die Bewältigung sozialer Beziehungen. In Deutschland könne er diese Schule bis Sommer 2019 besuchen. Dann sei sein Bildungsanspruch aufgebraucht. Anschließend bestehe nur noch die Möglichkeit einer einfachen Berufsausbildung in einer Schule für geistig behinderte Menschen. Dies entspreche aber nicht seinem Spektrum der Eignungs- und Leistungsfähigkeit. Am Ende der Schulzeit sei ein Aufenthalt in den USA für die Dauer von fünf Jahren geplant. Dort gebe es einen Bildungsanspruch bis zum 21. Lebensjahr, der nahe oder bis zum High-School-Abschluss führe. Die dortigen Bedingungen entsprächen den gegenwärtig bestehenden Bedingungen im Bundesgebiet. Für seinen Sohn sei es die letzte Chance, in den USA vom 16. bis zum 21. Lebensjahr diese weitere Ausbildung zu genießen. Die wirtschaftliche und soziale Existenz der Familie hänge davon ab, dass er an der Westküste der USA berufstätig sei. Er arbeite in einem mit einem Partner über Jahrzehnte aufgebauten Unternehmen im Bereich der Softwareentwicklung für große Auftraggeber. Diese seien überwiegend in Europa beheimatet. Die Arbeit verlange regelmäßig nicht die persönliche Anwesenheit vor Ort. Allerdings sei eine Tätigkeit in den USA ohne eine Niederlassungs- und Arbeitserlaubnis nicht möglich; dies gelte auch für deutsche Unternehmen zur Abarbeitung der dort betreuten Aufträge. Mögliche Geschäftsbeziehungen wären mit der Tatsache belastet, dass er offenlegen müsse, nicht mehr Staatsbürger der USA zu sein. Die wirtschaftliche Grundlage der Familie würde durch den Verlust der US-Staatsangehörigkeit erheblich gefährdet. Seine Ehefrau habe kürzlich die Heilpraktikerprüfung erfolgreich absolviert. Sie stehe aber erst am Anfang ihrer Berufstätigkeit und könne zum gemeinsamen Unterhalt noch wenig beitragen. Deshalb sei die gesamte Familie auf seinen beruflichen Erfolg angewiesen. Ein Zuwarten bis zu einer Rückkehr aus den USA sei nicht zumutbar, da er von einer Mitwirkung in politischen Fragen nicht länger ausgeschlossen sein wolle.
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Der Kläger beantragt,
10
den Bescheid des Landratsamts ... vom 09.01.2017 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums ... vom 16.06.2017 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihn unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit in den deutschen Staatsverband einzubürgern.
11
Der Beklagte beantragt,
12
die Klage abzuweisen.
13
Er verweist auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen.
14
In der mündlichen Verhandlung vom 10.07.2018 hat der Kläger auf Fragen des Gerichts vorgetragen, seine Kinder hätten die deutsche und die US-amerikanische Staatsangehörigkeit. Sein Sohn G gehe noch bis zum Jahr 2019 in Deutschland in die Schule. Er könne lesen und schreiben. Konkrete Pläne für einen Umzug in die USA bestünden noch nicht, insbesondere seien noch keine Buchungen erfolgt. Sein Sohn sei in einer amerikanischen Schule noch nicht angemeldet. In den USA werde ein behindertes Kind besser beschult, die Inklusion sei dort stärker ausgeprägt. Bei der Schule in A handele es sich um eine private Schule, die grundsätzlich selbst bezahlt werden müsse, wenn nicht eine Schulbehörde in den USA die Kosten übernehme. Wichtig für ihn sei, die Option zu haben, in die USA zu gehen und seinen Sohn G dort betreuen lassen zu können. In seinem Unternehmen sei er für den technischen Bereich verantwortlich. Diesen Aufgabenbereich könne er auch bei einem Aufenthalt in den USA erledigen. Wenn er nur die deutsche Staatsangehörigkeit besitze, brauche er in den USA eine Green Card. Um diese zu erlangen, müsse er in einer anderen Firma arbeiten oder als Firmengründer hohe finanzielle Investitionen tätigen.
15
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers trug in der mündlichen Verhandlung vom 10.07.2018 vor, die Eltern stünden unter einer extremen Belastung. Der Kläger und seine Ehefrau hätten auch in den letzten Jahren immer nach Optionen für ihr Kind suchen müssen. Die Familie müsse sich für einen Weg entscheiden, wie ihr Kind G zukünftig leben werde. Die Option, dem Kind ein würdiges Leben in Zukunft zu bieten, sei grundrechtlich geschützt. Nur wenn der Kläger die US-Staatsangehörigkeit behalte, könne in Betracht kommen, dass der Schulaufenthalt des Sohnes in den USA von einer dortigen staatlichen Behörde bezahlt werde. In Deutschland sei eine ordentliche Versorgung von Autisten nicht gewährleistet.
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In der mündlichen Verhandlung vom 10.07.2018 beantragten die Beteiligten das Ruhen des Verfahrens. Mit Beschluss vom 10.07.2018 ordnete das Verwaltungsgericht das Ruhen des Verfahrens an.
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Mit Schriftsatz vom 08.01.2019 rief das Landratsamt ... das Verfahren wieder an und brachte zur Begründung vor, das Landratsamt habe die möglichen Ausnahmefälle zur Hinnahme der Mehrstaatigkeit bei der Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG erneut geprüft. Ein öffentliches Interesse an der Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit oder eine besondere Härte im Sinne des § 8 Abs. 2 StAG seien nicht zu erkennen. Das Regierungspräsidium ... habe mit Schreiben vom 11.09.2018 mitgeteilt, dass es einer Einbürgerung nach § 8 StAG unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit nicht zustimme.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die zur Sache gehörende Behördenakte verwiesen. | Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. | 0 |
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Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz 1. Senat | Rheinland-Pfalz | 0 | 0 | 24.02.2011 | 0 | Randnummer
1
Der Antragsteller wendet sich in dem vorliegenden Normenkontrollverfahren gegen den Bebauungsplan „Bereich zwischen Fliegerkaserne und Wohnsiedlung L...-Straße“, den der Stadtrat der Antragsgegnerin in seiner Sitzung am 26.03.2009 beschlossen hat. In dem Veröffentlichungsorgan der Antragsgegnerin „Stadt- und Landbote“ (Ausgabe Nr. 20) ist der Bebauungsplan am 15.05.2009 öffentlich bekannt gemacht worden und zum gleichen Zeitpunkt in Kraft getreten.
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2
Der Plan sieht auf einer Fläche von etwa 2,28 ha (Flurstücke …./.. und …/.. tlw.) ein allgemeines Wohngebiet (WA) vor, welches in die zwei Teilbereiche WA 1 und WA 2 untergliedert ist. Das Gebiet WA 1 soll der überwiegenden Wohnbebauung dienen, während im Gebiet WA 2 eine im Eigentum der Beigeladenen zu errichtende Einrichtung für psychisch kranke Menschen vorgesehen ist, die nach dem Anhörungsschreiben der Antragsgegnerin vom 30.06.2008 (Bl. 13 der Planaufstellungsakten – PA –) für die Unterbringung und Betreuung von 25 Patienten ausgelegt sein soll. Einzelheiten der Planung werden u.a. auf S. 16ff der Begründung (Bl. 29ff PA) beschrieben.
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3
Der Antragsteller ist Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten westlich an das Plangebiet WA 1 grenzenden Grundstücks mit der Flurstück-Nr. …/... Er trägt zur Zulässigkeit seines Normenkontrollantrags im Wesentlichen vor, er sei als Eigentümer eines unmittelbar an das Plangebiet grenzenden Grundstücks antragsbefugt, weil er durch die ungeklärte Entwässerungsfrage des Plangebietes WA 1 unmittelbar nachteilig betroffen werde und dies abwägungserheblich sei. Er habe künftig mit erheblichen Beeinträchtigungen durch Niederschlagswasser aus dem Plangebiet zu rechnen.
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4
Der Normenkontrollantrag sei auch begründet. Der angegriffene Bebauungsplan verstoße gegen die bauplanungsrechtlichen Vorschriften der §§ 1 Abs. 3, 1 Abs. 7, 2 Abs. 3 und § 9 BauGB und sei daher unwirksam.
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Der Bebauungsplan verstoße bereits gegen § 1 Abs. 3 BauGB. Die Festsetzung eines allgemeinen Wohngebietes (WA) stelle einen Etikettenschwindel dar. Allgemeine Wohngebiete nach § 4 Abs. 1 BauNVO müssten vorwiegend dem Wohnen dienen und andere Nutzungen dürften nicht überwiegen. Dies sei vorliegend nicht der Fall, weil lediglich die psychiatrische Fachklinik realisiert werden solle, für die ein Klinikgebiet nach § 11 Abs. 2 BauNVO hätte festgesetzt werden müssen.
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6
Es bestehe auch keine Realisierungsabsicht hinsichtlich des WA 1-Gebietes. Es sei nicht ersichtlich, dass in einem Stadtteil von nicht einmal 1.000 Einwohnern ein Bedarf von 20 Bauplätzen bestehe, was nach erfolgter Bebauung einem Einwohnerzuwachs von etwa 10 % entspreche. Es sei auszuschließen, dass eine ausreichende Anzahl von Familien neben einem bestehenden sozialen Brennpunkt mit einem hohen Migrantenanteil und neben einem Wohnheim für psychisch kranke Menschen Eigentum erwerben wolle. Der angebliche Bedarf sei daher nur vorgeschoben, um ohne eine Änderung der Flächennutzungsplanung ein Sonderbauvorhaben auf einer Wohnbaufläche ermöglichen zu können; es liege mithin ein Fall des sogenannten Etikettenschwindels vor.
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7
Das Wohngebiet WA 2 sei vielmehr der Sache nach ein Klinikgebiet im Sinne des § 11 Abs. 2 BauNVO, welches nach der Bebauungsplanbegründung einen wohnähnlichen Charakter haben solle. Nach den Baugenehmigungsunterlagen handele es sich jedoch nicht nur um ein Wohnheim, sondern um ein Krankenhaus mit drei Stationen, die jeweils über ein Stationsbad und ein Dienstzimmer verfügten. Günstigstenfalls könne es sich um eine Anlage für soziale und gesundheitliche Zwecke handeln. Die Errichtung von Wohngebäuden sei hingegen durch die Festsetzung eines übergroßen Baufensters ohne Innenerschließung und mit einer unzureichenden äußeren Erschließung über eine zu schmale Erschließungsstraße ohne Wendehammer praktisch unmöglich gemacht worden. Auch von daher hätte ein Sondergebiet festgesetzt werden müssen.
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8
Selbst wenn eine Realisierungsabsicht hinsichtlich des WA 1-Gebietes bestünde, wäre der Bebauungsplan gemäß § 1 Abs. 7 BauGB unwirksam, weil die Abwägungen in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft seien. Entgegen § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB würden weder die Bevölkerungsentwicklung noch die Wohnbedürfnisse berücksichtigt. Der Wohnflächenbedarf sei ungeachtet des Grundsatzes GA 1 in Kapitel 2.1 des RROP Mittelrhein-Westerwald ausschließlich aus dem Flächennutzungsplan abgeleitet worden. Vor allem aber sei der Belang der Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen nach § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB fehlerhaft abgewogen worden. Es sei vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar, warum ein anerkanntermaßen bereits sozial instabiler Stadtteil mit nur 1.000 Einwohnern (Hinweis auf Bl. 440 PA) noch zusätzlich mit einer Einrichtung für psychisch kranke Menschen belastet werden solle.
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9
Darüber hinaus seien bei der Abwägung die Belange des § 1 Abs. 6 Nr. 9 BauGB sowie des § 1 Abs. 6 Nr. 7 BauGB nicht hinreichend berücksichtigt worden und seien die unzureichende äußere und innere Erschließung des Gebiets über die Immelmannstraße bzw. die vorgesehenen Planstraßen A bis C zu rügen. Zudem gebe es erhebliche Ermittlungsdefizite im Sinne von § 2 Abs. 3 BauGB was den Wohnflächenbedarf und die Entwässerung sowie den Ausbau der Immelmannstraße angehe. Ein Entwässerungskonzept liege noch immer nicht vor.
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Die Entwässerungsproblematik werde nicht gelöst, sondern nur „weggewogen“. Bei feuchter Witterung könnte hinter den Reihenhäusern im Wohnbereich des Antragstellers Staunässe bis hin zu Seenbildungen entstehen. Die Problematik der Flächenversiegelung und die daraus resultierende „Verschärfung des Oberflächenabflusses“ sei zwar gesehen, geeignete Maßnahmen aber nicht getroffen worden. Außerdem gebe es erhebliche technische Schwierigkeiten bei der Verlegung der Abwasserleitungen und sonstigen Einrichtungen der Entwässerung, die bisher ungelöst seien.
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Schließlich sei die Planung auch nicht mit den Grundsätzen der Raumordnung nach dem RROP Mittelrhein-Westerwald zu vereinbaren was die Entwicklungschancen von Baugebieten, den Erhalt der Wälder und die Anforderungen an den Klimaschutz betreffe. Zudem sei das Konzept der Ausgleichsflächen für die 2,2 ha Wald nicht nachvollziehbar, was zu einer Abwägungsdisproportionalität der Planung insgesamt führe.
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Der Antragsteller beantragt,
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den Bebauungsplan der Antragsgegnerin „Bereich zwischen Fliegerkaserne und Wohnsiedlung L... Straße“ vom 26. März 2009 für unwirksam zu erklären.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Normenkontrollantrag zurückzuweisen.
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Der Normenkontrollantrag sei schon mangels Antragsbefugnis unzulässig. Der Antragsteller sei insbesondere nicht antragsbefugt, weil er eine nachteilige Betroffenheit aus der Entwässerungsplanung nicht habe darlegen können. Das Entwässerungskonzept sei teilweise noch im Planungsstadium, es müsse auch nicht bei Erlass des Bebauungsplans vollständig vorhanden sein, sondern könne vielmehr dessen Vollzug überlassen bleiben.
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Die Anträge seien darüber hinaus auch unbegründet. Der Bebauungsplan sei zunächst erforderlich im Sinne von § 1 Abs. 3 BauGB, wobei zunächst das WA 2-Gebiet realisiert werde. Es sei jedoch eine unrichtige Darstellung der Antragstellerseite, dass lediglich eine Wohnstätte für psychisch Kranke realisiert werden solle. Es sei mehrfach erklärtes Ziel der Antragsgegnerin, dass in dem Bebauungsplan ausgewiesene Wohngebiet WA 1 zu erschließen und Bauinteressenten zur Verfügung zu stellen. Entsprechende Haushaltsmittel stünden bereit, die Entwässerung zur Straßenplanung sei erstellt. Auch die Entwässerung des Wohngebietes WA 2 sei sichergestellt, während die Entwässerung des Wohngebiets WA 1 aufgrund der notwendigen Herstellung eines Regenrückhaltebeckens außerhalb des Planbereichs einer weiteren Genehmigung bedürfe. Der Antrag werde derzeit durch ein Ingenieur-Büro erstellt und die Genehmigung sodann anschließend beantragt. Die Erschließung des WA 2 erfolge 2010/2011 und des WA 1 nach Vorliegen der genehmigten Entwässerungsplanung 2011/2012.
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Es liege auch kein Etikettenschwindel vor; die Antragsgegnerin habe ein Wohngebiet ausgewiesen und beabsichtige dieses zu realisieren. Die geplante Einrichtung zum betreuten Langzeitwohnen für psychisch kranke Menschen sei auch eine Wohnnutzung. Die Notwendigkeit von Betreuung und Pflege stehe einem selbstbestimmten Wohnen nicht entgegen. Dafür reiche es aus, dass die für das Wohnen konstituierenden Merkmale erfüllt seien. Dies sei auch dann der Fall, wenn bei den Bewohnern aufgrund ihrer Betreuungs- und Pflegebedürftigkeit eine selbständige Haushaltsführung und Lebensgestaltung in den Hintergrund trete oder sogar aufgegeben werde.
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Eine ständige medizinische Versorgung wie in einem Krankenhaus finde nicht statt. Das Wohnheim beschäftige auch keinen eigenen Arzt, die medizinische Betreuung werde von externen Ärzten sichergestellt. Die fachpsychiatrische Betreuung erfolge durch die Beigeladene, sofern von Heimbewohnern kein niedergelassener Arzt gewählt werde. Selbst wenn also der Planungswille dahin gegangen sei, im Wohngebiet 2 eine Einrichtung für die Behandlung psychisch Kranker zu etablieren, so sei diesem Planungswillen durch die Ausweisung eines allgemeinen Wohngebietes Rechnung getragen. Außerdem sei die beabsichtigte Nutzung durch die Beigeladenen in einem allgemeinen Wohngebiet als Anlage für gesundheitliche und/oder soziale Zwecke (§ 4 Nr. 2 Nr. 3 BauNVO) allgemein zulässig.
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Die Beigeladene beantragt,
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den Normenkontrollantrag zurückzuweisen.
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Sie trägt zur Begründung im Wesentlichen vor:
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Eine Antragsbefugnis des Antragstellers bestehe mangels Verletzung eigener Rechte nicht. Der Antragsteller leite seine Antragsbefugnis zu Unrecht daraus ab, dass durch die vermeintlich ungeklärte Entwässerungsfrage in der Bauleitplanung seine Grundstückseigentümerinteressen negativ beeinträchtigt seien. Schon aus den Planakten ergebe sich, dass die Entwässerungsfrage geklärt und das Gebiet nur realisiert werde, wenn das Entwässerungskonzept vorliege.
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Der Normenkontrollantrag des Antragstellers sei in jeden Fall auch unbegründet. Die Planung sei gemäß § 1 Abs. 3 BauGB erforderlich, wobei ein weites planerisches Ermessen zugrunde zu legen sei. Das Negieren des Bedarfs seitens der Antragstellers gehe insoweit von falschen Tatsachen aus. Ziel der Planung sei die Ausweisung der Flächen zur Bebauung gewesen und damit einem weiten Kreis der Bevölkerung Bauland zur Eigentumsbildung zu verschaffen bzw. zur Eigentumsbildung zu verhelfen. Sofern das Brauheck seitens des Antragstellers als Konfliktgebiet bezeichnet werde, sei gerade der Bebauungsplan geeignet und erforderlich, diese angeblich negativen Zustände zu beseitigen.
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Es handele sich auch nicht um einen Etikettenschwindel, da angeblich ein Sondergebiet nach § 11 Abs. 2 BauNVO hätte ausgewiesen werden müssen. Ein Etikettenschwindel liege nur vor, wenn eine tatsächlich nicht gewollte Gebietsart ausgewiesen werde, um so städtebaulich unzulässige Zielkonflikte zu umgehen. Der Antragsteller verkenne jedoch, dass in einem allgemeinen Wohngebiet nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO auch Anlagen für gesundheitliche Zwecke zulässig seien. Auch das im Gebiet WA 2 zu verwirklichende Bauprojekt der Beigeladenen sei als Anlage für gesundheitliche Zwecke nach dieser Vorschrift bzw. als Wohnanlage nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO zu qualifizieren. Bei der bereits genehmigten Anlage handele es sich letztendlich um eine Kombination aus Wohnen und medizinischer Betreuungsleistung, was auch aus dem Betriebskonzept der Rhein-Mosel-Fachklinik Andernach eindeutig hervorgehe. Aus der Planbegründung (S. 8) folge auch, dass es sich keineswegs um einen Krankenhauskomplex handele, der nach Auffassung des Antragstellers nur in einem Sondergebiet zulässig wäre, sondern dass das Wohnen in der genannten Einrichtung der Beigeladenen nicht nur überwiegen solle, sondern gerade Kern des therapeutischen Konzepts sei. Die psychisch kranken Menschen sollten lernen, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren, wobei auf Grundlage des gegebenen Konzepts ein Gewaltpotential und eine Gefährdung der Anwohner ausgeschlossen werden könne. Einen allgemeinen Anspruch auf ein Ausblenden bestimmter Probleme und Erkrankungen bestehe indessen nach der Rechtsprechung nicht.
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Der Senat hat die Verfahren weiterer Antragsteller abgetrennt und unter den Aktenzeichen 1 C 10276/11.OVG bzw. 1 C 10610/10.OVG fortgeführt.
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27
Die Antragsgegnerin hat in der mündlichen Verhandlung den Bescheid über die wasserrechtliche Erlaubnis für die Entwässerung des gesamten Plangebiets der zuständigen Regionalstelle der Struktur- und Genehmigungsdirektion (SGD) Nord vom 16.02.2011 (Az.: 5 – 702 – 22) vorgelegt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte einschließlich der Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die beigezogenen Planungsakten der Antragsgegnerin (8 Ordner). Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. | Der Normenkontrollantrag des Antragstellers wird abgelehnt.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
LG Hamburg 26. Zivilkammer | Hamburg | 0 | 1 | 24.10.2019 | 0 | Randnummer
1
Der Kläger begehrt Schadensersatz von der Beklagten als Herstellerin des Motors des von ihm am 30.4.2014 für 22.280,00 € gebraucht gekauften PKW Audi A6 2,0 l TDI, FIN... (vgl. Anlage K1). Der Kläger finanzierte das Fahrzeug zunächst, im Jahr 2018 wurde das Darlehen vollständig zurückgeführt.
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2
Das Fahrzeug ist ausgestattet mit einem 2,0 TDI Motor EA189 EU 5. Dieser Motor hat eine Software, die zwei unterschiedliche Betriebsmodi zur Steuerung der Abgasrückführung regelt. Im Modus 1, dem Testbetrieb (Europäischer Fahrzyklus NEFZ), kam es zu einer höheren Abgasrückführung und somit zu einem geringeren Ausstoß von Stickoxiden als im Modus 0, dem Modus für den Straßenbetrieb (realer Fahrbetrieb). Diese Umschaltautomatik wurde im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens gegenüber der Prüfstelle nicht bekannt gegeben.
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3
Es ist gerichtsbekannt, dass spätestens ab September 2015 die Verwendung dieser Software mit zwei Betriebsmodi zur Fahrzeugsteuerung bei verschiedenen Fahrzeugen des V. Konzerns und seiner Töchterunternehmen, zu denen auch AUDI gehört auf dem deutschen Markt öffentlich bekannt wurde.
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4
Im Oktober 2015 ordnete das Kraftfahrzeugbundesamt (KBA) die Umrüstung von 2,4 Millionen Diesel-Fahrzeugen an, die mit der oben genannten Abgasrückführung ausgerüstet worden waren. Es gab der Beklagten auf, Maßnahmen zu entwickeln und nach Freigabe durch das KBA zu ergreifen, um die betroffenen Fahrzeuge in einen ordnungsgemäßen Zustand zu versetzen. Die EG-Typgenehmigung wurde nicht widerrufen. Die Nachrüstung mittels eines Software-Updates wurde sodann ab Januar 2016 von der Beklagten sukzessive durchgeführt. Auch das klägerische Fahrzeug erhielt dieses Update.
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5
Der Kläger forderte die Beklagte mit Schreiben vom 28.08.2018 (Anlage K3) erfolglos zur Rücknahme des PKW und Erstattung des Kaufpreises auf.
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6
1. Das Fahrzeug wies zum Schluss der mündlichen Verhandlung unbestritten einen Kilometerstand von 146.014 km auf.
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7
Der Kläger ist der Auffassung, das von ihm erworbene Fahrzeug sei aufgrund der Abschaltautomatik mangelbehaftet. Die Beklagte habe den Kläger über das Vorhandensein der Abschaltautomatik vorsätzlich sittenwidrig getäuscht und ihn so geschädigt. Die Manipulation der Abgaswerte im Prüfstand sei dem Vorstand der Beklagten positiv bekannt gewesen, zumindest habe dieser sich das Wissen verschaffen können und auch müssen.
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8
Eine Nutzungsentschädigung sei vom Kaufpreis nicht zugunsten der Beklagten abzuziehen, da dies dem Gedanken des Schadensersatzes wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung widerspräche.
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9
Die Beklagte befinde sich in Annahmeverzug, weil sie trotz klägerischer Aufforderung die Entgegennahme des Fahrzeugs abgelehnt habe. Hilfsweise stellt der Kläger die Berechnung des Nutzungsersatzes in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts.
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10
Weiter begehrt der Kläger Verzinsung des Kaufpreises seit Abschluss des Kaufvertrages gemäß § 849 BGB.
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Der Kläger verlangt vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe einer Gebühr von 2,0 bezogen auf den vollen Kaufpreis des Fahrzeugs zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer.
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12
Der Kläger beantragt,
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13
1. die Beklagtenpartei zu verurteilen, an die Klägerpartei € 22.280,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.4.2014 zu bezahlten, Zug-um-Zug gegen Übereignung des PKW Audi A6 2,0 L TDI, FIN...
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14
2. festzustellen, dass sich die Beklagtenpartei mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 1 genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet,
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15
3. die Beklagte zu verurteilen, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 1.899,24 freizustellen nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten seit Rechtshängigkeit.
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16
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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18
Die Beklagte hält die von ihr verwendete Umschaltlogik nicht für eine unzulässige Abschalteinrichtung. Die Beklagte habe den Kläger weder getäuscht noch sonst vorsätzlich sittenwidrig geschädigt. Ihm sei auch kein ersatzfähiger Schaden entstanden. Nach Durchführung des Software-Updates und der Beseitigung der Umschaltlogik halte das Fahrzeug die Schadstoff-Grenzwerte ein. Das Update habe keine Nachteile in Bezug auf Leistungs- und Verbrauchsparameter zur Folge.
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Die Beklagte sei in die Kaufentscheidung des Klägers nicht involviert gewesen und habe ihn daher gar nicht täuschen können. Sie sei auch nicht Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeuges.
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20
Zumindest habe der Kläger sich eine Nutzungsentschädigung auf den Kaufpreis anrechnen zu lassen, um den behaupteten Schaden nicht zu „überkompensieren“. Dabei sei von einer Gesamtlaufleistung von 200.000 km bis 250.000 km auszugehen. Ein Anspruch auf eine Verzinsung nach § 849 BGB bestehe nicht.
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Der Kläger habe der Beklagten das Fahrzeug nicht wie geschuldet angeboten, so dass ein Annahmeverzug nicht bestehe.
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22
Die Beklagte meint, dass der Kläger die vorgerichtlichen Anwaltskosten selbst zu tragen habe bzw. insoweit von seinem Rechtschutzversicherer eine Erstattung erhalten habe. Im Übrigen sei die geltend gemachte 2,0 Geschäftsgebühr zu hoch angesetzt.
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23
Die Klage wurde der Beklagten am 4.1.2019 zugestellt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 8.8.2019 Bezug genommen. | 1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von € 17.807,29 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 5.1.2019 zu bezahlten, Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des PKW Audi A6 2,0 l TDI, FIN... zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1) genannten Fahrzeugs im Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 1.100,51 freizustellen nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5.1.2019.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 20 % und die Beklagte 80 % zu tragen.
5. Das Urteil ist jeweils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
6. Der Streitwert wird auf 22.780,00 € festgesetzt. | 1 |
Hessisches Landesarbeitsgericht 8. Kammer | Hessen | 0 | 1 | 19.12.2007 | 1 | Randnummer
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Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger nach dem "Tarifvertrag zur Vereinheitlichung der Betrieblichen Altersversorgung für das Cockpitpersonal vom 04. Dezember 2004" (TV Vereinheitlichung) Anspruch auf Leistungen nach dem Tarifvertrag "A. Betriebsrente" vom 04. Dezember 2004 hat oder ihm weiter lediglich die Versorgungsrente nach früheren Versorgungstarifverträgen zu zahlen ist.
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Der am 22. März 1938 geborene Kläger war vom 01. März 1961 bis zum 30. März 1994 bei der Beklagten als Flugzeugführer angestellt. Jedenfalls aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung finden auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die Tarifverträge für das Bord- bzw. Cockpitpersonal der Beklagten Anwendungen.
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3
Vom 01. April 1994 bis zum 31. März 2003 erhielt der Kläger Zusatzrente nach dem Tarifvertrag Übergangsversorgung für das Cockpitpersonal. Seit dem 01. April 2003 erhält der Kläger von der Beklagten eine Versorgungsrente nach dem Versorgungstarifvertrag Nr. 3 vom 19. Dezember 1979 in der Fassung des Ergänzungstarifvertrags Nr. 3 vom 10. Mai 1994. Nach diesen Tarifverträgen wird eine Gesamtversorgung entsprechend der Satzung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) geleistet (VBL-Versorgung).
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4
Den Versorgungstarifvertrag Nr. 3 in seiner letzten Fassung hatten die dafür zuständigen Gewerkschaften mit Wirkung zum 31. Dezember 2001 gekündigt. Hintergrund war die bevorstehende Neuordnung der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst und die dafür erforderliche grundlegende Änderung der VBL-Satzung. Tatsächlich wurde im öffentlichen Dienst das bisherige Gesamtversorgungssystem geschlossen und ab 01. Januar 2002 ein neues Versorgungspunktesystem eingeführt.
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5
Am 04. Dezember 2004 schlossen die Tarifvertragsparteien Arbeitsrechtliche Vereinigung Hamburg e. V., der die Beklagte angehört sowie die Gewerkschaft Vereinigung Cockpit e. V. den "Tarifvertrag zur Vereinheitlichung der betrieblichen Altersversorgung für das Cockpitpersonal bei A., A. Cargo B. und B. Berlin" (TV-Vereinheitlichung) sowie am gleichen Tag den Tarifvertrag "A. Betriebsrente für das Cockpitpersonal bei A., A. Cargo B. und B. Berlin" (TV A. – Betriebsrente) beide mit Gültigkeit ab 01. Januar 2002.
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6
Im TV-Vereinheitlichung heißt es:
"Präambel
Mit Beendigung ihrer Beteiligung an der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) am 31.12.1994 haben sich die C. und die B. Flugdienst GmbH nach Maßgabe des Ergänzungstarifvertrages zum Versorgungstarifvertrag Nr. 3 vom 10.05.1994 verpflichtet, alle am 31.12.1994 bei der VBL versicherten Mitarbeiter so zu stellen, als würde ihre spätere Zusatzversorgung von der VBL nach deren jeweils geltender Satzung fortgeführt (VBL-gleiche Zusatzversorgung).
Vor dem Hintergrund, dass sich die Tarifvertragsparteien des Öffentlichen Dienstes mit dem Altersvorsorgeplan 2001 vom 13.11.2001 auf eine grundlegende Reform der VBL-Zusatzversorgung unter Ablösung des bisherigen Gesamtversorgungssystems geeinigt haben und insoweit auch nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22.03.2000 (1 BvR 1136/96) Rechnung getragen haben, wird die im A.-Konzern seit 01.01.1995 bestehende Zusage auf eine VBL-gleiche Zusatzversorgung nach Maßgabe dieses Tarifvertrages abgelöst und durch eine neue Zusage auf betriebliche Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversorgung ersetzt. Die Tarifvertragsparteien kommen damit auch ihrer entsprechenden Verhandlungsverpflichtung vom 16.05.2000 nach.
Das bisherige VBL-gleiche Gesamtversorgungssystem im A.-Konzern wird mit Ablauf des 31.12.2001 abgelöst. Ab 01.01.2002 werden alle Anwartschaften und bestehenden Ansprüche auf Versorgungsleistungen auf bzw. aus VBL-gleicher Zusatzversorgung in das im A.-Konzern seit 01.01.1995 geltende System der Neuen Betrieblichen Altersversorgung, künftig A.-Betriebsrente, überführt.
...
Teil II: Mitarbeiter mit Anwartschaft auf VBL-gleiche Gesamtversorgung
Abschnitt I: Rückwirkende Zusage der A.-Betriebsrente
§ 2 Rückwirkende Zusage der A.-Betriebsrente
(1)
Alle am 01.01.2002 VBL-gleich pflichtversicherten Mitarbeiter werden unter den Voraussetzungen und nach näherer Maßgabe der folgenden Bestimmungen so gestellt, als hätten sie ab Beginn der VBL- oder VBL-gleichen Versicherungspflicht aufgrund ihres Arbeitsverhältnisses mit A. eine Zusage auf Leistungen nach dem Tarifvertrag A.-Betriebsrente erhalten (rückwirkende Einführung der "A.-Betriebsrente").
Satz 1 gilt entsprechend für ehemalige, bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis VBL-gleich versicherte Mitarbeiter, die nach den Vorschriften der VBL-Satzung der 40. Satzungsänderung (VBL-S40) bei Eintritt des Versicherungsfalles als pflichtversichert gelten.
Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, sofern bereits vor dem 02.01.2002 die Leistung einer VBL-gleichen Rente begonnen hat. Sie gelten ferner nicht, wenn der ehemalige Mitarbeiter vor dem 02.01.2002 das 63. Lebensjahr vollendet hat.
...
§ 18 In-Kraft-Treten
(1)
Dieser Tarifvertrag tritt mit Wirkung vom 01.01.2002 in Kraft. Davon abweichend tritt § 13 Absatz 3 a mit Wirkung vom 01.01.2005 in Kraft."
...
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7
Weiter ist in dem TV-Vereinheitlichung die Garantie bisher erworbener VBL-gleicher Anwartschaften geregelt, sowie unter "Teil III: ehemalige Mitarbeiter und Hinterbliebene" die Festsetzung, Weiterzahlung und Anpassung VBL-gleicher Versorgungsrenten mit Rentenbeginn vor dem 02. Januar 2002 sowie VBL-gleicher Versicherungsrenten mit Rentenbeginn vor dem 02. Januar 2002.
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8
Der TV-A. Betriebsrente fasste den Tarifvertrag "Betriebliche Altersversorgung" vom 01. September 1995 neu, der bereits für alle Arbeitnehmer galt, die nach dem 31. Dezember 1994, dem Ausscheiden der Beklagten aus der VBL bei Ihr eingetreten waren. Danach setzt sich die Rente aus der Summe der bis zum Versorgungsfall jährlich erworbene Rentenbausteine zusammen, die sich entsprechend einer Tabelle nach Vergütung und jeweiligem Alter richten.
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9
Er hat die Auffassung vertreten, er habe Anspruch auf die rückwirkende Einführung der A. Betriebsrente.
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10
Er unterfalle nicht dem Ausschluss von der rückwirkenden Zusage der A. Betriebsrente, da er vor dem 02.01.2002 keine VBL-gleiche Rente bezog. Er unterfalle auch nicht dem Ausschluss ehemaliger Mitarbeiter, die vor dem 02.01.2002 das 63. Lebensjahr vollendet haben. Er sei kein ehemaliger Mitarbeiter gewesen, da er zu diesem Zeitpunkt noch Übergangsversorgung bezog. Auch während der Übergangsversorgung sei er weiter Mitarbeiter der Beklagten gewesen. Was unter ehemaligen Mitarbeitern zu verstehen sei, ergebe sich aus Teil 3 TV Übergangsversorgung und den Protokollnotizen u. a. Protokollnotiz 7. Nirgends dort seien Mitarbeiter in Übergangsversorgung genannt.
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11
Jedenfalls sei die Anknüpfung an das Alter von 63 Jahren diskriminierend und gleichheitswidrig.
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12
Es sei gleichheitswidrig und durch nichts gerechtfertigt, Arbeitnehmer, die vor dem 2. Januar 2002 die Leistung einer VBL-gleichen Rente erhielten, von der rückwirkenden Zusage der A.-Betriebsrente auszuschließen. Der Ausschluss dieser Mitarbeiter benachteilige sie gegenüber anderen Mitarbeitern mit gleichen Eintrittsdatum bei der Beklagten, die wie der Kläger zum Zeitpunkt des Abschlusses des TV-Vereinheitlichung bereits Rentner waren. Insbesondere auch gegenüber Kollegen, die später als der Kläger eintraten und ihre aktive Beschäftigung früher beendeten. Dies alles verstoße auch gegen das Senioritätsprinzip. Der Stichtag sei willkürlich gewählt und begünstige diejenigen, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Tarifvertrages Renten bezogen, ohne sachlichen Grund gegenüber denjenigen, bei denen der Rentenbezug vor dem 02. Januar 2002 begann.
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Bei Anwendungen des TV-A. Betriebsrente ergäbe sich für den Kläger ab Rentenbeginn eine weit höhere Rente, die der Kläger im Einzelnen dargelegt und berechnet hat. Mit seiner Klage hat er die Differenzen zur gezahlten Rente seit Eintritt des Versorgungsfalles bis zum 31. März 2006 verlangt.
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Die Beklagte hat vorgetragen, der Stichtag habe an die Kündigung des Versorgungstarifvertrags Nr. 3 und die Neuregelung der VBL-Satzung angeknüpft. Für die Arbeitnehmer, deren VBL-gleicher Rente bereits festgesetzt gewesen sei und die diese bereits gezahlt erhielten, hätte kein Grund bestanden, sie in die Neuregelung einzubeziehen. Den Rentnern seien die über 63-Jährigen gleichzustellen gewesen, da diese lediglich deshalb noch keine Rente, sondernd die höhere Übergangsversorgung bezogen, weil sie aufgrund befreiender Lebensversicherung oder weil die erforderlichen Versicherungsjahre nicht erreicht waren, mit 63 Jahren noch keine gesetzliche Rente bzw. VBL-Versorgung beziehen konnten. Diese konnten nach dem damals geltenden TV Übergangsversorgung bis zum 65. Lebensjahr Übergangsversorgung beziehen. Die Beklagte habe die Neuregelung auf die vor 1994 eingetretenen Mitarbeiter beschränken dürfen, die noch aktiv waren oder deren Rente als Anwärter noch nicht feststand.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen mit Urteil vom 05. Dezember 2006, auf das Bezug genommen wird.
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16
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers. Wegen der für die Zulässigkeit der Berufung erheblichen Daten wird auf das Sitzungsprotokoll vom 28. November 2007 verwiesen.
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17
Der Kläger wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Er ist weiter der Auffassung, dass der Tarifvertrag den allgemeinen Gleichheitssatz und die Diskriminierungsverbote verletze. Es gebe keinen sachlichen Grund dafür, diejenigen, die am Stichtag Rente bezogen bzw. das 63. Lebensjahr vollendet hatten, von der Verbesserung der Altersversorgung auszunehmen. Auch die vor 1939 geborenen seien zwingend in die Neuregelung der betrieblichen Altersversorgung einzubeziehen gewesen, da ansonsten für sie gar keine Regelung bestünde. Auch gehe der TV Vereinheitlichung in seiner Präambel selbst davon aus, dass alle Anwartschaften und bestehenden Ansprüche auf Versorgungsleistungen auf VBL-gleiche Zusatzversorgung in das seit 01. Januar 1995 geltende System der A. Betriebsrente überführt würden. Es liege auch eine verbotene Diskriminierung wegen des Alters vor. Das Vorgehen der Tarifvertragsparteien verstoße auch gegen das geltende Senioritätsprinzip.
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18
Der Kläger beantragt,
1.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 05. Dezember 2006, Aktenzeichen 3/11/14 Ca 6948/06, abgeändert.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger rückständige Betriebsrente für den Zeitraum 01.04.2003 bis 31.03.2006 in Höhe von 42.174,72 EUR brutto zu bezahlen.
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19
Hilfsweise
1.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft über die in der Zeit vom 01.04.2003 bis 31.03.2006 zu beanspruchende betriebliche Altersversorgung nach Maßgabe des Tarifvertrages zur Vereinheitlichung der betrieblichen Altersversorgung für das Cockpitpersonal vom 01.01.2002 zu erteilen.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, die sich aus der Auskunft ergebenden Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung an den Kläger zu zahlen.
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20
Höchsthilfsweise
1.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger betriebliche Altersversorgung nach Maßgabe des Tarifvertrages zur Vereinheitlichung der betrieblichen Altersversorgung für das Cockpitpersonal vom 01.01.2002 zu zahlen.
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21
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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22
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Es sei völlig unüblich auch Rentner in eine Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung einzubeziehen. Es hätte einen unzumutbaren Abreitsaufwand bedeutet, die bereits festgesetzten Renten neu zu berechnen. Das alte System der VBL-gleichen Versorgung habe nicht mehr weitergeführt werden können. Das gesamte Versorgungssystem bei der Beklagten einschließlich des Kabinen- und Bodenpersonals sei neu geregelt worden. Für die Rentner habe keine Neuregelung erfolgen müssen, da diese hinsichtlich ihrer Renten einen Bestandsschutz genossen. Für die Anwärter in Übergangsversorgung war eine Einbeziehung in die Neuregelung der A. Betriebsrente erforderlich gewesen. Für diese hätte ansonsten die – verschlechternde – VBL Neuregelung gegolten.
Randnummer
23
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze verwiesen. | Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts in Frankfurt am Main vom 05.12.2006 – 3/11/14 Ca 6948/06 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung hat der Kläger zu tragen.
Die Revision wird zugelassen. | 0 |
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz 3. Senat | Rheinland-Pfalz | 0 | 0 | 21.08.2012 | 0 | Randnummer
1
Streitig ist, ob das Verfahren in der ersten Instanz durch Klagerücknahmefiktion nach § 102 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erledigt ist.
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2
Mit Bescheid vom 03.11.2010 hob der Beklagte die Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom 01.03.2009 bis 20.04.2009 teilweise in Höhe von 452,80 EUR auf und forderte diese von der Klägerin zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, sie habe während des genannten Zeitraums Einkommen aus einer Beschäftigung in einem Café erzielt und sei daher nicht in bisher festgestellter Höhe hilfebedürftig i. S. d. § 9 SGB II.
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3
Der Beklagte stützte sich insoweit auf eine Meldebescheinigung zur Sozialversicherung vom 27.04.2009 des Arbeitgebers J K , wonach die Klägerin vom 11.03. bis 30.04.2009 bei ihm beschäftigt gewesen sei und dafür 699,00 EUR erhalten habe, sowie auf eine weitere Auskunft von diesem, nach der die Klägerin im Café V gearbeitet und dafür im März 300,00 EUR und im April 399,00 EUR bekommen habe.
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4
Die Klägerin erhob dagegen Widerspruch. Bei einer persönlichen Vorsprache am 08.11.2010 gab sie gegenüber dem Beklagten an, sie habe nur im März 2009 in dem Café gearbeitet; im April nicht mehr. Im März habe sie ca 200,00 EUR bekommen, die ihr bar abends nach der Schicht ausgezahlt worden seien. Ab dem 20.04.2009 habe sie in Vollzeit eine Meisterschule besucht und in dem Café nicht mehr arbeiten können.
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5
Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 11.11.2010 mit der Begründung zurückgewiesen, die Beschäftigung der Klägerin sei durch einen Datenabgleich mit dem Rentenversicherungsträger bekannt geworden. Der Beklagte habe das von der Firma gemeldete Arbeitsentgelt zugrunde gelegt.
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6
Am 27.12.2010 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Speyer erhoben und nochmals darauf hingewiesen, dass sie im April 2009 nicht mehr gearbeitet habe. Durch gerichtliches Schreiben vom 22.02.2011 ist die Klägerin aufgefordert worden, bis zum 30.03.2011 zu belegen, dass sie im Monat April 2010 kein Arbeitsentgelt bezogen habe. Mit Schreiben vom 13.04.2011 ist sie nochmals daran erinnert worden. Mit Schreiben vom 17.05.2011 hat die Vorsitzende der 14. Kammer des Sozialgerichts Speyer letztmals aufgefordert, auf das Schreiben zu antworten. Die Klage gelte gemäß § 102 Abs. 2 SGG als zurückgenommen, wenn das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als 3 Monate nicht betrieben werde. Dieses Schreiben ist der Klägerin am 19.05.2011 zugestellt worden.
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7
Am 01.09.2011 hat die Vorsitzende eine Verfügung unterzeichnet, dass der Rechtsstreit durch Rücknahme am 22.08.2011 erledigt sei. Mit gerichtlichem Schreiben vom 01.09.2011 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden.
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8
Am 28.09.2011 hat die Klägerin gegen den "Beschluss des Sozialgerichts Speyer vom 01.09.2011" Beschwerde eingelegt. Zur Begründung ist vorgetragen worden, die Klagerücknahmefiktion könne nicht greifen, nachdem die Auflage des Gerichtes, den Kontoauszug für April vorzulegen, am 17.03.2011 erfüllt worden sei. Der erkennende Senat des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz hat die Beschwerde durch Beschluss vom 10.11.2011 wegen Fehlens einer beschwerdefähigen Entscheidung des Sozialgerichts als unzulässig verworfen.
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Mit Schreiben vom 21.12.2011 hat die Klägerin beim Sozialgericht Speyer den Antrag gestellt, das Verfahren fortzuführen.
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Nach Anhörung zur geplanten Entscheidung durch Gerichtsbescheid hat das Sozialgericht Speyer durch Gerichtsbescheid am 06.02.2012 festgestellt, dass die Klage zurückgenommen worden ist. Die am 27.12.2010 erhobene Klage habe sich durch die Klagerücknahmefiktion des § 102 Abs. 2 SGG erledigt. Danach gelte die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als 3 Monate nicht betreibe. Ein Nichtbetreiben liege vor, wenn sich der Kläger auf die Aufforderung innerhalb von 3 Monaten nicht oder nur unzureichend geäußert habe. Vorliegend sei die Klägerin aufgefordert gewesen zu belegen, dass sie im April 2010 kein Arbeitsentgelt bezogen habe. Entgegen der Behauptung des Prozessbevollmächtigten sei der Kontoauszug für April 2010 nicht eingegangen. Das Hinweisschreiben gemäß § 102 Abs. 2 SGG sei dem Prozessbevollmächtigten am 19.05.2011 zugestellt worden, sodass die Klagerücknahmefiktion mit Ablauf des 19.08.2011 eingetreten sei.
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11
Gegen den ihr am 14.02.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 10.03.2012 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, das Verfahren hätte fortgeführt werden müssen.
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Mit Schreiben vom 01.06.2012 ist der Prozessbevollmächtigte darauf hingewiesen worden, dass Zweifel an der Zulässigkeit der Berufung bestünden, da es in der Sache um einen Verwaltungsakt gehe, durch den Leistungen in Höhe von 452,80 EUR aufgehoben wurden. Es ist Gelegenheit gegeben worden, bis zum 01.07.2012 dazu Stellung zu nehmen sowie die Tatsache zu belegen, dass der erbetene Kontoauszug dem Sozialgericht vorgelegt worden sei. Am 06.06.2012 ist unter Bezugnahme auf den Hinweis der Antrag gestellt worden, die Berufung zuzulassen. Die Nichtzulassungsbeschwerde wird unter dem Aktenzeichen L 3 AS 278/12 NZB geführt.
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Die Klägerin beantragt sinngemäß,
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den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Speyer vom 06.02.2012 aufzuheben und festzustellen, dass das Verfahren S 14 AS 1884/11 vor dem Sozialgericht Speyer fortzuführen ist.
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Der Beklagte beantragt,
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16
die Berufung zurückzuweisen.
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Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
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Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten sowie der vorliegenden Prozessakte verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen ist. | 1. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Speyer vom 06.02.2012 wird aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass das Verfahren S 14 AS 1884/11 vor dem Sozialgericht Speyer fortzuführen ist. | 0 |
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz 5. Kammer | Rheinland-Pfalz | 0 | 1 | 19.05.2016 | 0 | Randnummer
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Die Parteien streiten zweitinstanzlich noch über die Verpflichtung des Klägers zur Zahlung einer Vertragsstrafe.
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2
Der 1965 geborene Kläger war im Fensterbaubetrieb der Beklagten seit 1998 als Produktionsmitarbeiter zu einem Stundenlohn von zuletzt € 13,19 brutto beschäftigt. Im schriftlichen Formulararbeitsvertrag vom 06.03.2006 haben die Parteien ua. folgendes vereinbart:
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"§ 9 Auflösung des Arbeitsverhältnisses
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1. …
2. … Nach Ablauf der Probezeit … vereinbaren die Parteien eine Kündigungsfrist von vier Wochen zum 15. eines Monats oder zum Monatsende. Tritt aufgrund gesetzlicher Bestimmungen eine Verlängerung der Kündigungsfrist ein, so gelten die verlängerten Kündigungsfristen für beide Teile. …
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§ 11 Vertragsbruch
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Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, für den Fall der rechtswidrigen und schuldhaften Nichtaufnahme der Arbeit oder der vertragswidrigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Vertragsstrafe in Höhe des während der jeweils geltenden ordentlichen Kündigungsfrist erzielten Verdienstes, maximal in Höhe eines Bruttomonatslohnes, ohne Nachweis eines Schadens zu zahlen. Der Arbeitgeber ist berechtigt, einen weitergehenden Schaden geltend zu machen."
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Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis am 30.03. zum 31.05.2015. Die Beklagte teilte ihm am 31.03.2015 mit, dass sie die Kündigung zum 31.05.2015 nicht akzeptiere, weil die Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Monatsende nicht eingehalten sei. Der Kläger hielt an seiner Kündigung fest. Er legte der Beklagten ein Attest seines Hausarztes vom 14.04.2015 vor, in dem es heißt:
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"Ich habe heute Herrn A. angeraten, aus gesundheitlichen Gründen seine aktuelle Arbeitsstelle zu kündigen".
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Am 01.06.2015 trat der Kläger eine neue Arbeitsstelle an. Mit Klageschrift vom 16.06.2015 verlangte er die Zahlung des von der Beklagten einbehaltenen Lohnes für den Monat Mai 2015, Urlaubsabgeltung, zusätzliches Urlaubsgeld und Mehrarbeitsvergütung iHv. insgesamt € 3.531,72 brutto sowie die Erteilung von Lohnabrechnungen. Die Beklagte machte widerklagend die Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe eines Bruttomonatslohns von € 2.281,87 geltend.
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Das Arbeitsgericht Trier hat mit Urteil vom 25.11.2015 der Klage und der Widerklage stattgegeben. Gegen dieses Urteil, das ihm am 10.12.2015 zugestellt worden ist, hat der Kläger mit am 30.12.2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese gleichzeitig begründet.
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Er macht geltend, die Vertragsstrafenklausel in § 11 des Arbeitsvertrags sei wegen unangemessener Benachteiligung gem. § 307 Abs. 1 und Abs. 2 BGB unwirksam. Die Vertragsstrafe sei nach der Klausel verwirkt, wenn ein Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis unverschuldet ohne Einhaltung der vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist beende. Die Vertragsstrafe werde deshalb auch dann geschuldet, wenn der Arbeitnehmer versterbe, denn der Tod beende das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung ohne Einhaltung der Kündigungsfrist. Gleiches gelte im vorliegenden Fall. Er habe das Arbeitsverhältnis auf dringendes Anraten seines behandelnden Arztes krankheitsbedingt wegen massiver psychischer Beeinträchtigung ohne Einhaltung der sechsmonatigen Kündigungsfrist beendet. Es fehle - wie beim Tod des Arbeitnehmers - an jeglichem schuldhaften Fehlverhalten in Bezug auf die vorzeitige und objektiv vertragswidrige Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Außerdem führe die Vertragsklausel in Einzelfällen zu einer unangemessen hohen Vertragsstrafe. Nach ihrem Wortlaut sei eine Strafe in Höhe eines Bruttomonatsentgelts auch dann zu zahlen, wenn die ordentliche Kündigungsfrist nur um einen Tag unterschritten werde.
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Der Kläger beantragt zweitinstanzlich,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 25.11.2015, Az. 5 Ca 723/15, teilweise abzuändern und die Widerklage abzuweisen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen. | 1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 25. November 2015, Az. 5 Ca 723/15, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
VG Berlin 21. Kammer | Berlin | 0 | 1 | 03.05.2022 | 1 | Randnummer
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Der Kläger begehrt die Umbettung eines Leichnams.
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Er ließ im November 1999 den Leichnam seiner verstorbenen Ehefrau in einer Erdwahlgrabstätte auf dem evangelischen Friedhof V... in Berlin-Kreuzberg bestatten. Im Februar 2000 erwarb er das Nutzungsrecht an der danebenliegenden Grabstätte und ließ beide Grabstätten als Gemeinschaftsgrab einfassen. Kurz darauf zog er von Berlin nach Brandenburg in die umliegende Gemeinde F.... Im Mai 2019 beantragte er bei der Friedhofsverwaltung die Ausbettung des Leichnams zum Zwecke der Urnen-Beisetzung im Ruheforst N... in Brandenburg. Die Ruhezeit für die Grabstätte seiner verstorbenen Ehefrau endete im November 2019. Der Evangelische Friedhofsverband Berlin Stadtmitte lehnte den Ausbettungsantrag mit Bescheid vom 12. Juli 2019 ab. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz mit Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 2021 mit der Begründung zurück, ein besonders wichtiger oder zwingender Grund, die Totenruhe der Verstorbenen zu stören, liege nicht vor. Trotz der Gesundheitsbeeinträchtigung des Klägers sei ihm ein Besuch der bisherigen Grabstätte weiter möglich, auch wenn dafür eine weitere Entfernung (etwa 30 km) als zum Ruheforst N... zurückzulegen sei (etwa 20 km). Ein wichtiger Grund sei auch nach Ablauf der Ruhefrist erforderlich. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die Bestattung nicht dem Willen der Verstorbenen entsprochen habe. Vielmehr hätten die Eheleute sich vor dem erkrankungsbedingten Tod der Verstorbenen trotz der bereits damals bestehenden Umzugsabsicht des Klägers nach F... für eine Bestattung auf dem Friedhof V... entschieden. Der Kläger habe auch ein Nutzungsrecht an der angrenzenden Grabstätte erworben. Vor diesem Hintergrund sei ein Wille der Verstorbenen, an den neuen Wohnort des Ehegatten umgebettet zu werden, nicht mit Sicherheit anzunehmen. Erschwerend komme hinzu, dass die Verstorbene sich für eine Erdbestattung entschieden habe und eine Beisetzung auf dem Ruheforst N... einen Wechsel der Bestattungsart bedeuten würde. Für die Eheleute bestünde die Möglichkeit einer gemeinsamen Ruhestätte auf dem Friedhof V..., da der Kläger Nutzungsberechtigter einer Doppelwahlgrabstätte sei, auf der Nachbeisetzungen sowohl als Erdbestattung als auch als Urnenbeisetzung möglich seien.
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Mit der am 18. Februar 2021 erhobenen Klage macht der Kläger geltend, es entspreche dem hypothetischen Willen der Verstorbenen, gemeinsam mit ihm bestattet zu werden. Dieser Wunsch stehe über der Auswahl des Friedhofes. Die Bestattung auf dem Friedhof V... sei auch nicht aus Verbundenheit zur Kirche gewählt worden. Hätte die Verstorbene von der Möglichkeit einer Bestattung außerhalb eines Friedhofes gewusst, hätte sie sich bereits damals auf einem Ruheforst bestatten lassen. Den Ruheforst N... gebe es aber erst seit 2009. Seiner Verfahrensbevollmächtigten sei überdies bei einem Telefonat mit dem Beklagten im Juni 2020 durch den seinerzeitigen Bearbeiter Herrn D... mitgeteilt worden, dem Antrag werde bei Einreichung bestimmter Unterlagen stattgegeben. Diese Zusage sei bei der Ermessensentscheidung nicht berücksichtigt worden. Der Beklagte habe auch das grundrechtliche Prinzip der Gleichbehandlung missachtet, weil landeseigene Friedhöfe Umbettungsanträgen regelmäßig stattgeben würden, nicht-landeseigene Friedhöfe hingegen nicht. Dies sei ihr von einem anderen Mitarbeiter des Beklagten, Herrn K..., telefonisch im Juni 2021 sowie einem Bestattungsunternehmen mitgeteilt worden.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Evangelischen Friedhofverbandes Berlin Stadtmitte vom 12. Juli 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg - schlesische Oberlausitz vom 8. Februar 2021 zu verpflichten, die Zustimmung zur Ausbettung des Leichnams seiner verstorbenen Ehefrau (H...) aus der Erdwahlgrabstätte 222-005-012 zu erteilen,
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hilfsweise,
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über seinen Ausbettungsantrag vom 25. Mai 2019 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er trägt vor: Ein Wille der Verstorbenen, gemeinsam mit ihrem Ehemann bestattet zu werden, werde nicht bestritten. Dieser Wille führe aber nur zu einem wichtigen Grund, wenn er gerade darauf gerichtet war, diese Form der letzten Ruhe durch Umbettung unter Wechsel der Bestattungsart nach 20 Jahren Ruhezeit herbeizuführen. Dieser Wille sei durch die eidesstattlichen Versicherungen des Klägers und der Prozessbevollmächtigten nicht hinreichend sicher belegt. Ein Umzug und altersbedingte Gesundheitsverschlechterungen stellten keinen wichtigen Grund dar, weil andernfalls der Schutz der Totenruhe weitestgehend leer liefe. Nach Ablauf der Ruhezeit von 20 Jahren sei nur eine Neubelegung einer Grabstätte unter bestimmten pietätswahrenden und gesetzlichen vorgegebenen Bedingungen möglich. Vorhandene Urnen- oder Leichenreste verblieben in der Grabstätte. Es erfolge allein eine Tieferlegung, aber keine Störung der Totenruhe durch Entfernung der Urnen- oder Leichenreste. Bezüglich etwaiger telefonischer Auskünfte fehle es an dem erforderlichen Bindungswillen und an der für eine Zusicherung erforderlichen Schriftform. Der Verweis auf eine Ungleichbehandlung von Umbettungsanträgen zwischen „Kirche und Land“ greife nicht, weil sich ein Umbettungsantrag am Gesetz auszurichten habe. Darüber hinaus könne die Verwaltungspraxis der landeseigenen Friedhöfe auch deswegen keine Bindungswirkung für nicht-landeseigene Friedhöfe entfalten, weil unterschiedliche Rechtsträger betroffen seien.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte und den Verwaltungsvorgang des Beklagten verwiesen, die der Kammer vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind. | Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. | 0 |
AG Gießen Zivilabteilung | Hessen | 0 | 1 | 20.09.2013 | 1 | Am 24.11.2011 wurde unter TOP 6 "Kabelanschluss/Modernisierung des Hausverteilernetzes für digitalen Multimediaanschluss mit Highspeed-Internet und Telefon durch "..."" folgender Beschluss gefasst: "Die Eigentümergemeinschaft beschließt die Umstellung des bestehenden Vertrages mit der "..." auf einen Multimediaanschluss digital TV-Basic entsprechend dem vorliegenden Angebot (s. - Anl. 3 -) mit einem monatlichen Entgelt von 7,44 Euro zzgl. Mehrwertsteuer pro Wohneinheit. Der Verwalter wird beauftragt und bevollmächtigt, im Namen der Eigentümergemeinschaft einen entsprechenden Vertrag mit einer Laufzeit von 8 Jahren mit der "..." abzuschließen. Die Modernisierung Neuverkabelung des Hauses soll entsprechend der vorgelegten Planung und entsprechend den von "..." vorgestellten Leitungswegen erfolgen".
Wegen des im Beschluss genannten Angebotes wird Bezug genommen auf die Anlage L2 Blatt 17 der beigezogenen Akte 46 C 22 / 12, wegen der im Beschluss genannten "vorgelegten Planung" und "vorgestellten Leitungswegen" auf die Anlage L3 Blatt 18 der beigezogenen Akte sowie Blatt 111 ff der beigezogenen Akte.
Vor der Beschlussfassung präsentierte ein Mitarbeiter der Firma "..." ,"...", die angebotene Maßnahme per Beamer-Präsentation. Wegen deren Inhaltes wird Bezug genommen auf Bl. 111 ff der beigezogenen Akte.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, den Mitarbeiter der Firma "..." den Zugang zu den in seinem Eigentum stehenden Wohnungen Nr. 115 sowie Nr. 116 im 13. OG des Objekts "..." zu gewähren, um dort das Durchbohren der Decke und des Bodens im Wohnzimmer zur Installation des senkrecht verlaufenden Kabelstrangs der neu zu installierenden Breitbandkabelanlage zu dulden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften vom 09.08.2013 (Bl. 110 ff d. A.), Bezug genommen.
Die beigezogene Akte 46 C 22 / 12 ist zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 130 Prozent des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. | 0 |
Baden-Württemberg | 0 | 1 | 1 | 1
Der Kläger, ein nach eigenen Angaben am 09.02.1981 geborener kamerunischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrags als unzulässig und die Anordnung der Abschiebung nach Bulgarien.
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Er stellte am 27.08.2013 im Bundesgebiet einen förmlichen Asylantrag. Nach den aus der Eurodac-Datenbank gewonnenen Erkenntnissen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) hatte er bereits zuvor am 10.01.2013 in Bulgarien, am 20.05.2013 in Griechenland und am 31.07.2013 in Ungarn um Asyl nachgesucht.
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Ausweislich der Niederschrift über die Befragung zur Vorbereitung der Anhörung gem. § 25 AsylVfG am 20.09.2013 trug der Kläger im Wesentlichen vor: Er habe bis Anfang 2012 an Douala gelebt. Er habe einen Asylantrag in Griechenland 2013 gestellt, bevor er nach Ungarn gereist sei. Es habe aber auch dort keine Entscheidung gegeben. An der Grenze Türkei - Bulgarien sei er im Herbst 2012 von der bulgarischen Polizei erkennungsdienstlich behandelt worden. Er habe anschließend Asyl beantragen müssen. Er sei dort aber zuvor drei Monate im Gefängnis gewesen. Dann hätten sie ihn im Winter freigelassen und er sei vier Monate obdachlos gewesen, ohne dass er eine Entscheidung bekommen habe. Es habe lediglich eine Anhörung gegeben. Sie hätten auf seine drei schriftlichen Bitten nicht reagiert. Deshalb sei er dann nach Griechenland. Er wolle im Bundesgebiet bleiben. Er brauche medizinische Versorgung aufgrund einer im bulgarischen Gefängnis erworbenen Hautkrankheit.
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Nachdem die ungarischen Behörden mit Schreiben vom 09.12.2013 mit Blick auf eine Zuständigkeit Bulgariens einem Übernahmeersuchen der Beklagten nicht entsprochen hatten, richtete das Bundesamt unter Berufung auf Art. 16 Abs. 1 lit. c) Dublin II-VO am 11.12.2013 ein entsprechendes Ersuchen an Bulgarien. Am 14.01.2014 stimmten die bulgarischen Behörden unter Bezugnahme auf Art. 16 Abs. 1 lit. e) Dublin II-VO der Übernahme des Klägers zu.
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Mit Bescheid vom 29.01.2014 entschied das Bundesamt, dass der Asylantrag des Klägers unzulässig ist, und ordnete die Abschiebung nach Bulgarien an.
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Am 06.02.2014 erhob der Kläger beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage (A 8 K 640/14) und beantragte die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (A 8 K 641/14). Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor: Er sei in Bulgarien mehrere Monaten inhaftiert gewesen und dann - mitten im Winter - aus der Haft in die Obdachlosigkeit entlassen worden. Die Situation sei völlig unerträglich gewesen. Er habe weder finanzielle Unterstützung noch medizinische Hilfe erhalten und draußen im Schnee überleben müssen. Er habe sich im bulgarischen Gefängnis eine schwere Hauterkrankung zugezogen. Er leide an einer kutanen Leishmaniose, die durch einen Parasitenbefall verursacht worden sei. Wie der fachärztliche Bericht des Klinikums S. vom 18.12.2013 und das Lichtbild des Unterarms mit den Geschwüren belegten, habe die Erkrankung einen komplizierten Verlauf genommen, weshalb am 15.02.2014 eine Operation vorgesehen sei. Die Versorgung in Bulgarien genüge nicht den europäischen Standards, die im Dublin-Abkommen festgelegt seien. Seine individuelle Situation und seine medizinische Behandlungsbedürftigkeit stünden einer Rückführung nach Bulgarien entgegen, wo die schwere Erkrankung sicherlich nochmals eskalieren würde.
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Die Beklagte trat dem entgegen und machte geltend, die bulgarische Übernahmezustimmung sei auf der Grundlage von Art. 16 Abs. 1 lit. e) Dublin II-VO erfolgt. Demnach sei der Asylantrag in Bulgarien abgelehnt worden. Nach nationalem Recht wäre dann ein Zweitantrag gegeben. Ein erneutes Verfahren könnte nur unter den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG durchgeführt werden (§ 71a Abs. 1 AsylVfG). Wiederaufnahmegründe in diesem Sinne seien aber nicht erkennbar. Das Begehren des Klägers sei auf jeden Fall erfolglos.
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Das Verwaltungsgericht ordnete mit Beschluss vom 27.02.2014 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die im Bescheid des Bundesamts vom 29.01.2014 enthaltene Abschiebungsanordnung an.
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Mit Urteil vom 16.04.2014 hob das Verwaltungsgericht den Bescheid des Bundesamts vom 29.01.2014 auf und wies im Übrigen die weitergehenden Verpflichtungsanträge des Klägers ab. Es führte insbesondere aus: Im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts bestünden konkrete Anhaltspunkte, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Bulgarien systemische Mängel aufwiesen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der nach Bulgarien überstellen Asylbewerber im Sinne des Art. 4 GRCh implizierten, weshalb der - allein statthaften - Anfechtungsklage aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs stattzugeben sei. Der UNHCR habe in seinem Positionspapier vom 02.01.2014 unter Auflistung der Mängel im bulgarischen Asyl- und Aufnahmesystem ausdrücklich dazu aufgefordert, derzeit von Überstellungen nach Bulgarien abzusehen. Nach dem Positionspapier vom April 2014 habe der UNHCR zwar anerkannt, dass es Fortschritte gegeben habe, jedoch Bedenken hinsichtlich deren Nachhaltigkeit geltend gemacht. Der UNHCR empfehle in jedem Fall eine individuelle Bewertung vorzunehmen, ob eine Überstellung mit den Verpflichtungen der Staaten zum Schutz der Grund- und Menschenrechte nach EU-Recht und Völkerrecht vereinbar sei, insbesondere soweit es sich um Asylbewerber mit besonderen Bedürfnissen handele. Zudem bestätige ein zeitlich parallel erstellter Bericht von Amnesty International die nach wie vor drastischen Bedingungen bei der Aufnahme der Asylsuchenden und der Bearbeitung der Schutzgesuche. Bei dieser Sachlage bestehe im Fall des Klägers, bei dem es sich aufgrund seiner Erkrankung um „eine Person mit besonderen Bedürfnissen“ handele, weiterhin die Gefahr, im Fall einer Überstellung nach Bulgarien einer menschenrechtswidrigen Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt zu sein.
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Auf den fristgerecht gestellten Antrag der Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 12.01.2015 (A 11 S 1038/14) die Berufung zugelassen. Die Beklagte hat am 26.01.2015 zur Begründung der Berufung auf die Ausführungen in ihrem Zulassungsantrag sowie auf die zum bulgarischen Asylsystem ergangenen Senatsurteilen vom 10.11.2014 (A 11 S 1778/14 und A 11 S 1636/14) verwiesen und einen Berufungsantrag gestellt.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 16. April 2014 - A 8 K 640/14 - zu ändern und die Klage abzuweisen, soweit ihr stattgegeben worden ist.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er trägt unter Vorlage ärztlicher Befunde im Wesentlichen vor: Er sei bereits bei seiner Einreise in das Bundesgebiet, unter anderem aufgrund der Zustände in Bulgarien, behandlungsbedürftig erkrankt gewesen (kutane Leishmaniose). Er sei seit Jahren wegen einer Analfissur mit thrombosiertem Hämorrhoidalknoten in ärztlicher Behandlung und sei wiederholt, zuletzt im November 2014, operiert worden. Es sei ein Abszess im Afterbereich festgestellt worden. Bis heute müsse er diesbezüglich ärztlich beobachtet werden, da dieser erhebliche infektiöse Probleme bewirken könnte. Auch aktuell habe er weiter Schmerzen im Unterbauch. Eine weitere Operation, bei der ein Fibrom an der Unterlippe entfernt werde, stehe am 07.04.2015 an. Seit seinem Gefängnisaufenthalt in Bulgarien sei seine Gesundheit nicht mehr normal. Er habe permanent gesundheitliche Probleme und das Gefühl, sein Körper halte nichts mehr aus. Am schlimmsten seien die Probleme im Analbereich. Alle zwei bis drei Wochen müsse er zum Arzt, um die Situation kontrollieren zu lassen. Die Ernährung sei nur noch eingeschränkt möglich, da er ansonsten große Schmerzen beim Stuhlgang habe. Der Arzt habe ihm afrikanisches Essen untersagt. Er dürfe nichts Scharfes essen und nur spezielle Nahrung zu sich nehmen, damit er überhaupt auf die Toilette könne. In Deutschland kümmere man sich um seine Erkrankung. In Bulgarien habe sich niemand um seine Probleme und Krankheiten gekümmert. Müsse er nach Bulgarien zurückkehren, sei dies das Ende seines Lebens. Er sei nach wie vor eine „Person mit besonderen Bedürfnissen“. Auf der Grundlage der Auskunft des UNHCR vom 23.12.2014 an das VG Minden müsse er aufgrund eines Status als Illegaler mit Abschiebehaft rechnen. Selbst wenn er neue Asylgründe vortragen würde, könnte er keinen Platz in einer SAR-Einrichtung erhalten. Unter Berücksichtigung seiner gesundheitlichen Situation würde die Rückkehr für ihn eine massive Gefährdung begründen. Die Situation in den bulgarischen Haftanstalten verstoße ohnehin gegen Art. 3 EMRK.
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Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angehört worden. Er hat unter anderem vorgetragen:
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Er habe Kamerun verlassen, weil er einige Probleme gehabt habe. Er habe seinen großen Bruder verloren, der auf offener Straße vor der Universität in Douala getötet worden sei. Der, der seinen Bruder getötet habe, sei im Gefängnis. Auch seine kleine Schwester, die Polizeiinspektorin gewesen sei, sei getötet worden. Derjenige, der seine kleine Schwester getötet habe, sei unbekannt. Seit er seinen großen Bruder verloren habe, habe er beschlossen, Kamerun zu verlassen, weil ihm niemand geholfen habe. Man hätte ihn auch töten können. Es habe ein Problem mit seinem Dorf gegeben, mit seinem Papa, es sei um Felder, Grundstücke gegangen. Mit dem Nachbarn habe es Schwierigkeiten gegeben. Deswegen habe er auch beschlossen wegzugehen. Er sei 2012 in Nigeria an Bord eines Schiffes gegangen, das nach Istanbul gefahren sei. Er habe zu Fuß die Grenze zwischen der Türkei und Bulgarien überschritten. In Bulgarien habe ihn die Polizei aufgegriffen und ins Gefängnis gebracht. Er habe im Gefängnis einen Asylantrag gestellt, sei aber trotzdem insgesamt drei Monate im Gefängnis festgehalten worden. Er werde den Tag, an dem er aus dem Gefängnis gekommen sei, sein ganzes Leben lang nie vergessen. Er sei an diesem Tag mit ca. 25 bis 30 Personen verschiedener Staatsangehörigkeiten aus dem Gefängnis entlassen worden. Sie hätten sie rausgeworfen, mitten im Winter, am 3. Januar. An diesem Tag habe er erfahren was Winter sei. Sie hätten ihnen ein Formular mitgegeben, also so ein Papier, mit dem man sich in Bulgarien bewegen dürfe. Sie hätten gesagt, dass sie jetzt frei seien. Nach drei Tagen seien sie zurück zur Polizei gegangen und hätten gesagt, sie wollten lieber wieder ins Gefängnis. Die Polizei habe das abgelehnt. Sie seien dann nach „Montevideo“ gegangen. Dort kümmere man sich um Asylbewerber. Das sei vergleichbar mit der Anlaufstelle in Karlsruhe. Sie hätten aber keine Hilfe bekommen. Sie seien dann nach Sofia. Dort hätten sie nachts nach dessen Schließung in einem Einkaufszentrum, geschlafen. Die Polizei habe dafür gesorgt, dass der Sicherheitsdienst des Einkaufszentrums sie nicht weggejagt habe. Morgens seien sie dann wieder rausgegangen. Er habe gesundheitliche Probleme gehabt und Hilfe gesucht. Im Gefängnis habe er ein Geschwür bekommen, es sei erst ganz klein gewesen. Seine Hand und sein Arm seien ganz dick geworden. Seine Freunde hätten ihn nicht einmal mehr anfassen wollen. Seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis habe er keinen Arzt mehr aufsuchen können. Im Gefängnis habe es einen Arzt gegeben. Das Geschwür sei immer größer geworden und habe die Farbe verändert. Er sei insgesamt fast neun Monate in Bulgarien gewesen. Dann hätten sie sich auf den Weg nach Griechenland gemacht. Weder in Bulgarien noch in Griechenland noch in Ungarn sei er dazu angehört worden, warum er aus seinem Heimatland ausgereist sei.
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Dem Senat liegen die Akten des Bundesamts (ein Heft) und die des Verwaltungsgerichts Stuttgart über das Klageverfahren (A 8 K 640/14) und das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (A 8 K 641/14) vor. Der Inhalt dieser Akten sowie der Gerichtsakten über das Berufungsverfahren und die Erkenntnismittel, die in der den Beteiligten vorab übersandten Liste aufgeführt bzw. ergänzend in das Verfahren eingeführt worden sind, sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. | Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 16. April 2014 - A 8 K 640/14 - geändert. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Instanzen.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
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Landessozialgericht Berlin-Brandenburg 2. Senat | Berlin | 0 | 1 | 29.04.2010 | 0 | Randnummer
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Die Klägerin begehrt nach Erledigung der ursprünglich erhobenen Untätigkeitsklage nunmehr die Feststellung, dass der Bescheid vom 08. August 2006 bis zum 13. Februar 2009 bzw. bis zum 29. Oktober 2009 bestanden hat.
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Die 1972 geborene Klägerin erlitt am 6. März 1985 im Beitrittsgebiet während des Sportunterrichts, geübt wurde der so genannte Kerzenstand, einen Unfall, der als akuter vertebragener Schiefhals mit schmerzhafter Verspannung der Nackenmuskulatur diagnostiziert wurde. Mit Bescheid vom 13. Februar 1986 stellte der Rat des Stadtbezirks Berlin-Mitte fest, dass der Rat des Stadtbezirks B, Fachorgan Volksbildung, verpflichtet sei, jeden weiteren Schaden aus dem Unfallereignis vom 6. März 1985 zu ersetzen.
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3
Mit Bescheid vom 28. Juli 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 1993 lehnte die Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen die Gewährung einer Entschädigung aus Anlass dieses Ereignisses ab. Zur Begründung führte sie unter anderem aus, die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen idiopathische cervicothoruko-lumbale Skoliose mit einer double major curve bei fixiertem Überhang nach rechts, sekundärer Lidskoliose sowie vollständiger Aufhebung der Bewegungsfunktion der thorakalen, hochlumbalen und tiefzervikalen Segmente, stelle eine anlagebedingte Gesundheitsstörung dar, die durch den Unfall auch nicht verschlimmert worden sei.
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Dagegen erhob die Klägerin unter dem Aktenzeichen S 69 U 161/93 Klage vor dem Sozialgericht Berlin, die mit Urteil vom 18. Juni 1996 abgewiesen wurde, nachdem zuvor ein Gutachten gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H vom 9. Juli 1995 sowie ein Gutachten von dem ärztlichen Direktor der orthopädischen Klinik und Poliklinik der F Universität B O-Heim Prof. Dr. W vom 29. Februar 1996 eingeholt worden waren. Im dagegen vor dem Landessozialgericht Berlin unter dem Aktenzeichen L 3 U 155/96 geführten Berufungsverfahren wurde ein Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S (Chefarzt der neurologischen Abteilung der Kliniken im T B) vom 28. April 1997, ein Gutachten des Prof. Dr. Sch (Chefarzt des Zentrums für Orthopädie, B) vom 18. April 2000 sowie des Prof. Dr. E, Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurologie des Universitätsklinikums C vom 15. Februar 2002 eingeholt. In der mündlichen Verhandlung am 27. März 2003 haben die Beteiligten folgenden Vergleich geschlossen:
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1.) Die Beklagte verpflichtet sich, einen traumatischen Schiefhals als Folge des Unfalls vom 6. März 1985 anzuerkennen.
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Die Beklagte verpflichtet sich weiterhin, ab 1. Januar 1992 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H. zu gewähren.
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2.) Die Klägerin nimmt die weitergehende Berufung, insbesondere soweit Verletztenrente nach einer höheren MdE als 20 v.H. beantragt wurde, zurück.
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3.) Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist.
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4.) Die Beklagte verpflichtet sich, der Klägerin ein Drittel der Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
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Mit Bescheid vom 20. Oktober 2003 gewährte die Beklagte der Klägerin wegen der Folgen des Arbeitsunfalls eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 20 v.H. Zur Begründung führte sie unter anderem aus, der Arbeitsunfall habe zu nachstehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt, die bei der Beurteilung der MdE berücksichtigt worden seien:
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Nach Verrenkung der Halswirbelsäule:
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- nicht dystoner traumatischer Schiefhals
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Folgende Beeinträchtigungen des Gesundheitszustandes lägen unabhängig von dem Arbeitsunfall vor:
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- spastisch dystone Bewegungsstörung
- schwere thorakolumbale Skoliose
- rechts betonte generalisierte Dystonie
- rechts betontes paraspastisches Syndrom
- links konvexe Brustwirbelsäulenskoliose.
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15
Die Entscheidung zu den Folgen des Arbeitsunfalls zur MdE stütze sich auf den am 27. März 2003 vor dem Landessozialgericht Berlin geschlossenen Vergleich.
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Den Widerspruch gegen diesen Bescheid, den die Klägerin unter anderem damit begründete, der Bescheid sei nicht vollständig und für sie nicht vollständig nachvollziehbar, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 2004 zurück.
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Hiergegen hat die Klägerin unter dem Aktenzeichen S 67 U 387/04 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben, die mit Urteil vom 13. Januar 2006 abgewiesen wurde. Das dagegen vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg erhobene Berufungsverfahren, das unter dem Aktenzeichen L 27 U 56/06 geführt wurde, endete mit einem Vergleich der Beteiligten. Die Beklagte verpflichtete sich, den Bescheid vom 20. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2004 insoweit aufzuheben, als dieser statt eines traumatischen Schiefhalses einen nicht dystonen traumatischen Schiefhals als Unfallfolge anerkennt und Feststellungen zu unfallunabhängigen Erkrankungen trifft.
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18
Mit Bescheid vom 8. August 2006 in Ausführung des am 28. Juni 2006 vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg geschlossenen Vergleichs führte die Beklagte aus, der Arbeitsunfall habe zu nachstehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt, die bei der Beurteilung der MdE berücksichtigt worden seien:
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- traumatischer Schiefhals.
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Die Entscheidung stütze sich auf den am 28. Juni 2006 vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg geschlossenen Vergleich. Im Übrigen habe der Bescheid vom 20. Oktober 2003 weiterhin Bestand.
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Daraufhin führte der Rechtsanwalt, der die Klägerin im Berufungsverfahren vertreten hatte, in einem Schreiben vom 10. August 2006 aus, auch dieser Bescheid sei nicht mit der Niederschrift der Sitzung vom 28. Juni 2006 vereinbar. Ausweislich der Niederschrift habe sich die Beklagte verpflichtet, den Bescheid insoweit aufzuheben, als der Bescheid Feststellungen zu unfallunabhängigen Erkrankungen treffe. Die Beklagte habe also im Termin auch nicht erklärt, dass sie diesen Bescheid insofern aufhebe. Möglicherweise sei die Sache dann anders zu beurteilen. Letztlich bedeute dies, dass in dem ausführenden Bescheid nun in irgendeiner Form vermerkt sein müsse, dass die Feststellungen zu unfallunabhängigen Erkrankungen nicht getroffen würden. Möglicherweise sei es sachgerecht, den Bescheid vom 20. Oktober 2003 insgesamt neu abzufassen. Er habe sich rein vorsorglich die Widerspruchsfrist notiert. Er gehe jedoch davon aus, dass die Beklagte von Amts wegen dieses Versehen berichtigen würde.
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Mit weiterem Bescheid vom 22. August 2006 führte die Beklagte aus, wegen der Folgen des Arbeitsunfalls erhalte die Klägerin eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 20 v.H. Diese beginne am 1. Januar 1992 und betrage bei Beginn monatlich 224,49 DM. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der Arbeitsunfall habe zu nachstehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt, die bei der Bewertung der MdE berücksichtigt worden seien:
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23
- traumatischer Schiefhals
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Die Entscheidung zu den Folgen des Arbeitsunfalls und zur MdE stütze sich auf den am 27. März 2003 vor dem Landessozialgericht Berlin und den am 28. Juni 2006 vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg geschlossenen Vergleich.
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25
Am 5. September 2006 legte die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 8. August 2006 und am 18. September 2006 gegen den Bescheid vom 22. August 2006 ein.
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26
Mit Schreiben vom 15. April 2007, 18. Juni 2007, 9. Juli 2007, 14. August 2007, 21. August 2007, 23. August 2007 sowie 24. August 2007 wandte sich die Klägerin erneut an die Beklagte und begründete ihre Widersprüche weiter beziehungsweise widersprach der „Einordnung und Behandlung der Bescheide vom 20. Oktober 2003 und 8. August 2006 analog zu § 38 SGB X“.
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27
Mit Bescheid vom 19. September 2007 hat die Beklagte der Klägerin wegen fehlender Mitwirkung - nicht Bekanntgabe ihrer Bankverbindung - die zustehende Verletztenrente bis zur Nachholung der Mitwirkung - Bekanntgabe der Bankverbindung - versagt.
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28
Auch gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 17. Oktober 2007 Widerspruch eingelegt.
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29
Mit Widerspruchsbescheiden vom 15. und 18. Februar 2008 wurden die Widersprüche gegen den Bescheid vom 19. September 2007 sowie den Bescheid vom 22. August 2006 zurückgewiesen. Zur Begründung des zweiten Bescheides führte die Beklagte unter anderem aus, ohne gegen den Bescheid vom 8. August 2006 Widerspruch zu erheben, habe der Rechtsanwalt der Klägerin in seinem Schreiben vom 10. August 2006 beanstandet, dass der Bescheid vom 20. Oktober 2003 durch die Ausführungen im Bescheid vom 8. August 2006 - abgesehen von der berichtigten Unfallfolge - weiterhin Bestand habe. Seinem Erachten nach hätte im Bescheid vom 8. August 2006 in irgendeiner Form vermerkt werden müssen, dass Feststellungen zu unfallunabhängigen Veränderungen nicht getroffen würden. Er habe es für sachgerecht gehalten, den Bescheid vom 20. Oktober 2003 insgesamt neu zu fassen und sei davon ausgegangen, dass die Berufsgenossenschaft den Bescheid vom 8. August 2006 insoweit von Amts wegen berichtige, ohne dass es eines Widerspruches bedurft hätte. Dem sei die Berufsgenossenschaft gefolgt, indem sie von Amts wegen anstelle der Bescheide vom 20. Oktober 2003 und 8. August 2006 schließlich den ausführlichen Bescheid vom 22. August 2006 erteilt habe, mit dem neben der Benennung der Anspruchsgrundlage, der Feststellung einer MdE von 20 v.H., dem Rentenbeginn sowie der Rentenberechnung und Rentenabrechnung entsprechend dem am 28. Juni 2006 vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg geschlossenen Vergleich als Unfallfolge ein traumatischer Schiefhals anerkannt worden sei und die unfallunabhängigen Veränderungen darin gänzlich unerwähnt geblieben seien. Hierbei sei anzumerken, dass der Bescheid vom 22. August 2006 zuvor mit dem Rechtsanwalt inhaltlich abgestimmt worden sei. Dieser habe in seinem Schreiben vom 15. August 2006 gegen den ihm im gleichen Wortlaut vorab übersandten Bescheidentwurf keine Bedenken geäußert. Erst mit Schreiben vom 5. September 2006 sei gegen den Bescheid vom 8. August 2006 Widerspruch eingelegt worden, welcher zu diesem Zeitpunkt bereits von Amts wegen durch den Bescheid vom 22. August 2006 ersetzt worden sei. Mit weiterem Schreiben vom 18. September 2006 sei auch gegen den Bescheid vom 22. August 2006 Widerspruch erhoben worden. Es sei nach wie vor die Umsetzung des vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg geschlossenen Vergleichs vom 28. Juni 2006 beanstandet worden. Der Widerspruch sei zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid sei nicht rechtswidrig.
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30
Gegen den Bescheid vom 19. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 2008 war vor dem Sozialgericht Berlin eine Klage unter dem Aktenzeichen S 68 U 324/08 anhängig. Nachdem die Beklagte den Versagungsbescheid vom 19. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2008 im Erörterungstermin vom 16. März 2010vollständig aufgehoben hatte, war die Klägerin zunächst nicht bereit, die Erledigung des Rechtsstreits zu erklären, da sie befürchtete, dass ihr hieraus etwas Nachteiliges für die Frage erwachse, bis zu welchem Zeitpunkt Zinsen zu zahlen seien. Mit Schreiben vom 17. März 2010 erklärte die Klägerin die Klage hinsichtlich der Rentennachzahlung und der laufenden Rentenzahlung für erledigt, hielt sie jedoch bezüglich der Zahlung von Zinsen aufrecht.
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31
Mit Gerichtsbescheid vom 30. März 2010 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es unter anderem aus, die Anträge der Klägerin, (1) festzustellen, dass die Versagung der Zinszahlung nicht rechtmäßig sei und (2) die Beklagte zu verpflichten, für die Zinsen bezüglich der Nachzahlung der Rente die gesamte Nachzahlungszeit und den dazugehörenden Nachzahlungsbetrag vollständig zu Grunde zu legen und die Feststellung und Berechnung dieser Zinsen nach § 44 SGB I ohne Kürzung vorzunehmen und mitzuteilen, seien unzulässig. Die Beklagte habe dem ursprünglich auf Aufhebung des Versagungsbescheides vom 19. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides gerichteten Klagebegehren der Klägerin im Rahmen des Erörterungstermins am 16. März 2010 vollständig entsprochen. Das ursprüngliche Klagebegehren der Klägerin habe sich damit materiell erledigt. Bezüglich der Rentennachzahlung und der laufenden Rente habe die Klägerin mit Schriftsatz vom 17. März 2010 eine prozessbeendende Erklärung abgegeben, so dass über den Rechtsstreit insoweit in der Hauptsache nicht mehr zu entscheiden sei. Gemäß § 131 Abs. 1 S. 3 SGG könne das Gericht, sofern sich ein Verwaltungsakt durch Zurücknahme oder anders erledigt habe, auf Antrag durch Urteil aussprechen, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen sei, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung gehabt habe. Die Klägerin habe ihre Klage bezüglich der Zinsen mit Schriftsatz vom 17. März 2010 auf eine solche, so genannte Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt. Ihr fehle es jedoch an dem von § 131 Absatz 1 S. 3 SGG vorgeschriebenen Feststellungsinteresse. Ein solches Interesse werde in der Regel nur dann bejaht, wenn eine akute Wiederholungsgefahr bestehe (erste Fallgruppe), die Feststellung eine Präjudizwirkung für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen enthalte (zweite Fallgruppe) oder der Kläger ein besonderes Rehabilitationsinteresse geltend machen könne (dritte Fallgruppe). Nach Überzeugung der Kammer sei keine dieser Fallgruppen einschlägig. Der Feststellung einer möglichen Rechtswidrigkeit der Versagung der Leistungen speziell in Bezug auf die Zinsen komme insbesondere keine Präjudizwirkung hinsichtlich der Frage zu, für welchen Zeitraum die Beklagte zur Verzinsung des von ihr anerkannten Rentenanspruchs verpflichtet sei. Diese Frage sei ausschließlich in einem möglichen Rechtsstreit gegen den zwischenzeitlich erlassenen Bescheid über die Höhe der Verzinsung vom 17. März 2010 zu klären. Die Zulässigkeit des Antrags zu (2) scheitere bereits daran, dass statthafte Klageart zur Erreichung des von der Klägerin erstrebten Ziels, eine Verzinsung des Anspruchs der Klägerin bis Ende 2009 zu erreichen, die Anfechtungsklage gegen den in der Zwischenzeit erlassenen Bescheid der Beklagten über die Höhe der Zinsen vom 17. März 2010 sei. Die Klägerin sei insofern gehalten, zunächst ein Widerspruchsverfahren gegen diesen Bescheid durchzuführen und im Anschluss hieran gegebenenfalls eine Anfechtungsklage zu erheben. Bei dem Antrag zu (2) handele es sich zudem um eine Klageerweiterung im Sinne des § 99 Abs. 1 SGG, die nicht sachdienlich sei. Die Frage nach der Dauer der Verzinsung gehe auch unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie weit über die im hiesigen Verfahren streitgegenständlichen Fragen hinaus. Die Beklagte habe sich auch nicht im Sinne des § 99 Abs. 2 SGG auf die geänderte Klage eingelassen.
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Gegen den Bescheid vom 22. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2008 war vor dem Sozialgericht Berlin eine Klage unter dem Aktenzeichen S 67 U 305/08 anhängig, die mit Urteil vom 13. Februar 2009 abgewiesen worden ist. In der mündlichen Verhandlung vom 13. Februar 2009 hat der Beklagtenvertreter erklärt: „Der Bescheid vom 08. August 2009 wird hiermit zurückgenommen. Auch der frühere Bescheid vom 20. Oktober 2003, der mit dem Bescheid vom 22. August 2006 ersetzt werden sollte, wird hiermit klarstellend zurückgenommen.“ Die hiergegen gerichtete Berufung (L 3 U 48/09) hat die Klägerin zurückgenommen.
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33
Am 30. Juni 2008 hat die Klägerin im hiesigen Verfahren eine Untätigkeitsklage beim Sozialgericht Berlin erhoben und ausgeführt, ihr Widerspruch vom 5. September 2006 gegen den Bescheid der Beklagten vom 8. August 2006 sei bisher nicht beschieden worden.
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34
Mit Gerichtsbescheid vom 29. Juni 2009 ist die Klage abgewiesen worden, zur Begründung hat das Sozialgericht unter anderem ausgeführt, die gemäß § 88 SGG als Untätigkeitsklage erhobene Klage sei unzulässig. Der Klägerin fehle es an einem Rechtsschutzbedürfnis für die Klage. Nach Überzeugung des Gerichts seien die Bescheide vom 20. Oktober 2003 und vom 8. August 2006 durch den Bescheid vom 22. August 2006 inhaltlich ersetzt worden. Die Klägerin habe Widerspruch gegen den Bescheid vom 8. August 2006 von vornherein erst nach Erlass des Bescheides vom 22. August 2006 eingelegt. Da die Bescheide vom 20. Oktober 2003 und vom 8. August 2006 zu diesem Zeitpunkt bereits ersetzt worden seien, habe die Klägerin zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch darauf, einen Widerspruchsbescheid isoliert in Bezug auf den Bescheid vom 8. August 2006 zu bekommen. Der gegen den Bescheid vom 22. August 2006 eingelegte Widerspruch sei von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 2008 inhaltlich beschieden worden. Wenn sich die Klägerin gegen die Ersetzung der Bescheide vom 20. Oktober 2003 und vom 8. August 2006 durch den Bescheid vom 22. August 2006 wenden wolle, müsse sie dies im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 15. Februar 2008 tun. Da die Bescheide vom 20. Oktober 2003 und vom 8. August 2006 inhaltlich bereits mit Erlass des Bescheides vom 22. August 2006 gegenstandslos geworden seien, habe der Erklärung des Beklagtenvertreters im Rahmen der mündlichen Verhandlung zum Verfahren S 67 U 305/08 ohnehin nur noch klarstellende Bedeutung zukommen können.
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Gegen diesen ihr am 1. Juli 2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 28. Juli 2009 Berufung eingelegt und ihr Begehren, einen Widerspruchsbescheid hinsichtlich des Widerspruchs vom 5. September 2006 gegen den Bescheid vom 8. August 2006 zu erhalten, zunächst weiter verfolgt. Mit Schreiben vom 12. Januar 2010 hat sie die Untätigkeitsklage für gegenstandslos sowie erledigt erklärt und ihre Untätigkeitsklage als Fortsetzungsfeststellungsklage weiter geführt.
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Die Klägerin beantragt nunmehr,
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37
(1) den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 29. Juni 2009 aufzuheben,
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(2) festzustellen, dass der Bescheid vom 8. August 2006 bis zum 13. Februar 2009 existiert habe und
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(3) festzustellen, dass der Bescheid vom 8. August 2006 über den 13. Februar 2009 hinaus bis zum 29. Oktober 2009 existiert habe sowie
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(4) festzustellen, dass sie einen Anspruch auf einen Widerspruchsbescheid gehabt habe.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt sämtlicher Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen. Der Inhalt dieser Unterlagen war Gegenstand der mündlichen Verhandlung. | Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 1. Juni 2007 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Klägerin werden Verschuldenskosten in Höhe von 1.000,00 € auferlegt. | 0 |
LG Berlin 103. Kammer für Handelssachen | Berlin | 1 | 0 | 05.10.2021 | 0 | Randnummer
1
Der Kläger ist ein Wettbewerbsverband.
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Die Beklagte betreibt eine Webseite für den Verkauf, Vertrieb und die Verwaltung von Immobilien. Sie bietet auch die kostenlose Wertermittlung von Immobilien an, die dem potenziellen Immobilienverkäufer eine Einschätzung darüber geben soll, zu welchem potenziellen Kaufpreis seine Immobilie unter Umständen veräußert werden könnte.
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3
Bei Eingabe der Begriffe „makler ...“ in die Suchleiste der Google Startseite erschien am 03.05.2020 als Suchergebnis eine Anzeige der Beklagten mit der Angabe „Immobilienbewertung in zwei Minuten“. Durch Anklicken der Anzeige gelangte man auf die Landingpage der Beklagten unter
www
...
.de
, wo man zu weiteren Angaben zum Zweck der Anfrage und zum Objekt sowie zu den eigenen Kontaktdaten aufgefordert wurde. Schließlich erhielt man eine E-Mail, wonach für eine Immobilienbewertung weitere Informationen benötigt würden, die man telefonisch mit dem Nutzer besprechen wolle. Unstreitig erfolgte im Ergebnis die Mitteilung eines Immobilienwertes nicht innerhalb von zwei Minuten.
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Des Weiteren warb die Beklagte im Rahmen ihres Facebook-Auftritts in einem Post mit einem sogenannten „Immobilienwert Rechner 2020“. Nach Anklicken des Buttons „Mehr dazu“ wurde der Nutzer auf die Landingpage
https://www
....“ weitergeleitet. Hier wurden wiederum weitere Angaben abgefragt. Nach der Eingabe der Postleitzahl wurden sodann drei verschiedene Preise für wenige Sekunden angezeigt.
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Der Kläger mahnte die Beklagte mit Schreiben vom 04.06.2020 ab und forderte sie erfolglos zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf.
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Der Klägerin ist der Ansicht, die Werbeangaben „Immobilienbewertung in 2 Minuten“ und „Immobilienwert Rechner“ seien jeweils irreführend, da die angesprochenen Verbraucher damit die unmittelbare Mitteilung eines Ergebnisses erwarteten, was aber nicht erfolge.
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Der Kläger beantragt,
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was erkannt worden ist.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, die Anträge des Klägers seien nicht hinreichend konkret formuliert. Der Umstand, dass der Kläger nicht jeweils auf die „konkrete Verletzungsform“ Bezug nehme, führe zur Unzulässigkeit der Anträge wegen fehlender Bestimmtheit. Sie meint weiter, die Werbeaussage „Immobilienbewertung in 2 Minuten“ sei nicht irreführend, da sie von den angesprochenen Verkehrskreisen zutreffend so verstanden werde, dass sich die Zeitangabe „2 Minuten“ auf die Befassung des Kunden mit der Angelegenheit beziehe. Jedenfalls fehle dieser Aussage die wettbewerbsrechtliche Relevanz. Auch die Angabe „Immobilienwert Rechner“ sei nicht so zu verstehen, dass bei Eingabe der angefragten Daten unmittelbar ein Ergebnis angezeigt werde.
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Wegen des Vortrags der Parteien im Einzelnen wird auf die Schriftsätze ihrer Prozessbevollmächtigten nebst Anlagen Bezug genommen. | 1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der zukünftigen Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an dem jeweiligen Geschäftsführer der Beklagten, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr,
mit dem Hinweis „Immobilienbewertung in 2 Minuten“ zu werben, sofern dem Nutzer nicht innerhalb des genannten Zeitrahmens unmittelbar nach Eingabe der bewertungsrelevanten Daten ein entsprechender Immobilienwert mitgeteilt wird
und/oder
mit dem Hinweis „Immobilienwert Rechner“ zu werben, sofern unter dem zur Verfügung gestellten Link keine Immobilienbewertung erfolgt und/oder unmittelbar nach Eingabe der bewertungsrelevanten Daten kein entsprechender Immobilienwert angegeben wird.
2. Die Beklagte wird verurteilt, einen Betrag in Höhe von EUR 299,60 nebst Zinsen in Höhe von jährlich 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit dem 11.11.2020 an den Kläger zu zahlen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 30.000,00 € vorläufig vollstreckbar. | 1 |
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz 2. Kammer | Rheinland-Pfalz | 0 | 1 | 25.07.2013 | 1 | Randnummer
1
Die Klägerin und der Beklagte zu 1) streiten in der Berufungsinstanz zuletzt noch über die Feststellung einer Forderung zur Insolvenztabelle.
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2
Die Klägerin war vom 01. Juli 2011 bis 30. Juni 2012 bei der Firma S. GmbH beschäftigt. Der Beklagte zu 1) wurde im Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen der Firma S. GmbH vom Amtsgericht Ulm mit Beschluss vom 23. Januar 2012 zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt und fungierte ab dem 30. Januar 2012 aufgrund des an diesem Tage angeordneten allgemeinen Verfügungsverbots als sog. starker vorläufiger Insolvenzverwalter. Am 28. März 2012 wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Ulm vom gleichen Tag das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Firma S. GmbH eröffnet und der Beklagte zu 1) zum Insolvenzverwalter ernannt.
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3
Bei der Insolvenzschuldnerin erfolgte die Gehaltszahlung immer am Ende des Folgemonats für alle geleisteten Stunden aus dem Vormonat. Mit Schreiben vom 26. Januar 2012 (Bl. 13 d. A.) wurde der Klägerin folgendes mitgeteilt:
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4
"
Auszahlung Insolvenzgeld - Eilt sehr!
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5
Sehr geehrte Frau D.,
Ihre Gehälter für die Monate Januar bis März 2012 werden im Rahmen des Insolvenzgeldes ausbezahlt. Damit Sie Ihr Entgelt wie gewohnt Anfang des Monats erhalten, werden Ihre Ansprüche durch die Sparkasse U. vorfinanziert. Zur Abwicklung der Insolvenzgeldvorfinanzierung ist es erforderlich, das Sie eine Anspruchsabtretung unterschreiben.
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6
Dafür erhalten Sie diesem Schreiben beigefügt einen von der Bank erstellten Formvordruck "Ankauf von Ansprüchen auf Arbeitsentgelt" in 2facher Ausfertigung. Die Anspruchsabtretung erfordert Ihre Originalunterschrift.
(…)"
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7
Der diesem Schreiben beigefügte Formvordruck "Ankauf von Ansprüchen auf Arbeitsentgelt" vom 25. Januar 2012, der von der Klägerin sodann unterzeichnet wurde, lautet wie folgt:
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8
"Der Arbeitnehmer hat gegen den Arbeitgeber Ansprüche auf Netto-Arbeitsentgelte d. h. auf die um die gesetzlichen Abzüge verminderten Arbeitsentgelte für die Monate
Januar, Februar und März 2012
in der vom Arbeitgeber und vorläufigen Insolvenzverwalter bestätigten insolvenzgeldfähigen Höhe.
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9
Zug um Zug gegen Zahlung dieser Beträge verkauft und überträgt der Arbeitnehmer der
Sparkasse U., U-Straße, U-Stadt
-nachstehend Sparkasse genannt -
die vorgenannten Ansprüche auf Arbeitsentgelt und damit die Ansprüche auf Insolvenzgeld. Der Kaufpreis entspricht dem jeweils angekauften Forderungsnominal. Der Arbeitgeber und der vorläufige Insolvenzverwalter, A., A-Straße, A-Stadt stimmen dem zu. Die Sparkasse nimmt die Übertragung an unter dem Vorbehalt der Zustimmung durch die zuständige Agentur für Arbeit U-Stadt.
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10
Der Arbeitnehmer sichert zu, dass die Ansprüche auf Arbeitsentgelt weder anderweitig abgetreten noch verpfändet sind und dass er keinen Antrag auf Insolvenzgeld gestellt und für den oben genannten Zeitraum keine Arbeitslosenunterstützung erhalten oder beantragt hat oder beantragen wird. Ein bereits gestellter Antrag auf Insolvenzgeld gilt für den Betrag der Vorfinanzierung als zurückgenommen.
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11
Die Sparkasse übernimmt, außer der Verpflichtung der Zahlung des Kaufpreises, keine weiteren Verpflichtungen; sie steht insbesondere nicht ein für Lohnfolgekosten, d. h. für die das jeweilige Netto-Arbeitsentgelt übersteigenden Beträge wie Steuern und Sozialabgaben."
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12
Mit der Lohn-/Gehaltsabrechnung "01/12" vom 31. Januar 2012 rechnete die Insolvenzschuldnerin unter Zugrundelegung der von der Klägerin im Dezember 2011 tatsächlich geleisteten 119,5 Stunden einen Bruttobetrag von 1.075,50 EUR ab. Der sich daraus ergebende Nettobetrag in Höhe von 808,63 EUR wurde von der Beklagten zu 2) an die Klägerin zur Auszahlung gebracht. In der Lohn-/Ge-haltsabrechnung "02/12" vom 23. Februar 2012 ist ein Bruttobetrag in Höhe von 855,00 EUR ausgewiesen, von dem 169,08 EUR Lohnsteuer und 2,61 EUR Kirchensteuer in Abzug gebracht sind. In der Lohnabrechnung "03/12" vom 26. März 2012 ist ein Bruttobetrag in Höhe von 1.152,00 EUR ausgewiesen, von dem der mit der Abrechnung "01/12" vom 31. Januar 2012 abgerechnete Bruttobetrag in Höhe von 1.075,50 EUR als "nicht insolvenzgeldfähig" in Abzug gebracht ist, wonach ein Bruttobetrag von 76,50 EUR bzw. ein Nettobetrag von 47,57 EUR verbleibt.
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13
Mit ihrer beim Arbeitsgericht Trier am 14. Mai 2012 eingereichten Klage, die dem Beklagten zu 1) am 19. Mai 2012 und der Beklagten zu 2) am 21. Mai 2012 zugestellt worden ist, hat die Klägerin die Auszahlung der mit der Abrechnung "02/12" vom 23. Februar 2012 in Abzug gebrachten Lohn- und Kirchensteuer in Höhe von insgesamt 171,69 EUR netto und die Auszahlung eines weiteren Nettobetrages in Höhe von 808,63 EUR wegen der in der Abrechnung "03/12" vom 26. März 2012 vorgenommenen Verrechnung mit dem in der Abrechnung "01/12" vom 31. Januar 2012 ausgewiesenen Nettobetrag geltend gemacht.
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14
Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, der mit der Abrechnung "02/12 " vom 23. Februar 2012 vorgenommene Abzug von Lohn- und Kirchensteuer sei unberechtigt, weil bei dem abgerechneten Bruttoentgelt in Höhe von 855,00 EUR nach ihren Steuermerkmalen keine Steuern anfielen. Weiterhin sei die mit der Abrechnung "03/12" vom 26. März 2012 vorgenommene Verrechnung mit dem aufgrund der Abrechnung "01/12" vom 31. Januar 2012 ausgezahlten Bruttobetrag in Höhe von 1.075,50 EUR unzulässig, so dass sie einen Anspruch auf Auszahlung des entsprechenden Nettobetrages in Höhe von 808,63 EUR habe.
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Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
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die Beklagten zu verurteilen, ihr 171,69 EUR netto zu zahlen,
die Beklagten zu verurteilen, ihr 808,63 EUR netto zu zahlen.
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17
Die Beklagten haben beantragt,
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18
die Klage abzuweisen.
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19
Mit Urteil vom 20. September 2012 - 3 Ca 667/12 - hat das Arbeitsgericht Trier der Klage gegen den Beklagten zu 1) stattgegeben und sie im Übrigen - d.h. in Bezug auf die Beklagte zu 2) - abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Seiten 4 - 6 = Bl. 96 - 98 d. A.) verwiesen.
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Gegen das ihnen am 08. Oktober 2012 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts haben sowohl der Beklagte zu 1) als auch die Beklagte zu 2) mit Schriftsatz vom 7. November 2012, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am gleichen Tag eingegangen, Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 10. Januar 2013 mit Schriftsatz vom 10. Januar 2013, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am gleichen Tag eingegangen, begründet.
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Nach dem Beschluss des Amtsgerichts Ulm - Insolvenzgericht - vom 2. November 2012 - 3 IN 26/12 - hat der Beklagte zu 1) die drohende Masseunzulänglichkeit gem. § 208 InsO mit Schreiben vom 30. Oktober 2012 gegenüber dem Insolvenzgericht angezeigt. Mit Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 29. November 2012 (Bl. 119 - 121 d. A.) wurde der Klägerin aufgrund ihres Antrages vom 25. Mai 2012 Insolvenzgeld in Höhe von 980,32 EUR unter Verweis darauf bewilligt, dass der Nachzahlungsbetrag den "Feststellungen des Arbeitsgerichts Trier AZ 3 Ca 667/12 im Urteil vom 20. September 2012" entspreche.
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Im Termin vom 18. April 2013 hat die Beklagte zu 2) ihre Berufung zurückgenommen. Die Klägerin hat aufgrund der durch den Beklagten zu 1) angezeigten drohenden Masseunzulänglichkeit die Zurückweisung der Berufung mit der Maßgabe beantragt, dass sie für die Bundesagentur für Arbeit die Feststellung der Forderungen in Höhe von 171,69 EUR netto und 808,63 EUR netto zur Insolvenztabelle begehrt.
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Der Beklagte zu 1) ist der Ansicht, dass die (geänderte) Klage mangels Anmeldung der Forderung zur Insolvenztabelle unzulässig sei.
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Der Beklagte zu 1) beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 20. September 2012 - 3 Ca 667/12 - abzuändern, soweit es der Klage gegen ihn stattgegeben hat, und die gegen ihn gerichtete Klage ebenfalls abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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1. die Berufung zurückzuweisen,
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2. festzustellen, dass für die Bundesagentur für Arbeit, R-Straße, N-Stadt, vertreten durch die Agentur für Arbeit U., U-Straße, U-Stadt, diese vertreten durch den Vorsitzenden der Geschäftsführung, Herr P. R., eine Forderung in Höhe von 171,69 EUR netto zur Insolvenztabelle festgestellt wird,
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3. festzustellen, dass für die Bundesagentur für Arbeit, R-Straße, N-Stadt, vertreten durch die Agentur für Arbeit U., U-Straße, U-Stadt, diese vertreten durch den Vorsitzenden der Geschäftsführung, Herr P. R., eine Forderung in Höhe von 808,63 EUR netto zur Insolvenztabelle festgestellt wird.
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Sie erwidert, der Arbeitnehmer bleibe gem. § 265 Abs. 2 ZPO Partei des Rechtsstreits, wenn die Klage - wie hier - vor Stellung des Insolvenzgeldantrages erhoben worden sei. Im Übrigen habe sie die Bundesagentur für Arbeit mit Schreiben vom 17. April 2013 (Bl. 176 d. A.) zur Geltendmachung der Forderungen ermächtigt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen. | Auf die Berufung des Beklagten zu 1) wird das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 20.09.2012 - 3 Ca 667/12 - abgeändert, soweit es der Klage gegen den Beklagten zu 1) stattgegeben hat.
Die Klage gegen den Beklagten zu 1) wird als unzulässig abgewiesen.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens trägt die Klägerin.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden wie folgt verteilt:
Die Gerichtskosten tragen die Klägerin und die Beklagte zu 2) jeweils zur Hälfte.
Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) trägt die Klägerin.
Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt die Beklagte zu 2) zur Hälfte.
Im Übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht 9. Senat | Schleswig-Holstein | 0 | 1 | 14.06.2017 | 1 | Randnummer
1
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Schiedsspruchs, durch den es abgelehnt worden ist, den vom Kläger im Rahmen der Vergütungsfindung für die Zeit ab September 2015 bei den sonstigen Personalkosten in der Kalkulation begehrten zusätzlichen Betrag für die Refinanzierung der Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung für die beschäftigten Menschen mit Behinderung in der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) festzusetzen.
Randnummer
2
Der Kläger, der seinen Sitz in R... hat, ist Mitglied im Diakonischen Werk Schleswig-Holstein e.V., Landesverband der inneren Mission. Er ist Träger der Einrichtung Werkstatt für behinderte Menschen „S... Werkstätten“ in A... und verfügt über eine entsprechende Leistungsvereinbarung gemäß § 75 Abs. 3 Sozialgesetzbuch, Zwölftes Buch (SGB XII) vom 12. Mai/17. Mai 2005, geändert mit der Änderungsvereinbarung vom 21. Januar/29. Januar 2015.
Randnummer
3
Der Kläger unterbreitete dem Beklagten am 13. Juli 2015 ein Angebot auf Abschluss einer Vergütungsvereinbarung für die Zeit ab dem 1. September 2015, über das die Beteiligten in der Folgezeit verhandelten, bis schließlich noch die Vergütungsposition für die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung der arbeitnehmerähnlich beschäftigten und betreuten Menschen mit Behinderung zwischen den Beteiligten streitig blieb. Der Kläger machte diese in Höhe von insgesamt 21.495,00 EUR geltend. Jene Position befindet sich zusammen mit anderen Vergütungspositionen in dem Kalkulationsblatt zu Ziffer 1.10 („Sonstige Personalkosten“). Die Position stellt sich ausweislich des Kalkulationsblattes wie folgt dar: Der Kläger macht einen Betrag in Höhe von 130.000,00 EUR geltend; der Beklagte stellt demgegenüber auf einen Betrag von 108.505,00 EUR ab. Die Differenz beträgt absolut 21.495,00 EUR; die Differenz pro Person und Tag hinsichtlich des Vergütungssatzes liegt bei 0,10 EUR. Die Höhe der Beiträge ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
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Mit Schriftsatz vom 24. November 2015, eingegangen bei der Schiedsstelle für Pflegesatzangelegenheiten nach § 80 SGB XII beim Landesamt für soziale Dienste am 11. Dezember 2015, beantragte der Kläger die Durchführung des Schiedsstellenverfahrens.
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5
Er beantragte,
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den Beklagten zu verpflichten, mit ihm – dem Kläger – eine Vergütungsvereinbarung gemäß § 75 Abs. 3 SGB XII für die Einrichtung Werkstatt für behinderte Menschen, S... Werkstätten, K...-Straße ..., in A..., ab dem 1. September 2015 zu einem Tagessatz von insgesamt 46,14 EUR abzuschließen.
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Der Beklagte, dessen Gegenangebot eine Vergütung zu einem Tagessatz von insgesamt 46,04 EUR betrug, beantragte,
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den Antrag abzulehnen.
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Am 29. Februar 2016 fand eine mündliche Verhandlung der Schiedsstelle statt, in deren Verlauf der Antrag des Klägers durch Beschluss vom selben Tage abgelehnt wurde und dem Kläger die Kosten des Verfahrens auferlegt wurden.
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Zur Begründung führte die Schiedsstelle unter Bezugnahme auf die in den gleichgelagerten Schiedsverfahren mit den Aktenzeichen VIII 448.122081.00419 und 00420 ebenfalls abgelehnten Anträgen aus, dass Beiträge zur Berufsgenossenschaft für die Unfallversicherung nicht vom Beklagten zu erstatten, sondern vom Antragsteller zu tragen seien. Hinsichtlich der Einzelheiten jenes Schiedsspruchs wird auf Blatt 251 der Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.
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Gegen die Entscheidung der Schiedsstelle hat der Kläger am 1. April 2016 Klage beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht erhoben.
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Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend, die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung der in der WfbM betreuten und arbeitnehmerähnlich beschäftigten Menschen mit Behinderung seien in der prospektiv kalkulierten Höhe in den Vergütungssatz gemäß § 76 Abs. 2 SGB XII, § 41 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX), in Höhe von 21.495,00 EUR pro Jahr aufzunehmen, also bei einem kalendertäglichen Vergütungssatz ein Betrag von 0,10 EUR.
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Die Abwägungen der Schiedsstelle stünden nicht im Einklang mit den materiellen Vorgaben des Entgeltvereinbarungsrechts, namentlich § 75 Abs. 3, § 76 Abs. 2 SGB XII, § 41 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB IX; die Schiedsstellenentscheidung verstoße daher gegen geltendes Recht.
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Für Kranken- (§ 251 Abs. 2 Satz 2 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch – SGB V –), Renten- (§ 179 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch – SGB VI –) und Pflegeversicherungsbeiträge (§ 59 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Elftes Buch - SGB XI -) sei in dem jeweiligen Leistungsrecht eine Erstattungspflicht im direkten Verhältnis von Rehabilitationsträger und WfbM geregelt. Zutreffend sei, dass keine gesetzliche Regelung existiere, nach der der Unfallversicherungsträger die Beiträge zur Unfallversicherung der WfbM direkt zu erstatten hätte. Soweit die Schiedsstelle in diesem Zusammenhang anführe, auch die Werkstattempfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe führten aus, dass eine Erstattung der Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung nicht erfolge, sei dies zwar zutreffend, jedoch bedürften diese Ausführungen der Ergänzung, dass auch die Werkstattempfehlungen damit lediglich wiedergäben, dass eine direkte Erstattungsregelung zwischen Werkstattträger und Unfallversicherungsträger nicht vorliege. Insbesondere aber machten die Werkstattempfehlungen keinerlei Ausführungen zur Frage der anderweitigen Refinanzierung der Unfallversicherungsbeiträge, namentlich zur Refinanzierung über den Vergütungssatz nach § 76 Abs. 2 SGB XII. Bei Betrachtung der Gesetzessystematik zeige sich, dass das SGB IX grundsätzlich nachrangig sei zu den im SGB XII geregelten Grundsätzen zur Leistungserbringung und Kostenübernahme in Einrichtungen und für Dienste gemäß §§ 75 ff. SGB XII. Soweit das SGB IX jedoch speziellere Regelungen enthalte als das SGB XII, gelte wiederum das SGB IX ergänzend zum SGB XII. Das SGB IX postuliere mithin einen doppelten Vorbehalt. Nachdem die §§ 75 ff. SGB XII eine mit § 41 Abs. 3 Satz 3 SGB IX vergleichbare oder konkretere Regelung nicht enthielten, gelte ergänzend zu den §§ 75 ff. SGB XII die Regelung des § 41 Abs. 3 Satz 3 SGB IX. Die Unfallversicherungsbeiträge für die arbeitnehmerähnlich beschäftigten und betreuten Menschen mit Behinderung in der Werkstatt seien § 41 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB IX zuzuordnen, wonach die Vergütungen alle für die Erfüllung der Aufgaben und der fachlichen Anforderungen der Werkstatt notwendigen Kosten berücksichtigten. Damit seien die hier streitigen Beiträge in voller Höhe über die Vergütungsvereinbarung zu erfassen. Das ergebe sich aus folgenden Erwägungen: Aufgabe der WfbM sei die Sicherstellung von Teilhabe am Arbeitsleben gemäß §§ 41, 136 ff. SGB IX. Diese Teilhabe bestehe jedoch nicht nur in der Sicherstellung von Arbeit für Menschen mit Behinderung an sich, sondern gehe deutlich darüber hinaus. Der Gesetzgeber habe ausdrücklich normiert, dass die WfbM im Rahmen der Teilhabeleistung den leistungsberechtigten Menschen gleichermaßen zu ermöglichen habe, ihre Leistungs- und Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu entwickeln, zu erhöhen oder wiederzugewinnen und dabei ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln (§ 136 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX). Gemäß § 41 Abs. 2 SGB IX seien die Leistungen gerichtet auf Aufnahme, Ausübung und Sicherung einer der Eignung und Neigung des behinderten Menschen entsprechenden Beschäftigung, Teilnahme an arbeitsbegleitenden Maßnahmen zur Erhaltung und Verbesserung der im Berufsbildungsbereich erworbenen Leistungsfähigkeit und zur Weiterentwicklung der Persönlichkeit sowie Förderung des Übergangs geeigneter behinderter Menschen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt durch geeignete Maßnahmen.
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Zum Aufgabenbereich einer WfbM habe sich das Bundessozialgericht anlässlich einer Entscheidung über die Funktion des dort eingenommenen Mittagessens eingehend geäußert (Urteil des Bundessozialgerichts vom 9. Dezember 2008 – B 8/9b SO 10/07) und ausgeführt, das Mittagessen sei integraler Bestandteil der eigentlichen Aufgabenerfüllung.
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Entsprechendes müsse aus seiner Sicht – der des Klägers – für die Beiträge zur Berufsgenossenschaft gelten; denn um überhaupt ihrer Aufgabe nachkommen zu können, habe die WfbM Menschen mit Behinderung im Rahmen eines arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnisses zu beschäftigen (vgl. § 138 SGB IX, Rechtsstellung und Arbeitsentgelt behinderter Menschen). Jedes arbeitnehmerähnliche Beschäftigungsverhältnis in der Werkstatt gelte daher der Aufgabe der Sicherstellung von Teilhabe; kein arbeitnehmerähnliches Beschäftigungsverhältnis bestehe ohne diese Aufgabe. Damit entstünden ohne die Aufgabe der Sicherstellung von Teilhabe keine Beiträge zur Unfallversicherung für die betreffenden Personen. Sie seien mithin notwendig zur Erfüllung der Aufgaben der fachlichen Anforderungen der Werkstatt im Sinne von § 41 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB IX.
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Ausweislich der zwischen den Beteiligten geschlossenen Leistungs- und Prüfungsvereinbarung umfassten die Leistungen nicht ausschließlich Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, sondern darüber hinaus auch Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Jene arbeitsbegleitenden Maßnahmen seien nicht nur vertraglich zwischen den Beteiligten durch die Leistungsvereinbarung verpflichtend geregelt, sondern fänden ihre gesetzliche Grundlage in der Werkstättenverordnung (WVO). Gemäß § 5 Abs. 3 WVO seien durch die Werkstatt zur Erhaltung und Erhöhung der im Berufsbildungsbereich erworbenen Leistungsfähigkeit und zur Weiterentwicklung der Persönlichkeit des behinderten Menschen arbeitsbegleitend geeignete Maßnahmen durchzuführen. Auch die außergewöhnlich breit aufgestellten, unterschiedlichsten Arbeitsbereiche in der WfbM unterstrichen, dass es bei den Aufgaben der Werkstatt nicht um Gewinnerzielung und wirtschaftlichen Erfolg gehe, sondern um den pädagogischen Auftrag, Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft für Menschen mit Behinderung sicherzustellen.
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Zu berücksichtigen sei auch die Aufnahmeverpflichtung der WfbM. Nach § 137 Abs. 2 SGB IX würden behinderte Menschen in der Werkstatt beschäftigt, solange die Aufnahmevoraussetzungen nach § 137 Abs. 1 SGB IX vorlägen. Die Werkstatt habe mithin keine Möglichkeit, auf negative wirtschaftliche Entwicklungen wie beispielsweise die Auftragslage durch betriebsbedingte Kündigungen von Mitarbeitern zu reagieren. Dies betreffe aufgrund der in § 137 SGB IX normierten Aufnahme- und Beschäftigungsverpflichtung nicht nur die arbeitnehmerähnlich beschäftigten und betreuten Menschen mit Behinderung, sondern aufgrund deren Betreuungs- und Anleitungsbedarf auch sämtliche sozialversicherungspflichtig Beschäftigte der WfbM. Anders als ein Unternehmen des ersten Arbeitsmarktes könne die WfbM mithin auch die mit der Beschäftigung verbundenen Kosten – namentlich die Personalkosten und damit eben auch die streitigen Unfallversicherungsbeiträge – nicht an die Entwicklung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen anpassen.
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Entgegen der Auffassung der Schiedsstelle sowie des Beklagten seien die Beiträge zur Berufsgenossenschaft der Menschen mit Behinderung keine so genannten unternehmensüblichen Kosten, die mit der wirtschaftlichen Betätigung der Werkstatt im Zusammenhang stünden, mithin keine Kosten nach § 41 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 SGB IX. Allein schon aufgrund der eindeutigen Zuordnung der Unfallversicherungsbeiträge zur ganzheitlichen rehabilitativen Aufgabe, wie das Bundessozialgericht sie beschrieben habe, komme eine (teilweise) Zuordnung zu den unternehmensüblichen Kosten der wirtschaftlichen Betätigung der WfbM nicht in Betracht.
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Soweit die Schiedsstelle darauf abstelle, dass in einer WfbM nur diejenigen behinderten Menschen Aufnahme fänden, die noch ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erbringen könnten, und daher im Produktionsbereich einer WfbM Einnahmen erwirtschaftet würden, sei dem Folgendes entgegenzuhalten: Rein betriebswirtschaftlich bedeute das Erwirtschaften von Einnahmen nicht, dass dies auch zu einem positiven Betriebsergebnis (Arbeitsergebnis, vgl. § 12 WVO) führe
- einem Betriebsergebnis mithin, das eine Verwendung für Unfallversicherungsbeiträge immer und unter allen Umständen (mit-)abdecke. Zudem diene die Erzielung von wirtschaftlichen Arbeitsergebnissen vorrangig der Zahlung angemessener Arbeitsentgelte. Die Ermittlung des Arbeitsergebnisses sei in § 12 Abs. 4 WVO näher geregelt. Insbesondere zählten zu den Erträgen die mit dem Kostenträger verhandelten Vergütungssätze und zu den abziehbaren Kosten u. a. diejenigen nach § 41 Abs. 3 Satz 3 SGB IX. Würden die Unfallversicherungsbeiträge mithin nicht in die Vergütungssätze aufgenommen, so wären sie allein auf der Kostenseite zu berücksichtigen und minderten das Arbeitsergebnis und damit das Arbeitsentgelt der arbeitnehmerähnlich beschäftigten und betreuten Menschen mit Behinderung. Gerade dieses würde dem Willen des Gesetzgebers nicht gerecht.
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Die Schiedsstelle weise darauf hin, dass nur für den Fall, dass die Unfallversicherungsbeiträge aufgrund einer erhöhten Anzahl von Unfällen der Menschen mit Behinderung angehoben worden wären, allenfalls ein solcher „behinderungsbedingter“ höherer Beitrag bei den Vergütungsverhandlungen zu diskutieren sein könnte. Zu beachten sei aber, dass der Gefahrtarif gemäß § 157 Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch (SGB VII) nach Tarifstellen gegliedert werde, in denen Gefahrengemeinschaften nach Gefährdungsrisiken unter Berücksichtigung eines versicherungsmäßigen Risikoausgleichs gebildet würden. Ausweislich des aktuellen Gefahrtarifs verhalte es sich so, dass dieser für die Zeit vom 1. Januar 2013 bis zum 31. Dezember 2018 Werkstätten für behinderte Menschen der Gefahrtarifstelle 17 und der höchsten Gefahrklasse, namentlich mit einem Wert von 9,68, zuordne. Im Verhältnis zu den vorangegangenen Gefahrtarifen sei eine Steigerung eingetreten. Dieses sei nach der Systematik des § 157 SGB VII auch auf die Unfallhäufigkeit und Schwere zurückzuführen.
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Letztlich sei zu beachten, dass die Schiedsstelle die hier streitige Entscheidung vom 29. Februar 2016 unter Bezugnahme auf zwei dort näher bezeichnete Verfahren und die dortigen Entscheidungsgründe begründet habe. Gegen dieses Vorgehen bestünden insofern Bedenken, als beim Bundessozialgericht ein Verfahren anhängig sei (B 8 SO 4/15 R, Vorinstanz: LSG Celle-Bremen, L 8 SO 356/12), in dem das Bundessozialgericht offensichtlich eben diese Rechtsfrage als Revisionsgrund anerkannt habe, also die Rechtsfrage, ob sich die Schiedsstelle zur Begründung ihrer Entscheidung auf einen zeitlich vorhergehenden Schiedsspruch beziehen dürfe.
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Der Kläger beantragt,
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den Beschluss der Schiedsstelle vom 29. Februar 2016 (Az.: 448.122081-00424) aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung verweist er zunächst auf die aus seiner Sicht zutreffenden Entscheidungsgründe im Beschluss der Schiedsstelle vom 29. Februar 2016 und führt zudem im Wesentlichen Folgendes aus:
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Im Schiedsstellenverfahren habe im notwendigen Maße der Grundsatz des rechtlichen Gehörs Anwendung gefunden. Zudem sei die Schiedsstelle in rechtmäßiger Weise ihrer Pflicht zur Amtsermittlung nachgekommen, habe den Sachverhalt umfassend dargelegt und die Rechtslage ermessensfehlerfrei geprüft.
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Kraft Gesetzes seien nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 SGB VII behinderte Menschen, die in Werkstätten tätig seien, unfallversichert und zwar unabhängig davon, ob sie an Maßnahmen im Eingangsverfahren oder Berufsbildungsbereich teilnähmen oder im Arbeitsbereich beschäftigt seien. Allerdings seien die Teilnehmer an Maßnahmen im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich auch nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII pflichtversichert (Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen). Bei doppelter Zugehörigkeit zu versicherten Personenkreisen bestehe nach § 135 Abs. 6 SGB VII eine Versicherungspflicht nach der Vorschrift, der die Tätigkeit des Versicherten vorrangig anzurechnen sei. Folglich ergebe sich die Versicherungspflicht für die in den Bereichen Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich tätigen behinderten Menschen vorrangig aus § 2 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII. Diese Differenzierung habe Auswirkungen auf die Beitragspflicht. Beitragspflichtiger Unternehmer bei Versicherten nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 SGB VII sei der Werkstattträger (§§ 136 Abs. 3 Nr. 1, 150 Abs. 1 SGB VII), bei Versicherten nach dem für diesen Rechtsstreit maßgeblichen § 2 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII sei dies der Rehabilitationsträger (§ 136 Abs. 3 Nr. 2 SGB VII).
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Eine besondere Leistungsabgrenzung und damit Einschränkung hinsichtlich der Vereinbarungsinhalte enthalte § 41 Abs. 3 Satz 3 SGB IX für die WfbM (s. auch § 12 Abs. 4 Satz 3 WVO). Danach berücksichtigten die Vergütungen alle für die Erfüllung der Aufgaben und der fachlichen Anforderungen der Werkstatt notwendigen Kosten sowie die mit der wirtschaftlichen Betätigung der Werkstatt im Zusammenhang stehenden Kosten, soweit diese unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse in der Werkstatt und der dort beschäftigten behinderten Menschen nach Art und Umfang über die in einem Wirtschaftsunternehmen üblicherweise entstehenden Kosten hinausgingen.
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Die Abgrenzung der Unternehmensüblichkeit sei zwingend beachtlich. Die notwendige Trennung sei der doppelten Funktion der WfbM als Eingliederungshilfeeinrichtung und Unternehmen geschuldet. Die Werkstätten seien verpflichtet, sich als Marktteilnehmer zu präsentieren und wirtschaftliche Ergebnisse anzustreben, um den Werkstattbeschäftigten ein Arbeitsentgelt zahlen zu können. Sie müssten darüber hinaus einen Teil der Kosten, die mit ihrer wirtschaftlichen Betätigung im Zusammenhang stünden, erwirtschaften (§ 12 Abs. 4 Satz 3 WVO). Es käme u. a. neben der Privilegierung der §§ 140, 141 SGB IX zu einer starken Wettbewerbsverzerrung, wenn - worauf auch die Kommentarliteratur hinweise – die unternehmensüblichen Aufwendungen über die Vergütungen des Sozialhilfeträgers refinanziert würden und nicht erwirtschaftet werden müssten.
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Im Ergebnis seien somit die unternehmensüblichen Kosten der wirtschaftlichen Betätigung der WfbM vom Werkstattträger zu tragen. Dazu zählten zweifelsfrei auch die Kosten für gesetzliche Unfallversicherung; denn im Gegensatz zu den Regelungen in der gesetzlichen Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung sei eine Erstattung der dem Träger der Werkstatt obliegenden Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung im SGB VII nicht vorgesehen. Danach sei ihm – dem Beklagten – aus rechtlichen Gründen eine Refinanzierung der Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung für die beschäftigten Menschen mit Behinderung im Rahmen der Vergütung nicht möglich.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen; diese sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden. | Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Hessisches Landesarbeitsgericht 16. Kammer | Hessen | 0 | 1 | 24.10.2011 | 0 | Randnummer
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Änderungskündigung mit sozialer Auslauffrist sowie darüber, ob die Beklagte aufgrund des Direktionsrechts berechtigt ist, den Kläger auf einen Arbeitsplatz als Pförtner zu versetzen.
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Die Beklagte ist eine kommunale Verkehrsgesellschaft in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft. Sie beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer. Der am XXXX geborene, verheiratete Kläger ist seit 15.9.1980 bei der Beklagten beschäftigt. Seit 26.6.1995 weist er einen GdB von 30 auf; seit 18.5.2007 ist er einem Schwerbehinderten gleichgestellt.
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Der schriftliche Arbeitsvertrag der Parteien vom 15.9.1980 (Blatt 6,7 der Akten) enthält u. a. folgende Regelungen:
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§ 1
Herr K wird ab 15. September 1980 als Straßenbahnfahrer-Anwärter eingestellt und der BV 12 zugewiesen.
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§ 2
Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach den Bestimmungen des Bundesmanteltarifvertrages für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G) vom 23. Mai 1953 mit den zusätzlich abgeschlossenen Tarifverträgen in ihrer jeweils geltenden Fassung. Das gleiche gilt für die an ihrer Stelle tretenden Tarifverträge. Daneben finden die für den Bereich des Arbeitgebers jeweils in Kraft befindlichen sonstigen Tarifverträge Anwendung.
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§ 9 BMT-G II enthielt u. a. folgende Regelungen:
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7
(1) Der Arbeiter hat die ihm übertragenen Arbeiten gewissenhaft und ordnungsmäßig auszuführen.
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(2) Diese Arbeiten haben sich ihrer Art nach grundsätzlich in dem Rahmen zu halten, der bei Abschluss des Arbeitsvertrages ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart worden ist. Sofern es ihm billigerweise zugemutet werden kann und sein allgemeiner Lohnstandard dadurch nicht verschlechtert wird, hat der Arbeiter auch jede andere, seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechende Arbeit auszuführen. In Notfällen sowie aus dringenden Gründen des Gemeinwohls hat er vorübergehend jede ihm übertragene Arbeit zu verrichten, auch wenn sie nicht in sein Arbeitsgebiet fällt.
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Inzwischen findet auf das Arbeitsverhältnis der Tarifvertrag für Nahverkehrsbetriebe vom 30.6.2010 (TV-N) Anwendung. Dessen § 3 Abs. 1 lautet:
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10
Der Arbeitnehmer hat die ihm übertragenen Aufgaben gewissenhaft und ordnungsgemäß auszuführen. Er ist verpflichtet, den Anordnungen des Arbeitgebers nachzukommen.
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Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 15.10.1989 eine fristgerechte Änderungskündigung zum 31.3.1990 ausgesprochen hatte, vereinbarten die Parteien am 13.2.1990 in einem gerichtlichen Vergleich (Blatt 9,10 der Akten): "Der Kläger erklärt sich bereit, mit Wirkung vom 1.4.1990 als Fahrtausweisprüfer tätig zu werden."
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Bei der Beklagten sind insgesamt 20 sogenannte Produktspezialisten tätig, die in Gruppen zu je drei bis vier Arbeitnehmern Fahrgastprüfungen in Bussen und Straßenbahnen vornehmen.
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Mit Schreiben vom 10.7.1991 beschwerten sich die Arbeitskollegen H und B über das Arbeitsverhalten des Klägers (Blatt 40 der Akten). Unter dem 15.12.2005 (Blatt 41 der Akten) lehnten sechs Arbeitskollegen des Klägers die Zusammenarbeit mit ihm ab. Mit Schreiben vom 9.2.2007 erteilte die Beklagte dem Kläger wegen diverser Vorfälle eine Abmahnung (Blatt 44,45 der Akten); hierzu nahm der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter dem 9.3.2007 (Blatt 46 bis 49 der Akten) Stellung. Mit Schreiben vom 2.4.2009 (Blatt 51 der Akten) lehnte der Mitarbeiter G die Zusammenarbeit mit dem Kläger ab. Unter dem 13.10.2009 (Blatt 52 der Akten) lehnten vier Mitarbeiter die Zusammenarbeit mit dem Kläger ab. Der von der Beklagten hinzugezogene Integrationsfachdienst führte Gespräche mit 12 Kollegen des Klägers, über die sich die Zusammenfassung Blatt 54 bis 57 der Akten verhält.
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Nachdem der Kläger in der Folgezeit nicht mehr im Prüfdienst, sondern mit Verkehrszählungen und Fahrgastinformationen beschäftigt wurde, beabsichtigt die Beklagte nunmehr, ihn als Pförtner im Schichtdienst zu beschäftigen. Diese Tätigkeit entspricht ebenfalls Entgeltgruppe 3.
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Nach erteilter Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Änderungskündigung mit sozialer Auslauffrist seitens des Widerspruchsausschusses beim Integrationsamt des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen und nach erfolgter Anhörung des bei der Beklagten bestehenden Betriebsrat kündigte diese mit Schreiben vom 13.9.2010 (Blatt 22, 23 der Akten) außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 31. März 2011 und bot dem Kläger an, das Arbeitsverhältnis als Pförtner im Schichtdienst fortzusetzen. Mit Schreiben vom 15.9.2010 erklärte der Kläger, dass er die Änderungskündigung unter dem Vorbehalt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial ungerechtfertigt ist, annimmt.
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Mit Schreiben vom 16.9.2010 hat der Kläger am Arbeitsgericht Änderungsschutzklage erhoben.
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Unter dem 17.1.2011 (Blatt 126 d.A.) hat die Beklagte den Kläger unter Ausübung ihres Direktionsrechts auf eine Stelle in dem Fachbereich PWP als Pförtner versetzt.
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Wegen der Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts, des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und der gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der Entscheidung des Arbeitsgerichts, Blatt 184 bis 188 der Akten, Bezug genommen.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die vom Kläger unter Vorbehalt angenommene Änderungskündigung sei "überflüssig", da die Beklagte im Rahmen des Direktionsrechts berechtigt gewesen sei, dem Kläger die Stelle als Pförtner zuzuweisen. Aus der in dem Vergleich vom 13.2.1990 getroffenen Regelung, wonach sich der Kläger bereit erklärte, als Fahrtausweisprüfer tätig zu werden, ergebe sich nicht, dass nur eine derartige Tätigkeit für den Kläger künftig geschuldet sei. Die Ausübung des Weisungsrechts entspreche auch billigem Ermessen. Vor dem Hintergrund der bestehenden Spannungen mit seinen Arbeitskollegen sei die Veränderung des Tätigkeitsbereichs vom Kläger billigerweise hinzunehmen. Die Beschäftigung im Pförtnerdienst sei gleichwertig. Hieraus ergebe sich auch keine Verschlimmerung seines Krankheitsbildes.
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Dieses Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 19. April 2011 zugestellt. Er hat dagegen mit einem am 17.5.2011 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 19.7.2011 am 14.7.2011 begründet.
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Der Kläger ist der Auffassung, das Direktionsrecht sei hier durch die arbeitsvertragliche Vereinbarung eingeschränkt. Der Kläger sei als Straßenbahnfahrer-Anwärter eingestellt worden. Die Beklagte selbst habe 1989 eine Änderungskündigung für erforderlich gehalten, um dem Kläger die Tätigkeit als Fahrtausweisprüfer zu übertragen. Das Arbeitsgericht habe den Arbeitsvertrag falsch ausgelegt. Die Tätigkeit als Pförtner unterscheide sich wesentlich von der der Produktspezialisten. Es werde bestritten, dass Mitarbeiter sich weigern, mit dem Kläger zusammen zu arbeiten. Es gebe keinen konkreten Arbeitsplatzkonflikt. Ende April/Anfang Mai sei der Kläger zur Reinigung des Toilettenwagens eingeteilt worden. Reinigungsarbeiten entsprächen der Entgeltgruppe 2. Konkrete Angaben zu den Reinigungsarbeiten könne der Kläger nicht machen, da er vom 27.4. bis 6.5. krank geschrieben war. Das Arbeitsgericht habe den gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers nicht hinreichend Rechnung getragen. Deshalb widerspreche die Ausübung des Direktionsrechts billigem Ermessen.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 24. März 2011 -3 Ca 397/10- abzuändern und
festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen gemäß Änderungskündigung vom 13. September sozial ungerechtfertigt und aus anderen Gründen unwirksam sind und das Arbeitsverhältnis zu unveränderten Arbeitsbedingungen und ungekündigt über den 1.4.2011 hinaus fortbesteht,
die Beklagte zu verurteilen, den Kläger als Fahrausweisprüfer im Prüfdienst -hilfsweise in einer anderen Tätigkeit als Produktspezialist- zu beschäftigen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts als zutreffend. Der Kläger habe zu keinem Zeitpunkt Toilettenwagen gereinigt. Es sei auch in Zukunft nicht beabsichtigt, ihm derartige Arbeiten zu übertragen. Eine Begehung des neuen Arbeitsplatzes des Klägers als Pförtner durch die Betriebsärztin habe ergeben, dass dieser Arbeitsplatz günstige Voraussetzungen für ihn biete. Es sei ein häufiger Wechsel von Sitzen und Stehen möglich. Weil schriftliche Arbeiten kaum erledigt werden müssen und die Beobachtung der Monitore auch im Stehen problemlos möglich ist, könne der Kläger letztlich frei entscheiden, ob er seine Tätigkeit im Sitzen oder Stehen ausübt. Es stehe ihm sogar frei, sich im Pförtnerbereich zu bewegen oder gesundheitsfördernde Gymnastikübungen zu absolvieren.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen. | Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 24.3.2011 – 3 Ca 397/10 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg 13. Senat | Berlin | 0 | 1 | 10.03.2011 | 0 | Randnummer
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Die Beteiligten streiten über die Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG)und die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bzw. des Grades der Schädigungsfolgen (GdS).
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Der 1929 geborene Kläger befand sich vom 14. Juni 1951 bis zum 15. Januar 1954 wegen des Vorwurfs Flugblätter aus Westberlin in die DDR eingeschleust und dort verteilt zu haben, in Haft. Hierbei musste er von Mai 1952 bis Juni 1953 in einem Steinbruch Zwangsarbeit verrichten, die insbesondere darin bestand, Kalksteinbrocken zu zerschlagen, die bis zu 75 kg schweren Bruchstücke per Hand zu einer Lore zu transportieren, diese zu beladen und anschließend 60 bis 70 m bis zum Sammelgleis zu schieben, wobei es sehr häufig zu Entgleisungen gekommen ist mit der Notwendigkeit, die Lore wieder auf das Gleis zu stemmen. Im Oktober 1952 wurde er durch herunterfallende Steintrümmer am Hinterkopf verletzt.
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Das Landgericht Potsdam hob im Rehabilitierungsverfahren mit Beschluss vom 5. Januar 1995 das betreffende Strafurteil als rechtsstaatswidrig auf und stellte fest, dass der Kläger zu Unrecht Freiheitsentziehung erlitten hatte.
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Am 31. Juli 2001 stellte der Kläger bei dem Beklagten einen Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem StrRehaG, in dem er eine posttraumatische Belastungsstörung und irreparable Schäden am Bewegungsapparat geltend machte. Auf der Grundlage der Gutachten des Chirurgen Dr. O vom 22. September 2003, der Nervenärztin H vom 14. August 2003 und der HNO-Ärztin Dr. F vom 2. September 2004 erkannte der Beklagte mit Teilbescheid vom 11. Februar 2004 in der Fassung des Bescheides vom 22. September 2004 bei dem Kläger als Folgen einer Schädigung im Sinne des § 21 StrRehaG an:
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1) eine posttraumatische Belastungsstörung mit wiederkehrenden depressiven Verstimmungen,
2) eine Hörminderung beidseits,
3) eine reizlose Narbe im linken Stirnbereich,
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und zwar zu 1) und 3) hervorgerufen, zu 2) verschlimmert durch schädigende Einwirkungen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) setzte der Beklagte auf 50 v.H. fest. Den Widerspruch des Klägers gegen die Nichtanerkennung seiner Bewegungseinschränkungen als Folgen der Inhaftierung wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. November 2004 zurück.
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Mit der Klage bei dem Sozialgericht Berlin hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Hierzu hat er u.a. eine durch den Dipl.-Ing. P erstellte statische Berechnung der Kraft vorgelegt, die erforderlich war, eine entgleiste Lore wieder auf das Gleis zu stemmen.
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Das Sozialgericht hat ein Gutachten des Orthopäden Dr. W vom 30. August 2005 mit ergänzender Stellungnahme vom 20. April 2009 eingeholt, der auf seinem Fachgebiet bei dem Kläger
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1) degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit HWS- und LWS-Syndrom,
2) degenerative Veränderungen der Kniegelenke mit beginnenden Funktionseinschränkungen, aber ohne Reizerscheinungen,
3) Bewegungseinschränkung der rechten Schulter,
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festgestellt, eine Verursachung durch die Zwangsarbeit im Steinbruch jedoch verneint hat. Daneben hat das Sozialgericht eine Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition der Abteilung Prävention der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft vom 13. März 2009 veranlasst, die auf der Grundlage der Mainz-Dortmunder-Dosisberechnung eine Belastungsdosis von 6,3 x 10
6
Nh ermittelt hat, die 25 % des Orientierungswertes von 25 x 10
6
Nh entspricht.
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Mit Urteil vom 27. April 2010 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen. Es schließe sich den Ausführungen des Gutachters Dr. W vom 14. Januar 2005 an, wonach die von dem Kläger geltend gemachten orthopädischen Leiden nicht auf die Haft zurückzuführen seien.
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Mit seiner Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin wiederholt und vertieft der Kläger sein Vorbringen. Insbesondere trägt er vor: Der Gutachter der Berufsgenossenschaft habe ihm gegenüber zum Ausdruck gebracht, dass er in dem einem Jahr Zwangsarbeit 80% der Leistung erbracht habe, die ein Normal-Arbeitnehmer in vier Jahren im Steinbruch zu leisten habe. Es sei nachvollziehbar, dass diese extrem hohe Belastung dazu geeignet sei, die streitgegenständlichen Schädigungen herbeizuführen, zumal die Zwangsarbeit gerade darauf ausgerichtet gewesen sei, die Häftlinge zu verheizen. Zu berücksichtigen sei ferner, dass er mit Holzschuhen auf Holzlatten gearbeitet habe. Es sei sehr leicht vorzustellen, dass hierbei das Knie verrutsche und eine erhebliche Meniskus-Belastung entstehe. Auch sei eine überwiegende Wahrscheinlichkeit zwischen dem Unfall und dem Halswirbelsäulenschaden gegeben. Es werde bestritten, dass bei einem Aufprall einer schweren Steinplatte primär das knöcherne Gewebe betroffen sei und nachrangig die Bandscheibe. Die Funktionseinschränkungen an den Schulter- und Ellenbogengelenken mache er nicht mehr als Schädigungsfolge geltend.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Juni 2009 aufzuheben sowie den Beklagten unter Änderung der Bescheide vom 11. Februar 2004 und 22. September 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. November 2004 zu verurteilen, bei dem Kläger einen Hals- und Lendenwirbelsäulenschaden, Kniegelenksschäden beidseits als weitere Schädigungsfolgen nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz anzuerkennen und daraus resultierend einen höheren Grad der Schädigungsfolgen als 50 festzustellen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.
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Der Senat hat eine weitere gutachterliche Stellungnahme des Orthopäden Dr. W vom 8. Januar 2011 eingeholt. Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind. | Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Juni 2009 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz 5. Kammer | Rheinland-Pfalz | 0 | 1 | 17.06.2013 | 0 | Randnummer
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Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob die Klägerin die Zahlung von Mutterschaftslohn von der Beklagten verlangen kann.
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Die Klägerin war auf der Grundlage eines befristeten Arbeitsvertrages vom 04.10.2011 bis zum 03.10.2012 als Speditionskauffrau bei einer monatlichen Bruttovergütung in Höhe von 1.900,00 € beschäftigt.
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Mit Schreiben vom 03.02.2012 hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 10.02.2012 gekündigt. Mit Schreiben vom 14.02.2012 hat die Klägerin mitgeteilt, dass sie schwanger sei und eine Bescheinigung über die Schwangerschaft vom 13.02.2012, ausgestellt durch die Gemeinschaftspraxis Dr. med. M. beigefügt, aus der sich ergab, dass die Klägerin in der 12. Schwangerschaftswoche war; als voraussichtlicher Entbindungstermin wurde 08/2012 angegeben.
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Das von der Klägerin angestrengte Kündigungsschutzverfahren endete vor dem Arbeitsgericht im Gütetermin vom 06.03.2012 damit, dass die Beklagte erklärte, aus der streitgegenständlichen Kündigung vom 03.02.2012 keine Rechte gegen die Klägerin herzuleiten. Die Klägerin hat daraufhin die Feststellungsklage vom 17.02.2012 zurückgenommen.
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Seit dem 13.02.2012 war die Klägerin zunächst arbeitsunfähig erkrankt. Der daraus resultierende Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall endete am 26.03.2012. Für die Zeit vom 27.03.2012 bis 10.04.2012 erhielt die Klägerin Krankengeld. Unter dem Datum vom 10.04.2012 wurde der Beklagten eine "Bescheinigung über das Vorliegen eines Beschäftigungsverbotes nach § 3 Abs. 1 MuSchG" zur Vorlage bei Arbeitgeber/Krankenkasse vorgelegt, wonach das Beschäftigungsverbot am 30.04.2012 endet. Diese Bescheinigung enthält eine unleserliche Unterschrift, ein Praxisstempel ist nicht vorhanden (vgl. Bl. 54 d. A.). Dem folgte eine weitere Bescheinigung über das Vorliegen eines Beschäftigungsverbots nach § 1 Abs. 1 MuSchG, wonach ab dem 01.05.2012 ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen wird, dass zum 16.07.2012 endet. Diese undatierte Bescheinigung trägt den Stempel der Gemeinschaftspraxis Dr. M. und W. und ist unterschrieben (vgl. Bl. 11 d. A.). Am 07.2012 hat der Mutterschutz der Klägerin gemäß § 3 Abs. 2 MuSchG begonnen, der bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 03.10.2012 nach der Entbindung gemäß § 6 Abs. 1 MuSchG fortbestanden hat. Eine ärztliche Bescheinigung der Gemeinschaftspraxis Dr. M. vom 23.10.2012 hat u. a. folgenden Wortlaut:
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"
…Danach wurde ab 10.04.2012 – 30.04.2012 ein Beschäftigungsverbot für die Patientin ausgestellt, da durch die Tätigkeiten im Lager der Spedition mit erheblichen körperlichen Belastungen und zusätzlich bestehenden psychischen Belastungen durch Streitigkeiten mit dem Arbeitgeber eine Gefährdung für Mutter und Kind bestand.
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Vom 30.04.2012 – 04.05.2012 befand sich die Patientin in stat. Behandlung des Diakonie Krankenhauses S.. Danach wurde wegen der fortbestehenden physischen und psychischen Gefährdung der Patientin am Arbeitsplatz, insbesondere auch wegen der körperlichen Arbeiten, die die Patientin am Arbeitsplatz verrichten musste, durch Frau Dr. med. W. am 27.04.2012 erneut ein Beschäftigungsverbot für die Zeit vom 01.05.2012 bis Beginn des Mutterschutzes ausgestellt …"
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Hinsichtlich des weiteren Inhalts dieser Bescheinigung wird auf Bl. 75 d. A. Bezug genommen.
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Die Klägerin hat vorgetragen, für die Zeit ab dem 11.04.2012 werde Mutterschaftslohn geltend gemacht, für die Zeit ab dem 17.07.2012 Ansprüche auf Zuschuss zum Mutterschaftsgeld.
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Zur Begründung des streitigen Vorbringens der Klägerin im erstinstanzlichen Rechtszug wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf Seite 4, 5 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 95, 96 d. A.) Bezug genommen.
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Hinsichtlich der Berechnung der Klageforderung wird auf Seite 5, 6 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 96, 97 d. A.) Bezug genommen.
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Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Mutterschaftslohn in Höhe von 1.266,67 EUR brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.05.2012 zu zahlen,
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die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Mutterschaftslohn in Höhe von 1.900,00 EUR brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.06.2012 zu zahlen,
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die Beklagte zu verurteilen, einen Mutterschaftslohn in Höhe von 1.900,00 EUR brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.07.2012 zu zahlen,
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die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Zuschuss zum Mutterschaftsgeld in Höhe von 525,92 EUR netto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.08.2012 zu zahlen,
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die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Zuschuss zum Mutterschaftsgeld in Höhe von 824,15 EUR netto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.09.2012 zu zahlen.
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Die Beklagte hat im Kammertermin am 20.09.2012 erklärt, dass die Anträge 4, 5, anerkannt würden und des weiteren beantragt,
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im Übrigen die Klage abzuweisen.
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Daraufhin hat die Klägerin am 20.09.2012 beantragt,
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ein Teilanerkenntnisurteil zu erlassen.
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Am 20.09.2012 erging daraufhin ein Teilanerkenntnisurteil, wonach die Beklagte entsprechend den Klageanträgen nach 4, 5 zur Zahlung verurteilt worden ist.
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Die Beklagte hat vorgetragen,
man habe der Klägerin zunächst wegen unterdurchschnittlicher Arbeitsleistung gekündigt. Triftige Anhaltspunkte für ein Beschäftigungsverbot aufgrund der Schwangerschaft seien im Hinblick auf die vertraglich geschuldete Tätigkeit einerseits und die tatsächlichen Umstände der Arbeitsleistung andererseits auch nicht im Ansatz ersichtlich. Vielmehr müsse davon ausgegangen werden, dass die maßgeblichen Bescheinigungen aufgrund falscher Angaben der Klägerin zustande gekommen seien. Weder körperliche noch psychische Belastungen seien nachvollziehbar.
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Hinsichtlich des weiteren streitigen Vorbringens der Beklagten im erstinstanzlichen Rechtszug wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf Seite 7, 8 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 98, 99 d. A.) Bezug genommen.
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25
Das Arbeitsgericht Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - hat darauf hin durch Urteil vom 06.12.2012 - 5 Ca 458/12 - die Klage abgewiesen. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Bl. 93 bis 105 d. A. Bezug genommen.
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Gegen das ihr am 31.01.2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin durch am 28.02.2013 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Sie hat die Berufung durch am 29.04.2013 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet, nach dem zuvor auf ihren begründeten Antrag hin durch Beschluss vom 27.03.2013 die Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung bis zum 29.04.2013 einschließlich verlängert worden war.
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Die Klägerin wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, sie sei vom 30.04.2012 bis einschließlich 04.05.2012 in stationärer Behandlung in der Diakonie S. gewesen. Vorausgegangen seien erhebliche Blutungen im Unterleib, die eine stationäre Aufnahme erforderlich gemacht hätten.
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Der Klägerin sei im Rahmen der Einarbeitung bei der Beklagten mitgeteilt worden, dass sie schneller arbeiten müsse, sie möge sich ein Beispiel bei der anderen Kollegin nehmen. Dass diese Kollegin bereits seit Jahrzehnten dort beschäftigt gewesen sei, sei gleichgültig gewesen. Im Gütetermin im Kündigungsschutzverfahren sei durch die Beklagte vorgetragen worden, der Arbeitsplatz der Klägerin existiere nicht mehr. Entsprechend dem vertraglich vereinbarten Versetzungsvorbehalt könne ein anderweitiger Einsatz im Unternehmen erfolgen, beispielsweise im Lager. Die im Ergebnis glücklicherweise gut verlaufene Schwangerschaft der Klägerin sei seit Beginn von Komplikationen begleitet gewesen. Bereits zu einem frühen Zeitpunkt habe die Klägerin mehrfach Blutungen im Unterleib erlitten, die teilweise leicht, aber auch stark ausgeprägt gewesen seien. Im Rahmen ihrer Behandlung habe die Klägerin regelmäßig entsprechende Belastungssituationen am Arbeitsplatz geschildert. Hinzukomme eine Belastungssituation durch das vorliegende Verfahren. Zusammen mit den vorliegenden gynäkologischen Einschränkungen sei für die behandelnden Ärzte daraufhin eine entsprechende Gefährdung für Mutter und Kind festzustellen gewesen. Die Situation am Arbeitsplatz habe des weiteren dazu geführt, dass sich die Klägerin in entsprechende psychiatrische Behandlung begeben habe.
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29
Zur weiteren Darstellung der Auffassung der Klägerin wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 25.04.2013 (Bl. 127 bis 132 d. A.) Bezug genommen.
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30
Die Klägerin beantragt,
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31
das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 06.12.2012 - 5 Ca 458/12 - abzuändern und
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32
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Mutterschaftslohn in Höhe von 1.266,67 € brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.05.2012 zu zahlen,
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33
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Mutterschaftslohn in Höhe von 1.900,00 € brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.06.2012 zu zahlen,
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die Beklagte zu verurteilen, einen Mutterschaftslohn in Höhe von 1.900,00 € brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.07.2012 zu zahlen,
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35
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Zuschuss zum Mutterschaftsgeld in Höhe von 525,92 € netto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.08.2012 zu zahlen,
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36
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Zuschuss zum Mutterschaftsgeld in Höhe von 824,15 € netto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.09.2012 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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38
die Berufung zurückzuweisen.
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39
Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, die Klägerin habe sich unmittelbar nach Zugang der Kündigung im Februar 2012 krank gemeldet und von diesem Tag an keinerlei Arbeitsleistung mehr erbracht. Woraus sich deshalb psychische oder physische Belastungen im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis einerseits und die Schwangerschaft andererseits hätten ergeben sollen, sei nicht nachvollziehbar. Es sei ihr gegenüber auch zu keinem Zeitpunkt geäußert worden, dass ihr ein Einsatz im Lager drohe.
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40
Zur weiteren Darstellung und Auffassung der Beklagten wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 24.05.2013 (Bl. 138 bis 141 d. A.) Bezug genommen.
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41
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.
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Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 17.06.2013. | Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 06.12.2012, Az.: 5 Ca 458/12, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
ArbG Kiel 5. Kammer | Schleswig-Holstein | 0 | 0 | 23.09.2021 | 0 | Randnummer
1
Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin.
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Die Klägerin, die am ...1986 erfolgreich eine Ausbildung zur Rechtsanwalts- und Notargehilfin abgeschlossen hat, ist seit dem ...1993 beim beklagten Land beschäftigt. Zunächst war sie als Justizangestellte im Schreibdienst beim Amtsgericht … tätig. Seit dem …1996 wird die Klägerin beim Arbeitsgericht … eingesetzt. Dort war sie zunächst mit den Aufgaben einer Angestellten im Schreibdienst beschäftigt und wurde nach der VergGr. VII Fallgruppe 3 Abschnitt N des Teils II der Anlage 1a BAT vergütet. Mit Schreiben vom 10.12.1999 wurden ihr sodann die Aufgaben von Urkunds- und Kostenbeamtinnen nach der Dienstordnung über die Aufgaben des mittleren Dienstes der Arbeitsgerichtsbarkeit vom 29.04.1991 übertragen (Anlage K 7, Bl.127 d. A.). Laut Änderungsvertrag vom 25./.26.04.2001 ist die Klägerin mit Wirkung zum 01.01.2001 in die VergGr. VIb Fallgruppe 1a des Teils II Abschnitt T Unterabschnitt I der Anlage 1 a zum BAT eingruppiert. Sie wird in einer Serviceeinheit beschäftigt und derzeit nach der Entgeltgruppe 6, Stufe 6 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) vergütet.
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3
Nach § 2 Abs.1 S.1 des Arbeitsvertrags vom 09.01./12.01.1996 (Anlage B 1, Bl.84 f. d. A.) bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach dem Bundes-Angestellten-Tarifvertrag (BAT) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) jeweils geltenden Fassung.
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4
Mit Schreiben vom 24.09.2018 (Anlage K 3, Bl.20 d. A.) wandte sich die Klägerin an die Präsidentin des Landesarbeitsgerichts und machte eine Eingruppierung in die - zu diesem Zeitpunkt (noch) nicht existente - EG 9a TV-L geltend. Mit Schreiben vom 13.03.2020 teilte die Präsidentin des Landesarbeitsgerichts der Klägerin mit, dass sie dem Antrag der Klägerin auf Höhergruppierung in die Entgeltgruppe 9 nicht entsprechen könne (Anlage K 4, Bl.21 f. d. A.).
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5
Die Klägerin behauptet, ihr seien die folgenden Tätigkeiten mit den jeweiligen Zeitanteilen übertragen:
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6
- Beglaubigung von gerichtlichen Schreiben und Verkündungsvermerke sowie Bescheinigung des Eingangs von Entscheidungen auf der Geschäftsstelle (2 %),
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7
- Erteilen von Bescheinigungen wie Rechtskraftzeugnisse und Notfristzeugnisse sowie die Erteilung von Vollstreckungsklauseln (1 %),
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8
- Bearbeitung von Sachstandsanfragen und Auskunftsersuchen, insbesondere von Verfahrensbeteiligten (1 %),
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9
- Prüfen von Rechtsmittelfristen sowie der Vertretungsbefugnis (4 %),
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10
- Schriftgutverwaltung wie Stammdaten- und Verfahrensdatenerfassung und –pflege. Zuordnung eingehender Schriftsätze zu den Verfahren einschließlich Umlaufverwaltung (18 %),
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11
- Aktenführung (unter Beachtung der getrennten Aktenführung) einschließlich der Überwachung von Akteneinsicht (7 %),
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12
- Aktenübersendung nach Abschluss des Verfahrens an die Rechtsmittelinstanzen (1 %),
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13
- Fertigung des Schreibwerks, wie Abarbeiten von Verfügungen sowie Schreiben, Korrigieren und Formatieren von Entscheidungen einschließlich Lesen (30 %),
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14
- Kontrolle von sonstigen Fristen und Zustellnachweisen (2 %),
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15
- Vorbereitung von mündlichen Verhandlungen und anderen Terminen einschließlich Erstellung der Sitzungsaushänge (5 %),
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16
- Übertragung der Protokolle von mündlichen Verhandlungen und anderen Terminen vom Tonträger (5 %),
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17
- Aufgaben einer Kostenbeamtin (9 %),
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18
- Die Anordnung von Zustellungen, die Ladung von Amts wegen, die Vermittlung von Zustellungen im Parteibetrieb, die Besorgung der öffentlichen Zustellung und Ladung (10 %),
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19
- Die Aufgaben nach den Anordnungen über die Erhebung von statistischen Daten (1 %),
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20
- Die Aufgaben der Geschäftsstelle bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Zahlungsbestimmung; die Festsetzung und die Anweisung der den Zeugen, Sachverständigen zu gewährenden Entschädigungen (1 %),
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21
- Bearbeitung ausgehender Zustellungen in Zivilsachen (ZRHO) (1 %)
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22
- Bearbeitung von Justizverwaltungsangelegenheiten sowie die Feststellung von Kassenanordnungen aus diesem Bereich nach höherer Weisung der Behördenleitung (1 %) und
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23
- Aufgaben der Haushaltssachbearbeitung/Mittelbewirtschaftung in SAP (1 %).
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24
Ihre Tätigkeit werde maßgeblich von einem Arbeitsvorgang bestimmt. Neben den Aufgaben der Haushaltssachbearbeitung sowie der Bearbeitung von Justizverwaltungsangelegenheiten mache der Arbeitsvorgang „Aktenführung im arbeitsgerichtlichen Verfahren mit allen Nebentätigkeiten“ 98 % ihrer Arbeitszeit aus. Die Klägerin ist der Auffassung, sie erfülle die Voraussetzungen der VergGr. Vb Fallgruppe 2 der Anlage 1a zum BAT, da sie als Angestellte in einer Serviceeinheit tätig sei. Sie sei als ausgebildete Rechtsanwalts- und Notargehilfin sonstige Angestellte, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausübe.Dies könne einer Gegenüberstellung der Ausbildungsinhalte, die sich aus den einschlägigen Verordnungen in Verbindung mit den jeweiligen Ausbildungsrahmenplänen ergäben, entnommen werden. Sie habe ihre Ausbildung noch zur Zeit der Verordnung über die Ausbildung zum Rechtsanwaltsgehilfen, zum Notargehilfen und zum Patentanwaltsgehilfen vom 24.08.1971 (nachfolgend: ReNoGehilfenVO 1971) absolviert. Anschließend sei die Verordnung über die Berufsausbildung zum Rechtsanwaltsgehilfen/ zur Rechtsanwaltsgehilfin, zum Notargehilfen/zur Notargehilfin, zum Rechtsanwalts- und Notargehilfen/ zur Rechtsanwalts- und Notargehilfin sowie zum Patentanwaltsgehilfen/ zur Patentanwaltsgehilfin vom 23.11.1987 einschlägig gewesen. Der Begriff der „Gehilfin“ sei erst 1994/1995 aufgegeben worden und aktuell sei die Verordnung über die Berufsausbildungen zum Rechtsanwaltsfachangestellten, zum Notarfachangestellten und zur Notarfachangestellten, zum Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten und zur Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten sowie zum Patentanwaltsfachangestellten und zur Patentanwaltsfachangestellten vom 29.08.2014 geregelt. Zu vergleichen seien die Ausbildungsinhalte mit denjenigen nach der Verordnung über die Berufsausbildung zum Justiz-fachangestellten/zur Justizfachangestellten (nachfolgend: JuFa-AusbildungsVO) vom 26.01.1998. Ein Vergleich der Verordnungen zeige, dass zum großen Teil gleiche, zumindest aber ähnliche Inhalte vermittelt würden. Die Unterschiede ergäben sich aus der unterschiedlichen Rolle der Anwaltskanzlei, die die jeweiligen Anträge einreiche, und dem Gericht, das die Anträge bearbeite. Dies ändere aber nichts daran, dass die fachlichen Kenntnisse auf dem jeweiligen Rechtsgebiet erworben würden. Darüber hinaus folgten die vorhandenen gleichwertigen Fähigkeiten und Erfahrungen auch aus den zahlreichen Fortbildungen, die sie absolviert habe.
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Zwar sei es zutreffend, dass sich ihre Tätigkeit nur auf ein Teilgebiet der Justiz, nämlich das Arbeitsgericht, erstrecke. Das lasse aber nicht den Schluss darauf zu, dass eine andere Verwendung an fehlenden Fähigkeiten oder Erfahrungen scheitern müsse, denn auch in anderen Einsatzbereichen im Justizwesen des beklagten Landes würden – unstreitig - Beschäftigte mit einer Ausbildung zur Rechtsanwalts- und Notargehilfin in ähnlicher Weise wie der ihren beschäftigt. In allen diesen Fällen würden die Rechtsanwalts- und Notargehilfinnen bzw. die Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten – unstreitig - mit Beginn ihres Arbeitsverhältnisses in unterschiedlichen Bereichen eingesetzt. Auswahl und Zuordnung erfolgen dabei nicht oder zumindest nicht in erster Linie nach irgendwelchen Vorkenntnissen in speziellen Arbeitsgebieten. Daraus werde ersichtlich, dass das beklagte Land diese Ausbildung als gleichwertig mit der selbst durchgeführten Ausbildung zur Justizfachangestellten ansehe. Andernfalls könne das beklagte Land die Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten nicht in dem Ausmaß - sowohl hinsichtlich der Anzahl als auch der Verwendungsbreite - einsetzen. Das zeigten auch die Stellenausschreibungen des beklagten Landes, in denen bezüglich einer „vergleichbaren Tätigkeit“ – unstreitig – ausdrücklich auf die Ausbildung zum Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten abgestellt werde. Letztlich trage ohnehin das beklagte Land die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der subjektiven Tätigkeitsmerkmale. Denn es seien die Grundsätze der korrigierenden Rückgruppierung auf den vorliegenden Fall zu übertragen. Ihr sei bei der Einstellung die Vergütungsgruppe und die Fallgruppe ausdrücklich mitgeteilt worden. Darauf könne sie sich zunächst verlassen. Das müsse auch dann gelten, wenn sie auf dieser Grundlage die Vergütung nach einer höheren Vergütungsgruppe geltend mache und sich dafür auf qualifizierte Tätigkeitsmerkmale berufe, die auf den Tätigkeitsmerkmalen der im Arbeitsvertrag festgelegten Vergütungsgruppe aufbauen.
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Innerhalb des Arbeitsvorganges „Aktenführung im arbeitsgerichtlichen Verfahren mit allen Nebentätigkeiten“ übe sie auch in hinreichendem Ausmaß schwierige Tätigkeiten aus. Dies ergebe sich bereits daraus, dass sie von den Tarifvertragsparteien ausdrücklich als schwierig eingestufte Tätigkeiten ausübe. Im Einzelnen seien dies die Erteilung von Rechtskraftzeugnissen, Notfristzeugnissen sowie Vollstreckungsklauseln (1%), die Bearbeitung von Sachstandsanfragen und Auskunftsverlangen (1 %), die Aufgaben einer Kostenbeamtin (9 %), die Anordnung von Zustellungen, Ladung von Amts wegen, Vermittlung von Zustellungen im Parteibetrieb, Besorgung der öffentlichen Zustellung und Ladung (10 %), die Aufgaben nach den Anordnungen über die Erhebung statistischer Daten (1 %) und die Aufgaben der Geschäftsstelle bei der Bewilligung von PKH (1 %). Hinzu kämen folgende schwierige Tätigkeiten, die nicht ausdrücklich im Beispielkatalog als solche aufgeführt würden: Beglaubigungen gerichtlicher Schreiben und Verkündungsvermerke sowie Bescheinigung des Eingangs von Entscheidungen auf der Geschäftsstelle (2 %), Prüfung der Rechtsmittelfristen sowie Vertretungsbefugnis (4 %) und Bearbeitung ausgehender Zustellungen in Zivilsachen (ZRHO) (1 %).
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Ihr Anspruch sei auch innerhalb der tarifvertraglichen Ausschlussfrist geltend gemacht. Soweit ihr Geltendmachungsschreiben vom 24.09.2018 auf die Entgeltgruppe 9a Bezug nehme, sei - wie sich aus der Antwort des beklagten Landes ergebe - für dieses als Anspruchsgegner ohne Zweifel erkennbar, dass die Klägerin eine Vergütung nach der EG 9 oder EG 9a begehre.
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Die Klägerin beantragt
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1. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Arbeitsleistung der Klägerin ab dem 01.03.2018 nach Entgeltgruppe 9 und ab dem 01.01.2019 nach Entgeltgruppe 9a der Anlage A zum TV-L zu vergüten;
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2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Bruttodifferenzbeträge zwischen der nach dem Antrag zu 1. zu entrichtenden und der tatsächlich gezahlten Bruttovergütung ab dem auf den Tag der Rechtshängigkeit folgenden Tag mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
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Das beklagte Land beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Das beklagte Land ist der Auffassung, die Klage sei bereits deshalb unbegründet, weil die Klägerin – unstreitig – keinen fristgerechten Antrag nach § 29a Abs. 3 Satz TVÜ-Länder gestellt habe und die bisherige Eingruppierung damit endgültig geworden sei. Den Antrag habe die Klägerin stellen müssen, da ihre Tätigkeit beim Arbeitsgericht … seit der Überleitung in die Entgeltordnung zum TV-L zum 01.12.2012 unverändert sei.
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Daneben – so das beklagte Land – sei die Klage unschlüssig, weil die Klägerin ihrer Darlegungs- und Beweislast nicht nachgekommen sei. Nicht ausreichend sei die bloße Aufzählung von Tätigkeiten und die Behauptung, diese erfüllten das Tätigkeitsmerkmal. Die Vorlage einer Arbeitsplatzbeschreibung sei ebenso unzureichend wie die Bezugnahme auf Geschäftsverteilungspläne. Auch seien die dargelegten Zeitanteile unzutreffend. Diese beruhten nicht auf einer repräsentativen Erfassung der Geschäftsleiterin über einen mehrmonatigen Zeitraum, sondern allenfalls auf kurzzeitigen eigenhändigen Notizen der Servicekräfte und anschließenden Hochrechnungen der Geschäftsleiterin. Darüber hinaus bezögen sich die behaupteten Zeitanteile auf die Zeit vor der im August 2019 eingeführten elektronischen Akte. Posteingangs- und Ausgangsbearbeitung wie auch die übrigen Aufgaben der Aktenführung seien vor und nach Einführung der elektronischen Akte nicht vergleichbar.
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Wollte man gleichwohl die Darlegungen der Klägerin zugrunde legen, sei für die tarifliche Bewertung der Tätigkeit der Klägerin von fünf Arbeitsvorgängen auszugehen. Schließlich fehle es an einer Darlegung, der sich entnehmen lasse, dass die jeweilige Tätigkeit die qualifizierenden Merkmale erfülle. Die Klägerin habe nicht hinreichend im Sinne eines wertenden Vergleichs dargelegt, dass die von ihr ausgeübten Tätigkeiten schwierig seien. Dies gelte auch, soweit die Protokollerklärung Nr. 3 eine Aufzählung schwieriger Tätigkeiten vorsehe. Es genügt jedenfalls nicht, lediglich auf die Tätigkeiten in der Protokollerklärung zu verweisen, ohne zu erläutern, dass und aus welchen Gründen die tatsächliche Ausübung schwierig sei.
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Unabhängig davon erfülle die Klägerin die subjektiven Eingruppierungsvoraus-
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setzungen, für die sie die volle Darlegungs- und Beweislast trage, nicht. Es sei weder durch die bisherige Eingruppierung noch durch die Angabe der Entgeltgruppe im Arbeitsvertrag anerkannt worden, dass die Klägerin als sonstige Beschäftigte mit gleichwertigen Fähigkeiten und Erfahrungen wie eine Justizfachangestellte anzusehen sei. Die Angabe der Entgeltgruppe im Arbeitsvertrag habe lediglich deklaratorische Bedeutung.
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Auch der Umstand, dass das beklagte Land Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte in seinen Serviceeinheiten beschäftige, belege nicht, welche konkreten Fähigkeiten die Klägerin erworben habe und ob diese „gleichwertig“ seien.
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Auch die Synopse hinsichtlich der Ausbildung einer Justizfachangestellten auf der Grundlage der Ausbildungsverordnung vom 26.01.1998 und der einer Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten vom 29.08.2014 reiche schon deshalb nicht aus, da die Klägerin ihre Ausbildung nach einer anderen Ausbildungsverordnung absolviert habe. Jedenfalls aber ergebe ein Vergleich der Ausbildungsverordnungen die fehlende Gleichwertigkeit. Justizfachangestellte würden Kenntnisse vermittelt, die Rechtsanwaltsfachangestellte nicht erlernten, wie:
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- Stellung und Aufgaben der Gerichte,
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41
- Kommunikation als Behörde,
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42
- Organisatorische Abläufe,
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43
- Gerichtskostenrecht,
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44
- Zivilprozess,
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45
- Zwangsvollstreckung,
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- Insolvenzen,
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47
- Straf- und OWi-Sachen,
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48
- Familiensachen,
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- Nachlass,
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50
- Betreuung,
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- Öffentliches Register und
Randnummer
52
- FamFG.
Randnummer
53
Die Ausbildung zur Justizfachangestellten qualifiziere für die Arbeit in allen Bereichen und Abteilungen der Geschäftsstellen und Serviceeinheiten der Gerichte und Staatsanwaltschaften. Für eine derartig breit gefächerte Verwendung sei die Klägerin nicht ausgebildet. Die Klägerin könne nicht wie eine Justizfachangestellte in eine Geschäftsstelle/Serviceeinheit eines Amtsgerichts in Familiensachen oder Betreuungssachen eingesetzt werden. Die von ihr ausgeübte Tätigkeit in der Serviceeinheit eines Arbeitsgerichts belege nur gleichartige Kenntnisse und Erfahrungen auf einem eng begrenzten Teilgebiet. Nur im Rahmen dieses Teilgebiets habe die Klägerin auch Fortbildungen besucht. Erst Recht ergebe sich die fehlende Vergleichbarkeit, wenn man den Vortrag der Klägerin zur Ausbildungsverordnung zur Rechtsanwaltsgehilfin von 1971 zugrunde lege. Dies Ausbildungsinhalte seien deutlich geringer gewesen und entsprächen nicht im Ansatz den Inhalten der Ausbildung einer Justizfachangestellten.
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54
Schließlich stünde etwaigen, den Zeitraum vom 01.03.2018 bis zum 31.12.2018 betreffenden Vergütungsansprüchen die Ausschlussfrist des § 37 TV-L entgegen. Die Klägerin habe Vergütung auch für das Jahr 2018 nach der EG 9a geltend gemacht, obwohl diese Entgeltgruppe erst ab 2019 existent sei. Die Vergütung nach der EG 9 sei ein anderer Sachverhalt als die Vergütung nach der EG 9a, so dass die tarifliche Ausschlussfrist nicht gewahrt sei.
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55
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
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56
Die Klage ist dem beklagten Land am 10.02.2021 zugestellt worden. | 1. Es wird festgestellt, dass das beklagte Land verpflichtet ist, die Arbeitsleistung der Klägerin ab dem 01.03.2018 nach der Entgeltgruppe 9 und ab dem 01.01.2019 nach der Entgeltgruppe 9a der Anlage A zum TV-L zu vergüten.
2. Es wird festgestellt, dass das beklagte Land verpflichtet ist, die Differenzbeträge zwischen der nach dem Antrag zu 1. zu entrichtenden und der tatsächlich gezahlten Bruttovergütung ab dem auf den Tag der Rechtshängigkeit folgenden Tag mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits hat das beklagte Land zu tragen.
4. Der Streitwert wird auf 24.266,16 EUR festgesetzt.
5. Die Berufung wird gesondert zugelassen. | 0 |
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt 6. Senat | Sachsen-Anhalt | 0 | 0 | 17.08.2011 | 0 | Randnummer
1
Die Klägerin begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK)
nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV)
– bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule
(LWS).
Randnummer
2
Die 1953 geborene Klägerin erlernte vom 20. August 1970 bis 12.
September 1973 den Beruf der Krankenschwester und war vom 22.
Januar 1974 bis Anfang Januar 2004 als Altenpflegerin tätig,
anschließend arbeitsunfähig erkrankt und gab Mitte Oktober 2004
ihre Tätigkeit als Altenpflegerin auf.
Randnummer
3
Am 24. November 2003 beantragte die Klägerin bei der Beklagten
die Anerkennung ihrer Wirbelsäulenerkrankung als berufsbedingte
Erkrankung. Sie überließ der Beklagten den Befund des Arztes für
Diagnostische Radiologie Dr. D. der Radiologie S. über das am 23.
Oktober 2003 gefertigte Magnetresonanztomogramm (MRT) der LWS.
Danach liege bei ihr eine deutliche Steilfehlstellung des
thoracolumbalen Übergangs ohne primäre spinale Enge vor. In dem
Segment der LWS L2/3 bestehe eine flache Protrusion ohne
höhergradige spinale oder neuroforaminale Enge und eine Chondrose
ohne wesentlich höhengeminderte Bandscheibe. Im Segment L5/S1 lägen
ein flacher Prolaps und eine Chondrose bei höhengeminderter
Bandscheibe ohne Nachweis einer zusätzlichen neuroforaminalen Enge
vor.
Randnummer
4
Ferner überließ die Klägerin der Beklagten eine Aufstellung vom
23. Februar 2004, aus der die jeweiligen Hebevorgänge, getrennt
nach Früh-, Spät- und Nachschicht, hervorgehen, die sie während
ihrer Tätigkeiten seit dem 22. Januar 1974 erbracht hat.
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5
Die Beklagte holte Befundberichte ein: Unter dem 24. Februar
2004 berichtete der Facharzt für Orthopädie Dr. F., er habe die
Klägerin erstmals am 14. Oktober 2003 mit Wirbelsäulenbeschwerden
behandelt. Die Beschwerden seien von der Belastung abhängig und
durch körperlich schwere Arbeit und Fehlhaltung der Wirbelsäule
entstanden. Die Anteflexion der LWS sei deutlich eingeschränkt. Die
Röntgenbilder der LWS vom 14. Oktober 2003 hätten eine
Osteochondrose bei L5/S1, eine Steilstellung und eine
Spondylarthrose gezeigt. In dem Befundbericht vom 21. März 2004
führte der Facharzt für Orthopädie Dr. W. aus, die Klägerin sei
erstmals am 21. Januar 2003 mit Beschwerden an der LWS erschienen.
Die Klägerin habe "sagenhafte Schmerzen" während der
Arbeit angegeben. Im Segment L3/4 bestehe ein Druckschmerz. Der
Röntgenbefund vom selben Tag habe eine Spondylose bei L5/S1 und
L2/3 mit Verschmälerung gezeigt.
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6
Unter dem 26. April 2004 hielt die Gewerbeärztin Schneider die
medizinischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer Berufskrankheit
nach Nr. 2108 nicht für erfüllt, weil ein das altersübliche Maß
deutlich überschreitendes Verschleißleiden der Wirbelsäule nicht
vorliege.
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7
Mit Bescheid vom 10. Juni 2004 lehnte es die Beklagte ab, die
Erkrankung der Klägerin an der LWS als BK nach Nr. 2108
anzuerkennen und Leistungen zu erbringen. Den hiergegen erhobenen
Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit
Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 2004 zurück.
Randnummer
8
Mit der am 21. Oktober 2004 vor dem Sozialgericht Magdeburg
erhobenen Klage hat die Klägerin die Anerkennung ihrer Erkrankung
an der LWS als Berufskrankheit weiter verfolgt und den
Entlassungsbericht der M Klinik K. vom 9. Februar 2004 vorgelegt.
Darin führte der Chefarzt und Facharzt für Orthopädie Dr. D. aus,
die Klägerin habe über Beschwerden im LWS-Bereich mit
Schmerzausstrahlung in die untere BWS geklagt, die besonders bei
einseitiger Körperbelastung, langem Stehen sowie Heben und Tragen
aufgetreten seien. Die Beweglichkeit der LWS sei deutlich
eingeschränkt. In der unteren LWS bestehe ein geringer Druckschmerz
ohne Radikulärsymptomatik. Die Tätigkeit als Altenpflegerin mit
häufigem Heben und Tragen sei geeignet, die Beschwerden erneut zu
verstärken.
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9
Das Sozialgericht hat weitere Befundberichte eingeholt: Dr. F.
hat unter dem 1. Juni 2005 mitgeteilt, er habe bei der Klägerin ein
Lumbalsyndrom, ein Cervikalsyndrom, eine Osteochondrose bei L5/S1,
eine Spondylarthrose der LWS, eine Bandscheibenprotrusion bei L2/3
und einen Bandscheibenprolaps bei L5/S1 diagnostiziert. Kopien der
Röntgenaufnahmen der LWS vom 14. Oktober 2003 waren beigefügt. Die
Fachärztin für Orthopädie P. hat unter dem 5. Juni 2005 mitgeteilt,
sie habe die Klägerin zwischen dem 21. November 2000 und 28. August
2002 behandelt. Am 21. November 2000 habe sie einen Klopfschmerz im
Kreuzbein festgestellt und ein chronisches Lumbalsyndrom
diagnostiziert. Die Röntgenbilder vom 21. November 2000 hätten eine
Verschmälerung des Zwischenwirbelraumes bei L2/3, eine Spondylose
bei L2/3 und L5 und einen fast aufgehobenen Zwischenwirbelraum bei
L5/S1 gezeigt.
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10
Das Sozialgericht hat den Facharzt für Chirurgie MR Dr. M. vom
Medizinischen Gutachteninstitut D. mit der Erstattung des
Gutachtens vom 27. Juni 2006 nach Untersuchung der Klägerin am 22.
Juni 2006 und der Stellungnahme vom 7. September 2006 beauftragt.
MR Dr. M. hat ausgeführt, die Röntgenbilder der Halswirbelsäule
(HWS) vom 14. Oktober 2003 zeigten eine umformende
Verschleißerkrankung zwischen dem Segment C5 und dem Segment C7.
Die Röntgenbilder der LWS vom 21. November 2000 und 14. Oktober
2003 bildeten eine vorauseilende Osteochondrose des Segmentes L5/S1
mit deutlicher Verschmälerung des Zwischenwirbelraumes sowie am 2.
und 3. Lendenwirbel spondylotische Anbauten an den Vorderkanten ab.
Oberhalb von L5 lägen normal weite Zwischenwirbelräume ohne
erkennbare Degenerationszeichen der dazugehörigen Bandscheiben vor.
Die LWS sei insgesamt normal gekrümmt. Aus dem MRT vom 23. Oktober
2003 ergäben sich eine Degeneration der Bandscheibe der Segmente
L2/3 und L5/S1, bei L5/S1 mit geringem Prolapsanteil. Beschwerden
und Befunde stimmten überein. Es handle es sich um eine Erkrankung
der Bandscheiben. Die Gesundheitsstörungen gingen nicht über das
altersentsprechende Maß hinaus. Ein belastungskonformes
Schadensbild im Sinne der Hamburger Formel liege nicht vor. Bei
L3/4 und L4/5 finde sich eine Chondrose I. Grades, bei L5/S1 III.
Grades. Der Chondrosegrad I sei im Sinne der Konsensempfehlungen
nicht altersuntypisch.
Randnummer
11
Auf Antrag der Klägerin hat das Sozialgericht nach § 109
Sozialgerichtsgesetz (SGG) den Arzt für Chirurgie Dr. S. vom
Institut für Medizinische Begutachtung M. mit der Erstattung des
Gutachtens vom 7. April 2007 nach Untersuchung der Klägerin am 21.
Februar 2007 beauftragt, der am 24. Juli 2007 ergänzend Stellung
genommen hat. Dr. S. hat ausgeführt, das Beklopfen der
Dornfortsätze der Lendenwirbelsäule werde als sehr schmerzhaft
angegeben; auch bestehe ein deutlicher Wirbelsäulenstauchschmerz.
Es bestehe ein chronisches rückfälliges Schmerzsyndrom im Bereich
der LWS. Bei den Veränderungen im Lenden-Kreuzbeinübergangssegment
L5/S1 handle es sich ausweislich der mehrfach übereinstimmend
erhobenen bildtechnischen Befunde (MRT aus den Jahren 2003 und
2004) um einen Bandscheibenvorfall und damit um eine
bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS. Bei den dezenten
Veränderungen im Segment L2/3 handle es sich dagegen nicht um einen
dem Alter der Versicherten vorauseilenden Befund und um keinen
Befund von sicherem Krankheitswert. Spondylotische Veränderungen
seien allein in dem vom Bandscheibenvorfall betroffenen Segment
L5/S1 nachweisbar, so dass eine Begleitspondylose nicht bestehe.
Bandscheibenbedingte Veränderungen an der Halswirbelsäule seien den
Röntgenaufnahmen nicht zu entnehmen. Im Bereich der mittleren
Brustwirbelsäule finde sich in einem Segment eine Osteochondrose
eines Bandscheibenfaches ohne klinische Auswirkungen. Damit liege
bei der Klägerin die Konstellation B 3 der Konsensempfehlungen vor.
Es fehle damit an einem belastungskonformen Schadensbild.
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12
Auf Veranlassung des Sozialgerichts hat die Präventionsabteilung
der Beklagten die Gesamtbelastungsdosis der Klägerin vom 22. Januar
1974 bis 30. Oktober 2004 ermittelt. Dabei ist sie von den
Maximalwerten der in der Aufstellung der Klägerin vom 23. Februar
2004 angegeben Hebevorgänge ausgegangen und hat für den Zeitraum
vom 22. Januar 1974 bis 30. Oktober 2004 eine Gesamtbelastungsdosis
von 34,75 MNh und für den Zeitraum vom 22. Januar 1974 bis 21.
November 2000 eine solche von 30,3 MNh errechnet (laufende Nr. 1
bis 12 Blatt 154 bis 156 der Gerichtsakte). Die jeweilige auf L5/S1
wirkende Druckkraft lag danach bei sechs berücksichtigten
Tätigkeiten in der Frühschicht, fünf in der Spätschicht und vier in
der Nachtschicht über 4,5 kN. Zu der Berechnung der
Gesamtbelastungsdosis hat die Präventionsabteilung ergänzend
ausgeführt, die Betriebsleiterin habe die Angaben der Klägerin im
Wesentlichen bestätigt; es hätten jedoch von vier Personen drei
geduscht und eine gebadet (betrifft laufende Nr. 5), hilflose
Personen seien zwei pro Woche aufgehoben (laufende Nr. 8) und bei
höchstens 20 Personen seien nachts die Pampers gewechselt worden.
Schließlich sei das Tragen von Wäsche- und Müllsäcken eher die
Ausnahme gewesen (laufende Nr. 12).
Randnummer
13
Unter dem 22. August 2008 hat der Beratungsarzt der Beklagten,
der Facharzt für Chirurgie Dr. L., ausgeführt, bildtechnisch sei
ein noch nicht unter dem hinteren Längsband liegender, die
Nervenwurzel nicht bedrängender Bandscheibenvorfall bei L5/S1
gesichert. Nerval bedingte Beschwerden habe die Klägerin nicht
angegeben. Damit sei eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS
nicht nachgewiesen. Dass eine bandscheibenbedingte Erkrankung nicht
vorliege, zeige auch der Krankheitsverlauf. Die Klägerin habe
angegeben, seit ca. Anfang der 90er Jahre Rückenschmerzen zu haben,
die durch bandscheibenbedingte Veränderungen nicht zu erklären
seien. Die Klägerin leide laut Entlassungsbericht der M. Klinik
unter Depressionen, die als Ursache der Beschwerden in Betracht
kämen, weil Rückenschmerzen weit verbreitet psychisch bedingt bzw.
überlagert seien. Auch wenn man eine bandscheibenbedingte
Erkrankung der LWS unterstelle, sei die Konstellation B2 der
Konsensempfehlungen nicht erfüllt. Die Klägerin sei keiner
besonders intensiven Belastung innerhalb von 10 Jahren ausgesetzt
gewesen. Im Übrigen hätten sich bei der Dauer der Belastung in
jedem Falle Begleitspondylosen und weitere Höhenminderungen
ausgebildet, die bei der Klägerin jedoch nicht vorgelegen
hätten.
Randnummer
14
Das Sozialgericht hat Dr. S. unter Beifügung des
Ermittlungsergebnisses der Präventionsabteilung der Beklagten und
der Stellungnahme von Dr. L. zur Stellungnahme vom 9. April 2008
veranlasst. Dr. S. hat hierzu ausgeführt, ein besonderes
Gefährdungspotential der Klägerin durch kurzzeitige hohe
Belastungsspitzen sei nicht herzuleiten. Vielmehr ergebe sich die
Gesamtbelastungsdosis aus einer weitgehend kontinuierlichen, über
Jahre hinweg summierten Belastung. Auch nach Auswertung der
Ermittlungen der Präventionsabteilung sei von der Konstellation B3
auszugehen.
Randnummer
15
Mit Urteil vom 12. Juni 2008 hat das Sozialgericht Magdeburg
unter Verweis auf die Ausführungen der Sachverständigen die Klage
abgewiesen.
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16
Gegen das ihr am 25. Juni 2008 zugestellte Urteil hat die
Klägerin am 23. Juli 2008 Berufung eingelegt und ihren bisherigen
Vortrag vertieft. Ein aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisstand
zu bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS sei derzeit nicht
vorhanden. Die Fassung der Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV entspreche
daher nicht dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot. Daher sei die
Theorie der wesentlichen Bedingung strikt anzuwenden und die
berufliche Belastung mit einer sehr hohen Belastungsdosis über 30
Jahre als wesentliche Ursache der Erkrankung anzusehen.
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17
Die Klägerin beantragt,
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18
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 12. Juni 2008 sowie
den Bescheid der Beklagten vom 10. Juni 2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2004 aufzuheben und
festzustellen, dass ihr chronisch wiederkehrendes Schmerzsyndrom
bei Veränderungen am Lendenwirbel-Kreuzbeinübergang vom 1. November
2004 an eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur
Berufskrankheiten-Verordnung ist.
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19
Die Beklagte beantragt,
Randnummer
20
die Berufung zurückzuweisen.
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21
Sie bezieht sich im Wesentlichen auf die Ausführungen des
Sachverständigen Dr. S. und hält die Konsensempfehlungen mit der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts für anwendbar.
Randnummer
22
Die Verwaltungsakte der Beklagten mit dem Aktenzeichen hat als
Ablichtung vorgelegen und war Gegenstand der Verhandlung und
Entscheidungsfindung des Senats. Wegen der weiteren Einzelheiten
des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf
den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend
verwiesen. | Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 12. Juni 2008 und
der Bescheid der Beklagten vom 10. Juni 2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2004 werden aufgehoben. Es
wird festgestellt, dass ein chronisch wiederkehrendes
Schmerzsyndrom der Klägerin bei Veränderungen am
Lendenwirbel-Kreuzbeinübergang vom 1. November 2004 an eine
Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur
Berufskrankheiten-Verordnung ist.
Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen
Kosten für das Verfahren beider Instanzen zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
LG Darmstadt 15. Kammer für Handelssachen | Hessen | 0 | 1 | 30.01.2020 | 1 | Der Kläger ist ein Verein, der sich auf seine Klagebefugnis gemäß § 8 Abs. 3 Ziffer 2 UWG gemäß BGH GRUR 1995, 122 beruft. Er hat mit Anlage K 8, auf die Bezug genommen wird, eine Mitgliederliste vorgelegt. Danach zählen zu seinen Mitgliedern nahezu alle Industrie- und Handelskammern in Deutschland (mit Ausnahme von Aachen). Außerdem sind zahlreiche Apothekerkammern, wie z.B. die Apothekerkammer Hessen, Apothekerverbände, Apotheken, Versandapotheken, Arzneimittelgroßhändler sowie Pharmaunternehmen, wie z. B. Bayer Vital GmbH, Lilly Deutschland GmbH; Merz Pharma GmbH & Co KGaA, die Ratiopharm GmbH, die STADA Arzneimittel AG sowie Sanofi-Aventis Deutschland GmbH aufgeführt.
Die Beklagte stellt die Produkte mit der Bezeichnung „HCG C30 Globuli“ bzw. „HCG C30 Tropfen“ her und bewirbt und vertreibt sie als Drittanbieter „[…]“ u.a. auf der Plattform Amazon. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlage K 1 Bezug genommen.
Bei den Produkten der Beklagten handelt es sich um homöopathische Arzneimittel. Die Beklagte legt ein Herstellungsprotokoll (Anlage B 1) vor, auf das wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird.
Bei der Dosierung „C30“ handelt es sich um eine solche Verdünnung, bei der der verwendete Stoff mit den derzeitigen wissenschaftlichen Methoden nicht nachweisbar ist.
Bei „HCG“ handelt es sich um ein Schwangerschaftshormon. Dieses wird zum Teil in Nahrungsergänzungsmitteln und in homöopathischen Arzneimitteln verwendet. Gemäß einem Artikel bei Wikipedia (Anlage K 2), auf den Bezug genommen wird, soll es angeblich beim Abnehmen helfen.
Mit Schreiben vom 21.09.2018 (Anlage K 3) mahnte der Kläger die Beklagte ab und forderte sie auf, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Eine ergänzende Abmahnung sprach der Kläger mit Schreiben vom 08.10.2018 (Anlage K 4) aus. Mit Schreiben vom 11.10.2018 (Anlage K 5) verpflichtete sich die Beklagte u.a. dazu es zu unterlassen,
„im geschäftlichen Verkehr
die Produkte „HCG C30-[…] Globuli“ und „HCG C30-[…] Tropfen“ bestehend aus 100 % Zucker als Nahrungsergänzungsmittel ohne Angaben der Kategorien von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen, die für das Erzeugnis kennzeichnend sind, in den Verkehr zu bringen und/oder bringen zu lassen.“
Diese Unterlassungserklärung nahm der Kläger unter dem 15.10.2018 (Anlage K 6) an. Auf die entsprechenden Schreiben wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.
Der Kläger behauptet, die in der Anlage K 8 aufgeführten Unternehmen, Vereinigungen bzw. Personen seien zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Handlung Mitglieder bei ihm gewesen.
Das Schwangerschaftshormon HCG befände sich nicht in den Produkten der Beklagten. Die Beklagte habe die Bezeichnung „HCG“ in ihren Produkten aufgenommen, um den angesprochenen Verkehrskreisen zu suggerieren, dass dieses Schwangerschaftshormon in den Präparaten enthalten sei. Tatsächlich bestünden die Präparate ausschließlich aus Saccharose (Zucker). Selbst wenn in der sogenannten Ursubstanz das HCG enthalten gewesen sein sollte, wäre dies aufgrund der „Potenzierung“ nicht mehr in dem in Verkehr gebrachten Präparat enthalten.
Es bestünde die Gefahr, dass Verbraucher sich mit den Produkten selbst medikamentieren und im Rahmen einer solchen untauglichen Selbstbehandlung von einem Arztbesuch Abstand nehmen würden, weil sie denken würden, dass sie sich mit dem Präparat der Beklagten selbst helfen könnten.
Die Beklagte würde die streitgegenständliche geschäftliche Handlung weiter (zumindest bis zum 06.09.2019) unverändert fortsetzen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen,
es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu unterlassen,
geschäftlich handelnd
1. Das Produkt „HCG C30 Globuli“ unter dieser Bezeichnung und wie nachstehend abgebildet zu bewerben und/oder bewerben zu lassen und/oder in den Verkehr zu bringen und/oder in den Verkehr bringen zu lassen, wenn es nicht das Schwangerschaftshormon HCG enthält:
[von der Veröffentlichung der Abbildung wird abgesehen]
und/oder
2. Das Produkt „HCG C30 Tropfen“ unter dieser Bezeichnung und wie nachstehend abgebildet zu bewerben und/oder bewerben zu lassen und/oder in den Verkehr zu bringen und/oder in den Verkehr bringen zu lassen, wenn es nicht das Schwangerschaftshormon HCG enthält:
[von der Veröffentlichung der Abbildung wird abgesehen]
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, die Produkte enthielten „HCG“ in der Dosierung C 30. Sie seien gemäß dem Homöopathischen Arzneimittelhandbuch hergestellt worden.
Sie ist der Auffassung, dass den angesprochenen Verkehrskreisen bekannt sei, dass Wirkstoffe in homöopathischen Arzneimitteln soweit verdünnt sein können, dass diese nicht mehr wissenschaftlich nachgewiesen werden könnten.
Bei den außerprozessual angegriffenen Produkten habe es sich um andere Produkte gehandelt.
Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung. | 1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.
4. Der Gegenstandswert des Rechtsstreits wird auf 25.000,00 € festgesetzt. | 0 |
Baden-Württemberg | 1 | 0 | 0 | 1
Der Kläger wendet sich dagegen, dass sich die Beklagte für seinen Asylantrag als unzuständig erklärt und seine Abschiebung nach Ungarn angeordnet hat.
2
Der Kläger reiste am 29.07.2013 zusammen mit weiteren Personen in einem Kleintransporter bei Piding in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er hatte eine Eintrittskarte für ein ungarisches Asyl-Camp bei sich und gab an: Er sei am 31.12.1987 in Adetikope/Togo geboren und ledig. Sein Reisepass sei in Togo. Sein Vater habe von ihm verlangt, Muslim zu werden. Das habe er abgelehnt. Sein Vater habe ihn deshalb geschlagen. Schon im Jahr 2002 sei er von zuhause nach Ghana und von dort nach Benin gegangen. Per Schiff sei er in die Türkei gelangt. Von dort sei er am 02.09.2011 zu Fuß nach Griechenland eingereist. Dort habe er sich fast zwei Jahre aufgehalten. Die griechische Polizei habe ihn festgenommen und ihm Fingerabdrücke abgenommen. In Griechenland habe er vom Verkauf von Sachen gelebt. Am 26.06.2013 sei er nach Mazedonien aufgebrochen und von dort über Serbien nach Ungarn gereist. Die ungarische Polizei habe ihn am 07.07.2013 festgenommen und seine Fingerabdrücke abgenommen. In einem Internetcafé habe er jemanden kennengelernt, der ihm gesagt habe, wie er nach Deutschland kommen könne. Genaues könne er dazu nicht sagen. Die Person sei vielleicht aus Afghanistan gewesen. Sie habe ihm gesagt, wo er den Kleinbus antreffen könne, mit dem er nach Deutschland gefahren sei. Geld habe er dafür nicht gezahlt. Ein anderer habe bezahlt. In Ungarn habe er keine Arbeit gefunden. Es habe auch nur wenig oder gar nichts zu essen gegeben.
3
Der Asylantrag des Klägers wurde am 21.08.2013 aufgenommen. Am 02.10.2013 stellte das Bundesamt ein Übernahmeersuchen an Ungarn. Die zuständige ungarische Stelle teilte am 08.10.2013 mit, sie akzeptiere die Überstellung des Klägers gemäß Art. 16 Abs. 1e EU-VO 343/2003; der Kläger habe am 11.07.2013 in Ungarn Asyl beantragt; der Antrag sei am 23.08.2013 als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden.
4
Mit Bescheid vom 14.10.2013 stellte das Bundesamt fest, dass der Asylantrag unzulässig sei und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Ungarn ein. Dem Bescheid war eine in französischer Sprache gehaltene Rechtsmittelbelehrung beigefügt, in der als örtlich zuständiges Gericht das Verwaltungsgericht Karlsruhe genannt war; in der ebenfalls beigefügten Rechtsmittelbelehrung in deutscher Sprache wurde das Verwaltungsgericht Freiburg als örtlich zuständiges Gericht bezeichnet. Der Bescheid wurde dem Kläger am 30.10.2013 zugestellt.
5
Der Kläger hat am 11.11.2013 Klage erhoben und zugleich - mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Antragsfrist - vorläufigen Rechtsschutz beantragt. Dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat die Kammer mit Beschluss vom 19.12.2013 stattgegeben (A 5 K 2329/13).
6
Der Kläger trägt vor: Er befürchte, bei einer Rückkehr nach Ungarn ohne rechtfertigenden Grund verhaftet zu werden. Im Mai 2014 sei er am grauen Star operiert worden. Danach habe er vier Wochen lang starke Schmerzen gehabt. Im März 2015 sei er wegen erneuter starker Schmerzen in der Augenklinik des Universitätsklinikums Freiburg untersucht worden. Laut einem Attest des Universitäts-Klinikums vom 04.03.2015 wurde bei ihm eine Amaurose bei vollständiger Ischämie der Netzhaut unklarer Genese, Zustand nach Kataraktoperation 5/14, diagnostiziert. Ein zuletzt vorgelegtes augenärztliches Attest vom 25.09.2015 bescheinigt als Dauerdiagnose eine Ischämische Optikusneuropathie rechts (H 47.0) mit einem Grad der Behinderung von 25.
7
Der Kläger beantragt,
8
den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 14.10.2013 aufzuheben.
9
Die Beklagte beantragt,
10
die Klage abzuweisen.
11
Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid.
12
Die Kammer hat am 20.06.2014 das Auswärtige Amt und den UNHCR um Auskünfte gebeten. Der UNHCR hat diese am 30.09.2014, das Auswärtige Amt hat sie am 12.03.2015 erteilt und am 31.03.2015 ergänzt. Unter dem 02.09.2015 hat die Kammer das Bundesamt gebeten, eine Reihe von Fragen zur Überstellungspraxis nach Ungarn zu beantworten. Das Bundesamt hat diese Fragen nicht beantwortet und auch keinen Vertreter in die mündliche Verhandlung entsandt. | Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 14.10.2013 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien - Verfahrens. | 0 |
||
Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht 3. Kammer | Schleswig-Holstein | 0 | 1 | 13.12.2017 | 1 | Randnummer
1
Der Kläger begehrt die Aufhebung einer der beigeladenen Automobilherstellerin erteilten EG-Typgenehmigung für Systeme.
Randnummer
2
Der Kläger ist eine gemäß § 3 des Gesetzes über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbe-helfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz - UmwRG) anerkannte Vereinigung, deren Vereinszweck nach der Satzung die Förderung des Natur-, Umwelt- und Verbraucherschutzes und zwar insbesondere auch der Reinhaltung von Luft und der Einhaltung des nationalen, europäischen und internationalen Umweltrechts ist.
Randnummer
3
Das Kraftfahrt-Bundesamt erteilte der ... mit Bescheid vom 16.02.2015 eine EG-Typgenehmigung für ein System (EG-Typgenehmigungsnummer ... für den Typ ... nach der Abgasnorm 6b. Die Prüfung der Emissionsgrenzwerte erfolgte nach dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) auf dem Rollenprüfstand, dabei werden die getesteten Fahrzeuge auf die relativ konstante Raumtemperatur zwischen 20 °C und 30 °C vorkonditioniert (UN-ECE Nr. 83, 5.3.1).
Randnummer
4
Der Dieselmotor des Fahrzeugmodells verfügt über mehrere Technologien bezüglich der Emissionskontrolle. Zur Reduzierung des Stickoxidausstoßes werden u.a. eine Abgasrückführung (AGR) und ein SCR-Katalysator („Selective Catalytic Reduction“, unter Verwendung einer Harnstoffeinspritzung), der Teil des Abgasnachbehandlungssystems ist, verwendet. Diese Technologien können grundsätzlich, je nachdem in welchem Maße sie eingesetzt werden und wie der Hersteller den Motor konstruiert hat und je nachdem welche weiteren äußeren Bedingungen vorliegen, Einfluss auf den Motor selbst oder auf den Ausstoß anderer Stoffe haben (dazu grundlegend: Stellungnahme von Prof. Dr.-Ing. Baar im 5. Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags, A-Drs. 18(31)39 neu).
Randnummer
5
Die zum Genehmigungszeitpunkt installierte Software nahm in folgender Weise auf die genannten Emissionstechnologien Einfluss:
Randnummer
6
- die Abgasrückführung wird unterhalb von -11°C und oberhalb von 33°C der Umgebungstemperatur deaktiviert, im Bereich zwischen -11°C und +17°C wird sie temperaturabhängig iterativ reduziert,
- der SCR-Katalysator wird bei Temperaturen unterhalb von -30°C und oberhalb von +50°C deaktiviert, unterhalb von +17°C und oberhalb von +33°C wechselt er in einen vorübergehenden Modus,
- die Abgasrückführung wird ab einer Drehzahl von 3.500 U/min deaktiviert, ab einer Drehzahl von 2.400 U/min wird sie reduziert,
- der SCR-Katalysator setzt bei Geschwindigkeiten über 145 km/h die zudosierte Menge des Harnstoffs auf 0,
- die Abgasrückführung wird ab einem Umgebungsdruck von 90 kPa reduziert und ab 88 kPa deaktiviert.
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7
Im Beschreibungsbogen zur Antragstellung wurden hinsichtlich des Systems „Abgasanlage“ Angaben zur Hardware gemacht. Es wurde angegeben, dass der Fahrzeugtyp zur Verringerung der schädlichen Abgasemissionen über innermotorische Maßnahmen, wie zum Beispiel die Abgasrückführung, und über Abgasnachbehandlungseinrichtungen, wie zum Beispiel den Dieselpartikelfilter, den Oxidationskatalysator und den SCR-Katalysator verfüge. Die Softwarefunktionen waren nicht im Beschreibungsbogen enthalten.
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8
Das Emissionskontrollsystem wurde bis Oktober 2016 in etwa 9.000 Fahrzeugen verbaut. Die EG-Typgenehmigung für Systeme wurde mit Erweiterungsgenehmigung des ... vom 17.10.2016 (...) geändert. Die Genehmigung wurde bis zum 16.10.2018 befristet. Mit Übertragungsgenehmigung des ... vom 20.06.2017 (...) wurde die EG-Typgenehmigung für Systeme von der ... auf die Beigeladene übertragen.
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9
Die Genehmigung des vollständigen Fahrzeuges des Typs ... erfolgte durch die Mehrphasen-EG-Typgenehmigung unter der Genehmigungsnummer ..., die nicht durch das Kraftfahrt-Bundesamt, sondern durch die zuständige niederländische Typgenehmigungsbehörde erteilt wurde.
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10
Im Zuge der als „Abgasskandal“ bezeichneten Ereignisse ab Oktober 2015 wurde beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) eine Untersuchungskommission u.a. in Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeugmodell eingeleitet. Eine vom Kläger ebenfalls im Oktober durchgeführte Studie an dem Modell ... an der Abgasprüfstelle der Berner Fachhochschule ergab Messwerte, wonach die Stickoxidgrenzwerte der Euro 6 Abgasnorm überschritten wurden. Die Messungen entsprachen nicht den Vorgaben des nach der Euro 6 Abgasnorm vorgeschriebenen Verfahrens des NEFZ (wegen der einzelnen Messungen und der Ergebnisse der Studie wird auf die Beiakte A, Anlage A3 Bezug genommen).
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11
Der Kläger informierte das Kraftfahrt-Bundesamt und das BMVI von der Studie und deren Ergebnissen mit Schreiben vom 23.10.2015. Im Rahmen der Untersuchungskommission erklärte die ..., sie beabsichtige, die Wirksamkeit des kombinierten SCR- und AGR- Systems verschiedener Fahrzeugmodelle, unter anderem auch des ... und des ..., im Rahmen einer freiwilligen Serviceaktion zu verbessern.
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12
Mit Schreiben vom 15.01.2016 beantragte der Kläger beim Kraftfahrt-Bundesamt, die Typgenehmigung für das Modell ... zurückzunehmen (vgl. dazu das Parallelverfahren
3 A 38/17
). Hilfsweise beantragte er, gegenüber der ... für dieses Modell eine Rückrufanordnung zu erlassen, die eine unverzügliche Einhaltung der für Stickoxid geltenden Emissionsgrenzwerte gewährleistet. Zur Begründung führte er an, nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Luftreinhalteplan Darmstadt (BVerwG, Urteil vom 05. September 2013 – 7 C 21.12 –, BVerwGE 147, 312-329) könne er als anerkannter Umweltverband gegen jeden Umweltrechtsverstoß vorgehen, der eine drittschützende Norm zum Gegenstand habe. Nach den Hinweisen des Compliance Committee (ACC) gelte dies sogar jenseits drittschützender Vorschriften. Aus Messungen, die auch dem Kraftfahrt-Bundesamt vorlägen, ergebe sich, dass durch die Motorsteuersoftware bei ...-Dieselmotoren die Wirksamkeit des Katalysators bei bestimmten Temperaturen stark vermindert werde. Dem Antrag fügte der Kläger die Ergebnisse der Studie an der Abgasprüfstelle der Fachhochschule Bern bei.
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13
Mit Schreiben vom 21.06.2016 beantragte der Kläger hilfsweise für den Fall, dass das Kraftfahrt-Bundesamt nicht das gesamte Fahrzeugmodell, sondern nur die Emissionsminderungseinrichtung typgenehmigt habe, den Entzug dieser Systemtypgenehmigung.
Randnummer
14
Dieser Antrag wurde in Bezug auf die Systemgenehmigung dieses Fahrzeugtyps vom Kraftfahrt-Bundesamt mit Bescheid vom 29.09.2016 abgelehnt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dem Kläger fehle die Antragsbefugnis, somit sei der Antrag unzulässig. Darüber hinaus sei der Antrag auch aus materiellen Gründen abzulehnen. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage für einen Widerruf oder eine Rücknahme durch das Kraftfahrt-Bundesamt nach § 25 Abs. 3 Nr. 1 der Verordnung über die EG-Genehmigung für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, Bauteile und selbstständige technische Einheiten für diese Fahrzeuge (EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung - EG-FGV) bzw. § 25 Abs. 2 EG-FGV lägen nicht vor. Nach den vom Kläger vorgelegten Messergebnissen sei nicht von einer Nichtübereinstimmung mit dem genehmigten Typ auszugehen. Da die Messungen nicht nach den gesetzlichen Vorgaben des NEFZ erfolgt seien, könnten darauf auch keine entsprechenden Maßnahmen gestützt werden.
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15
Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 27.10.2016 Widerspruch, unter Verweis auf seinen bisherigen Vortrag zur Antragsbefugnis. In materieller Hinsicht führte er aus, dass die vorgelegten Daten offenkundig die Rechtswidrigkeit der Typgenehmigung belegen würden. Das Kraftfahrt-Bundesamt sei aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes verpflichtet, die Sache näher zu überprüfen. Es obliege nicht seiner Beweislast, hier den Vollbeweis zu erbringen, auch wenn er dies durch seine Untersuchung an der Abgasprüfstelle bereits getan habe.
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16
Dieser Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 26.04.2017 zurückgewiesen. Zur Begründung wurden im Wesentlichen die Ausführungen aus dem Ablehnungsbescheid wiederholt.
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17
Darüber hinaus erhob der Kläger mit Schreiben vom 15.02.2017 vorsorglich Widerspruch gegen die Systemgenehmigung für Emissionen für den Typ ... Genehmigungs-Nr. ... Da ihm die Typgenehmigung niemals bekannt gegeben worden sei, hätten etwaige Fristen für den Widerspruch noch nicht zu laufen begonnen. Dieser Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 25.09.2017 zurückgewiesen.
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18
Die Beigeladene strebt nach eigenen Angaben im Rahmen der Nachrüstmaßnahmen Änderungen bezüglich der genannten Emissionstechnologien mit folgenden Ergebnissen an:
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19
- die Abgasrückführung wird unterhalb von -10°C und oberhalb von 50°C der Umgebungstemperatur deaktiviert, im Bereich zwischen -10°C und +3°C sowie zwischen +35°C und +50°C wird sie temperaturabhängig iterativ reduziert,
- der SCR-Katalysator arbeitet in größerem Umfang im Speicher-Modus, zudem wird im „vorübergehenden Modus“ mehr NOx reduziert,
- die aufgrund der Drehzahl reduzierte Abgasrückführung wird früher zurück in den „normalen Modus“ zurückgeschaltet,
- die Heizfunktion für die Abgasnachbehandlung wird weiterentwickelt („Heat Up Mode“),
- die Abgasrückführung wird ab einem Umgebungsdruck von 90 kPa reduziert und ab 83 kPa deaktiviert.
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20
Am 03.05.2017 hat der Kläger Klage erhoben. Parallel zu der im Verfahren vor der Kammer erhobenen Verpflichtungsklage bezüglich der streitgegenständlichen Systemgenehmigung (
3 A 38/17
) ficht der Kläger in diesem Verfahren in Anschluss an seinen Widerspruch vom 15.02.2017 direkt diese Genehmigung an.
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21
Der Kläger trägt vor:
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22
Die Beigeladene habe in der Motorsteuerung gleich mehrere softwaregestützte unzulässige Abschalteinrichtungen installiert. Sofern die Beigeladene mittlerweile freiwillige Verbesserungsmaßnahmen angekündigt habe und auch umgesetzt habe, ändere dies an dem Begehren des Klägers nichts, da dies nur Neufahrzeuge betreffe. Es sei nicht sichergestellt, dass alle bereits im Verkehr befindlichen Fahrzeuge nachgerüstet würden. Hinzu komme, dass die freiwilligen Maßnahmen nicht zur Entfernung aller Abschalteinrichtungen geführt hätten. Aufgrund der durchgeführten Studie am ... sei anzunehmen, dass die Software den Prüfzyklus im Labor am Stillstand der Hinterräder erkenne und die Abschalteinrichtungen in diesem Fall deaktiviere. Weitere Abschalteinrichtungen in der Motorsteuerung des ... führten dazu, dass die Abgasreinigung zu 90-95 % der Betriebszeit deaktiviert sei oder nur stark eingeschränkt funktioniere. Die Abgasreinigung werde abgeschaltet, sobald die Außentemperatursensoren eine Temperatur von weniger als 17°C oder mehr als 33°C messen würden, d.h. wenn die Laborbedingungen des NEFZ von 20-30°C um mehr als 3°C unter- bzw. überschritten würden. Das Thermofenster sei insofern bewusst auf die Bedingungen des Rollenprüfstands programmiert. Darüber hinaus hätten die Motordrehzahl und der Luftdruck Einfluss auf die Abgasrückführung und die Harnstoffdosierung werde bei Geschwindigkeiten von über 145 km/h abgeschaltet.
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23
Die Klage sei zulässig.
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24
Als anerkannter Umweltverband sei er klagebefugt, weil die streitgegenständliche Genehmigung ihn in seiner prokuratorischen Rechtsstellung verletze. Die Beigeladene habe mit der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen gegen Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 (Emissions-GrundVO), welcher drittschützende Wirkung habe, verstoßen. Wegen der Besonderheiten des unionsrechtlich geprägten Rechtsschutzsystems im Bereich des Umweltschutzes bestehe hier eine Klagebefugnis nach § 42 Absatz 2 Hs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Dies ergebe sich insbesondere aus Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens vom 25. Juni 1998 über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Aarhus-Übereinkommen - Aarhus-Konvention – AK). Diese Frage sei zudem in der Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Luftreinhalteplan Darmstadt, anknüpfend an die Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) „Slowakischer Braunbär“ und „Janecek“ geklärt worden. Aufgrund dieser Entscheidung sei anerkannten Umweltvereinigungen eine prokuratorische Rechtsstellung für die Geltendmachung von unionsrechtlich geschützten Umweltbelangen, einschließlich überindividueller Interessen, zu gewähren. Der gesundheitsschützende Zweck des Art. 5 Abs. 2 der Emissions-GrundVO zeige sich eindeutig in den Erwägungsgründen dieser Verordnung sowie in der Gesamtsystematik des unionsrechtlichen Konzepts zur Luftreinhaltung, insbesondere weil sich die Erwägungsgründe der Verordnung auf die „thematische Strategie zur Luftreinhaltung“ (KOM (2005) 446 endg.) beziehen würden. Einer Klagebefugnis stehe auch nicht die Entscheidung des 4. Senats des Bundesverwaltungsgerichts zur „Wannsee-Flugroute“ entgegen, da Art. 5 Abs. 2 der Emissions-GrundVO hinreichend klar und bestimmt sei. Darüber hinaus verweist er auf weitere Entwicklungen der Rechtsprechung, wonach sich die prokuratorische Rechtsstellung anerkannter Umweltverbände auf jede unbedingte und hinreichend genaue Bestimmung des objektiven Unionumweltrechts, unabhängig vom individualschützenden Charakter der Norm, erstrecke. Ein solches Verständnis ergebe sich aus der Rechtsprechung des VGH München und ebenso aus den Schlussanträgen der Generalanwältin am EuGH Kokott vom 30.06.2016 in der Rechtssache C-243/15. Eine Klagebefugnis ergebe sich auch aus der unmittelbaren Anwendung von Art. 9 Abs. 3 AK, der als andere gesetzliche Bestimmung im Sinne des § 42 Abs. 2 Hs. 1 VwGO fungiere. Die Anwendbarkeit hänge auch nicht von dem Erlass eines weiteren Rechtsakts ab, da durch den Anerkennungsakt gemäß § 3 UmwRG abschließend geklärt sei, dass der Kläger die im nationalen Recht aufgestellten Kriterien der Anerkennung erfülle.
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25
Jedenfalls aber folge eine Klagebefugnis unmittelbar aus dem Unionsrecht, was der EuGH in der „Janecek“-Entscheidung bestätigt habe. Auch sei eine Klagebefugnis zwingend wegen Art. 47 der EU-Grundrechtecharta gegeben. Daraus ergebe sich ein Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor Gericht, wenn unionsrechtlich garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden seien. Rechte in diesem Sinne seien weit auszulegen. Das satzungsmäßige Interesse des Klägers im Zusammenhang mit den Emissionsgrenzwerten falle darunter.
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26
Auch ergebe sich nunmehr nach Novellierung des UmwRG die Klagebefugnis unmittelbar aus dem UmwRG n.F., das am 02.06.2017 in Kraft getreten sei. Diese sei in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 UmwRG n.F. geregelt. Die Anordnung eines Rückrufs sei eine Entscheidung über Überwachungs- und Aufsichtsmaßnahmen im Sinne der Vorschrift. Der Begriff der Zulassung eines Vorhabens im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG, auf den Nr. 6 Bezug nehme, sei weit auszulegen und erfasse auch die Erteilung von EG-Typgenehmigungen. Der Vorhabenbegriff orientiere sich lediglich an dem planungsrechtlichen Vorhabenbegriff, dies zeige auch, dass im Gesetzestext ein Verweis auf das UVPG fehle. Damit habe sich der Gesetzgeber bewusst vom engen planungsrechtlichen Begriff gelöst. Da die Gesetzesnovelle ausweislich ihrer Begründung der Umsetzung von Art. 9 Abs. 3 AK diene, sei allein entscheidend, dass die Maßnahmen auf Herstellung oder Sicherung eines umweltrechtskonformen Zustandes zielten. Ein anderes Ergebnis der Auslegung sei mit dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit nicht vereinbar. Zudem würde dieses Ergebnis zu einer erneuten Beanstandung durch die AK-Vertragsstaatenkonferenz führen, was bereits das Compliance Comittee festgestellt habe.
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Hilfsweise ergebe sich jedenfalls eine Klagebefugnis analog §§ 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 UmwRG n.F. Denn für den Fall, dass man von einer Regelungslücke ausginge, sei diese jedenfalls planwidrig, da der Gesetzgeber sich bemüht habe, Art. 9 Abs. 3 AK in völkerrechtskonformer Weise in deutsches Recht umzusetzen. Darüber hinaus bestehe weiterhin die Klagebefugnis wegen seiner prokuratorischen Rechtsstellung als Umweltverband. Die Gesetzesänderung entfalte insbesondere keine Sperrwirkung. Das prokuratorische Klagerecht sei nicht akzessorisch zu einem Klagerecht einer natürlichen Person. Überdies bestehe hier auch ein Klagerecht von natürlichen Personen. Zumindest Anwohner im Gebiet von Grenzwertüberschreitungen, die durch Kraftfahrzeugemissionen induziert seien, seien wegen ihrer räumlichen Beziehung zu den Emissionen individuell betroffen.
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28
Eine strikte Orientierung an der nationalen prozessrechtlichen Regelung des § 42 Abs. 2 VwGO stelle einen zu Unrecht verengten Blickwinkel im Hinblick auf die durch das Unionsrecht gewährten Befugnisse von Umweltverbänden und Privatpersonen dar. Die Gerichte seien verpflichtet, das nationale Recht so weit wie möglich im Einklang mit dem Völkerrecht und dem Unionsrecht auszulegen. Dies führe letztlich dazu, dass bei der Frage der Klagebefugnis nicht mehr die subjektive Rechtsverletzung, sondern der „Interessentenbegriff“ zu Grunde gelegt werden müsse. Nur so sei der evidenten Völkerrechtsverletzung durch den Gesetzgeber wirksam zu begegnen.
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29
Die Klage sei auch begründet.
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Sollte kein Anspruch des Klägers auf Rücknahme der EG-Typgenehmigung aus § 25 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 EG-FGV, sowie aus § 48 VwVfG bestehen, sei die streitgegenständliche Systemgenehmigung dennoch aufzuheben, da sie rechtswidrig sei. Die fehlende Übereinstimmung der manipulierten Fahrzeuge mit dem genehmigten Typ ergebe sich daraus, dass der bei der Prüfung verwendete Prototyp offenbar keine, jedenfalls keine aktivierte Abschalteinrichtung enthalten habe und der Hersteller zu Abschalteinrichtungen keine Angaben gemacht habe. Die Beigeladene habe aber bei Beantragung der Typgenehmigung Angaben zu den Maßnahmen gegen Luftverunreinigungen und dabei insbesondere zur Verwendung einer On-Board-Diagnose und deren Arbeitsweise sowie zu den Leistungsmerkmalen von elektronisch gesteuerten Funktionen machen müssen. Art. 30 Abs. 2 der Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Rahmenrichtlinie) stelle klar, dass Abweichungen von den Angaben im EG-Typgenehmigungsbogen oder in der Beschreibungsmappe als Nichtübereinstimmung mit dem genehmigten Typ gelten würden. Die durch die Beigeladene verwendeten Abschalteinrichtungen seien nach Art. 5 Abs. 2 der Emissions-GrundVO unzulässig. Diese Vorschrift sei Teil des Prüfungsprogramms der Typgenehmigung, die nur dann erteilt werden dürfe, wenn die technischen Anforderungen der in Anhang IV zur Rahmenrichtlinie aufgeführten Rechtsakte, wozu auch die Emissions-GrundVO zähle, eingehalten würden. Für die Pflicht zur Offenlegung bzw. Beantragung der Genehmigung von Abschalteinrichtungen spreche auch die materielle Regelung in Art. 5 Abs. 2 der Emissions-GrundVO. Weil die Beigeladene keine Angaben zu den Abschalteinrichtungen gemacht habe, habe sie damit erklärt, dass derartige Funktionen nicht enthalten seien. Daher gelte die erteilte Typgenehmigung folglich nur für Fahrzeuge ohne eine solche Abschalteinrichtung.
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In dem streitgegenständlichen Fahrzeugtyp seien unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Emissions-GrundVO vorhanden. Die bloße Drosselung der Abgasreinigung werde vom Begriff der Abschalteinrichtung umfasst. Ein vollständiges Abschalten sei nicht erforderlich. Die Abschalteinrichtungen seien auch nicht ausnahmsweise zulässig, da sie nicht notwendig im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Emissions-GrundVO seien. Eine Notwendigkeit in diesem Sinne bestehe schon dann nicht, wenn es technisch möglich sei, eine funktionierende Abgasreinigung zu konstruieren, die den Motor nicht beschädige. Dass diese technische Möglichkeit bestehe, zeige sich an bereits existierenden Fahrzeugmodellen. Fälle des bloßen Verschleißschutzes seien nicht von dem Ausnahmetatbestand erfasst. Im Übrigen sei es mit dem Regelungszweck des Verbots unvereinbar, wenn das Abgasnachbehandlungssystem während der ganz überwiegenden Betriebszeit ausfalle. Insofern handele es sich bei allen vier festgestellten Abschalteinrichtungen um unzulässige Abschalteinrichtungen, insbesondere handele es sich bei den jeweiligen Fenstern, innerhalb derer das Emissionskontrollsystem nicht vollumfänglich arbeite, um normale Betriebsbedingungen. Eine manipulative Absicht bei Installation der Abschalteinrichtungen sei nicht erforderlich.
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32
Entgegen der Auffassung der Beklagten setze eine Feststellung der Nichtübereinstimmung kein Verfahren nach den Anhängen II und III der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (Durchführungs-VO) voraus. Das Rücknahmeermessen sei aus Gründen des Unionsrechts auf Null reduziert. Die verwendeten Abschalteinrichtungen seien als besonders erheblich einzustufen. Aus der Rahmenrichtlinie ergebe sich eine Ergebnisverpflichtung bezüglich der Übereinstimmung mit einem genehmigten Typ. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass die Beigeladene sich die Typgenehmigung arglistig erschlichen habe.
Randnummer
33
Eine weitere Anspruchsgrundlage – bzw. ein weiterer Grund für die Rechtswidrigkeit der Genehmigung – ergebe sich aus § 25 Abs. 3 Nr. 2 EG-FGV. Es liege hier ein erhebliches Risiko für die öffentliche Gesundheit und die Umwelt vor. Der Begriff der Umwelt und der öffentlichen Gesundheit sei drittschützend auszulegen.
Randnummer
34
Für den Fall, dass sich die Typgenehmigung auf die illegalen Abschalteinrichtungen in der Motorsteuerung erstrecken sollte, diese also legalisieren würde, sei die Typgenehmigung auch aus diesem Grund rechtswidrig.
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35
Der Kläger beantragt,
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36
die Systemgenehmigung für Emissionen ... für den ... in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.09.2017 aufzuheben.
Randnummer
37
Außerdem beantragt der Kläger,
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38
das Verfahren auszusetzen und die Vorabentscheidung des EuGH zu folgenden Rechtsfragen einzuholen:
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39
1. Ist Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. a) der VO 715/2007/EG so auszulegen, dass eine Ausnahme zum Schutz des Motors dann nicht in Betracht kommt, wenn die Wirkung des Emissionskontrollsystems bei Temperaturen von unter 17 Grad Celsius oder mehr als 33 Grad Celsius, bei Motordrehzahlen von mehr als 2400 U/min (bei einem Wiedereinschalten, wenn die Drehzahl 1200 U/min unterschreitet), bei Geschwindigkeiten von mehr als 145 km/h und/oder Luftdrücken unterhalb von 915 mbar verringert wird?
Randnummer
40
2. Ist Art. 30 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG so auszulegen, dass bei einem Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, der durch mehrere kombinierte unzulässige Abschalteinrichtungen zu einer Deaktivierung des Abgasreinigungssystems zu 90-95 % der Betriebszeit führt, die Typgenehmigung zwingend von der zuständigen Behörde zu entziehen ist?
Randnummer
41
3. Ist Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 so auszulegen, dass die Vorschrift einer nach innerstaatlichem Recht anerkannten Umweltvereinigung ermöglicht, die rechtswidrige Verwendung von Abschalteinrichtungen zur Einhaltung der Emissionsgrenzwerte für Kraftfahrzeuge gegenüber den zuständigen Behörden gegebenenfalls unter Anrufung der innerstaatlichen Gerichte durchzusetzen?
Randnummer
42
4. Ist Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 so auszulegen, dass es einer nach innerstaatlichem Recht anerkannten Umweltvereinigung möglich sein muss, jede objektive Verletzung der Norm gerichtlich geltend zu machen?
Randnummer
43
5. Ist Art. 9 Abs. 3 der Aarhus-Konvention so auszulegen, dass die Vorschrift unmittelbare Anwendung findet, wenn die Kriterien zur Anerkennung klageberechtigter Umweltvereinigungen im innerstaatlichen Recht klar geregelt sind und die klagende Umweltvereinigung diese Kriterien erfüllt?
Randnummer
44
Die Beklagte beantragt,
Randnummer
45
die Klage abzuweisen.
Randnummer
46
Sie trägt vor:
Randnummer
47
Dem Kläger fehle die Klagebefugnis. Eine prokuratorische Rechtsstellung eines Umweltverbands setze stets ein Klagerecht einer natürlichen Person voraus. Eine Popularklage sei vom Unionsrecht nicht gefordert. Der Anwendungsbereich des UmwRG sei abschließend geregelt und hier nicht eröffnet. Aus diesem Grund könne der Kläger sich auch nicht auf die von ihm zitierten Entscheidungen des EuGH berufen. Im Übrigen seien die zugrunde liegenden Konstellationen nicht vergleichbar. Eine prokuratorische Rechtsstellung des Klägers sei hier dementsprechend abzulehnen, da die streitgegenständlichen Normen keinen Drittschutz vermittelten. § 25 EG-FGV habe einen erkennbar technischen Bezug und Hintergrund und diene daher nicht den Interessen Dritter. Auch Art. 5 Abs. 2 der Emissions-GrundVO habe keine drittschützende Wirkung. Die Vorschrift sei primär vor dem Hintergrund der Errichtung und der Funktionalität des Binnenmarktes zu betrachten. Die Vorgaben der Aarhus-Konvention seien durch das UmwRG a.F. vollständig umgesetzt worden. Darüber hinaus bedürfe es keiner unmittelbaren Bezugnahme auf die Konvention, ebenso wenig auf die Rechtsprechung des EuGH, insbesondere weil die vom Kläger zitierte Entscheidung des EuGH zum „slowakischen Braunbär“ zeitlich vor der Ergänzung des UmwRG aus 2013 liege und insoweit eine gesetzgeberische Entscheidung in Kenntnis dieser Rechtsprechung vorliege. Ein prokuratorisches Klagerecht sei mangels Drittschutz des Art. 5 Abs. 2 der Emissions-GrundVO abzulehnen. Aus dem Gesamtkontext der Norm werde deutlich, dass der Regelungshintergrund der Verordnung ein binnenmarktbezogener, nicht hingegen ein umweltpolitischer sei.
Randnummer
48
Auch nach der Gesetzesänderung des UmwRG bestehe keine Klagebefugnis zugunsten des Klägers. Die neue Fassung des UmwRG sei bereits nicht anwendbar, da keine Entscheidung vorliege, die nach dem 02.06.2017 ergangen sei oder hätte ergehen müssen. Im Übrigen seien auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 UmwRG n.F. nicht gegeben. Die Zulassung von Fahrzeugen sei in der Gesetzesbegründung nicht erwähnt, obwohl der Gesetzentwurf zeitlich nach Bekanntwerden des sogenannten Dieselskandals verfasst wurde. Dies spreche für die gewollte Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Vorhaben im planungsrechtlichen Sinne.
Randnummer
49
Darüber hinaus sei die Klage unbegründet. Es stehe bislang nicht fest, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeugmodell unzulässige Abschalteinrichtungen vorhanden seien. Das entsprechende Verwaltungsverfahren der Beklagten gegenüber der Beigeladenen sei noch nicht abgeschlossen und dauere aufgrund der Komplexität und Tragweite der Gesamtthematik noch an. Die vom Kläger vorgelegte Studie sei nicht dazu geeignet, einen Nachweis für das Vorliegen von unzulässigen Abschalteinrichtungen zu erbringen.
Randnummer
50
Nach Auffassung der Beklagten sei die Softwarefunktionalität entscheidend für die Funktionsfähigkeit des Emissionssystems und die Einhaltung der gesetzlichen Emissionsgrenzwerte im NEFZ. Daher gehöre auch die Softwarefunktion zum genehmigten Umfang des Systems. Ob die von der Beigeladenen verwendete Technik eine Abschalteinrichtung darstelle, könne noch nicht abschließend beantwortet werden. Die sogenannten Thermofenster seien grundsätzlich technisch begründbar, die konkrete Temperatur müsse in Abhängigkeit von der konkreten Ausführung bestimmt werden.
Randnummer
51
Die Beigeladene beantragt,
Randnummer
52
die Klage abzuweisen.
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53
Sie macht geltend, dem Kläger fehle die erforderliche Klagebefugnis. Der Anwendungsbereich des UmwRG a.F. sei nicht eröffnet. Er könne auch nach Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht im Wege der Analogie im Lichte des Art. 9 Abs. 3 AK erweitert werden. Art. 9 Abs. 3 AK sei wegen des darin enthaltenen Ausgestaltungsvorbehalts nicht unmittelbar anwendbar. Ein prokuratorisches Klagerecht des Klägers bestehe mangels Klagerechts einer natürlichen Person hier nicht. Denn vorliegend fehle es an einem subjektiven Recht, das einer natürlichen Person einen Anspruch auf Widerruf der streitgegenständlichen EG-Typgenehmigung einräume. Es liege kein hinreichend qualifiziertes und individualisiertes Betroffensein einzelner natürlicher Personen durch eine EG-Typgenehmigung vor. Es fehle zudem eine unmittelbare Betroffenheit durch einen räumlichen Bezug zum Wirkungsbereich der Emissionen. Zudem bestehe ein Unterschied zu den Immissionen von ortsfesten Anlagen.
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54
Eine Klagebefugnis ergebe sich auch nicht aus den am 02.06.2017 in Kraft getretenen Änderungen des UmwRG. Die Tatbestandsvoraussetzungen von § 2 Abs. 1 Satz 1 iVm § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 und Nr. 6 UmwRG lägen nicht vor. Bereits der zeitliche Anwendungsbereich sei nicht eröffnet, weil Entscheidungen, die vor dem 02.06.2017 ergangen seien oder hätten ergehen müssen, ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich ausgenommen seien. Die Beklagte hätte hier nach dem Begehren des Klägers die EG-Typgenehmigungen vor dem Stichtag zurücknehmen müssen. Darüber hinaus falle der angegriffene Bescheid auch in sachlicher Hinsicht nicht unter den Tatbestand von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 und Nr. 6 UmwRG. Der Begriff des Vorhabens sei aus dem Planungsrecht übernommen worden. Er erfasse nur Anlagen und Maßnahmen, die unmittelbar in Natur und Landschaft eingreifen würden. Produktbezogene Genehmigungen wie die EG-Typgenehmigung würden nicht darunter fallen. Dies ergebe sich aus der Gesetzesbegründung. Auch handele es sich bei der Rücknahme einer Typgenehmigung nicht um eine Überwachungs- oder Aufsichtsmaßnahmen zur Umsetzung oder Durchführung von Entscheidungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und Nr. 1 bis 5 UmwRG. Einer analogen Auslegung stehe der ausdrückliche Regelungswille des Gesetzgebers entgegen. Die Empfehlungen des Compliance Committees seien nicht bindend. Im Übrigen verlange § 2 Abs. 1 Satz 2 UmwRG, dass die Verletzung von umweltbezogenen Vorschriften geltend gemacht werde. Solche Vorschriften seien hier nicht betroffen. Ein prokuratorisches Klagerecht des Klägers bestehe mangels Klagerechts einer natürlichen Person nicht. Auch aus Art. 47 EU-Grundrechte Charta folge keine Klagebefugnis des Klägers. Der Kläger habe insbesondere nicht das Bestehen eines für eine Klagebefugnis nach Art. 47 Grundrechte Charta erforderlichen unionsrechtlichen Rechtes dargelegt.
Randnummer
55
Die Klage sei im Übrigen auch unbegründet.
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56
Die Voraussetzungen des § 25 Abs. 3 EG-FGV lägen nicht vor. Es liege bereits keine Nichtübereinstimmung mit dem genehmigten Typ vor. Bei der Frage der Nichtübereinstimmung sei lediglich auf die formelle Legalität abzustellen, d.h. die Übereinstimmung der in Betrieb befindlichen Fahrzeuge mit den Angaben im Beschreibungsbogen und der Beschreibungsmappe. Ob die materiellen Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 der Emissions-GrundVO vorlägen, sei bei § 25 Abs. 3 EG-FGV nicht zu prüfen. Der Unterschied werde relevant, wenn Fahrzeuge den Vorgaben einer Typgenehmigung entsprächen, die unter Verstoß gegen materielle Vorgaben und damit rechtswidrig ergangen sei. In diesen Fällen käme nur eine Rücknahme nach § 48 VwVfG in Betracht. Hier liege keine Abweichung von den Angaben im Beschreibungsbogen und in der Beschreibungsmappe der Typgenehmigung vor. Der Hersteller habe im Antrag lediglich die Angaben nach Anhang I zur Rahmenrichtlinie Anlage 3, Ziffer 3.2. 12.2.1.11. zu machen, dies sei hier auch erfolgt. Die Verpflichtung zur Offenlegung von Emissionsstrategien sei erst mit der Verordnung Nr. 2016/646 der Kommission vom 20.04.2016 zur Änderung der Verordnung Nr. 692/2008 eingeführt worden. Erst ab diesem Zeitpunkt seien Fahrzeughersteller verpflichtet, sogenannte Auxiliary Emission Strategies (AES) und Base Emission Strategies (BES) anzugeben.
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Auch sei die streitgegenständliche Genehmigung rechtmäßig. Das umgerüstete Emissionskontrollsystem enthalte keine unzulässigen Abschalteinrichtungen. Der streitgegenständliche Fahrzeugtyp ... halte die maßgeblichen Emissionsgrenzwerte, nämlich die nach dem NEFZ-Verfahren, ein. Auf eine etwaige Grenzwertüberschreitung durch das Fahrzeug im Realbetrieb komme es nicht an. Die Beigeladene habe auch keine Abschalteinrichtungen verwendet. Es sei keine Erkennung des Rollenprüfstands installiert, auch die weiteren Parametrierungen in der Motorsteuerung stellten keine Abschalteinrichtungen dar. Diese seien notwendig, um den störungsfreien Betrieb des Motors und der Abgasnachbehandlungssysteme zu erreichen und um Schäden am Motor und seinen Bauteilen im Kundenbetrieb zu vermeiden. Auch meine der Kläger zu Unrecht, dass der heutige Stand der Technik, also im Jahr 2016, maßgeblich sei. Nach alledem könne auch nicht von einem arglistigen Erschleichen der Typgenehmigung die Rede sein.
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Aus der beabsichtigten freiwilligen Nachrüstaktion könne nicht geschlossen werden, dass die zuvor getroffenen Maßnahmen unzureichend und nicht zulässig gewesen seien. Über die Parametrierung des Emissionskontrollsystems hätten im Entwicklungszeitraum noch keine Erfahrungswerte aus dem Wirkbetrieb der Fahrzeuge der Beigeladenen vorgelegen. Bis heute existierten keine rechtlichen Standards, so dass den Herstellern ein Einschätzungsspielraum, in dessen Rahmen sie befugt seien, aus Gründen des Motorschutzes und der Verkehrssicherheit gewisse Sicherheitsabstände zu setzen, zuerkannt werden müsse. Maßgeblich für die damals entwickelten Strategien könne nur eine ex-ante Betrachtung sein.
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Bei den Parametrierungen der Motorsteuerung handele es sich nicht um unzulässige Abschalteinrichtungen. Der Kläger gehe fälschlicherweise davon aus, dass die NEFZ-Grenzwerte auch im beliebigen praktischen Fahrbetrieb eingehalten werden müssten. Auch müsse nach Auffassung der Beigeladenen der Begriff der „normalen Betriebsbedingungen“ im Zusammenhang mit den NEFZ-Prüfbedingungen verstanden werden. Jedenfalls aber sei selbst bei Annahme einer Abschalteinrichtung diese zulässig nach Art. 5 Abs. 2 Satz 2 a) der Emissions-GrundVO. Die Parametrierungen der Motorsteuerung verhinderten Rußablagerungen und schützten so langfristig den Motor vor Schäden. Auch werde ein möglicher Leistungsabfall verhindert, der gegebenenfalls die Verkehrssicherheit gefährden könnte. Jedenfalls sei es nach dem damaligen Erkenntnisstand vertretbar gewesen, die Parametrierungen der Motorsteuerung zu programmieren. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger, einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar, für die Beigeladene jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Der Kläger darf die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Die Sprungrevision wird zugelassen. | 0 |