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Milde Strafe für EWE - taz.de
Milde Strafe für EWE Laut einem Bericht sollen zwei Führungskräfte dafür verantwortlich sein, dass die EWE AG Steuern und Sozialabgaben nicht korrekt abgeführt hat. Bestraft wird nur das Unternehmen EWE dürfte Grund zum Jubel haben, so wie diese Figuren bei einer PR-Aktion des Konzerns für Kinder Foto: JOKER/Imago Von Christina Gerlach Der Oldenburger Energieversorger EWE AG hat quasi die Hosen runtergelassen. Im Juristendeutsch heißt das: „Vollumfänglich kooperativ“. Ein Schritt, den Anwälte immer dann empfehlen, wenn die Fakten nicht zu leugnen sind, beim Strafmaß aber noch was zu machen ist. Hat offensichtlich geklappt. Die EWE AG kassierte ein vergleichsweise mildes Bußgeld in Höhe von 300.000 Euro für ein schwerwiegendes Vergehen: Steuern und Sozialabgaben sind jahrelang nicht ordnungsgemäß abgeführt worden, wie die Staatsanwaltschaft Oldenburg auf Nachfrage bestätigt. So was wird eher in zwielichtigen Firmen verortet als bei einem Energieversorger mit immerhin 5,7 Milliarden Euro Umsatz in 2019. Die EWE AG habe mittlerweile alle vorenthaltenen Abgaben und Steuern nachgezahlt. Auch das sei bei der Höhe der Buße berücksichtigt worden, teilten die Strafverfolger weiter mit, die drei Jahre in dem Fall ermittelt hatten. Im Paragrafen 266a des Strafgesetzbuchs heißt es: „Als Arbeitgeber wird bestraft, wer die für den Einzug der Beiträge zuständige Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt.“ Darauf stehen bis zu fünf Jahre Haft oder eine Geldstrafe. Die Oldenburger Staatsanwaltschaft hat allerdings anders entschieden und die Verfahren eingestellt. Sie konnte „eine individuelle Verantwortlichkeit eines bestimmten Beschuldigten nicht mit der für eine Anklageerhebung notwendigen Sicherheit“ feststellen. Stattdessen wurde eine Unternehmensbuße verhängt. Die wird die EWE AG wahrscheinlich aus der Portokasse begleichen und die Beschuldigten sind um eine Vorstrafe herumgekommen. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG hatte 2017 festgestellt, dass Schichtzulagen von Mitarbeitern der EWE-Netz GmbH, einer Tochter des Versorgers, seit 2006 weder ordnungsgemäß versteuert noch Sozialabgaben darauf abgeführt wurden. Der Schaden: 1,9 Millionen Euro. Den Verantwortlichen der EWE AG war das offensichtlich seit Jahren klar. Das geht auch aus internen Sitzungsprotokollen hervor, die die taz einsehen konnte. Über die Steuerthematik wurde mehrfach diskutiert. Wieder mal davongekommenStaatsanwaltliche Ermittlungen sind bei der EWE nichts Neues.Ex-Vorstand Werner Brinker hatte 2002 dem Eberswalder Bürgermeister 307.000 Euro für die Landesgartenschau zugesagt. Die Gegenleistung: 12,5 Prozent an den dortigen Stadtwerken.Als der kriminelle Kuhhandel ruchbar wurde, kam es zum zweiten Deal – jetzt mit der Staatsanwaltschaft.Die EWE zahlte 400.00 Euro Buße. Das Verfahren gegen Brinker wegen Vorteilsgewährung wird eingestellt. Der Bürgermeister bekam elf Monate Haft auf Bewährung. Die ist kompliziert: Etwa 50 sogenannte Dispatcher arbeiten rund um die Uhr im Schichtdienst in ständig besetzten Netzleitstellen, auch sonn- und feiertags, nachts. Dafür gab es zum Teil satte Zuschläge. Die sind zwar unter bestimmten Umständen steuerfrei, aber das Finanzamt verlangt sogenannte „Spitzabrechnungen“, in denen exakt dokumentiert werden muss, wann Mitarbeiter tatsächlich im Dienst waren. Außerdem gilt die Steuerfreiheit für prozentuale Zeitzuschläge nur, wenn der zugrunde liegende Stundenlohn 25 Euro nicht übersteigt. Die EWE-Dispatcher verdienten aber deutlich mehr und erhielten zudem zusätzlich zum Grundgehalt einen hohen Pauschalbetrag. Ohne die erforderlichen Nachweise an das Finanzamt, aber mit Billigung der Verantwortlichen. Warum die Staatsanwaltschaft nun keine „individuelle Verantwortlichkeit“ eines bestimmten Beschuldigten „mit der für eine Anklageerhebung notwendigen Sicherheit“ feststellen konnte, ist zumindest merkwürdig. Ein interner Bericht zu „möglichen Sorgfaltspflichtverletzungen“, der seinerzeit vom EWE-Aufsichtsrat selbst beauftragt wurde, liegt der taz vor. Der Bericht benennt nämlich durchaus die Verantwortlichen für die Tricksereien: Zwei Führungskräfte, die damals gerade zum Karrieresprung in den Vorstand der EWE AG angesetzt hatten. Ihre Ernennung war für den Februar 2017 geplant, wurde dann überraschend verschoben, schließlich ganz gekippt. Denn die KPMG-Prüfer hatten in der Steuer- und Sozialabgabenaffäre die Verantwortlichkeiten akribisch herausgearbeitet und kamen in ihrem 64-Seiten-Bericht zu einem eindeutigen Ergebnis: Beide Beschuldigte seien „zu Zeitpunkten Organmitglieder der EWE NETZ“ gewesen, „zu denen diese ihre steuerlichen und sozialabgaberechtlichen Pflichten nachweislich nicht erfüllt hat“. Eine Beförderung der beiden Führungskräfte in den Vorstand war damit offensichtlich selbst der EWE zu heiß.
Christina Gerlach
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Unvermitteltes Poppen - taz.de
Unvermitteltes Poppen Die Erregungswellen beim Thema Pornografie wären deutlich flacher, wenn sich die schärfsten Kritiker nur einmal ein paar Beispiele ansähen. Anmerkungen über ein verpöntes Genre von MANUELA KAY Ein Pornofilm ist kein Liebesfilm Auch kein Film mit erzieherisch-wissenschaftlichem Anliegen. Obwohl so manche etwas lernen könnten, sähen sie nur mal einen Porno. Ein Porno hat in der Regel keine Handlung und er erzählt auch keine Geschichte. Von daher ist das Wort Film eigentlich unpassend. Pornografie ist die Darstellung sexueller Handlungen in Wort, Bild oder Ton mit dem einzigen Zweck, das Publikum zu erregen. Wer natürlich auf dem Standpunkt steht, Sex diene einzig der Reproduktion, muss Porno als abartig einstufen. Einen Liebesfilm, der Romantik statt Reproduktion verkauft, dann allerdings auch. Porno ist ein Genre, wie Western, Krimi oder Horrorfilm, die mit Spannung oder Angst arbeiten und genau wie der Pornofilm mit den ewig gleichen Mitteln versuchen, beim Publikum gewisse Gefühle und Reaktionen auszulösen. Statt Tränen, Lachen oder Gänsehaut ist es beim Porno Geilheit und Erregung – im besten Falle. Geht es schief und der Film am Publikum vorbei, dann macht sich genau wie beim unglaubwürdigen Krimi, überkandidelten Horrorfilm oder allzu klischeemäßigen Western Langeweile, Abgestoßensein oder auch unfreiwilliger Humor breit. Mit der immer gleichen Ikonografie versucht der Porno, mit einem bekannten Muster der Bildsprache, die in einem bestimmten Genre zu erwarten ist, die bezweckten Reaktionen auszulösen. Was im Western das Pistolenduell oder der Mord im Krimi ist, das ist im Porno eben der Geschlechtsverkehr. Allein die Rahmenhandlung wird einem erspart. Gerne wird Porno ja auch mit dem Genre Musical verglichen. Im Musical setzt unvermittelt Musik ein und die Darsteller beginnen plötzlich – oftmals in völlig unpassender Umgebung wie Straßen oder öffentlichen Verkehrsmitteln – zu tanzen und zu singen. Ähnlich verhält es sich mit dem Geschlechtsverkehr im Porno, der oft ansatzlos und in unvermuteter Umgebung stattfindet. Der Rahmen ist unrealistisch und wirkt – genau wie in vielen Musicals – künstlich. Die genretypische Sprache des Musicals ist dabei genauso durchschaubar wie die des Pornos – und genauso wirkungsvoll. Hier Musik und Tanz, um große Gefühle der Protagonisten zu vermitteln und beim Publikum zu erzeugen, dort Geschlechtsorgane und bestimmte Bewegungen, um Lust und Sexualität zu zeigen und zu bewirken. Somit haben wir es beim Porno also nicht mit einem völlig aus dem kulturellen Zusammenhang gelösten Underground-Medium zu tun, sondern mit einem Genre, das wie jedes andere mit stinknormalen, immer gleichen und vorhersehbaren Mitteln arbeitet. Porno ist keine Gehirnwäsche Nun geht es aber im Porno um Sex. In anderen Genres wie beim Krimi, Thriller, Horror oder Liebesdrama geht es lediglich um Mord und Totschlag, um Korruption und politische Machenschaften, wildgewordene Menschenfresser oder um Liebe, Leid und Eifersucht. All das, möchte man meinen, sollte die Leute doch viel mehr auf die Barrikaden bringen und über seine Darstellung diskutieren lassen als simples Vögeln. Und doch ist es ausgerechnet die Pornografie, die so verhasst, so viel diskutiert, so leidenschaftlich verdammt oder verteidigt wird. Die immer wieder in den Untergrund und die Illegalität verbannt ist und doch einen riesigen Geschäftsbereich in westlichen Kulturen ausmacht. Wann immer über Sexualität und Geschlechterverhältnisse geredet wird, kommt man beinahe zwangsläufig auf das Thema Pornografie. Undenkbar, dass man bei Familienplanung, Beziehungsproblemen oder Liebesdingen den klassischen Liebesfilm oder das Hollywood-Musical als gutes oder schlechtes Beispiel heranzöge. Denn hier kann das konsumierende Volk immerhin zwischen Fiktion und Wirklichkeit unterscheiden. Das Problem mit der Pornografie ist schlicht: Sie wird für real gehalten. Zumindest von jenen, die sie nie anschauen und das Genre mystifizieren. Doch Pornografie ist genauso real wie ein Musical. Die Darsteller existieren zwar, aber was sie vor der Kamera tun, ist inszeniert – ob sie nun singen, tanzen oder ficken. Immer wieder meinen Leute, dass Pornos das Verhalten der Menschen verändern könnte, zu Erniedrigung von Frauen ermutige oder sexuelle Gewalt unterstütze. Warum wirken Mord und Totschlag im Krimi oder Gesang und Tanz im Musical nicht auf ähnliche Weise auf unser Alltagsleben ein, wie es Porno angeblich tut? Weil es eben gar nicht so ist und nur Menschen, die nie Pornos sehen und dem Genre verklemmt und angstvoll gegenüberstehen, glauben, sie hätten es mit einer Art Gehirnwäschemedium zu tun. Ausgerechnet die Diskussion um Geschlechter- und Machtverhältnisse wird gern am Porno festgemacht. Die Darstellung von Frauen sei in Pornos erniedrigend, degradiere sie zum reinen Objekt, und allein der Penis würde das Geschehen dominieren. Während in gängigen Filmproduktionen in aller Welt Frauen millionenfach ermordet, vergewaltigt, erniedrigt oder schlicht in unerträglich dümmlicher Weise dargestellt werden, soll ausgerechnet der Porno zum Nachahmen allen Übels animieren? Nur weil hier gefickt statt gemordet wird? Porno ist so männlich wie Politik Im heterosexuellen Porno haben Männer und Frauen miteinander Sex – ganz wie in der heterosexuellen Wirklichkeit auch. Dass Männer dabei nun einmal ihren Penis benutzen und Frauen ihre Vagina, ist biologisch bedingt und zweckmäßig, schließlich sind diese Körperteile ja dafür ausgelegt, das würde nicht mal die katholische Kirche bestreiten. Doch immer wieder wird der Pornografie vorgeworfen, sie sei phallisch, männlich und nicht im Sinne von Frauen. Ja, Porno an sich sei männlich. Pornografie ist ungefähr so männlich wie Politik. Nur dass sich mehr Leute in ihrem Privatleben aktiv mit Sex als aktiv mit Politik beschäftigen – Frauen zu gleichen Teilen wie Männer, kann man wohl annehmen. Denn Sexualität an sich hat kein Geschlecht. Ginge man ganz modern gendertheoretisch an die Sache, basierend auf der Theorie, dass Geschlecht lediglich ein soziales Konstrukt ist, so könnte man Pornografie völlig losgelöst von Mann-Frau-Verhalten anschauen. Einer fickt, einer wird gefickt (von anderen Sexpraktiken, die noch viel mehr Bandbreite aufweisen, einmal abgesehen). Im Schwulen- oder Lesbenporno wird dies besonders gut deutlich. Man braucht, um Sex zwischen Menschen darzustellen, nur Menschen, die miteinander Sex haben. Welchem Geschlecht sie angehören, ist dabei völlig irrelevant. Schwule Pornos funktionieren genauso gut ohne „erniedrigte“ Frauen wie Lesbenpornos ohne „phallische Übermacht“ funktionieren. Im Porno bereiten sich Menschen in einer konstruierten Handlung gegenseitig sexuelle Lust. Das muss man nicht anschauen wollen, wie sich andere ja auch nicht gern politische Debatten oder Musicals ansehen. Aber Sex mit Männlichkeit gleichzusetzen ist genauso dumm, wie Politik als männlich zu bezeichnen. Natürlich leben wir in einer patriarchalen Gesellschaft, in der man alles als männlich dominiert bezeichnen kann, wenn man will und auf gewisse Weise damit immer Recht haben wird. Doch genau wie in der Politik kommt es darauf an, wie viel Raum, Einfluss und Macht Frauen sich nehmen. Pornografie an sich ist kein männliches Medium, selbst in wirtschaftlicher Hinsicht haben kluge Geschäftsfrauen in der Branche durchaus Einfluss. Das Angela-Merkel-Phänomen ist zum Glück nicht der Politik vorbehalten. Das bekannteste Beispiel einer Sex-Unternehmerin ist in Deutschland Beate Uhse, es gibt aber auch Frauen, die von der Pornodarstellerinnenseite höchst erfolgreich in die Kulissen gewechselt sind, wie Theresa Orlowski oder Dolly Buster. Weiblich = gut, männlich = schlecht Gern wird zwischen guter Pornografie, die weiblich, weich und eher erotisch als explizit pornografisch ist, und schlechter Pornografie, die männlich, hart und grausam ist, die explizit Sex zeigt und vor allem phallisch ist, unterschieden. Schon in der Auseinandersetzung um die Schriften des Marquis de Sade (der Begriff Sadismus bezieht sich auf die von ihm beschriebenen Sextechniken) befanden einige, die seine Darstellungen nicht nur gewaltsam und pervers fanden, dass hier Frauen auch endlich das Recht eingestanden werde, genauso aggressiv, tyrannisch und grausam zu ficken wie Männer. Kurz: dass de Sade somit die Sexualität politisiert habe. Die Verharmlosung weiblicher Sexualität als kuschlig weich und unaggressiv im Gegensatz zur männlich harten und aggressiven Sexualität untermauert höchstens eine unterlegene Rolle der Frauen, statt Emanzipation zuzulassen. Frauen haben genauso ein Bedürfnis und Recht auf „harte“ Sexualität ohne Weichzeichner, wie Männer umgekehrt ein Recht und sehr wohl auch den Wunsch nach Zärtlichkeit und nicht nur „Rein-raus-Sex“ haben. Die meisten Menschen, die ein paar Mal in ihrem Leben Sex mit verschiedenen Partnern oder Partnerinnen hatten, können dies wohl bestätigen. Natürlich kommt der allgegenwärtige Phallus immer dann ins Spiel, wenn männliche Sexualität gezeigt wird. Eine Erektion im Porno ist sehr viel offensichtlicher als ein vergleichbares Anschwellen der Klitoris. Weibliche Lust optisch darzustellen, ist eine Herausforderung, an der leider viele Pornos scheitern. Genau wie viele andere Filmgenres an der Darstellung von Gefühlen, Handlungen oder Zusammenhängen. Ein Orgasmus beim Mann ist leicht zu filmen, eine Ejakulation – beim Porno „Cum Shot“ oder „Money Shot“ genannt – ist ein unverzichtbarer dramaturgischer Bestandteil des Genres. Der Orgasmus der Frau spielt sich optisch im Verborgenen ab. Das hat nichts mit phallischer Macht zu tun, sondern eher mit dem filmischen Können, nicht immer nur das Offensichtlichste zu zeigen. Die weibliche Lust muss mit anderen Mitteln, oftmals mit Ton dargestellt werden. Was man bei der Frau nicht sieht, weil es im Inneren des Körpers passiert, kann man zumindest akustisch vermitteln, weshalb das oft nervige und zuweilen als peinlich empfundene Gestöhne im Porno hauptsächlich den Zweck hat, weibliche Lust aufzuzeigen. Man kann Porno betrachten, wie man will: als eines von vielen Genres der Unterhaltungsindustrie, als Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse oder als Parodie auf die real gelebte Sexualität des westlich zivilisierten, meist heterosexuellen Menschen. Es bleibt – wie die Politik oder das Musical – letztlich Geschmackssache, nicht mehr. MANUELA KAY, 42, ist Chefredakteurin des Lesbenmagazins „L-Mag“. 1994 drehte sie den Porno „Airport“. Am 21. Oktober spricht sie in der Berliner Galerie Tristesse deluxe zum Thema lesbische Pornografie
MANUELA KAY
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Kinder fragen, die taz antwortet: Warum dürfen Große so oft daddeln? - taz.de
Kinder fragen, die taz antwortet: Warum dürfen Große so oft daddeln? Die achtjährige Marlen möchte wissen, warum Erwachsene häufiger an elektronische Geräte dürfen als Kinder. Wir haben eine Expertin befragt. Wieviel Bildschirmzeit ist okay? Foto: Lightsy/imago Anfang November wollten wir von Kindern wissen, welche Fragen sie zurzeit beschäftigen. Hier beantworten wir jede Woche eine. Wieso Erwachsene häufiger an elektronische Geräte dürfen als Kinder, wollte Marlen, 8 Jahre alt, wissen. Laptops, Tablets oder Smartphones nutzen mittlerweile fast alle Menschen, egal wie alt sie sind. Also auch Kinder. Manchmal bitten Erwachsene ihre Kinder sogar um Hilfe, weil sie eine App nicht verstehen – wieso dürfen sie also länger daddeln? Die taz hat bei Nadine Kloos nachgefragt. Sie betreut das Projekt Flimmo, ein Beratungsangebot für Eltern rund um Bewegtbilder und Bildschirmzeit. Laut Nadine Kloos müssen wir erst einmal lernen, mit den Geräten und deren Inhalten umzugehen. „Nur weil ich sie nutze, weiß ich noch nicht, wie sie funktionieren“, sagt Kloos. Das sei so wie bei Süßigkeiten. Die sind zwar lecker, aber wenn wir sie immer und unbegrenzt zu uns nehmen würden, wäre das nicht so gut für uns. taz am wochenendeDieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk, im praktischen Wochenendabo und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter. Regeln sind also wichtig, um die eigenen Grenzen und auch die Medien selbst besser kennenzulernen. Erwachsene haben meist schon gelernt, wie lange lang genug ist. „Zumindest sollen sie es gelernt haben“, sagt die Medienpädagogin. „Wenn wir den ganzen Tag vor der Glotze hängen würden, hätten wir gar keine Zeit mehr für Freunde, Sport oder andere Interessen.“ Aber genau so was sei eben ganz wichtig, um neue Eindrücke zu bekommen, um gesund und glücklich zu leben. Nur, woher wissen Eltern eigentlich, wie oft und wie lange Medien gut für Kinder sind? Eltern können sich bei ihren Regeln für ihre Kinder an Empfehlungen von Expertinnen wie Kloos orientieren. Dabei sollte es aber nicht nur darum gehen, wie lange Kinder Medien nutzen sollten, sondern auch darum, welche Inhalte überhaupt in Ordnung sind. „Es gibt im Fernsehen und im Internet auch viele Inhalte, die uns ängstigen oder die Kinder noch nicht verstehen können“, sagt Nadine Kloos. Sie gibt auch das Beispiel Harry Potter. Marlen würde das Buch bestimmt auch nicht einem 3-Jährigen vorlesen. „Sie würde sicher zustimmen, dass das Buch für ein Kind in dem Alter zu kompliziert und zu aufregend ist.“ Elektronische Medien sind aber nicht nur schädlich, sondern haben auch viele gute Seiten. „Aber was und wie oft wir sie nutzen, schauen, lesen und hören, muss zu unserem Alter passen.“ Regeln sind also ein bisschen nervig, aber sie sind eigentlich nur dafür da, dass wir uns an die Dinge herantasten können. Das Gute an Regeln sei laut Kloos auch, dass sie sich ändern können.
Linh Tran
Die achtjährige Marlen möchte wissen, warum Erwachsene häufiger an elektronische Geräte dürfen als Kinder. Wir haben eine Expertin befragt.
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Zusammenstöße in Kaschmir: Delhi lenkt mit Gewaltbildern ab - taz.de
Zusammenstöße in Kaschmir: Delhi lenkt mit Gewaltbildern ab Der indische Teil Kaschmirs kommt nach der Beendigung des Sonderstatus nicht zur Ruhe. Daran hat die Regierung in Delhi derzeit auch wenig Interesse. Indische Soldaten patrouillieren in Kaschmir an der Grenze zu Pakistan Foto: Channi Anand/AP/dpa DELHI taz | Die Titel indischer Zeitungen zeigten zu Wochenbeginn Trümmer und Rauchschwaden. Denn an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir war es wieder zu Zusammenstößen und Todesopfern gekommen. Der Zeitpunkt könnte für Indiens hindunationalistische Regierung kaum besser sein. Denn am Montag waren Wahlen im Bundesstaat Maharashtra mit der Wirtschaftsmetropole Mumbai (Bombay). Indiens Militärschlag gegen mutmaßliche pakistanische Terroristen begann einen Tag vor der Wahl und verdrängte unliebsame Themen wie die kränkelnde Wirtschaft aus den Medien. 2019 sei die Waffenstillstandslinie in Kaschmir von Pakistan schon 650 Mal verletzt worden, schreibt die Times of India unter Berufung auf Indiens Militär, meist in den letzten zwei Monaten. Seit einem Suizidanschlag auf indische Hilfspolizisten im Februar haben sich die Beziehungen zwischen den Erzrivalen dramatisch verschlechtert. Bilder von Soldaten, die fürs Mutterland („Mata India“) kämpfen, machen sich für die Regierung besser als Berichte über indische Militärs, die in Kaschmir Menschenrechte verletzen. Am 5. August hatte Delhi dem Bundesstaat Jammu und Kaschmir den Sonderstatus entzogen und ihn unter Direktverwaltung gestellt. Telefonnetze und Internet wurden blockiert, Politiker in Kaschmir interniert. Seitdem werden ganz im Sinne der Regierung in Delhi kaum noch Nachrichten aus Kaschmir öffentlich. Stark einschränkte Kommunikation „Die Kommunikation ist noch stark eingeschränkt“, sagt der in Kaschmir lebende Filmemacher Tassaduq Hussain. So habe er von der jüngsten Gewalt nichts mitbekommen. Es scheint, als wüssten die Menschen außerhalb Kaschmirs besser Bescheid als die dortigen. Die in Delhi lebende kaschmirische Politikern Shehla Rashid macht online auf die Lage der Kaschmirer aufmerksam. Gegen die 31-Jährige läuft schon ein Verfahren wegen Aufruhr. „Die UN hätten im September Aktivisten aus Kaschmir zur Vollversammlung nach New York einladen sollen“, sagt sie. Schließlich sei auch Schwedens Klimaaktivistin Greta Thunberg als Nichtexpertin geladen gewesen. Erst als die Welt auf Kaschmirs Autonomieverlust hingewiesen wurde, hätte Delhi auf Kritik reagiert. Rashid klagt auch vor dem Oberstem Gericht. Verhandelt wurde noch nicht. Stattdessen geht die Regierung gegen Kritiker vor. In Srinagar wurden protestierende Frauen festgenommen, darunter Angehörige von Oppositionspolitikern. „Trotz der prekären Lage schließen Ladenbesitzer in Kaschmir ihrer Geschäfte aus Protest. Kaschmirische Apfelbauern verweigern die Ernte“, sagt Rashid. Versammlungen von mehr als fünf Personen sind verboten Raum für Protest gebe es nicht. Versammlungen von mehr als fünf Personen bleiben verboten. „Kaschmirs Bevölkerung fühlt sich ungerecht behandelt“, sagt der Menschenrechtler Sanam Wazir. Ihn sorgt die prekäre Gesundheitsversorgung. „Kaschmir ist in einer medizinischen Notlage. Es fahren weder öffentliche Transportmittel, um Krankenhäuser zu erreichen, noch gibt es bei ernsten Erkrankungen Medikamente.“ Offiziell ist das kein Thema. Der Twitter-Kanal der kaschmirischen Regierung zeigt lieber Bilder einer beleuchteten Brücke in Srinagar. Für Indiens Premier Narendra Modi ist die Kongress-Partei, die früher in Delhi regierte, schuld an Kaschmirs Misere. Dabei misst Modi dem militärischen Schlagabtausch selbst offenbar keine große Beachtung bei. Lieber zeigt er zur Wahl Selfies mit Bollywood-Größen. Am 31. Oktober sollen Jammu und Kaschmir in zwei Delhi direkt unterstellte Unionsgebiete aufgeteilt werden. Damit möchte die regierenden Hindunationalisten ein Versprechen an Indiens hinduistische Mehrheit erfüllen. Ihre Vision von einem geeinten Indien sei nur möglich, wenn der Staat Jammu und Kaschmir seine Sonderrechte verliert. Bisher war es der einzige Bundesstaat mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit. Von dessen Teilung erhofft sich Delhi mehr Einfluss. Dabei war der Sonderstatus die Bedingung, dass sich bei der Aufteilung Britisch-Indiens 1947 das damalige Fürstentum Indien anschloss.
Natalie Mayroth
Der indische Teil Kaschmirs kommt nach der Beendigung des Sonderstatus nicht zur Ruhe. Daran hat die Regierung in Delhi derzeit auch wenig Interesse.
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Der Domain-Gründer - taz.de
Der Domain-Gründer Noch endet die Internetadresse der taz mit einem schnöden „.de“ – bald aber könnte diese Webadresse mit .hiv enden, und so einen Beitrag leisten im Kampf gegen die Immunschwächekrankheit Aids. Der gebürtige Flensburger Michael Trautmann hat dafür mit seiner Hamburger Werbeagentur Thjnk die Top-Level-Domain „.hiv“ gekauft. Die geht am 26. August online und jeder kann sich dann eine Domain sichern, die mit .hiv endet. Die Gebühren für die Domain, etwa 150 Euro pro Jahr, werden dann gespendet. So soll ein Zeichen gegen das Virus gesetzt werden, an dem sich weltweit mehr als 60 Millionen Menschen infiziert haben. Möglich gemacht hat das der 49-jährige Werbefachmann Trautmann. Sein Interesse für die Krankheit wuchs, als er vor fünf Jahren an einer Anti-Aids Kampagne arbeitete: „Damals ist mir bewusst geworden, dass Aids immer noch ein Thema ist.“ Zudem ist Trautmann mit Ex-Tennisprofi Michael Stich befreundet, der sich schon seit Jahren im Kampf gegen Aids engagiert. Seit über vier Jahren arbeitet Trautmann mit seinem Team nun daran, die Idee der .hiv-Domain umzusetzen. 2011 wurde dafür die gemeinnützige Organisation Dot.hiv.org gegründet. Keine einfache Aufgabe: Schon die Vorbereitung war kompliziert, 2012 bewarb sich Trautmanns Team dann offiziell – der Antrag war 200 Seiten lang. Und es war teuer: „Wir mussten sehr viel Geld einsammeln. Es galt eine Menge von Skeptikern zu überzeugen und sie zu Mitstreitern zu machen“, sagt Trautmann. Ungefähr 600.000 Euro sammelte er bei Firmen für das Projekt ein. Der Start der Domain „.hiv“ soll aber erst der Anfang sein: „Wir wollen Aufmerksamkeit für ein Thema gewinnen, dass immer mehr in Vergessenheit gerät“, sagt der zweifache Familienvater. Er hält es für möglich, mit „.hiv“ in einigen Jahren mehr als 100 Millionen Dollar im Jahr für den Kampf gegen Aids zu sammeln. Vielleicht wird dann auch taz.hiv einen Beitrag dazu leisten.  KLES
KLES
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Militärschlag gegen Syrien: Vorerst Ruhe nach dem Twitter-Sturm - taz.de
Militärschlag gegen Syrien: Vorerst Ruhe nach dem Twitter-Sturm Führt ein westlicher Angriff auf das syrische Regime zu einer internationalen Konfrontation? Diplomatie soll das verhindern. Geglättete Wogen: Können diplomatische Bemühungen einen Militärschlag noch verhindern? Foto: reuters BERLIN taz | In den USA, Großbritannien und Frankreich schreiten die Planungen für einen Militärschlag gegen das Assad-Regime in Syrien weiter voran. Die Regierung in Washington berief für Donnerstag eine Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates ein, auf der Entscheidungen über einen Militäreinsatz getroffen werden könnten. Die britische Premierministerin Theresa May wollte im Laufe des Tages auf einer Kabinettssitzung Pläne zur Beteiligung Großbritanniens absegnen lassen, gefolgt von einer Sitzung des britischen Sicherheitskabinetts „Cobra“. „Alle Optionen sind auf dem Tisch“, hatte zuvor die Sprecherin des Weißen Hauses, Sarah Sanders, gesagt. Ihr Chef Donald Trump stiftete in bewährter Manier am frühen Morgen (Ortszeit) Verwirrung auf Twitter, indem er mitteilte, eine Militäraktion könne „sehr bald oder gar nicht bald“ stattfinden und er habe nie einen präzisen Zeitpunkt genannt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erklärte in einem TV-Interview am Donnerstagmittag, dass Entscheidungen „zum gegebenen Zeitpunkt, wenn wir es für am nützlichsten und effizientesten halten“ getroffen werden würden. Er hängte sich auch am weitesten aus dem Fenster, was den von medizinischen Helfern bestätigten Giftgasangriff auf Zivilisten in der Stadt Douma bei Damaskus am vergangenen Samstagabend angeht: „Chemische Waffen wurden eingesetzt, zumindest Chlor, und sie wurden vom Assad-Regime eingesetzt“, so Macron; dafür habe er „Beweise“. Sollte es zu einem Militärschlag gegen Assad kommen, wird er ohne Deutschland stattfinden. „Deutschland wird sich an eventuellen – es gibt ja keine Entscheidung, ich will das noch mal deutlich machen – militärischen Aktionen nicht beteiligen“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Donnerstag in Berlin. „Aber wir sehen und unterstützen, dass alles getan wird, um Zeichen zu setzen, damit dieser Einsatz von Chemiewaffen nicht akzeptabel ist.“ Deutschland scheint einen Militärschlag aber zumindest politisch mitzutragen. „Es ist ganz wichtig, dass wir uns abstimmen und in diesen Fragen zusammenbleiben“, sagte Bundesaußenminister Heiko Maas bei einem Treffen mit seinem britischen Amtskollegen Boris Johnson auf einer Militärbasis bei Oxford. Zuvor hatte Maas in Irland gesagt: „Wenn man den Druck auf Russland aufrechterhalten will, dann können die westlichen Partner jetzt nicht auseinanderlaufen.“ Die Zeichen stehen auf Deeskalation Nach der Aufregung, die die vermeintliche Ankündigung eines Raketenangriffs auf Syrien durch Trump am Mittwoch verursacht hatte – in einem Tweet, der vor allem eine Antwort auf die russische Drohung darstellte, US-Raketen abzuschießen –, standen die Zeichen am Donnerstag insgesamt eher auf einen langen Atem und den Versuch, jede geopolitische Eskalation im Vorfeld zu vermeiden. Wichtigstes Anzeichen dafür sind Kontakte zwischen den Generalstäben in den USA und Russland, über die unter anderem die russische Zeitung Kommersant berichtete. Ein Punkt dabei soll sein, dass Russland von den USA erwartet, vor einem Angriff die Koordinaten der Angriffsziele zur Verfügung zu stellen, damit keine Russen zu Schaden kommen. Die USA wiederum erwarten, dass Russland im Gegenzug auf einen eigenen Gegenschlag verzichtet. Heiko Maas, Bundesaußenminister„Wenn man den Druck auf Russland aufrechterhalten will, dann können die westlichen Partner jetzt nicht auseinanderlaufen“ „Wir suchen keine Eskalation“, sagte eine Sprecherin von Russlands Außenminister Sergei Lawrow am Donnerstagnachmittag vor Journalisten in Moskau. In den Tagen zuvor hatten russische Politiker mehrfach gedroht, auch die Abschussorte von US-Raketen, die auf Syrien abgefeuert werden, anzugreifen – also US-Kriegsschiffe im Mittelmeer. Verschiedene Berichte sprechen auch von Vermittlung der Türkei und Israels. Der ­türkische Präsident Erdoğan und der israelische Regierungschef Netanjahu haben sowohl zu Washington als auch zu Moskau gute Beziehungen und haben eigene wichtige Interessen im Syrienkonflikt. Sie haben sowohl mit Putin als auch mit Trump telefoniert, wird von offiziellen Stellen bestätigt. Auch der „heiße Draht“ zwischen den Generälen der USA und Russlands in der Region, der in vergangenen Jahren beispielsweise Konfrontationen zwischen den jeweiligen Luftwaffen im syrischen Luftraum vermieden hat, ist wieder aktiv. In Erwartung der Option, dass Russlands Militär bei einem westlichen Angriff auf Syrien verschont bleibt, hat Berichten zufolge Syriens Regierung ihre gesamte Luftwaffe mittlerweile auf russische Basen verbracht. Syriens Regierung verzeichnet auch einen weiteren Etappensieg: Die Rebellengruppe Dschaisch al-Islam (Armee des Islam) übergab die Stadt Douma, die letzte noch von Rebellen gehaltene Stadt in der Region Ost-Ghouta östlich der syrischen Hauptstadt Damaskus, am Mittwoch offenbar kampflos an die russische Militärpolizei. Die Rebellenführer ließen sich in das von türkischen Truppen gesicherte syrische Rebellengebiet im Norden Syriens evakuieren. (mit dpa, afp)
Dominic Johnson
Führt ein westlicher Angriff auf das syrische Regime zu einer internationalen Konfrontation? Diplomatie soll das verhindern.
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Zionismuskritik an Kunsthochschule in Berlin: Zoff um Antisemitismus-Vorwurf - taz.de
Zionismuskritik an Kunsthochschule in Berlin: Zoff um Antisemitismus-Vorwurf Ein Projekt von jüdisch-israelischen Studierenden steht wegen vermeintlicher BDS-Nähe unter Druck. Die Gelder sind gestrichen, ein Prof wehrt sich. Ist die Kunst hier noch frei? Kunsthochschule in Berlin-Weißensee Foto: Christian Behring/Pop-Eye/picture alliance BERLIN taz | Eine Gruppe jüdischer KunststudentInnen in Berlin organisiert eine zionismuskritische Veranstaltungsreihe. Die Reaktionen: Eine regierungsnahe israelische Zeitung skandalisiert den Fall. Volker Beck, Ex-Grüner Bundestagsabgeordneter, postet, dass mit „Steuergeldern ein Antizionismusspektakel finanziert wird“, und alarmiert das zuständige Ministerium. Die israelische Botschaft sieht „eine Delegitimierung Israels und Antisemitismus“ am Werk. Der Vorwurf lautet Nähe zu BDS (boycott, divestment, sanctions), einer in Palästina gegründete internationalen Bewegung, die mit mäßigem Erfolg auf Israel-Boykott setzt. Der Bundestag hat 2019 beschlossen, dass mit staatlichen Geldern keine Veranstaltungen finanziert werden, in denen ein Boykott Israels befürwortet wird. Manchmal reicht schon der Verdacht der BDS-Nähe, um die Nutzung städtischer Räume zu verbieten. Bei dem Projekt „School for Unlearning Zionism“, organisiert von jüdischen Studierenden der weißensee kunsthochschule berlin ist das, folgt man Volker Beck, der Fall. Das Forschungsministerium erklärte eilig, dass man den Anti-BDS-Beschluss sehr ernst nehme und es keine finanzielle Unterstützung des Projekts gebe. Auch die weißensee kunsthochschule berlin beteuerte, sich an an den Anti-BDS-Beschluss zu halten, entfernte die website der Veranstaltungsreihe und Kunstinstallation „School for Unlearning Zionism“ und strich die Gelder. Mathias Jud (46), Schweizer Künstler und derzeit Gastprofessor an der Kunsthochschule, war erstaunt, dass die Finanzierung des von ihm betreuten Projekts plötzlich gesperrt war. Niemand habe mit ihm davor gesprochen. „Das ist ein direkter Eingriff in die Freiheit der Lehre“, so Jud zur taz. Das BDS-Argument leuchtet ihm nicht ein. Der BDS-Beschluss des Bundestags richte sich doch gegen einen Boykott „israelischer WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen“ – hier werde dieser Beschluss nun als Vorwand genutzt, „um ein Projekt von jüdisch-israelischen StudentInnen zu boykottieren, die sich mit ihrem Staat, Religion und Geschichte beschäftigen“, so Jud. „Wir lassen uns nicht stumm schalten“ Angesichts der pauschalen Absage, das Projekt zu finanzieren, und der Abschaltung der Website könne „man hier von Boykott reden“, so Jud. Volker Beck argumentiert hingegen, dass „die Veranstaltung nicht verboten werden soll“. Der Protest richte sich gegen die staatliche Unterstützung. Die Finanzierung des Projekts war Jud zufolge zugesichert. Nun hat die Hochschule sie entzogen. Jud will sich damit nicht abfinden. „Für mich ist es klar, dass dieses Programm von der Hochschule bezahlt werden muss.“ Das Gesamtbudget für die Installation und die elf Onlinevorträge und Debatten liegt unter 2.000 Euro. Yehudit Yinhar, Kunststudentin und Aktivistin, hat das Projekt „School for Unlearning Zionism“ und die Veranstaltungsreihe „October Program“ mitorganisiert, die in Hebräisch und Englisch stattfinden. „Unlearning Zionism“ bedeute, so Yinhar, „Macht und Privilegien der eigenen Gruppe sichtbar und sich das eigene hegemoniale Narrativ bewusst zu machen“. In der Onlinereihe treten unter anderem kritische jüdische Israelis auf, wie der israelische Historiker Ilan Pappe, Iris Hefets und Shir Hever, beide im Vorstand der Berliner „Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden“. Yinhar, die seit 2010 in Berlin lebt, kritisiert, dass sich deutsche Institutionen anmaßen, jüdische Aktivisten als Antisemiten zu sanktionieren. Die Botschaft sei: „Wir sollen staatskonform sprechen, sonst bekommen wir keine Gelder. Das gilt nicht nur für uns, sondern auch für andere marginalisierte Gruppen.“ Kritik an Zionismus mit Antisemitismus zu identifizieren und „ja oder nein zu BDS zum Rahmen des gesamten Diskurses zu machen“, hält die 35-jährige für den Versuch, kritische Stimmen mundtot zu machen. Die Veranstaltung finden weiterhin statt. „Wir lassen uns nicht stumm schalten“, so Yinhar. Die Amadeu Antonio Stiftung, eine antirassistische NGO, führt das Projekt „School for Unlearning Zionism“ inzwischen in ihrer Chronik antisemitischer Vorfälle auf. Dort wird es direkt neben Nazischmierereien in Leipzig genannt. Yinhar, in Israel in einem Kibbuz aufgewachsen und Enkelin einer 1938 aus Berlin geflohenen deutschen Jüdin, macht das fassungslos. „Wie kann man uns und unsere Arbeit in einem Atemzug mit Neonazis nennen? Wollen deutsche Institutionen so Rassismus und Antisemitismus bekämpfen?“
Stefan Reinecke
Ein Projekt von jüdisch-israelischen Studierenden steht wegen vermeintlicher BDS-Nähe unter Druck. Die Gelder sind gestrichen, ein Prof wehrt sich.
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Terror in Ostafrika: Somalias Shabaab töten in Kenia - taz.de
Terror in Ostafrika: Somalias Shabaab töten in Kenia Gerade hat Kenia seine Grenze zu Somalia wieder geöffnet. Auch die dortige Eingreiftruppe gegen Shabaab zieht ab. Nun schlägt die Gruppe in Kenia zu. Angriffe gab es auch schon früher: im Juni 2014 stehen Bewohner in Mpeketoni beieinander Foto: Joseph Okanga/reuters KAMPALA taz | „Sie kommen jedes Jahr zur gleichen Zeit, um uns anzugreifen“, berichtet Monica Wangui der taz am Telefon. Die 26-jährige Kenianerin stammt gebürtig aus dem Verwaltungsbezirk Lamu mit der gleichnamigen Insel im Indischen Ozean. Heute arbeitet sie in der örtlichen Bezirksverwaltung, auf dem Festland, nur einen Steinwurf von der Grenze zu Somalia entfernt. Aus Somalia dringen immer im Juni die Kämpfer der radikalen islamistischen Miliz Al-Shabaab ein. Am 16. Juni 2014 töteten sie in der kenianischen Kleinstadt Mpeketoni über 60 Menschen; Schulen, Polizeistationen und Häuser wurden niedergebrannt. „Jedes Jahr, wenn wir den Toten von 2014 gedenken, werden wir wieder angegriffen. Es ist wie ein alljährlich wiederkehrendes Trauma“, erzählt Wangui und berichtet vom vergangenen Sonntagabend in den zwei Dörfern Juhudi und Salama. „Zunächst hörten wir Schüsse.“ Die Menschen verbarrikadierten sich in ihren Häusern, aber das nützte nichts. „Sie haben fünf Männern den Kopf abgehackt, darunter einem 19-jährigen Jungen.“ Der neue Terrorangriff fällt zusammen mit dem beginnenden Abzug der afrikanischen Eingreiftruppe, die in Somalia seit Jahren die Shabaab bekämpft. An der 2007 von der Afrikanischen Union (AU) aufgestellten und vom UN-Sicherheitsrat autorisierten Friedensmission Amisom waren zunächst Uganda und Burundi, später auch Äthiopien und Kenia beteiligt. Skeptische Stimmen zum Abzug Vergangenes Jahr entschied die AU, der Kampf gegen die Shabaab sei so erfolgreich, dass man die militärische Hoheit jetzt schrittweise der somalischen regulären Armee übergeben könne. Diese wurde in den vergangenen Jahren von internationalen Ausbildern trainiert, darunter auch deutschen Soldaten. Etappenweise sollen bis Ende 2024 alle Eingreiftruppen aus Somalia abziehen. Von einst knapp 20.000 Soldaten sollen ab Ende Juni im Rahmen der Übergangsmission ATMIS (African Union Transition Mission in Somalia) nur noch 2.000 übrig bleiben. Bis Ende 2024 sollen auch diese gehen. Die Truppensteller wie Uganda und Burundi fiebern diesem Abzug entgegen. Sie haben in Somalia viele blutige Verluste hinnehmen müssen. Erst Anfang Juni überfiel die Shabaab eine ugandische Armeebasis in Somalia und tötete mit einer Bombe versteckt in einem Fahrzeug 54 Soldaten. Experten sehen den Abzug jedoch mit Skepsis. ATMIS-Chef Mohamed Souef erklärte dem UN-Sicherheitsrat neulich, dass er die Militärmission gerade umstrukturiere, um die Miliz noch einmal deutlich zu schwächen. Zahlreiche Militärbasen würden nun der somalischen Armee übergeben. Die AU-Truppen, vor allem kenianische und äthiopische Verbände, würden jetzt in kleinen Spezialeinheiten noch einmal eine Offensive gegen die Shabaab führen. Um endgültig abzuziehen, sei eine „kollektive Anstrengung“ notwendig. Gleichzeitig forderte die UN-Somalia-Beauftragte Catriona Laing alle internationalen Partner dazu auf, „sich zu beteiligen und den Menschen zusätzliche Unterstützung zukommen zu lassen“. Gemeint ist damit auch die humanitäre Hilfe. Fast die Hälfte der somalischen Bevölkerung leidet aufgrund des voranschreitenden Klimawandels und der katastrophalen Sicherheitslage an Hunger, weil sie kaum selbst etwas anbauen können. Dieses Jahr sei erneut die Regenzeit von März bis Juni ausgefallen, meldet das UN-Welternährungsprogramm WFP und warnt: „Um eine humanitäre Katastrophe abzuwenden, ist sofortiges Handeln erforderlich.“ In Anbetracht der desaströsen Lage befürchtet Monica Wangui in Kenia jetzt, dass Shabaab-Angriffe in Zukunft zunehmen. Erst vergangene Woche hat Kenias Innenministerium in Lamu die Grenze nach Somalia wieder geöffnet, nach zwölf Jahren Schließung aus Sicherheitsgründen. „Über diese offenen Grenzen sehen wir nun auch unsere kenianischen Soldaten wieder zurückkehren“, sagt Wangui und berichtet: „Die Menschen hier sind sehr verärgert über unsere Regierung, weil sie uns nicht zu schützen vermag.“ Am Abend des Shabaab-Angriffs hätten die Betroffenen die Polizei verständigt, sie sei aber erst am nächsten Morgen angerückt.
Simone Schlindwein
Gerade hat Kenia seine Grenze zu Somalia wieder geöffnet. Auch die dortige Eingreiftruppe gegen Shabaab zieht ab. Nun schlägt die Gruppe in Kenia zu.
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Bürger gegen Windparks: Lieber dezentral Strom erzeugen - taz.de
Bürger gegen Windparks: Lieber dezentral Strom erzeugen Strom aus Offshore-Windanlagen werde überschätzt und neue Stromtrassen seien großenteils überflüssig. So lautet das Fazit der Einwendungen zum Planverfahren. Der Aufbau von maritimen Windparks ist eine willkommene Materialschlacht für die Industrie. Hier: Tripoden zur Verankerung der Windräder im Meer. Bild: dpa BERLIN taz | Viele Bürger glauben nicht an die Sinnhaftigkeit der neuen Windparks auf dem Meer. Und deshalb sprechen sie sich auch dagegen aus, tausende Kilometer neuer Leitungen für den Windstrom durch Deutschland zu bauen. Das ist der Haupttrend bei den rund 1.500 Stellungnahmen von Bürgern und Organisationen im Planungsverfahren für die künftigen Trassen. Die vier Betreiberfirmen des Höchstspannungsnetzes wollen vier große Leitungen von Nord- und Ostsee in die süddeutschen Ballungszentren bauen. Hinzu kommt eine Reihe kleinerer Projekte. Rund 1.500 Personen und Organisationen haben sich in das Planungsverfahren eingeschaltet. Einer der Einwender ist Hartmut Lindner von der Bürgerinitiative „Biosphäre unter Strom“ im brandenburgischen Chorin. Seine Position fasst er so zusammen: „Wenn man die dezentrale Stromproduktion stärker berücksichtigte, nähme der Bedarf für den Ausbau des Netzes ab.“ Bundesregierung und Netzunternehmen unterschätzten das Potenzial der erneuerbaren Energien an Land systematisch. Die Regierung liegt falsch, sagt der Experte Ähnlich sieht das Volker Quaschning, Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Die Regierung liege falsch, wenn sie damit rechnet, dass die Solarenergie im Jahr 2050 nur bis zu 79 Gigawatt Strom erzeugen könne. Weil die Kosten der Solarproduktion sänken, der Preis konventionell erzeugten Stroms hingegen weiter steige, würden Solaranlagen immer attraktiver. Quaschning hält deshalb bis zu 200 Gigawatt im Jahr ab 2050 für möglich. Dann aber seien die geplanten Nord-Süd-Leitungen mindestens teilweise überflüssig. Weitere Einwände betreffen den Umweltschutz. Aktivist Lindner etwa kritisiert, dass eine geplante Leitung in Brandenburg mit 350 Masten drei Naturschutzgebiete durchschneide, darunter das Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin. Lebens- und Wohnqualität, Räume für Tiere: bedroht Andere Bürger beklagen die Beeinträchtigung ihres Wohnumfeldes. Eine Familie fürchtet, die Freileitung werde „Lebens- und Wohnqualität“ sowie „Räume für Wildtiere zerstören“. Wenn überhaupt, solle man die Trassen parallel zu Autobahnen und Bahnlinien bauen, fordern viele. Die Stellungnahmen der Bürger sind für die Netzbetreiber nicht bindend. Sie – und die Bundesnetzagentur als Genehmigungsbehörde – müssen sie allerdings nachvollziehbar würdigen. Die veröffentlichten Kommentare finden sich ab heute auf www.netzentwicklungsplan.de.
Hannes Koch
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Essai d'Achille Mbembe: Lettre aux Allemand.e.s - taz.de
Essai d'Achille Mbembe: Lettre aux Allemand.e.s En exclusivité pour TAZ: Le philosophe camerounais répond aux attaques en présentant les racines africaines et la portée globale de sa pensée Achille Mbembe en Allemangne 2015 Foto: Matthias Balk/dpa Je ne me considère pas du tout en procès en Allemagne. Pour qui veut s’engager dans un débat constructif avec mon oeuvre dont une partie seulement est traduite en langue allemande, j’aimerais néanmoins fournir ici quelques clés d’interprétation. Comprendre la généalogie d’une oeuvre et ses contradictions éventuelles exige de savoir dans quel contexte elle est née et s’est développée, quelles sont les grandes questions auxquelles elle tente de répondre et dans quel idiome, dans quels grands débats elle s’inscrit et quels en ont été les grands tournants. Ceci vaut pour tout produit de l’esprit, peu importe la région du monde d’où il provient, ou la langue dans laquelle il est mis en forme. Pour qui cherche véritablement à saisir le sens de ma démarche, ou le contenu de ma réflexion dans la perspective d’un dialogue interculturel, les interrogatoires ne sont d’aucune utilité. L’époque étant à la recherche de boucs émissaires, aux excommunications et à la distribution des anathèmes, j’espère que ces clés aideront à ouvrir la voie à un débat raisonné sur les grandes questions morales et politiques qui opposent certains d’entre nous. Ma pratique intellectuelle peut être définie comme un incessant voyage ou, plutôt, comme un déplacement sans fin d’un rivage à l’autre. C’est ce que j’appelle la traversée. Elle exige de sortir du confort de ce que l’on sait déjà et de s’exposer consciemment à ce qui menace de déstabiliser ses propres certitudes. Penser, dans ce contexte, c’est prendre des risques, y compris le risque d’être mal compris ou mal interpreté. Un tel état d’esprit est peut-être le propre de ceux qui, nés quelque part, sont partis très tôt et ne sont plus jamais revenus au bercail. Le double héritage du Cameroun Au Cameroun où je suis né, j’ai reçu un double héritage. Le tout premier découle de mon éducation scolaire dans d’excellentes institutions chrétiennes. Je n’ai pas seulement été exposé à la culture européenne classique. L’Eglise catholique, ses dogmes, son catéchisme et ses mythologies ont, très tôt, fait partie de mon imaginaire. C’est ce qui explique peut-être le fait que plus tard, le christianisme en tant que tel soit devenu l’un des objets de ma réflexion. Ayant compris ce dernier comme, avant tout, un régime de vérité, l’on peut dire que ce à quoi je me serai attelé dès le début de mon parcours intellectuel, c’est à une critique de l’Absolu. Les théologies de l’Absolu ne sont pas seulement propres aux Eglises. Elles sont aussi le propre des pouvoirs profanes. Ce fut le cas de l’Etat dans nos contrées. L’Etat, sous sa forme coloniale ou sous celle des tyrannies postcoloniales, deviendra très vite l’autre objet privilégié de mon travail. Le deuxième héritage, je l’ai reçu de ma grand-mère, une paysanne illettrée qui avait participé à la lutte contre le colonialisme et y avait perdu son fils unique, assassiné par l’armée française le 13 septembre 1958. C’est elle qui m’a introduit à la question de l’anticolonialisme et à celle des mémoires oubliées, en particulier les mémoires des vaincus de l’histoire. Or justement, quel que soit l’angle à partir duquel on les examine, les peuples d’Afrique appartiennent à ces vaincus de l’histoire. Comment, en tant que communauté historique, sortir de la défaite et apprendre à gagner de nouveau? C’est une question qui aura retenu mon attention dès mon enfance. Il se trouve que, de tous les territoires sous domination coloniale française en Afrique sub-saharienne, le Cameroun fut le seul ou la revendication d’autonomie se termina par un conflit armé. Le mouvement nationaliste, qui avait conduit la résistance, fut militairement vaincu. S’appuyant sur les dispositifs d’Etat, ceux qui prirent le pouvoir au lendemain de l’indépendance firent tout pour effacer la mémoire de cette résistance. Mes premiers travaux académiques portent précisément sur cette tentative de manufacture de l’oubli. Cette expérience d’effacement de la mémoire des vaincus a joué un rôle majeur dans mes réflexions sur les politiques du souvenir et sur mes analyses de l’Etat postcolonial et des figures contemporaines de la tyrannie. Et ce n’est que petit à petit que j’ai fini par comprendre que ceci n’était guère le propre des pouvoirs africains. Je dois ajouter que c’est aussi ma grand-mère qui m’a introduit à la lecture de la Bible. Adolescent, j’ai trouvé dans la Bible un univers extraordinaire qui m’est devenu petit à petit familier. Très tôt, dans mon esprit, le récit biblique et le récit anticolonialiste ont été lies l’un a l’autre, au point où j’ai fini par m’attacher à la Bible et à ses figures plus qu’à l’Eglise et à ses dogmes, à la mémoire oubliée des vaincus plus qu’à la théologie de l’Etat qui prétend détenir le monopole de la vérité. Die Kontroverse um Achille Mbembe in DeutschlandAntisemitismusvorwurf: Im März kritisierten der nordrhein-westfälische FDP-Politiker Lorenz Deutsch und der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, die Einladung Achille Mbembes zur Ruhrtriennale. Mbembe sei „ein prominenter Vertreter der in ihrem Kern antisemitischen BDS-Bewegung“, so Deutsch. Unter anderem geht es um einen Text, in dem Mbembe die israelische Besatzung Palästinas als „größten moralischen Skandal unserer Zeit“ beschrieb.Kontroverse Debatte: Seitdem wird in Deutschland heftig über Mbembe gestritten. Manche Stimmen sprechen von Holocaust-Relativierung, andere stellen sich hinter Mbembe und fordern Kleins Entlassung.Internationale Unterstützung: Am Montag erklärten 377 Intellektuelle aus mehr als 30 Ländern ihre Solidarität mit Mbembe und sprachen sich gegen „ideologische oder politische Einmischung und Lackmustests in Deutschland“ aus. Sie drohten, Preisverleihungen und andere Veranstaltungen deutscher Institutionen zu boykottieren, sollten sie eine Gesinnungsprüfung befürchten. Unter den UnterzeichnerInnen: Étienne Balibar, Lila Abu-Lughod, Michael Sorkin u.a.Mbembes Reaktion: Auf Facebook bezog Achille Mbembe am 8. Mai Stellung. Der Text findet sich hier. Un soupçon insurrectionnel Il y a donc, au coeur de ma démarche, un soupçon insurrectionnel, que vient tempérer une fibre utopiste. Cette fibre utopiste, fondée sur l’idée du refus radical des états de fait et des jeux de puissance, ceux qui me persécutent aujourd’hui ne savent pas que c’est dans certaines traditions de la pensée juive que je l’ai trouvée. Quand j’ai quitté le Cameroun pour poursuivre mes études dans les universités françaises, j’avais déjà dans mon esprit les grands thèmes qui allaient orienter mon projet intellectuel dans les années 1980-2000. Le premier avait trait à une critique politique du christianisme. Bien plus qu’une institution dotée d’un pouvoir centralisé, j’avais fini par concevoir le christianisme comme un songe et une vision à la fois. Je voulais savoir ce qui restait de ce songe une fois qu’on l’avait dépouillé de ses expressions dogmatiques. L’Eglise avec ses hiérarchies est-elle l’expression en dernière instance de la communauté? Ou peut-on imaginer des communautés qui n’aient pas, comme tâche première l’exercice du pouvoir, mais le partage, le service et le soin des plus petits d’entre nous? Par-delà l’Eglise, je voulais réfléchir sur la possibilité du commun, de l’en-commun, des communautés qui soient fondées non pas sur la foi et la parenté, mais sur la raison et la solidarité? Non pas sur l’idée de l’Un, mais sur celui du multiple. Non pas sur l’absolutisation de la mémoire de la souffrance et de la défaite, fut-elle provisoire (le Calvaire), mais sur l’anticipation de la résurrection, c’est-à-dire l’espérance d’une vie autre, jamais accomplie car toujours en avant de nous? Ceux et celles qui ont ont lu attentivement Afriques indociles (Paris, Editions Karthala, 1988) savent qu’il s’agit d’un moment-clé dans cette enquête. Pour écrire ce livre, j’ai été obligé de prêter toute l’attention possible à l’histoire des monothéismes. J’ai été obligé de voir dans quelle mesure le monothéisme se définit, dans notre contexte en Afrique, non point contre le polythéisme comme en Grèce, mais contre ce que l’on a appelé l’animisme. J’ai, dans le prolongement de cette problématique, passé beaucoup de temps à étudier les systèmes précoloniaux africains de pensée, à me faire une idée sur la manière dont, chez nous, le cosmos et l’univers tout entier faisaient partie intégrale des forces vitales. L’on ne comprend à peu près rien à ce que je dis et écris si on ne sait pas que tout ce que je dis et écris a ses origines dans les métaphysiques africaines du vivant, dans les conceptions africaines de l’énergie vitale, de la circulation des mondes et de la métamorphose des esprits. Une très grande partie de ma réflexion s’enracine précisément dans ces systèmes dans lesquels le principe de la multiplicité prévaut sur celui de l’Un. Contre la politique de l'identité Le travail sur la mémoire des vaincus ou encore la politique du souvenir se traduira par La naissance du maquis dans le Sud-Cameroun (Paris, Karthala, 1996). La critique de la tyrannie d’Etat débouchera, quant a elle, sur De la postcolonie (Paris, Karthala, 2000). Cet ouvrage, soit dit en passant, ne fait pas de moi un penseur postcolonial, comme beaucoup de commentateurs presses l’ont souvent affirmé. C’est en 2001 que je me suis installé en Afrique du Sud. Tout en étant basé dans ce pays, j’ai longtemps enseigné une partie de l’année aux Etats-Unis. En même temps, j’avais gardé de profonds liens avec la France ou je me rendais fréquemment, et où toute mon oeuvre est publiée. Entre 2001 et 2010, ma vie en Afrique du Sud et le cours du monde m’ont contraint à approfondir le thème de la mémoire, non plus sous l’angle de l’oubli et de la défaite, mais sous celui des identités souffrantes dans leur rapport avec l’éthique de la liberté. Ceci m’a poussé à examiner de près deux cas: l’expérience des Africains-Americains aux Etats-Unis et l’histoire de la ségrégation raciale en Afrique du Sud. Face à ces deux trajectoires fort différentes, il s’agissait de réinterroger le concept d’identité noire (blackness), de cesser d’en faire le paradigme par excellence de la différence, ou du monde à part. Je voulais, par contre, revenir aux traditions de la pensée africaine et diasporique qui insistent sur la ressemblance, la similarité et l’ouverture sur le vaste monde. Je voulais mettre le doigt sur ce qui, dans l’expérience du monde moderne, aura fait l’universalité de la condition nègre. En relativisant les identités raciales, en refusant de les essentialiser et en tournant le dos aux idéologies de la différence, je cherchais à développer une théorie de ce que j’ai appelé l’en-commun. Ce travail s’est traduit par deux ouvrages, Sortir de la grande nuit (Paris, La Découverte, 2010) et Critique de la raison nègre (Paris, La Découverte, 2013). Chacun de ces ouvrages, ainsi que tous ceux qui ont suivi, se termine par un plaidoyer pour l’espérance et pour la réparation. Depuis lors, ma réflexion porte résolument sur les conditions d’émergence d’un monde commun dans les conditions actuelles, marquées qu’elles sont par l’escalade technologique, la crise climatique et la lente combustion de la planète. Quand, dans Critique de la raison nègre, je parle de “l’universalisation de la condition nègre“, c’est précisément pour tourner le dos à la politique de l’identité, l’une des sources contemporaines de l’inimitié. Les théories de la différence et de l’identité servirent autrefois de levier pour les luttes pour l’égalité et la justice. Ce n’est plus le cas aujourd’hui. Elles ont été capturées par les forces du conservatisme et sont devenues des instruments de division absolue. Dans ces conditions, l’impératif est de reprendre avec un nouvel élan, de nouvelles forces, et à partir de toutes les archives du monde,l’enquête sur les possibilités d’une humanité solidaire avec l’ensemble du vivant. Ce retour à l’idée d’une “race humaine“, je m’efforce de l’articuler avec l’idée du vivant dans son ensemble, dans un effort qui intègre cette autre insécable composante qu’est la biosphère. Toute la critique de l’inimitié faite dans Politiques de l’inimitié et dans d’autres textes récents ne vise que ce but. À travers la Bible Israël s'est ancrée chez nous Ceux qui aujourd’hui me persécutent sans raison valable, et qui me doivent des excuses publiques, prétendent avoir trouvé, dans une note au retour d’un voyage en Israël en 1992, la preuve que c’est Israël qui m’aurait fourni le point de départ de mes réflexions. Ce faisant, ils ne sont même pas conscients du racisme et du paternalisme qu’ils véhiculent. La vérité est que je m’efforce de développer une pensée de la traversée – traversée des mers, traversée des frontières, traversée des identités et défétichisation des origines. Il se pourrait que c’est effectivement ce à quoi ils s’opposent finalement, convaincus qu’ils sont, que le temps est aux frontières et aux fortifications. Il y a, en Occident, une longue tradition de récits de voyage. Les récits de voyage ne sont pas des traites d’histoire ou de sociologie. Très souvent, il s’agit d’anecdotes. Leur but est de servir d’astuce pour qui veut s’interroger sur soi-même ou se remettre en question. La littérature européenne est pleine de ce genre de textes dans lesquels le voyageur évoque l’Afrique, la Chine, la Perse ou d’autres régions du monde. Cette évocation n’a pas pour but de dire qui sont véritablement les Africains, les Chinois ou les Iraniens. Elle est toujours comme un miroir grossissant, le plus souvent déformant, qu’ils se tendent a eux-mêmes dans le but soit de se rassurer sur ce qu’ils sont effectivement, soit pour renforcer le sentiment de ce qu’ils croient être. Dans ma note de 1992, je raconte de façon très furtive, voire naïve et romancée, parfois hyperbolique et parfois poétique, mes impressions de voyage au lendemain d’un séminaire en Israël. Ici et là, j’adopte consciemment l’attitude d’un enfant en état d’émerveillement, dans le but de suggérer au lecteur camerounais la part onirique et la part de songe dont je parle. Ce faisant, je m’efforce de renvoyer le lecteur à ce moment de mon enfance au cours duquel je devais lire des extraits de la Bible pour ma grand-mère illettrée. En effet à travers la Bible que nous n’avons pas choisie, Israël a fait irruption dans notre imaginaire et s’y est ancrée. Comme tous les éléments culturels venus chez nous avec la colonisation, nous lui avons fait place dans notre imaginaire, celui des chrétiens en particulier. Tous ceux et celles qui ont pris la peine d’observer nos sociétés et d’étudier nos cultures peuvent témoigner d’une chose. Cette hospitalité n’a jamais été simulée. Les questions qui me préoccupaient à l’époque étaient les suivantes. Qu’est-ce que cela veut dire de vivre dans les mythes et traditions de quelqu’un d’autre? Que se passe-t-il lorsque l’on se rend compte que ces mythes et ces songes, que l’on tenait pour des vérités, n’étaient au fond que des légendes? Les rejette-t-on en entier, ou les assume-t-on dans l’espoir qu’elles orienteront l’existence d’une manière productrice de vie? Ces questions, tout colonisé se les pose. Elles ne sont pas abstraites. Elles conditionnent l’existence. Dans les traditions intellectuelles auxquelles j’appartiens, elles ont retenu l’attention de chaque génération. Car pour ce qui nous concerne, il s’est souvent agi d’héritages imposés. Souvent, ils ne sont pas choisis. C’est notamment le cas de la religion, de la langue et de l’Etat. Dans ces conditions, une partie du travail critique effectué par les penseurs en provenance de pays anciennement colonisés aura consisté à organiser cette critique, souvent à tâtons, car de réponses définitives, il n’en existe pas. Tout comme il n’existe pas de questions définitives. Les questions doivent être constamment reformulées. Et dans l’acte de reformuler les questions, l’on accepte que puisse se glisser une part d’erreur et d’approximation. C’est ce que m’aura en tout cas appris l’Afrique du Sud. Israël fait partie des mythes dont nous avons hérité. Pour certains d’entre nous, il est devenu un mythe indispensable. Comment le vivre en toute connaissance de cause, non pas comme un dogme, alors qu’en même temps on cherche à se détacher de toutes les philosophies de l’Absolu? Ce sont ces questions qui sont partagées avec les lecteurs dans ces notes au lendemain du voyage en Israël. Elles ne portent pas sur la nature exacte d’Israël, mais sur le mythe dont nous avons hérité, la part de ce mythe qui peut encore servir d’orientation, et cette autre part dont on peut se dispenser. Partager l'ensemble des mémoires du monde Je crois finalement que notre monde se divise en deux. D’un côté, il y a ceux qui, comme moi, sont convaincus que nous ne sommes que des passants, qui cheminent en sachant que cheminer, c’est chercher dans l’incertitude et l’inconnu. De l’autre, il y a ceux qui croient détenir des vérités toutes faites, et qui cherchent à les imposer à tous, peu importe la diversité des expériences et des situations. Le fossé entre nous ne cesse de s’élargir. Aujourd’hui encore se pose à nous tous la question de savoir si les souffrances de chaque peuple lui appartiennent en propre, au point ou lui seul aurait le droit de s’y référer? Existe-t-il quelque possibilité que ce soit de partager l’ensemble des mémoires du monde et à quelles conditions? Ces questions, je les ai retrouvées une fois arrive en Afrique du Sud au début des années 2000, ainsi que celles du pardon, de la réparation et de la réconciliation. Elles n’ont cessé de m’habiter. Pour terminer, devrais-je rappeler que je ne suis pas Allemand? Je n’aspire ni à vivre, ni à travailler en Allemagne. Au regard des grands problèmes moraux et politiques de notre temps, il ne m’appartient pas de dicter à l’Allemagne sa conduite dans un monde pluriel ou de nombreux peuples aspirent encore à la liberté. Tout ce que je puis apporter dans ce débat, c’est une voix parmi d’autres, une voix venue d’ailleurs, de ces régions du monde dont on pense à tort qu’elles n’ont rien à dire et devraient se laisser dicter, par d’autres, ce qu’elles doivent penser. Il appartient à l’Allemagne de décider si elle est disposée ou non à écouter ces voix autres ou si, tournant le dos à nos aspirations les plus profondes, elle veut nous dicter jusqu’à notre conscience. L’Allemagne n’a pas besoin de boucs émissaires étrangers pour affronter ses nombreux malaises. Une partie de l'Allemagne, qui de toutes les façons semble m'être hostile par principe, n'a pas le droit de prendre ma pensée en otage. Le plus vite elle laissera ma pensée s'exprimer en son nom propre, à partir de son idiome propre et dans la multiplicité des langues et des accents, le mieux ce sera pour nous tous.
Achille Mbembe
En exclusivité pour TAZ: Le philosophe camerounais répond aux attaques en présentant les racines africaines et la portée globale de sa pensée
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Syrische Geflüchtete in der Türkei: Unter der Oberfläche gärt es - taz.de
Syrische Geflüchtete in der Türkei: Unter der Oberfläche gärt es Ein Viertel der Einwohner von Gaziantep sind syrische Geflüchtete. Präsident Erdoğan erhöht den Druck auf sie, zurückzukehren. Haben sie mit Erdoğan eine Zukunft in Gaziantep? Syrische Schüler beim Arabischunterricht Foto: Zakariya Yahya/Wire/imago GAZIANTEP taz | Um zwei Uhr nachmittags füllt sich eine kleine Straße am Rande der Altstadt von Gaziantep plötzlich mit Kindern. Auffällig viele Mädchen mit Kopftuch und arabisch sprechende Jungs verschwinden in die ärmlich wirkenden Gassen, nach wenigen Minuten ist von ihnen nichts mehr zu sehen. „Schulschluss“, meint der Besitzer eines kleinen Kramladens lakonisch, „die syrischen Kinder gehen nach Hause.“ Folgt man ihnen in das Gassengewirr, wird schnell klar, dass die syrischen Flüchtlinge in der Gegend klar die Mehrheit stellen. Die Läden werben in arabischer Schrift, Hinweise auf Aleppo gibt es an jeder Ecke. Reden wollen die Leute hier nicht so gerne, Zurückhaltung gehört zum Überlebensprinzip. „Ja, es gehe ihnen gut“, ist alles was zwei Männer vor einem Laden, der arabische Lebensmittel importiert, von sich geben wollen. Auf die Frage, ob sie Angst davor haben, zurückgeschickt zu werden, zucken die beiden nur mit den Schultern. Zurück – aber wohin denn, scheint diese Geste zu bedeuten. Eine negative Atmosphäre hängt über der Stadt Mehmet Polat, ein Anwalt der sich für Geflüchtete engagiert, erstaunt die Zurückhaltung nicht. „Es herrscht in der Stadt schon länger eine negative Atmosphäre gegenüber den Flüchtlingen“, sagt er. Viele der rund 500.000 syrischen Geflüchteten, die in Gaziantep leben, haben keinen Job, höchstens mal eine Beschäftigung für ein, zwei Tage. Weil ihre Wohnungen oft eng und dunkel sind, verbringen sie ihre Tage in den Parks der Stadt. Das stört die Leute. „Unter der Oberfläche kocht es“, so Polat. In Gaziantep hatten es Massenschlägereien zwischen Syrern und Türken gegeben, in Urfa wurden mehrere syrische Läden abgebrannt und auch in Istanbul und Ankara hat es in den letzten zwei Jahren Zwischenfälle gegeben. Syrische Geflüchtete werden instrumentalisiert Viele Politiker versuchen deshalb im derzeitigen Vorwahlkampf zu den Präsidentschaftswahlen mit Sprüchen gegen die Geflüchteten ihre Popularität zu steigern. Erst vor wenigen Monaten hat sich eine neue, rechtsradikale Partei „Zafer“ (Sieg) gegründet. Sie sammelt im Zentrum von Gaziantep im großen Stil Unterschriften für die Durchsetzung einer Zwangsrückkehr der Syrer. Selbst seriöse Oppositionsparteien, wie die nationaldemokratische IYI-Partei stoßen in dieses Horn. Weil er weiß, dass die Flüchtlingsfrage eine Schwachstelle von Präsident Tayyip Erdoğan ist, fordert auch der Vorsitzende der sozialdemokratisch-kemalistischen Partei CHP, Kemal Kılıçdaroğlu, ein Rückkehrprogramm für die rund vier Millionen Syrer in der Türkei. Nach einem möglichen Wahlsieg wolle er dazu Vereinbarungen mit dem syrischen Diktator Baschar al-Assad treffen. Erdoğan hat deshalb vor wenigen Wochen angekündigt, er wolle in den von der Türkei kontrollierten Gebieten in Nordsyrien Häuser für Geflüchtete bauen – ein Anstoß zur freiwilligen Rückkehr. Die meisten leben seit Jahren hier „Das ist reine Propaganda und hat mit der Realität nichts zu tun, meint Kemal Vural, ein Migrationsexperte und Gründer des Gazianteper Vereins Kırkayak, der Geflüchtete unterstützt. Die meisten von ihnen seien bereits seit knapp zehn Jahren in der Türkei, sagt er. Sie kämen in der Regel aus Aleppo, das nah hinter der Grenze liegt. „Die Leute haben sich hier ein neues Leben aufgebaut. Die Kinder gehen hier zur Schule, viele von ihnen erinnern sich gar nicht mehr an Aleppo“. Irgendwie verdienten die meisten etwas Geld und die mittelständische Industrie der Region brauche sie als billige Arbeitskräfte. „Freiwillig geht niemand mehr nach Syrien zurück.“ „Deshalb“, so Vural, „versucht die Regierung seit Anfang dieses Jahres den Druck zu erhöhen“. Polizisten seien landesweit ausgeschwärmt, um die Meldeadressen syrischer Flüchtlinge abzuklappern. Die sind eigentlich verpflichtet, an den Orten zu leben, wo sie sich registriert haben – meist grenznahe Städte wie Gaziantep, Urfa oder Kilis. Weil es dort aber – auch aufgrund des Zuzugs – keine Arbeit mehr gibt, sind viele weitergezogen nach Ankara, Istanbul oder Izmir. Dort sind sie aber nicht registriert. Von geschätzt einer Million syrischer Flüchtlinge in Istanbul sollen sich etwa 500.000 dort illegal aufhalten. Erdoğan drängt Geflüchtete in Pufferzone Man versuche die Geflüchteten zur Rückkehr an den Ort ihrer Registrierung zu zwingen, so Vural. Aber: „Die Stadtverwaltung hat für 20 Bezirke eine Zuzugssperre für Syrer erlassen, angeblich um eine Gettobildung zu verhindern. In den übrigen, reicheren Stadtteilen von Gaziantep können sie sich aber keine Wohnung leisten.“ Erdoğan, meint Polat, verfolge ein doppeltes Ziel. „Er will einen Teil der Syrer zur Rückkehr drängen, die er dann auf der syrischen Seite der Grenze ansiedeln will, um so eine Pufferzone zur kurdischen Region zu schaffen.“ Eine Deportations- und Umsiedlungspolitik, wie sie immer wieder betrieben wird – die den Betroffenen immer wieder Leid bereitet.
Jürgen Gottschlich
Ein Viertel der Einwohner von Gaziantep sind syrische Geflüchtete. Präsident Erdoğan erhöht den Druck auf sie, zurückzukehren.
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strübel & passig: Callboy zum Mindestlohn - taz.de
strübel & passig: Callboy zum Mindestlohn Ach, Sie wollen gar nicht bestellen? Aber das ist eine einmalige Chance! Das kümmert Sie nicht? Aber Sie können eine ganze Serie von erstklassigen Traumkolumnen gewinnen! Wie, Sie wollen lieber keine Anrufe mehr? Selbstverständlich, da, hören Sie, wie ich Ihren Eintrag aus unserer Datenbank lösche? Dann bis nächste Woche!  Die Telematrix hat mich, seit Wochen werde ich in einem peaked call arrival allabendlich outbound von Agenten belästigt. Immer hab ich angeblich bei einem Preisausschreiben im Internet mitgemacht. Immer hab ich angeblich gewonnen, und zwar die Chance, irgendwas zu kaufen. Immer sage ich: „Das interessiert mich nicht.“ Und nie hört man mir zu. Immer heuchelt man Verständnis. Und ruft mich ein paar Tage später wieder an. Das kostet mich im Schnitt sicher 7 Minuten am Tag. Rechnet man das auf ein ganzes Leben hoch, verbringe ich vermutlich mehr Zeit mit dem Abwehren von Call-Center-Anrufen als mit Fräulein Passig. Das kann die Maslow’sche Bedürfnispyramide so nicht gewollt haben.  Wieder einmal suche ich mein Heil deshalb im Internet. Denn nachdem ich mich erfolglos mit selbst gebastelten Antworten freisprechen wollte, indem ich wahlweise den Paranoiker („Internet? Das ist doch nur so ein Überwachungsprojekt der Regierung. Sind Sie auch von der Regierung?“) oder die harthörige alte Dame („Sie müssen lauter sprechen, junger Mann“) gab, finde ich dort Ratschläge, die zwar nicht zur Einstellung von Anrufen führen, die verschwendete Zeit selbst jedoch lustiger gestalten. Mit dem schönen Script www.xs4all.nl/~egbg/counterscript.html verunsichere ich teilzeitassimilierte Teleborgs durch professionelle Einwandbehandlung. Ich frage schon mal, was sie anhaben und ob sie mir nicht ihre Privatnummer geben können. Allein selbst die fröhlichsten Gegenstrategien, etwa fun.buildpal.com/Ten_Ways_to_Terrorize_a_Telemarketer_in_Your_Spare_Time.html oder mem bers.tripod.com/~DreamPost/Funny .html, führen letzten Endes zu gar nichts: auf jeden Cold Call folgt ein Follow-up, und alle Tage werde ich von neuem durch den CRM-Wolf gedreht. Selbst die Trillerpfeife neben dem Telefon will nicht recht helfen.  Gerne sähe ich es deshalb, könnte ich mein eigenes Call-Center mit der Beantwortung von Call-Center-Anrufen beauftragen. Das Konzept des „Meine Agenten gegen deine Agenten“ hat schließlich auch im Kalten Krieg ganz wunderbar funktioniert. Für eine outgesourcte Counter-Intelligence einen kleinen Obolus zu entrichten, wäre ich durchaus bereit. Viel kann das ja nicht kosten, denn der Agent an sich verdient heutzutage ja doch nur einen kargen Mindestlohn. Dafür könnte er dann auch gleich meine eigenen Anrufe bei Call-Centern übernehmen, denn die steht man als untrainierter Mensch ja kaum durch. Er aber würde die Warteschleifenmelodien ganz gelassen mitpfeifen.  Ach, ich gehe einfach gar nicht mehr ans Telefon, das ist noch preiswerter. Wer was von mir will, der wird mir schon Spam schicken müssen. Für den Notfall nehme ich zwei Jogurtbecher und ein 600 Kilometer langes Stück Schnur und spanne das Ganze zwischen Passigs und meinem Küchenfenster. Und sollte zufällig ein Call-Center-Agent irgendwo in Hessen drüber stolpern – ich hätte nicht das Gefühl, mich entschuldigen zu müssen! IRA STRÜBEL ira@copysquad.com
IRA STRÜBEL
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Gurke des Tages: Kastrierter Hund / Tödliches Telefon - taz.de
Gurke des Tages: Kastrierter Hund / Tödliches Telefon Einem australischen Ehepaar, dessen Hund ein Tierarzt versehentlich kastriert hatte, sind von einem Gericht 3.485 australische Dollar (ca. 4.100 Mark) Pflege- und Schmerzensgeld zuerkannt worden. Die Eheleute Maurici hatten den Tierarzt, in dessen Obhut sie ihren Hund Arnold gegeben hatten, verklagt. Wie die Richterin feststellte, war Arnold vor seiner Kastration ein freundlicher und aktiver Hund, der nach dem Eingriff „nie wieder vollständig zu seinem alten Ich zurückfand“. Tödliches Telefon Taipeh (AFP) – Bei dem Versuch, ein brennendes Funktelefon mit Wasser zu löschen, sind in Taiwan ein Ehepaar und dessen Sohn getötet worden. Der 37jährige Vater hatte Wasser auf das brennende Telefon geschüttet und wurde durch einen Elektroschock getötet. Seine 32jährige Frau und der siebenjährige Sohn traten in die Wasserlachen und wurden ebenfalls durch Stromstöße getötet. Von der Familie überlebte nur der neunjährige Sohn. Er war über Möbel geklettert und hatte die Nachbarn alarmiert.
taz. die tageszeitung
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Initiative gegen Freihandelsabkommen: Der Druck wächst - taz.de
Initiative gegen Freihandelsabkommen: Der Druck wächst Die Beteiligung an der Onlinekampagne gegen TTIP und Ceta übertrifft alle Erwartungen. Trotzdem gibt es Streit unter den Kritikern. Umweltaktivisten protestieren am 1. Oktober in München gegen das Freihandelsabkommen. Bild: reuters BERLIN taz | Seit vier Tagen läuft die „selbst organisierte Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP und Ceta“ (sEBI) – und bisher haben bereits knapp 352.000 Bürger auf stop-ttip.org unterzeichnet. „Das hat unsere Erwartung noch übertroffen“, sagt Anne Dänner, Sprecherin des Bündnisses von 257 Organisationen aus 23 Ländern, das hinter der sEBI steht. Eigentlich wollte das Bündnis eine Europäische Bürgerinitiative (EBI) gegen die Freihandelsverträge starten – aber das ließ die EU-Kommission nicht zu. Der Grund: Die Verhandlungsmandate zu TTIP und Ceta seien keine Rechtsakte mit direkter Auswirkung auf die EU-Bürger. Gegen diese Entscheidung wollen die Aktivisten gegen den Freihandel klagen, gründeten aber trotzdem die sEBI, um den Druck auf die Entscheidungsträger aufrechtzuerhalten. Diesen Druck bekommt gerade Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), zu spüren. Zusammen mit SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat er ein Positionspapier zu den Freihandelsabkommen verfasst, das viele Gewerkschafter verärgert. Denn der DGB-Bundeskongress hat bereits im Mai ein Papier mit der Überschrift „Freihandelsverhandlungen mit den USA aussetzen“ verabschiedet, das von der Sorge getragen ist, dass TTIP und Ceta zu sinkenden Arbeits- und Sozialstandards führen. Das neue Papier von Hoffmann und Gabriel ist zwar inhaltlich fast identisch, aber viel moderater als das Original. Kritiker monieren, dass der DGB vor der SPD eingeknickt sei. Dem widerspricht Hoffmann: Gemeinsam mit Sigmar Gabriel habe man hohe, präzise und verbindliche Bedingungen als Voraussetzung für jegliches Abkommen formuliert. Doch die gehen einigen Gewerkschaftern nicht weit genug. „Wir hätten uns eine schärfere Position gewünscht“, so Dorothea Schäfer, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Nordrhein-Westfalen. Die GEW hat daher eine Pressemitteilung unter dem Titel „Stopp TTIP – jetzt erst recht!“ herausgegeben. „Nagelprobe für die Glaubwürdigkeit“ Auch in der IG Metall gibt es Vorbehalte. Es genüge nicht, wenn versichert werde, dass es keine Verschlechterung der Arbeits- und Sozialstandards gebe. Vielmehr erwarte man, dass die Bundesregierung den Ceta-Entwurf ablehne und dies auf EU-Ebene durchsetze. „Das ist die Nagelprobe für die Glaubwürdigkeit der Vereinbarung“, so Vorsitzender Detlef Wetzel. Verdi-Chefökonom Dierk Hirschel dagegen verteidigt das Papier: „Damit ist es uns gelungen, auf die Position der SPD Einfluss zu nehmen.“ Vor allem, dass der Investorenschutz abgelehnt wird, wertet er als Erfolg. Den Unmut seiner Gewerkschaftskollegen erklärt Hirschel damit, dass es im DGB viele unterschiedliche Interessen gebe. Einige Gewerkschaften hätten eine größere Affinität zum Freihandel, andere nicht. Europaweiter Aktionstag gegen TTIPAm 11. Oktober finden europaweit Proteste und Aktionen gegen Freihandelsabkommen statt. In Berlin werden um 11 Uhr vor dem Europäischen Haus am Pariser Platz symbolisch die Freihandelsverträge geschreddert. Dort kann man auch die kürzlich gestartete Bürgerinitiative (sEBI) unterschreiben. Um 16 Uhr startet eine Demo am Oranienplatz in Kreuzberg. In vielen anderen Städten, etwa Köln, Leipzig, Würzburg, wird es Infostände, Musik und Flashmobs geben. Weitere Infos hier oder unter www.attac.de/o11doa und www.stop-ttip-ceta-tisa.eu. Der Hashtag lautet #O11doa (October 11, day of action). Die NGOs, die gegen den Freihandel mobilisieren, verfolgen den Zwist genau. Alexis Passadakis von Attac meint, dass es an der Basis von SPD und Gewerkschaften viel Unzufriedenheit gebe. Dänner von „Stop TTIP“ geht derweil nicht davon aus, dass der Schlingerkurs des Gewerkschaftsbundes die Bewegung insgesamt schwächen wird – im Gegenteil: „Es könnte noch mehr Menschen mobilisieren, weil sie sich nicht durch ihre Repräsentanten vertreten fühlen.“ Am kommenden Samstag sind europaweit Aktionen geplant. In Berlin werden um 11 Uhr vor dem Europäischen Haus am Pariser Platz symbolisch Freihandelsverträge geschreddert, in Köln, Leipzig und Würzburg sind Infostände, Musik und Flashmobs angekündigt.
Maike Brzoska
Die Beteiligung an der Onlinekampagne gegen TTIP und Ceta übertrifft alle Erwartungen. Trotzdem gibt es Streit unter den Kritikern.
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Zusammenschluß im Kampf gegen Alteigentumsansprüche - taz.de
Zusammenschluß im Kampf gegen Alteigentumsansprüche ■ David gegen Goliath: Auf Rügen gründete sich ein Verein Bedrohter und Betroffener durch Restitutionsansprüche Berlin (taz) – Bauern zittern um ihr Land, Mieter um ihre Wohnungen und Hauseigentümer um den Boden unter ihrem Haus. Ein Gespenst geht um in Ostdeutschland: Alteigentümer aus dem Westen sind da. Kaum ein Thema im Nachwende-Deutschland hat so viele Kontroversen ausgelöst, wie die Restitutionsansprüche westdeutscher Bürger, die ihr Eigentum nach 40 Jahren Sozialismus zurückhaben wollen. Das Klischee vom unbedarften Ossi im Clinch mit dem gewieften Wessi wird hier zur bühnenreifen Realität. Nun endlich soll David Unterstützung gegen Goliath erhalten. Auf Deutschlands größtem Eiland, der Insel Rügen, ist am vergangenen Wochenende im Schloß Spyker ein Verein gegründet worden, die „Vereinigung Bedrohter und Betroffener durch Restitutionsansprüche“. Initiator dieses neuen Zusammenschlusses ist der im Sommer 1990 gegründete Verein „Insula Rugia“. Hunderte ostdeutscher Einzelschicksale sollen endlich ein Sprachrohr in der Öffentlichkeit erhalten. Karl-Heinz Ließmann, frischgewählter Vorsitzender und selbst Betroffener: „Die Situation seit der Wende ist einfach noch zu neu. Allein wehrt sich da keiner.“ Neben Privatpersonen, die vorerst vorwiegend aus Mecklenburg-Vorpommern stammen, haben bereits die Bürgermeister der Städte Bergen, Putbus und Gartz sowie der Kreisbauernverband und der CDU-Kreisverband ihre Mitgliedschaft angekündigt. Allerdings möchte man die Restitution nicht grundsätzlich in Frage gestellt wissen. Vera Gröschler, stellvertretende Vorsitzende von Insula Rugia: „Entschädigung vor Rückgabe hätte die Faustregel eigentlich lauten müssen.“ Mit Musterprozessen und Druck von unten hoffen die Vereinsgründer, die Gesetzgebung entsprechend beeinflussen zu können und damit das Wachstumshemmnis Nummer eins für den Aufschwung Ost aus der Welt zu schaffen. Daß der neue Verband ausgerechnet auf Rügen aus der Taufe gehoben werden soll, kommt nicht von ungefähr. Wiederholt war die Insel in die Schlagzeilen geraten, weil die Rückgabewünsche eines Franz zu Putbus den Frieden empfindlich gestört hatten. Mit 15.000 Hektar Land und Wald sowie diversen historischen Bauten ist der Fürstensproß wohl der größte Alteigentümer der Republik. Auch der Geburtsort des neuen Vereins, das Schloß Spyker, ist ein Restitutionsfall: Der jetzige Besitzer, ein Ostdeutscher, der den fürstlichen Bau im Oktober 1992 von der Treuhand erworben hatte, wollte daraus ein Hotel machen. Jetzt liegt der Umbau auf Eis, weil Herr zu Putbus Ansprüche angemeldet hat. Im Einigungsvertrag war vorgeschrieben, daß das Land aus der Bodenreform nicht an die Großgrundbesitzer zurückgegeben werden soll. Trotzdem erhalten ostdeutsche Bauern oftmals keine langfristigen Pachtverträge für dieses Land, weil sich die Treuhand diese Flächen als Reserve für noch ausstehende Ansprüche sichern will. Eine Situation, die sich extrem zuspitzen wird, falls sich die im September im Finanzministerium diskutierten Vorschläge zum Entschädigungsgesetz durchsetzen sollten. Dabei hatte man eine drastische Erhöhung der Zahlungen an Alteigentümer auf den Verkehrswert von 1990 vorgesehen (bislang das 1,3fache des Einheitswertes von 1935). Angesichts der leeren Staatskasse sollten diese mit Coupons gegen Immobilien oder Boden, zu veräußern sein. Kein Wunder, daß die Wogen der sonst eher ruhigen Ostsee über Rügen in Wallung geraten. Betroffene können sich melden bei: „Insula Rugia“ 038 393/32 693. Jantje Hannover
jantje hannover
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Rußland bietet Teilabzug aus Georgien an - taz.de
Rußland bietet Teilabzug aus Georgien an ■ Militärstützpunkt Eschara soll aufgelöst werden/ Verhandlungen in Moskau am Wochenende/ Abchasien-Kommandant der georgischen Armee kämpferisch Tbilissi (taz) – Rußland hat einem Teilrückzug seiner in Georgien stationierten Soldaten zugestimmt, unter der Bedingung, daß Georgiens Regierung mit den separatistischen Rebellen in der Provinz Abchasien einen Waffenstillstand vereinbart. Der russische Botschafter Vladimir Zemsky sagte gestern gegenüber der taz, Einzelheiten des Rückzugs würden am Wochenende in Moskau mit einem hohen Berater des georgischen Präsidenten Eduard Schewardnadse erörtert. Laut Zemsky verlangt Rußland eine einwöchige Feuerpause, um seine Militärinstallationen im georgischen Dorf Eschara abzubauen. Ein georgischer Angriff auf diese Stellungen hatte vor einer Woche den russischen Luftangriff auf die abchasische Hauptstadt Sukhumi provoziert. „In dieser Periode werden wir unser Untergrundlabor abbauen, wo Explosionsstoffe hergestellt werden“, sagte Zemsky. „Die Feuerpause wäre ein Impuls für neue Verhandlungen und könnte die Grundlage für eine permanente Einstellung der Feindseligkeiten bieten.“ Die georgische Regierung, die von russischen Expansionsabsichten an der Schwarzmeerküste überzeugt ist, hat den Vorschlag akzeptiert, aber ohne großen Enthusiasmus. „Wir werden denen eine Feuerpause geben“, sagte Vize-Außenminister Giorgi Burduli. „Es ist eine gute taktische Handlung.“ Aber ein Abzug aus Eschara erfülle nicht die georgische Forderung nach einem Totalrückzug russischer Soldaten aus Georgien. Außerdem würden die Abchasen wohl die Feuerpause sabotieren, „weil sie an einem russischen Abzug nicht interessiert sind“, fügte Burduli hinzu. Ob nun eine Entspannung bevorsteht, hängt im wesentlichen davon ab, ob Schewardnadse sein Militär unter Kontrolle behält. Georgische Nationalisten haben Großdemonstrationen gegen den Präsidenten angekündigt, falls dieser Kompromisse gegenüber Moskau eingeht. Zu den Hardlinern gehört auch der Kommandeur der georgischen Truppen in Abchasien– der nur 26jährige General Gia Karkaraschvili, der im vergangenen Jahr zweimal den russischen Gegner auf eigene Faust angegriffen hat. „Verhandlungen mit Rußland zum jetzigen Zeitpunkt sind sinnlos“, sagte der einstige Kriegsgefangene in Afghanistan der taz in seinem Hauptquartier in Tbilissi. „Wir müssen auf der territorialen Integrität Georgiens bestehen. Wenn Rußland dem widerspricht, müssen alle Georgier kämpfen.“ James Dorsey
james dorsey
■ Militärstützpunkt Eschara soll aufgelöst werden/ Verhandlungen in Moskau am Wochenende/ Abchasien-Kommandant der georgischen Armee kämpferisch
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Wer oder was ist der enttäuschte FC Bayern jetzt? - taz.de
Wer oder was ist der enttäuschte FC Bayern jetzt? ■ Seien wir mal ehrlich: Auch ein UEFA-Cup-Finalsieg heute abend in Bordeaux wird aus dem Interimstrainer Beckenbauer keinen rechten Gewinner mehr machen München (taz) – Wenn Otto Rehhagel das sehen könnte! Stahlbarrieren, bauchnabelhoch, verschaffen den Spielern des FC Bayern München Distanz gegenüber neugierigen Reportern. Kameras auf dem Trainingsplatz? Verboten. So wie es einst Rehhagels Wunsch war. Zwei mächtige Sicherheitsleute, branchenüblich in schwarzer Kluft und mit anrasiertem Schädel, verteidigen neuerdings das Übungsareal an der Säbener Straße vor den Trainingszuschauern, gleichwohl an diesem Tag ungewohnte Ruhe herrscht. Es regnet seit Stunden, und die Kicker sind mit ihrem Präsidenten, der noch eine Woche lang Trainer ist, in den Perlacher Forst entschwunden. Seelenpflege im Wald für die müden Nicht-Helden. Wie's ums werte Befinden steht? „Die Spieler“, sagt Franz Beckenbauer, „sind in normaler Verfassung.“ Man mag es kaum glauben, weil die Stimmung trist wirkt – nicht mal Lothar Matthäus gibt mehr Interviews. Ein wenig Freude könnte freilich der Betriebsausflug nach Bordeaux vermitteln. Immerhin kann der FC Bayern heute abend (20.45 Uhr, Sat.1) wenigstens eine Auszeichnung in dieser Saison abgreifen, und der UEFA-Cup ist gemäß Mittelfeldspieler Mehmet Scholl eine der „wenigen Gelegenheiten im Fußballerleben, so einen Titel zu holen“. Für den FC Bayern zumal, weil dieser vor zwanzig Jahren zuletzt einen Pokal auf europäischer Bühne gewann, sich nun jedoch mit einer 2:0-Führung im Vorteil weiß. Gewarnt sei eine Mannschaft, sagt Beckenbauer, vom Schicksal des AC Milan, welcher mit gleichem Vorsprung anreiste und mit einem 0:3 wieder heim. „Wir sind stark genug“, sagt Beckenbauer aber auch, „den Pokal zu holen.“ Zumindest für den 14. der französischen Tabelle sollte es dann doch noch reichen. Für Beckenbauer wäre ein Erfolg nur ein schwacher Trost, weil der FC Bayern im nächsten Jahr ohnehin für diesen Wettbewerb qualifiziert ist. „Wir wollen in Zukunft in die Champions League“, sagt er, „da bist du Meister, da bist du wer.“ Klingt nach Identitätskrise – wirft es doch die Frage auf: wer oder was ist der FC Bayern jetzt? Ein Verlierer? Ein enttäuschter Meisterschaftszweiter, meint Beckenbauer, der sich am Sonntag gar auf dem eigenen Trainingsgelände den neuen Dortmunder Kultsong („Vize, Vize Kaiser Franz“) anhören mußte. Er nimmt es schmunzelnd hin. Ein Zacken sei ihm aus der Krone gebrochen, metaphert es nun allüberall, und Beckenbauer grinst wieder, und er tippt an sein Haupt und sagt: „Sehen Sie hier eine Krone? Ich hab' nur wenig Haare.“ Zu retten, das hat er mehrfach betont, sei ohnehin kaum noch etwas gewesen, und die Meisterschaft, sekundiert Manager Uli Hoeneß, die „hat Rehhagel verloren“, in jenen Heimspielen gegen St. Pauli, Frankfurt, Rostock. „Letztlich“, sagt Beckenbauer, „hatte ich doch sowieso die Verantwortung. Ob direkt oder indirekt ist mir wurscht.“ Natürlich hat der Präsident Beckenbauer die Verantwortung für die Verpflichtung Rehhagels und gleichermaßen dafür, daß der nicht rechtzeitig entlassen wurde. „Man hätte drei, vier Wochen früher handeln müssen“, meint Hoeneß jetzt. Aber die Schäden in der Mannschaft waren irreparabel, die taktischen weniger als die konditionellen und die zwischenmenschlichen. Die eigentlichen Gründe des Scheiterns. Von „Grabenkämpfen“ (Christian Nerlinger) ist die Rede, von „zu wenig Kameradschaft“ (Andreas Herzog) und „Theater und Gezeter“, meint Oliver Kahn: „Was die Bundesliga betrifft, hat die Mannschaft versagt.“ Konzentriert gingen nur wenige ihrem Beruf nach: Herzog jammerte über mangelnde Integration, Ciriaco Sforza will immer noch nach Mailand, Lothar Matthäus und Jürgen Klinsmann werden niemals Freunde. Jetzt soll auch noch Mario Basler kommen, der notorische Querulant aus Bremen, und es scheint, als handelten sie beim FC Bayern erneut wider besseres Wissen, als würden sie keine Lehren ziehen aus der zu Ende gehenden Saison. „Wichtig ist, daß wir uns Spieler holen, die kicken können“, sagt Hoeneß, „und der Mario kann von einem Bierdeckel aus den Ball in den Winkel hauen, zehnmal hintereinander.“ Ob das reicht? Rehhagel haben sie auch mal für einen ganz Großen gehalten. Markus Götting
Markus Götting
■ Seien wir mal ehrlich: Auch ein UEFA-Cup-Finalsieg heute abend in Bordeaux wird aus dem Interimstrainer Beckenbauer keinen rechten Gewinner mehr machen
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Nach Explosion in Beirut: Stimmen aus einer verwüsteten Stadt - taz.de
Nach Explosion in Beirut: Stimmen aus einer verwüsteten Stadt Eine gigantische Explosion hat die halbe Hauptstadt des Libanon zerstört. Die Anwohner*innen fühlen sich im Stich gelassen. Wüstes Land: Beirut nach der Explosion Foto: Hassan Ammar/ap Am Mittwoch ist Beiruts beliebte Ausgehmeile in Mar Mikhael vom Militär abgeriegelt. Glasscherben, Holzstäbe und Mauerbrocken liegen auf den Gehwegen. Eine Bankfiliale ist mit Holzplatten verrammelt, eigentlich als Schutz vor Angriffen durch Protestierende, die den Einfluss der Banken als Ursache der Finanzkrise sehen, die das Land plagt. Nun liegen die Bretter auf dem Gehweg. Arbeiter ziehen zersprungene Scherbenplatten vom Teppich auf die Treppe, flexen die Bretter zum Abtransport. Die Studentin Stephanie Bakalian lebt in der Nachbarschaft, die für ihre Bars, Restaurants und Geschäfte bekannt ist. „Ich war elf Jahre alt, als wir 2006 im Krieg mit Israel waren. Ich kann das Geräusch von Feuer, Erdbeben und Explosionen unterscheiden“, sagt sie. Es war kurz nach 18 Uhr am Dienstag, als Bakalian einen gewaltigen Schlag hörte. Die 26-Jährige legte ihre Hände an den Kopf, doch bevor sie sich auf den Boden legen konnte, wurde sie durch eine Druckwelle zurückgestoßen. So erinnert sie sich, keine 24 Stunden nachdem die libanesische Hauptstadt von der Explosion auf dem Hafengelände der Stadt heimgesucht wurde. Als Bakalian realisierte, dass es eine Explosion war, ging sie auf die Straße. „Ich studiere Psychologie und wollte die Menschen unterstützen“, sagt sie. „Ich habe sieben Menschen geholfen, ein Taxi zu bekommen und ins Krankenhaus zu fahren.“ Von der Regierung enttäuscht Auch mehrere Krankenhäuser wurden bei der Detonation zerstört: Aus dem nahe dem Hafen gelegenen St.-George-Universitätsklinikum wurden die Kranken evakuiert. Eine Wand stürzte ein, vier Pflegerinnen wurden getötet, eine von ihnen war Bakalians Klassenkameradin. Stephanie Bakalian, Studentin„Ich war elf Jahre alt, als wir 2006 mit Israel im Krieg waren. Ich kann das Geräusch von Feuer, Erdbeben und Explosionen unterscheiden“ Am Tag nach der verheerenden Explosion steigt die Zahl der Todesopfer nach Angaben des Roten Kreuzes auf mehr als 100. Über 4.000 Menschen sind verletzt, mehr als 100 Personen am Mittwoch noch vermisst. Fast die halbe Stadt habe Schäden erlitten, sagte Beiruts Gouverneur Marwan Abbud. Bis zu 300.000 BewohnerInnen Beiruts könnten obdachlos geworden sein. Die Höhe der Schäden schätzte Abbud auf 3 bis 5 Milliarden US-Dollar. Auf genaue Zahlen wollte sich einen Tag nach der Katastrophe noch niemand festlegen. Bakalians Famile gehört eine Konditorei in Mar Mikhael. Der Ofen im ersten Stock durchbrach durch den Druck der Explosion die Decke. Gegenüber befindet sich das Geschäft des Schuhmachers Jirayir Kreyan. Wegen der Coronapandemie lief sein Geschäft ohnehin schon schlecht, berichtet er. Doch nun müsse er seinen Laden aufräumen und könne auf unbestimmte Zeit nicht mehr arbeiten. Die Fensterscheibe ist herausgefallen, Holzregale sind aus den Wänden gekracht, alles ist verstaubt. „Uns hilft hier niemand“, sagt Kreyan. „Die Regierung ist nicht für uns da, die Polizei informiert uns nicht, was los ist, und niemand packt mit an. Nur noch Gott kann uns helfen“, sagt der 37-Jährige enttäuscht. Eine orange Pilzwolke Dabei war die Regierung unter Ministerpräsident Hassan Diab mit ersten Informationen schon am Dienstagabend an die Öffentlichkeit gegangen. Nach Angaben libanesischer Behörden entzündeten sich 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat, die seit Jahren im Hafen gelagert haben sollen. Zunächst brannte offenbar eine Lagerhalle ab, es kam zu kleineren Explosionen und schließlich zu einer riesigen Detonation. Auf Videos von Anwohnenden ist zu sehen, wie sich eine gigantische orangefarbene Pilzwolke am Himmel über der Stadt ausbreitete. In der ganzen Stadt war ein Beben spürbar. Das Deutsche Geoforschungszentrum verglich die Erschütterung mit einem Erdbeben der Stärke 3,5. Laut Medienberichten war die Detonation selbst im rund 200 Kilometer entfernten Zypern noch zu hören und zu spüren. Durch die Druckwelle zersprangen Glasscheiben in kilometerweiter Entfernung, Türen fielen aus den Angeln, Balkone stürzten ab. Vor allem betroffen sind aber Beiruts innere Stadtbezirke. Schutzlos gelagert Der libanesische Präsident Michel Aoun sagte am Mittwoch zu, die Hintergründe der Explosion so schnell wie möglich aufklären zu lassen. Die Verantwortlichen würden zur Rechenschaft gezogen ­werden. Zuständig für die Aufklärung sei eine Ermittlungskommission. BildergalerieNach der Explosion – Eine Familie in Beirut7 Bilder Zu klären sein dürfte vor allem, wie die 2.750 Tonnen hochexplosiven Ammoniumnitrats, von denen die Behörden sprechen, auf das Hafengelände gelangten – und warum das Material dort jahrelang ohne oder unter ungenügenden Schutzmaßnahmen lagerte. Der Nachrichtensender Al Jazeera und andere Medien berichteten am Mittwoch, der Stoff stamme von einem Frachtschiff, dem libanesische Behörden im Jahr 2013 wegen verschiedener Mängel die Weiterfahrt untersagt hätten. Das Schiff sei damals von Georgien aus ins südafrikanische Mosambik unterwegs gewesen Der Crew sei nach einem juristischen Streit die Ausreise genehmigt worden, das Schiff aber blieb zurück – und so auch die gefährlichen Ladung. Ammoniumnitrat dient der Herstellung von Düngemitteln, Raketenantrieb und Sprengstoff. Es kann bei höheren Temperaturen detonieren. Vor der Aufarbeitung Das Heikle: Libanesische Behörden sollen seit Jahren Bescheid gewusst haben und explizit gewarnt worden sein, doch offenbar tat sich nichts. Laut Gouverneur Abbud wurde in einem Bericht von 2014, über den auch Al Jazeera berichtet, sogar vor einer Explosion gewarnt. Sollten sich diese Hinweise verdichten, dürften Libanons Regierung und das gesamte Land vor einer schwierigen Aufarbeitung der Katastrophe stehen. Für Beirut wurde ein zwei Wochen langer Notstand ausgerufen. Der Oberste Verteidigungsrat des Landes erklärte die Stadt zur „Katastrophenzone“. Libanon trifft die Detonation zu einer empfindlichen Zeit, steckt das Land doch ohnehin in einer Krise. Nicht nur steigt die Zahl der Corona-Infektionen alarmierend, Libanon steckt auch in der schwersten Wirtschaftskrise seit Ende des Bürgerkriegs 1990. Die lokale Währung hat 80 Prozent ihres Werts eingebüßt, Tausende verloren ihre Arbeit. Die Zahl der in Armut lebenden Menschen ist gestiegen, viele können sich Lebensmittel infolge der Inflation nicht mehr leisten. Die jüngsten Ereignisse dürften die Krise noch verschärfen. Mitarbeit: Jannis Hagman
Julia Neumann
Eine gigantische Explosion hat die halbe Hauptstadt des Libanon zerstört. Die Anwohner*innen fühlen sich im Stich gelassen.
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Krise in der Ukraine: Die Krim wird russisch - taz.de
Krise in der Ukraine: Die Krim wird russisch Verwaltung, Geheimdienst, Militärstützpunkte: Russland besiegelt die Krim-Annexion. Deutschlands Außenminister Steinmeier warnt vor einer Ausweitung der Krise. Happy: Pro-russischer Aktivist im ostukrainischen Donezk. Bild: ap MOSKAU dpa/afp | Kremlchef Wladimir Putin hat nach der umstrittenen Aufnahme der Krim in die Russische Föderation die Einführung neuer Verwaltungsstrukturen auf der Halbinsel bis zum 29. März angeordnet. Demnach müssen bis Ende der Woche die Polizei und der Zivilschutz, aber auch der Inlandsgeheimdienst FSB und andere Staatsorgane nach russischem Recht errichtet werden. Das geht aus einer am Sonntag vom Kreml veröffentlichten Anordnung hervor. An diesem Montag soll auf der Krim neben der ukrainischen Währung Griwna offiziell der Rubel als Zahlungsmittel eingeführt werden. Russland hat außerdem die militärische Kontrolle auf der Krim. Medien am Sitz der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol berichteten, dass nun auf dem ukrainischen Kriegsschiff „Slawutitsch“ die neue Staatsflagge gehisst worden sei. Insgesamt waren von der unblutigen Machtübernahme mehr als 70 ukrainische Militäreinrichtungen und mehr als 30 Schiffe der Marine betroffen. Am Samstag hatten russische Truppen zwei Krim-Stützpunkte gestürmt. Es war die bisher spektakulärste Machtdemonstrantion, seit die ersten russischen Truppen vor drei Wochen auf der ukrainischen Halbinsel gelandet waren. Bewaffnete mit gepanzerten Fahrzeugen feuerten Schüsse in die Luft, als sie den Fliegerhorst Belbek nahe Sewastopol in ihre Gewalt brachten. Ein Fahrzeug durchbrach das Tor, zwei weitere durchbrachen die Mauern des Geländes. Daraufhin stürmten Bewaffnete auf das Gelände, feuerten Schüsse in die Luft und hielten ukrainische Soldaten mit ihren Automatikwaffen in Schach. Unter Gewaltandrohung wurde der Stützpunkt evakuiert. Warnung vor „Spaltung Europas“ Die Basis in der Stadt Nowofedorowka wurde ebenfalls schwer attackiert. Prorussische Demonstranten rissen die ukrainische Flagge herunter und hängten eine russische Flagge auf, anschließend stürmten sie das Gebäude und warfen mehrere Fenster ein. Vom Dach warfen ukrainische Militärs Rauchbomben. Nach Verhandlungen mit russischen Soldaten gaben sie aber auf. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) warf Moskau bei einem Kiew-Besuch vor, die „Spaltung Europas“ voranzutreiben, und warnte in einem Interview mit einer Verschärfung der Strafmaßnahmen. Er war zunächst mit Regierungsvertretern in Kiew zusammengetroffen und reiste später ins ostukrainische Donezk weiter. Dort forderte er die militärischen Einheiten der Ukraine und Russlands zu Gesprächen über den Umgang miteinander auf. Es sei „keine gute Idee, dass jetzt abschnittsweise Mannschaften entwaffnet oder technische Einheiten übernommen“ würden. In der Welt am Sonntag (WamS) drohte er Moskau mit schärferen Sanktionen. „Sollte Russland über die Krim hinausgreifen, werden wir in Europa einschneidende Maßnahmen beschließen, selbst wenn wir hierfür wirtschaftliche Nachteile in Kauf nehmen müssen.“ Er warnte zudem vor einer Ausweitung der Krim-Krise. „Ich mache mir große Sorgen, dass der völkerrechtswidrige Versuch, 25 Jahre nach Ende des Kalten Kriegs international anerkannte Grenzen in unserer europäischen Nachbarschaft zu korrigieren, die Büchse der Pandora öffnet“, sagte er der WamS. Hoffnung setzt die internationale Diplomatie auch auf die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Deren Mission soll am Sonntag starten, „um die Deeskalation zu unterstützen“, wie Steinmeier in Kiew sagte. Moskau hatte der Mission nach langem Widerstand zugestimmt, weil die Krim ausgeklammert bleibt. Deutsche befürworten Annexion Unterdessen berichtet der Spiegel, dass die Bundesregierung der Ukraine derzeit keine direkten Finanzhilfen gewähren will. Sämtliche geplanten Hilfen der Europäischen Union sollten den Bundeshaushalt nicht belasten, berichtete das Magazin unter Berufung auf Kreise und Unterlagen des Bundesfinanzministeriums. Die Gelder für das elf Milliarden Euro umfassende Paket sollen demnach aus Darlehen und Mitteln der Entwicklungshilfe kommen. Den Angaben zufolge könnte die EU bis zu einer Milliarde Euro als Darlehen vergeben. In den Jahren 2014 bis 2020 sei zudem Entwicklungsunterstützung in Höhe von 1,6 Milliarden Euro geplant. Schließlich sollen die Europäische Investitionsbank und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung demnach Darlehen von insgesamt bis zu acht Milliarden Euro gewähren. Wie der Spiegel weiter berichtete, ist eine Mehrheit von 54 Prozent der Deutschen der Meinung, der Westen solle die Angliederung der Krim an Russland akzeptieren. Laut einer Umfrage des Instituts TNS Forschung äußerten 55 Prozent der Befragten zudem viel oder etwas Verständnis dafür, dass Russland die Ukraine und die Krim als Teil seiner Einflusszone betrachte.
taz. die tageszeitung
Verwaltung, Geheimdienst, Militärstützpunkte: Russland besiegelt die Krim-Annexion. Deutschlands Außenminister Steinmeier warnt vor einer Ausweitung der Krise.
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WIR LASSEN LESEN: Ach, Sechzig! - taz.de
WIR LASSEN LESEN: Ach, Sechzig! ■ Aufstieg, Fall und Aufstieg der Münchner Löwen Religion ist reine Sache des Gemüts und der Phantasie wie die Poesie, und man zerstört das Wesen beider, wenn man sie unter Vernunftregeln bringen will. (Karl Julius Weber, Demokritos) Jajaja, 1860 ist eine Religion, das haben wir jetzt schon siebzehndreizehnmal (frei nach Pumuckl) gehört. Und wir wissen auch, daß Menschen vehement für ihre Glaubenshaltung fechten, daß sie missionieren und sich prügeln. Jeder Sechziger hat seine Kreuzzüge hinter sich. Auch Georg Simader. Weilheim in Oberbayern, 1966, Klasse 4b, Volksschule: „40 Buben, einer davon ich... Schlägereien auf dem Schulhof gibt es immer montags, nachdem die Fußballergebnisse besprochen sind. Der erste Klassensprecher ist Bayern-Fan, dreißig Jungen hat er hinter sich geschart. Hinter mir, dem zweiten Klassensprecher, stehen die zehn Löwen-Anhänger... Die Fäuste fliegen, manchmal gibt es blutige Nasen, aber insgesamt sind wir, glaube ich, überlegen. Wie der erste Klassensprecher hieß, habe ich vergessen, den Löwen blieb ich treu.“ Einmal Löwe, immer Löwe. Später sucht Sechziger Simader das Weite, überquert den Weißwurst-Äquator und werkelt fortan als Verleger in Frankfurt/Main. Seine Ballsport-Liebe dümpelt derweil in Bayerns Oberliga vor sich hin — der hessische Löwe ist gefrustet. Dann kommt der Sommer 1991: 1860 steigt auf! Damit fällt der Startschuß für hektische Aktivitäten: Georg Simader greift zum Telefonhörer, spricht mit dem potentiellen Autor einer super- schnellen Sechzig-Saga. Zwei Tage überlegt Peter Linden, Sport- Redakteur bei der 'Süddeutschen Zeitung‘, dann sagt er zu. Der Hit wird mit heißer Nadel gestrickt, der vorgegebene Preis (natürlich 18,60 Mark) diktiert Aufwand und Umfang des Werkes. Vier Wochen recherchiert und schreibt der Journalist, weitere 21 Tage später wird das Opus der Öffentlichkeit präsentiert. „Eine brutale Arbeit“, meint Linden heute. Aber alles ist drin: Szenen vom Aufstieg, wo Kapitän Hainer mit dem Duschkopf als Mikro die Vereinshymne intoniert; wo Reporter Waldemar Hartmann den ehemaligen Bajuwaren-Häuptling Franz- Josef Strauß parodiert. Hosianna. Freudig liest man die sechziger Jahre (Meister, Europacup-Finale), mit Grauen die siebziger (Mißwirtschaft) und achtziger (Zwangsabstieg, Bayernliga). Und oft kommt einem der Gedanke: Warum bloß ist man ein Sechziger. Da holt sich der Verein den CSU-Haushaltsheini Erich Riedl als Präsidenten, der mit dicker Hornbrille und ebenso dicker Lippe das Blaue vom Himmel verspricht. Der Fall war tief: Acht Millionen Mark Schulden nach einer „grandiosen Einkaufs- und Gehälterorgie“. Ach, Sechzig. Der Bannstrahl des DFB traf die Löwen: ab in die Bayernliga. Dort regierte ein rigider Vorsitzender (Ritschie Müller), der frechen Journalisten schon mal Prügel prophezeite. Ach, Sechzig. Dann kam Heckl, der Baulöwe, schusterte Millionen zu, verstand nix vom Fußball, holte den krummbeinigen Kettenrassler Klimaschefski und im Winter 1988 vier angeblich international erprobte Isländer und Jugoslawen. Klimaschefski nach dem Flop: „Island ist so groß wie Schwabing. Da muß es doch nichts bedeuten, wenn einer Nationalspieler ist.“ Ach, Sechzig. Irgendwann hatten die Fans die Nase voll von Absahnern und energielosen Ex-Profis, die es sich im Austragsstüberl an der Grünwalder Straße gemütlich machten: Bei einem Match gegen die Bayern- Amateure kamen nur 300 Tausendprozentige. Ach, Sechzig. Deckel drauf und zu. Die Löwen sind wieder wer, ehrlich und rechtschaffen, volksnah und beliebt. Im Schnitt erscheinen etwa 25.000 Freunde zu den Zweitliga-Kicks. Das Buch hat einen starken Statistik-Teil (alle Tabellen seit 1945), Autor Linden, 32, beschreibt in der gebotenen Kürze jedes Jahr seit der Bundesliga-Gründung 1963: knapp und gut. Nur essayistisch anreißen konnte er das Verhältnis zum haßgeliebten FC Bayern. Ins Philosophieren gerät Linden gar, als er sich mit den phänomenalen Fans befaßt. Und kommt zu dem Schluß: „Da ist nichts Rationales an der Entscheidung: einmal Löwe, immer Löwe“. Eine Religion halt. Hosianna. Gerhard Sepp Fischer Peter Linden: Einmal Löwe, immer Löwe. 120 Seiten, ca. 120 Fotos und Abbildungen. Verlag Georg Simader, Frankfurt/M., DM 18,60
gerhard sepp fischer
■ Aufstieg, Fall und Aufstieg der Münchner Löwen
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Zuwanderung Hochqualifizierter: Union zeigt Blue Card rote Karte - taz.de
Zuwanderung Hochqualifizierter: Union zeigt Blue Card rote Karte Bildungsministerin kritisiert EU-Pläne zur Zuwanderung Hochqualifizierter: Die Bildung von Deutschen habe Vorrang. Besteht auf eigenen Zuwanderungsfahrplan: Bildungsministerin Annette Schavan Bild: dpa BERLIN taz Hochqualifizierte aus dem Ausland sollen sich gefälligst hinten anstellen. So reagierten am Mittwoch Unionspolitiker und die deutsche Fachfrau für Hochqualifizierung, Annette Schavan (CDU), auf die von der EU geplante Blue Card. Deutschland habe in Sachen Zuwanderung "seinen eigenen Fahrplan", sagte die Bildungsministerin. Die Bildung und Weiterbildung von deutschen Arbeitnehmern hätten Vorrang. Ähnlich kritisierte die bayerische Wirtschaftsministerin Emilia Müller die Blue Card, welche die Zuwanderung von Fachkräften erleichtern sollte. In ihrem Bundesland gebe es 315.000 Arbeitslose. Die Beschäftigung von Frauen und älteren Arbeitnehmern müsse Vorrang haben vor Zuwanderung, sagte Müller. Dabei gab sich EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso alle Mühe, Bedenken auszuräumen, als er Details des Gesetzentwurfs vorstellte. "Die Blue Card ist kein Blankoscheck", versicherte er. Mit ihr werde kein Zugangsrecht für Einwanderer aus Nicht-EU-Staaten begründet, sondern es handle sich um ein "an der Nachfrage orientiertes Konzept". Sein für Einwanderungsfragen zuständiger Kommissar Franco Frattini assistierte ihm: Österreich habe zunächst protestiert. Seit aber klar sei, dass allein die Mitgliedsstaaten den Bedarf und die Quoten für bestimmte Branchen festlegen werden, sei er "zuversichtlich, dass Wien zustimmen wird". In der ersten Dezemberwoche werden sich zum ersten Mal die Arbeits- und Innenminister der EU zu einer gemeinsamen Sitzung treffen. Frattini will dann das Paket vorlegen und eine Einigung erreichen. Wie es aussieht, kann die Kommission mit ihrer zweigleisigen Strategie, nach der die Standards und Verfahren für hochqualifizierte Einwanderer in Brüssel festgelegt werden, der Bedarf aber von den Mitgliedsstaaten bestimmt wird, die Widerstände nicht ausräumen. Dabei sprechen die Zahlen für sich. In Australien ist jeder zehnte Beschäftigte ein gut ausgebildeter Einwanderer, in der Schweiz macht diese Gruppe 5,3 Prozent aus. In der EU sind nur 1,72 Prozent der Beschäftigten gut ausgebildete Migranten. In Deutschland jammern Unternehmer über den Fachkräftemangel: 2006 fehlten nach Schätzungen des Instituts der deutschen Wirtschaft 165.000 Spezialisten - vor allem Ingenieure, Techniker und Informatiker. Die Wirtschaftsverbände sehen die Blue Card entsprechend positiv. "Zuwanderung kann sicherlich nicht den Mangel an Fachkräften beheben, aber lindern", sagte der Präsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau gestern in Brüssel. Die Initiative komme aber zu spät. Der weltweite Wettbewerb um die besten Köpfe habe längst begonnen. Brüssel trifft daran keine Schuld. Frattinis Vorgänger hatte vor fünf Jahren ein Konzept zur legalen Migration vorgelegt. Angesichts der niedrigen Geburtenraten könne Europa nur bestehen, wenn es sich um Arbeitskräfte aus anderen Teilen der Welt bemühe, lautete sein Credo. Er musste die Gesetzesvorschläge zurückziehen, weil die meisten Mitgliedsstaaten dagegen waren - allen voran Deutschland.
Daniela Weingärtner
Bildungsministerin kritisiert EU-Pläne zur Zuwanderung Hochqualifizierter: Die Bildung von Deutschen habe Vorrang.
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Senat in Paris stoppt Vielsprachigkeit: Man spricht Französisch, basta! - taz.de
Senat in Paris stoppt Vielsprachigkeit: Man spricht Französisch, basta! Ob Bretonisch, Okzitanisch, Baskisch oder Korsisch – Minderheitensprachen sollen in Frankreich zweitklassig bleiben. Herbst in Frankreich: ob Burgundisch, Korsisch oder Okzitanisch, einfach schön. Foto: reuters PARIS taz | Die Korsen, Bretonen, Elsässer und Basken oder die Okzitanisch parlierenden Südfranzosen dürfen auch in Zukunft ihre Regionalsprachen nicht im Amtsverkehr benutzen. Ein neuer Anlauf, die Charta des Europarats zum Schutz und zur Förderung der Regionalsprachen zu ratifizieren, ist gescheitert. Französisch bleibt somit die einzige offizielle Landessprache. Das steht so in der Verfassung und wird nun auch bis auf Weiteres so bleiben. Der Senat hat die eingeleitete Prozedur zur Ratifizierung mit seinem ablehnenden Votum gestoppt und blockiert. Er hat so ein weiteres Wahlversprechen von Staatspräsident François Hollande beerdigt. Dieser hat in diesem wenigstens eine gute Entschuldigung. In der kleinen Kammer des Parlaments hat er nämlich keine Mehrheit mehr, und die bürgerliche Opposition hatte ihrerseits keinen Grund, dem um Popularität buhlenden Staatschef ausgerechnet kurz vor den Regionalwahlen im Dezember ein politisches Weihnachtsgeschenk zu machen. Nun ist Französisch sicherlich eine schöne und reiche Sprache, die ja auch mit entsprechend großem Aufwand verteidigt wird. Für die Gegner dieser Charta ist der Vorrang der einzigen Amtssprache aber nichts weniger als ein Eckpfeiler der zentralistischen Staatsordnung und des Zusammenhalts der Nation. Diese ist auf einem Territorium mit einer Vielzahl von Regionalsprachen und Dialekten entstanden und wurde im Lauf der Geschichte durch die Kultur und Sprache von Minderheiten bereichert. Für die Opposition wäre die Ratifizierung der Charta der Anfang vom Ende der exklusiven Frankofonie: Wo käme Frankreich hin, wenn nun alle sprachlichen Minderheiten, vom Elsass bis zu den Kanaken in Neukaledonien oder Kreolen auf Martinique mit den Behörden nach ihrer Façon reden und verkehren wollten? Unausgesprochen blieb in der Senatsdebatte auch die Befürchtung, dass konsequenterweise und im Sinne der Charta auch Mundarten der Immigration wie Arabisch, Armenisch oder Romani entsprechend gefördert werden müssten. Obschon Frankreich die Charta schon 1999 unterzeichnet hat, stellt sich die Republik bezüglich der Ratifizierung taub. Auch die Gebärdensprache steht übrigens auf der Liste der förderungswürdigen Minderheitensprachen.
Rudolf Balmer
Ob Bretonisch, Okzitanisch, Baskisch oder Korsisch – Minderheitensprachen sollen in Frankreich zweitklassig bleiben.
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Kein Streikrecht unterm Kirchendach - taz.de
Kein Streikrecht unterm Kirchendach BESCHÄFTIGTE Arbeitsgericht bestätigt den rechtlichen Sonderstatus kirchlicher Einrichtungen Für Beschäftigte der Kirche gilt eine besondere „Solidaritätspflicht“ HAMBURG taz | Die rund 1 Million Sozialarbeiter, Pfleger und Ärzte, die für die kirchlichen Wohlfahrtsverbände Caritas und das Diakonische Werk arbeiten, haben auch weiterhin kein Streikrecht. Das bestätigte gestern in erster Instanz das Arbeitsgericht Bielefeld. Dem Argument der Arbeitgeber, Arbeitskämpfe passten nicht zur besonderen Verbundenheit in einer kirchlichen „Dienstgemeinschaft“, wollte die Richterin nicht widersprechen. Die Gewerkschaft Ver.di, die das Urteil einen „Schlag ins Gesicht“ nannte, will die Grundsatzfrage nun durch alle Instanzen weitertragen. In Krankenhäusern der Diakonie in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen hatten sich im vergangenen Jahr rund 300 Mitarbeiter an Warnstreiks von Ver.di beteiligt. Für sie hatte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) die Löhne seit 2004 nicht mehr erhöht. Mitarbeitervertreter aus zehn Bundesländern beklagten Ende Oktober in einem Forderungskatalog mit dem Titel „Tarifverträge statt kollektives Betteln“, dass sich die EKD aus der allgemeinen Lohnentwicklung ausgeklinkt habe. Auf die Warnstreiks reagierte die Diakonie mit der Drohung, die Teilnehmer abzumahnen – und klagte gegen Ver.di, „um endlich Klarheit zu schaffen“, wie Günther Barenhoff vom Vorstand der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe sagt. Zwar ist das Streikrecht im Grundgesetz garantiert. Für die „kirchliche Selbstbestimmung“ verweist das Grundgesetz jedoch auf die Weimarer Reichsverfassung – und die Kirchen legen deren Text als Beschränkung des Streikrechts aus. Eine Sichtweise, die auch von den meisten Arbeitsrechtlern unterstützt wird. Man werde damit der besonderen „Solidaritätspflicht“ in kirchlichen Betrieben gerecht, sagt etwa der Bonner Rechtsprofessor Gregor Thüsing. Gerade gegen diese Vorstellung vom diakonischen Unternehmen als religiöser Gemeinschaft wendet sich Ver.di. „Die tatsächlichen Interessengegensätze zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern werden dadurch überspielt“, sagt Georg Güttner-Mayer, bei der Gewerkschaft für die Kirchen zuständig. In Wirklichkeit agierten und konkurrierten diakonische Unternehmen auf dem Markt wie andere Unternehmen. RON STEINKE
RON STEINKE
BESCHÄFTIGTE Arbeitsgericht bestätigt den rechtlichen Sonderstatus kirchlicher Einrichtungen
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Myanmar nach dem Putsch: Junta lässt scharf schießen - taz.de
Myanmar nach dem Putsch: Junta lässt scharf schießen Mindestens 18 Tote, über 30 Verletzte, viele Festnahmen: Mit massiver Gewalt gehen die Sicherheitskräfte in Myanmar gegen die Protestbewegung vor. Mit Gewehren bewaffnet: Polizei im Einsatz gegen De­mons­tran­t:in­nen in Yangon am Sonntag Foto: Stringer/Reuters BERLIN taz | Die vor einem Monat durch einen Putsch an die Macht gekommene Militärregierung in Myanmar hat am Wochenende ihre Repression der landesweiten Protestbewegung massiv verstärkt. Mindestens 18 Personen wurden dabei getötet und mehr als 30 verletzt, teilte das Büro der Hohen Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte am Sonntag mit. Es war der tödlichste Tag seit dem Putsch. Oft wurden die De­mons­tran­t:in­nen schon angegriffen, bevor sie sich wie an Yangons wichtigster „Protestkreuzung“ Hledan überhaupt in großer Zahl sammeln konnten. Auch wurden Menschen bei ihrer Flucht zum Teil bis in Wohnviertel verfolgt. Dort versuchte die Polizei, das Filmen mit Handys zu unterbinden. Denn in den sozialen Medien zeigen Hunderte Clips die Gewalt der offiziellen Sicherheitskräfte gegen friedliche Gegner der Militärherrschaft. In Yangon ist eine Aufrüstung junger De­mons­tran­t:in­nen zu beobachten – wie in Hongkong 2019 Erstmals setzten Polizei und Militär in größerem Umfang Tränengas und Blendgranaten ein. Doch wurde außer mit Gummigeschossen auch immer wieder mit scharfer Munition gefeuert, mal nur in die Luft, aber auch gezielt auf De­mons­tran­t:in­nen. Vereinzelt wurden auch Pas­san­t:in­nen getroffen. Angriffe auf die friedlichen Proteste wurden aus Yangon, Mandalay, Dawei, Taunggyi, Myitkyina, Bago, Myeik und Pokokkuo gemeldet. Die Zahl der Opfer von Kugeln von Polizei und Militär könnte im Laufe des Abends noch steigen. Die Hilfsvereinigung für Politische Gefangene (AAPP), eine lokale Menschenrechtsorganisation, hatte schon bis Samstagabend seit dem Putsch 854 Festgenommene gezählt, von denen noch 771 in Haft seien. Und allein bis Samstag zählte die Organisation acht Tote im Zusammenhang mit dem Putsch. Am 1. Februar war die Regierung von Aung San Suu Kyi wegen angeblichem Wahlbetrug vom Militär gestürzt worden. Seitdem gilt der Notstand und es gibt ein Versammlungsverbot. De­mons­tran­t:in­nen legen sich Schutzschilde zu Die größten Proteste gab es am Sonntag im zentralen Mandalay, der zweitgrößten Stadt des Landes. Dort marschierten Zehntausende in jeweils einheitlicher Kleidung ihrer Ethnie, ihrer Religion oder ihres Berufsstandes auf. So gab es laut dem Nachrichtenportal Frontier etwa Blöcke von Ärzten, Ingenieuren, Lehrern, Mönchen, Nonnen, aber auch von ethnischen Chinesen, die dort am stärksten vertreten sind. Die Zahl der Protestierenden war so groß, dass Polizei und Militär dort zunächst nicht einschritten und erst später zuschlugen. Mit der wachsenden Gewalt geht der Happeningcharacter der Proteste verloren und steigt das Risiko für die Beteiligten. Eine von der Militärregierung intendierte Einschüchterung ist bisher aber noch nicht bemerkbar. In der größten Stadt Yangon (Rangun) ist eine Aufrüstung junger De­mons­tran­t:in­nen zu beobachten, ähnlich wie in Hongkong im Sommer 2019. Viele der sogenannten Frontliner tragen inzwischen weiße oder gelbe Bauarbeiterhelme aus Plastik, manche schon Gasmasken oder -brillen. Auch gibt es auf Seite der De­mons­tran­t:in­nen inzwischen offenbar eine Massenproduktion von Schutzschilden. Mit Schilden aus Sperrholz, Aluminium oder aus aufgeschnittenen Fässern aus Metall oder Plastik stehen Dutzende junge Männer organisiert den Ketten der Polizei gegenüber und schieben mobile Barrikaden etwa aus Mülltonnen vor sich her. „People“ versus „Police“ Steht das Wort „Police“ auf den Schilden der auch mit Schusswaffen ausgerüsteten Polizisten, hinter denen oft Soldaten mit ihren Waffen stehen, tragen die Schutzschilde der De­mons­tran­t:in­nen nicht selten einheitliche Aufschriften wie „People“. Bisher werfen sie keine Steine oder Brandsätze, sondern agieren defensiv. In Clips ist auch zu sehen, wie junge De­mons­tran­t:in­nen sich durch die aus Hongkong bekannten Handzeichen zum Rückzug verständigen oder etwa Sanitäter oder ihre eigenen mit Wasser ausgerüsteten „Spezialkräfte“ zur Ausschaltung von Tränengasgranaten dirigieren. Unter dem Begriff „Milktea Alliance“ haben sich junge Ak­ti­vis­t:in­nen aus Taiwan, Hongkong, Thailand und Myanmar untereinander vernetzt und tauschen Tips und Erfahrungen aus. Der 28. Februar sollte ein gemeinsamer Aktionstag sein. Zumindest in Bangkok kam es auch zu einem größeren Protest. In Mandalay setzten De­mons­tran­t:in­nen am Sonntag fünf uniformierte Polizisten fest und präsentierten sie im Internet. Sie waren mit einem Zivilfahrzeug in den Demonstrationszug gefahren und hatten den Kofferaum voller Waffen. Wieder Protest in Berlin Eine Solidaritätskundgebung mit dem Protest gegen die Militärherrschaft in Myanmar gab es am Samstag in Berlin. Vor dem Sitz des Militärattachés von Myanmar in der Clayallee im Bezirk Steglitz-Zehlendorf demonstrierten etwa 100 Personen. Es war bereits der zweite Protest an dieser Stelle. Die De­mons­tran­t:in­nen schlugen wie allabendlich die Protestbewegung in Yangon auf Töpfe und Pfannen und forderten die Ausweisung des Vertreters des Putschmilitärs aus Deutschland. Das Straßenschild an der Ecke vor dem Haus wurde symbolisch überklebt und die Straße umbenannt in Kyaw Moe Tun Straße. Kyaw Moe Tun ist Myanmars UN-Botschafter, der sich als bisher höchster Diplomat des Landes der neuen Führung verweigert und vor der UN-Generalversammlung zum Widerstand gegen das Militär aufgerufen hat.
Sven Hansen
Mindestens 18 Tote, über 30 Verletzte, viele Festnahmen: Mit massiver Gewalt gehen die Sicherheitskräfte in Myanmar gegen die Protestbewegung vor.
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■ Anzeige gegen Chef des Islamrats: Verhetzt der Islamrat das Volk? - taz.de
■ Anzeige gegen Chef des Islamrats: Verhetzt der Islamrat das Volk? Berlin (taz) – „Mit diesen Artikeln übt ihr Mord aus.“ Schwere Vorwürfe erhob der Vorsitzende des Islamrats, Hasan Özdogan, am Freitag in Hürriyet gegenüber Journalisten, die ihm ein taktisches Verhältnis zur Pressefreiheit vorwerfen. Nachdem die taz über die Einschüchterungspolitik des Islamrats gegenüber Journalisten berichtete (taz, 2. 10.), herrscht in der türkischen Gemeinde Aufregung. Vor allem die Aussagen Özdogans, der den Leiter des deutsch-türkischen Senders AYPA-TV, Ali Yildirim, als „schmutzigen Journalisten und radikalen, ungläubigen Aleviten“ bezeichnete, lösten Entsetzen aus. Das Berliner Kulturzentrum Anatolischer Aleviten hat inzwischen Strafanzeige wegen Volksverhetzung gestellt. In einem offenen Brief u. a. an Zeit-Herausgeber Theo Sommer und Michel Friedmann, die am 30. 9. mit Özdogan zum Thema „Integration der Muslime“ diskutierten, stellt der Türkische Bund aus Berlin die Glaubhaftigkeit und Dialogbereitschaft des Islamrats in Frage. ese
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Für die CDU ist Kupfer weiter Gold wert - taz.de
Für die CDU ist Kupfer weiter Gold wert ■ Vermittler zwischen Polizei und Gewalttätern in Lichtenhagener Brandnacht meldet sich/ Schweriner Regierungskoalition will Innenminister Kupfer nicht so recht zum Rücktritt auffordern Berlin (taz) – Entgegen aller bisherigen Angaben von Polizeiführern und den zuständigen Staatsanwälten hat die Einsatzleitung in der Brandnacht von Rostock-Lichtenhagen mit einem namentlich bekannten Mann über das „Waffenstillstandsangebot“ der rechten Gewalttäter verhandelt. Der Spiegel berichtet, am Montag letzter Woche (dem Tag, an dem die taz erstmals den „Pakt von Rostock“ darstellte) habe sich der 44jährige Hans Dieter Witt aus Lichtenhagen beim Staatsschutz der Rostocker Polizei gemeldet und erklärt, er habe zwischen Randalierern und Polizei vermittelt. Er habe sich in der Brandnacht des 24. August 1992 mit „vollem Namen und Adresse vorgestellt“ und sei, keineswegs anonym, als Vermittler ab 21.30 Uhr zwischen Polizei und den Rechten hin- und hergelaufen. Dem Hundertschaftsführer Bleeck will Witt eine 45minütige Kampfpause vorgeschlagen haben, während der sich die Jugendlichen davon überzeugen wollten, daß die ZASt (Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber) leer sei. Danach verlangten sie freien Abzug. Bei Bleeck, so Witt weiter, habe er gewartet, bis aus der Einsatzzentrale in Lütten Klein — also von Einsatzleiter Jürgen Deckert — über Funk die Zustimmung kam. Sie sei mit der Aufforderung verknüpft gewesen: „Versuchen Sie, einen Waffenstillstand zu erreichen.“ Gescheitert sei die Waffenruhe nicht daran, daß der Kontakt zwischen Polizei und Kontakt zum Vermittler abgebrochen sei, wie Deckert, der Rostocker Oberstaatsanwalt Neumann und andere vor dem Untersuchungsausschuß des Schweriner Landtags ausgesagt hatten. Nach Witts Angaben wollten vielmehr die Gewalttäter „das Ding hier brennen sehen“ und seien nicht zu bremsen gewesen. Wenn Witt wirklich der Vermittler war und seine Aussagen stimmen, stellen sich neue Fragen. Warum hat die Polizei in jener Nacht nicht Witts Namen und Anschrift notiert? Hat sie es doch getan, wieso tauchte der Name bisher nirgendwo auf? Hat sie es tatsächlich versäumt, warum gelang es nicht nachträglich, einen so wichtigen Zeugen ausfindig zu machen? Wieder nur Pannen und Pleiten? Und wieso meldet sich Witt erst jetzt, nachdem immer mehr Indizien dafür sprechen, daß die Polizei den Pakt von Rostock sozusagen einseitig umsetzte? Denn während Einsatzleiter Deckert weiter bestreitet, die Verhandlungen hätten Einfluß auf die Polizeistrategie gehabt, bestätigen Witts Angaben die Berichte der Hundertschaftsführer Skrocki und Wenn-Karamnow. Der Sprecher des Landespolizeiamts in Schwerin, Volker Horl, sagte gestern, wenn es richtig sei, daß es „diese Gespräche und nicht nur ein anonymes Angebot der Gewalttäter gegeben habe, wäre das ein großer Unterschied“. Unterdessen tut die Schweriner CDU weiter so, als sei der politisch Verantwortliche für die Polizei- Katastrophe von Lichtenhagen, Innenminister Lothar Kupfer, Gold wert. Ministerpräsident Berndt Seite sieht „die Landesregierung auf richtigem Kurs“. Auch der CDU-Landesvorsitzende und Verkehrsminister Günther Krause begab sich von Bonn aus auf den „richtigen Kurs“ und tönte, es sei einfach „unfair“, das Rostocker Desaster seinem Parteifreund „in die Schuhe zu schieben“. Ob Kupfer auf zukünftiges Fair play warten kann, bleibt allerdings zweifelhaft. Wie Krause verwies auch der Schweriner CDU-Fraktionsvorsitzende Eckhardt Rehberg auf die persönliche Belastung des Innenministers. Zwar stehe seine Fraktion hinter Seite und Kupfer, man solle „aber nie nie sagen“, meinte Rehberg auf die Frage nach Kabinettsveränderungen. Die Koalitionspartnerin FDP übte sich in Zurückhaltung und verzichtete darauf, Kupfers Rücktritt zu verlangen. FDP-Landeschef und Bildungsminister Rainer Ortleb sieht überhaupt „keine Regierungskrise“. Die oppositionelle SPD dagegen fordert Neuwahlen — wie schon während der letzten Regierungskrise, die mit dem Rücktritt des damaligen Ministerpräsidenten Alfred Gomolka endete. bm
bm
■ Vermittler zwischen Polizei und Gewalttätern in Lichtenhagener Brandnacht meldet sich/ Schweriner Regierungskoalition will Innenminister Kupfer nicht so recht zum Rücktritt auffordern
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Energie durch Kernfusion: Für immer ein Traum? - taz.de
Energie durch Kernfusion: Für immer ein Traum? Der Bau des Fusionsreaktors ITER kommt voran. Doch selbst die Befürworter der Technik räumen ein, dass es noch viele ungelöste Probleme gibt. Der Fusionsreaktor ITER im französischen Cadarache soll Atomkerne fusionieren Foto: AP Es waren große Worte, mit denen Frankreichs Präsident Ende Juli den Fusionsreaktor ITER feierte: Ein „Versprechen von Fortschritt und von Vertrauen in die Wissenschaft“ sei das Milliardenprojekt, dessen Zusammenbau an jenem Tag offiziell begonnen hat. Und natürlich wiederholte Emmanuel Macron die Verheißungen, die die Fusion der Menschheit bringen soll: Die Energieerzeugung, bei der nach dem Vorbild der Sonne Atome miteinander verschmolzen werden, werde „die Bedürfnisse der Bevölkerungen in allen Teilen der Welt erfüllen, den Herausforderungen des Klimawandels begegnen und die natürlichen Ressourcen schützen“, versprach er. Tatsächlich sind bei dem umstrittenen Fusionsreaktor nach langen Verzögerungen derzeit einige Fortschritte zu sehen. Während von der ersten Idee im Jahr 1985 bis zum offiziellen Baubeginn über zwanzig Jahre vergingen und in den ersten Jahren auf der Baustelle wenig passierte, ist derzeit viel los im südfranzösischen Cadarache: Aus aller Welt sind gewaltige Bauteile für den künftigen Reaktor eingetroffen, nun werden sie von einem internationalen Team mit riesigen Kränen zusammengesetzt. Die erste Fusion in 16 Jahren Auch die Bundesregierung steht hinter der Technologie. Für Thomas Bareiß, CDU-Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, ist Fusion gar „die beste Technologie“ für „eine saubere, sichere, bezahlbare Energieversorgung“. Die Betreiber des Forschungsreaktors verbreiten großen Optimismus: Schon in fünf Jahren soll in ITER erstmals Plasma erzeugt werden. So heißt der vierte Zustand neben fest, flüssig und gasförmig, in dem sich bei gewaltigen Temperaturen von 150 Millionen Grad die Atomstruktur auflöst: Atomkerne und Elektronen werden voneinander getrennt. Weitere zehn Jahre später sollen dann erste Fusionsexperimente stattfinden. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. So weit, dass viele ExpertInnen bezweifeln, dass jemals in größerem Stil Strom mithilfe von Fusion erzeugt wird. „Alles, was bisher passiert ist, zeigt, dass kommerzielle Energieproduktion aus Fusion niemals Realität wird“, meint etwa Michael Dittmar von der ETH Zürich. „Es wird Zeit, dass die Fusionsforscher das endlich zugeben.“ Der Teilchenphysiker hat für die Bundestagsfraktion der Grünen die zahlreichen ungelösten Probleme bei der Fusion zusammengestellt. Nun ist es nicht überraschend, dass die Grünen, die die Fusionsversuche schon lange kritisch sehen, einen Gutachter gefunden haben, der ihre Vorbehalte teilt. Erstaunlich ist aber, dass auch Wissenschaftler, die eigentlich hinter ITER stehen, die zentralen Aussagen seiner Analyse bestätigen. Bisher hat sich die Kritik an ITER in Deutschland meist darauf konzentriert, dass das Projekt immer teurer wird und immer länger dauert: Statt im Jahr 2000, wie bei den ersten Planungen gehofft, oder 2019, wie beim Baubeginn 2007 angekündigt, ist die Fertigstellung von ITER derzeit für das Jahr 2025 vorgesehen, wobei weitere Verzögerungen als wahrscheinlich gelten; die erste Fusion wird frühestens 2036 stattfinden. Und aus den 5,5 Milliarden Euro, die zu Beginn als Gesamtkosten genannt wurden, sind mittlerweile geschätzte 30 Milliarden Euro geworden; die exakte Summe ist nicht bekannt, weil jedes der beteiligten Länder die finanzielle Verantwortung für die von dort gelieferten Teile trägt. Gerade Ende Juli hat die EU beschlossen, die ITER-Ausgaben im Zeitraum bis 2027 auf 5 Milliarden Euro nahezu zu verdoppeln; insgesamt wird sie etwa die Hälfte der Kosten tragen. Doch selbst so viel Zeit und Geld könnten ja gut investiert sein, wenn am Ende wirklich die Lösung aller Energieprobleme stünde. Danach sieht es allerdings nicht aus. Dittmar nennt in seinem Gutachten, das der taz vorliegt, vier zentrale Problemfelder, für die es bisher keine Lösung gibt. Um diese zu verstehen, muss man etwas tiefer in die Prozesse einsteigen, die in einem Fusionsreaktor ablaufen. Im Plasma, das sich in einem donutförmigen Vakuumgefäß befindet und das von starken Magnetfeldern zusammengehalten wird, findet die Fusionsreaktion statt: Deuterium, ein Wasserstoff-Atom, das anders als normaler Wasserstoff neben einem Elektron und einem Proton zusätzlich ein neutrales Teilchen, ein Neutron, enthält, und Tritium, ein Wasserstoff-Atom mit zwei Neutronen, verbinden sich dabei zu einem Helium-Atom und einem freien Neutron. Diese Reaktion setzt gewaltige Hitze frei. Die soll eines Tages sowohl die hohe Temperatur für das Plasma aufrechterhalten als auch zur Stromerzeugung genutzt werden. Radioaktiver Abfall entsteht dabei nur in geringer Menge, eine unkontrollierte Kettenreaktion wie in Kernkraftwerken kann es nicht geben. Ziel von ITER ist es, den Fusionsprozess maximal 7 bis 8 Minuten am Stück aufrechtzuerhalten. Anschließend muss das Plasma jeweils gereinigt werden. „Doch das ist noch mehrere Größenordnungen entfernt von den Anforderungen eines kommerziellen Reaktors“, schreibt Dittmar. „Wie ein stabiles Plasma in der dort erforderlichen Größe und Dauer erreicht werden soll, ist völlig unklar.“ Umgeben ist das Plasma im sogenannten Vakuumgefäß von einer mehrschichtigen Hülle. Und die muss viel aushalten: Die innere Wand ist gewaltigen Temperaturen und permanentem Beschuss mit energiereichen Neutronen ausgesetzt; diesen muss sie standhalten, ohne sie zu stark abzubremsen. „Es gibt heute kein Material, das diesen Anforderungen auch nur nahe kommt“, schreibt Dittmar. Das klingt unglaublich. Doch es wird tatsächlich von offizieller Stelle bestätigt. Michel Claessens ist in der EU-Kommission einer der Verantwortlichen für das ITER-Projekt. Zuvor leitete der Wissenschaftler, der in physikalischer Chemie promoviert hat, fünf Jahre lang die Öffentlichkeitsarbeit von ITER in Cadarache. Er sagt der taz: „Wir haben bisher keine Lösung für die innerste Schicht des Reaktors.“ Bei ITER werde dafür Beryllium verwendet, aber für spätere Reaktoren sei dies ungeeignet. „Es wird der Beanspruchung nicht dauerhaft standhalten“, sagt Claessens. Und was heißt das? Man müsse eben noch intensiver an Lösungen arbeiten, meint der EU-ITER-Experte – und noch mehr Geld ausgeben: „Darum finanzieren die EU und Japan ein zusätzliches Forschungsprogramm, um neue Materialien für Fusionsreaktoren zu finden.“ Ebenfalls ungelöst ist ein weiteres zentrales Problem: die Versorgung mit Tritium, einem der zwei Ausgangsisotope der Fusion. Während Deuterium aus Meerwasser gewonnen werden kann, kommt Tritium in der Natur praktisch nicht vor. ITER wird ebenso wie alle bisherigen, wesentlich kleineren Fusionsexperimente auf Tritium angewiesen sein, das beim Betrieb von speziellen Atomkraftwerken entsteht, die Schwerwasser-Reaktoren vom Typ Candu nutzen. Davon sind aber nur noch 28 in Betrieb, und es werden ständig weniger. Zudem zerfällt das radioaktive Tritium mit einer Halbwertzeit von zwölf Jahren, sodass die vorhandenen Vorräte schnell abnehmen, wenn kein neues Tritium mehr produziert wird. „Alle weiteren Fusionsreaktoren nach ITER müssen darum ihr eigenes Tritium erzeugen“, schreibt Dittmar. Das kann geschehen, wenn ein Neutron im sogenannten Breeding Blanket in der Hülle, die das Plasma umgibt, auf Lithium trifft, wobei Tritium und Helium entstehen. Doch die Vorstellung, dass das gelingt, basiere auf nichts anderem als auf „Hoffnungen, Fantasien, Missverständnissen oder sogar bewussten Falschdarstellungen“, meint Dittmar. Dass es für weitere Versuchsreaktoren oder gar für kommerzielle Fusionskraftwerke kein Tritium mehr gibt, bestätigen alle Wissenschaftler, die dazu arbeiten. „Tritium-Selbstversorgung zu erreichen wird eine unausweichliche Voraussetzung für alle künftigen Fusionsanlagen nach ITER“, schreibt etwa Gianfranco Federici im vergangenen Jahr in einem Paper in der IAEA-Zeitschrift Nuclear Fusion. Der Italiener leitet die Abteilung für Kraftwerksphysik und -technologie bei Eurofusion, dem europäischen Forschungszusammenschluss zur Fusion. Er arbeitet an Konzepten für einen Demonstrationsfusionsreaktor, der auf ITER folgen soll. Federici bestätigt Dittmars Aussage, dass es zur Erzeugung von Tritium in Fusionsreaktoren bisher nur theoretische Überlegungen gibt. „Trotz seiner kritischen Bedeutung für die Fusionsentwicklung ist noch nie ein Breeding Blanket gebaut oder getestet worden“, schreibt er. In ITER sind erste Tests mit solchen Blankets geplant, doch diese mussten wegen Platzproblemen im Reaktor deutlich eingeschränkt werden. Und selbst wenn sie erfolgreich verlaufen sollten, würden nach ITER noch „Lücken und Risiken“ bestehen bleiben, so Federici. Auch Michel Claessens von der EU räumt ein, dass ITER praktisch die gesamten weltweit vorhandenen Tritiumvorräte aufbrauchen werde und die weitere Versorgung ein „ernsthafter Engpass“ sei. Noch deutlicher wird Mohamed Abdou. Der Nuklearphysiker an der University of California in Los Angeles hat über vierzig Jahre zum Thema Fusion geforscht – und zieht kurz vor seinem Ruhestand eine ernüchternde Bilanz. In einem Resümee beim Internationalen Symposium zu Fusionstechnologie, das im vergangenen Jahr in Budapest stattfand, erklärte er laut dem Vortragsmanuskript (hier als pdf), dass die Fortschritte der vergangenen Jahrzehnte „frustrierend langsam“ waren. Das ist Iter Der Reaktor Iter steht eigentlich für „International Thermonuclear Experimental Reactor“. Weil das offenbar zu viele negative Assoziation hervorruft, schreibt das Iter-Konsortium die Abkürzung inzwischen nicht mehr aus, sondern erklärt sie nur mit dem lateinischen Wort für „der Weg“ – und das soll natürlich der in die Energiezukunft sein. Das Konsortium Getragen wird Iter gemeinsam von der EU, den USA, China, Japan, Russland und Indien. Weil jedes Land für einen bestimmten Teil von Iter verantwortlich ist, gibt es keinen finanziellen Gesamtplan. Schätzungen gehen von über 30 Milliarden Euro aus, auf die EU entfällt davon etwa die Hälfte. Der Zeitplan Die Planung für einen internationalen Fusionsreaktor begann 1985 unter US-Präsident Ronald Reagan und UdSSR-Generalsekretär Michail Gorbatschow. Erst 2006 wurde schließlich ein Vertrag zur Finanzierung von Iter unterzeichnet, Anfang 2007 mit den Bauvorbereitungen begonnen. Nach derzeitigem Plan soll der Reaktor 2025 fertiggestellt sein und das erste Plasma erzeugt werden, ab 2036 dann mit tatsächlicher Fusion experimentiert werden. Ab 2040 soll der Reaktor wieder abgebaut werden. Es gebe „große Unsicherheiten beim Erreichen der Tritium-Selbstversorgung“, heißt es, und die bei ITER geplanten Versuche reichten nicht aus, um diese zu beheben. Abdou fordert: „Wir können nicht damit weitermachen, nur über die Themen zu reden, bei denen wir wissen, wie wir sie lösen, und kritische, für die Funktion erforderliche Probleme zu ignorieren, für die wir keine Lösung haben.“ Anders als Fusionskritiker Dittmar wollen die Fusionsforscher die Technologie aber noch nicht aufgeben. Für Abdou ist die Konsequenz aus dem bisherigen Scheitern an Lösungen der entscheidenden Fragen: dass noch mehr Geld für Fusionsforschung bereitgestellt wird. Neben privaten Investoren setzt er dabei auch auf mehr staatliche Mittel, vor allem aus den USA. Auch der europäische Fusionsforscher Federici fordert in seinem Paper „ein kraftvolles Physik- und Technologie-Forschungs- und Entwicklungsprogramm über ITER hinaus“. Das lehnt Sylvia Kotting-Uhl entschieden ab. Der langjährigen Bundestagsabgeordneten der Grünen und derzeitigen Vorsitzenden des Bundestags-Umweltausschusses sind schon die bisherigen Ausgaben der EU für ITER viel zu hoch. „Nach erfolglosen Jahrzehnten weitere 5 Milliarden Euro in ein aussichtsloses Projekt zu pumpen zeugt von mangelndem Zukunftsverständnis“, sagt sie der taz. Auch die zuletzt von Macron wiederholte Vision, dass die Fusion eine Lösung für den Klimawandel sein könne, überzeugt die Grüne nicht: „Der Kampf gegen die Klimakrise darf nicht zum Wunschdenken an ungewisse Megaprojekte verkommen.“ Anstatt auf ein Wunder in ferner Zukunft zu hoffen, müssten Deutschland und die EU in bereits ausgereifte Klimaschutztechnologien investieren, sagt Kotting-Uhl. Und selbst wenn die Fusion irgendwann doch noch gelingen würde, käme sie für eine Lösung der Klimakrise zu spät, meint die Abgeordnete: „Für das Erreichen der Klimaneutralität bis 2050 ist die Kernfusion – falls sie je kommt – irrelevant.“ Tatsächlich wird gerade die Beschleunigung der Klimakrise, die stets als Argument für die Fusion angeführt wurde, zunehmend zum Problem für die Technik. Denn um irreversible Klimaschäden zu vermeiden, müssen die Emissionen in den Industriestaaten schon in der Mitte des Jahrhunderts auf null sinken. Doch dass die Fusion bis dahin irgendeinen Beitrag zur Energieversorgung leisten kann, behaupten nicht mal die größten Optimisten. In ihren Planungen folgen auf ITER zunächst mehrere weitere Forschungsreaktoren (genannt „Demo“), die deutlich größer wären und, anders als ITER, tatsächlich Strom produzieren würden. Und erst wenn diese erfolgreich wären, könnte mit der Planung von kommerziellen Reaktoren begonnen werden – irgendwann weit in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. Und selbst wenn die zahlreichen technologischen Probleme, für die bisher nicht mal theoretisch eine Lösung in Sicht ist, in der Praxis gemeistert werden könnten, bleibt die Frage, ob Fusion auch wirtschaftlich funktionieren würde. Bei ITER, dem bisher größten und teuersten Fusionsreaktor, würde die erzeugte Wärme lediglich in kurzen Phasen dafür genügen, eineinhalb mal so viel Strom zu erzeugen, wie dem Reaktor für den Fusionsprozess insgesamt zugeführt werden muss; den auf der ITER-Webseite genannten Faktor von 10 bezeichnet selbst EU-Mann Claessens in einem Buch über den Reaktor als Irreführung. Denn dabei wird nur der Strom zum Heizen des Plasmas berücksichtigt und dieser zudem mit der erzeugten Wärmeenergie verglichen statt mit dem Strom, der damit produziert werden könnte. Ein kommerzieller Reaktor, der so viel Strom erzeugen soll wie ein heutiges Atom- oder Kohlekraftwerk, müsste um ein Vielfaches größer sein als ITER – und würde damit, abgesehen von allen damit verbundenen technischen Schwierigkeiten, auch wesentlich teurer. Angesichts der Tatsache, dass selbst technisch ausgereifte konventionelle Atomkraftwerke heute kaum noch mit der immer billiger werdenden Stromerzeugung aus Wind und Sonne konkurrieren können und auch die Speicherung von Strom zunehmend billiger wird, scheint es kaum vorstellbar, wie Strom aus Großkraftwerken mit Kosten im zweistelligen Milliardenbereich in fünfzig Jahren günstiger sein soll als solcher aus erneuerbaren Quellen. taz am wochenendeDieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter. Dass CDU-Staatssekretär Thomas Bareiß angesichts dieser Faktenlage zur Einschätzung kommt, Fusion könne für eine „bezahlbare Energieversorgung“ sorgen, ist darum überraschend. Eine Nachfrage, was die Grundlage für diese Aussage sei, blieb unbeantwortet. Das Wirtschaftsministerium erklärte lediglich, obwohl die Fusionsforschung „Fortschritte gemacht“ habe, sei es „noch nicht möglich, genau vorauszusagen, wann eine kommerzielle Stromproduktion aus Fusion erfolgen kann“. Wirtschaftlichkeit unklar Dass noch offen ist, ob Fusion jemals konkurrenzfähig wird, räumt auch EU-Experte Claessens ein. „Die wirtschaftliche Tragfähigkeit muss erst noch demonstriert werden“, sagt er. Doch aufhalten lassen will er sich davon nach jahrelanger Arbeit für das Projekt nicht mehr: „Vielleicht wird es nicht klappen. Aber wir sollten es wenigstens versuchen, denn die potenziellen Vorteile sind enorm.“ Auch das Wirtschaftsministerium lässt sich von den offenen Fragen nicht beeindrucken. „Kernfusion ist aus Sicht der Bundesregierung eine energiepolitische Option über den Zeitraum 2050 hinaus“, heißt es aus dem Haus von Minister Peter Altmaier. „Deshalb beteiligt sich Deutschland auch an ITER.“ Michael Dittmar erinnert dieses Vorgehen an „Des Kaisers neue Kleider“, das Märchen von Hans Christian Andersen. „Wenn alle anderen behaupten, etwas zu sehen, traut sich keiner zu sagen, dass er nackt ist“, meint der Physiker.
Malte Kreutzfeldt
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GROSSE GEWÄCHSE UND ERSTE LAGEN - taz.de
GROSSE GEWÄCHSE UND ERSTE LAGEN Als im Herbst 2003 nach einem langen und heißen Sommer die Ernte eingefahren wurde, sprachen die deutschen Winzervereinigungen schnell von einem Jahrhundertjahrgang – vergleichbar nur mit Ausnahmejahren wie etwa 1921 oder gar 1540 – ein Jahrgang, von dem es immerhin noch vier Flaschen gibt. An diesem Wochenende besteht nun zum ersten Mal die Möglichkeit, die besten deutschen Weine des Jahres 2003 zu probieren. In zahlreichen Berliner Restaurants, Weinhandlungen und bei DaimlerChrysler am Potsdamer Platz präsentiert der VDP – der Verband deutscher Prädikatsweingüter – mehr als 750 Weine (www.vdp.de). Höhepunkt ist die Vorstellung der so genannten „Großen Gewächse“ des Jahres 2002: nach dem Vorbild der französischen „Grand Crus“ werden mit dieser Bezeichnung herausragende Weine aus den besten Weinbergslagen ausgezeichnet. Ziel war es, mit Hilfe dieses Qualitätssiegels dem Konsumenten einen Weg durch den Dschungel der deutschen Weinbezeichnungen zu weisen. Da der deutsche Föderalismus jedoch auch am deutschen Weinbau nicht spurlos vorbeigegangen ist, gibt es neben den „Großen Gewächsen“ auch „Erste Gewächse (Rheingau) und „Erste Lagen“ (Mosel-Saar-Ruwer). Außerdem ist die Anzahl der ausgezeichneten Weine schon jetzt kaum mehr zu überblicken. Zwei Jahre nach Einführung der Gütebezeichnung gibt es 237 Grand Crus aus 110 Weingütern. HER
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Streit um ZDF-Chefredakteur Brender: Staatsstreich in Mainz - taz.de
Streit um ZDF-Chefredakteur Brender: Staatsstreich in Mainz Vor der Verwaltungsratsentscheidung über die Zukunft von ZDF-Chefredakteur Brender regt sich Protest gegen CDU/CSU. Um die Person Brender selbst geht es bei der Auseinandersetzung um seine Zukunft nur noch am Rande. Bild: dpa Die Union steht geschlossen gegen Brender, und Deutschlands Verfassungsrechtler stehen - relativ - geschlossen gegen den dreisten Versuch von CDU/CSU, beim ZDF den Durchmarsch zu proben. Ob der Protest der 35 Staatsrechtler in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Wirkung zeigt, liegt nun bei den kleinen Parteien, zu denen neuerdings ja auch die SPD gehört. Seit Februar herrscht hinter den Kulissen des angeblich staatsfernen öffentlich-rechtlichen ZDF Krieg, er macht sich fest an der Person des Chefredakteurs: Der Vertrag des obersten ZDF-Journalisten Nikolaus Brender, 60, soll nach dem Willen von Intendant Markus Schächter noch einmal für fünf Jahre verlängert werden. Das wiederum will die Union, die in den ZDF-Gremien über solide Mehrheiten verfügt, um jeden Preis verhindern. Ihr Instrument ist der ZDF-Verwaltungsrat, der am Freitag zur entscheidenden Sitzung zusammenkommt. In ihm dürfen per Gesetz sechs waschechte politische Strippenzieher sitzen - aktuell sind das vier von CDU/CSU und zwei der SPD. Die Mehrheit im Gremium liegt bei den neun Repräsentanten, die der Fernsehrat des ZDF in den Verwaltungsrat entsendet. Der Fernsehrat, in dem die berühmten gesellschaftlich relevanten Gruppen vertreten sind, kontrolliert den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Der ZDF-Fernsehrat steht auch hinter seinem Intendanten und dessen Personalvorschlag. Doch im Verwaltungsrat werden aus den Fernsehräten nun parteipolitische Funktionäre, dass es einen graust. Um die Person Brender selbst geht es mittlerweile nur noch am Rande - sondern darum, wem der öffentlich-rechtliche Rundfunk gehört: der Politik, wie Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) unverhohlen erklärt, oder der Gesellschaft, den GebührenzahlerInnen - uns. Klage tut not, doch ein Gang zum Bundesverfassungsgericht steht nur den ZDF-Gremien inklusive Intendant zu - die dies bislang scheuen. Und auch die Politik könnte sich selbst entmachten: Ein Drittel der Bundestagsabgeordneten könnte per Normenkontrollverfahren in Karlsruhe überprüfen lassen, wie es um die wirkliche Staatsferne beim ZDF bestellt ist. Von der Union ist das nicht zu erwarten, die SPD laviert - schließlich übt sie in den Gremien von ZDF wie ARD auch noch den ein oder anderen Einfluss aus, den sie nicht missen möchte. Die SPD-Medienkommission hat gestern beschlossen, das Ergebnis am Freitag abzuwarten und dann mit Rundfunkrechtlern "realistisch über Konsequenzen zu beraten". FDP, Grüne und Linke zusammen - was für eine Ampel - könnten das Signal auf Rot stellen, allein steckt die FDP nicht nur im Berliner Koalitionszwang fest. Und auch bei der Linken tut man sich erstaunlich schwer in Sachen ZDF. Für die neue, frisch in den Bundestag eingezogene medienpolitische Sprecherin der Grünen, Tabea Rößner, kein Grund zu Pessimismus: "Ich sehe große Chancen, nach dem Brief der Verfassungsrechtler über die Parteigrenzen hinweg etwas zu erreichen", sagte sie der taz. "Wer unabhängigen Journalismus will, muss jetzt handeln - das betrifft ausdrücklich auch die gesellschaftlichen Gruppen in den ZDF-Gremien." Rößner weiß, wovon sie spricht: Vor der Wahl arbeitete sie als Journalistin und Redakteurin - beim KiKa und beim ZDF.
Steffen Grimberg
Vor der Verwaltungsratsentscheidung über die Zukunft von ZDF-Chefredakteur Brender regt sich Protest gegen CDU/CSU.
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Psychologe über Missbrauch in der Kirche: „Wir können das nicht aussitzen“ - taz.de
Psychologe über Missbrauch in der Kirche: „Wir können das nicht aussitzen“ Hans Zollner ist Priester und Professor für Psychologie. Im Vatikan kämpft er für die Aufarbeitung von Missbrauch. Ein Gespräch über Reformen und die Rolle des Papstes. Hans Zollner an der Gregoriana, der Päpstlichen Universität in Rom Foto: Francesco Pistilli/KNA wochentaz: Herr Zollner, wie verhindert man Missbrauch? Hans Zollner: Das hängt vor allem davon ab, wie die Menschen sich selber verstehen, wie sie ihre eigenen Bedürfnisse kennen. Wie sie damit umgehen und ob sie mit den Menschen, mit denen sie leben und arbeiten, auf eine Weise zusammenkommen, die die Würde und die Grenzen der anderen respektiert. Es gibt Risiko- und Schutzfaktoren. Sowohl was das Persönliche als auch das Institutionelle angeht. im Interview:Hans Zollnerist Priester und Professor für Psychologie an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. 2012 war er Mitgründer des Centre for Child Protection in München. Zollner berät weltweit Ordens­gemeinschaften und Bistümer bei der Missbrauchsprävention. Seit Jahrzehnten gibt es Berichte über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche. 2014 benannte Papst Franziskus eine Aufklärungskommission. Hans Zollner hat sie aus Protest verlassen Die katholische Kirche gilt als Risikoinstitution. Sie sehen von Ihrem Büro aus die Zentrale, den Vatikan. Ich sehe vom Schreibtisch aus gegenüber den Petersdom. Auch sonst sind Sie dem Papst sehr nah. Das kann man so nicht sagen. Ich habe ihn während der Pandemie gar nicht gesehen. Dann zwei, drei Mal im November und im Januar. Aber ich habe keinen regelmäßigen Termin bei ihm. Hierzulande fragen sich viele, warum der Papst Bischöfe wie Rainer Maria Woel­ki, Reinhard Marx und Stefan Heße im Amt lässt, obwohl sie im Umgang mit Missbrauchsfällen versagt haben. Ich weiß es auch nicht. Und wundere mich, nicht nur in Bezug auf diese drei, sondern auch auf andere, die im deutschen Sprachraum weniger bekannt sind. Man muss natürlich bedenken, dass bei den dreien das Niveau der rechtlichen Anschuldigungen sehr unterschiedlich ist. Vor allem ist nicht klar, welche Kriterien angewendet werden, warum in einem Fall jemand entlassen wird und in einem anderen nicht. Was aber angepackt werden muss, ist die moralische Verantwortung, die natürlich unabhängig ist von Verjährungsfristen. Das jüngste Gutachten aus dem Bistum Freiburg attestiert dem Ex-Bischof Robert Zollitsch, der auch Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz war, das „Vollbild einer Vertuschung“. Wieder fordern Betroffene, dass die Politik handelt. Was muss passieren? Bundespolitisch muss die Stelle der Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung gegen sexuellen Missbrauch verstetigt und verstärkt werden. Schon 2020 habe ich in Berlin für eine Wahrheits- und Aufarbeitungskommission geworben. Ich glaube, dass von der Bundesebene definiert werden müsste, was die Kriterien für die Aufarbeitung von Missbrauch sind und wie die Beteiligung von Betroffenen aussieht. Und auf Landesebene? Da braucht es Anlaufstellen für Betroffene. Wie jetzt im Saarland eine geschaffen wurde, wie sie in Bayern diskutiert wird. Dringend notwendig ist, dass für alle Ausbildungs- und Studiengänge, in denen es um die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen geht, das Pflichtfach Kinderschutz eingeführt wird. Das ist bis heute weder im Lehramtsstudium noch in der Psychologie, der Medizin oder der Sozialarbeit der Fall. Ich finde das unglaublich. Sie lehren Kinderschutz. Als Jesuitenpater an einer päpstlichen Uni. Können denn die Frösche das Austrocknen des Teiches lehren? Ich möchte hoffen, dass die Leute differenzieren können, dass sie nicht alle Priester und Ordensleute über einen Kamm scheren. In der Präventionsarbeit, nicht in der Aufarbeitung, hat die katholische Kirche, auch in Deutschland, sehr viel gemacht. Erzwungenermaßen. Im Bereich Prävention kann man sagen, dass manchmal sogar staatliche Stellen und NGOs auf uns zukommen und um Rat bitten. Wird die katholische Kirche also ungerecht behandelt? Die katholische Kirche wird nicht ungerecht behandelt. Sie hat einen höheren moralischen Anspruch verkörpert und vor sich hergetragen. Daran wird sie berechtigterweise gemessen. Und wenn die Fallhöhe höher ist, dann ist natürlich auch die Aufmerksamkeit höher. Aber alle Expertinnen und Experten sagen, dass der größte Anteil von sexueller Gewalt im Familienkontext geschieht. Das geht in der öffentlichen Debatte fast völlig unter. Onlinemissbrauch ist auch nur sehr sporadisch im Blickpunkt. Und das ist meines Erachtens der größte Risiko­faktor für Kinder und Jugendliche heute. Was wir in den letzten ein, zwei Jahren auch verstärkt mitbekommen haben, ist Missbrauch in Sportvereinen, auch in anderen Arten von Vereinen. Die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus, spricht davon, dass auch in der evangelischen Kirche noch nicht genug getan ist. Ich will nicht als jemand erscheinen, der mit dem Finger auf andere zeigt. Aber die Protestanten sind nicht nur etwas hintendran, sondern fast 15 Jahre. Sie haben sich gerne hinter den Katholiken versteckt und bauen jetzt hohe Hürden auf, weil es bald auch an die Aufarbeitung und an Entschädigungszahlungen von Opfern in ihren Reihen geht. Im März haben Sie die Päpstliche Kommission zum Schutz von Minderjährigen verlassen, die Sie vor neun Jahren mitgegründet haben. Warum? Ich habe gesehen, dass die Kommission selber nicht die Prinzipien anwendet, die die Kirche sich offiziell gegeben hat: Verantwortungsübernahme, Rechenschaftspflicht und Transparenz. Nachdem meine Versuche, diese Bedenken an die Leitung zu kommunizieren, ungehört verhallt sind, musste ich die Konsequenz ziehen. Worum ging es konkret? Um die Neubesetzung der Kommission, die im vergangenen Jahr im Gang war. Von den vier Menschen im Auswahlgremium ist einer mittlerweile selbst Mitglied der Kommission, und zwei sind bei der Kommission angestellt. Das widerspricht meinem Verständnis von Compliance. Es ging auch um die Unklarheit, wo die Gelder herkommen für die Kommission, wie sie verwaltet und wie sie auditiert werden. Wenn es diese Lücke gibt zwischen dem, was kommuniziert wird, und dem, was gemacht wird, dann kann ich nicht mehr mitmachen. Weil genau das ein Wurzelgrund für möglichen Missbrauch ist. Wer ist verantwortlich? Der Kommissionspräsident Kardinal Seán O ’Malley oder auch der Papst? Zunächst sehe ich den Präsidenten der Kommission und den Sekretär der Kommission, Andrew Small, in der Pflicht. Wenn das nicht klappt, dann muss der Papst eingreifen. O ’Malley hat sich „überrascht und enttäuscht“ gezeigt über Ihre Kritik, kürzlich aber selbst von „Wachstumsschmerzen“ gesprochen und Änderungen angekündigt. Da wurden plötzlich alle möglichen Dokumente auf die Website der Kommission gestellt, wo es um Vereinbarungen mit anderen Ministerien hier im Vatikan geht. Aber wenn man sich die durchliest, ist meinem Eindruck nach alles schwammig und wenig nachvollziehbar. Es bleibt bei Absichtserklärungen, bei denen man nicht weiß, was das eigentliche Ziel ist und wer seine Einhaltung überprüfen soll. Und die große Frage, die überhaupt noch nicht angegangen ist: Wer überwacht denn die Finanzen? Es kann nicht sein, dass eine Kommission sich selber überwacht. Der Präsident der Kommission ist auch Erzbischof von Boston. Sind diese Ämter überhaupt vereinbar? Sie wären vereinbar, wenn der Präsident oft in Rom wäre, wenn er die Zeit hätte oder sich nähme, an den Dingen dranzubleiben. Und wenn er bereit wäre, in den Ring zu steigen. Denn natürlich ist es ein Feld, das hier im Vatikan auch Widerstand findet, so wie überall. Seit der Verfassungsreform des Vatikans im vergangenen Jahr untersteht die Kommission dem Glaubensdikasterium. Die Kommission ist jetzt also Teil eines vatikanischen Ministeriums. Sie befürchten, dass sie dort untergeht. Ich bin überzeugt, dass das nicht gut zusammenpasst. Nachdem es jetzt aber so ist, braucht man jemanden, der auch stark in Konflikte geht. Und das macht Kardinal O’Malley nicht. Papst Franziskus ist seit 10 Jahren im Amt. Ihre Bilanz, was die Aufarbeitung und Prävention von Missbrauch angeht? Wenn es um die Empathie, um die Herzlichkeit und die Nähe zu Menschen geht, denen Leid widerfährt, ist er wirklich ganz glaubwürdig. Das habe ich selber erlebt, das hat er vor einigen Tagen wieder gezeigt, als Betroffene von Missbrauch aus München hier waren. Er ist jemand, der das Thema wachgehalten hat, der im rechtlichen Bereich mehr Verschärfungen eingeführt hat als alle seine Vorgänger zusammen. Aber man muss auch sagen: Er hat es leider nicht zu der Priorität Nummer eins seines Pontifikats gemacht. Für ihn stehen die Armutsbekämpfung, die Migration und Ökologie ganz oben. Missbrauch spielt eine wichtige Rolle, aber halt nicht die wichtigste. Was ich sehr bedauere, weil ich glaube, dass das ein Thema sein wird, mit dem sich die Weltkirche noch viele Jahre und Jahrzehnte auseinandersetzen wird.
Stefan Hunglinger
Hans Zollner ist Priester und Professor für Psychologie. Im Vatikan kämpft er für die Aufarbeitung von Missbrauch. Ein Gespräch über Reformen und die Rolle des Papstes.
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US-Botschafter in Ungarn: Kritik an homophober Politik Orbans - taz.de
US-Botschafter in Ungarn: Kritik an homophober Politik Orbans David Pressman hat eine regierungskritische Rede beim Pride-Auftakt in Budapest gehalten. Derweil schießen sich ungarische Medien auf George Soros' Sohn ein. Szene vom Budapester Pride im Juli 2016 Foto: dpa/Zoltan Balogh BUDAPEST/WIEN afp | Der US-Botschafter in Ungarn hat die „homophobe“ und „opportunistische“ Politik von Ministerpräsident Viktor Orban kritisiert. „LGBTQ-Menschen werden auf der ganzen Welt angegriffen, auch in Ungarn“, sagte der Diplomat David Pressman am Freitag zum Auftakt des Pride-Monats in Budapest. „Wir glauben, dass Gewalt und homophobe Politik auf Opportunismus und nicht auf Überzeugungen zurückzuführen sind, aber sie richten trotzdem Schaden an“, erklärte der Botschafter. Der 46-jährige Pressman, der offen schwul und seit September US-Botschafter in Ungarn ist, hat die Regierung in Budapest schon mehrfach kritisiert. Am Freitag forderte er die von der Regierung „kontrollierten“ ungarischen Medien auf, über seine „gesamte“ Rede zu berichten. Eine homophobe Grundierung hat auch die Hetze ungarischer Politiker und Medien gegen einen Akteur, den sie als neuen Feind nationaler Interessen ausgemacht haben. Es handelt sich um den Sohn des Milliardärs und Philanthropen George Soros. Jahrelang war letzterer das Feindbild Nummer eins der rechtspopulistischen ungarischen Regierung. Doch seit er seine einflussreichen Stiftungen an den 37-jährigen Alexander Soros abgegeben hat, ist dieser nun zum Ziel rechtspopulistischer Stimmungsmache geworden. Der gebürtige Ungar George Soros wurde als Finanzexperte in den 1970er und 1980er Jahren in den USA reich. Mit seinem Vermögen gründete er die Open Society Foundations (OSF), die Demokratie, gute Regierungsführung und liberale politische Initiativen fördern. Für Rechte und Populisten ist Soros eine Hassfigur, der sie dunkle Machenschaften vorwerfen. Als Jude ist der Milliardär auch immer wieder antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt. Weil sich die Stiftungen für die Rechte von Flüchtlingen einsetzen, warf die ungarische Regierung Soros etwa vor, Europa mit Migranten „überschwemmen“ zu wollen. „Die Regierung hat George Soros zu einer Art unumstrittenen Feind gemacht“, der für alles verantwortlich sei – von der hohen Inflation bis hin zu Ungarns außenpolitischer Isolation, sagt Peter Kreko, Geschäftsführer der Denkfabrik Political Capital in Budapest, die auch von OSF unterstützt wird. Als am Montag bekannt wurde, dass der 92-Jährige die Kontrolle über sein philanthropisches Imperium nun seinem Sohn überlässt, war Orban einer der ersten, der die Nachricht kommentierte. Unter der Überschrift „Soros 2.0“ twitterte er eine Szene aus dem Film „Der Pate“, in welcher der Mafiaboss seinen Sohn küsst. Soros habe „ein Vermögen für den Versuch ausgegeben, die Ereignisse, einschließlich Wahlergebnissen, zu beeinflussen“, erklärte Regierungssprecher Zoltan Kovacs anlässlich des Führungswechsels. „Und das alles ohne demokratisches Mandat. Die Vertreter des Soros-Netzwerks wurden nie gewählt, in gewissem Sinne könnte man sagen, dass sie fast eine Mafia sind“, sagte er. Die weiteren Reaktionen zeigen die Bandbreite und die Methoden der regierungsfreundlichen Medienlandschaft in Ungarn, in der es kaum noch unabhängige kritische Stimmen gibt. Die Website Origo veröffentlichte ein Foto, das Alexander Soros zusammen mit einem Mann zeigt, den die regierungsnahe Plattform als seinen „Lebenspartner“ bezeichnete. „Die beiden umarmen sich oft und halten Händchen“, schrieb Origo weiter. „Das ist offensichtlich Teil der LGBTQ-Propaganda des jungen Soros.“ Hirado, ein Programm des wichtigsten öffentlichen Senders, verbreitete die Behauptungen der privaten Website weiter. Bereits 2018 hatten regierungsnahe Medien die Falschmeldung veröffentlicht, Alexander Soros sei auf der Homosexuellen-Parade Budapest Pride gesichtet worden. Thinktanks, die Orbans Fidesz-Partei nahe stehen, wiederholen gern die Rhetorik der Regierung. Tamas Fricz vom Institut Alapjogokert Központ griff in Kommentaren die Andeutungen über das Privatleben von Soros junior auf. Der Sohn werde noch „radikaler“ sein als sein Vater, wenn es um „die Frage einer Weltregierung, Impfpflicht oder Abtreibung“ gehe, schrieb er weiter. „Sehr einseitige Berichterstattung“ Die Berichterstattung der regierungsnahen Medien über Alexander Soros sei sehr einseitig, sagt Politikwissenschaftler Kreko. „Dass er sich auch regelmäßig mit rechtsgerichteten Politikern getroffen hat“ wie dem ehemaligen österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz oder dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic, werde nicht erwähnt, sagt er. Der Politologe rechnet nicht damit, dass mit dem Sohn fairer umgegangen wird als mit dem Vater: „Das rhetorische Kartenhaus der Regierung ist auf George Soros aufgebaut, ohne ihn würde es zusammenbrechen. Es war also zu erwarten, dass die Rhetorik auch dann bestehen bleibt, wenn Alex Soros in den Vordergrund tritt.“ Nach heftigem Protest hatte Ungarn Ende Mai sein umstrittenes Whistleblower-Gesetz überarbeitet. Das Parlament in Budapest strich eine Passage, die es Bürgern ermöglichen soll, anonym Menschen zu melden, welche die Rolle von Ehe, Familie und Geschlecht „in Frage stellen“. Menschenrechtsorganisationen hatten diese scharf kritisiert und der Regierung vorgeworfen, damit LGBTQ-feindliche Gefühle zu schüren. Die englische Abkürzung LGBTQ steht für lesbisch, schwul, bisexuell, transgender und queer. Orban, der sein Land als „christliches Bollwerk“ in Europa sieht, drängt in Ungarn seit 2018 mit immer schärferen Gesetzen Freiheiten zurück. Seine Regierung verbot etwa den Eintrag von Geschlechtsumwandlungen im Personenstandsregister und die Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare. In der ungarischen Verfassung ist seit einer Änderung von 2019 festgeschrieben, dass die Ehe nur zwischen Mann und Frau möglich ist, dass ein Vater ein Mann ist und eine Mutter eine Frau. Seit 2021 ist es auch verboten, mit Minderjährigen über Homosexualität oder Geschlechtsangleichungen zu sprechen. Dagegen hat die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, das von 15 EU-Ländern unterstützt wird.
taz. die tageszeitung
David Pressman hat eine regierungskritische Rede beim Pride-Auftakt in Budapest gehalten. Derweil schießen sich ungarische Medien auf George Soros' Sohn ein.
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■ Bafög-Reform und die Rückkehr der Hochschulpolitik: Kalte Dusche – heißer Herbst? - taz.de
■ Bafög-Reform und die Rückkehr der Hochschulpolitik: Kalte Dusche – heißer Herbst? Nach dem gescheiterten Bildungsgipfel 1993 wurde die Abwesenheit von Wissenschaftspolitik von den Regierungen und den Hochschulen relativ gleichmütig hingenommen. Man begann sich damit abzufinden, daß Deutschland trotz allen Standortgebrabbels dieses Feld ehrgeizigeren Konkurrenten räumen würde. Überdies sind die Zeiten für Detailreformen ja nicht ungünstig: Wo immer der Staat seine Lenkungskompetenz gefährdet sieht, etwa in Haushaltsfragen, oder wo er seiner Verantwortung überdrüssig ist, vor allem im Inhaltlichen, können die Hochschulen ja kleine Autonomiegewinne erzielen. In gewissem Sinne sind wir ja dabei, Teile der Hochschulpolitik wieder zu „erfinden“ (Ulrich Beck). Der Schönheitsfehler in der Hochschulinnenpolitik begann sich derweil zu einer Zeitbombe auszuwachsen. Schon seit Jahren ist die studentische Verarmung offensichtlich. Bei dem Hickhack um die 17. Bafög-Novelle ging es um die Fortschreibung des Modells. Dabei war die Erhöhung der Fördersätze ebenso wie die Förderquote (unter 25 Prozent der Studierenden) schon längst weit von jeder sozialen Kompensation entfernt. Niemand wollte dem „Modell“ die Chance der „Selbstheilung“ verbauen, den Weg, in die Hochschulpolitik zurückzukehren, blockieren. Aber die Binsenweisheit, daß keine Hochschulreform auch nur in Angriff genommen werden kann, bevor die studentische Unterhaltssicherung befriedigend gelöst würde, ist den meisten Akteuren entgangen, und die wenigen Warner spielten allenfalls eine moderierende Rolle. Der Wonnemond des allseits mit Vorschußlorbeeren bedachten Ministers Rüttgers währte nicht lange. Seit Beginn der anschwellenden Bafög-Diskussion wartete man auf ein klärendes Wort aus Bonn. Die Initiative mußte vom Bund ausgehen, damit den Ländern ein einigermaßen abgestimmtes Angebot gemacht werden könnte – der umgekehrte Weg einer koordinierten Länderinitiative in diesem Feld war bisher völlig außer Reichweite. Rüttgers dementierte standhaft, daß man in seinem Haus überhaupt über Ausbildungsförderung konstruktiv nachdachte, und doch wußte jeder, daß eine Ausarbeitung folgen mußte, wollte er die Initiative nicht der Opposition, allen voran den Bündnisgrünen und dem Deutschen Studentenwerk überlassen. Als Rüttgers dann vor einigen Wochen in die Presse ging, war die allgemeine Überraschung groß. Was hatte man eigentlich erwartet? Daß der Minister ein konsistentes Bafög-Reform-Modell vorlegen würde? Das kann ja gar nicht sein Interesse sein, weiß er doch genau, daß der Einigungsprozeß mit den Ländern und mit den Hochschulen einen Preis hat, der nur als Kompromiß ausgehandelt werden kann. Alles konzentrierte sich auf die unsinnige Verzinsungsformel und das Privatbankengeschäft des Rüttgers-Modells. Dabei hat man übersehen, daß er zwar keineswegs gute Politik angeboten hatte, aber politisch gut in Szene setzte, was er wollte: Ab jetzt ist die Bafög-Diskussion mit dem Komplex der Studiengebühren untrennbar verknüpft, und zugleich hat der Minister die Minderausstattung im Hochschulbau nicht bloß anerkannt, sondern zu einem Instrument gemacht, wenigstens die Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen von ihrer ablehnenden Haltung gegenüber seinem Modell abzubringen. Das bedeutet keineswegs, daß Bafög von der Tagesordnung gestrichen gehört oder daß jemand von der Forderung abgehen dürfte, die studentische Grundsicherung vor allen anderen inhaltlichen Reformschritten zu sanieren. Die Fronten der Auseinandersetzung haben sich jedoch nachhaltig verschoben. Eine genaue Lektüre der SPD-Bafög-Modelle und der Äußerungen des zuständigen Parteidenkers Glotz lassen einen breiten Kompromißkorridor mit dem Grundkonzept von Rüttgers erkennen. Andererseits bieten die Ausbildungskassenmodelle der Bündnisgrünen, sofern sie denn bald vereinheitlicht werden, den Vorteil, die studentische Grundsicherung und die Hochschulfinanzierung in einen generationsübergreifenden Zusammenhang zu bringen, ohne gleich auf den populären Zug der Studiengebühren voll aufzuspringen. Das Deutsche Studentenwerk hat sich im übrigen mit einem eigenen Modell ein Stück in beide Richtungen bewegt, aber mit dem Bestehen auf einer Leistungskomponente beim studentischen Grundeinkommen eine gefährliche Vermengung der sozialen und der hochschulpolitischen Sphäre befördert. Man ist ja schon dankbar, daß eine kalte Dusche einen aus der unwürdigen Lethargie aufschreckt, diese Form von Dankbarkeit wird Herr Rüttgers gerne entgegennehmen. Aber man soll sich im Überschwang der Kritik nicht die Finger verbrennen, wenn ein heißer Herbst das Gebot der Stunde ist. Der wird zunächst keine noch so „machtvollen“ Demonstrationen brauchen können, solange nicht klar ist, gegen wen und vor allem wofür sie sich eigentlich ausrichten. Die Temperatur kann nur steigen, wenn alle verantwortlichen Hochschulpolitiker, die Wissenschaftsorganisationen und die Angehörigen der Hochschulen sich eines klar machen: Die Instrumente zu einer Neugestaltung der Hochschulpolitik liegen deutlich wie lange nicht zutage, sie müssen nur anders angeordnet werden, als sich Bund, Länder und Standesorganisationen das vorstellen. Deshalb müssen wir darauf bestehen, daß die studentische Grundsicherung vorgezogen wird und dann die Schwerpunkte Hochschulfinanzierung, Studienreform, Personalstruktur und Hochschulorganisation zeitgleich in Angriff genommen werden, bis es einen Plan zur schrittweisen Operationalisierung gibt. Kein neuer Bildungsgipfel, sondern eine bis in die letzte Veranstaltung der Hochschulen wirkende Diskussion über das, was wir wollen, und das, was wir fordern, ist angesagt. Wir müssen dabei immer nur bedenken, daß die Finanznot der öffentlichen Hände auch dann eine Tatsache bleibt, wenn sie von der Wissenschaft und den Hochschulen nicht primär verschuldet ist, und wir müssen uns darüber im klaren sein, daß wir mit der Hochschulpolitik nicht zugleich alle anderen Probleme der Gesellschaft lösen können. Dann liegen nicht nur die Instrumente, sondern auch genügend Vorschläge für konkretere Formen zutage, und wir müssen nicht gleich alles neu erfinden. Vor einem sei gewarnt: Wer die Diskussion auf Studiengebühren und Mitbestimmung reduziert, der wird sich unversehens mit einem konservativen Kassenschlager konfrontiert sehen. Dann werden den Studentinnen und Studenten Studiengebühren im Tausch gegen Mitbestimmung angeboten – sie tragen ja dann eine weit höhere Verantwortung. Michael Daxner
Michael Daxner
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Verbrechen der Colonia Dignidad in Chile: Archiv eröffnet in Berlin - taz.de
Verbrechen der Colonia Dignidad in Chile: Archiv eröffnet in Berlin Das „Oral-History Archiv Colonia Dignidad“ öffnet im Berliner Humboldtforum. Zur Wiedergutmachung der Opfer fehlt jedoch noch einiges. Die Straße im ehemaligen Standort der Colonia Dignidad Foto: Ivan Alvardo/reuters BERLIN taz | Ein chilenisch-deutsches Oral History-Archiv, das an diesem Donnerstag mit einer Feier im Berliner Humboldtforum eröffnet wird, soll die Aufarbeitung der Verbrechen der Colonia Dignidad befördern. Als „Denkmal anderer Art“ bezeichnet das Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin und einer chilenischen Partner-Uni das Interview-Archiv. Es soll zum einen den persönlichen Erfahrungen von Zwangsarbeit und sexualisierter Gewalt in der 1961 in Chile gegründeten deutschen Sektensiedlung Raum geben. Zum anderen soll es die chilenischen Oppositionellen, die während Pinochet-Diktatur Folter und Mord auf dem Gelände ausgesetzt waren, vor Vergessen schützen. Die Perspektiven verschiedener Opfergruppen sollen abgebildet werden. Alle 64 ausführlichen lebensgeschichtlichen Video-Interviews mit Betroffenen und anderen Zeit­zeu­g:­in­nen wurden transkribiert, wissenschaftlich erschlossen und übersetzt. Auf Spanisch und Deutsch werden sie in einem zweisprachigen Online-Recherche-Portal für Bildungs- und wissenschaftliche Zwecke zugänglich gemacht. Registrierung und Nachweis eines berechtigten Interesses sowie Wahrung von Persönlichkeitsrechten der Interviewten sind Voraussetzung. Eine Aufbereitung zur pädagogischen Nutzung ist als Anschlussprojekt geplant. Das mit über einer Million Euro von der Bundesregierung finanzierte Projekt geht auf einen Beschluss des Deutschen Bundestags von 2017. „Deutschland war zu langsam beim Beginn der Aufarbeitung eigener Fehler“, sagt die grüne Bundestagsabgeordnete Renate Künast. Das Auswärtige Amt und die deutsche Justiz hätten über Jahrzehnte zu wenig getan, um Menschenrechtsverletzungen in der deutschen Siedlung zu unterbinden. Mit einem grün geführten Außenministerium und der neuen linken Regierung unter Gabriel Boric in Chile gibt es nun die Chance auf eine konsequentere Aufarbeitung. Künast hofft auf bessere Zusammenarbeit, denn „für beide Länder gilt, dass wir nun hoffentlich weiter kommen mit der Entwicklung der Gedenkstätte und des Lernortes auf dem Gelände der ehemaligen Colonia Dignidad“. Deutschland müsse sich außerdem um einen Fonds zur Altersabsicherung von Opfern kümmern, so Künast. Sie und die Deutsch-Chilenin Isabel Cademartori von der SPD werden in einer „Gemeinsamen Kommission“ aus Abgeordneten und Re­gie­rungs­ver­tre­te­r:in­nen daran arbeiten. Cademartori möchte bei der Aufarbeitung mit der neuen chilenischen Regierung „Hand in Hand und nach Möglichkeit in einem regelmäßigen Austausch“ zusammen arbeiten. „Dieses dunkle Kapitel gehört aufgearbeitet. Es ist an der Zeit!“, zeigt sich Cademartori entschlossen. An der Zeit ist es auch für Juan Rojas Vásquez. Er ist in der Nähe der Colonia Dignidad aufgewachsen. Sein Vater und sein älterer Bruder wurden 1973 mutmaßlich in die Colonia Dignidad verschleppt und sind bis heute verschwunden. Rojas, der inzwischen deutscher Staatsangehöriger ist, fordert mehr Unterstützung der Bundesregierung. Bei der Eröffnungsveranstaltung des Archivs will er einen Brief mit Forderungen an Staatsminister Tobias Lindner (Grüne) aus dem Auswärtigen Amt überreichen.
Ute Löhning
Das „Oral-History Archiv Colonia Dignidad“ öffnet im Berliner Humboldtforum. Zur Wiedergutmachung der Opfer fehlt jedoch noch einiges.
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Romantik statt Moderne - taz.de
Romantik statt Moderne Sie wird mehr Macht haben als Metzmacher: Simone Young dirigiert in der Musikhalle. Ein Porträt von Ilja Stephan Ein Paar Stiefeletten zierte die australische Fan-Webseite zu Ehren von Simone Young – als es die noch gab. Unter der Adresse www.keepsimone.com hatten ihre Verehrer versucht, für Simone Youngs Bleiben an der Sydney-Opera zu werben, als deren drohender Weggang nach Hamburg bekannt wurde. Vergebens. Seit über einem Jahr steht Young nun als designierte Opernchefin der Hamburgischen Staatsoper fest – und ihre Fans in down under haben ihre Domain inzwischen verkauft. Dass Simone Young, die jetzt in der Musikhalle dirigiert, mit beiden Pfennigabsätzen fest auf dem Boden steht, hatte auch die damalige Kultursenatorin der Hansestadt, Dana Horáková, erfahren müssen. Denn mit der von diversen Intendantenstreitigkeiten gebeutelten und unter Erfolgszwang stehenden Senatorin handelte Young einen Vertrag aus, der ihr eine weitaus größere Machtposition gibt, als sie der jetzige Opernchef Ingo Metzmacher je hatte. Metzmacher steht in Louwrens Langevoort neben einem Geschäftsführer auch ein zumindest nominell mitspracheberechtigter Intendant zur Seite. Frau Young dagegen vereint die Kompetenzen des Generalmusikdirektors und des Intendanten – auch wenn das Wort nicht fällt – auf sich. Ihr Operndirektor Josef Hussek ist nur noch ausführendes Organ. Und auch wenn sie sich im Vorfeld sehr bedeckt gehalten hat, und für ihren Vorgänger stets nur gute Worte hatte: Dass Simone Young eine ganz andere Repertoirepolitik betreiben wird als Metzmacher, steht fest. Dafür hatte die um Glanz besorgte Senatorin sie schließlich geholt. Denn Young hat sich vor allem mit dem romantischen Repertoire, mit Wagner und mit Strauss profiliert. Sie war Daniel Barenboims Assistentin auf dem Grünen Hügel in Bayreuth und hat als erste Frau an der Wiener Staatsoper dirigiert. So verwundert es nicht, dass sie im derzeitigen Hamburger Opern-Repertoire Werke wie Strauss‘ altmeisterliches Capriccio, Gounods Faust oder Verdis unverwüstliche Aida vermisst. Mehr als alles andere aber fehlt ihr das eine: Wagners Der Ring des Nibelungen. Neben Wagners Ring – für den die „Wahrscheinlichkeit in ihren ersten fünf Amtsjahren“, sehr hoch sei, wie sie betont, – hat Young angekündigt, auch die Barockopern-Reihe auszubauen und die Zahl der Premieren von zuletzt vier wieder auf fünf heraufzusetzen. Dass man sich aber ganz ohne Neues nicht profilieren kann, scheint auch Young zu wissen: von Hans Werner Henzes jüngster Oper L‘Upupa und Peter Eötvös‘ Opern etwa war für die Zukunft zu hören. Doch auch auf den anderen Feldern ihrer Tätigkeit hat Young klargestellt, dass sie nicht in einen Anzug passt, der für jemand anderen gemacht wurde. So wird es bei den Philharmonischen Konzerten künftig keine Länderschwerpunkte mehr geben; bei den Silvesterkonzerten wird nicht länger nur 20. Jahrhundert zu hören sein; und auch das Hamburger Musikfest, unter Metzmacher ein reines Festival fürs Zeitgenössische, soll einen anderen Zuschnitt erhalten. Sinnigerweise hat Young hier die Idee einer Brahms-Biennale ab 2006 ins Spiel gebracht – den hat man am Johannes-Brahms-Platz, wo ja die Musikhalle residiert, besonders gern. Ob all dies in Hamburg tatsächlich Gegenliebe findet, wird man abwarten müssen. Bei ihrem ersten Gastauftritt seit Vertragsunterzeichnung im Dezember 2003 jedenfalls belohnten Publikum und ein außergewöhnlich gut aufgelegtes Philharmonisches Staatsorchester Youngs Interpretation von Bruckners Sechster mit wärmst-möglichem Applaus. Und auch nach ihrem jüngsten Gastdirigat an der Staatsoper in Strauss‘ Die Frau ohne Schatten hatte man den Eindruck, dass die Opernfans die Neue schon fest ins Herz geschlossen haben. Dass Simone Young jedenfalls wild entschlossen ist, ihre Pläne in die Tat umzusetzen, unterstreicht sie nun demonstrativ mit dem Sonderkonzert des Philharmonischen Staatsorchesters am kommenden Sonnabend: Auf dem Programm stehen Beethovens Siebente und als Ankündigung, Vorgeschmack und Anheizer für Künftiges eine konzertante Suite aus Wagners Der Ring des Nibelungen. Sonderkonzert des Philharmonischen Staatsorchesters unter Dirigat von Simone Young: So, 20.2., 11 Uhr, Laeiszhalle-Musikhalle
Ilja Stephan
Sie wird mehr Macht haben als Metzmacher: Simone Young dirigiert in der Musikhalle. Ein Porträt
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Urteil nach Sturm der Reichstagstreppen: Geldstrafe für Treppensturm - taz.de
Urteil nach Sturm der Reichstagstreppen: Geldstrafe für Treppensturm Das Amtsgericht verurteilt einen Mann nach dem Sturm der Reichstagstreppen im August 2020. Viele andere Verfahren laufen ins Leere. Kommt gleich Donald Trump? Foto: Fritz Engel BERLIN taz | Für viele, die sich seit einigen Jahren im Aufstand gegen die Coronamaßnahmen und die Bundesrepublik als Ganzes wähnen, war es der Höhepunkt ihrer Proteste: Am 29. August 2020 stürmen einige hundert Menschen die Treppen des Reichstagsgebäudes. Die Bilder von den Reichsflaggen schwenkenden Protestierenden gingen um die Welt. Alle Parteien bis auf die AfD verurteilten den Vorfall scharf; Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach von einem „Angriff auf das Herz unserer Demokratie“. In einem Fall haben die Geschehnisse nun Konsequenzen. Am Dienstag sprach das Amtsgericht Tiergarten den 28-jährigen Nik A. des Landfriedensbruchs schuldig. Das Gericht sieht es als bewiesen an, dass A. mehrere Polizeigitter aushebelte, wodurch eine größere Gruppe von Protestierenden zum Reichstagsgebäude gelangen konnte. Das Urteil: 60 Tagessätze à 30 Euro. Die Staatsanwaltschaft hatte 90 Tagessätze beantragt. Das Urteil ist insofern besonders, als dass bisher nur sehr wenige Strafverfahren im Zusammenhang mit dem Treppensturm zu einer Verurteilung geführt haben. Von den insgesamt 85 Verfahren, die die Staatsanwaltschaft Berlin bearbeitet hat, endeten bisher lediglich drei mit einer rechtskräftigen Verurteilung, allesamt zu Geldstrafen. 67 Verfahren wurden etwa wegen Mangels an Beweisen eingestellt. Sechs Verfahren sind noch vor Gericht anhängig, in fünf weiteren wird noch ermittelt. Für das Urteil am Dienstag entscheidend waren die Aussagen von zwei Zivilpolizisten, die sich an dem Tag unter die Protestierenden gemischt hatten. Sie schildern, was hektische Szenen gewesen sein müssen. A. habe sich in einer Gruppe Protestierender befunden, die vom Simsonweg zur Reichstagswiese drängte. Die Polizeigitter an der Scheidemannstraße hielten sie zunächst auf, dort hätten sich nur vier bis fünf Po­li­zis­t:in­nen befunden. Diese seien mit Gegenständen beworfen worden, die Be­am­t:in­nen hätten Pfefferspray eingesetzt. Der Angeklagte schweigt Auf der Reichstagswiese brachen die De­mons­tran­t:in­nen inzwischen durch. Dort hatte die Heilpraktikerin Tamara K. von einer Bühne aus zum Durchbruch aufgerufen und unter anderem gesagt, Donald Trump sei in Berlin gelandet, die Demonstrierenden müssten jetzt ein Zeichen setzen. Die Beamten berichten, A. habe dann mit einem weiteren Mittäter die Führung übernommen. Sie hätten sich vermummt und etwa „Los, kommt her!“ und „Aufziehen!“ gerufen. Dann hätten sie mehrere Polizeigitter ausgehebelt. Die Menge habe die Po­li­zis­t:in­nen überrannt, viele hätten sich in Richtung Reichstagstreppen bewegt. Diese Schilderungen verfolgt A. regungslos. Zu den Vorwürfen äußert er sich nicht, nur sein Anwalt spricht. Der groß gewachsene Mann sitzt aufrecht. Gelegentlich grinst er, auch während die beiden Beamten seine Handlungen beschreiben. Rechte Tattoos oder Ähnliches trägt er nicht – er ist kein bekanntes Gesicht der Szene. Wie ein erfahrener Demonstrant hat sich A. auch nicht verhalten. Zum Verhängnis wurde ihm unter anderem, dass er seine Kleidung nach seiner Tat nicht wechselte. Die Zivilbeamten konnten A. so sicher identifizieren. A. zugute hielt die Richterin, dass er keine Vorstrafen hat und seither auch nicht wieder auffällig geworden ist. Die Tat sei „verhältnismäßig nicht zu wild“ gewesen. Beim Bundestag handle es sich aber nicht „um irgendein Gebäude“, sondern um das Herz der deutschen Demokratie. Zum Abschluss wünscht sie A. alles Gute. „Ich hoffe, dass wir uns nicht wiedersehen.“
Timm Kühn
Das Amtsgericht verurteilt einen Mann nach dem Sturm der Reichstagstreppen im August 2020. Viele andere Verfahren laufen ins Leere.
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Gentrifizierung in Berlin: Das Clubsterben geht weiter - taz.de
Gentrifizierung in Berlin: Das Clubsterben geht weiter Früher sorgten oft Lärmbeschwerden für die Verdrängung von Clubs. Heute sind es eher Investoren, die mehr Miete verlangen. Es geht wenig über ein gepflegtes Clubkonzert: Auftritt der Sängerin Anna F. im Privatclub 2014 Foto: dpa Das Gesicht, das Katja Lucker am Montagvormittag im Privatclub macht, könnte man als einigermaßen ratlos beschreiben. Katja Lucker ist Musikbeauftragte des Landes Berlin, fördert als Leiterin des Musicboards Berlin Musiker und popmusikalische Projekte in der Hauptstadt. Neben ihr sitzt der Sprecher der Clubcommission Lutz Leichsenring, einem Netzwerk der Berliner Clubszene – und Norbert Jackschenties, der 1998 den Privatclub in der Markthalle Neun gründete. Der Privatclub ist eine Institution des Berliner Nachtlebens, hier traten die Beatsteaks und Wir Sind Helden auf, bevor sie noch einen Plattenvertrag hatten. Heute aber sitzen Jackschenties, Lucker und Leichsenring hier zusammen, weil es den Privatclub, der inzwischen im alten Postamt in der Skalitzer Straße residiert, bald nicht mehr geben könnte. Die Ratlosigkeit, die über der ganzen Veranstaltung liegt, begründet sich so: Bislang zahlte Norbert Jackschenties vom Privatclub 11 Euro pro Quadratmeter Miete. Der neue Besitzer des Postamts, Marc Samwer (Rocket Internet), möchte das Doppelte. Obwohl Jackschenties 15 Euro geboten hat, soll er raus. Und zwar, falls das rechtlich überhaupt geht, noch vor Ablauf des Mietvertrags 2022. Denn seit letzten Jahr ist ein Start-up über dem Privatclub eingezogen. Den Mitarbeitern, so der neue Besitzer, sei es zu laut. Einschränkung der Konzerte verlangt Der PrivatclubDer Club Gegründet 1998 im Keller der Markthalle Neun in Kreuzberg, befindet sich der Privatclub heute im alten Postamt in der Skalitzer Straße 85–86. Konzerttermine auf privatclub-berlin.de. (sm) Als Jackschenties seinen Club vor fünf Jahren am neuen Standort im alten Postamt mit viel Liebe und Eigenkapital einrichtete, da sorgte er natürlich auch für den Lärmschutz – zumindest den nach draußen und zum Treppenhaus hin. Nach oben hin sei damals kein Lärmschutz nötig gewesen, erzählt er auf dem Podium, denn diese Etage habe die ganze Zeit über leer gestanden. Dann habe Samwer das Postamt gekauft und renoviert, offenbar aber nicht für Lärmschutz gesorgt. Nun verlange man die Einschränkung auf zwei Konzerte pro Woche und Soundchecks erst ab 17 Uhr – eine Maßnahme, die dem Club sicher das Genick brechen würde. Nicht nur der clubpolitische Sprecher des Berliner Abgeordnetenhauses Georg Kössler (Grüne) vermutet, dass die Lärmbeschwerden nur vorgeschoben sein können. Denn leider ist nur allzu wahrscheinlich, dass es hier einfach um höhere Renditen geht. Ebenso offensichtlich ist auch, dass das Clubsterben damit eine neue Eskalationsstufe erreicht hat. Denn nicht nur der Privatclub sorgte in den letzten Wochen für Schlagzeilen. So hat gerade das Watergate eine Verdopplung der Miete geschluckt – wer weiß, ob der Club das wird verkraften können. Das Jonny Knüppel auf der Lohmühleninsel kämpft derzeit mit einer Crowdfunding-Kampagne für Lärmschutzmaßnahmen gegen das Ende. Und gerade wurde bekannt, dass der Bassy Club an der Schönhauser Allee zum Sommer schließen wird. Die Politik hat kaum Hebel Als vor knapp zehn Jahren das Clubsterben begann, waren oft private Lärmbeschwerden von Anwohnern der Grund. Inzwischen hat die Verdrängung andere Ursachen: Es sind eher Investoren, die mehr Miete verlangen – und mit denen es noch viel schwieriger ist, überhaupt nur in Kontakt zu treten. Die Strategie der Gewinnmaximierung von Marc, Oliver und Alexander Samwer wird schon länger als zu aggressiv kritisiert. Letztes Frühjahr wurde bekannt, dass Zalando ausgerechnet auf die Cuvry-Brache ziehen wird – ein Teil der Zalando-Aktien gehört nach wie vor den Samwers. Wenige Monate später drang durch, dass die Samwers die Uferhallen in Wedding erstanden haben. Doch bislang hat schlechte Presse eher wenig daran geändert, wie in dieser Stadt investiert wird. Auch die Berliner Politik hat kaum Hebel: Ein soziales Gewerbemietrecht könnte nur auf Bundesebene entschieden werden – außerdem ist fraglich, inwieweit privatwirtschaftliche Unternehmen wie Clubs davon profitieren könnten. Bleibt also nur der Appell. Und wie wirkungslos Appelle sein können, das erzählt Norbert Jackschenties vom Privatclub ebenfalls am Montagvormittag. Jackschenties hat Marc Samwer ausrichten lassen, warum er nicht so viel Geld aufbringen kann. Dass im Privatclub unbekannte Bands zu entdecken sind, die nicht immer für großen Andrang sorgen. Dass er die Eintrittsgelder nicht erhöhen kann, wenn er sein Stammpublikum nicht vergraulen will. Die Antwort sei immer dieselbe geblieben: „Das ist nicht unser Problem.“
Susanne Messmer
Früher sorgten oft Lärmbeschwerden für die Verdrängung von Clubs. Heute sind es eher Investoren, die mehr Miete verlangen.
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„Wer lässt schon Frühstück liefern?“ - taz.de
„Wer lässt schon Frühstück liefern?“ Manche verlassen das Land. Der Rest braut sein Bier zu Hause und feiert Hauspartys. Resignierte Istanbuler fühlen sich an den Iran erinnert Resigniert: Das Leben in der Stadt spielt sich im Privaten ab Foto: dpa Von Önder Abay Mit Eingriffen in den großstädtischen Lebensstil, dem Druck, den die Regierung auf Andersdenkende und Oppositionelle ausübt, und angesichts der Wahlergebnisse vom 24. Juni dieses Jahres haben viele, vor allem junge Menschen das Land verlassen. Die, die bleiben, ziehen sich in die eigenen vier Wände zurück. Statt auszugehen, trifft man sich auf Hauspartys. Die gesellschaftliche Krise sowie die Suche nach Auswegen aus ihr prägen eine ganze Generation der Istanbuler Bevölkerung. So wie die 26-jährige Opernsängerin Ronahi Aksoy. Seit sechs Jahren lebt sie in der Metropole am Bosporus. Während des letzten Jahres ihrer Ausbildung am Konservatorium sei sie noch verzweifelter geworden, erzählt sie. Femizide, sexueller Missbrauch, Tierquälerei und die laxe Bestrafung dieser Verbrechen haben sie pessimistischer gemacht. Aksoy fühlt sich nur noch in ihrer kleinen Wohnung wohl und verlässt kaum noch das Haus. „In einer Stadt mit 20 Millionen Einwohner*innen quetschen wir uns in einige wenige säkulare Wohngegenden“, sagt sie. „Es sind nicht mehr als fünf Viertel, in denen eine Frau nachts noch auf die Straße gehen kann, ohne belästigt zu werden.“ Fast alle in ihrem Umfeld nähmen Antidepressiva, erzählt Aksoy. Tatsächlich greifen ihre Freund*innen mittlerweile sogar zu Drogen: „Selbst diejenigen, bei denen man meinte, dass sie so etwas nie tun würden, haben damit angefangen. Vielleicht ist das eine Art Flucht. Die meisten Leute suchen nach einer Gelegenheit, aus der Türkei abzuhauen.“ Junge Menschen verlassen das Land Der umfangreichen Migrationsanalyse des Türkischen Statistikamtes (TÜIK) zufolge ist der Anteil derer, die die Türkei im Jahr 2017 verlassen haben, um 42 Prozent gegenüber dem Vorjahr angewachsen. Kein Mapping für "taz_print_epaper", bitte eine Mail mit der Seiten-URL und folgender Ausgabe an beta@taz.de schicken, wir kümmern uns drum. <Beitrag id="3612343" DatenQuelle="InterRed" CrTime="2018-09-24 13:39:53" MoTime="2018-10-05 11:47:07" IrBeitragId="2974016" SStrId="2860612" MediaSyncId="5537932" Name="stiftung" Version="1" PubTime="2018-10-06 00:00:00" Ordnung="1" Workflow="Erfassung" Kanal="ePaper" Art="T" ElementTyp="Element"> Die Zahl der Auswanderer*innen betrug 2017 über 250.000 Personen, allein aus Istanbul waren es über 70.000, die der Stadt den Rücken zuwandten. Die meisten unter ihnen sind zwischen 24 und 29 Jahre alt. Junge Menschen verlassen das Land also, sobald sie ihren Schul- oder Universitätsabschluss erlangen. Seit der Islamischen Revolution von 1979 bis heute verzeichnet der Iran einen ähnlichen Trend. Junge Leute möchten nicht unter einem derart zermürbenden gesellschaftlichen Druck leben. „Vor einigen Jahren waren an den Wochenenden hier im Ausgehviertel Tausende von jungen Leuten“, erzählt der Cafébesitzer Tuncer Döğer. Den Angriff auf den Nachtclub Reina in der Neujahrsnacht 2017, bei dem 39 Menschen getötet wurden und zu dem sich anschließend der sogenannte „Islamische Staat“ bekannte, sieht er als Wendepunkt: „Seit dem Anschlag meiden die Leute die Straßen. Die jungen Leute, die hier in der Gegend wohnten, trauten sich danach lange nicht aus den Häusern“, sagt er. Für die säkulare Bevölkerung des Stadtteils stellte das Attentat einen Angriff auf den eigenen Lebensstil dar. Nun kommen nur noch wenige Kund*innen zum Café Siyah. Dafür haben die Hauslieferungen zugenommen. Döğer schildert, dass er ein Angebot einer Firma für Internetbestellungen und Hauslieferungen zunächst nicht sehr sinnvoll gefunden habe: „Das war verblüffend. Ich dachte mir: Wer bestellt schon Menemen, also ein simples Rührei mit Gemüse, nach Hause?“ In den etwa 30 Frühstücksläden in der Hamam-Straße im Istanbuler Stadtteil Beşiktaş ist die Situation ähnlich. Fast alle liefern mittlerweile online aufgegebene Frühstücksbestellungen nach Hause. Der 38-jährige Döğer hat jetzt viel Zeit, um mit seinen Freund*innen Backgammon zu spielen. Döğer hat sich hierüber nach eigenen Angaben mehrfach den Kopf zerbrochen und am Ende eine Antwort für sich gefunden: „Mit Faulheit allein ist das nicht zu erklären. Verzweiflung bringt eine gewisse Lethargie und Enthaltung mit sich.“ Kein Mapping für "taz_print_epaper", bitte eine Mail mit der Seiten-URL und folgender Ausgabe an beta@taz.de schicken, wir kümmern uns drum. <Beitrag id="3612344" DatenQuelle="InterRed" CrTime="2018-09-24 13:39:52" MoTime="2018-10-05 11:47:07" IrBeitragId="2974012" SStrId="2860612" MediaSyncId="5537930" Name="gazete" Version="1" PubTime="2018-10-06 00:00:00" Ordnung="2" Workflow="Erfassung" Kanal="ePaper" Art="T" ElementTyp="Element"> Es ist schwer, den Iraner Samed M. von seinen türkischen Altersgenoss*innen zu unterscheiden. Er trägt eine schwarze Sonnenbrille, ein weißes T-Shirt und dunkle Jeans, hat kurzes Haar und einen schwarzen Stoppelbart. Vor zwei Jahren ist er aus der iranischen Hauptstadt Teheran nach Istanbul gekommen und studiert Soziologie an einer Privatuniversität. Wenn er Türkisch spricht, fehlen dem 23-jährigen Samed M. manchmal die richtigen Worte: „Da wir in einem repressiven Regime groß geworden sind, haben wir nicht gelernt, Dinge offen auszusprechen. Wir wussten nämlich nicht genau, was wir uns damit einhandeln würden. Was den Iran betrifft, herrscht viel Unwissen vor.“ Populistischer Ton ähnelt dem Diskurs im Iran Samed M. vergleicht die Jugend beider Länder: „Unsere Lebensstile, unsere Träume, die Perspektiven ähneln sich sehr.“ Es gebe aber auch Unterschiede: „Alles, was hier offen ausgelebt wird, passiert im Iran zumeist hinter verschlossenen Türen“, sagt er. „Auf Hauspartys passiert all das, was gesetzlich verboten ist.“ Im Iran sei es „verboten, öffentlich zu flirten, es stehen schwere Strafen darauf“. Auch wenn der soziale Druck in der Türkei durch konservative Nachbarn ausgeübt wird, gibt es bislang keine gesetzliche Regelung zum Verbot solcher Kontakte. Nevşin Mengü, eine der bekanntesten Nachrichtenmoderatorinnen in der Türkei, war über ein Jahr lang als Korrespondentin für einen privaten Fernsehsender in Teheran tätig. Mengü berichtet, dass sie in der Türkei oft gefragt worden sei, ob „wir zu einem zweiten Iran werden“. Sie ist allerdings der Meinung, dass diese Frage längst irrelevant sei, da „die Türkei in vielerlei Hinsicht eine Art Iran geworden ist“. Kein Mapping für "taz_print_epaper", bitte eine Mail mit der Seiten-URL und folgender Ausgabe an beta@taz.de schicken, wir kümmern uns drum. <Beitrag id="3612345" DatenQuelle="InterRed" CrTime="2018-09-24 13:39:53" MoTime="2018-10-05 11:47:07" IrBeitragId="2974014" SStrId="2860612" MediaSyncId="5537931" Name="spenden" Version="1" PubTime="2018-10-06 00:00:00" Ordnung="3" Workflow="Erfassung" Kanal="ePaper" Art="T" ElementTyp="Element"> Der populistische Ton, den die Regierung nach den Gezi-Protesten von 2013 aufnahm, sei inhaltsleer, aber stärke die eigene Basis, sagt Mengü. Hier sieht sie Ähnlichkeiten mit dem Gründungsdiskurs des islamistischen Iran: „Das iranische Regime füllt seit Jahren die leeren Mägen der wenig gebildeten Massen, die genau diesem Regime treu bis in den Tod sind. Und das sind sie wegen leerer Parolen wie ‚Embargos kriegen uns nicht klein‘ oder ‚Wir sind die größten auf der Welt, der Westen fällt vor uns auf die Knie‘.“ Mengü glaubt, dass die jungen Menschen von dieser Situation am stärksten betroffen seien: „Die Bildung und das gesellschaftliche Leben der Jugendlichen vollziehen sich innerhalb der Grenzen der Fantasie und Weltanschauung eines einzelnen Mannes.“ Aus dem Türkischen von Sebastian Heuser
Önder Abay
Manche verlassen das Land. Der Rest braut sein Bier zu Hause und feiert Hauspartys. Resignierte Istanbuler fühlen sich an den Iran erinnert
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Kolumne Halleluja: Klingeling im Kirchensteuerkasten - taz.de
Kolumne Halleluja: Klingeling im Kirchensteuerkasten Weihnachtsmärkte sind ein Frontalangriff auf das ästhetische Empfinden, die Gesundheit und das Nervenkostüm. Huhuhu: sogar "erotische" Weihnachtsmärkte quälen uns jetzt. Bild: dpa Dieser Duft! Dieser zarte Duft nach Frittierfett und Champignon-Paella … dieser Hauch von Nutella-Crêpes, diese leichte Andeutung von Quarkbällchen, diese Ahnung von Glühwein und Erbrochenem … ach, meine Freunde, dieser Duft! Das ist Weihnachten! (frei nach: Goscinny/Uderzo, „Asterix auf Korsika“) Ja, es ist schon wieder soweit: Überall in der Stadt lassen schlecht bezahlte Handwerker die Akkuschrauber aufheulen, quasi über Nacht errichten sie an strategischen Orten ihre Fachwerkhäuschen aus Pressspan, und kein Bezirksamt schreitet ein, um diese gecekondular des schlechten Geschmacks einzureißen. Bis Januar werden sie uns quälen, die Weihnachtsmärkte und ihre übelsten Hervorbringungen: lärmende Fahrgeschäfte, fettiges Essen, Menschen mit Filz-Geweihen, sogenanntes Kunsthandwerk und der Song einer britischen Popband, dessen Titel ungenannt bleiben soll, weil er sonst bis Montag den Gehörgang verklebt. Weihnachtsmärkte sind ein Frontalangriff auf das ästhetische Empfinden, die Gesundheit und das Nervenkostüm. Sie versprechen augenfunkelnde Freude und sorgen doch nur für Sodbrennen und leere Geldbeutel. Womit sie ein perfektes Menetekel dessen sind, was sich da zusammenbraut – schließlich bietet der sogenannte Heilige Abend meist das exakte Gegenteil von dem, was er laut Katalog verspricht: Das beginnt beim rechtzeitig einsetzenden Waschküchenwetter und endet mit einer ausgewachsenen Feiertagsdepression. Genau hier könnten die Kirchen einmal Gutes tun. Von den Kanzeln und Altären könnte die frohe Botschaft erschallen: „Vergesst Weihnachten!“ Nein, halt, das wäre dann doch ein bisschen zu viel verlangt, aber zumindest die zwanghaft kommerziellen Auswüchse, die könnten Pfarrerinnen und Pfarrer doch ohne Weiteres in ihren Predigten geißeln, passende Bibelstellen werden auf Wunsch nachgereicht. „Vergesst den blinkenden Tand“, würden sie rufen, „gebet Ruhe, entzündet ein Kerzlein oder in Gottes Namen derer vier! Meidet Weihnachtsmärkte! Und wer bei Wham! mitsummt, der bete zur Buße 40 Vaterunser! Ach was, 400!“ Genau das tun die Pfarrerinnen und Pfarrer natürlich nicht, und auch die bischöflichen Pressestellen werden wie jedes Jahr nur lauwarme Besinnungsrhetorik verbreiten. Über alles Mögliche regen sie sich auf: Partys an Karfreitag, Spaß haben an Halloween und – das dann schon – die Inbetriebnahme von Weihnachtsmärkten vor dem Totensonntag. Aber danach halten sie schön still, auch wenn es so gar nicht zum Markenkern passt. Der Grund liegt natürlich auf der Hand – denn die beißt man nicht, solange sie einen füttert. Kirche sein kostet, und je stärker die Konjunktur, desto lauter klingelt’s am Ende auch im Kirchensteuerkasten. Da wollen wir doch nicht das schöne Weihnachtsgeschäft kaputtmachen! Im Gegenteil: Höchstselbst schaltet der Landesbischof Jahr für Jahr die Jahresend-Illumination auf einem der zentralen Berliner Plätze an: Lichter, die alles Mögliche versprechen, nur nicht Besinnung. Es geht los!Die meisten Berliner Weihnachtsmärkte, darunter der in Spandau, am Alexanderplatz und vor der Gedächtniskirche, eröffnen an diesem Montag. Ein Überblick über alle Märkte unter www.berlin.de/orte/weihnachtsmaerkte Immerhin eine gute Nachricht gibt es: Der große Santa-Claus-Truck von Coca-Cola hält dieses Jahr nicht in Berlin. Darauf ein dreifach Ho!
Claudius Prößer
Weihnachtsmärkte sind ein Frontalangriff auf das ästhetische Empfinden, die Gesundheit und das Nervenkostüm.
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Sorgen ethnischer Parteien - taz.de
Sorgen ethnischer Parteien Ethnische Minderheiten Beide nationalen Großparteien vernachlässigen die Minderheiten, meinen diese. Deren Parteien fürchten die nationale Konkurrenz Ein Mann schaut, ob sein Name im Wahlverzeichnis ist Foto: Aung Naing Soe Von Ei Ei Toe Win Wird der Wahlkampf der oppositionellen Nationalen Liga für Demokratie (NLD) und der militärnahen Unionspartei für Solidarität und Entwicklung (USDP) die Stimmen ethnischer Minderheiten spalten und deren Parteien marginalisieren? 40 Prozent der 51 Millionen Birmesen gehören ethnischen Minderheiten an. Doch die beiden großen Parteien kümmern sich nicht um die Sorgen ethnischer Gruppen und bereiten sich vielmehr darauf vor, in allen Wahlkreisen anzutreten, also auch in den ethnischen Hochburgen. Bisher sind 75 Parteien für die Wahlen registriert, davon 53 auf nationaler Ebene. Um bei dem Mehrheitswahlrecht die Chancen der ethnischen Parteien in Gebieten der ethnischen Minderheiten gegenüber der NLD und USDP zu erhöhen, verhandeln einige Parteien darüber, sich nicht gegenseitig Konkurrenz zu machen und gemeinsam Kandidaten aufzustellen. Egal, ob dann auf nationaler Ebene die USDP oder NLD gewinnt, die ethnischen Parteien wollen über die „nationale Einheit“ mitverhandeln, also als Teil der gesamten Nation gesehen und behandelt werden. U Pe Than, ein Mitglied der Rakhaing Nationalpartei (RNP) aus der Bruderschaftsvereinigung der Nationalitäten, einem Bündnis 20 ethnischer Parteien, fordert von USDP und NLD in Gebieten, wo Vertreter der Minderheiten normalerweise die Sitze gewinnen, auf Kandidaturen zugunsten der ethnischen Parteien zu verzichten. „Wenn die beiden Parteien in diesen Gebieten antreten, werden die ethnischen Stimmen gespalten. Das sät Zwietracht in dem jeweiligen Volk entsprechend der politischen Spaltung“, sagt U Pe Than. Seine RNP hat bereits Kandidaturen in 75 Wahlkreisen angekündigt. U Win Myint, ein altgedientes Mitglied der von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi geführten Oppositionspartei NLD, sagt, seine Partei plane auch für Posten ethnischer Minister zu kandidieren wie auch für nationale und regionale Sitze in den Minderheitengebieten. „Ob wir mit den ethnischen Parteien verhandeln, entscheidet unser Zentralkomitee“, sagt er. „Das bestimmt, wer wo kandidiert. Bisher hat es noch keine Gespräche mit anderen Parteien gegeben. Wir wollen eigentlich NLD-Mitglieder mit dem entsprechenden ethnischen Hintergrund in dem jeweiligen Minderheitengebiet aufstellen, wenn es kein Bündnis mit einer ethnischen Partei gibt.“ Es sei doch weniger wichtig, ob die NLD in Minderheitengebieten antritt, als vielmehr, dass die Wahlen frei und fair seien, fügt er hinzu. „Unsere Priorität ist, dass die Kandidaten bei den Wählern beliebt sind. Entscheidend ist die Stimme der Bürger“, so U Win Myint. U Thein Swe, ein Sprecher der vom früheren Juntachef Than Shwe und anderen Generälen gegründeten USDP, sagt hingegen, die Partei werde sich landesweit um 1.112 Mandate bewerben. Im Jahr 2010 hatte die USDP haushoch gewonnen, weil damals die NLD boykottiert hatte. „Treten Großparteien in Minderheiten­gebieten an, spaltet dies die ethnischen Stimmen“U Pe Than, Rakhaing NationalPartei Jetzt fürchtet die USDP, weniger Sitze zu bekommen. Trotzdem beabsichtige sie nicht, mit ethnischen Parteien zu verhandeln oder anders Wahlkampf zu führen, um auch die nächste Regierung bilden zu können. „Wir haben noch nie ethnische Angelegenheiten vernachlässigt“, behauptet U Thein Swe. Deshalb hätte die Partei ja auch überall kandidiert. Die Verfassung ermöglicht Minderheiten, deren Bevölkerungszahl größer als 0,1 Prozent der Gesamtbevölkerung sein muss, also etwa 60.000 im Jahr 2010, in einem Staat oder einer Region einen gewählten Vertreter in das entsprechende Parlament zu entsenden. Diese Abgeordneten sind dann Teil des jeweiligen Parlaments. Im Jahr 2010 wurden so 29 Posten für ethnische Vertreter vergeben. U Sai Laik von der Shan Nationalen Liga für Demokratie (SNLD) sagt, seine Partei werde zunächst einmal mit der NLD verhandeln, bevor sie sich entscheide, für einen der ethnischen Ministerposten zu kandidieren. Verlaufen die Wahlen erfolgreich, wird dies auf nationaler wie internationaler Ebene das Vertrauen in den künftigen politischen und wirtschaftlichen Reformprozess stärken. Beobachter sagen jedoch vorher, dass es weder einen Deal zwischen den großen nationalen und den ethnischen Parteien geben werde, noch werde eine Partei bei den Wahlen einen Erdrutschsieg einfahren. Deshalb dürfte es auf eine Koalitionsregierung hinauslaufen.
Ei Ei Toe Win
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Die Süße der Kompensation - taz.de
Die Süße der Kompensation 1950ER Nach dem Hunger kam der Heißhunger. Und mit dem Wirtschaftswunder die Cremetorte Essensrepublik Deutschland – Teil 2: Die fünfziger Jahre■ Die Serie: Mangel, Wirtschaftswunder, Globalisierung. Oder anders: Beefsteak ohne Beef, Sahnetorte, Toast Hawaii. Mit einem Blick auf die Teller des letzten Jahrhunderts versucht die sonntaz in den kommenden Wochen, die Gesellschaft und ihre Entwicklung zu erklären. Genauer: mit einem Blick auf jenes Gericht, das im jeweiligen Jahrzehnt besonders gern und viel gegessen wurde. Wie spiegeln Küchentöpfe die Zeit, in der man lebte? Was verraten sie über politische und wirtschaftliche Situationen von damals? Diesmal, Teil 2: die fünfziger Jahre, Wirtschaftswunder und „Wir sind wieder wer“-Gefühl. Essen bedeutet Kompensation, „weiße Weste“-Gefühl. Gegessen wird möglichst üppig, in Gesellschaft und viel dessen, was zu Kriegszeiten fehlte – Fett. Wonach man in den Kühlschränken der Fünfziger selten suchen musste, ist Butter. Nächste Woche: die Sechziger. Oder anders: der Toast Hawaii.■ Das Jahrzehnt: Wiederaufbau, Wiederbewaffnung, Wiedergutmachung, Koreakrieg, Erster Indochinakrieg, Sputnikschock, Friedensbewegung, Frauenbewegung, Stalin, Ulbricht, Brandt, Adenauer, Erhard, Erhardt, Wirtschaftswunder, D-Mark, Gastarbeiter, VW Käfer, Isetta, Staubsauger, Nierentische, Stehpartys, Jukebox, Elvis Presley, Vinylplatten, Petticoat, Jeans, Haarspray, Schmalzlocke, toupiert und hochgesteckt, Halbstarke, James Dean, Marlon Brando, Transistorradio, Massenmedium Fernseher, Wunder von Bern, Coca-Cola, Feuerzangenbowle, Currywurst, Tomatenfliegenpilz, Windbeutel, Frankfurter Kranz, Zitronenschnitte, Apfelsinencreme, Apfelsinentorte, Käsekuchen, Sonntagsbraten. VON TILL EHRLICH Kalte Platten, kalter Hund und Kullerpfirsich. Buttercremetorte, Eierlikör, Sülzkotelett und Hackepeter – das Essen und Trinken der fünfziger Jahre wirkt heute, wo Genuss asketisch, differenziert, informiert und wählerisch sein soll, archaisch und enthemmt. Ein großes Fressen, das vor allem fett, süß, roh und fleischig war. Im Mai 1950 wurden in Adenauers Westdeutschland die letzten Lebensmittelmarken abgeschafft, und in den bald einsetzenden Wirtschaftswunderjahren gab es nicht nur die Fresswelle, sondern auch eine Rauch- und Trinkwelle. Es muss eine verheißungsvolle Zeit gewesen sein, in der die Werbung frohe Botschaften verkündete wie „Zucker zaubert“ und „Unsere weiße Weste verdanken wir Persil“. Hier der Heißhunger, das Nachholen nach dem Mangel der Hungerjahre, dort die zwanghafte Hygiene, die Flecken entfernt und reinwäscht. Verdrängen, lustvoll völlen, fleißig sein, zuversichtlich nach vorne schauen und dabei Appetit haben. So wurde auch gekocht, gebrutzelt und gebacken. Die Buttercremetorte war ein kulinarisches Prinzip Hoffnung. Sie nahm den Babygeschmack des Fastfoods vorweg: süß, weich, fett und kross. Sie wurde mit gekochtem Pudding gerührt, Instantpuddingpulver gab es noch nicht. Vorzugsweise wurde Puddingpulver der Marke „Dr. Oetker“ verwendet, das teuer war und als Statussymbol galt. Konditoren schlagen Buttercreme klassisch mit Eigelb auf; hier aber ersetzte das zeitgemäße Industrieprodukt, der Pudding, das Eigelb. Die Buttercremetorte nahm den Babygeschmack des Fastfoods vorweg: weich, fett und kross Die Buttercremetorte wurde vorwiegend zu Geburtstagen, zur Taufe, Firmung, Hochzeit und an Feiertagen zubereitet. Essenziell war die Verwendung von „guter Butter“. Sie mit Margarine zu ersetzen, galt als Sakrileg. Zu Beginn der fünfziger Jahre, als die Löhne noch niedrig waren und teilweise noch Mangel herrschte, wurde für die Zutaten der festlichen Buttercremetorte gespart. Das Verkleistern, Übertünchen des differenzierten Einzelgeschmacks mit der klebrigen Wucht von Zucker und Fett war das Äquivalent zu den beliebten Mehlsoßen, mit denen alles „angedickt“ wurde. Mehlsoßen, die damals „Tunke“ hießen, suggerieren Fülle. Auch die weiße Mayonnaise ist eine Schwester der Buttercreme. Solche Gemische sind Emulsionen. Die Tropfen des Fetts verteilen sich im Wasser. Sie werden von den Emulgatormolekülen des Eigelbs umhüllt, wodurch Bindung entsteht. Emulsionen wie Buttercreme, Eierliköre oder Mayonnaise – all die fanden sich schon lange in Kühlschränken und Vorratskammern – in den Fünfzigern aber wurden sie aus der feinen bürgerlichen Küche adaptiert und popularisiert. Nun wurde alles Emulsion. Öl und Fonds durften in Speisen nicht mehr erkennbar sein, alles gerann zum weißlichen Ejakulat. Auch der Geist durfte nicht klar und pur sein: Beim Eierlikör verbindet rohes Eigelb hochprozentigen Schnaps mit zuckriger Süße. Kein Salat ohne Mayonnaise. Davon wurde die Remouladensoße abgeleitet. Mit ihr wurden gern harte Eier übergossen, die Russischen Eier. Ohne Remoulade ging nichts mehr. Nicht einmal Fonds durften noch pur sein, was nicht emulgierte, wurde gnadenlos geliert: Koteletts, Eier, Gemüse, saure Gurken, Hähnchenbrust, Schinken, Roastbeefröllchen … Dazu gab es Remoulade. Buttercremetorte mit Pudding■ Zutaten:3 Eier1 Packung Vanillepuddingzum kochen250 Gramm Süßrahmbutter150–200 Gramm Staubzucker20 Gramm PalminMilchVanillemarkGehackte MandelnMaraschino-Kirsche oder Marzipanrose zum Dekorieren■ Rezept:Einen Biskuitboden mit Eiern und ohne Fett backen, der so hoch ist, dass er nach dem Erkalten zweimal durchgeschnitten werden kann. Das Puddingpulver einer Packung Vanillepudding mit Milch dick kochen. Die weiche Süßrahmbutter mit Staubzucker und Vanillemark cremig rühren. Den Pudding (kalt bis lauwarm) esslöffelweise in die Butter rühren. Palmin schmelzen, abkühlen lassen und teelöffelweise unterrühren. Die Buttercreme rasch zwischen den Teigböden verteilen, diese zusammensetzen und mit der restlichen Buttercreme bestreichen. Gehackte Mandeln rösten, abkühlen lassen und damit die Torte bestreuen. Mit der restlichen Buttercreme zwölf Rosetten aufspritzen und jede mit einer abgetropften Maraschino-Kirsche oder Marzipanrose dekorieren. Die Buttercremetorte etwa sechs Stunden kalt stellen. Vor dem Servieren auf Zimmertemperatur bringen. Parallel hielt das Exotische Einzug. Ananas, die einst teure Kolonialware, wurde als „Dosenananas“ zum erschwinglichen Massenprodukt für „jedermann“. Sie schmeckt süßsäuerlich und fruchtig, ihre Konsistenz liegt genau zwischen bissfest und weich, was geschmacklich der kleinste gemeinsame Nenner jener Jahre war und niemanden überforderte. Aus der Dose wanderte sie in die Bowle, dann in die Mayonnaisensalate. Geflügelsalat mit Ananas, Käsesalat mit Ananas, Schinkensalat – alles war möglich. Manchmal fielen noch Dosenmandarinenstückchen hinein. So sickerte die Globalisierung in die biedere deutsche Kost der Wirtschaftswundernation ein. Und veränderte schleichend alles. Die Fünfziger waren heterogener, als es zunächst den Anschein hat. Statt Retrolook und historistischem Design wie heute gab es damals schon spacig eingerichtete Milchbars und Hotelrestaurants. Von den Fassaden wurde der Gipsstuck abgeschlagen, das Bauhaus rehabilitiert, Antiquitätensammler wurden belächelt, Gründerzeitmöbel farbig überstrichen, zuvor der Zierrat abgesägt. Auch begann die Aufrüstung der Küchen mit neuartigen Haushaltsgeräten, „Zauberstab“ und „Schnellkochtopf“ wurden populär, weil sie das Gefühl gaben, weniger Zeit fürs Kochen aufzuwenden. Die deutsche Hausfrau, „immer fleißig und dennoch proper“, sollte es dank moderner Technik leichter haben. Auf den rituellen Sonntagsbraten daheim wollte man zwar noch nicht verzichten, wohl aber Zeit „am Herd“ sparen. Die Struktur der alltäglichen Mahlzeiten und traditionellen Festessen wurde noch beibehalten, doch der Bruch dieser Kulturmuster kündigte sich bereits an. Die biedere Gemütlichkeit bekam Risse.
TILL EHRLICH
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Technik im Körper: Werden wir alle Cyborgs? - taz.de
Technik im Körper: Werden wir alle Cyborgs? Menschen mit technisch erweiterten Fähigkeiten waren lange Science Fiction. Jetzt sind die ersten auf dem Weg in die Zukunft Chip im Finger: Der US-amerikanische Cyborg Tim Cannon. Das Jahr 2014 dürfte das Jahr werden, in dem der Abstand zwischen dem menschlichen Körper und den Maschinen bis fast zur Unkenntlichkeit schrumpft. Aller Voraussicht nach kommt dann Google Glass auf den Markt: Eine Brille, die das Wirtschaftsmagazin Forbes jetzt schon zu den wichtigsten sieben Technologietrends des kommenden Jahres zählt. Man kann mit dieser Brille und ihrer Kamera durch die Stadt laufen und Fotos machen, indem man ihr Befehle zuruft. Man kann sich die Route quasi vor dem inneren Auge anzeigen lassen, braucht keinen Bildschirm mehr, nicht mal ein Handy, um E-Mails zu empfangen. Mit Google Glass sind die Menschen auf dem besten Weg, mit der Technik zu verschmelzen. Man könnte sagen, sie werden fast zu einer Art Teilzeit-Robotern. Was früher als Science Fiction galt – den Körper mit Technik upzudaten wie einen Computer – ist auf dem besten Weg, für viele Menschen Realität zu werden. Während die Google-Brille noch vor den Augen sitzt, gehen einige Menschen schon einen Schritt weiter: Sie lassen sich Computerchips oder Magneten in ihren Körper pflanzen. Man nennt diese Leute Cyborgs, Mischwesen aus Mensch und Maschine. In Berlin gründet sich an diesem Wochenende der erste Cyborg-Verein. Für ihre Titelgeschichte in der taz.am wochenende haben die taz-Redakteurinnen Johannes Gernert, Meike Laaff und Daniel Schulz Cyborgs, Cyborg-Forscher und erste Google-Glass-Nutzer getroffen, um der Frage nachzugehen, was diese ersten Schritte auf dem Weg zum Cyborg bedeuten – und wohin dieser Trend letztlich führen könnte. Manche der neuen Cyborgs haben sich Magneten in ihre Finger implantieren lassen, um vielleicht einmal Himmelsrichtungen erspüren zu können. taz.am wochenendeComputer werden immer kleiner und verschmelzen mit uns. Warum lassen wir sie nicht gleich in unsere Körper einbauen? Die Titelgeschichte „Bessere Menschen“ über Cyborgs und ganz gewöhnliche Menschmaschinen lesen Sie in der taz.am wochenende vom 14./15. Dezember 2013 . Darin außerdem: Der Generationen verbindende Fernsehabend am Samstag ist tot. Das wird auch Markus Lanz nicht ändern. Warum das gut so ist. Und: Ein Gespräch mit dem Direktor des Zirkus Roncalli über Heimat, Glühbirnen und den Duft der Manege. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Selbst Günther Beckstein, der ehemalige bayerische Ministerpräsident, könnte als Cyborg durchgehen: Wie etwa 150.000 Menschen weltweit trägt er ein Cochlea-Implantat. Das Implantat ist ein Gerät, das Menschen hören lässt, die das vorher nicht konnten. Es wird in den Kopf eingesetzt. Cyborgs können mit technischer Hilfe auch menschliche Fähigkeiten überschreiten: Tim Cannon hat Mitte des Jahres für Aufsehen gesorgt. Der Amerikaner hat sich einen Chip von der Größe einer Zigarettenpackung unter die Haut implantieren lassen, um seine Körpertemperatur überwachen zu können (siehe Video). Der Künstler Neil Harbisson wiederum hat vor seiner Stirn einen Mini-Sensor angebracht, der den farbenblind geborenen Briten Farben hören lässt – präziser, als es das menschliche Auge könnte. Er hört sogar Infrarot. Harbisson ist nur einer von mehreren Pionieren weltweit, die in der Titelgeschichte „Bessere Menschen“ der taz.am wochenende vorgestellt werden. Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.Externen Inhalt erlauben Die Frage ist: Was steht hinter dieser Entwicklung, wohin wollen ihre Vertreter? Der Transhumanismus ist eine schon ältere Denkrichtung, die einen Fluchtpunkt vorgibt für die Cyborg-Bewegung – denn nun gibt es die ersten Praxisvertreter. Transhumanisten wollen es dem Menschen ermöglichen, seine Evolution selbst zu bestimmen, bis hin zum Übermenschen. Körper mit übernatürlicher Intelligenz, Menschen, die von Prozessoren abhängig sind: Das ist inzwischen näher als viele Science-Fiction-Fans das vor zwanzig Jahren wohl gedacht hätten. Einer, der in diese Richtung forscht, sitzt als „Director of Engineering“ bei Google. Ray Kurzweil glaubt, Rechner könnten irgendwann schlauer werden als Menschen. Den Zeitpunkt nennt er Singularität. Schrecklich, könnte man nun sagen: Ist das nicht eher eine Dystopie, eine Horrorvorstellung? Wird irgendwann ein Zwang entstehen, sich bessere Gliedmaßen implantieren zu lassen, mehr Sinne technisch auszubilden? Oder ist das nur eine folgerichtige Reaktion: Die Prozessoren werden immer schneller, immer mehr Informationen prasseln auf uns ein: Warum sollten wir nicht besser werden, um mehr aufnehmen zu können? Die beste Reaktion auf diese Informationsflut ist immer noch, das Smartphone öfter einfach in der Schublade liegen zu lassen, sagen Sie? Diskutieren Sie mit! Die Ganze Geschichte „Bessere Menschen“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 14./15. Dezember 2013.
Sebastian Kempkens
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Kolumne Besser: Der erste islamistische Mord in Berlin - taz.de
Kolumne Besser: Der erste islamistische Mord in Berlin Eine Erinnerung an Celalettin Kesim, der 1980 von Islamisten und Rechtsextremisten ermordet wurde. Oder: Wie aus Türken Muslime wurden. Plakat zur Erinnerung an Celalettin Kesim, Gedenktafel in Kreuzberg: „Sie sind die Feinde der Hoffnung.“ Bild: archiv Noch vor ein paar Tagen hingen an der unscheinbaren Skulptur, die in der Mitte der Brache zwischen der Skalitzer und Kottbusser Straße in Berlin-Kreuzberg steht, rote, bereits verblühte Nelken. Inzwischen sind sie verschwunden. Gut zwei Wochen ist es her, dass sie jemand mit Klebestreifen befestigt hatte. Am 5. Januar nämlich, als sich dort vielleicht 100 Menschen zusammenfanden, meist ergraute türkische und eine Handvoll ebenfalls ältere deutsche Linke. Eine Parallelgesellschaft. Denn nur wenige Kreuzberger dürften heute diese Geschichte kennen: die Geschichte des ersten und für lange Zeit letzten Mordes, der hierzulande von Islamfaschisten verübt wurde. Das Opfer hieß Celalettin Kesim. Er lebte seit 1973 in Berlin, arbeitete als Berufsschullehrer und war Sekretär eines Vereins namens „Berliner Türkenzentrum“, Mitglied der Lehrergewerkschaft GEW sowie der Kommunistischen Partei der Türkei (TKP). Am 5. Januar 1980, einem kalten Samstagmorgen, verteilt Kesim mit Freunden am Kottbusser Tor Flugblätter. Es kommt zu einem Streit mit einer Gruppe von Leuten aus der nahe gelegenen Mevlana-Moschee. Schließlich werden die Linken mit Messern und Knüppeln angegriffen. Diese Moschee gehört zur islamistischen Milli-Görüş-Bewegung. In der Türkei herrschen damals bürgerkriegsähnliche Zustände, täglich liefern sich Anhänger der faschistischen Grauen Wölfe (MHP) und Islamisten auf der einen und Linke auf der anderen Seite Schießereien, zuweilen auch konkurrierende linke Gruppen untereinander. „Allah, Allah!“ Zweimal sind Islamisten und Faschisten in jenen Jahren an Regierungen des konservativen Politikers Süleyman Demirel beteiligt. Die Unterschiede zwischen den Konservativen, der Milli Görüş und den Grauen Wölfen sind zweitrangig; es gilt, die gemeinsamen Feinde zu bekämpfen: die Kommunisten. Und diese Spannungen haben sich längst auf die Diasporatürken übertragen. „Allah, Allah“, rufend stürmen die Angreifer auf TKP-Leute zu. Kesim wird durch einen Messerstich an der Oberschenkelarterie verletzt. Seine Freunde können ihn bis zum Landwehrkanal tragen, wo er verblutet. „Der Krankenwagen kam viel zu spät; das war den Deutschen egal, was die Türken untereinander machten“, sagen sie noch Jahre später. Und: „Die Grauen Wölfe waren Verbündete der deutschen Rechten.“ Zumindest ist bekannt, dass deren Führer Alparslan Türkeş ein geschätzter Gesprächspartner von CSU-Chef Franz Josef Strauß war. Und wer heute die minutiös zusammengestellte Dokumentation von Presseartikeln, Flugblättern und Reden durchblättert, die das „Türkenzentrum“ ein paar Jahre danach herausgab, bemerkt tatsächlich ein partielles Interesse der deutschen Öffentlichkeit. „Türken-Krieg mit Fleischermesser: 1 Toter“, meldet seinerzeit die Bild-Zeitung mit ein paar knappen Zeilen, einige Berliner Politiker fordern Verschärfungen des Ausländerrechts, während die politischen Hintergründe des Mordes kaum interessieren. „Ausweisung aller Faschisten“ Anders die deutsche Linke. Über 10.000 Menschen beteiligen sich am Trauermarsch für Kesim; die Zeitungsfotos zeigen Teilnehmer mit schwarzen und welche mit blonden Schnauzern. Die taz nennt Kesim „das erste Opfer faschistischer Gewalt im Nachkriegsberlin“, den wenige Tage zuvor an den Spätfolgen des Attentats verstorbenen Rudi Dutschke nicht berücksichtigend. „Verbot aller faschistischen Organisationen“, fordern die Demonstranten. Und: „Ausweisung aller Faschisten.“ Bericht in der taz vom 14. Januar 1980. Screenshot: Archiv Beides wäre heute unvorstellbar, das abschätzige Desinteresse der Bild („1 Toter“) ebenso wie der Umstand, dass Linke gleich welcher Herkunft Abschiebungen fordern. Doch eine solche Forderung wäre heute, alle grundsätzlichen Einwänden mal beiseite gelassen, sinnlos. Den hiesigen Islamisten kann man vielleicht, wie jüngst der marokkanischstämmige Bürgermeister von Rotterdam, Ahmed Aboutaleb, ein zorniges „Haut doch ab!“ zurufen. Aber außer ein paar Hinterwäldlern in Dresden und einigen in der CSU weiß jeder, dass viele von ihnen deutsche Staatsbürger sind und manche zudem Sven, Bernhard oder Ronny heißen. Die Salafisten samt ihrer dschihadistischen Abteilung sind eine inländische Subkultur. Gleichwohl sehen sie sich als Teil einer – mit welchen Mitteln auch immer – kämpfenden weltweiten Bewegung, was zurückführt zu Kesim. Sein Tod hatte nicht nur mit Konflikten in der Türkei zu tun, sondern stand zugleich im Zusammenhang mit einem globalen Konflikt, von dem eine direkte Linie zum Dschihadismus der Gegenwart weist: zum Afghanistankrieg. Wenige Tage vor der Attacke, am 25. Dezember 1979, war die Sowjetunion in Afghanistan einmarschiert. Im Folgenden bildete sich eine einzigartige Allianz: Von Ronald Reagan zu Michel Foucault, von der taz bis zur Bild leistete man ideelle oder materielle Unterstützung für die islamistischen Mudschaheddin, aus deren Erbe später die Taliban und al-Qaida hervorgehen sollten. Auf der Seite des linken Putschistenführers Babrak Karmal hingegen stand die Sowjetunion; politische Sympathien genoss er allein unter den Vasallenparteien der KPdSU, also etwa der DKP, der Westberliner SEW oder der TKP. „Fremde Ideenwelt“ In den Flugblättern, die Kesim und seine Genossen an jenem Januarmorgen verteilen, warnen sie vor einem Putsch in der Türkei. Und sie rufen zur Solidarität mit dem Einmarsch der Roten Armee auf. Ehe es zum Angriff kommt, stehen sich beide Gruppen gegenüber. „Die Sowjets sind die Freunde der Völker“, rufen die einen. „Russen raus aus Afghanistan“, antworten die anderen. Und: „Wer Allah liebt, schlage zu!“ Nach diesem Wortgefecht gehen die Linken weg. Sie haben sich etwas zerstreut, als die Islamisten und Faschisten zuschlagen und Celalettin Kesim tödlich treffen. Er ist 36 Jahre alt und hinterlässt eine schwangere Ehefrau und einen siebenjährigen Sohn. Einer der beiden Angeklagten wird freigesprochen, der andere, der sich im Prozess als „geistiger Führer“ von Milli Görüş in Berlin bezeichnet, wird wegen „Landfriedensbruchs und Beteiligung an einer Schlägerei“ verurteilt. Das Gericht hält ihm strafmildernd zugute, dass er „nach seiner ganzen Ideenwelt an eine gute Sache geglaubt“ habe, auch wenn „diese dem hiesigen Denken fremd“ sei. Im Folgenden verlieren die politischen Kategorien, die 1980 zählen, an Bedeutung und verschwinden mit der Zäsur von 1989 fast völlig. Spätestens mit den Anschlägen zu Beginn der neunziger Jahre wird der Antirassismus zum zentralen Bestandteil des linken und linksliberalen Selbstverständnisses. Womöglich ist dies ein Grund dafür, dass Kesims Schicksal in Vergessenheit gerät – viel stärker als das von Kemal Cemal Altun, der 1983 angesichts der drohenden Auslieferung an die Türkei mit einem Sprung aus dem einem Berliner Gerichtsgebäude Suizid verübt hatte. Islamisierung der Türken Nach einem Ereignis, bei dem abermals eine Verbindung nach Afghanistan führt, dem 11. September 2001 nämlich, verschiebt sich wieder etwas. In der öffentlichen Wahrnehmung werden nun Ausländer zu Andersgläubigen und Türken zu Muslimen. Das zeigt sich schon in den gängigen Statistiken, in denen von der ethnischen Herkunft auf die Religion geschlossen wird, weshalb von weltweit 1,6 Milliarden und deutschlandweit von 4,25 Millionen Muslimen die Rede ist. Für die Kesims von heute, die Sozialisten, Liberale, Nationalisten, Anarchisten oder von allem ein bisschen oder etwas ganz anderes sind, aber keine Muslime, auch keine „säkularen Muslime“, ist in dieser Wahrnehmung kein Platz. Anfang der neunziger Jahre wurde auf Initiative eines Kreuzberger Lehrers der Gedenkstein aufgestellt, verziert mit einer Zeile aus einem Gedicht von Nazım Hikmet: „Sie sind die Feinde der Hoffnung, Geliebte.“ Weiter 15 Jahre später ließ die Bezirksverwaltung dort ein paar Bänke aufstellen. So ist aus dieser Ecke ein kleiner Platz entstanden. Ob aus Zufall oder aus Überlieferung – noch die ersten Berliner Solidaritätskundgebungen für die Gezi-Proteste, deren Teilnehmern zumeist 1980 noch gar nicht geboren waren, fanden hier statt. Nur einen Namen hat der Platz nicht. „Parallelgesellschaft“ ist ein dummes Wort. Gleichwohl braucht die in Klassen, Schichten Milieus segmentierte moderne kapitalistische Gesellschaft gemeinsame Grundlagen – rechtliche, normative und narrative. Dazu gehört, dass sie, wenigstens aus zeitlichem Abstand, verschiedene Erzählungen kanonisiert. In Kreuzberg trifft heute die Rudi-Dutschke-Straße die Axel-Springer-Straße. Im kommenden Jahr wird Celalettin Kesims Tod so lange zurückliegen, wie er gelebt hat: 36 Jahre. Es ist an der Zeit, ihm einen Platz geben. Und dieser namenlosen Ecke einen Namen. Besser: Ein Celalettin-Kesim-Platz für Kreuzberg. Anmerkung: In einer ersten Version dieses Textes war die Zahl von Celalettin Kesims Kindern falsch angegeben.
Deniz Yücel
Eine Erinnerung an Celalettin Kesim, der 1980 von Islamisten und Rechtsextremisten ermordet wurde. Oder: Wie aus Türken Muslime wurden.
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Der rechtzeitige Ausstieg - taz.de
Der rechtzeitige Ausstieg ■ Mit der Form seines Rücktritts und mit seinem Schweigen drückt Lafontaine aus, daß die Post-Parteien-Zeit entgültig eingetreten ist Die unbedarfte Reaktion der meisten Medien auf seinen Rückzug gibt noch im nachhinein Oskar Lafontaine ebenso recht wie das erschreckte Unverständnis vieler Koalitionspolitiker, vor allem der Linken. Was sie alle besonders erbittert, ist sein Schweigen. Die paar Brösel von Scheinerklärung, die er ihnen hinwarf, drückten erst einmal Verachtung für den derzeitigen Politikbetrieb aus. Gerade seine Nichtbegründung aber war auch eine Ankündigung: Durch den moralischen Offenbarungseid für die Sozialdemokratie schaffe ich mir eine Voraussetzung für meinen Neuauftritt. Das verlangt nicht nur eine Preisgabe der linken Restbestände, die ich soeben noch für den Sieg der rechten Neuen- Mitte-Männer mobilisiert hatte. Das verlangt auch konsequentes Fernhalten vom leeren Durchwursteln der politischen Klasse in ihrer jetzigen Gestalt – die in Deutschland wie fast überall in Europa keinen Halt mehr findet. Die Neue Mitte der Blairs und Schröders ist nur der Ausdruck ihres unaufhaltsamen Autoritätsverfalls. Wer sich in diesen Strudel hineinziehen läßt, wird sich schnell ruinieren, ohne irgendeinen Gewinn. Eben dieses Signal der stillschweigenden Distanzierung hat der Kanzler zu fürchten, der auf einmal nicht mehr der Künder des Neuen ist, sondern der Verteidiger der alten politischen Klasse als solcher. Ihm muß nun dämmern, daß er vielleicht schon übers Jahr in eine große Koalition gerutscht sein wird. Freilich eine andere, als er sie sich im vergangenen September erhofft hatte. Nun als ein Notbündnis der zwei maroden Volksparteien, die sich aneinander klammern müssen. Höchstens zwei Wahlentscheidungen gegen die Grünen, und es wird soweit sein. Und so lange wird Lafontaine schweigen können. Diese Verzweiflungskoalition ohne Substanz wird dann bald den nächsten Offenbarungseid leisten müssen. Und dies mitten im schwarzen wirtschaftlichen Abschwung, den jetzt nur noch eine Minderheit von unverbesserlichen Illusionisten für unvermeidlich hält. Auch mitten in der Erhitzung des amerikanisch-europäischen Konflikts, der sich desto weniger dämpfen läßt, je härter um den Euro gekämpft werden muß. Mit der Form seines Rücktritts und mit seinem Schweigen darüber drückt Lafontaine aus, daß nunmehr die Post-Parteien-Zeit endgültig eingetreten ist. Die Neue Mitte selbst war es ja, die das Ende der repräsentativen Demokratie im Parteiensystem herbeiführen wollte. Hier habt ihr es nun. Diese Leute wollten ja selbst, daß es von nun an nur noch Winner und Loser geben soll. Und daß die Parteien vom Positionskampf der Amtsinhaber höchstens den Begleitchor stellen dürfen – der nur eine einzige Melodie des Einheitsdenkens singen kann. Wenn er wiederkommen sollte, das wollte Lafontaine ausdrücken, dann kann er es nicht als Exponent des alten Parteienbetriebs und dieser SPD tun. Deswegen kann er zusehen, wie Schröder die SPD an den Baum fährt. Das ist böse Kunde für die in Europa fast überall noch regierenden Sozialdemokraten, an denen das Sozialdemokratische von Tag zu Tag abnimmt. Schmerzlich vor allem für die reformierten Sozialisten der lateinischen Bezirke. Noch deutlicher als bisher scheiden sich ja von nun an die sozialdemokratischen Restgebilde im protestantisch-liberalen Nordwesten unter dem Etikett der Neuen Mitte von den staats- und republikverbundenen Sozialdemokraten des Südens. In einer gemeinsamen europäischen Verfassung, die nun brennend notwendig wird, sind sie heute nicht zu sehen. Schon gar nicht an einer gemeinsamen Arbeit dafür. Einem Schröder sind Begriffe wie Konstitution und Republik völlig fremd. Wolfgang Clement, der sein Mann ist, hat soeben in Düsseldorf demonstriert, wie diese neue SPD, die den ehemaligen Etatismus der Partei nun überkompensiert, sich die Politik ohne Staat und republikanische Legitimität vorstellt. Dies ist das Credo der Neuen Mitte, das Lafontaine mit der Form seines Weggangs verhöhnt: Wenn es nur eine einzige Möglichkeit politischen Handelns gibt, die nur weniger gut oder schlecht exerziert werden kann, dann braucht der Staat keine politische Legitimität durch den Parteienkonflikt mehr. Dann sind Parteien überflüssig, werden nur noch als Krücken für den Aufstieg jeweiliger Führer gebraucht. Die bleiben solange dran, wie ihre Kraft reicht. Es kann also keine politischen Ziele geben, die sich parteiförmig zusammenfassen – und im Regierungsgebrauch zum Erfolg oder Mißerfolg führen ließen. Das heißt auch, daß Partei nur sein kann, was regiert. Für die Neue Mitte gibt es, das liegt in ihrem liberaltotalitären Begriff, keine politische Opposition in Form einer Partei. Wer nicht regiert, ist einfach politikunfähig, er kann kein politischer Widerpart und Gegner sein. Deswegen lohnt der Streit mit ihm nicht, auch wenn man ihn aus Höflichkeit vor den Medien mitmacht. Aus Konflikten, in denen sich die Bewegung der Gesellschaft darstellt, kann man nichts Besonderes lernen. Die Demoskopie und die Wahlergebnisse geben Orientierung genug. Die heutige europäische Realität scheint der realexistierenden Mitte, die eine Idee nicht sein kann und sein will, erst einmal recht zu geben. Fast überall regieren sogenannte Sozialdemokraten, und fast überall stehen sie nur noch schwach zuckenden Parteiresten gegenüber, die man politische Opposition nicht nennen kann. Politisch konservativ in politischer Marschordnung, das kommt allenfalls noch in der Ordnungszelle Bayern vor. In Frankreich, in Deutschland, in England, in Italien, nirgends mehr gibt es aktionsfähige, um bestimmte Ideen versammelte Formationen der Rechten. In Spanien andererseits sind die aus langer und erfolgreicher Regierung geworfenen Sozialisten so gut wie nichts, ohne Moral, ohne Geist, ohne Rückgrat. Was gerade weg ist und nicht die Bühne hat, wird auch nicht verlangt. Eine modern-konservative Rechte, die sich den Als-ob-Sozialdemokraten der Neuen Mitte entgegenstellen könnte, wird offensichtlich nirgends vermißt. Das ist in Deutschland ebenso wie in Frankreich und in England. Nur die Massenmedien, die Lafontaine für den Exponenten des alten Staatssozialdemokratismus halten, möchten annehmen, daß es mit ihm aus diesem Grunde zu Ende ist. Bald wird es Schröder sein, der als überholter Industrialist und Korporatist inmitten der blockierten Interessengruppen dastehen wird. Und diesmal wird es die Partei sein, die ihrem Vorsitzenden von der Fahne geht. Claus Koch
Claus Koch
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■ Soundcheck: Cesaria Evora / Reconciliation - taz.de
■ Soundcheck: Cesaria Evora / Reconciliation Gehört: Cesaria Evora. Nur ungern verließ das Publikum jene warme Atmosphäre, die der Auftritt der Sängerin von der Kapverden-Insel Sao Vicente in der Fabrik hinterlassen hatte. Nicht nur die leichten Melodien in gemäßigten Tempi und die gefühlvoll gesungenen, melancholischen Lieder verwandelten diesen Abend in ein seltenes Ereignis. Eine bestimmte Art von Menschlichkeit umflorte die kleine Frau, mit der sie die Unmittelbarkeit des Vortrags schuf. Cesaria Evoras erster Auftritt in Hamburg überhaupt sah eine Performerin, der jede Allüre, jeder Ethno-Kitsch fremd ist. Auf der Bühne, die sie mit Tisch und Lampe zu aller Wohnzimmer umfunktioniert hatte, ruhte Evora beim Singen in sich, während sie Texte sang, die ein Gegengewicht zu den leichten Melodien ihrer Musik sind. Lieder, die vom Leid der ehemaligen Sklaven auf den von der Natur und Wirtschaft nicht verwöhnten Inseln handeln. Ab und zu sah sie fast verlegen das andächtig hörende Publikum an oder diskutierte mit jungen Portugiesinnen, die am Ende voller gemeinsamer Glücksgefühle auf die Bühne stiegen, als die Diva zum zweiten Mal die Liebeserklärung an ihre Heimat anstimmte. Niko Theodorakopulos   Samstag abend: Reconciliation. Die Wiedereröffnung des Kellers der B 5 wird begangen mit einem Tausende-Kilometer-tausende-Jahre-Mix. Reconciliation nämlich verbinden das Hauptinstrument der Aborigines, das Didgeridoo, mit einem 5000 Jahre alten keltischen Horn und diversen Percussioninstrumenten. Wir weisen nachdrücklich auf dieses Konzert hin, auch wenn die Veranstalter, die Musikredaktion von Radio Loretta, das Wort „Rhythmus“ nicht schreiben können. Brigittenstr. 5, 22.30 Uhr
Niko Theodorakopulos
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Schlappes Demonstrationsrecht Musterbescheid könnte Ordnungsbehörden helfen - taz.de
Schlappes Demonstrationsrecht Musterbescheid könnte Ordnungsbehörden helfen In letzter Zeit neigen Politiker dieser Stadt vor allem aus dem linken Spektrum dazu, das Demonstrationsrecht in Verkennung der Sicherheitslage und in konservativer, ja reaktionärer Auslegung der Verfassung als ein Grund- und Freiheitsrecht darzustellen. Dem sollte durch eine zeitgemäße, den heutigen Verhältnissen angepaßte Auslegung der Bestimmungen des Versammlungsgesetzes entgegengewirkt werden, damit das Demonstrationsrecht klarer und anwendungsfreundlicher gestaltet werden kann. Wir schlagen daher den Ordnungs- und Polizeibehörden folgenden Musterbescheid vor, der es vermeiden hilft, Demonstrationen zu verbieten, also vor allem nach außen hin den Eindruck hervorzurufen, in diesem Lande würden Freiheitsrechte eingeschränkt. Der aber sicherstellt, daß diese Veranstaltungen für Polizei und Bürger zu erträglichen und kostensparenden Ereignissen werden. Entwurf: Klaus Eschen Notar und Richter am Landesverfassungsgericht Berlin
Klaus Eschen
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Kommentar Studie zum Judenhass: Kein Antisemit. Nur „Israelkritiker“ - taz.de
Kommentar Studie zum Judenhass: Kein Antisemit. Nur „Israelkritiker“ Die pathologische Manie, mit der Israel bei jeder Gelegenheit zum Beelzebub erklärt wird, ist kein Zufall. Und hat mit berechtigter Kritik nichts zu tun. Geht es bei mancher Kritik an Israel wirklich um Israel oder nicht in Wahrheit um Juden und die deutsche Vergangenheit? Foto: Unsplash/John T Antisemitische Äußerungen im Internet haben massiv zugenommen, stellt eine Studie der Technischen Universität Berlin fest. Schlimm, schlimm, werden da die meisten taz-Leser denken, aber glücklicherweise betrifft das uns als aufgeklärte linke Zeitgenossen nicht so direkt. Das ist leider eine Täuschung. Ja, es wäre schön, wenn Linkssein gegen Antise­mitismus und Israelhass immunisieren würde. Doch der Dreck kommt von überall her, und es reicht kein Kübel mehr, um ihn aufzufangen. Wer sich so wie ich regelmäßig zu Themen wie dem Holocaust, dem Judenhass und der israelischen Gesellschaft äußert, für den ist die Erkenntnis über den Judenhass im Internet alles andere als überraschend. Denn schreibe ich über eine 105-jährige Überlebende der Schoah – heraus kommt garantiert eine Leserdebatte über die Unterdrückung der Palästinenser. Geht es um die Frage, ob Schüler verpflichtend KZ-Gedenkstätten besuchen sollten, folgt der Hinweis, dass Israels Politik ja erst den Judenhass provozieren würde. Noch jede – auch historische – Debatte über deutsche Schuld endet so in den besetzten Gebieten. Ich glaube nicht mehr, dass das zufällig ist. Nein, nicht jede Kritik an der Besetzung ist antisemitisch, und schon gar nicht gilt das für Kritik an den Texten des Autors. Aber die schon pathologische Manie, mit der Israel bei jeder sich bietenden Gelegenheit zum Beelzebub erklärt wird, ist verdächtig. Es ist schön, zu hören, wenn Leser sich für einen gemeinsamen Staat in Israel/Palästina einsetzen. Noch schöner wäre es gewesen, wenn die Leser auch einmal die Betroffenen fragen würden, was sie von der Sache halten, bevor das Land am deutschen Wesen der Nahostkonflikt genesen möge. Worum geht's hier wirklich? Geht es bei manch einer Kritik an Israel wirklich um Israel oder nicht in Wahrheit um Juden und die deutsche Vergangenheit? Ist diese Art von Kritik möglicherweise auch davon motiviert, die deutsche Vergangenheit angesichts rea­ler israelischer Menschenrechtsverletzungen zu kompensieren? Das sind Fragen, die sich mir stellen, wenn ich zum hundertsten Mal bei unpassender Gelegenheit lese, dass nur dieser Staat Verantwortung trägt. Die eingangs erwähnte Studie spricht von einer „Israelisierung der Semantik“, in der Israel zum „kollektiven Juden“ erklärt wird. Wie wäre es, lieber „Israelkritiker“, wenn Sie Ihr Engagement einmal einem anderen Objekt zuwenden würden, zum Beispiel den Uiguren in China oder Journalisten in Russland? Oder wenn Sie, auf gut Deutsch gesagt, einfach mal die Fresse hielten? Aber nein, Sie sind gewiss kein Antisemit. Nur ein Israelkritiker.
Klaus Hillenbrand
Die pathologische Manie, mit der Israel bei jeder Gelegenheit zum Beelzebub erklärt wird, ist kein Zufall. Und hat mit berechtigter Kritik nichts zu tun.
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■ Kommentare Frauen sind bös' und dürfen darum nicht regieren: Marsmenschen - taz.de
■ Kommentare Frauen sind bös' und dürfen darum nicht regieren: Marsmenschen Alle wollen das Zentrum besetzen, die politische Mitte, den „moderaten“ Teil des Landes mobilisieren. Die Inhaber unbelasteter Namen, Besitzer heiter dreinblickender Gesichter, Träger einfacher Anzüge nach Art des Volkes – sie alle sind ausnahmslos männlichen Geschlechts. Jung, wohlerzogen, auf zahllosen Reisen nach jenseits des Ozeans gebildet, im Hintergrund meist eine wohlhabende (und nicht allzu alternative) Familie – so präsentieren sich die neuen Führungsfiguren. Und nicht nur daß sie allesamt männlich sind – sie scheinen überwiegend auch wild entschlossen, sich möglichst nur mit Männern zu umgeben. Nichts hilft es da, wenn in Italien beispielsweise die junge Giovanna Melandri den Sieg der Linken nachweislich im Alleingang ermöglichte, indem sie die „Großen“ der Rechten, Berlusconi und Fini, im alles entscheidenden letzten Fernsehduell nach allen Regeln der Kunst auf die soziale Ebene lockte und dort fachfrauisch zerlegte – ins Kabinett kam sie trotzdem nicht; könnte ja sein, daß sie die eigenen Parteimachos auch mal so reinsausen läßt. Daß sich die Wahl ausgerechnet an der sozialen Frage entschied, also einer „typischen Macke“ der Frauen, paßt ja auch nicht ins Softy-Gehabe der neuen Großen. Lieber alles verschwommen lassen, dann bleibt die Führung unangetastet. Außerdem weiß man ja: Kaum sind die Frauen an der Macht, sind sie alles andere als die besseren Menschen. Im Gegenteil, böse Mädchen sind sie dann, wie Margaret Thatcher, bislang die einzige Frau, die die Mannsbilder in der Politik niederringen konnte. Eine Antifrau, konservativ in moralischen Dingen und skrupellos auf sozialem Gebiet. Gibt es tatsächlich keine anderen Möglichkeiten für Frauen an der Macht? Vielleicht hängt es mit der Unfähigkeit der Frauen zusammen, den heute alles bestimmenden Neoliberalismus mit dem Sozialleben zusammenzudenken, mit den Menschenrechten und der Solidarität. Ein Problem, das sich der Eisernen Lady nicht einmal stellte. Wo immer sonst Frauen in Kabinetten der neuen, saubermännischen Linken auftauchen, haben sie noch immer solche Ressorts, die eher ans Rote Kreuz erinnern, allenfalls mal ein bißchen Umweltschutz dürfen sie machen. Wahrscheinlich wird den Frauen der Durchbruch wirklich erst gelingen, wenn sie sich zusammenrotten, Stoßtrupps aufbauen und den Männerklüngel sprengen. Im italienischen Parlament haben sie soeben eine fraktionsübergreifende Gruppe gebildet. Und sie kommen sich vor wie die Marsmenschen der Politik. Raffaella Menichini Die Autorin war einige Jahre Chefredakteurin der Zeitung „il manifesto“.
Raffaella Menichini
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Soziologe über Niedersachsens Demokratie: „Nicht verhandelbare Kernpunkte“ - taz.de
Soziologe über Niedersachsens Demokratie: „Nicht verhandelbare Kernpunkte“ Eine Studie stellt in Niedersachsen eine hohe Affinität zu Verschwörungstheorien fest. Motor für den Rechtsruck sei das Land aber nicht. Thema nicht erst seit Facebook: englisches Pamphlet gegen eine „Popisten-Verschwörung“ (1678) Foto: dpa taz: Herr Finkbeiner, die Menschen in Niedersachsen sind nicht „Motor“ eines bundesweit zu beobachtenden Rechtsrucks, schreiben Sie im „Demokratie-Monitor 2019“. Woran machen Sie das fest? Florian Finkbeiner: An dieser Stelle beziehen wir uns vor allem auf das AfD-Wahlergebnis aus unserer Sonntagsumfrage. Die elektoralen Erfolge dieser Partei sind in den letzten Jahren ja schließlich zu so etwas wie dem Symbol der gesellschaftlichen Umbrüche und Konflikte geworden. Eine in der letzten Zeit immer wieder geäußerte Erklärungsfolie für den Erfolg von Parteien rechts der Mitte besagt, dass es allein die Enttäuschten, Frustrierten und die sich abgehängt Fühlenden wären, von denen solche Parteien profitieren würden. Unsere Ergebnisse widersprechen dieser These zum Teil. Inwiefern? Wir haben in unserer Studie zum Beispiel die Menschen offen gefragt, was sie als die wichtigsten Probleme im Land ansehen, wie viel Vertrauen sie beispielsweise Parteien und Politikern entgegenbringen. Betrachtet man nun die Antworten, dann zeigt sich relativ deutlich, wie viel Enttäuschung und Frustration da offensichtlich mitschwingt, wie viel Misstrauen gegen ganz unterschiedliche Formen von politischen Phänomenen vorhanden ist. Doch nach unserer Sonntagsumfrage würde die AfD hiervon kaum profitieren können. Wären also diese Enttäuschungen allein der „Motor“ für einen Rechtsruck, dann hätten die Ergebnisse dieser Partei eigentlich höher sein müssen. Aber das sind sie in Niedersachsen bislang nicht. im Interview:Foto: privatFlorian Finkbeiner, *1988, Politikwissenschaftler und Soziologie, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Es hat sich gezeigt: Fast ein Viertel der Befragten glaubt, dass staatliche Behörden alle Bürger genau überwachten; nahezu ein Drittel stimmt der These zu, dass hinter vermeintlich unzusammenhängenden Ereignissen geheime Aktivitäten stünden; und sogar mehr als 43 Prozent gehen davon aus, dass geheime Organisationen großen Einfluss auf politische Entscheidungen hätten. Diese relativ hohen Werte mögen im ersten Moment vielleicht überraschen. Aber betrachtet man die Ergebnisse anderer Untersuchungen wie beispielsweise die „Mitte-Studien“ von Andreas Zick, dann zeigt sich, dass auch diese Werte in eine ähnliche Richtung gehen. Aber: Ganz genau im Detail vergleichen kann man solche Erhebungen mit unserer Studie oftmals nicht. Ist Verschwörungsglaube immer politisch rechts – oder ist das komplizierter? Natürlich ist es etwas komplizierter. Es scheint zwar durchaus einen gewissen Zusammenhang zu geben, aber dies bedeutet keineswegs automatisch, dass Verschwörungstheorien immer politisch rechts wären. Vielmehr findet sich eine gewisse Affinität zu verschwörungstheoretischen Versatzstücken auch in der sogenannten Mitte der Gesellschaft sowie im politisch linken Spektrum. Allerdings gibt es hierbei teilweise deutliche Unterschiede, je nachdem, welche Indikatoren für diese Affinität betrachtet werden. Wir haben uns dabei besonders auf drei Fragenkomplexe bezogen … … also: staatliche Überwachung, geheime Zusammenhänge und einflussreiche Organisationen. Bei manchen dieser Fragen ist es keineswegs so, dass die AfD-Wähler diesen Aussagen unbedingt mehr zustimmen würden als beispielsweise Linken-Wähler. Bei einzelnen Fragen gibt es kaum wesentliche Unterschiede, bei anderen wiederum deutliche Differenzen. Betrachtet man allerdings das Antwortverhalten zu allen genannten Fragen, würde ich vorsichtig formulieren, dass es zumindest einen Zusammenhang gibt zwischen der Affinität zu verschwörungstheoretischen Erklärungs- und Rationalisierungsversuchen und der Neigung zur Wahl von Parteien rechts der Mitte. Wenn die Menschen etwa an die Existenz geheimer einflussreicher Organisationen glauben: Wen genau vermuten sie da am Werk? Wenn es beispielsweise um die vermeintliche Existenz solcher geheimen einflussreichen Organisationen geht, dann liegt die Vermutung zumindest nahe, dass es sich dabei um Assoziationsformen von geheimen Machenschaften handeln kann. Dies wiederum wäre ein prototypisches Anzeichen von Antisemitismus, weil der antisemitische Wahn ja genau darin eine seiner Grundlagen findet, dass es „der Jude“ sei, der hinter diesen geheimen Machenschaften stehen würde. Aber? Ob den Befragten eine solche Assoziation überhaupt bewusst ist oder ob diese damit nicht doch etwas ganz anderes meinen, all dies können wir nur auf Basis der bisherigen quantitativen Erhebungen nicht sagen. Diese inneren Zusammenhänge müssen noch tiefer gehender untersucht werden. Der MonitorDer Niedersächsische Demokratie-Monitor fußt auf einer telefonischen Befragung von 1.001 Bürger*innen ab 16 Jahren (70 Prozent Festnetz, 30 Prozent Mobil).Die erste solche Erhebung in einem westdeutschen Bundesland soll alle zwei Jahre wiederholt und dazwischen qualitativ ergänzt werden.Stine Marg, Florian Finkbeiner, Steffen Kühnel, Efpraxia Dermitzaki: Niedersächsischer Demokratie-Monitor 2019 (NDM); 76 S. ISSN 2628-3743Im Netz: www.fodex-online.de/publikationen/niedersaechsischer-demokratie-monitor-2019/ Was Sie ja auch tun. Genau solchen Fragen und vermeintlichen Widersprüchen, wie übrigens auch bezüglich der unterschiedlichen Demokratievorstellungen, gehen wir derzeit in unserem ersten Anschlussprojekt nach, indem wir diese qualitativ vertiefend untersuchen. Die ersten Ergebnisse hierzu sollen bis Ende des Jahres vorliegen. Wo Sie gerade den Aspekt der „Demokratie-Vorstellungen“ erwähnten: Was haben Sie da bisher erfahren? Wir haben die Menschen ganz offen danach gefragt, was „Demokratie“ für sie bedeutet, welche Prinzipien und Leitvorstellungen sie damit verbinden. Dabei hat es uns gewissermaßen überrascht, dass es für unsere Befragten keineswegs „die eine“ Demokratievorstellung gibt, sondern dass es offensichtlich ganz unterschiedliche Vorstellungen darüber gibt, was die Menschen mit „der“ Demokratie verbinden. Aber es gibt gewisse Kernpunkte, die die meisten Befragten teilen, die dann auch nicht verhandelbar sind. „Meinungsfreiheit, Respekt vor Andersdenkenden, Chancengleichheit und Machtwechsel“, schreiben Sie, gehörten „für drei Viertel der Niedersachsen unbedingt zur Demokratie dazu“. Es zeigen sich zum Teil aber auch deutliche Unterschiede, was die Demokratie neben diesen zentralen Leitvorstellungen noch weiter ausmacht. Zum Beispiel sind die Aspekte, ob Experten über grundlegende Probleme der Gesellschaft entscheiden sollten oder ob eine „nationale Leitkultur“ zu einer Demokratie gehöre, weithin umstritten. Was mich vielleicht am meisten überrascht hat: die ausgeprägte Skepsis gegenüber den sozialen Medien. Die Wahrnehmung ist doch: Wer bestimmten Weltbildern zuneigt, wird sich eher via Facebook oder Twitter Bestätigung durch Gleichgesinnte suchen, als sich herausfordern zu lassen durch angebliche „Systemmedien“. Natürlich entsteht oftmals der Eindruck einer politischen Verwahrlosung, wenn man sich teilweise Online-Kommentarspalten ansieht. Aber dieser Ausschnitt spiegelt offensichtlich nicht die Realität. Denn nach unserer Untersuchung misstrauen die meisten Befragten den sozialen Medien. Rund drei Viertel, lese ich. Und nur ein Viertel gibt an, ihre politischen Informationen über die sozialen Medien zu beziehen. Es scheint auch kein Zufall zu sein, dass genauso wenige angeben, soziale Medien als politische Ausdrucksformen zu nutzen oder dort regelmäßig aktiv zu sein. Diese und weitere Faktoren – auch aus anderen Untersuchungen – lassen vermuten, dass die Bedeutung der sozialen Medien nur für einen relativ kleinen Ausschnitt aus der Bevölkerung zutrifft, aber gerade dieser Teil scheint besonders aktiv zu sein. Zur besseren Einordnung ihrer Erkenntnisse aus Niedersachsen könnte beitragen, wenn es bundesweite Zahlen gäbe. Es gibt bundesweite Befragungen und Untersuchungen, die auch diese Themen bearbeiten. Natürlich orientieren wir uns auch an diesen Zahlen. Aber diese Studien arbeiten teilweise mit anderen Fragen, sodass wir diese Ergebnisse auch nicht immer miteinbeziehen können. Wir haben unsere Untersuchung ja mit Steffen Kühnel gemacht … … Inhaber des Lehrstuhls für Quantitative Methoden der Sozialwissenschaften an der Universität Göttingen … … der früher auch mit Wilhelm Heitmeyer an den „Deutschen Zuständen“ gearbeitet hat … … einer ein Jahrzehnt lang regelmäßig durchgeführten Erhebung über den Zusammenhang zwischen sozialen und ökonomischen Verhältnissen und der Entwicklung von Vorurteilen gegenüber Minderheiten. Kühnel hat immer wieder auf die Schwierigkeit einer solchen Vergleichbarkeit hingewiesen. Wenn Fragen anders gestellt sind, gibt es einen ganz anderen Spielraum zur Interpretation der Antworten. Deshalb können bundesweite Zahlen beispielsweise zu Verschwörungstheorien nur sehr eingeschränkt mit unseren Zahlen verglichen werden. Zumindest aber sehen wir grobe Ähnlichkeiten.
Alexander Diehl
Eine Studie stellt in Niedersachsen eine hohe Affinität zu Verschwörungstheorien fest. Motor für den Rechtsruck sei das Land aber nicht.
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Arbeitskonflikt in Hagenbecks Tierpark: Geschäftsführer lenkt ein - taz.de
Arbeitskonflikt in Hagenbecks Tierpark: Geschäftsführer lenkt ein Im Konflikt um Kurzarbeit und Entlassungen in Hagenbecks Tierpark beendet Geschäftsführer Dirk Albrecht das Arbeitsverbot gegen den Betriebsrat. Angriff abgewehrt: Mehrfach war das Gerangel um Kündigungen in Hagenbecks Tierpark eskaliert Foto: Daniel Bockwoldt/dpa HAMBURG taz | Überraschende Wende im Arbeitskonflikt zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung des Tierparks Hagenbeck: Im Rechtsstreit um die Entlassung des Betriebsratsvorsitzenden Thomas Günther hat Hagenbeck-Geschäftsführer Dirk Albrecht nach Angaben der Industriegewerkschaft Bauen – Agrar – Umwelt (IG Bau) nun offenkundig eingelenkt. Mit sofortiger Wirkung wird das zweimonatige Arbeitsverbot gegen Günther einer Vereinbarung von voriger Woche zufolge aufgehoben. Günther soll seinen Job als Tierpfleger im Giraffengehege ab sofort wieder ausüben können und das Amtsenthebungs- und Kündigungsersatzverfahren vorm Arbeitsgericht werde vom Zoo nicht weiterverfolgt. „Es ist bewundernswert, dass der Betriebsratsvorsitzende trotz des existenziellen Angriffs auf seine Person dem Druck standgehalten hat“, lobt IG-Bau-Vize-Regionalleiter Dirk Johne das Engagement Günthers für die Belegschaft. Der Konflikt war zum Jahreswechsel während der Verhandlungen um eine coronabedingte Betriebsvereinbarung zur Kurzarbeit ausgebrochen und eskaliert (taz berichtete). Der neue Geschäftsführer Dirk Albrecht kündigte noch vor Beginn der Verhandlungen neun Entlassungen an, um offensichtlich den Betriebsrat unter Druck zu setzen. Noch während des Lockdowns im Frühjahr konnte eine einvernehmliche Kurzarbeiterregelung mit dem alten Management für die Bereiche Gastronomie, Service, Verwaltung ohne Probleme abgeschlossen werden. Das staatliche Kurzarbeitergeld wurde vom Zoo auf 100 Prozent des Nettogehalts aufgestockt. Eskaliert war die Situation auch, weil Albrecht den ersten Gesprächstermin platzen ließ, indem er verlangte, dass die Gewerkschaftsvertreter das Geländes des Zoos verlassen. Dirk Johne, Vize-Regionalleiter IG Bau„Herr Albrecht ist sich wohl der Aussichtslosigkeit des Verfahrens bewusst geworden“ Bei einem Rundgang im Zoo im Anschluss an die abgebrochenen Verhandlungen hatte sich die Lage erneut zugespitzt. Albrecht untersagte den Rundgang des Betriebsrates mit den IG-Bau-Gewerkschaftern, durch den die Belegschaft informiert werden sollte, und rief die Polizei. Um eine Eskalation zu vermeiden, hatte der Betriebsrat den Rundgang abgebrochen, die anwesenden Betriebrats-Mitglieder kassierten Abmahnungen. Später hieß es, es sei gegen den Coronaschutz verstoßen worden. Wenig kündigte Hagenbeck dem Betriebsratsvorsitzenden Günther und erteilte ihm Hausverbot. „Der Betriebsratsvorsitzende kann zwar beurlaubt werden, ihm kann aber nicht in seiner Funktion als Betriebsratsvorsitzender der Zutritt zum Tierpark verwehrt werden“, kritisierte Gewerkschafter Johne. In der Tat erteilte Anfang Januar das Arbeitsgericht Hamburg Albrecht durch eine einstweilige Verfügung eine Rüge. Bis zur einer Entscheidung über eine Kündigung müsse einem Betriebsrat Zugang zum Betrieb gewährt werden, urteilte das Gericht. „Gepaart mit dem Umstand, dass die Coronapandemie generell zahlreiche mitbestimmungsrelevante Themen in sich birgt, ist ein uneingeschränkter Zutritt sämtlicher Betriebratsmitglieder zum Betrieb umso wichtiger“, so die Entscheidung von Arbeitsrichterin Nicole Witt. Die neun Entlassungen sind inzwischen zurückgenommen worden, eine Kurzarbeitvereinbarung ist abgeschlossen. In dieser Woche sollte das Arbeitsgericht über das von Hagenbeck beantragte Kündigungsersatzverfahren zwecks Amtsenthebung von Thomas Günther entscheiden, nachdem der Betriebsrat als Gremium Günthers Kündigung wider­sprochen hat­te. Die Kammer des Gerichts machte aber deutlich, dass die Zuständigkeit bei Arbeitsrichterin Witt liege, da diese bereits über den Kündigungskomplex wegen der vermeintlichen Coronaprävention entschieden hatte. Deren Position liegt per Urteil ja bereits vor. „Herr Albrecht ist sich wohl der Aussichtslosigkeit des Verfahrens bewusst geworden“, vermutet IG-Bau-Vize-Landeschef Johne hinter dem unerwarteten Einlenken von Geschäftsführer Dirk Albrecht, der wohl auch einen weiteren Image-Schaden durch hartes Agieren vermeiden möchte. Es sei ein großer Erfolg für den Betriebsrat, dem Betriebsratsvorsitzenden und der IG Bau, dass es gelungen sei, sich gemeinsam gegen diese Angriffe und eine Unternehmensführung nach Gutsherrenart zur Wehr zu setzen, befindet Gewerkschafter Johne.
Kai von Appen
Im Konflikt um Kurzarbeit und Entlassungen in Hagenbecks Tierpark beendet Geschäftsführer Dirk Albrecht das Arbeitsverbot gegen den Betriebsrat.
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Die steinharte Währung - taz.de
Die steinharte Währung ■ Und Marx hatte doch recht: Der Wert der Ware Geld ist definiert über die Arbeit, die in ihr steckt. Der Beweis: Die Bewohner der Pazifikinsel Yap und ihr Mühlsteingeld. Von ULLI KULKE ully Hayes, im vergangenen Jahrhundert berühmt-berüchtigter Geschäftemacher und Schläger im sino-pazifischen Raum, wollte von Hongkong aus im Reiche der kleinen Inseln das große Geld machen. Doch Bully Hayes hatte seinen Meister gefunden. Ebenso wie der Abenteurer David O'Keefe, Amerikaner irischer Abstammung, der seinerzeit die Mikronesier auf die Kokospalmen jagen wollte, damit sie die Ernte für sein Kopra-Imperium einholten. Er war kein Unbekannter, jener Mann, der mit seinen Weisheiten den beiden Gestalten ihre Grenzen aufzeigte. Sein Name war Marx. Merke: Der Wert einer Ware ist nichts als der Ausdruck der Arbeit, die in ihr steckt (Karl Marx: Das Kapital). Das gilt nicht zuletzt fürs liebe Geld. Denn auch Geld ist eine Ware wie alle anderen. Es blieb den wackeren Männern und Frauen einer winzigen Pazifikinsel vor rund 100 Jahren vorbehalten, den Gesetzen der Politischen Ökonomie Gültigkeit zu verschaffen - gegen Bully Hayes und David O'Keefe und obendrein auch noch gegen die deutsche Kolonialverwaltung... Geld ist vergänglich, nicht nur im eigenen Portemonnaie. Gerade dieser Tage können wir erleben, wie mal wieder eine ganze Währung verschwindet - die Ostmark. Auch unsere harte D-Mark hat erst ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel, und so zählen Gelder wie der Dollar aus der Neuen Welt schon zu den ältesten Werten. Dukaten oder Dublonen, Sesterzen oder Säulenpiaster - was könnte man heute mit ihnen noch einkaufen? Nichts. Allein die 9.320 Einwohner des Pazifikstaates Yap, Mitglied in der Föderation der Staaten von Mikronesien, verfügen heute noch über eine Währung, die runde 2.000 Jahre alt ist: das legendäre Mühlsteingeld. Es handelt sich dabei nicht nur um das älteste noch gültige Zahlungsmittel der Welt. Es zählte über all die Jahrtausende sicherlich zu den eigentümlichsten. Und dazu gehört in dieser Weltenregion mit ihren Ratten- und Matten- oder Eier- und Schweinewährungen eine ganze Menge. berall stehen sie herum auf der Insel Yap, die Steinscheiben in der Form von kleinen bis überdimensionalen Mühlsteinen, zwischen dreißig Zentimeter und drei Meter sechzig im Durchmesser - zumeist vor den Männerhäusern („Failu“), aber auch mal zwischen verrostenden Kühlschränken oder Autowracks, oder auch zu Dutzenden konzentriert in der „Steingeldbank“ beim Dorfe Rull. Das wundersame an diesem Geld: Auch wenn man Tiefkühlkost und Dosenbier im Supermarkt der Hauptstadt Colonia mit US-Dollar bezahlt, so kann man doch mit dem alten Steingeld („Rai“) heute noch Rechnungen begleichen - etwa ein Haus kaufen, eine Tanzgruppe aus dem Nachbardorf entlohnen oder sich auch schon mal einen größeren Posten Palm-Grog brauen lassen. Bei der Produktion der Rai-Münzen handelte es sich nicht nur um schlichte Herstellung des Nutzwertes Geld, sondern ganz offenbar auch um eine Kulthandlung. Die Yapesen frönten dieser Tätigkeit jedenfalls in großem Maßstab. Europäische Reisende, die die „Prägestätten“ in Palau (heute: Belau), einer Nachbarinsel, zu Anfang des letzten Jahrhunderts besichtigten, zählten bis zu 400 Yapesen gleichzeitig bei der mühsamen Arbeit in den Aragonit-Steinbrüchen. Die Herstellung der Mühlstein-Münzen selbst war eine ungeheuer mühselige Angelegenheit. Ohne Eisenwerkzeuge, nur mit Muscheläxten bewaffnet, rückten sie dem Steinbruch zu Leibe. War die Grobform fertig, wurden die Ungetüme so lange durch den Sand gezogen, bis der Feinschliff perfekt war für einen hohen Münzwert unerläßlich. Und dann kam erst das schwierigste: der Transport nach Yap. Die schwere Last ließ so manches Kanu seine Ruhestätte in der Tiefe des Ozeans finden. ür die Herstellung ihrer Münzen scheuten die Yapesen keine, für alle anderen Arbeiten dagegen jede Mühe - sehr zum Verdruß solcher Männer wie David O'Keefe und Bully Hayes. Sie wußten, wieviel Geld in den Palmen hing. Mit zu Kopra verarbeiteten Kokosnüssen waren in Europa und Amerika Unsummen zu verdienen. Doch um keinen Preis der Welt waren die Insulaner Mikronesiens bereit, die wertvolle Nußware vom Baum zu holen - bis Männer wie O'Keefe oder Hayes auf eine Idee kamen. Die Handelsmänner hatten dickbauchige Dschunken im Einsatz, konnten sich Dynamit besorgen und beherrschten die Handhabung modernen Geräts - ideal, um Herstellung und Versand des Mühlsteingeldes auf den neuesten Stand der Technik zu bringen. Beides wäre in einem Bruchteil der bisher benötigten Zeit zu bewerkstelligen. In der Tat ließen sich die Yapesen zunächst auf den Deal ein. Transportkapazität und moderne Produktion der Rai en Gros gegen tatkräftige Hilfe bei der industriellen Kokosnuß -Ernte. Weil man die einst so umständlich zu bearbeitenden Rohprodukte nun mit Hilfe der Maschinen so bequem bearbeiten konnte, versah man die Rai auch gleich noch mit allerlei Zierrat - z.B. mit gesonderten konzentrischen Kreisen um das Mittelloch. Doch das war der Anfang vom Ende. Bald entpuppten sich die industriell gefertigten Rai als Ladenhüter, und aus war's mit der Palmenkletterei zugunsten der O'Keefes und Hayes‘. Den Aluchips der DDR gleich, wollte deren so schöne runde und glatten Steine niemand mehr haben. Der Grund: Ihre Herstellung war zu einfach. Ganz offenbar steckte zu wenig Arbeit in ihnen - und deshalb auch entsprechend weniger Ausdruck von Arbeit im Sinne von Karl Marx. Jeder anderen Währung auf der Welt hätte als logische Konsequenz aus solcher Vielmünzerei die totale Inflationierung gedroht - der allgemeine Wertverlust. Doch das yapesische Volk zeigte den Nadelstreif -Geldpolitikern in den Zentralbanken der Weltmetropolen, wie man dergleichen verhindert. Sie akzeptierten einfach nicht mehr O'Keefes und Hayes‘ Industriegeld, obwohl es doch so viel ordentlicher und schmucker gestaltet war. Das in der Art der Alten hergestellte und -geholte gröbere Mühlsteingeld erfreute sich dagegen des ursprünglichen Wertes. Die Münzen andererseits, die mit Kanus aus dem noch viel weiter entfernten Guam herangeschifft wurden, waren die wertvollsten. Eine Handvoll Rai war einst auch auf Yap selbst aus örtlichem Gestein gefertigt worden - ganz im Sinne von Marx, aber höchstens als Kleingeld zu benutzen. Könnte es eine schönere Bestätigung des Wertgesetzes geben? ber wieviel Wert hat denn nun ein solcher Mühlstein? Silbester, Inhaber eines der beiden Hotels auf Yap, rechnet vor: „Durchmesser mal Stärke (in Inch gerechnet) und das Ganze mal 75 Dollar.“ Der deutsche Pastor von gegenüber kann darüber nur lachen: „Die Yapesen erzählen den Fremden nur immer irgendwelche Geschichten über ihr Geld.“ Die wirkliche Vita der einzelnen Steine, die maßgeblich ist für den Wert, verschwiegen die Yapesen gegenüber den Fremden. Was letztendlich mit einer Münze bezahlt werden kann, ist dann meist Gegenstand langwieriger Verhandlungen aller Beteiligten - und das sind bisweilen nicht wenige. Die Rai sind in der Regel Gemeinschaftsbesitz einer Familie oder eines ganzen Dorfes. Da die bis über drei Meter großen Ungetüme in kein Portemonnaie passen, ist ein Inkasso ausgeschlossen, sie bleiben stets, wo sie sind. Alle verlassen sich darauf, daß jeder weiß, wem sie gehören. Da bleibt der Streit darüber, in wessen Besitz die eine oder andere Münze ist, nicht aus. Sie kann dann mehrfach - auch im guten Glauben - zu Transaktionen benutzt werden, bevor der rechtmäßige Besitzer überhaupt etwas davon mitbekommt. Entsprechende Prozeßakten füllen tatsächlich die Ordner der yapesischen Gerichtsbarkeit. Für den Reisenden von auswärts wären die Besitzverhältnisse und auch der Wert oder ein wie auch immer gefundener „Wechselkurs“ der einzelnen Rai nicht von Belang. Der Geldhistoriker Paul Einzig hat wohl nicht übertrieben, wenn er die Mühlsteine als reine „Binnenwährung“ des Staates Yap bezeichnet. Der Grund dafür ist nicht nur die „Bodenständigkeit“ der tonnenschweren Rai oder die zu erwartende mangelnde Akzeptanz an auswärtigen Bankschaltern. Die Ausfuhr der Münzen ist mittlerweile einer sehr rigiden Genehmigungspraxis der Regierung in Colonia unterworfen und wäre im Zweifel mit horrenden Steuerzahlungen für den Verkäufer verbunden. Wenn auch jetzt im Zuge der Umgestaltung der östlichen Planwirtschaften fast alle Währungen der Welt in die „Konvertibilität“ überführt werden - das Mühlsteingeld des Staates Yap ist davon noch tonnenweit entfernt.
uli kulke
■ Und Marx hatte doch recht: Der Wert der Ware Geld ist definiert über die Arbeit, die in ihr steckt. Der Beweis: Die Bewohner der Pazifikinsel Yap und ihr Mühlsteingeld.
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Kompetente Frau wird von Männern verdrängt - taz.de
Kompetente Frau wird von Männern verdrängt ■ Am Südostasieninstitut der Humboldt-Universität ist die Wissenschaftlerin Ingrid Wessel ans Ende der Berufungsliste gerutscht/ Experten befürchten Profilverlust Berlin. Bei der Humboldt-Universität (HUB) bringt der Briefträger derzeit öfter Post zum Thema Indonesien. Das hat nichts mit dem Besuch Helmut Kohls in dem südostasiatischen Land zu tun. Die Briefe stammen von Indonesien- Experten aus aller Welt, die heftig kritisieren, daß der regionalwissenschaftliche Ansatz des Südostasieninstitutes an der HUB gefährdet sei. Eine renommierte Wissenschaftlerin aus dem eigenen Hause, die Indonesistin Ingrid Wessel, scheint im laufenden Berufungsverfahren – wie zu erfahren war – ans Ende der sogenannten Dreierliste gerutscht zu sein. Statt Ingrid Wessel, die sich mit der jüngeren Geschichte und der Gesellschaft Indonesiens befaßt, werde statt dessen ein Mann die ausgeschriebene Professur für Indonesistik einnehmen. Damit würde der „im deutschsprachigen Raum einzigartige regionalwissenschaftliche“ Ansatz des Instituts zerstört, sprich: die Auseinandersetzung mit Politik, Gesellschaft und Wirtschaft des Landes. Das bemängeln zwei Professoren der Freien und der Technischen Universität, Jürgen Zimmer und Wolfgang Karcher, in einem der taz vorliegenden Brief. Es sei „ebenso idyllisch wie weltfremd“, die rasch wachsende wirtschaftliche und politische Entwicklung Indonesiens durch einen sprach- und literaturwissenschaftlichen Schwerpunkt zu mißachten. Denn die männlichen Bewerber sind im Gegensatz zu Frau Wessel auf Sprache und Literatur Indonesiens spezialisiert, die Bahasa Indonesia. Indonesien ist mit seinen 190 Millionen Einwohnern das viertgrößte Land der Erde. Es zählt zu den wenigen Entwicklungsländern, die einen rasanten Anstieg des Pro-Kopf-Einkommens verbuchen. Freilich geschieht dies unter den Bedingungen eines autoritären militär-bürokratischen Regimes des Präsidenten Suharto. „Wir sinken ins 19. Jahrhundert zurück, wenn wir nur noch Sprache und Literatur machen“, bewertet daher Ingrid Wessel den geänderten Forscherblick. Inzwischen ärgert sie sich, nicht genügend um den Ansatz einer „komplexen Länderwissenschaft“ gerungen zu haben, wie er in der DDR mit Zentren in Leipzig (Afrika), Rostock (Lateinamerika) und Berlin (Asien) gepflegt worden war. In den Beratungen zur künftigen Ausrichtung des Institutes sei stets vom Erhalt der Südostasienwissenschaften als Regionalstudien die Rede gewesen. Die zuständige Struktur- und Berufungskommission schrieb indes die Stelle mit einem kleinen, aber bedeutsamen Zusatz aus: Indonesistik mit dem Schwerpunkt Geschichte/Gesellschaft „o.“ Sprache/Literatur. Von einer Umorientierung könne keine Rede sein, widerspricht Dekan Hans-Dieter Kubitscheck, selbst ein Indonesist. Moderne Indonesienstudien, „die es so nirgends in Deutschland gibt“, seien ein wichtiger Bestandteil der erneuerten Afrika- und Asienwissenschaften an der HUB. Auch ein philologisch orientierter Bewerber müsse das abdecken. Wie so oft an der Humboldt- Universität wurde im Erneuerungsprozeß offenbar der Fachbereichsrat von der Struktur- und Berufungskommission (SBK) an die Wand gedrückt, einem halb westlich halb östlich besetzten Gremium. Noch dazu wird seit den Ausschreibungen im Sommer letzten Jahres bei den Afrika- und Asienwissenschaften ein Mammutprogramm absolviert. 24 neue Professuren sind zu besetzen. Auf öffentliche Anhörungen habe man dabei verzichtet, gesteht Dekan Kubitscheck. Statt dessen habe es 82 nichtöffentliche Interview-Runden in der SBK gegeben. Daß es nun Einmischung von außen in ein laufendes Verfahren gebe, findet der Dekan „verwerflich“. Die Briefeschreiber „disqualifizieren sich selbst“. Deren fachliche Reputation ist ansonsten hoch. Nicht ohne Stolz berichtet Ingrid Wessel, daß sich indonesische und amerikanische Experten über ihre mutmaßliche Rücksetzung empörten, darunter Benedict Anderson, die Galionsfigur aus dem „Modern Indonesia Project“ der Cornell University. Die entscheidende Frage der Einmischung lautet: Kam sie zu früh oder zu spät? Momentan umgibt die Berufungsliste noch eine Aura der Heimlichkeit – wie bei Personalangelegenheiten üblich. Keiner sagt was, und das mit gutem Grund. „Wir haben in vielen Fällen delikate Entscheidungen zu treffen“, weist das Mitglied der Struktur- und Berufungskomission, Dietmar Rothermund, von der Ruprecht-Karls-Uni Heidelberg weitergehende Auskünfte ab. Christian Füller
christian füller
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Die Erfassung des Scheiterns - taz.de
Die Erfassung des Scheiterns Extrem, biografisch, intellektuell: Die Filmemacherin, Autorin und Verlegerin Chris Kraus gab an zwei Abenden bei pro qm Auskunft über ihr literarisches und filmisches Werk. Letzteres wird in der neu eröffneten Galerie Cinzia Friedlaender vorgestellt VON STEPHANIE WURSTER Wie sie die gegenwärtige Situation in den USA sehe, wird Chris Kraus bei ihrer Lesung im Buchladen pro qm gefragt. Kraus, die gerade erzählt hat, dass sie an einem neuen Roman arbeitet, der „The Summer of Hate“ heißt und in dem sie versucht, das Bush-Amerika „von innen zu verstehen“, antwortet mit einer wahren Geschichte. Zwei Katzen wurden von ihrem Besitzer in der Wohnung zurückgelassen und machten, hungrig und verängstigt, nach zwei Tagen eine Menge Lärm. Die Polizei fuhr mit vier Einsatzwagen vor, scherte sich nicht um die Erklärungen der Anwohner und stürmte das Apartment. „Wisst ihr, so sehe ich Amerika“, sagt Kraus, „eine Riesentruppe Polizisten, die mit entsicherten Maschinengewehren auf zwei kleine Katzen zielt.“ Hätte pro qm an diesem Abend den Anti-Bush-Roman schon dagehabt, dann wäre alle Exemplare sofort verkauft gewesen. „Four more days of this to go“, noch vier Tage das Ganze durchstehen, schreibt die Autorin, die auch Filmmacherin ist, am 19. Januar 1996 in ihr Tagebuch; unter ihrer Bettdecke, denn es ist saumäßig kalt in dem Schöneberger Apartment. Es gibt wohl kaum einen Text über Berlin zur Berlinale-Zeit, der bitterer ist. Kraus, die in Neuseeland geboren und aufgewachsen ist, aber seit langem in den USA wohnt, beschreibt in ihrem zweiten Roman „Aliens &amp; Anorexia“ das Ende ihrer Filmkarriere – das Scheitern ihres einzigen Spielfilms „Gravity &amp; Grace“, dessen zwei angesetzte Vorführungen auf der Berlinale kaum jemand besucht, der das Interesse keines Verleihs weckt, der seiner Macherin keine einzige Einladung zu den sagenhaften Berlinale-Partys einbringt. Warum auch? Die Künstlerin selbst beschreibt ihn als „an amateur intellectual’s home video expanded to bulimic lenght“ – das Homevideo einer Laien-Intellektuellen, auf abnorme Länge aufgeblasen. Das harte Urteil kann man in der Galerie Cinzia Friedlaender jetzt selbst überprüfen. Mit „Plastic is Leather, Fuck You: Film und Video 1983–1993“ wird nicht nur die Hinterhofgalerie von Friedlaender, die zuvor als Assistentin bei Daniel Buchholz in Köln gearbeitet hat, in der Potsdamer Straße eröffnet – als eine weitere Station der in den Westen verlagerten Kunstszene –, sondern auch Kraus als Filmemacherin das erste Mal überhaupt gewürdigt. Unglaublich viel Energie muss Kraus in diese Kurzfilme gesteckt haben, nur um sie ein paar wenige Male außerhalb des Kunstkontextes aufzuführen. So speziell ihre Filme auch sind, in denen es um Antonin Artaud, um Dominas, Georges Bataille und fliegende Untertassen in Neuseeland geht, so schlecht auch die Kamera oder der Ton sind: Akribisch und mit Hingabe zusammengebastelt, sind sie wie getränkt von der intellektuellen Atmosphäre ihrer Zeit. Aber sie waren auch dafür zu eigen: Kraus erzählt, dass es in den 80ern im New Yorker Village zum einen den Punk-Kontext gab, in dem sie sich wohlfühlte, und zum andern eine hochintellektuelle Filmszene, die sie faszinierend fand. Zwischen diesen beiden Polen fanden ihre Filme, so war es ihr Eindruck, nie ihren Platz. Ob sie einen Marktwert haben, wird sich zeigen. Jedenfalls wollten viele diese Eröffnung mit kommentierten Filmschnipseln erleben, darunter zahlreiche Exilamerikaner. „Es gibt eine ziemliche L.A.-Connection hier in Berlin“, sagt sie später, „möglich, dass Berlin jetzt so wird, wie L.A. früher war.“ Keiner wagt es, sich vor die vollen Sitzreihen auf den Boden zu setzen, wozu die Künstlerin energisch einlädt: „So machen wir das in L.A.!“ Kraus entschuldigt sich für die Sperrigkeit ihrer frühen Arbeiten, sie ist schwer zu verstehen, aber in ihrem Element, tanzt fast beim Erzählen. Sie glaube nicht an Talent, hat sie, die in ihren Büchern immer wieder von Scheitern und vorprogrammierter Erfolglosigkeit schreibt, vorher im Interview noch erzählt, „es gibt nur den Willen!“. Da Chris Kraus vor allem als Schriftstellerin und Kunstkritikerin arbeitet, ist noch ein zweiter Abend mit Lesungen im Buchladen pro qm angesetzt. Das Nachwendeberlin von 1991 ist der Hauptschauplatz von Kraus’ jüngstem Roman „Torpor“. Man kann darin einem amerikanischen Ehepaar – er ein Literaturprofessor und Holocaust-Überlebender, sie eine eher erfolglose Schriftstellerin und Filmemacherin – auf ihrer nomadischen Reise durch ein Europa auf der Suche nach einer neuen Weltordnung folgen und einer zwölfjährigen Ehe beim Scheitern zuschauen. Es ist der erste Roman von Kraus, der mit mehr Abstand zu ihrer Biografie geschrieben ist, und doch erkennt man in Sylvie unschwer die Autorin und in Jerome Sylvère Lotringer, ihren langjährigen Lebensgefährten. Lotringer und Kraus sind gemeinsam mit Hedi El Kholti Herausgeber des Verlags Semiotext(e), dem US-amerikanischen Pendant zu Merve, in dem Theorie von Baudrillard, Negri, Deleuze oder Irigaray erscheint und in dessen Reihe „Native Agents“ für einheimische Autoren auch Chris Kraus publiziert wird, die nomadische jüdische Neuseeländerin. „Chris Kraus: Plastic is Leather, Fuck You: Film und Video 1983–1993“ in der Galerie Cinzia Friedländer, Potsdamer Str. 105, Öffnungszeiten Do.–Sa. 14–18 Uhr, noch bis 14. Juni
STEPHANIE WURSTER
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Lufthansa verhandelt im Versteck - taz.de
Lufthansa verhandelt im Versteck ■ ÖTV und LH-Manager berieten gestern über die Sanierung des angeschlagenen Konzerns Frankfurt/Berlin (dpa/ap) — Die Lufthansa-Bosse und ihre Verhandlungspartner von der Gewerkschaft ÖTV wollten ungestört bleiben. Im Vorfeld der gestrigen Tarifverhandlungen hatte die Konkurrenz DAG mit ihrem Angebot auf Lohnverzicht und Arbeitszeitverlängerung einen solchen Wirbel verursacht, daß am ursprünglich vorgesehenen Verhandlungsort im Lufthansa-Fortbildungsheim Seeheim bei Darmstadt an konzentrierte Gespräche nicht zu denken war. So wich man kurzfristig an einen geheimgehaltenen Ort in Frankfurt aus, wo die ÖTV den Kranich-Managern ihre Vorstellungen über eine Sanierungsstrategie für den kranken Vogel unterbreitete. Was die ÖTV im einzelnen vorzuschlagen hatte, war bis Redaktionsschluß nicht zu erfahren. Schon im Vorfeld hatte ÖTV-Vorstandsmitglied Eike Eulen klargestellt, eine Arbeitszeitverlängerung von derzeit 37,5 auf 40 Stunden komme für die ÖTV nicht in Frage. Dies bedeute, „von heue auf morgen 3.000 Arbeitsplätze“ im DLH-Konzern zu vernichten. „Dazu reichen wir nicht unsere Hand“ stellte Eulen klar, der auch dem Eindruck entgegentreten wollte, die Lufthansa sei bereits ein Fall für den Konkursrichter. So habe die Konzerntochter „Lufthansa-Service-Gesellschaft“ in diesem Jahr wahrscheinlich mit einem Gewinn von 50 Millionen Mark ihr bestes Jahr seit Bestehen zu verzeichnen. Auch ein Einkommensverzicht von acht Prozent, wie die DAG vorgeschlagen hatte, wird von der ÖTV abgelehnt. Dennoch ist sie bereit, sich an den Sanierungsanstrengungen für die Lufthansa zu beteiligen. Bedingung sei die Sozialverträglichkeit der Maßnahmen. „Wer uns das Messer auf die Brust setzt, macht das jetzt Mögliche zunichte“, meinte Eulen. Die Lufthansa werde bis Ende des Jahres ohnehin rund 1.800 Arbeitsplätze abbauen. Als Beispiel für die Verhandlungsbereitschaft der ÖTV nannte Eulen eine wirtschaftlich sinnvolle und sozial verträgliche Arbeitsplatzflexibilisierung, mit der ein rationellerer Personaleinsatz erreicht werden könne. Der Lufthansa-Betriebsrat hat inzwischen in einem Schreiben an Bundeskanzler Kohl, Außenminister Kinkel und Verkehrsminister Krause eine Kündigung des Luftfahrtabkommens mit den Vereinigten Staaten gefordert. Durch dieses Abkommen werde die Lufthansa auf den wirtschaftlich entscheidenden Nordatlantik-Strecken benachteiligt. marke
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■ ÖTV und LH-Manager berieten gestern über die Sanierung des angeschlagenen Konzerns
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Inklusion bei der Entwicklungshilfe: Ein Aktionsplan ohne Strategie - taz.de
Inklusion bei der Entwicklungshilfe: Ein Aktionsplan ohne Strategie Das Entwicklungsministerium will in Zukunft behinderte Menschen weltweit fördern. Doch das Ministerium kann nur einzelne Projekte, keine systematische Strategie vorweisen. Deutschland will helfen, weltweit. Aber wie? Bild: careaux mit o. / photocase.com BERLIN taz | 15 Prozent der Weltbevölkerung leben mit Behinderung - 80 Prozent davon in Entwicklungsländern. Die Daten des Entwicklungsministeriums (BMZ) machen klar: Die Verbesserung der Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderungen betrifft auch die Entwicklungspolitik. Am Donnerstag hat das Ministerium Eckpunkte eines Aktionsplans Inklusion vorgelegt. Damit soll gefördert werden, dass Menschen mit Behinderungen besser ins alltägliche Leben einbezogen werden: "Die Inklusion der Menschen mit Behinderungen ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit der Entwicklungspolitik," sagte Staatssekretärin Gudrun Kopp (FDP). Was bedeutet das konkret? Bis jetzt gab es Einzelprojekte - in Chile wurde etwa die Teilnahme behinderter Kinder an frühkindlicher Bildung gefördert - aber keine systematische Strategie. Jetzt soll es laut Staatssekretärin Kopp vor allem um eine "breite Debatte" gehen. 2008 ratifizierte Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention und verpflichtete sich damit zu den Zielen der Inklusion. Dennoch: Auch Deutschland macht wenig Fortschritte. Vier von fünf behinderten Kindern besuchen noch immer Förder- statt Regelschule. Immerhin: Deutschland ist laut Kopp eines der ersten europäischen Länder, das sich zu einem derartigen Aktionsplan verpflichtet hat. Wegweisend ist die Entwicklungspolitik der USA, die sich seit 1997 zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen verpflichtet haben und nur noch Baumaßnahmen unterstützen, die behindertengerecht gestaltet sind.
Anna Polonyi
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Anti-Repressions-Demonstration: Linke planen Klassentreffen - taz.de
Anti-Repressions-Demonstration: Linke planen Klassentreffen Autonome aus ganz Deutschland wollen sich am Samstag in Berlin versammeln. Das erste Auto ging bereits in Flammen auf. Könnte irgendwie so aussehen: schwarz. Bild: AP BERLIN taz | Es soll eine kleine Erinnerung sein: an die polizeilich erklärten Gefahrengebiete in Hamburg, an die faktischen Demonstrationsverbote in Frankfurt, an Festnahmen und Hausdurchsuchungen bei linken Aktivisten. Die autonome Szene ruft für Samstag zu einem Klassentreffen in Berlin auf. Mit einem „Antirepressionstag“ wollen AktivistInnen dort gegen die aus ihrer Sicht zunehmende Gängelung durch Polizei und Behörden demonstrieren. Hintergrund sind die wiederholten Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten in den vergangenen Monaten. Insbesondere in Hamburg war es im Dezember zu Konflikten zwischen AktivistInnen, BewohnerInnen und Polizei gekommen. Eine Demonstration zur Unterstützung des besetzten Kulturzentrums „Rote Flora“ eskalierte, die Polizei erklärte große Teile der Stadt zu „Gefahrengebieten“. Damit erhielten die Beamten weitgehende Befugnisse, etwa Personenkontrollen durchzuführen und Platzverweise zu erteilen. Auch bei den „Blockupy“-Protesten in Frankfurt oder Anti-Nazi-Demonstrationen in Dresden hatte die Polizei in der Vergangenheit weiträumig Demoverbote durchgesetzt. Linke Gruppen aus ganz Deutschland wollen darauf nun reagieren und kündigen einen „kollektiven Moment der Offensive an“. Ein Sprecher des Vereins Rote Hilfe, der AktivistInnen Rechtsbeistand leistet, sagte der taz, die bisherige Mobilisierung zeige, „dass wir mit einem großen Zulauf und sehr breiten Spektrum rechnen können“. Auch die Berliner Polizei muss wohl mit einigem rechnen. „Unsere Demonstration richtet sich gegen Repression. Deshalb werden wir an diesem Tag jede Provokation der Repressionsbehörden konsequent beantworten“, heißt es im Netz. An anderer Stelle fragen Aktivisten: „Wie lässt sich eine unkontrollierbare Situation herstellen?“ Ein Sprecher der Berliner Polizei sagte der taz, man sei darauf vorbereitet, „Aktionen von Gewalttätern eng zu begrenzen und schnell zu unterbinden“. Einen ersten Vorgeschmack gab es bereits: Am Mittwoch bekannten sich Unbekannte auf dem Szeneportal „Linksunten.indymedia.org“ dazu, das Auto des Journalisten Gunnar Schupelius in Brand gesteckt zu haben. Schupelius schreibt für das Berliner Boulevardblatt B.Z. und vertritt dort regelmäßig konservative Positionen. Der Brandanschlag, so heißt es in dem Schreiben, sei eine „militante Verwarnung“.
Martin Kaul
Autonome aus ganz Deutschland wollen sich am Samstag in Berlin versammeln. Das erste Auto ging bereits in Flammen auf.
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Journalismus auf Kuba: Der Preis geht nach Havanna - taz.de
Journalismus auf Kuba: Der Preis geht nach Havanna Zum ersten Mal gewinnt ein Kubaner den bedeutendsten Journalistenpreis Lateinamerikas. Er ist Mitbegründer eines nichtstaatlichen Mediums. Jorge Lázaro Carrasco, Journalist und Träger des Gabriel-García-Marquez-Preises Foto: Konstantin Bassin BERLIN taz | Der „Premio Internacional de Periodismo Gabriel García Márquez“ ist der bedeutendste Journalistenpreis Lateinamerikas – und zum ersten Mal hat ihn ein Kubaner gewonnen. Der 27-jährige Jorge Lázaro Carrasco wurde am Freitag im kolumbianischen Medellín für sein Portrait „Geschichte eines Paria“ ausgezeichnet, in dem er das leidvolle Leben von Farah nachzeichnet, des vielleicht bekanntesten Transvestiten Havannas. Das Portrait war im April 2016 in der unabhängigen, über das Internet verbreiteten Zeitschrift El Estornudo erschienen. „Seine Erzählung hat Stil und Humor und verzichtet auf vorgestanzte Diskurse, in denen es nur gut und böse gibt. Deshalb, und für sein erzählerisches Talent“ erhalte Carrasco den Preis, begründete die Jury. Wie auch all die anderen jungen kubanischen Journalist_innen, die inzwischen für eines der in den letzten Jahren neu entstandenen nichtstaatlichen Medien arbeiten, hat auch Jorge Carrasco sein Handwerk beim Staat gelernt, an der journalistischen Fakultät der Universität von Havanna. Für seine Abschlussarbeit musste er kämpfen: Die Beschreibung der teilnehmenden Beobachtung der schwulen Cruising-Szene Havannas ging vielen Professor_innen zu weit. Teil der unabhängigen Medienszene Kubas Nach seinem Abschluss arbeitete Carrasco mehrere Jahre beim staatlichen Rundfunk – es ist in Kuba für jeden Studienabsolventen Pflicht, mindestens zwei Jahre in einer staatlichen Instanz tätig zu sein; mit diesem „Sozialdienst“ soll die kostenlose Ausbildung an die Gesellschaft zurückgegeben werden. Aber schon bald wurde Jorge Carrasco Teil der neuen unabhängigen Medienszene. Für OnCuba, das offiziell als US-Medium erscheinende Magazin mit Internetauftritt, dessen Redaktion am Malecón in Havanna sitzt, schrieb er eine ganze Serie über schwules Leben in Havanna. Und im März 2016 gehörte er zu den Mitbegründern des Estornudo. Dort erschien auch die Geschichte seines vorläufigen Abschieds aus Kuba. Mit einem Stipendium nach Mexiko gereist, nutzte Carrasco im August 2016 die damals noch bestehende Chance, flog an die Nordgrenze und lief bei Nuevo Laredo einfach durch. Damals konnten die Kubaner das noch – nur vier Monate später schloss US-Präsident Barack Obama mit der Abschaffung des „Wet foot – dry foot“-Gesetzes dieses Schlupfloch. Teilnehmer des taz Panter-Workshops in Berlin Einen Monat zuvor hatte Carrasco am Kuba-Workshop der taz Panter Stiftung in Berlin teilgenommen. Sein jetzt prämierter Beitrag erschien in einer gekürzten Version in der vierseitigen Kuba-Beilage und zweisprachig auf taz.de. Jorge Carrasco lebt heute in Miami. Auf Facebook schreibt er über seinen Preis: „Wäre Kuba ein normales Land, dann wäre El Estornudo morgen auf der Titelseite der [offiziellen Parteizeitung] Granma. Aber Kuba ist keins, und was für jedes Land eine große Ehre wäre, gilt für das unsrige als Unglück. Wer ehrlich und genau über Kuba erzählen will, ist für die kubanische Regierung Pest, Lepra, Krebsgeschwür.“
Bernd Pickert
Zum ersten Mal gewinnt ein Kubaner den bedeutendsten Journalistenpreis Lateinamerikas. Er ist Mitbegründer eines nichtstaatlichen Mediums.
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Pro & Contra Göttinger Friedenspreis: Was ist antisemitisch? - taz.de
Pro & Contra Göttinger Friedenspreis: Was ist antisemitisch? Sollte die „Jüdische Stimme“ den Göttinger Friedenspreis bekommen? Unsere Gastautoren erklären ihre Position zur Debatte. Eine Friedenstaube an einer Wand in Bethlehem Foto: dpa Für den Göttinger Friedenspreis 2019 wurde die „Jüdische Stimme“ nominiert. Die Stadt, die Uni und die Sparkasse zogen sich aus der Unterstützung für die Preisverleihung zurück, da Antisemitismus-Vorwürfe gegen den Preisträger laut wurden. Haben Kritiker*innen recht? Oder sollte die „Jüdische Stimme“ den Preis bekommen? Ja, die „Jüdische Stimme“ sollte den Preis bekommen! Die Frage klingt grotesk: Sind der Bürgermeister von Göttingen und die Präsidentin der Georg-August Universität Göttingen nicht selbst Antisemiten, wenn sie sich aus der Preisverleihung an eine jüdische Organisation Namens „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ zurückziehen? Die groteske Frage aber hat ein umso groteskeres Vorspiel, das den bekannten Vorwurf „Antisemitismus“ auf den Kopf stellte: Die Stiftung Dr. Roland Röhl entschied sich, den Friedenspreis 2019 an die „Jüdische Stimme“ zu verleihen. Das empfanden „Israelfreunde“ als israelfeindlich, weil die „Jüdische Stimme“ laut ihrer Satzung die BDS-Organisation unterstützt, die – angeblich per definitionem – antisemitisch sei. Sie bewirkten die Aussetzung der Preisverleihung. Das Groteske: Einem jüdischen Verein, der sich für die Zweistaatenlösung einsetzt, wird Antisemitismus vorgeworfen! Die Göttinger „Israelfreunde“, die zur „Antisemitismuskeule“ gegen andersdenkende Juden greifen, sind kein Einzelfall. Es reicht, jemand den Vorwurf zu machen, mit BDS kooperieren zu wollen, um ihn zu delegitimieren. Nach der Parole BDS = Antisemitismus ist man schnell mundtot. Hinter dieser Strategie steht die israelische Regierung, die so jede Kritik an ihrer Politik im Keim ersticken möchte, egal ob es um die Besatzungspolitik oder um das gesetzliche Vorgehen gegen israelische Araber geht. Die Geiseln der israelischen Politik, die Diasporajuden, machen meist mit, und deutsche Politiker kollaborieren. Das Ganze ist kein Einzelfall: Einer anderen deutschen Stiftung reichte ein anonymer Brief, um einen Friedenspreis auszusetzen, der an die amerikanische Women’s March vergeben werden sollte; auch dort ging es um diese Kombination: Kritik/BDS/Antisemitismus. Dauert dieser Kampf gegen den vermeintlichen Antisemitismus an, leidet am Ende der Kampf gegen den wahren Antisemitismus! Moshe Zimmermann Nein, der Preis sollte nicht an die Initiative gehen! Sieht man sich die Liste von Friedenspreisen an, die in Deutschland jedes Jahr vergeben werden, bekommt man einen Eindruck davon, wie wichtig es staatlichen und privaten Institutionen hierzulande ist, das Engagement von Persönlichkeiten oder Organisationen zu würdigen, die sich – gemäß den Statuten des Göttinger Friedenspreises – um „einen herausragenden praktischen Einsatz für den Frieden“ verdient gemacht haben. Durch die Vergabe derartiger Preise sollen der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt und weitere Akteure ermuntert werden, in dem von den Stiftern formulierten Sinne weiterzuwirken. Im Falle des Göttinger Friedenspreises 2019 wurden diese Ziele deutlich verfehlt. Die Vergabe an die umstrittene Organisation „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ hat vielmehr eine politische Kontroverse ausgelöst, deren Ende noch nicht absehbar ist, und zur gesellschaftlichen Spaltung in unserem Land beigetragen. Dies zeigt der heftige Protest des Zentralrats der Juden in Deutschland sowie vieler weiterer Stimmen in Göttingen und darüber hinaus. Auch ich halte diese Preisvergabe für ein falsches und fatales politisches Signal. Mir ist keine Aktion bekannt, durch die die „Jüdische Stimme“ in konstruktiver Weise zu einer wirklichen Verständigung der Konfliktparteien im Nahen Osten beigetragen oder ausgleichend auf sie eingewirkt hätte. Vielmehr erweist sie durch die Unterstützung der antisemitischen BDS-Bewegung, die Israel systematisch delegitimiert, dämonisiert und zu isolieren versucht, den berechtigten Anliegen der Palästinenser einen Bärendienst und behindert die Suche nach einer Lösung im israelisch-palästinensischen Streit. Die Jury, die die Entscheidung über die Vergabe des Göttinger Friedenspreises 2019 zu verantworten hat, sollte die Größe haben, die Kritik an dieser Entscheidung anzunehmen, und von einer Verleihung des Preises absehen. Felix Klein
Moshe Zimmermann
Sollte die „Jüdische Stimme“ den Göttinger Friedenspreis bekommen? Unsere Gastautoren erklären ihre Position zur Debatte.
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Linker Präsident in Peru vereidigt: Reform, nicht Revolution - taz.de
Linker Präsident in Peru vereidigt: Reform, nicht Revolution Am 200. Jahrestag der Unabhängigkeit tritt in Peru der Linke Pedro Castillo sein Amt als Präsident an. Er will Reformen und eine neue Verfassung. Der Linke mit dem Strohhut: Pedro Castillo nach seiner Vereidigung als neuer Präsident Perus Foto: Angela Ponce/reuters LIMA taz | Peru war das letzte Land Südamerikas, das 1821 seine Unabhängigkeit von Spanien erklärte. Auf den Tag genau 200 Jahre später ist es eines der letzten Länder, das einen indigenen Linken zum Präsidenten vereidigt. Während Ecuadors Indigenenbewegung Präsidenten ein- und absetzte oder Evo Morales in Bolivien einen plurinationalen Staat ausrief, hatte Peru stramm neoliberale Regierungen. Ein Indigener in Peru konnte höchstens Präsident werden, wenn er – wie Alejandro Toledo (2001-2006) – vorher noch einen Universitätstitel in den USA erworben hatte. Die Mehrheit der peruanischen Bevölkerung hat indigene Wurzeln, ist in Politik und Wirtschaft jedoch weit unterrepräsentiert. Bis zum 28. Juli 2021. „Wir feiern heute 200 Jahre Unabhängigkeit, aber unsere Geschichte ist 5.000 Jahre alt“. Pedro Castillo beginnt seine Antrittsrede mit einem Gruß an die indigenen Völker und einem geschichtlichen Rückblick. Er spricht darüber, wie auch in Zeiten der Republik der Rassismus und die Ungleichheit weiter herrschten. Er lässt keinen Zweifel daran, wo er sich darin verortet: „Ich bin Teil dieser verschwiegenen Geschichte Perus“. Der Dorfschullehrer, Gewerkschafter und Bauer Pedro Castillo spricht mit fester Stimme vor dem neuen Kongress und den geladenen Gästen – darunter auch König Felipe aus Spanien. Auf dem Kopf den weißen hohen Strohhut aus seiner Heimat Cajamarca im nördlichen Hochland, ohne den er sich nie sehen lässt. Erste Priorität: Gesundheit und Corona-Impfungen Dass der 51-jährige Castillo nun für die nächsten fünf Jahre Peru regieren wird, ist ein kleines Wunder, mit dem Castillo selber wohl nicht gerechnet hat. Als Überraschungszweiter im ersten Wahlgang, gewann er die Stichwahl am 6. Juni hauchdünn mit 44.000 Stimmen Vorsprung vor seiner Kontrahentin Keiko Fujimori. Die focht die Wahl mit jeglichen Rechtsmitteln und in Trump-Manier so lange an, dass die Wahlbehörden Castillo erst neun Tage vor Amtsantritt offiziell zum Wahlsieger erklären konnten. In seiner Antrittsrede gab Castillo seine politischen Prioritäten bekannt. Als erstes nannte er Gesundheit und die Weiterführung der sehr erfolgreichen Impfkampagne. Peru hat die höchste offizielle Rate an Corona-Toten weltweit. Die Pandemie hat die Schwächen des staatlichen Gesundheitsystems brutal offengelegt. „Absolut richtig“, findet das Menschenrechtlerin Rocío Silva-Santisteban. Sie saß bis vor zwei Tagen als Abgeordnete der linken „Frente Amplio“ im peruanischen Parlament. „Wir müssen alles tun, damit die Todeszahlen bei der kommenden dritten Welle nicht wieder so stark ansteigen“. Als Kommunist wurde Castillo von seinen Gegnern verschrieen, Peru würde ein zweites Venezuela werden und man solle ja sein Geld ins Ausland in Sicherheit bringen. Neue Abgaben im Bergbau Castillo, der als Kandidat einer marxistisch-leninistischen Regionalpartei ins Amt kam, versicherte nun, dass es keine Verstaatlichungen geben werde. Auch Devisenkontrollen werde er nicht einführen. Allerdings will er die Steuerhinterziehung der großen Unternehmen unterbinden und Investitionen in Zukunft auf ihre „soziale Rendite“ hin überprüfen. Perus Wirtschaft hängt zu großen Teilen vom Bergbau ab. Gerade die Menschen in den Abbaugebieten im Hochland haben mit überwältigender Mehrheit für Castillo gestimmt – und dies, obwohl dessen Kontrahentin Keiko Fujimori im Wahlkampf versprochen hatte, die Bergbaueinnahmen direkt an die betroffenen Menschen auszubezahlen. „Es geht den Leuten nicht nur ums Geld“, kommentiert Jaime Borda vom bergbaukritischen Netzwerk „Red Muqui“. „Es geht ihnen darum, dass sie bei Projekten mitbestimmen dürfen, dass der Staat Abmachungen auch einhält und nicht die Polizei mit Knüppeln schickt, wenn die Leute protestieren“. Obwohl Castillo mit den Bergbaufirmen neue Abgaben aushandeln will, befürchtet Jaime Borda doch, dass die protestierenden Gemeinden nicht so viel Geduld haben. „Ich sehe keine klare Linie im Thema Bergbau, die sozialen Umweltkonflike werden weitergehen“, prophezeit Borda. Eher Reform- als Revolutionsagenda Castillo hatte während des Wahlkampfs immer wieder eine neue verfassunggebende Versammlung angekündigt. „Wir werden auf einer neuen Verfassung bestehen, aber nur im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten“, verkündete Castillo nun in seiner Antrittsrede. Dies bedeutet, dass er im Kongress Verbündete finden muss, um ein Referendum für ein neue Verfassung abhalten zu können. „Wir brauchen grundlegende Änderungen in unserem politischen System“ sagt Rocío Silva Santisteban. „Das geht nur mit einer neuen verfassunggebenden Versammlung“. Ob sich dafür genügend Menschen an der Basis mobilisieren lassen, bezweifelt sie jedoch. Es ist wohl eher eine Reform- als eine Revolutionsagenda, die Castillo vorgetragen hat. Und dennoch wird er es schwer haben, sie in einem Kongress durchzubekomen, in dem er keine Mehrheit hat, dafür aber erbitterte Gegner, die nur darauf warten, ihn bald absetzen zu können. Einen Sieg hat Castillo jetzt schon davon getragen: Dass ein einfacher Bauernsohn aus Chota, einer aus dem Volk, das Land regiert, ist in Peru bereits eine kulturelle Revolution. Dass er nicht vorhat, dieses vom ehrwürdigen Präsidentenpalast aus zu tun, war der letzte Clou seiner Rede. Der Präsidentenpalast soll in Zukunft ein Museum für alle Kulturen Perus werden.
Hildegard Willer
Am 200. Jahrestag der Unabhängigkeit tritt in Peru der Linke Pedro Castillo sein Amt als Präsident an. Er will Reformen und eine neue Verfassung.
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Niedersachsen: Wer zahlt das Tierheimfutter?: Geldstreit am Futternapf - taz.de
Niedersachsen: Wer zahlt das Tierheimfutter?: Geldstreit am Futternapf Niedersachsens Kommunen wollen, dass die Futterhersteller für den Tierschutz bezahlen. Der Tierschutzbund und die Industrie halten diese Forderung für „absurd“ Miezi hat auch hinter Gittern Hunger: Da sind sich alle Beteiligten einig, nur bezahlen will das Futter niemand so recht. Foto: Patrick Pleul/dpa BREMEN taz |Wenigstens in einem Punkt sind sich alle einig: Ein großer Teil von Niedersachsens Tierheimen ist in finanzieller Not. Das sagten sowohl der Deutsche Tierschutzverein als auch der Bund der niedersächsischen Gemeinden und Städte (NSGB) der taz. Allerdings leiten sie daraus unterschiedliche Konsequenzen ab: Der niedersächsische Tierschutzverein verlangt von den Kommunen mehr Geld für Tierheime. Die Gemeinden hingegen fordern, dass sich industrielle Futterhersteller und der Tierfachhandel an der Finanzierung von Tierheimen beteiligen. Eine Forderung, die Vitakraft, der größten deutsche Hersteller von Tierfutter mit Sitz im niedersächsischen Achim, wie folgt kommentiert: „Was für ein Schwachsinn!“ Der Sprecher des NSGB, Thorsten Bullerdiek, fordert das Verursacherprinzip ein: „Derjenige, der an den Verkäufen von Tieren und ihrer Haltung verdient, soll zahlen: Tierfutterproduzenten und Zoofachhandlungen.“ Bislang müssten für ausgesetzte Tiere Tierheime und Gemeinden aufkommen. Kürzlich gab es zum Thema sogar einen runden Tisch auf Bundesebene. Ergebnis: Der Bundeslandwirtschaftsminister solle die Industrie zu einem freiwilligen Spendenfonds überreden. Wenn das nicht funktioniere, müsse man eine gesetzliche Regelung finden, so Bullerdiek. Freiwillig gespendet „Das ist absurd“, sagt Dieter Meyer, Unternehmenssprecher von Vitakraft, „da versucht einer, der keine Ahnung hat, sich mit einer Aussage zu profilieren“. Laut Meyer unterstützen die meisten Unternehmen in der Futterindustrie bereits freiwillig Tierheime. „Wir bekommen pro Jahr etwa 200 Anfragen, verschenken Tierfutter und richten Tiertafeln ein“, so Meyer. Gerade letzte Woche habe sein Unternehmen einen Lkw mit Futter für bedürftige Tiere nach Rumänien geschickt. Auch Fressnapf, der bundesweit größte Fachsupermarkt für Tierbedarf, spendet laut Unternehmenssprecher Kristian Peters-Lach seit über zwei Jahrzehnten Tiernahrung und -zubehör an Tierheime in finanzieller Schieflage. Peters-Lach sagt: „Rechnet man alle jährlichen Futter- und Sachspenden zusammen, ergäben die Paletten übereinander gestapelt einen Turm, der höher als das Empire State Building ist.“ Man habe sogar eine eigene Fachabteilung, „die unser gesamtes gesellschaftliches Engagement bündelt“, und außerdem im regelmäßigen und engen Austausch mit dem deutschen Tierschutzbund stehe. „Die Futtermittelindustrie unterstützt den Tierschutz schon nach Kräften“, bestätigt Rolf Scherer, Vize-Vorsitzender des niedersächsischen Tierschutzbundes. Er befürchtet, dass Bullerdieks Forderung die Industrie verprellen könnte. Abgesehen davon sei die Versorgung von ausgesetzten Tieren kommunale Pflicht: „Wenn jemand ein Tier findet, kann er das laut Gesetz beim Bürgermeister auf den Schreibtisch stellen“, sagt Scherer. Nur durch einen Fundtiervertrag können die Kommunen das Problem an einen Tierschutzverein auslagern. Darin ist unter anderem auch die Bezahlung der Tierheime geregelt – oftmals zu Ungunsten der Tierschutzvereine: Wenn etwa vereinbart ist, dass die Kommune nur Teilkosten für Fundtiere zahlen muss. Den Rest muss der Tierschutzverein durch Spenden, Erbschaften und die Arbeit von EhrenamtlerInnen stemmen. Scherer sagt, dass „die Kommunen die Spendenbereitschaft ausnutzen“. Der Tierschutzverein Gifhorn hat einen besseren Vertrag ausgehandelt: Die Kommune kommt zu 100 Prozent für Fundtiere auf. Vom Jahresbudget von über 200.000 Euro macht das laut Schatzmeister Bruno Steder 120.000 Euro aus. Er sagt: „Wir sind keine Bittsteller, wir haben ein Recht darauf, dass uns diese Kosten für kommunale Aufgaben erstattet werden.“ Verhandlungen gescheut Es liegt nahe, dass auch Steder die Forderung des NSGB für „absoluten Quatsch“ hält. Er berät Tierschutzvereine, die kurz vor der Insolvenz stehen. Versäumnisse sieht er auch auf Seiten der Tierschützer: „Die meisten Vereine mit Tierheimen haben es nicht geschafft, die Gemeinden in die Pflicht zu nehmen.“ Aus Angst sich vermeintlich gute Verhältnisse zur Kommune zu verscherzen, scheue man sich, zu verhandeln. Alarm werde erst dann geschlagen, wenn es finanziell fast schon zu spät sei.Laut Vize-Landeschef Scherer bekommen die meisten Tierheime nur ein Viertel bis zur Hälfte der Kosten für ausgesetzte Tiere erstattet. „Einige Tierheime stehen vor der Insolvenz.“ Alte Fundtierverträge seien zudem nicht an neue Probleme angepasst worden: etwa illegalem Tierhandel über das Internet. Dabei werden Haustiere im Netz bestellt und ausgesetzt, wenn das Tier nicht den Erwartungen entspricht. Infolgedessen haben laut Tierschutzbund auch Fälle von sogenannte, „Animal Hording“ zugenommen. Etwa, wenn ein Händler die Tiere nicht los wird. Es komme vor, dass in Wohnungen bis zu 60 Katzen oder 30 Hunden zusammen lebten. Laut Scherer suchen Tierheime nach überregionalen Lösungen und bringen Tiere in andere Heime mit freien Plätzen. Die Transportkosten tragen sie meist selbst.
Gareth Joswig
Niedersachsens Kommunen wollen, dass die Futterhersteller für den Tierschutz bezahlen. Der Tierschutzbund und die Industrie halten diese Forderung für „absurd“
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Zuweisungsquoten von Geflüchteten: „Gebaren nach Gutsherrenart“ - taz.de
Zuweisungsquoten von Geflüchteten: „Gebaren nach Gutsherrenart“ Niedersachsens Innenministerium veröffentlicht keine Zuweisungsquoten von Geflüchteten. Nun drängen einige Kommunen auf Transparenz. Klappt's oder verhebt er sich? Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius beim Üben Foto: dpa OSNABRÜCK taz | Für die meisten Osnabrücker war der 30. Mai 2018 ein Tag wie jeder andere – auch für die rund 4.800 Geflüchteten unter ihnen. Für Stadtrat Wolfgang Beckermann, Osnabrücks Dezernent für Bildung, Soziales und Kultur, ist er in der Rückschau ein Tag des Kampfes. Der Schauplatz: der Sozial- und Gesundheitsausschuss. Beckermann nutzt ihn für ein Statement, das Sprengkraft besitzt. Er spricht über Flüchtlinge und über die Zuweisungsquoten niedersächsischer Kommunen. Diese seien, „nicht immer ausgewogen“, steht später im Protokoll. Es gebe „starke Verwerfungen“, sagt der Sozialdezernent, wie er aus Gesprächen mit Kollegen aus anderen Kommunen wisse. Tatsächlich muss Beckermann im ganzen Land herumtelefonieren, wenn er ein Gefühl dafür bekommen will, ob Osnabrück bei der Verteilung der Geflüchteten gerecht behandelt wird. Denn wie viele Flüchtlinge eine Kommune aufnehmen muss und wie viele sie tatsächlich aufnimmt, ist in Niedersachsen nicht in einer öffentlich zugänglichen Quelle nachzulesen – ganz anders als im Nachbarland Nordrhein-Westfalen, das die Quoten öffentlich macht und regelmäßig aktualisiert. Es gebe einen „Deckmantel der Verschwiegenheit“, kritisiert Beckermann mit Blick auf Niedersachsen. Ihm sei es „nicht gelungen, an entsprechende Daten des Landes zu gelangen“, lässt er den Ausschuss wissen. Beckermann hat nichts gegen Flüchtlinge – im Gegenteil. Sein Kampf gilt ihrer bestmöglichen Integration – und der Transparenz des Zuzugsverfahrens. Die Unterbringung von Flüchtlingen stellt Osnabrück vor Platzprobleme. Akut ist der Zuzug zwar gering. Aber manche Sammelunterkunft steht in Zukunft nicht mehr zur Verfügung. Und der Wohnungsmarkt ist dicht „In Nordrhein-Westfalen sieht man, wo man steht“, sagt Beckermann. „Bei uns wird daraus ein Geheimnis gemacht.“ Er hat es über das Innenministerium versucht, über Landtagsabgeordnete. Nichts. „Für mich ist das altpreussisches Gebaren“, schimpft er. „Politik nach Gutsherrenart.“ Man sieht ihm die Frustration an. „Da geht es ja auch um das Demokratieverständnis“, findet er. 361 Flüchtlinge waren Osnabrück Ende 2016 zugeteilt worden. Eine Quote, vom Innenministerium zum Stichtag 15. November 2016 in einem Erlass festgelegt, der ein landesweites Gesamtkontingent von 25.000 Personen vorsah. „Diese Quote haben wir erfüllt, sogar übererfüllt“, sagt Beckermann. „Aber es gibt wohl eine Reihe von Kommunen, bei denen das anders ist.“ Was ihn am meisten ärgert, ist das ministeriale Abblocken: „Auch wenn da draußen alles in Ordnung wäre: Wer mauert, schürt Misstrauen.“ Die Unterbringung von Flüchtlingen stellt Osnabrück vor Platz-Probleme. Akut ist der Zuzug zwar gering. Aber manche Sammelunterkunft steht in Zukunft nicht mehr zur Verfügung. Und der Wohnungsmarkt ist dicht. „Da ist es zunehmend schwer, Flüchtlinge dezentral unterbringen, was für ihre Integration natürlich viel sinnvoller ist“, sagt Osnabrücks Sozialdezernent. Warum die Quoten nicht öffentlich sind? Svenja Mischel, Pressesprecherin des niedersächsischen Innenministeriums, schweigt dazu. „Die Kommunen übernehmen die Unterbringung und Erfüllung der Aufnahmeverpflichtung in eigener Zuständigkeit“, wehrt sie ab. „Für eine Prognose und Planung des Unterbringungsbedarfs des einzelnen Kostenträgers sind die bestehenden Verteilstände anderer Kommunen irrelevant.“ Wolfsburg will Veränderung, Hannover nicht Aber es gibt Hoffnung. Es müssten nur mehr Kommunen auf Transparenz dringen. Denn eine Weitergabe der Verteilstände würde „nach hiesigem Verständnis das Einverständnis der jeweiligen Kommune voraussetzen“, sagt Mischel. Aktuell würden den Kommunen daher bei Bedarf nur ihre eigenen Verteilzahlen und Verteilstände mitgeteilt. Monika Müller, Dezernentin für Soziales und Gesundheit, Klinikum und Sport der Stadt Wolfsburg, sieht die Sache wie Beckermann: „Eine Veröffentlichung der konkreten Zahlen zur Aufnahme von Asylsuchenden fände ich richtig, um kommunale Vergleichbarkeit zu ermöglichen“, sagt Müller. „Zudem kann nur durch größtmögliche Transparenz dem mitunter verbreiteten Eindruck, andere Städte oder Kreise seien stets weniger gefordert als die eigene Kommune, entgegengewirkt werden.“ Wolfsburg hat 191 Menschen aufgenommen und damit 46 Prozent seines Solls erfüllt. Wenn es nach der Stadt Hannover geht, bleibt allerdings alles beim Alten. 1.791 Menschen müsste die Landeshauptstadt aufnehmen. „Davon sind bisher 1.495 Personen zugewiesen“, sagt Pressesprecherin Michaela Steigerwald. „Noch aufzunehmen sind demnach 296 Personen.“ Ein Offenlegung der Quoten niedersachsenweit? – Nicht mit Hannover: „Die Verteilungskriterien des Landes sind transparent und den Kommunen bekannt“, findet Steigerwald. „Darüber hinausgehende Informationen hält die Verwaltung für entbehrlich.“ Der Erkenntnisgewinn sei überschaubar. Erfüllungsdefizit oder nicht? Timo Frers, Leiter Medien und Kommunikation der Stadtverwaltung Delmenhorst, kann bessere Zahlen melden. 327 Asylbewerber hat Delmenhorst aufgenommen. „Somit besteht zurzeit eine Überquote von 70 Personen.“ Warum Delmenhorst kein Interesse an einer Veröffentlichung der Erfüllungsquoten hat, klingt nach Frustration: Das werde „laut Fachverwaltung voraussichtlich nicht zu einer Umverteilung von Asylbewerbern in Niedersachsen führen“. Wilhelmshaven hat gegen eine Veröffentlichung keine Bedenken. Dabei hat die Stadt ein Erfüllungsdefizit: 256 Personen sind das Soll, aufgenommen hat die Stadt 178. Der Hintergrund: Wilhelmshaven hat, so das Innenministerium, eine „lageangepasste Wohnsitzauflage“ beantragt. Bei dieser „außergewöhnlichen Maßnahme“ werde weiterer Zuzug unterbunden, „mit dem Ziel, eine soziale und gesellschaftliche Ausgrenzung der zugewanderten Flüchtlinge zu verhindern“. Nur noch in Ausnahmefällen gebe es Zuweisungen auf diese Quote, sagt Julia Muth, Wilhelmshavens Pressesprecherin, etwa bei „familiären Bindungen zu bereits hier lebenden Personen“. In Braunschweig rechnet Adrian Foitzik, Referatsleiter Kommunikation, vor, dass seine Stadt 2016 die vom Land zugewiesene Quote von 437 Menschen zu 99 Prozent erfüllt habe. Dafür hat Braunschweig 2017 nicht einmal halb so viele Menschen aufgenommen wie vorgesehen. Im laufenden Jahr sind es bis dato 68 Prozent. Bis Ende September erwarte er weitere Zuweisungen, sagt Foitzik.
Harff-Peter Schönherr
Niedersachsens Innenministerium veröffentlicht keine Zuweisungsquoten von Geflüchteten. Nun drängen einige Kommunen auf Transparenz.
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Koalitionsverhandlungen in Bremen: Sieben Forderungen fürs Klima - taz.de
Koalitionsverhandlungen in Bremen: Sieben Forderungen fürs Klima Einen Forderungskatalog zum Klima- und Umweltschutz haben Bremer Verbände und Initiativen für die nächsten Koalitionsverhandlungen aufgestellt. Den ÖPNV stärken wollen alle drei Parteien. Über das „Wie“ sind sie aber noch uneins Foto: Carmen Jaspersen/dpa BREMEN taz | Ein Bündnis aus über 20 Organisationen, darunter der BUND, die evangelische Landeskirche und die Initiative „Einfach Einsteigen“, haben sieben gemeinsame Forderungen zum Thema Klimaschutz entwickelt (siehe Kasten). Diese wollen sie am Freitag um 10 Uhr an SPD, Grüne und Linke überreichen, denn: Die drei Parteien führen dann im „Forum K“ Koalitionsverhandlungen zu den Themen Klima und Umwelt. Die rot-grüne Landesregierung beschloss 2015 das Klimaschutzgesetz, in dem sie sich verpflichtete, „die Kohlendioxidemissionen […] mit Ausnahme der Stahlindustrie […], bis zum Jahr 2020 um mindestens 40 Prozent gegenüber dem Niveau des Jahres 1990 zu senken“. Das Gesetz sollte auch ein erster Schritt sein, Bremens Anteil am Leitziel des Pariser Abkommens zu erfüllen. Aus Bremens Umweltbericht 2019 geht allerdings hervor, dass die Reduktion 2015 im Land Bremen nur 13,6 Prozent betrug. In dem Bericht wird eingeräumt, dass das 40-Prozent-Ziel bis 2020 wohl deutlich verfehlt werden würde. Die Umwelt-Organisationen nehmen darauf Bezug: Die Welt steuere momentan auf eine Erwärmung von drei bis vier Grad zu und auch die Stadt Bremen würde ihr selbst gesetztes Ziel „dramatisch verfehlen“, heißt es in dem Forderungspapier. Bremen müsse das 40-Prozent-Ziel spätestens bis 2023 erreichen. Daher solle die Bremer Landesregierung „nun schnelle Maßnahmen für stärkeren Klimaschutz ergreifen“. Die Wahlprogramme von SPD, Grünen und Linken weisen beim Klimaschutz einige Gemeinsamkeiten auf: Alle drei Parteien wollen aus der Kohle aussteigen. Die Grünen fordern den Ausstieg bis spätestens 2023. Zum Thema Solarenergie schweigt sich die SPD zwar aus, aber Linke und Grüne streben einen Ausbau an. Die Grünen fordern Solaranlagen auf allen öffentlichen Gebäuden bis 2030. Die Forderungen im EinzelnenBremer Kohlekraftwerke abschalten: Spätestens bis 2023 sollen die Meiler vom Netz.Nachhaltigere Industrie: Die Bremer Industrie soll ihre Energieeffizienz steigern.Solarstrom fördern: Mindestens 25 Prozent der Stromversorgung sollen bis 2030 über Solarstrom laufen. Die Verkehrswende schaffen: Innerstädtischer Autoverkehr soll reduziert werden, der ÖPNV deutlich ausgebaut werden. Klimafreundlicher Wohnen: Bestehende Wohnungen sollen energetisch saniert werden.Klimaschutz in der Bildung:Klimakrise und ihre Bewältigung sollen ein Pflichtbestandteil in der Bildung werden. Die öffentliche Hand Bremens soll ökologischer werden: Das Essensangebot in den öffentlichen Mensen soll zu 100 Prozent bio werden. Außerdem sei eine Ausweitung des vegetarischen und veganen Angebots nötig. Beim Thema öffentlicher Nahverkehr gehen die Meinungen der Parteien allerdings auseinander. Alle drei fordern aus sozialen und ökologischen Gründen eine Stärkung des ÖPNV: Die SPD möchte Bus und Bahn für Kinder und Jugendliche „schrittweise kostenlos gestalten“. Die Linken wollen einen kostenlosen ÖPNV, der durch Steuern und Abgaben finanziert werden soll und die Grünen fordern ein „365-Euro-Jahresticket“ nach Wiener Vorbild. Dieses soll allen Bremer*innen ermöglichen, für einen Euro pro Tag den ÖPNV benutzen zu können. Die Initiative „Einfach Einsteigen“, Mitunterzeichnerin der Klimaforderungen, vertritt ein Modell des ticketlosen Nahverkehrs. Die Idee: Alle Bremer*innen bezahlen monatlich etwa 20 Euro, sodass der Nahverkehr von allen für alle per Umlage finanziert wird. Laut einer Studie, die „Einfach Einsteigen“ bei dem Berliner Sozialforschungsinstitut Pollytix in Auftrag gegeben hat, wären drei von fünf Bremer*innen durchaus bereit, diese monatliche Abgabe für den Nahverkehr zu bezahlen. Mark Wege, einer der Initiatoren von „Einfach Einsteigen“, sieht durchaus positive Signale von SPD und Linken. So twitterte Andreas Bovenschulte, Bewerber um den Fraktionsvorsitz der SPD Anfang Juni: „Ein umlagefinanzierter Nahverkehr, wie ihn ‚Einfach Einsteigen‘ vorschlägt, könnte Bus und Bahn für den Einzelnen deutlich billiger machen.“ Wege befürchtet allerdings, „dass ausgerechnet die Grünen eine umfassende Verkehrswende, die den ÖPNV umfasst, blockieren“. Manche in der Partei würden nur auf das Fahrrad als Mittel zur Verkehrswende setzen. In dem von den Grünen favorisierten „365-Euro-Ticket“ sieht er keine wirkliche Lösung für den nötigen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Das ginge nur umlagefinanziert.
Lukas Scharfenberger
Einen Forderungskatalog zum Klima- und Umweltschutz haben Bremer Verbände und Initiativen für die nächsten Koalitionsverhandlungen aufgestellt.
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Mängel bei Sturmgewehr G36: Die Bundeswehr trifft doch - taz.de
Mängel bei Sturmgewehr G36: Die Bundeswehr trifft doch Die Treffgenauigkeit des G36 soll bei Hitze und im Gefecht nicht ausreichend sein. Soldaten bestätigen diesen Eindruck bei einer Befragung nicht. Bundeswehrsoldaten sind anscheinend zufrieden mit ihrem G36. Foto: dpa BERLIN rtr | Deutsche Soldaten sind nach Einschätzung von Experten wegen Präzisionsmängeln des Sturmgewehrs G36 weder verwundet noch getötet worden. „Das konnten wir durch unsere Untersuchungen eindeutig und klar ausschließen“, sagte der Grünen-Politiker Winfried Nachtwei am Mittwoch in Berlin bei der Übergabe eines Berichts der von ihm geleiteten Kommission. Die Experten hätten mehr als 150 Soldaten befragt, und diese hätten im Einsatz keine Präzisionsmängel festgestellt. Die Soldaten seien auch irritiert von der Einstufung des G36 als „Pannengewehr“. „Die Einsatz- und Gefechtserfahrungen der Soldaten widersprechen dieser Qualifizierung“, sagte Nachtwei. Das im Labor getestete Hinterhaltsszenario, bei dem die Präzisionsmängel festgestellt worden waren, sei ein extremer Fall, der in der Realität so wohl kaum vorkomme, sagte Nachtwei. In Kreisen der Kommission hieß es, das Hauptproblem sei nicht die Waffe selbst. Es sei völlig klar, dass ein Sturmgewehr seine Grenzen habe. Darauf müsse militärisch mit einem Waffenmix reagiert werden, was in Afghanistan auch geschehen sei. Mit Blick auf das Risiko für die Soldaten jedenfalls sei ein Austausch der Waffe nicht dringlich. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen kündigte an, die Untersuchungen zu prüfen und Konsequenzen zu ziehen. Sie hatte im September beschlossen, das G36 auszumustern und ein neues Sturmgewehr für die Bundeswehr zu beschaffen. Es soll voraussichtlich ab 2019 bei der Truppe eingeführt werden. Eine Untersuchung unter Laborbedingungen hatte im Frühjahr Beeinträchtigungen der Treffgenauigkeit des G36 bei hoher Außentemperatur und im heißgeschossenen Zustand festgestellt. Die Bundeswehr nutzt das G36 von Heckler & Koch seit knapp 20 Jahren als Standardwaffe und hat seit den 90er Jahren 180.000 der Gewehre gekauft.
taz. die tageszeitung
Die Treffgenauigkeit des G36 soll bei Hitze und im Gefecht nicht ausreichend sein. Soldaten bestätigen diesen Eindruck bei einer Befragung nicht.
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Die sachliche Liebe zur Welt - taz.de
AUS DER TAZ Die sachliche Liebe zur Welt GLÜCKWUNSCH Michael Sontheimer, Mitbegründer und Exchefredakteur der taz, zum 60. Geburtstag – ein Kollege für alle publizistischen Ernstfälle Er hatte wesentlich dafür gesorgt, dass Wirtschaft und Ökologie künftig zusammengedacht werden konnten VON ELKE SCHMITTER „Es war in der Wattstraße im tristen Berliner Wedding.“ Einen Tag vor dem realen Start sollte „der Ernstfall simuliert werden. Doch in dem Raum, in dem mehr als zehn Schreibtische standen und theoretisch drei Ressorts arbeiten sollten, fand ich mich allein mit einem einzigen weiteren Redakteur in spe, mit Max Thomas Mehr. Das Wetter war wunderschön, und unsere lieben Kolleginnen und Kollegen hatten es offensichtlich vorgezogen, sich im Grünen zu entspannen. ‚Glaubst du, dass man mit diesem Haufen eine Tageszeitung machen kann?‘ Max antwortete: ‚Ich weiß nicht.‘ Wir waren einigermaßen verzagt.“ Das ist nun knapp 36 Jahre her. Das Zitat von Michael Sontheimer entstammt dem Buch von Jörg Magenau, „Die taz. Eine Zeitung als Lebensform“. Längst ist das Projekt Gegenstand der Geschichtsschreibung; die subjektive Reflexion auf seine Historie ist beinahe von Anfang an Teil seiner Identität gewesen, darin eher einer Familie als einer Firma vergleichbar: Denn jenseits der objektiven Daten hängt alles davon ab, wer sich erinnert, wer wem eine Stimme gibt, um das realistische Bild zu zeichnen. Was natürlich niemals gelingt. Der Historiker Michael Sontheimer gehörte zu der Truppe mehr oder – siehe oben – minder entschlossener linker, spontaneistischer Frauen und Männer, die auf den neuen Ernstfall deutscher Geschichte praktisch antworten wollten: Im Deutschen Herbst der späten siebziger Jahre, im grauen Klima der RAF-Attentate sowie der „unterdrückten Nachrichten“, im Licht des Regenbogens von Öko-, Frauen- und internationalen Solidaritätsbewegungen mit einer Zeitung, die eben auch Lebensform war – ein selbstbestimmtes Projekt. Mit all dem Pathos, das für die Energieversorgung nötig ist, und, glücklicherweise, auch mit Anarchie und Selbstironie. Michael Sontheimer blieb vier Jahre dabei, bis er, einigermaßen zermürbt, das Kollektiv 1983 verließ. Er hatte wesentlich dafür gesorgt, dass Wirtschaft und Ökologie künftig zusammengedacht werden konnten, er hatte über die Revolutionen in Asien und Lateinamerika kundig geschrieben und in den Berliner Korruptionssümpfen wirkungsvoll recherchiert. Aber er hatte sich auch Haltungen erlaubt, die der radikalen Antifaszene so wenig passten, dass deren Anhänger seinen Redaktionsraum verwüsteten. Die Solidarität der Redaktion hielt sich in überschaubaren Grenzen. Er ging zur Zeit, brachte dort die fälligen Modernisierungsschübe voran – und kam 1992 Jahre später zurück, als der erste verantwortliche Chefredakteur in der Geschichte des Projekts. Er kam ohne Harm, ohne Pathos und ohne eine Geste des Triumphs. Die Treue zu dem, was er wichtig fand, überwog – eine sachliche Liebe zur Welt. Nach nicht einmal drei Jahren war diese zweite journalistische taz-Zeit vorbei. (Woran es lag, habe ich bis heute nicht verstanden, was sicher damit zu tun hat, dass ich Beteiligte war.) Sontheimer ging zum Spiegel, wo er aktuell vor allem mit Wikileaks und den Snowden-Dokumenten beschäftigt ist: unterdrückte Nachrichten, zweiter Teil. 2008 hat er die Panter-Stiftung der taz mitbegründet, und als Mitglied des Kuratoriums initiiert er Workshops für Journalisten aus Krisengebieten sowie den „Mittwochsclub“, ein Diskussionsforum für junge KollegInnen aus allen Zeitungen Berlins. Das Credo der Stiftung ist die Förderung des kritischen Journalismus – „er hat es nötig“, wie er sagt. Und danach handelt. Danke dafür, und – im Namen auch Deiner taz – herzlichen Glückwunsch! ■ Elke Schmitter, 54, Autorin und Journalistin, war von 1992 bis 1994 Chefredakteurin der taz
ELKE SCHMITTER
GLÜCKWUNSCH Michael Sontheimer, Mitbegründer und Exchefredakteur der taz, zum 60. Geburtstag – ein Kollege für alle publizistischen Ernstfälle
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Sonntagsspiele der Bundesliga: Ein fulminanter Sieg - taz.de
Sonntagsspiele der Bundesliga: Ein fulminanter Sieg Dortmund ist in Bestform und festigt seinen zweiten Platz in der Tabelle. Auch die Siegesserie von Borussia Mönchengladbach hält an. Vor über 80.000 Zuschauern sorgte Pierre-Emerick Aubameyang für den verdienten Sieg für Dortmund Foto: ap DORTMUND/MÖNCHENGLADBACH dpa | Spielwitz, Tempo, Tore – Borussia Dortmund hat seinen zweiten Platz in der Bundesliga mit einem Kantersieg gefestigt. Unbeeindruckt von der beschwerlichen, 3.400 Kilometer langen Europapokalreise nach Baku nur drei Tage zuvor bot das Team von Trainer Thomas Tuchel beim 5:1 (3:0) über den FC Augsburg vor allem in der ersten Halbzeit Zauberfußball. Vor 81.359 Zuschauern im ausverkauften Signal Iduna Park sorgten der erneut überragende Pierre-Emerick Aubameyang (18./85./90+1. Minute) mit seinem nächsten Dreierpack und Nationalspieler Marco Reus (21./33.) am Sonntag für den verdienten Sieg. Ein Geheimnis habe er nicht, sagte Aubameyang dem TV-Sender Sky nach dem Spiel. „Aber ich habe gestern mit meinem Bruder gewettet, dass ich drei Tore schießen werde.“ Dass er dem Doppel-Torschützen Reus damit die Show stahl, wurmte den Nationalspieler nicht: „Das ist überhaupt nicht schlimm“, sagte Reus mit einem Schmunzeln. Nach Verletzungspech und Torflaute habe er immer Vertrauen in sich selbst und seine Leistung gehabt. Auch sein Trainer freute sich über die positive Entwicklung. Dagegen wird die Lage beim seit nunmehr fünf Ligaspielen sieglosen Schlusslicht aus Augsburg immer bedrohlicher. Auch der von vielen als Hoffnungsschimmer gedeutete Sieg in der Europa League am Donnerstag in Alkmaar sorgte nicht für erhoffte Trendwende. Daran konnten auch der erste Saisontreffer von Raul Bobadilla (48.) und eine deutliche Leistungssteigerung in der zweiten Halbzeit nichts ändern. „Wir waren zu passiv“, sagte Augsburgs Trainer Markus Weinzierl. Die Mannschaft habe einfach zu viel Respekt vor Gegner und Kulisse gezeigt. Jetzt seien die nächsten zwei Heimspiele besonders wichtig. Fulminanter Beginn Im Vergleich zum letzten Duell beider Teams im Februar, als Augsburg nach einem 1:0 an gleicher Stätte sage und schreibe 17 Punkte vor dem damaligen Schlusslicht BVB rangierte, haben sich die Vorzeichen in dieser Saison verkehrt. Dieser große tabellarische Unterschied wurde auf den Platz schon in den ersten Minuten deutlich. Nach fulminantem Beginn mit frühen Chancen durch Aubameyang (1.) und Gonzalo Castro (3.) mussten die Fans nicht lange auf den ersten Treffer warten. Ein Doppelschlag binnen drei Minuten war Ausdruck der eindeutigen Kraftverhältnisse. Zunächst nutzte Dortmunds Torgarant Aubameyang eine sehenswerte Kombination über Matthias Ginter und Ilkay Gündogan zu seinem elften Saisontor. Wenig später erhöhte Reus nach Flanke von Shinji Kagawa aus kurzer Distanz auf 2:0. Der starke Japaner war es auch, der per Hackentrick die Vorarbeit für den zweiten Treffer von Reus leistete. Mit dem 3:0 gab der Nationalspieler eine sportliche Antwort auf die Kritik an seinen zuletzt mäßigen Leistungen und sorgte bereits vor der Pause für die Entscheidung. Augsburg ließ lediglich bei Chancen von Ja-Cheol Koo (15.) und Bobadilla (39.) Torgefahr erkennen. 75 starke Minuten Im Gefühl des sicheren Sieges ließen es die Dortmunder nach Wiederanpfiff deutlich gemächlicher angehen. Das nutzte Bobadilla (48.) nach Freistoß von Tobias Werner zum Anschlusstreffer – allerdings aus abseitsverdächtiger Position. Das 1:3 gab den Gästen Auftritt. In der restlichen Spielzeit waren sie einem weiteren Tor näher als die stark nachlassende Borussia. Doch mit seinen Pflichtspieltoren 19 und 20 sorgte Aubameyang für die Entscheidung. Für Tuchel zählten die 75 starken Minuten, in der restlichen Zeit seien die Reisestrapazen der vergangenen Wochen zu merken gewesen. Jetzt blicken die Dortmunder auf das Pokal-Spiel gegen den SC Paderborn mit Neu-Trainer Stefan Effenberg am Mittwoch. Das Spiel habe durch „Effe“ eine neue Wertigkeit bekommen, sagte Tuchel: „Ich war großer Fan von ihm als Spieler.“ Auch die Siegesserie von Borussia Mönchengladbach unter Interimstrainer André Schubert hält an. Mit dem verdienten 3:1 (1:1)-Erfolg gegen Schalke 04 feierte die Elf vom Niederrhein schon ihren fünften Dreier in der Fußball-Bundesliga in Serie und schiebt sich auf den siebten Tabellenplatz vor. Lars Stindl (32. Minute), Raffael (70.) und Julian Korb (84.) schossen die Gastgeber am Sonntag zum nächsten Sieg. Borusse Andreas Christensen (44.) hatte zum zwischenzeitlichen Ausgleich für Schalke ins eigene Tor getroffen. Ungeachtet der Diskussionen um die Zukunft ihres Sportvorstandes Horst Heldt blieben die Gäste im zweiten Spiel innerhalb von vier Tagen sieglos, sind aber im Bundesliga-Tableau weiter Dritter. Formidabler Freistoß Schon am Mittwoch (20.30 Uhr) treffen beide Teams wieder aufeinander – dann geht's in Gelsenkirchen um den Einzug ins Pokal-Achtelfinale. Im fünften Bundesligaspiel unter Favre-Nachfolger Schubert knüpften die Gladbacher an die zuletzt starken Leistungen an. Vor allem über die rechte Seite brachten Korb und Ibrahima Traoré die Schalker immer wieder in die Bredouille, Resultat war ein klares Chancenübergewicht. Mit einem formidablen Freistoß führte Raffael sein Team vor 54 010 Zuschauern in der ausverkauften Arena zum Erfolg. Schalke beendete das Spiel nach der Roten Karte für Johannes Geis (80.) zu zehnt. Ohne die langzeitverletzten Leistungsträger Martin Stranzl und Patrick Herrmann setzten die Gladbacher sofort auf Vollgas-Fußball. Nach drei Minuten lag der Ball bereits im Schalker Tor. Referee Wolfgang Stark gab den Treffer von Stindl allerdings zurecht nicht, weil das Leder vor dem Pass von Granit Xhaka schon die Seitenauslinie überquert hatte. Wenig später war Torwart Ralf Fährmann nach Korbs 18-Meter-Schuss auf dem Posten (9.). Es wäre mehr gegangen Umso mehr im Mittelpunkt stand der 23-jährige Korb nach einer halben Stunde. Der Offensivverteidiger suchte den Weg in den Schalker Strafraum und profitierte von einer etwas unbeholfenen Aktion Dennis Aogos, der Korb im Strafraum zu Fall brachte. Den fälligen Elfmeter verwandelte Stindl erst im Nachsetzen per Kopf, nachdem Fährmann den Schuss des 27-Jährigen zunächst nach vorn abgewehrt hatte. Nationalverteidiger Benedikt Höwedes reagierte in seinem 200. Bundesligaspiel etwas zu langsam, um den Rückstand zu verhindern. Gladbach drückte, war überlegen und hätte spätestens nach dem Schlenzer von Traoré (41.) noch höher führen können. Stattdessen aber traf Christensen – ins eigene Tor. Unmittelbar vor der Pause drückte der Däne eine scharfe Hereingabe des Schalkers Max Meyer im Gladbacher Strafraum unglücklich an Yann Sommer vorbei in den Kasten. Die Gelsenkirchner setzten nach der Pause nach. Pierre Emile Højbjerg versuchte es per Drehschuss (55.), Franco di Santo scheiterte aus kurzer Distanz an Sommer (66.). Doch gerade in jener Phase, als die Schalker stärker wurden, schlug Gladbach zu. Per 16-Meter-Freistoß traf Raffael zum 2:1, kurz darauf schwächten sich die Schalker selbst: Geis musste nach einem groben Foulspiel an André Hahn mit Rot vom Platz. Sechs Minuten vor Schluss entschied Korb dann die Partie.
taz. die tageszeitung
Dortmund ist in Bestform und festigt seinen zweiten Platz in der Tabelle. Auch die Siegesserie von Borussia Mönchengladbach hält an.
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Welthandel: Green Deal für den Süden - taz.de
Welthandel: Green Deal für den Süden Die UN fordern eine konsequente Ökologisierung der internationalen Wirtschaftspolitik. Dabei ist den Experten die Landwirtschaft besonders wichtig. Die Erlöse aus ökologischem Anbau haben sich auf 46 Milliarden Dollar verdoppelt. Bild: ap Wenn es nach den Wirtschaftsexperten der Vereinten Nationen ginge, kann die Wirtschaftskrise nur eine richtige Folge haben: Wachstum muss grün werden. Oder, wie der Generalsekretär der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (Unctad), Supachai Panitchpakdi, am Montag erklärte: Die Entwicklungsländer müssten konsequent einen nachhaltigen Wandel der wirtschaftlichen Strukturen vorantreiben. Dabei sollten sie Energie sparen und erneuerbare Energien sowie neue landwirtschaftliche Methoden kombinieren. Großes Potenzial messen die Unctad-Experten dem Ausbau der ökologischen Landwirtschaft bei. Allerdings stehe die Produktion von Nahrungsmitteln vor zwei großen Herausforderungen: Zum einen wächst die Weltbevölkerung, und zum anderen sollen die Auswirkungen der Landwirtschaft auf den Klimawandel reduziert werden. Derzeit ist sie für rund 20 Prozent der weltweit ausgestoßenen Treibhausgase verantwortlich. Ökologischer Anbau löse diese Probleme, sagt die Unctad. Doch bislang würden weltweit nur 0,64 Prozent der bewirtschafteten Fläche dafür genutzt. Dabei habe die nachhaltige Landwirtschaft großes Potenzial: In den 50 ärmsten Ländern der Welt arbeiten 70 Prozent der Erwerbstätigen im landwirtschaftlichen Sektor. Genügend Arbeitskräfte für die personalintensiveren Ökofarmen seien also da, folgern die UN-Experten. Hinzu komme, dass sich die Erlöse aus ökologischer Landwirtschaft von 2002 bis 2007 auf 46 Milliarden US-Dollar verdoppelt haben und der Markt weiterhin wächst. Der Ausbau nachhaltiger Produktion entspreche zudem der eher kleinbäuerlich geprägten Agrarstruktur in vielen Entwicklungsländern. Um auch die klimarelevanten Vorteile des ökologischen Landbaus stärker zu nutzen, solle die damit erzielte Kohlenstoffbindung in den Ausgleichsmechanismus des Kioto-Protokolls, den Clean Development Mechanism, aufgenommen werden, fordert die Unctad. Auch für die biologische Vielfalt und damit die Stabilität der Ökosysteme, die eine beständige Lebensmittelversorgung sichert, sei der ökologische Anbau der einzig sinnvolle Weg. Und sie könne die ganze Weltbevölkerung und noch mehr Menschen ernähren, sagt die Unctad unter Verweis auf eine Studie der Universität von Michigan. Bei so viel überzeugenden Argumenten verwundert, warum in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit trotz gestiegener Rohstoffpreise nicht schon längst vor allem in Green Tech investiert wird. Diese Frage stellt auch Ulrich Hoffmann, Leiter der Abteilung Handel und nachhaltige Entwicklung, in dem Bericht. Er kommt zu dem Schluss, dass nicht die gesamtwirtschaftlichen Kosten die entscheidende Hürde seien, sondern der "Mangel an angemessener Politik, Regulierung und internationalen Strukturen". Denn allein auf Marktmechanismen wie den Emissionshandel oder steigende Treibstoffpreise zu setzen sei weder effektiv noch angemessen. Bei der Vorstellung des Berichts vor Fachpublikum vor zwei Wochen in Berlin wurde Ulrich Hoffmann noch deutlicher und forderte eine finanzielle Umschichtung durch eine ökologische Steuerreform. Zudem verlangt die Unctad die Einführung einer Finanztransaktionsteuer, um die Spekulation einzudämmen. Dabei müsse man nicht auf die G 20 warten, die die Prüfung einer solchen Steuer vereinbart haben. Würden in Europa nur Großbritannien und Deutschland eine solche Steuer einführen, würden bereits 97 Prozent aller Transaktionen in Europa erfasst.
S. Kosch
Die UN fordern eine konsequente Ökologisierung der internationalen Wirtschaftspolitik. Dabei ist den Experten die Landwirtschaft besonders wichtig.
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&quot;Blavatzkys Kinder&quot; - Teil 41 (Krimi) - taz.de
&quot;Blavatzkys Kinder&quot; - Teil 41 (Krimi) Teil 41 „Das Netz?“ fragte Robert. „Nun, sagen wir, das Netz ist ein Verbund von Antifas, die loyal, klug und auch körperlich ziemlich gut drauf sind. Etwa dreißig Leute aus der ganzen Bundesrepublik. Wir feiern irgendwas ... Wir haben seit Jahren in einem Erdkeller Waffen versteckt, weil wir mit Neonazi-Angriffen rechneten.“ Alle sahen Robert und Miriam an. „Gut“, sagte Miriam. Sie war nicht überrascht. „Aber wir haben die Kasernen gesehen und einen Teil ihrer Waffen. Wir brauchen die Bullen. Diesmal. Wenn wir die Sache in der Hand behalten wollen, sollten wir es auf folgende Weise machen.“ * * * Das Telefon klingelte. „Ja.“ „Chef, Anruf aus Frankfurt. Unser Mann in der Staatsanwaltschaft.“ Schulte nahm das Gespräch an. Er stellte seine Stimme auf herzlich. „Na, mein lieber Freund? Was haben Sie für uns?“ „Kamerad Schulte, es gibt Probleme“, sagte der Informant am anderen Ende der Leitung. Schulte war nicht beunruhigt. „Ja, wir wissen davon.“ „Sie wissen es schon? Aber haben Sie auch eine Ahnung, wie gefährlich das für Sie werden kann?“ Schulte runzelte die Stirn. „Gefährlich? Sie haben versucht, bei uns einzubrechen. Wir haben sie leider nicht erwischt. Es gibt Hinweise darauf, wer es war ... Was geht das die Frankfurter Staatsanwaltschaft an?“ Der Informant war nervös. „Ich weiß nicht, wer versucht hat, bei Ihnen einzubrechen, Kamerad, aber hier geht es um etwas ganz anderes. Man ermittelt gegen Sie wegen unerlaubtem Waffenbesitz, Kinderhandel und Bildung einer terroristischen Vereinigung. Es wird ernst ...“ Schulte war entsetzt. Damit hatte er nicht gerechnet. * * * Benjamin ahnte nichts, aber er schlief auch ohne dieses Wissen keine Nacht durch. Man hatte ihm Diwnas genommen, und er fühlte sich schuldig. Hätte er sie nicht zur Flucht überredet und sich nicht so dumm angestellt, wäre sie noch bei ihm. Diwnas lag seit Tagen auf der geschlossenen Station. Geschlossen waren die Krankenstationen in der Klinik des Lebenshofes eigentlich alle. Hier wurden die Patienten so stillgelegt, daß sie nicht einmal hätten fliehen können, wenn alle Türen weit offengestanden hätten. Das Mädchen, das zu dunkelhäutig war, um in das Zuchtprogramm des Lebenshofs zu passen, war gut genug, um ausgeschlachtet zu werden. Seit heute gehörte sie zur Kategorie II. Wen kümmerten schon Schädelproportionen, Haut- und Augenfarbe und Gene, wenn so gesunde Organe zu verwerten waren? dachte Dr. Trautwein. Die gekühlten Transportbehälter und die beiden Fahrer standen bereit. Er wollte zuerst beide Nieren entnehmen. Danach die Lunge. Das Herz. Die Eierstöcke wurden nicht verkauft, sondern hier im Haus genutzt, Sehnenhäute, Hornhäute. Leber. Die Därme konnte man in einer Spezialklinik für Versuche brauchen. Knochen, Knochenmark. Was dann von der Zigeunerin übrigblieb, mußte verbrannt werden. Das Mädchen brachte dem Lebenshof eine viertel Million ein. Dr. Trautweit nickte der Schwester zu. Die prüfte die Narkose. Er setzte das Messer an. * * * Rolf war auf dem Hof geblieben und hörte den Funkverkehr des Lebenshofes ab. „Code 2004. Code 2004. Roger.“ „Code 1933. Hier Code 1933. Was gibt's? Roger.“ Es rauschte fürchterlich. „... Krrz ... OSS ruft F ... chzz ... OSS ruft ...“ Dann war die Leitung für einen Moment klar. „Hier New York. Referent F. Machen Sie Meldung. Roger.“ „Achtung! Code 80545. Code 80545. Haben Sie verstanden? Roger.“ „Wiederholen Nachricht. Habe verstanden Code 80545. Ist das korrekt? Roger.“ „Krzz ... chchzz ... Führer sofort ...“ „Code 80545 verstanden. Nächster Flug Rheinmain. Krrzz. Verstanden. Alarmstufe III.“ „Idiot! Code 80545. Code 80545! Sonst nichts. Kapiert?“ Roger und Ende.“ Rolf legte nachdenklich den Kopfhörer auf seine Knie. Er las seine Mitschrift dreimal, Silbe für Silbe. Es konnte nichts anderes bedeuten. Er ging zum Telefon. Sie besuchten Paul ein letztes Mal, bevor sie nach Bayern fuhren. Der hatte eine Nachricht erhalten: „Großgrundbesitzer vermutlich aus STA-Kreisen gewarnt. Große Aufmerksamkeit und große Eile. Rolf.“ STA bedeutete Staatsanwaltschaft. Also doch. Die Nachricht beschleunigte ihre Pläne. Lisa würde noch heute das Netz alarmieren. „Übermorgen früh in der Morgendämmerung schlagen wir zu. Vierundzwanzig Stunden vor den Bullen. Wenn dort tatsächlich Kinder gefangengehalten werden, gehen wir ein furchtbares Risiko ein. Aber wenn wir auf die Polizei warten, sind die Kinder tot, da bin ich mir sicher.“ „Habt ihr den Telekomwagen?“ fragte Paul. „Ja. Wir kommen als Handwerker, nachdem wir vorher einen vollständigen Kommunikationsausfall herbeiführen. Mitten in diesen Aktivitäten werden sie scharf darauf sein, ihre ISDN-Leitung wieder hinzukriegen. Wir haben ihre Telefonleitung angezapft und spielen Störstelle.“ „Ihr paßt nicht alle in die beiden Lieferwagen“, warf Paul ein. Fortsetzung folgt
Jutta Ditfurth
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Facebook steigert Selbstwertgefühl: Ich? Gefällt mir! - taz.de
Facebook steigert Selbstwertgefühl: Ich? Gefällt mir! Facebook wird eine Menge zugetraut - nun auch noch das: Laut einer Studie dient das weltgrößte soziale Netzwerk als Ego-Pusher. Doch nicht alle sind dieser Meinung. Quelle der Freude und des Selbstwertgefühls - angeblich: Facebook. Bild: dapd BERLIN taz | Das Bild wird oftmals bemüht: der digitale Einsiedler, der sich vor lauter Online-Interaktion kaum noch traut, ein Leben abseits des Bildschirms zu führen. Dem tritt nun eine Studie der renommierten US-amerikanischen Cornell Universität mit einer überraschenden These entgegen: Facebook steigert das Selbstwertgefühl seiner Nutzer. Für die Studie wurden 63 Studenten der Uni vor Computer gesetzt, einige waren ausgeschaltet, einige zeigten das Facebook-Profil des jeweiligen Studenten an. Auf manchen Bildschirmen der ausgeschalteten Rechner war zusätzlich ein Spiegel montiert. Jedem Student wurden drei Minuten Zeit vor dem Rechner gegeben, anschließend musste ein zur Ermittlung des Selbstwertgefühls konzipierter Fragebogen ausgefüllt werden. Und siehe da: Die Studenten mit Zugriff auf ihr Facebook-Profil äußerten sich deutlich positiver über sich selbst als diejenigen, die vor einem ausgeschalteten Computer beziehungsweise vor einem Spiegel saßen. Die überschwänglichste Selbstwahrnehmung zeigten gar die Studenten, die ihr Facebook-Profil innerhalb der drei Minuten bearbeitet hatten. "Anders als ein Spiegel, der uns daran erinnert, wer wir wirklich sind und - falls das gespiegelte Bild nicht unseren Idealen entspricht - einen negativen Effekt auf unser Selbstwertgefühl haben könnte", so Jeffrey Hancock, "kann Facebook ein positives Bild von uns zeigen." Facebook ermögliche es den Nutzern, sich von ihrer besten Seite zu zeigen, sagt der Dozent für Kommunikation an der Cornell Universität. Facebook-Mitglieder könnten selbst wählen, was sie von sich preisgeben und all das hinausfiltern, was einen schlechten Eindruck hinterlassen könnte. Darüberhinaus tendierten Freunde und Bekannte auf Facebook meist zu sehr positiven Rückmeldungen, was das Selbstwertgefühl des Adressaten noch weiter steigern könnte. Auf den Einwand, dass somit auch eine willkommene Möglichkeit einer Flucht vor dem tatsächlichen Spiegelbild entstehen könnte, antwortet Hancock: "Wir sagen nicht, dass es eine trügerische Version unseres Ich ist, sondern, dass es eine positive ist." So ist für den Wissenschaftler die Studie ein voller Erfolg, der durchweg Begrüßenswertes zu Tage fördere: "Viele Menschen nehmen automatisch an, dass das Internet schlecht ist. Dies ist eine der ersten Studien, die zeigt, dass Facebook einen psychologischen Nutzen bietet." "Ich finde den Ansatz der Studie zwar interessant, doch teile ich nicht ihre Schlussfolgerungen", sagt der Mainzer Professor Mitja Back der taz. Der Psychologe meint: "Facebook verzerrt nicht die Realität, sondern spiegelt sie. Es ist zwar eine andere soziale Plattform, ihre Regeln unterscheiden sich jedoch kaum von denen des 'Real Life'." Vor etwa zwei Jahren war auch er an einer Facebook-Studie beteiligt, seine heutige Haltung erklärt sich durch das damalige Ergebnis: Demnach ist das Facebook-Profil ein reelles Abbild der Persönlichkeit, eine Selbstidealisierung findet nicht statt. Und selbst wenn es richtig wäre, so Back, dass Nutzer ein schmeichelndes digitales Spiegelbild installierten und daraus ein höheres Selbstwertgefühl generierten: "In dem Moment, in dem alle bei Facebook sind, wird es irrelevant." Und dieser Zeitpunkt scheint zumindest nicht mehr fernab jeder Realität zu liegen.
taz. die tageszeitung
Facebook wird eine Menge zugetraut - nun auch noch das: Laut einer Studie dient das weltgrößte soziale Netzwerk als Ego-Pusher. Doch nicht alle sind dieser Meinung.
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Demonstration gegen Sexualisierung: Oben ohne - taz.de
Demonstration gegen Sexualisierung: Oben ohne Auf der Straße gegen einengende Kleiderordnungen unterwegs: Fe­mi­nis­t*in­nen radeln in Hannover gegen Sexualisierung und Diskriminierung. Nackte Brust, ein Symbolbild Foto: picture alliance/dpa/Felix Hörhager HANNOVER taz | Die herrschende Ordnung auf den Kopf stellen – zumindest die Kleiderordnung: Das haben am vergangenen Sonntag rund 50 Fe­mi­nis­t*in­nen auf Rädern in Hannover erreicht. Während Frauen oben ohne demonstrierten, trugen Männer BHs oder Bikinis. „Boobs have no Gender“ – Brüste haben kein Geschlecht – war auf einem Rücken zu lesen, eine andere Person hatte ihre Brüste mit Blumen bemalt. Dass Brüste kein Geschlecht haben, bringt das politische Ziel der Demonstration auf den Punkt. Aktuell bestimmt der Blick auf den Körper, zu welchem Geschlecht zugehörig eine Person gelesen wird. Dabei werden männliche und weibliche Brust sehr unterschiedlich bewertet. Gegen die Sexualisierung der weiblichen Brust und die Absurdität der unterschiedlichen Bewertung von nackten Oberkörpern richtete sich die Demonstration des Feministischen Rats Hannover. „Das Verdecken der weiblichen Brust ist Symptom von Sexismus und Patriarchat“, sagt Juana Zimmermann vom Feministischen Rat. Dass der feministische Slogan „Bildet Banden!“ an Aktualität nichts eingebüßt hat, zeigte die Demonstration. Anlass waren laut Zimmermann unter anderem persönliche Vorfälle: Personen aus dem Kreis des Feministischen Rates wurden nackt am See gefilmt, der Mann hörte auch nach Aufforderung nicht damit auf. Spontan organisierte der Feministische Rat innerhalb weniger Tage die Demonstration. Ziel sei es gewesen, sich gemeinsam zu empowern und in der Gruppe weniger angreifbar zu sein. Die weibliche Brust in der Öffentlichkeit zu zeigen, bedeutet nicht nur unfreiwillige Sexualisierung, es kann sogar strafbar sein. Als „Belästigung der Allgemeinheit“ gilt es als Ordnungswidrigkeit und kann mit einer Geldstrafe von bis zu 1.000 Euro bestraft werden. Für bundesweites Aufsehen sorgte im vergangenen Jahr der Fall einer Frau in Berlin, die beim Sonnen oben ohne einen Polizeieinsatz auslöste und einen Platzverweis bekam. Neben der gemeinsamen Ermächtigung ging es den De­mons­tran­t*in­nen deshalb auch darum, „ein Zeichen gegen die unfaire Gesetzeslage zu setzen und uns Räume zurückzuerobern!“, sagt die Aktivistin Kim Kindler. Die Schwierigkeit, die mit dem Wunsch nach öffentlicher Aufmerksamkeit bei gleichzeitiger Gefahr von Sexualisierung verbunden ist, zeigte sich auf der Demonstration ganz direkt. Sie wurde von einem Aufgebot der Lokalpresse begleitet – und von Männern. „Unfassbar viele Männer haben gegafft und uns gefilmt“, erzählt Zimmermann. Gemeinsam hätten sie versucht, sich dagegen zu wehren – leider nicht immer erfolgreich. Auch sei auffällig gewesen, dass viele Pres­se­ver­tre­te­r*in­nen anwesend gewesen seien, die sich sonst wenig für feministische Anliegen interessieren. „Teile der Medien nutzen das Thema für Clickbaiting“, vermutet Zimmermann. Damit bestätigten sie letztendlich den Anlass zur Demo. Während es für Männer normal ist, mit nacktem Oberkörper Sport zu machen oder am See zu liegen, werden Frauen begafft und gefilmt. Das zeigt, dass der Weg zur Gleichberechtigung noch ein weiter ist. Doch Aktionen wie die des Feministischen Rates sind ein starkes Zeichen für Verbündung und die Rückeroberung öffentlicher Räume. Nach Abschluss der Demo hätten einige Teil­neh­me­r*in­nen noch gemeinsam im Park gesessen, sich ausgetauscht und vernetzt, sagt Zimmermann: „Insgesamt war es ein schöner und erfolgreicher Tag.“
Josephine von der Haar
Auf der Straße gegen einengende Kleiderordnungen unterwegs: Fe­mi­nis­t*in­nen radeln in Hannover gegen Sexualisierung und Diskriminierung.
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La catastrofe scuola, die Bambini lernen nix - taz.de
La catastrofe scuola, die Bambini lernen nix Italienische Schulkatastrophe an deutschen Schulen: Die Kinder der Zuwanderer von jenseits der Alpen, der ältesten Immigrantengemeinde, lernen am schlechtesten. Lernmentalität und deutsche Schule harmonieren nicht BERLIN taz ■ Das hätten sich die Italiener anders vorgestellt. Da schicken sie jährlich 15 Millionen Euro für italienische Migrantenkinder in Deutschland über die Alpen, und dann so etwas. Vergleicht man die Schulkarrieren der rund 67.000 schulpflichtigen „bambini“ mit denen anderer Zuwandererkinder, sind die Italiener weit abgeschlagen. Türken, Griechen, Spanier – alle stehen besser da. „La catastrofe scuola“, die Schulkatastrophe – so titelt die in Deutschland erscheinende Corriere d’Italia und widmet der Misere mehrere Sonderseiten. Der italienische Botschafter beruft eine dreitägige Konferenz ein. 150 Experten zerbrechen sich den Kopf über die Probleme italienischer Jugendlicher in Deutschland. Dass Schüler aus Migrantenfamilien im deutschen Bildungssystem benachteiligt sind, ist seit Pisa kein Geheimnis mehr. Der Großteil der Familien ist in der Arbeiterschicht angesiedelt, nur wenige Eltern können überhaupt die Tragweite ermessen, ihre Kinder auf diese oder jene Schule zu schicken. Nur 6 Prozent der italienischen Schüler landen im Gymnasium – weniger als in Sonderschulen (siehe Kasten). Die Experten vermuten, dass der mangelnde Bildungsstand bei vielen Müttern die im deutschen Schulsystem nötige Förderung behindere. Die Kinder brauchen Hilfe bei den Hausaufgaben – die Mamma oft nicht geben kann. Trotzdem ist nicht nachvollziehbar, warum gerade Italiener so viel größere Probleme mit dem deutschen Schulsystem haben als ihre ausländischen Mitschüler. „Es hat auch etwas mit der italienischen Mentalität zu tun“, versucht Cristina Allemann-Ghionda, Professorin für Pädagogik an der Universität Köln, eine Erklärung. Die rund 600.000 Italiener bilden zwar nach Türken und Staatsbürgern aus dem ehemaligen Jugoslawien die drittgrößte und zugleich älteste Migrantengruppe in Deutschland. Trotzdem hätten viele von ihnen Deutschland als Heimat noch nicht akzeptiert. „Im Gegensatz zu Spanien und Griechenland liegt Italien nah. In vielen Familien herrscht die Meinung, irgendwann gehen wir sowieso zurück.“ Hinzu kommt, dass das von der italienischen Regierung geschickte Geld bislang nicht immer zweckgebunden eingesetzt wird. Statt in einen Ausbau des zweisprachigen Unterrichts an den Regelschulen, investieren die Konsulate in rein italienische Sprach- und Kulturkurse, die nur selten die anvisierte Zielgruppe erreichen. An Vorschlägen zur Verbesserung der Situation herrscht kein Mangel. Ganz oben auf der Wunschliste der italienischen Konferenzteilnehmer: eine Strukturreform des deutschen Bildungswesen, weg von der Dreigliedrigkeit hin zur Gesamtschule. „Auch wir in Italien hatten einmal ein gegliedertes System, aber das war zu Zeiten des Faschismus“, bemerkt Allemann-Ghionda. Doch hier muss Brandenburgs Bildungsminister Steffen Reiche als Vertreter der Kultusministerkonferenz die Gäste bremsen. „Eher wird in Deutschland der Kündigungsschutz abgeschafft, als das dreigliedrige Schulsystem.“ KARIN LOSERT
KARIN LOSERT
Italienische Schulkatastrophe an deutschen Schulen: Die Kinder der Zuwanderer von jenseits der Alpen, der ältesten Immigrantengemeinde, lernen am schlechtesten. Lernmentalität und deutsche Schule harmonieren nicht
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Kommentar: Koexistenz ist nicht organisierbar - taz.de
Kommentar: Koexistenz ist nicht organisierbar Der Entwurf zum neuen Gentechnikgesetz eröffnet einen rechtsfreien Raum, in dem durch "private Absprachen" Sicherheitsmaßnahmen außer Kraft gesetzt werden können. Der Entwurf des neuen Gentechnikgesetzes von Landwirtschaftsminister Seehofer ist besser als sein Vorgänger vom Frühjahr. Die SPD hat der Union, die beim Thema Gentechnik auf dem Acker regelmäßig in ein Innovationsdelirium verfällt, offenbar so manches ausgeredet. Vor allem der Seehofer-Plan, eine gentechnische Verschmutzung bis zu 0,9 Prozent als grundsätzlich nicht haftungsrelevant zu tolerieren, scheint vom Tisch. Auch das Standortregister, das detailliert jede Fläche aufführt, auf der Gentechnikpflanzen angebaut werden, soll nun beibehalten werden. Bei den vorgeschriebenen Abstandsflächen von Genmais zu herkömmlichen Maispflanzen ist ebenfalls Bewegung auszumachen. Noch bleiben jedoch gravierende Mängel. Dazu gehört vor allem, dass das Gesetz einen rechtsfreien Raum eröffnet, in dem durch "private Absprachen" Sicherheitsmaßnahmen außer Kraft gesetzt werden können. Klar ist auch, dass weder 150 noch 300 Meter Abstand zwischen gentechnisch veränderten und konventionellen beziehungsweise ökologischen Maisfeldern genügen, um gentechnische Verunreinigungen zu verhindern. Der aktuelle Entwurf spiegelt vor allem eines wider: Ratlosigkeit. Offenbar wurde der Regierung klar, dass die Vereinbarung, den großflächigen Anbau von Gentechnikpflanzen zu forcieren, nur durch massive Einschränkungen demokratischer Grundrechte realisiert werden kann. Wahlfreiheit, Sicherung gentechnikfreier Erzeugung und Transparenz wären mit dem vorgesehenen Regelwerk unmöglich geworden. Dies war der Regierung wohl rechtlich zu heikel. Leider bleiben daher zahllose Fragen, wie das Nebeneinander von Gentechnik-Landwirtschaft und jenen 99,9 Prozent der deutschen Bauern, die gentechnikfrei produzieren wollen, funktionieren soll, unbeantwortet. Letztlich gibt die Regierung zu, dass Koexistenz nicht organisierbar ist, und überlässt die Klärung aller strittigen Fragen den Gerichten.
Andreas Bauer
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Veranstaltung mit Rasmea Odeh in Berlin: Verurteilte Terroristin soll auftreten - taz.de
Veranstaltung mit Rasmea Odeh in Berlin: Verurteilte Terroristin soll auftreten Rasmea Odeh war 1969 an der Ermordung von Israelis beteiligt. Am Freitag soll sie in Berlin sprechen. Der Zentralrat der Juden fordert ein Verbot. Für den Berlin-Auftritt von Rasmea Odeh wirbt unter anderem die Boykottbewegung BDS Foto: imago/ZUMA Press BERLIN taz | Am 21. Februar 1969 waren die israelischen Studenten Leon Kanner und Eddie Joffe 21 und 22 Jahre alt und wollten in einem Jerusalemer Supermarkt Lebensmittel für eine Exkursion einkaufen. Dann explodierte eine Bombe, die jungen Männer wurden ermordet, neun weitere Menschen verletzt. Verantwortlich für das Attentat war die noch heute aktive Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP). Beteiligt war dabei auch Rasmea Odeh, genau wie an einem vier Tage später verübten fehlgeschlagenen Attentat auf das britische Konsulat in Jerusalem. 1970 wurde sie in Israel zu lebenslanger Haft verurteilt, 1980 gemeinsam mit 77 anderen Gefangenen im Austausch für einen im Libanon gefangen gehaltenen israelischen Soldaten durch die PFLP freigepresst. Am Freitag soll Rasmea Odeh in der Dersim-Kulturgemeinde in Berlin-Kreuzberg auftreten, auf Einladung des PFLP-nahen „Samidoun“-Netzwerks, der „Palästinensischen Jugendbewegung“ sowie der antiisraelischen Boykottbewegung BDS. Die Veranstalter kündigen die verurteilte Terroristin als „befreite palästinensische Gefangene aus dem besetzten Palästina“ an. „Ich bin entsetzt, dass eine verurteilte palästinensische Terroristin, die Israelis getötet und verletzt hat, in Berlin auftreten darf. In Zeiten eines wachsenden Antisemitismus sollten die Behörden alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um solche Auftritte zu unterbinden“, fordert der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, im Gespräch mit der taz. „Bei solchen Veranstaltungen werden die Besucher in ihrem Hass auf Israel und auf Juden allgemein bestärkt und aufgestachelt. Das darf in einem Rechtsstaat nicht toleriert werden.“ „Einreise untersagen“ Auch der israelische Botschafter in Deutschland, Jeremy Issacharoff, zeigt sich schockiert über die Einladung nach Berlin. „Wir sind sicher, dass die deutsche Gesellschaft hier eine rote Linie zieht und sich der Anstiftung zu Hass und der Glorifizierung von Gewalt entschieden entgegen stellt“, sagte er zur taz. Das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus übt ebenfalls scharfe Kritik. „Es ist unerträglich, dass hier in Berlin eine palästinensische Terroristin für ihren mörderischen Kampf gegen Israel und die Juden als Freiheitskämpferin verklärt und gefeiert werden soll“, erklärte die Vorsitzende Lala Süsskind. „Veranstaltungen wie diese zeigen einmal mehr, dass BDS und Konsorten offen mit antisemitischen Terroristen sympathisieren.“ Die Europäische Union und die USA stufen die PFLP als Terrororganisation ein, in Deutschland ist sie nicht verboten. So sind auf dem Berliner Al-Quds-Tag, auf dem zur „Befreiung Jerusalems“ aufgerufen wird, immer wieder Demonstranten mit PFLP-Symbolen zu sehen. Der Antisemitismusbeauftragte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Sigmount Königsberg, fordert die Behörden jetzt zum Handeln auf. „Der Innenminister sollte die Bundespolizei anweisen, Rasmea Odeh die Einreise nach Deutschland zu untersagen“, fordert er im Gespräch mit der taz. Im Jahr 2005 wurde im deutschen Aufenthaltsgesetz ein Passus hinzugefügt, der das „Aufstacheln zum Hass“ als Einreisehindernis benennt. Eine entsprechende Anfrage an das Innenministerium blieb bis Mittwochmittag unbeantwortet. Gemeinsam mit Odeh soll die Aktivistin Dareen Tatour in Berlin auftreten. Tatour wurde im vergangenen Jahr in Israel wegen „Anstiftung zu Gewalt“ und „Unterstützung einer Terrororganisation“ zu fünf Monaten Haft verurteilt. Zuvor hatte sie auf Facebook zur „Intifada“ aufgerufen, sowie ein Gedicht zusammen mit Bildern veröffentlicht, auf denen maskierte Gewalttäter zu sehen sind, die Steine und Feuerwerkskörper auf israelische Sicherheitskräfte werfen. Vollständiger Boykott Rasmea Odeh wanderte nach ihrer Freilassung in die USA ein, wo ihr im Jahr 2004 die US-amerikanische Staatsbürgerschaft verliehen wurde. 2017 wurde diese ihr wieder aberkannt, da sie gegenüber den Einwanderungsbehörden ihre Beteiligung an den Bombenattentaten verschwiegen hatte. Kurz darauf wurde sie nach Jordanien abgeschoben. Die BDS-Boykottbewegung behauptet immer wieder, mit Antisemitismus nichts zu tun zu haben. Sie tritt für einen vollständigen Boykott des einzigen jüdischen Staates ein – auf politischer, wirtschaftlicher, akademischer und kultureller Ebene. Eine taz-Anfrage blieb bis Mittwochmittag unbeantwortet.
Frederik Schindler
Rasmea Odeh war 1969 an der Ermordung von Israelis beteiligt. Am Freitag soll sie in Berlin sprechen. Der Zentralrat der Juden fordert ein Verbot.
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WTO-Urteil zu Airbus-Subventionen: USA drohen mit Sanktionen - taz.de
WTO-Urteil zu Airbus-Subventionen: USA drohen mit Sanktionen Im erbitterten Handelsstreit zwischen EU und USA hat die WTO Subventionen der EU für Airbus als illegal beurteilt. Die USA könnte als Vergeltung Strafzölle erlassen. Momentan scheint Boing die Nase vorn zu haben Foto: dpa GENF/BRÜSSEL/WASHINGTON dpa | Im erbitterten Handelsstreit zwischen den USA und der EU um illegale Subventionen für Airbus droht amerikanische Vergeltung. In letzter Instanz hat ein Schiedsgericht der Welthandelsorganisation (WTO) bestimmte Anschubfinanzierungen – auch aus Deutschland – am Dienstag als illegal bestätigt. Unmittelbar nach der brachten die USA Strafmaßnahmen ins Gespräch. „Wenn die EU nicht endlich aufhört, die Regeln zu brechen und US-Interessen zu verletzen, werden die USA voranschreiten und Gegenmaßnahmen auf EU-Produkte erlassen müssen“, heißt es Mitteilung des US-Handelsbeauftragten Robert Lighthizer. Nach Einschätzung von Handelsexperten in Genf sind solche Vergeltungsmaßnahmen nun nach den Regeln der WTO möglich. Das können Zölle auf EU-Produkte sein. Den Umfang legen WTO-Schiedsrichter fest. Boeing rechnet mit Milliardenbeträgen. Der Fall zieht sich seit 14 Jahren durch alle Instanzen der WTO. Die Entscheidung ist nicht weiter anfechtbar. Das WTO-Schiedsgericht hatte mehrere US-Klagepunkte 2011 abgeschmettert, aber einige Subventionen als illegal eingestuft. Jetzt ging es um die Frage, ob sich die EU an das Urteil von 2011 gehalten hat. „Die EU hat die Empfehlungen und Urteile des Streitschlichtungsausschusses nicht umgesetzt, denn die zu Grunde liegenden Subventionen haben weiter existiert und negative Konsequenzen (für die Gegenseite) gehabt“, heißt es in dem Entscheid. Sieg auf beiden Seiten Dennoch reklamierten beide Seiten einen Sieg für sich. Das neueste Urteil widerlege „die meisten Behauptungen der USA, wonach die EU die WTO-Feststellungen missachtet habe“, erklärte Handelskommissarin Cecilia Malmström in Brüssel. Das Berufungsgericht habe festgestellt, dass die von den USA angeprangerte EU-Unterstützung für Airbus 2011 größtenteils eingestellt worden sei. Die EU müsse nur „einige wenige Korrekturmaßnahmen vornehmen, um zu gewährleisten, dass sie alle WTO-Regeln in sämtlichen Einzelheiten beachtet“. Auch Airbus sprach von einem „wichtigen juristischen Erfolg“. Die WTO habe inzwischen 94 Prozent der ursprünglichen Klagen des US-Konkurrenten vollständig abgewiesen, teilte das Unternehmen mit. Es seien nur „wenige Anpassungen“ bei rückzahlbaren EU-Darlehen für Entwicklungskosten nötig. Airbus werde alles Notwendige tun, um etwaige Fehler zu korrigieren, erklärte Chefjurist John Harrison. Boeing sah sich aber ebenfalls bestätigt: „Das heutige abschließende Urteil sendet eine klare Botschaft: Die Missachtung von Regeln sowie illegale Subventionen werden nicht toleriert“, erklärte Boeing-Chef Dennis Muilenburg. Die EU habe sich an frühere Anordnungen nicht gehalten. Die US-Regierung könne nun autorisiert werden, milliardenschwere Vergeltungszölle auf Importe aus der EU zu erheben. Die EU hatte ihrerseits die USA wegen illegaler Subventionen für Boeing ebenfalls verklagt. In dem Fall steht ein abschließendes Urteil noch aus. So betonte Airbus-Konzernchef Tom Enders, die jüngste Entscheidung sei „nur eine Seite der Medaille“. Der WTO-Bericht zu den EU-Klagen gegen US-Steuergeschenke für Boeing wird im zweiten Halbjahr erwartet. „Wir erwarten, dass er hart mit der Subventionspolitik von Boeing ins Gericht gehen wird, und dann werden wir sehen, wie es unter dem Strich aussieht“, so Enders. Mögliche US-Sanktionen dürften „im Vergleich zu dem, was wir im europäischen Vorgehen gegen Boeing erwarten, nur gering ausfallen“. Seit Jahrzehnten Konkurrenzkampf Die beiden größten Flugzeughersteller der Welt liefern sich seit Jahrzehnten einen erbitterten Konkurrenzkampf. Die USA und die EU werfen sich dabei gegenseitig Wettbewerbsverzerrung vor. Beide Seiten haben ihre Klagen und Proteste jeweils durch sämtliche Instanzen bei der WTO gezogen. In beiden Fällen haben die Schiedsrichter sowohl Maßnahmen zugunsten von Airbus als auch von Boeing als illegale Subventionen beurteilt In beiden Fällen haben die Schiedsrichter sowohl Maßnahmen zugunsten von Airbus als auch von Boeing als illegale Subventionen beurteilt. Eine Rückzahlung bereits geleisteter Staatshilfen ist indes nicht vorgesehen. Vielmehr geht es darum, Schaden, den die andere Seite durch Wettbewerbsverzerrungen erlitten haben könnte, auszugleichen. Staatshilfen im Rüstungsbereich nehmen eine Sonderrolle ein und sind von den WTO-Verfahren nicht betroffen. Sie dürfen als „strategische Industrien“ national geschützt werden. Die Sparten spielen sowohl bei Boeing als auch bei Airbus eine große Rolle. Die WTO-Entscheide enthalten jeweils „Empfehlungen“, wie die beklagte Seite ihre Maßnahmen in Einklang mit den WTO-Handelsbestimmungen bringen kann. Während Streitparteien stets die Umsetzung solcher Empfehlungen vermelden, bleibt weiter viel Raum für Interpretationen, ob das tatsächlich geschehen ist. Die Umsetzung ist praktisch fast nicht durchsetzbar. Harte Sanktionsmöglichkeiten hat die WTO nicht. Im Prinzip sind beide Seiten einig, dass die Dispute nicht durch die WTO-Schiedsgerichte gelöst werden können. Experten sehen die Lösung in einem Vertrag, in dem beide Seiten die zulässige Unterstützung für ihre jeweiligen Luftfahrt-Industrien aushandeln. So etwas gab es in den 90er Jahren, doch der Vertrag wurde von den USA gekündigt.
taz. die tageszeitung
Im erbitterten Handelsstreit zwischen EU und USA hat die WTO Subventionen der EU für Airbus als illegal beurteilt. Die USA könnte als Vergeltung Strafzölle erlassen.
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„Royal-Fieber“ in Deutschland: Adel trifft Pöbel - taz.de
„Royal-Fieber“ in Deutschland: Adel trifft Pöbel Das britische Thronfolgerpaar William und Kate tourt durch Deutschland. Am Mittwoch winkten sie ihren Fans am Brandenburger Tor zu. Blue for you: Die Farbauswahl von Kates Kleid kommt nicht von ungefähr, sie hält es royal Foto: dpa BERLIN taz | Szene aus der Morgenkonferenz einer der größten linken Zeitungen Deutschlands: Ein gestandener Nachrichtenredakteur, mit Schnauzer und Nickelbrille, eigentlich ziemlich unboulevardesk, schlägt als Tagesthema den Besuch von William und Kate in Berlin vor. Ja, selbst die taz ist im Royal­fieber. Man will es nur nicht so ganz zugeben. Denn eigentlich steht der Adel ja für alles, was man hier nicht so mag: undemokratische Repräsentation, hierarchische Strukturen, Intransparenz und Lackschuhe. Seit 99 Jahren ist die Monarchie in Deutschland Geschichte. Da dankte der letzte deutsche Kaiser, Wilhelm II., ab. So ganz vorbei ist es mit der Faszination für die Krone aber auch im Land von Turnschuh-Minister und Blazer-Kanzlerin nicht. Denn: Berlin steht dieser Tage kopf. Das britische Thronfolgerpaar kommt zur ersten offiziellen Deutschlandreise. Sogar die Minimonarchen Prinz George (3) und Prinzessin Charlotte (2) sind mit dabei. Auf dem Programm des dreitägigen Aufenthalts stehen unter anderem ein Besuch in einem Jugendhaus in Marzahn und ein Tagesausflug nach Heidelberg. Mittendrin und voll dabei Am Mittwoch geht es los mit Handshaking vor dem Brandenburger Tor. Dort stapeln sich Kamerateams und Polizeiautos. Auf den umliegenden Balkonen der französischen Botschaft und der Akademie der Künste gehen die Zaungäste in Stellung. Wird Prinz George upper-class-standesgemäß in kurzen Höschen auftreten? Gibt es einen Knicks zur Begrüßung? Wie viele Haare hat William noch auf dem Kopf? Das erfordert natürlich investigative journalistische Begleitung. Der rbb überträgt den ganzen Nachmittag im Fernsehen, der Tagesspiegel startet einen Liveblog. Und auch die taz hört sich um. Im Wartepulk kommt man schnell ins Gespräch. „Meinen Sie, die Kate ist schon wieder schwanger?“, fragt eine Zuschauerin ihre Stehnachbarin. „Da kommt auf jeden Fall noch eins, wenn nicht gar zwei“, antwortet diese. Die Dame entpuppt sich, Union Jack auf dem T-Shirt und Kates nachgemachten Verlobungsring am Finger, wie viele hier als Wiederholungstäterin. Schon 2011 war sie bei der Hochzeit von William und Kate in London. Und beim 80. Geburtstag der Queen. Jetzt also Berlin. „Können Sie vielleicht mal Ihren Rucksack aus meinem Gesicht nehmen?“ – „Ich stehe hier seit 9 Uhr, da habe ich auch das Recht, ganz vorne zu sein“ Um 13.30 Uhr soll es losgehen, zwanzig Minuten später ist es schließlich so weit. Die Polizisten werden strenger, die Kameramänner hektischer. Ein kurzer Jubel, dann taucht das Thronfolgerpaar auf, wie lebendig gewordene Wachsfiguren. Kate in, of course, royalblauem Kleid. William mit frisch geschorenem Haupthaar. Zur allgemeinen Enttäuschung ist der Nachwuchs nicht mit dabei (wahrscheinlich zu heiß), dafür aber Bürgermeister Michael Müller. Nur die Harten kommen in Garten Man winkt und lächelt, unterhält sich und stakst übers Pflaster. Die Menge wird unruhig. Von wegen Euphorie der Masse. „Können Sie vielleicht mal Ihren Rucksack aus meinem Gesicht nehmen?“ – „Ich stehe hier seit 9 Uhr, da habe ich auch das Recht, ganz vorne zu sein.“ Und auch bei der Autorin dieser Zeilen lupfen sich die Fußsohlen wie von selbst, der Hals zieht sich in die Länge. Nur mal ein bisschen gucken. In Zeiten wie diesen wirkt die adelige Ablenkung ja irgendwie heilsam. Europa droht auseinanderzubrechen, der Brexit entzweit das Land – die Windsors winken trotzdem geeint vom Balkon. Während Premierministerin Theresa May vor lauter Unbeliebtheit ihre Parlamentsmehrheit verliert, bleiben die Sympathiewerte der Royals nach wie vor hoch. Sagt zumindest die Freizeit Revue. Der Eindruck bestätigt sich in Berlin. Das Aufeinandertreffen von Adel und Pöbel folgt einer ganz speziellen Choreografie. Diszipliniert warten alle hinter den Absperrungen. Bewegen sich Kate und William in Richtung ihrer Fans, schnellen Jubel und Hände in die Höhe. Plakate und Blumensträuße werden verschenkt. „William, ich habe schon deine Mutter Diana in Berlin erlebt!“ Nach wenigen Minuten ist alles vorbei. Ein letzter gnädiger Blick von Kate, dann verschwindet sie hinter dem Schädel des Vordermanns. Was übrig bleibt vom ganzen Spektakel? Die taz zumindest hat ein Fähnchen mitgehen lassen.
Kathrin Müller-Lancé
Das britische Thronfolgerpaar William und Kate tourt durch Deutschland. Am Mittwoch winkten sie ihren Fans am Brandenburger Tor zu.
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Hamburger Institut für Sozialforschung: Antisemitische Bildsprache im NS - taz.de
Hamburger Institut für Sozialforschung: Antisemitische Bildsprache im NS Eine Diskussion ging den Themen von NS-Fotoreportagen auf den Grund. Dabei werden Widersprüche in Bildern sichtbar. Ein Foto (Ausschnitt) aus dem Warschauer Ghetto, das Teil des diskutierten Materials ist Foto: imago images/ Reinhard Schultz Viel ist geforscht worden zu antisemitischen Filmen im NS, Karikaturen aus dem Stürmer oder das Radio als Nazi-Propagandainstrument. Doch wie steht es um den Fotojournalismus, ein damals junges Genre mit Magazinen, die nicht nur im Deutschland der 1930er-Jahre exorbitante Reichweiten erzielten, mit höheren Auflagen als zu jedem anderen Zeitpunkt in der Geschichte? Er blieb für Jahrzehnte unterm Radar der Forschung. Nicht dass Fotos keine Rolle in Untersuchungen über Nationalsozialismus und Holocaust spielen würden. So nahmen die Macher und Macherinnen der Wehrmachtsausstellung am Hamburger Institut für Sozialforschung Mitte der 1990er-Jahre die Fotografien deutscher Soldaten als Nachweis für deren Beteiligung am Massenmord an den Juden. Entsprechend räumte man diesen Bildern einen prominenten Platz in der Ausstellung ein. Doch stärker als solche Privataufnahmen haben journalistische Fotostrecken eine beabsichtigte Wirkung. Wie sich die jeweils aktuelle „Judenpolitik“ der NSDAP in der Bildpresse niederschlug, in der – wie alle Presse im NS vom Propagandaministerium gelenkten – Berliner Illustrirten Zeitung oder der Hamburger Illustrierten, hat sich erstmals die Historikerin Harriet Scharnberg angesehen. Ihr Buch „Die ‚Judenfrage‘ im Bild – Der Antisemitismus in nationalsozialistischen Fotoreportagen“ (Hamburger Edition) erschien vorigen Herbst. Um über ihre umfassende Studie zu sprechen, ist Scharnberg, die seinerzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Wehrmachtsausstellung mitwirkte, am Dienstag ins Hamburger Institut am Mittelweg zurückgekehrt. Unter der Moderation von Birte Kundrus – auch sie eine ehemalige Institutsmitarbeiterin – diskutiert Scharnberg mit dem Berliner Historiker Michael Wildt. Durch simple Fototricks wurde die Ikonografie des Jüdischen im antisemitischen Sinne beeinflusst Für die Darstellung an diesem Abend konzentriert sich Scharnberg auf Fotos von jüdischen Gettos. An wenigen Beispielen kann sie zeigen, wie sich zwischen Mitte und Ende der 1930er-Jahre die Haltung der Fotostrecken ändert. Wo anfänglich eine stereotype Darstellung jüdischer Menschen, eines chaotischen, von Armut geprägten jüdischen Lebens vorherrscht, bricht sich mit dem Überfall auf Polen, also nach 1939, ein Narrativ der Staatlichkeit Bahn. Der Reichsbevölkerung sollte ebenso wie dem Ausland gezeigt werden, wie geordnet, wie staatsähnlich die Zustände dank der Deutschen im Getto neuerdings waren. Dieses Narrativ entspricht einer Politik, die sich zwischen Segregation der Juden und ihrer Vernichtung noch nicht entschieden hatte. Etwas reflexhaft nimmt sich in der Diskussion das Pochen auf die Unbestimmbarkeit der Wirkung von Fotos aus. Michael Wildt führt für die Rezeptionsseite das Punktum von Roland Barthes ins Feld. Gemeint ist eine Kleinigkeit im Bild, die der Bildintention zuwiderlaufen kann und sogar gegenteilige Wirkungen hervorrufen kann. Die Darstellung des Elends im Getto müsse nicht Verachtung, sie könne beim Betrachter auch Mitleid bewirken. Aus dem Publikum heraus ist gar von einer grundsätzlichen Überschätzung der Bilder die Rede. Gelenkte Assoziation Es sei aber interessant, verteidigte sich die Autorin, zu untersuchen, wie Fotos Assoziationen lenken. Aus ihrem Buch geht noch deutlicher hervor, dass sie, und zwar durchaus mit großem Gewinn, vor allem die Produktionsseite der Bilder im Blick hat. Scharnberg kann zeigen, wie eine einzige Fotoreportage in der Berliner Illustrirten Zeitung – eine Ausgabe der Zeitung erreichte in den Dreißigern unglaubliche 15 Millionen Leser – versucht hat, durch simple fotografische Tricks wie Perspektive, Ausschnitt und Lichtführung die Ikonografie des Jüdischen im antisemitischen Sinne zu beeinflussen. Explizit verabschiedet sie in ihrer Studie das „Propaganda-Paradigma“, demzufolge sich eine Absicht eins zu eins in gewünschte Effekte übersetzt. Die angesprochene Mehrdeutigkeit der Bilder, lässt sich ergänzen, war auch dem Propagandaministerium nicht unbekannt. Immer wieder mal wurde nämlich eine Nachrichtensperre verhängt darüber, wie es Juden im Einflussbereich von Wehrmacht und SS erging. Man fürchtete durchaus das mögliche Mitgefühl der Betrachtenden.
Christiane Müller-Lobeck
Eine Diskussion ging den Themen von NS-Fotoreportagen auf den Grund. Dabei werden Widersprüche in Bildern sichtbar.
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Speicherung von Surf-Daten: Wenn Konzerne mitloggen - taz.de
Speicherung von Surf-Daten: Wenn Konzerne mitloggen Egal ob man ein Programm startet, auf Newsseiten surft oder sein Smartphone einschaltet – überall hinterlässt man Spuren. Der Umgang mit diesen Daten ist bisher kaum geregelt. Vermeintliche Anonymität im Internet: Mitschnitt der identifizierbaren IP-Adressen. Bild: dpa Wenn man früher zu einem Kiosk ging und sich eine Zeitung besorgte, erfolgte die anschließende Lektüre völlig anonym: Niemand erfuhr, dass man den Politikteil rasch überblätterte, um sich schnurstracks an den jüngsten Abenteuern von "Schweini", "Poldi" und Co. zu delektieren. Im Internet ist das nicht so: Bei jedem Aufruf eines Dokuments im Web wird irgendwo mitgezeichnet, was man abgerufen hat. Der Fachbegriff nennt sich "Logging" und der digitale Ordner, in dem diese Daten landen, "Log-Datei". So lassen sich Wege rückverfolgen – wer wann wo in eine Seite eingestiegen ist und wo sie wieder verlassen wurde. Doch die Server-Betreiber sind nicht die einzigen, die Informationen über die Nutzung speichern. Marketingfirmen und Werbepartner, deren Banner und Textreklame nachgeladen werden, erfassen für ihre Abrechnung ebenfalls jeden Abruf. Das Mitloggen geht längst über die Web-Nutzung hinaus. Zahlreiche Programme besitzen Routinen, die bei ihrem Start "nach Hause telefonieren". Im harmlosesten Fall tun sie dies zur Überprüfung, ob ein neues Update vorliegt – aber auch, um Nutzungsmuster zu erfassen oder Raubkopien zu verhindern. Auch moderne Smartphones melden sich gerne bei ihrem Hersteller, ohne dass Nutzer das explizit mitbekämen. So kam es im vergangenen Jahr zu einem kleinen Skandal, als bekannt wurde, dass jeder einzelne der brandneuen Palm Pre-Geräte sich einmal am Tag mit der aktuellen Nutzungsstatistik, möglichen Abstürzen des Gerätes, sowie dem ungefähren Ort des Benutzers an einen Server in Amerika zurückmeldet. Den Vorgang hatte sich Palm in seinen AGBs abnicken lassen und begründete ihn mit dem Verlangen, "die Nutzererfahrung noch besser zu machen". Doch wie gefährlich ist das Mitloggen all dieser Infos überhaupt? Gespeichert wird – neben der jeweiligen Aktion des Nutzers vom Betrachten einer Web-Seite bis zum Download eines Videos – üblicherweise die so genannte Internet-Protokoll-Adresse (IP). Diese Zahlenkombination bekommt ein Kunde automatisch bei der Einwahl ins Netz von seinem Breitband-Provider zugeteilt – sie sorgt im Internet dafür, dass angefragte Daten auch ans Ziel kommen. Da IPs derzeit zumeist dynamisch vergeben werden, weiß zunächst nur der Provider, wer wann hinter welcher Adresse steckt. Allerdings erlauben mittlerweile überarbeitete Urheberrechtsgesetze, dass Anwaltskanzleien bei Verdacht des Raubkopierens über Gerichte an die Namen hinter IPs gelangen. Gleiches gilt auch für Polizeibehörden oder Geheimdienste; IPs sind also keineswegs "anonym". Oft landen die beim Surfen und der Computerbenutzung entstandenen und potenziell sensiblen Infos auf Servern im Ausland, für die der verhältnismäßig strikte europäische Datenschutz nicht mehr gilt. Zugriffsrechte für staatliche Stellen, Drittfirmen oder auch die Speicherdauer bleiben im Dunkeln oder stecken in wortreichen "Privacy Policy"-Dokumenten. Hinzu kommt die Diskussion darüber, was überhaupt als "persönliche Daten" gilt: Während zum Beispiel der Internet-Riese Google darauf pocht, IP-Adressen seien gar nicht personenbezogen, weil man ohne den zugehörigen Provider (oder gerichtliche Hilfe) nicht an den Namen des Nutzers gelangt, sehen das Datenschützer ganz anders. Die Situation könnte in den nächsten Jahren noch schlimmer werden. Mit der Einführung des neuen Internet-Protokolls IPv6, das den IP-Adressraum radikal erweitert, wird es viel leichter möglich werden, jedem Nutzer seine eigene, persönliche "Anschrift" zu vergeben, die dann noch leichter rückverfolgbar sein wird als heute. Schon fordern Politiker so genannte "Internet-Ausweise", die der Anonymisierung im Netz einen vollkommenen Riegel vorschieben. Ob man dann noch will, dass jeder kleine Nutzungsvorgang auf dem eigenen Rechner mitgeloggt wird?
Ben Schwan
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Slowakei unterliegt Holland 1:2: Der Unterschied heißt Robben - taz.de
Slowakei unterliegt Holland 1:2: Der Unterschied heißt Robben Der Slowake Vittek vergibt zwei Riesenchancen, ganz im Gegensatz zu den Holländern. Sie führen früh dank eines genialen Robben und bringen den Sieg sachlich über die Zeit. Erster Einsatz von Beginn an, erstes Tor: Arjen Robben. Bild: reuters BERLIN taz | Glücklich die Mannschaft, die einen Spieler hat, der eine Partie allein entscheiden kann. Die Holländer haben so einen in Arjen Robben, der gleich bei seinem ersten WM-Einsatz von Beginn an zeigt, dass er der Unterschied ist. Er allein macht die Niederlande, die sich bisher zwar effektiv aber alles andere als berauschend präsentierte, zu einem Titelkandidaten. Es war die 18. Minute im Achtelfinale gegen die Slowakei als Robben das macht, was er eigentlich immer macht. Trotzdem ist er dabei nicht zu stoppen. Er schnappt sich den Ball auf der rechten Seite, zieht parallel zur Strafraumlinie nach innen, läßt sich von drei Gegenspielern nicht irritieren und zieht dann mit links ab. Sein harter, platzierter Schuss prallt vom Innenpfosten ins Tor. Es war ein Tor von umwerfender Einfachheit, eine Explosion in einem ansonsten meist vor sich hin plätschernden Spiel, das die Holländer ungefährdet und äußerst mit 2:1 gewinnen. Von der Papierform her war die Partie zwischen der Niederlande und der Slowakei das am wenigsten spannende Achtelfinale dieser WM. Wie sollten die Slowaken, von denen kein Spieler bei einem Spitzenklub spielt, gegen die Weltauswahl der Holländer bestehen? Für die kurze Fußballgeschichte der Slowakei war schon der Einzug ins Achtelfinale ein nicht für möglich gehaltener Erfolg, für die Niederlande konnte es nicht mehr als eine Durchgangsstation auf dem Weg zum so sehnlich erhofften ersten WM-Titel sein. StatistikNiederlande - Slowakei 2:1 (1:0) Niederlande: Stekelenburg - van der Wiel, Heitinga, Mathijsen, van Bronckhorst - van Bommel, de Jong - Robben (71. Elia), Sneijder (90.+2 Afellay), Kuyt - van Persie (80. Huntelaar)Slowakei: Mucha - Pekarik, Skrtel, Durica, Zabavnik (88. Jakubko) - Kucka, Hamsik (87. Sapara) - Stoch, Vladimir Weiss, Jendrisek (71. Kopunek) - VittekSchiedsrichter: Undiano (Spanien)Zuschauer: 61.962Tore: 1:0 Robben (18.), 2:0 Sneijder (84.), 2:1 Vittek (90.+4/Foulelfmeter)Gelbe Karten: Robben, Stekelenburg / Kopunek, Kucka, Skrtel Überraschend kam der bisher verletzte Arjen Robben in die Mannschaft für den angeschlagenen Rafael van der Vaart und damit die Hoffnung auf mehr Kreativität. Denn in der Gruppenphase hatten die Holländer nur mit Ergebnissen geglänzt, ihr pragmatischer Stil wurde in der Heimat stark kritisiert. Außerdem rückte Rechtsverteidiger Gregory van der Wiel wieder ins Team für Khalid Boulahrouz. Der slowakische Trainer Vladimir Weiss hätte sein Team nach dem Sieg über Titelverteidiger Italien wohl am liebsten nicht verändert, war aber durch die Gelbsperre des Mittelfeldmanns Zdeno Strba dazu gezwungen. Für ihn stellte Weiss seinen Sohn, der ebenfalls Vladimir heißt, auf. Leider hielt die Begegnung was sie versprach, die Slowaken waren bis auf zwei Ausnahmen nie in der Lage Holland ernsthaft zu gefährden. In der 1. Minute ging Erik Jendriseks Schuss knapp über das Tor, danach ging eine Stunde lang kaum noch etwas. Wie auch, gegen Nigel Jong und Mark van Bommel, das formidable Paar im defensiven Mittelfeld der Holländer, muss man eben besser Fußball spielen können, um an ihnen vorbeizukommen. Die Holländer wiederum schienen nach dem wunderschönen Treffer Robbens nicht wirklich daran interessiert zu sein, sich in dieser Partie noch großartig anzustrengen. Vor allem Stürmer Robin van Persie hatte einige Torchancen, vergab aber stets ziemlich kläglich. Kurz nach der Pause war es Robben aber wohl zu langweilig geworden. In der 50. Minute setzt er erneut zu einem Dribbling an und es folgt fast die Kopie des ersten Tores, wenn der slowakische Torwart Jan Mucha nicht sehr gut pariert hätte. Kurz darauf passt Robben zu Joris Mathijsen in den Strafraum, doch bei seinem Schuss ist Mucha erneut zur Stelle. Während die Holländer danach wieder in den Kontroll-Modus übergehen, wachen auf einmal die Slowaken auf. In der 67. Minute haben sie gleich zweimal die große Möglichkeit den Ausgleich zu erzielen, doch Miroslav Stoch und Robert Vittek scheitern mit ihren Schüssen an Hollands Keeper Martin Stekelenburg. Zehn Minuten später ist Vittek erneut in guter Position, schießt aber drüber. Der Ausgleich war den Slowaken nicht vergönnt und als Sneijder einen Konter zum 2:0 abschließt, war die Partie entschieden. Vitteks Elfmeter in der Nachspielzeit zum 1:2 nach einem Foul Stekelenburgs an Martin Jakubko war nur noch Ergebniskosmetik. Robben stand da schon nicht mehr auf dem Platz. Trotzdem war dieses Spiel vor allem seine One-Man-Show. Sollte er so weitermachen, kann er dieses Turnier so prägen wie es seit Diego Maradonna 1986 kein einzelner Spieler mehr getan hat. Damals reichte es einem ansonsten durchschnittlichen Argentinien zum Titel.
Constantin Wissmann
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Die EU-Kommission entdeckt die Forscherinnen - taz.de
Die EU-Kommission entdeckt die Forscherinnen ■ Bisher spielte die Förderung von Wissenschaftlerinnen in den europäischen Forschungsprogrammen keine Rolle. Das soll sich jetzt ändern, sagt die EU-Kommission Pünktlich zur Auftaktkonferenz des 5. Forschungsrahmenprogramms in Essen legte die EU- Kommission das Dokument „Frauen und Wissenschaft“ vor. Zwar konstatiert es vorwiegend Altbekanntes: Je höher die Hierarchieebene, desto weniger Wissenschaftlerinnen verirren sich zwischen die Platzhirsche des Forschungsreviers. Dennoch ist das Kommissionspapier eine Neuerung: Bisher hatten dergleichen traurige Zustände niemanden im Betrieb der europäischen Forschungsförderung interessiert. Nicht einmal Informationen darüber, wie viele Frauen sich an den bisher aus Brüssel geförderten Projekten beteiligten, gibt es. Das 4. Forschungsrahmenprogramm sah nicht vor, solche Daten zu erheben. Auch in dem vor einem Jahr von der EU-Kommission vorgelegten Bericht zur Chancengleichheit finden Frauen in der Wissenschaft – anders als ihre Kolleginnen aus Justiz, Wirtschaft oder Medien – keine Erwähnung. Nun aber heißt es: „Die Forschung von, für und über Frauen muß gefördert werden.“ Die EU- Kommissarin für Bildung und Forschung, Edith Cresson, hob in Essen hervor: Im Vertrag von Amsterdam hat der Aspekt Chancengleichheit ein besonderes Gewicht. So erhalten die Unterzeichnerstaaten künftig das Recht, im Arbeitsleben spezifische Vergünstigungen für das unterrepräsentierte Geschlecht zu gewähren. In einer Rede vor dem Komitee für Frauenrechte des Europaparlaments betonte auch der EU-Kommissar Padraig Flynn kürzlich die Bedeutung solcher „positiver Aktionen“. Für das 5. Forschungsrahmenprogramm wird als Ziel ein Frauenanteil von 40 Prozent an Stipendien, bei der Durchführung von Programmen und in Gutachtergremien genannt. Wie dies zu verwirklichen ist, bleibt vage. Als es letztes Jahr darum ging, die Sachverständigengruppen zu besetzen, waren unter den von den EU-Staaten vorgeschlagenen KandidatInnen gerade mal 9 Prozent Frauen. Und bei den einflußreichen Gremien, die dem jetzt gebildeten Europäischen Forschungsforum vorausgingen (European Science and Technology Assembly und Industrial Research and Development Advisory Committee) betrug der Frauenanteil lediglich 6,7 beziehungsweise 0 (!) Prozent. In dem Forschungsforum, das die EU- Kommission berät, soll künftig mindestens ein Drittel der Mitglieder weiblich sein. Doch auch das Ende Februar in Essen vorgelegte Papier „Frauen und Wissenschaft“ enthält, neben ehrenwerten Vorsätzen, vor allem die üblichen Formulierungen: „so weit wie möglich“, „wird angestrebt“. Wissenschaftlerinnen werden „erwähnt“, „ermuntert“ und „zur Bewerbung aufgefordert“. Barbara Bludau, Generalsekretärin der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), ist damit nicht zufrieden. Sie forderte auf einer Podiumsdiskussion während der Essener Konferenz, das Thema sehr viel konkreter anzupacken: Wer Frauen in wissenschaftlichen Führungspositionen wolle, müsse dafür Stellen schaffen. Als Beispiel führte sie das „Sonderprogramm zur Förderung herausragender Wissenschaftlerinnen“ an, für das die MPG zehn nach C3 besoldete Professuren zusätzlich einrichtete. Demnächst soll es gar, ebenfalls befristet, zehn volle Professorenstellen (C4) zwecks Frauenförderung geben. Ein solches „affirmative action“-Programm sei notwendig, um eine „kritische Masse“ zu schaffen, so Bludau. Nur dann könne sich eine „andere Kultur“ im Wissenschaftsbetrieb entwickeln, könnten Frauen Netzwerke bilden und an Einfluß gewinnen. Bislang ist es damit bekanntlich nicht weit her: In einem Überblick über die Bemühungen der EU- Mitgliedsstaaten, Frauen in der Wissenschaft zu fördern, wird der Anteil von 5 Prozent Professorinnen in Deutschland als „sehr gering“ bewertet. In Italien ist immerhin jede zehnte Professorenstelle mit einer Frau besetzt. Doch das könnte auch damit zusammenhängen, so die italienische Wissenschaftlerin Rosanna D'Amario auf der EU-Konferenz „Frauen und Wissenschaft“ vor einem knappen Jahr in Brüssel, daß solche Stellen dort oft schlecht dotiert sind. Zur Lage in Deutschland wies Wissenschaftsministerin Edelgard Bulmahn darauf hin, daß ihr Etat erstmals einen eigenen Haushaltstitel „Frauen und Forschung“ von 7,5 Millionen Mark aufweist. Angesichts der Steigerung des gesamten Bildungs- und Wissenschaftsetats um 904 Millionen auf 15 Milliarden Mark kein allzu hoher Betrag. Schwerer könnte, wenn sie denn umgesetzt wird, eine andere Ankündigung der Ministerin wiegen: „Ich habe vor, den Anteil von Frauen an Leitungsstellen zu einem Parameter für die Mittelzuweisung zu machen.“ Keine Frauen in Führungspositionen, kein Geld – das könnte manchen Institutsdirektor ins Grübeln bringen. Konkret wurde auf EU- Ebene bisher nur eines: Ab sofort wird das Geschlecht der Antragsteller auf Fördermittel systematisch erfaßt. Entscheidend aber ist, so Barbara Bludau, ob wir am Ende des 5. Forschungsrahmenprogramms nicht nur über mehr Wissen über die Benachteiligung von Frauen in der Forschung verfügen, sondern ob sich dann Tausende von Wissenschaftlerinnen in guten Positionen befinden. Wiebke Rögener
Wiebke Rögener
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Frankreich vor der Präsidentschaftswahl: Fillon sackt ab - taz.de
Frankreich vor der Präsidentschaftswahl: Fillon sackt ab Die Satire-Zeitung „Le Canard enchaîné“ legt nach: Penelope Fillon hat viel mehr Geld kassiert als bekannt. Der Gatte schwächelt in Umfragen. François Fillon sagt von seiner Frau Penelope: „Aber die hat doch gar nichts gemacht“ Foto: reuters PARIS taz | Offiziell stehen die konservativen Republikaner noch geschlossen hinter ihrem Präsidentschaftskandidaten François Fillon, der sich seit einer Woche wegen des Verdachts auf Unterschlagung öffentlicher Gelder rechtfertigen muss. Hinter seinem Rücken aber wird über eine Ersatzlösung getuschelt. Die Namen ehemaliger Minister wie François Baroin, Xavier Bertrand oder Laurent Wauquiez zirkulieren. Denn es sieht nicht gut aus für Fillon. In einer jüngsten Wahlumfrage liegt Fillon mit 19 bis 20 Prozent hinter dem Linksliberalen Emmanuel Macron (23) und der Rechtspopulistin Marine Le Pen (27), die ebenfalls von Fillons Absturz profitiert. Seine empörten Unschuldsbeteuerungen und seine schwache Verteidigung haben auch seine Anhänger nicht überzeugt. Mehrere Angaben, die Fillon zu seiner Rechtfertigung gemacht hat, erwiesen sich sogar als offensichtlich falsch und somit kontraproduktiv. Im Zentrum des Skandals steht weiterhin seine sonst so diskrete Gattin Penelope. Fillon hatte sie als seine Assistentin mit den staatlichen Subventionen als Abgeordneter und Senator angestellt und bezahlt. Bisher existieren keine Hinweise auf ein echte Arbeit von Madame Fillon. Dubiose Beraterfirma F2 Die Wochenzeitung Le Canard enchaîné hat zusätzliche Enthüllungen publiziert und den kassierten Gesamtbruttobetrag auf 900.000 Euro erhöht. Auch zwei seiner (noch studierenden) Kinder hatte Fillon mit 84.000 Euro brutto für eine angebliche parlamentarische Mitarbeit bedacht. Ferner soll Penelope Fillon als Beraterin in 20 Monaten rund 100.000 Euro brutto von einem mit ihrem Mann befreundeten Besitzer einer Kulturzeitschrift als „literarische Beraterin“ bezogen haben. Und der Canard publizierte auch noch die erstaunlichen Geschäftsergebnisse der 2012 von Fillon gegründeten Beratungsfirma 2F, deren anonyme Kunden ihm rund eine Million Euro für seine Dienste bezahlt haben. Als Antwort auf all die Enthüllungen, die auch im eigenen Lager für große Verunsicherung sorgen, hat Fillon nur eine moralisch entrüstete Gegenattacke. Es handle sich um einen „institutionellen Staatsstreich von links“, sagte er vor der LR-Parteiführung. Regierungssprecher Stéphane Le Foll dementierte umgehend diese Behauptung als absurd und riet Fillon, der allein zuständigen Justiz glaubwürdige Auskünfte zu geben. Fillon wird es kaum trösten, dass er nicht der Einzige ist, der derzeit attackiert wird. Auch Marine Le Pen hat sich geweigert, dem EU-Parlament 340.000 Euro zurückzuzahlen, die sie – entgegen den Bestimmungen – für die Bezahlung ihrer Sekretärin und ihres Leibwächters verwendet hat. Jetzt kann das EU-Parlament ihr Gehalt pfänden.
Rudolf Balmer
Die Satire-Zeitung „Le Canard enchaîné“ legt nach: Penelope Fillon hat viel mehr Geld kassiert als bekannt. Der Gatte schwächelt in Umfragen.
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Kolumne Generation Camper: Pioniere der Langsamkeit - taz.de
Kolumne Generation Camper: Pioniere der Langsamkeit Die Raststätte „eine schillernde kleine Stadt“ für die Schriftsteller Julio Cortazar und Carol Dunlop. Für andere ein finsterer Ort. Nachts vor Mailand Foto: Imago/IPA Unter den verrückten Expeditionen dieser Welt war die VW-Bus-Reise der beiden Schriftsteller Julio Cortazar und Carol Dunlop (1982) garantiert die verrückteste: 33 Tage lang auf der Autobahn Paris–Marseille von Rastplatz zu Rastplatz. Aber das literarische Ergebnis war großartig: „Die Autonauten auf der Kosmobahn“, so der Titel, sind bis heute ein wunderbar ironisch-poetischer Reisebericht und eine Ethnografie aus no-man’s-land, von Orten also, die man bestenfalls zum Pinkeln, Essenfassen, Auftanken aufsucht. Nicht so Cortazar und Dunlop: Perfekt haben sie ihre Forschungsreise vorbereitet und penibel führen sie ihr Bordtagebuch. An ihren Reiseschreibmaschinen arbeiten sie so konzentriert wie auf echter Fahrt am Ende der Welt. Und bald fiebert man mit, wenn endlich mal eine Autobahnraststätte auf dem Plan steht und wie ein Vorposten der Zivilisation Begehrlichkeiten weckt und Hochgenüsse verspricht. Etwa eine ausgiebige Dusche, bombastisches Essen und, der Gipfel des Luxus, ein richtiges Bett in einem Motel. Im nützlichen Sortiment der Tankstellenmärkte stocken sie ihre Vorräte auf. Aber spannend ist vor allem ihre andere Sicht auf diese Ruhepole: in den Raststätten trifft sich nämlich tout le monde und holt Luft von der verrückten Raserei auf der Autobahn. Es sind Orte internationaler Begegnungen, eigentlich viel zu schade für den kurzen Klogang oder den Sekundenschlaf. Und wenn erst die Dunkelheit einsetzt, dann, so die Autonauten, lasse sich Nacht für Nacht der Entstehung einer „schillernden kleinen Stadt“ beiwohnen, „die nur einmal existieren wird, um am nächsten Tag durch eine ähnliche, aber doch andere abgelöst zu werden“. Meine Camperfreunde winken ab. Sie finden jeden finsteren Ort abseits der Autobahn sicherer. Sie argumentieren mit kriminellen Banden, Angriffen, Einbruch, Prostitution. Gern beherzige ich ihre Ratschläge. Aber immer trödele ich auf Raststätten herum. Die Abfahrt fällt mir schwer. Das ist die Schuld der Literatur.
Christel Burghoff
Die Raststätte „eine schillernde kleine Stadt“ für die Schriftsteller Julio Cortazar und Carol Dunlop. Für andere ein finsterer Ort.
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Der investigative Politiker - taz.de
Der investigative Politiker Ahmet Şık ist einer der prominentesten Journalisten der Türkei. Ihm drohen mehr als sieben Jahre Haft. Nun sitzt er für die HDP im Parlament – und bereitet sich auf die Arbeit vor wie für die nächste große Enthüllung In seinem Wahlkampf­büro in Istanbul verfolgt Ahmet Şık die Ergebnisse der türkischen Parlaments­wahl am 24. Juni 2018 Foto: Mehmet Kacmaz/NarPhotos/laif Aus Ankara İrfan Aktan Ahmet Şıksitzt in einem Café am Şili-Platz, etwas oberhalb des Geländes des türkischen Parlaments in Ankara. Immer wieder wird er von Café­besuchern erkannt, und wir werden im Gespräch unterbrochen. Ein Mann kommt an den Tisch, er stellt sich als Professor vor, der per Notstandsdekret entlassen wurde. Der Professor lächelt und fragt Şık: „Und, was wollen Sie für uns tun?“ Şık reagiert mit einer Gegenfrage: „Wir werden etwas tun, nur was, ja, was meinen Sie denn, was wir unter so einem Regime tun können?“ Während Şık erzählt, wie begrenzt seine Möglichkeiten als Abgeordneter sind, raucht er eine Zigarette nach der anderen. Er holt tief Luft und stellt sich selbst auch immer wieder diese Frage: „Was sollen wir denn machen? Wie sollen wir ein Parlament ausfüllen, das sie ausgehöhlt haben?“ Ahmet Şık, einer der prominentesten Investigativjournalisten der Türkei und Symbolfigur für die Repressionen gegen Journalisten, ist in die Politik gegangen. Bei den Wahlen am 24. Juni wurde er als Abgeordneter von Istanbul für die kurdisch-linke HDP ins Parlament gewählt. Vor ihm liegt keine leichte Aufgabe: Er zieht in ein Parlament ein, das im Präsidialsystem alla turca seiner Funktion beraubt wurde. Angesichts dessen fragen sich die Abgeordneten der Opposition besorgt, wie sie überhaupt noch wirksame Politik machen sollen. Auf Şık liegen nun die Hoffnungen derer, die nicht die AKP gewählt haben. „Auch im Parlament werde ich die Dinge beim Namen nennen“, sagt er mir und schiebt schnell hinterher, es sei ihm aber bewusst, dass im neuen System ein Abgeordneter im Parlament nicht viel mehr tun kann, als „Krach“ zu schlagen. Şık hat in der Nähe des Parlaments in Ankara eine Wohnung angemietet. Seine Frau, seine Tochter, die Jura studiert, und sein Hund Pablo bleiben in Istanbul zurück. Seinen Arbeitsschwerpunkt sieht er trotzdem in den Armenvierteln seines Wahlbezirks in Istanbul, dort will er Anlaufstellen einrichten, in denen die Bürger ihre Probleme vorbringen können. „Wir müssen Politik auf der Straße machen, konkrete Lösungen entwickeln und dabei die Armen, die für die AKP gestimmt haben, miteinbeziehen“, sagt er. Wird das funktionieren? „Das ist schwierig, aber nicht unmöglich.“ Das Parlament nimmt zwar erst im Oktober wieder offiziell die Arbeit auf, Şık wühlt sich aber jetzt schon durch zahllose Formulare. Von überall her erreichen ihn Mails, Beschwerden, Informationen. „Ich notiere sie alle. Ich werde ins Parlament tragen, worüber die Journalisten nicht berichten können.“ Şık ist davon überzeugt, dass effektiver Widerstand gegen das Regime nur mit Medien möglich ist, die über die Fakten berichten. Deshalb will er als Abgeordneter Projekte unterstützen, die unabhängige Medien stärken. Als regierungskritischer Journalist hat er erfahren, welchen Preis es in der Türkei kostet, Fragen zu stellen. İrfan Aktan, 36, arbeitet als Journalist. Er kennt Ahmet Şık seit 16 Jahren und hat ihn am Wendepunkt zwischen Journalismus und Parlament begleitet. Unbequem, prinzipientreu Ahmet Şıks Geschichte ist eine sämtlicher Hindernisse, die dem unabhängigen Journalismus in der Türkei im Wege stehen. Schon in den ersten Jahren seiner Karriere erlebte er in seinem nächsten Umkreis, wie gefährlich es ist, in der Türkei Journalist zu sein: Sein enger Freund, der Evrensel-Journalist Metin Göktepe, wurde im Januar 1996 nach der Teilnahme an einer Beerdigung zweier in der Haft getöteter Gefangener von Polizisten so brutal zusammengeschlagen, dass er noch am selben Tag an seinen Verletzungen starb. Şıks Kampf für die Pressefreiheit begann als Organisator von Protesten, bei denen er forderte, die Mörder seines Freundes zur Rechenschaft zu ziehen. Unter früheren Kollegen gilt Şık als unbequem, als einer, der es zu seinem Prinzip erhoben hat, sich Ungerechtigkeiten zu widersetzen. International bekannt wurde der Journalist durch sein Buch „Die Armee des Imam“ von 2010, in dem er schildert, wie sich die Gülen-Bewegung, damals noch enger Bündnispartner der AKP, in den staatlichen Strukturen organisiert. Es wurde beschlagnahmt, noch bevor es ganz fertig war. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sagte über das unveröffentlichte Buch, es sei „gefährlicher als eine Bombe“. Sein Autor musste 2011 dafür ins Gefängnis. Ende 2013, kurz nachdem Şık aus der Untersuchungshaft entlassen worden war, kam es zum Bruch zwischen AKP und Gülen-Bewegung. Die Staatsanwälte, die Şık damals ins Gefängnis geworfen hatten, kamen nun selbst hinter Gitter. Der Machtkampf zwischen der AKP und der Gülen-Bewegung kulminierte im Putschversuch am 15. Juli 2016. Fünf Tage später rief die türkische Regierung den Ausnahmezustand aus, der erst kürzlich aufgehoben wurde. In diesem Zeitraum verloren mehr als 150.000 Menschen ihren Job, rund 75.000 Menschen wurden festgenommen. Am 28. Dezember 2016 wurde auch Ahmet Şık aus seiner Wohnung heraus erneut festgenommen. Diesmal lautete der Vorwurf, mit Zeitungsmeldungen die Gülen-Bewegung unterstützt zu haben. Während sich die Angeklagten im Cumhuriyet-Prozess im Gerichtssaal zurückhielten, um wegen guter Führung eine Strafminderung zu bekommen, bezeichnete Ah­met Şık den Staat in seiner Verteidigung als „Mafia“ und sagte, dass die Richter, die ihn verurteilten, eines Tages selbst zur Rechenschaft gezogen würden. Nach 15 Monaten in Untersuchungshaft kam er im März 2018 frei, der Prozess gegen ihn dauert an. Seinen Mut und seine Kompromisslosigkeit habe Ahmet von seiner Mutter, sagt Bülent Şık über seinen Bruder. „Mein Vater ist kompromissbereit und nachgiebig. Aber meine Mutter legt sich in Konflikten mit ihren Gegnern an“, erzählt er am Telefon. Bülent Şık ist Akademiker, während des Ausnahmezustands wurde er per Notstandsdekret suspendiert. Er denkt, dass sein Onkel, der Anwalt Ahmet Albay, der am 17. April 1980 ermordet wurde, Ahmet Şık beeinflusst hat. Ahmet Albay war einer der Nebenklage-Anwälte im Fall des Pogroms von Kahramanmaraş, bei dem mehr als 100 Angehörige der alevitischen Glaubensgemeinschaft umgebracht wurden. Am 17. April 1980, Albay hatte gerade sein Büro verlassen und stieg in sein Auto, wurde er von einer Kugel im Rücken getroffen. Er starb am 3. Mai, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit. Der 3. Mai, sagt Ahmet Şık, sei für ihn deshalb ein Tag von doppelter Bedeutung. Er war damals zehn Jahre alt. Ein halbes Jahr nach dem Mord kam es zum Militärputsch, viele Menschen aus dem Umfeld der Familie Şık seien verhaftet worden, erzählt Bülent Şık. „Was wir in dieser Zeit erlebt haben, war ein Einschnitt für uns. Unsere Familie war immer politisch.“ „Wer gegen das System ist und das laut ausspricht, lebt gefährlich“ Ahmet Şık Als Ahmet Şık im März freigelassen wurde, wollte er seine Arbeit wieder aufnehmen. Doch er habe sehr bald erkannt, dass er in dem repressiven Klima seinen Beruf de facto nicht länger ausüben konnte, sagt er mir. Er erzählt von seinen Quellen, die sich nicht mehr trauten, seine Anrufe entgegenzunehmen, geschweige denn, ihm Informationen zuzutragen. Während er noch überlegt habe, was er in der ausweglos scheinenden Lage tun könne, kam das Angebot von der HDP. Er zögerte kurz, stimmte dann aber zu, bei den Wahlen für das Parlament zu kandidieren. Unterstützt von befreundeten Journalisten und seiner Frau Yonca Şık, stürzte er sich in den Wahlkampf, reiste durch das Land, trat im südosttürkischen Diyarbakır vor 100.000 Menschen auf und saß in Istanbul in den demokratischen Parkforen, die während der Gezi-Proteste entstanden waren. Am 24. Juni wurde er als Abgeordneter für die HDP ins Parlament gewählt. Zu unserem Treffen in Ankara kam er aus Soma, wo am 13. Mai 2014 301 Grubenarbeiter umgekommen waren. Früher beobachtete er den Prozess zur Grubenkatastrophe als Journalist, nun als Abgeordneter. Jetzt schon verbringt Şık einen Großteil seiner Zeit auf Reisen im ganzen Land. Gleich nach unserem Treffen brechen wir zum Flughafen auf, er muss nach Antalya. Vor dem VIP-Salon des Flughafens sagt er, ein paar Mal sei er auf dem Motorrad seines Beraters hergekommen: „Wenn man nicht im Anzug und per Dienstwagen vorfährt, glauben die gar nicht, dass man Abgeordneter ist.“ Auch wenn Şık scherzt wie früher, weiß er genau, dass die Last auf seinen Schultern jetzt viel schwerer wiegt. Wie soll er einen Diskurs entwickeln, der die Wähler*innen von HDP und CHP zugleich anspricht und dabei dem Druck der Regierung standhält? Wie soll er den Kampf, den er bisher als unabhängiger Journalist führte, jetzt im Rahmen kollektiver Politik fortsetzen? Auf dem Flughafen läuft uns Mutlu Öztürk über den Weg. Der Mitgründer der HDP denkt, dass es für Ahmet Şık nicht leicht werden wird im Parlament. „Jetzt braucht die HDP Mut, strategischen Verstand und Geduld. Dass Ahmet Şık über Mut verfügt, hat er im Laufe der Jahre immer wieder bewiesen. Der Name Ahmet Şık und das Wort Geduld gehen allerdings nur schwer zusammen“, sagt Öztürk. Ob die Entscheidung richtig war, meint Şık, müsse die Zeit erweisen. Fühlt er sich nun sicherer mit der Immunität durch den Abgeordnetenstatus? Er lächelt. „In der Türkei gibt es keine Rechtssicherheit, und niemand kann sich seines Lebens sicher sein. Wer gegen das System ist und das laut ausspricht, lebt gefährlich.“ Wenige Tage später kommt es im türkischen Parlament zum Eklat. In der letzten Sitzung vor der Sommerpause hält Ahmet Şık seine erste Rede als Abgeordneter. Er wirkt aufgeregt, spricht so schnell, dass sich seine Worte fast überschlagen. Die Hände auf das Rednerpult gestemmt, attackiert Şık die Regierung scharf. „Wir müssen darüber diskutieren, ob Ihre Regierung legitimiert ist und ob das, was Sie machen wollen, rechtmäßig ist“, liest er von seinem Skript vor, ohne aufzublicken. „Mit diesem neuen Gesetzesentwurf, den Sie uns vorgelegt haben, sind Sie nicht mehr als eine schlechte Karikatur der Putschisten.“ Im Publikum gibt es erste Zwischenrufe. Er bringt das Grubenunglück in Soma zur Sprache und die inhaftierten HDP-Mitglieder. Als er der Regierung vorwirft, unmoralisch zu sein, eskaliert die Lage. Mehrere AKP-Abgeordnete unterbrechen ihn mit Zwischenrufen und stürmen das Podium. Der Parlamentspräsident schaltet Şık das Mikrofon ab. Ab Oktober will Şık weitermachen. Übersetzung: Sabine Adatepe
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Ahmet Şık ist einer der prominentesten Journalisten der Türkei. Ihm drohen mehr als sieben Jahre Haft. Nun sitzt er für die HDP im Parlament – und bereitet sich auf die Arbeit vor wie für die nächste große Enthüllung
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Olympia Tag 16 – Der letzte Vormittag: Zu Bronze geschrien - taz.de
Olympia Tag 16 – Der letzte Vormittag: Zu Bronze geschrien Marathonläufer Stephen Kiprotich holt das erste Gold für Uganda. Der kroatische Handballtrainer schreit seine Jungs zu Bronze. Und Lena Schönborn muss noch ganz schön ackern. Die kroatischen Handballer sind ziemlich gut – aber ohne die Schreie des kroatischen Trainers wahrscheinlich nur halb so gut Bild: reuters Der Wettkampf des Vormittags: Der Marathon. Am letzten Tag herrschen in London Temperaturen, die man dort gar nicht gewohnt ist: 24 Grad und Sonnenschein. Und ausgerechnet an diesem Tag findet der Marathon der Männer statt. Dieser Wettbebwerb ist schon hart genug und der längste sowieso: Die Strecke hat 42,195 Kilometer. Der 35 Jahre alte Südafrikaner Coolboy Ngamole kollabiert in der Schlussphase und liegt völlig erschöpft am Straßenrand. Mehrere andere Läufer sinken nach dem Überqueren der Ziellinie völllig ausgelaugt in sich zusammen. Der Sieger Stephen Kiprotich aus Uganda läuft trotzdem den kenianischen Favoriten davon. Er setzt sich fünf Kilometer vor Schluss entscheidend ab und kommt nach 2:08,01 Stunden ins Ziel am Buckingham Palace. „Das bedeutet mir viel“, sagt der Olympiasieger später. „Seit 1972 haben wir keine Goldmedaille mehr gewonnen, jetzt sind alle sehr glücklich.“ Der Athlet des Vormittags: Der kroatische Handballtrainer Slavko Goluza. Der Mann ist schon in der ersten Pause des Spiels um Bronze völlig heiser, schreit aber immer noch die ganze Halle zusammen, wenn seine Spieler Mist bauen – und zwar bis zum Schluss. Dabei spielen die Kroaten ein souveränes Match, gewinnen am Ende deutlich mit 33:26 gegen die Ungarn. Der Fehlstart des Vormittags: Lena Schönborn, Rekordhalterin und Olympiasiegerin des Modernen Fünfkampfs von 2008 liegt nach der ersten Disziplin Fechten nur auf Platz 11 und 144 Punkte hinter der führenden Lettin Elena Rublevska. Nach dem Schwimmen sieht es noch schlechter aus: Platz 16. In Sekunden umgerechnet hat sie damit einen Rückstand von 38 Sekunden auf die nun Erstplatzierte Adrienn Toth aus Ungarn. Für die 26-Jährige wird es noch ein ganz schön anstrengender Arbeitstag werden, will sie an Ihre früheren Erfolge anknüpfen. Die zweite Deutsche Annika Schleu konnte sich nach dem Schwimmen um einen Platz auf Rang 30 verbessern und liegt über eine Minute hinter der Führenden. Die Schlussfolgerung: Der Vormittag des letzten Olympiatages lässt sich etwas gemächlich an. Wie sich das für einen Sonntagvormittag eben gehört. Wer noch? Im Spiel um Platz 3 beim Volleyball der Männer holt Italien gegen Bulgarien Bronze mit 3:1 Sätzen (25:19, 23:25, 25:22, 25:21). Russland holt sich ebenfalls Bronze im Basketball der Männer. In einem dramatischen Spiel besiegen sie Argentinien knapp mit 81:77. Boxen, Fliegengewicht bis 52 Kilo (Männer): Gold: Robeisy Ramírez (Kuba) | Silber: Nyambayar Tugstsogt (Mongolei) | Bronze: Michael Conlan (Irland) und Mischa Alojan (Russland) Boxen, Leichtgewicht bis 60 Kilo (Männer): Gold: Wassyl Lomatschenko (Ukraine) | Silber: Han Soonchul (Südkorea) | Bronze: Yasniel Toledo (Kuba) und Evaldas Petrauskas (Litauen) Ringen, Freistil, Leichtgewicht bis 66 Kilo (Männer): Gold: Tatsuhiro Yonemitsu (Japan) | Silber: Sushil Kumar (Indien) | Bronze: Akschurek Tanatarow (Kasachstan) und Liván López (Kuba) Leichtathletik, Marathonlauf (Männer): Gold: Stephen Kiprotich (Uganda) | Silber: Abel Kirui (Kenia) | Bonze: Wilson Kipsang Kiprotich (Kenia)
Doris Akrap
Marathonläufer Stephen Kiprotich holt das erste Gold für Uganda. Der kroatische Handballtrainer schreit seine Jungs zu Bronze. Und Lena Schönborn muss noch ganz schön ackern.
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Städtebau: Neue Mitte Altona kriegt Profil - taz.de
Städtebau: Neue Mitte Altona kriegt Profil Oberbaudirektor stellt Entwürfe für ersten Bauabschnitt vor. Sechs- bis siebenstöckige Bebauung vorgesehen. Die Fertigstellung ist für Frühjahr 2017 geplant. Wie das Kind einer Familie: Einer der Siegerentwürfe für die Neue Mitte Altona. Bild: Czerner-Göttsch-Architekten Die Neue Mitte Altona, zweitgrößtes Bauprojekt der Stadt nach der Hafencity, erhält Konturen. Am Mittwoch stellte Oberbaudirektor Jörn Walter die Ergebnisse des städtebaulichen Wettbewerbs für den ersten Planabschnitt – zwei Blöcke nördlich des vorgesehenen neuen Stadtteilparks an der Harkortstraße – vor. Fünf der zehn Architekturbüros, die Entwürfe eingereicht haben, wurden ausgewählt, gemeinsam mit dem Projektentwickler Formart ihre Ideen zu realisieren. „Jetzt wird es endlich konkret“, freute sich Walter. Vorgegeben waren von der rund 50-köpfigen Jury, zu der neben Behördenabgesandten, Investoren und Politikern auch Bürgervertreter gehörten, die Baumasse, ein grober Grundriss der viereckigen Blöcke und auch einige ästhetische Kriterien. So sollen die Fassaden in hellen Tönen, etwa weiß oder sandsteinfarben gestaltet sein und sechs bis sieben Stockwerke einkleiden. „Aus dieser Höhe kann eine Mutter noch das Gesicht ihres spielenden Kindes erkennen“, sagte Jurychef Bernhard Winking – ein praktischer Grund für die projektierte Geschosszahl. 19.000 Quadratmeter Geschossfläche sollen in den beiden ersten Blöcken entstehen und Platz für rund 150 Eigentumswohnungen bieten. Unterschiedliche Entwürfe, die aber optisch miteinander harmonisieren, sollen dabei Seite an Seite realisiert werden. Keine Einheitsarchitektur aber auch kein architektonischer Gemischtwarenladen – lautete die Devise. „Wir wollten unterscheidbare Fassaden, die kombinierbar sind zu einem schlüssigen Gesamtbild“, hob Jurychef Bernhard Winking hervor und prognostizierte: „Die Häuser werden alle ein wenig unterschiedlich, aber trotzdem wie Kinder aus einer Familie aussehen.“ Neue Mitte AltonaGebietsgröße gesamt: ca.75 Hektar. Bauabschnitte: In einer ersten Baustufe für die Neue Mitte Altona sollen zunächst rund 1.600 Wohnungen entstehen. Geplante Wohneinheiten: 3.500 bis 4.000 in beiden Baustufen, die vollständig erst nach der Verlagerung des Fernbahnhofs von Altona nach Diebsteich realisiert werden können. Geplante Freifläche: 8 Hektar. Planungsinstrumente: Vorbereitende Untersuchungen (nach § 165 Bau GB), städtebaulicher und landschaftsplanerischer Wettbewerb 2010, Masterplan, Architektenwettbewerb für den ersten Bauabschnitt. Sämtliche prämierten Architekturbüros kommen aus Hamburg, während die ebenfalls vertretenen Mitbewerber aus München und Darmstadt bei den Preisen leer ausgingen. Bei den Entwürfen der Architektenbüros Czerner/Göttsch (Abbildung) und Böge/Lindner gefiel den Juroren vor allem die städtebauliche Gesamtkonzeption, während die drei übrigen ausgewählten Büros einzelne Entwürfe auf der Altonaer Freifläche verwirklichen sollen. Die Abrissarbeiten auf dem Gelände des früheren Altonaer Güterbahnhofs und auf ehemaligen Brauerei-Flächen laufen seit einigen Wochen. Große Teile der Umladehalle und der Randbebauung an der Harkortstraße sind bereits verschwunden. Nachdem die laufende Bodendekontamination und die Erschließung des Baugeländes abgeschlossen ist, sollen Ende des Jahres die Bauanträge eingereicht und im kommenden Sommer die Hochbauarbeiten beginnen. Läuft alles glatt, werden im Frühjahr 2017 die ersten Bewohner in die neuen Häuser einziehen können. Die Wettbewerbsbeiträge werden noch bis zum 7. August im Kollegiensaal des Altonaer Rathauses ausgestellt; Öffnungszeiten: Mo–Do, 8–17 Uhr; Fr, 8–16 Uhr
Marco Carini
Oberbaudirektor stellt Entwürfe für ersten Bauabschnitt vor. Sechs- bis siebenstöckige Bebauung vorgesehen. Die Fertigstellung ist für Frühjahr 2017 geplant.
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Wahl von AfD-Delegierten annulliert: „Irreparabler schwerer Wahlfehler“ - taz.de
Wahl von AfD-Delegierten annulliert: „Irreparabler schwerer Wahlfehler“ Beatrix von Storch hat Personen auf eine eigentlich geschlossene Wahlliste setzen lassen. Das Berliner AfD-Landesschiedsgericht annullierte die Wahl. Es gibt mal wieder Betrugsvorwürfe gegen Beatrix von Storch (AfD) Foto: Christophe Gateau/dpa BERLIN taz | Zwischen Hinterzimmerabsprachen und Wahlbetrug dürfte anzusiedeln sein, was Beatrix von Storch am 13. Juni 2021 auf dem Delegiertenparteitag der AfD Berlin veranstaltet hat. Das Landesschiedsgericht stellte per Urteil fest, dass der Parteitag umsonst gewesen ist und erklärte ihn für nichtig. Eine Kandidatin aus Charlottenburg-Wilmersdorf fühlte sich nach der undemokratischen Intervention des Bundesvorstandsmitglieds von Storch benachteiligt und war dagegen vorgegangen. Die prominente Berliner Bundestagsabgeordnete von Storch soll per Zuruf im „Backoffice“ des Parteitags drei weitere Kandidaten auf eine geschlossene Bewerberliste gemogelt haben. Oder wie es im Urteil heißt: „In der Sache handelte es sich um eine unzulässige Änderung einer vom Parteitag bereits beschlossen Bewerberliste“, wie der Tagesspiegel zitiert, der zuerst über das Urteil berichtete. Bereits im November erging gegen die AfD eine einstweilige Verfügung, nach der diese die Delegierten nicht zum später abgesagten Parteitag nach Wiesbaden schicken durfte. Die drei mit dem Urteil befassten Schiedsrichter werten von Storchs Eingriff als „sowohl schweren als auch irreparablen Wahlfehler“, mit nachhaltigen Auswirkungen auf die gesamte Delegiertenwahl. Das Schiedsgericht empfahl, einen neuen Delegiertenparteitag durchzuführen – um eine reguläre Aufstellung zu gewährleisten. Dafür allerdings bleibt kaum Zeit: Die AfD trifft sich bereits am 17. Juni im sächsischen Riesa zum richtungsweisenden Bundesparteitag, wo der Parteivorstand neu gewählt wird. Gut möglich, dass von Storch, selbst im Bundesvorstand, mit der undemokratischen Intervention ihren Stand auf dem Parteitag verbessern wollte. Rückblickend dürfte sie ihr Vorgehen allerdings belasten. Und die im Juni 2021 gewählten Delegierten müssen wohl auch zu Hause bleiben. Kein Popup-Parteitag Schwein hat die AfD Berlin aber insofern, als dass sie aufgrund einer Coronasonder­regelung bis zum 31. August 2022 auch früher gewählte Delegierte auf Parteitage schicken darf. Eine – 2019 gewählte – Delegation aus Berlin wird an dem Parteitag womöglich vertretungsweise teilnehmen dürfen. Einen kurzfristigen Delegiertenparteitag noch vor Riesa wird es aber nicht geben, sagte die AfD-Landeschefin und Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus, Kristin Brinker, der taz. Sie wollte das Urteil nicht kommentieren, nannte den mutmaßlichen Wahlbetrug lediglich „Altlasten“. Wie der Vorstand mit dem Urteil umgeht, sei noch offen, so Brinker: „Wir werden auf jeden Fall mit Delegierten auf dem Parteitag sein – ob mit den alten oder den neuen, prüfen wir gerade.“ Von Storch, als Antifeministin nicht gerade für leise Töne bekannt, übte nach dem Urteil Richterschelte: „Das Landesschiedsgericht stellt Sachverhalte falsch dar und zieht rechtlich nicht haltbare Schlussfolgerungen“, so von Storch, ohne nähere Erklärung. Präsident des Schiedsgerichts, Michael Adam, dem von Storch bereits Befangenheit vorgeworfen hatte, war an dem Urteil laut Parteigericht nicht beteiligt und warf von Storch seinerseits „mangelnden Respekt“ vor. Auch Antonín Brousek, Vizepräsident des AfD-Landesschiedsgerichts und stellvertretender Fraktionschef, ebenfalls nicht am Urteil beteiligt, sagte: „Es ist sehr unschön, dass wir als Gericht so angegriffen werden.“ Ansonsten hielt sich die AfD in dieser heiklen Angelegenheit bedeckt. Parteisprecher und Abgeordnetenhausmitglied Ronald Gläser wollte der taz nicht einmal mitteilen, wer die alten oder neuen Delegierten waren.
Gareth Joswig
Beatrix von Storch hat Personen auf eine eigentlich geschlossene Wahlliste setzen lassen. Das Berliner AfD-Landesschiedsgericht annullierte die Wahl.
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■ 1. Mai – im Osten viel Neues: Westberlin suhlt sich in Nostalgien - taz.de
■ 1. Mai – im Osten viel Neues: Westberlin suhlt sich in Nostalgien Wie jeder, so war auch dieser 1. Mai ein gesellschaftspolitisches Event, das allerlei Indizien zur allgemeinen Bewußtseinslage in der Hauptstadt lieferte. Vor allem zeigte sich eines: der Riß, der Berlin immer noch teilt – in Gewinner der sogenannten Einheit, den Osten, und in die Verlierer, den Westen. In Prenzlauer Berg zum Beispiel war was los. Tausende junge und auch ältere Menschen (Christian Ströbele) amüsierten sich, hatten auch was zu erzählen und erzählten also übermüdet und mit leuchtenden jungen Augen immer wieder vom Fest, das sie doch eigentlich hatten feiern wollen, von entseelten Bullen, die dann kamen, von Fluchten und Tränen und Blessuren. Junge Philosophiestudenten warfen stolz das erste Mal Steine. Eine Schülerin, die in der Walpurgisnacht ihr politisches Coming-out erlebt hatte, betrank sich im „Zosch“. Hippiemäßig kreisten am Humannplatz Joints von einer in Westberlin bislang nicht gesehenen Größe. Schön war's, und am Abend zog man noch mal los, um auf einen ganz echt handgreiflich tückischen Gegner zu treffen. In Kreuzberg dagegen stand man nächtlings vereinzelt und entfremdet an den Ecken und wartete traurig. Still hielten sich hundert Wannen im Hintergrund. Kleine Bulleneinheiten joggten leise um den Görlitzer Bahnhof, als wollten sie niemanden aufwecken. Die Ampeln waren stundenlang abgeschaltet. Ganz selten nur sah man Blaulicht von weitem. Wenn man dann hinrannte, war schon nichts mehr zu sehen. Es passierte schlichtweg – gar nichts. Es schien, als wollten die Bullen durch schweigende Präsenz beeindrucken. Selbst die Absperrung eines Teils der Oranienstraße war kein Grund zum Aufruhr. Als ich gegen Mitternacht enttäuscht nach Hause radelte, hörte ich, wie zum Hohn, von weitem vereinzelt kurze Sirenen. Da konnte man schon melancholisch werden. Irgendwie war das alles bezeichnend und ein Indiz für die große Ratlosigkeit, mehr noch, für die Depression, die in Westberlin überall um sich greift. Während sich die durchschnittlich um rund 15 Jahre ältere Kreuzberger Szene also greisenhaft und tagtäglich in trübseligen Westberlin-Nostalgien und Beziehungsgesprächen suhlt, brodelt im Osten das Leben. Das läßt sich nicht nur am 1. Mai nachprüfen. Detlef Kuhlbrodt
Detlef Kuhlbrodt
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Minidosen statt Mehrweg: Weniger Inhalt, mehr Müll - taz.de
Minidosen statt Mehrweg: Weniger Inhalt, mehr Müll Coca-Cola will Minidosen anbieten. Damit schadet der US-Konzern der Umwelt und dem Klima, kritisiert die Deutsche Umwelthilfe. Bald sind auch noch Minidosen im Sortiment Bild: reuters BERLIN taz | Neue 0,15-Liter-Minidosen plant Coca-Cola in Deutschland ab April anzubieten. Und das schrittweise: zuerst soll es die Kleinstverpackungen nur für Coca-Cola und Coca-Cola Zero Sugar geben, ab Juni dann auch für Fanta. Ein Vorhaben, welches von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) scharf kritisiert wird. Die geplante Verpackung sei besonders ressourcenintensiv und mache das Produkt in Relation zum Inhalt deutlich teurer. „Die Getränkedose ist eine der unökologischsten Getränkeverpackungen, und Coca-Cola's Entscheidung ist eine Bankrotterkältung für den Umweltschutz“, sagt Thomas Fischer, Leiter Kreislaufwirtschaft bei der DUH, zur taz. Weniger und nicht mehr Verpackung sei notwendig, so Fischer. Die Umwelt- und Verbraucherorganisation fordert Coca-Cola deshalb auf, die Minidosen nicht einzuführen. Und stattdessen auf wiederbefüllbare Mehrwegflaschen zu setzen. Der amerikanische Getränkekonzern müsse seinen Teil dazu beitragen, die gesetzliche Mehrwegquote von 70 Prozent zu erreichen. Diese hat der Bundestag im Rahmen des Verpackungsgesetzes im März 2017 beschlossen. Ziel der Quote ist es, mit Mehrweggetränkeverpackungen einen Anteil von mindestens 70 Prozent an allen abgefüllten Getränken zu erreichen. „Mit der geplanten Einführung der Mini-Dosen folgt der nächste Angriff durch Coca-Cola auf das umweltfreundliche Mehrwegsystem in Deutschland“, kritisiert deshalb DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. Und bezieht sich auf die 0,5- und 1,5-Liter-Mehrwegflaschen. Diese hat Coca-Cola schon abgeschafft und aus dem Sortiment genommen. Abgabe auf Dosenverpackung gefordert „Coca-Cola setzt auf einen Mix von Mehrweg- und Einwegverpackungen“, sagt Coca-Cola Sprecher Martin Gosen auf Anfrage der taz. Denn auch die Dosen würden zu rund 70 Prozent aus wiederverwertetem Material bestehen. Die Einführung der Minidosen begründet Gosen mit dem Wunsch der KonsumentInnen. Resch plädiert für gesetzliche Maßnahmen, falls Coca-Cola seine Einwegstrategie weiter vorantreibt. Dies könnte zum Beispiel die Einführung einer Abgabe auf unökologische Getränkeverpackungen sein – zusätzlich zum Pfand. Den VerbraucherInnen rät die Deutsche Umwelthilfe, zur Mehrwegflasche zu greifen. Denn diese kann 60-mal wiederbefüllt werden und schont somit Ressourcen und Klima.
Alexander Wenzel
Coca-Cola will Minidosen anbieten. Damit schadet der US-Konzern der Umwelt und dem Klima, kritisiert die Deutsche Umwelthilfe.
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Wegen des Mauerstreifens ist »Mitte überall Innenstadt« - taz.de
Wegen des Mauerstreifens ist »Mitte überall Innenstadt« ■ Auch nach dem Abriß der Mauer ist längst noch nicht klar, was mit der 46 Kilometer langen Schneise passieren soll/ Senatsverwaltungen gegeneinander Berlin. 46 Kilometer lang ist die Bresche, die die Mauer durch Berlin gezogen hat, nach ihrem fast vollständigen Abriß liegen nun oft nur 20 Meter Niemandsland zwischen zwei Stadtteilen. Unterwegs auf dem bislang noch brach liegenden Streifen, sieht man Flächen, die mit einem einheitlichen Konzept wie einem durchgehenden Grünstreifen kaum zu nutzen sind. Zu unterschiedlich sind die Gebiete beiderseits des Terrains: Auf Kleingartenkolonien folgen Kanäle, zerrissene Stadtteile und durchtrennte Grünanlagen. Wie also soll die Narbe des ehemaligen Todesstreifens geheilt werden? Wer hat das Recht, die Freiflächen in Anspruch zu nehmen? An Projekten, Planungen, Utopien und Investoren mangelt es nicht. Die Interessenskonflikte sind vielfältig: Initiativen fordern Bürgerbeteiligung, der Bund Deutscher Architekten (BDA) Architektenwettbewerbe, die Industrie- und Handelskammer (IHK) Mittelstandsförderung, dazu kommen noch die Hauptstadt-Ambitionen samt Regierungssitz, die Bewerbung Berlins um Olympia 2000 und die Planung für die Bundesgartenschau. Im Ostteil der Stadt fehlt bisher eine verbindliche Bauleitplanung, im Westteil muß aufgrund der neuen Situation umgedacht werden. Ein Gesamtgutachten zur Verkehrsplanung liegt auch noch nicht vor. Zu der schwierigen Kompetenzverteilung zwischen Senats- und Bezirksebene kommt in vielen Bereichen die ungeklärte Eigentumsfrage der Grundstücke. An der zukünftigen Nahtstelle blieben bislang also viele Fragen offen. Das gibt auch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz zu, deren »Stadtforum« zur Zeit Planungsprozesse bündeln will: »Eine der Besonderheiten der Berliner Situation besteht darin«, heißt es, »daß die Stadt sich ein grundlegend neues, umfassendes Entwicklungskonzept entwerfen muß und zugleich unzählige Entscheidungen und Einzelprojekte zu realisieren sind, die eigentlich aus einem übergreifenden Gesamtplan abgeleitet werden müßten — den es noch nicht gibt.« Daß allerdings durch das Starren auf den großen Generalplan die Maßnahmen, die konkret und im Einvernehmen mit den betroffenen AnwohnerInnen beiderseits des Grenzstreifens zu realisieren wären, auf der Strecke bleiben, zeigt das Beispiel des geplanten Mauerparks zwischen den Bezirken Prenzlauer Berg und Wedding. Grünanlage kontra Olympiaplanung Schon im März 1990 hatte der damalige Rat von Prenzlauer Berg beschlossen, ein etwa acht Hektar großes Gelände hinter dem Ludwig- Jahn-Sportplatz in eine grüne Zone umzuwandeln. Dieser Beschluß stieß auf den Widerstand des Magistrats, der an einem Konzept für eine Entlastungsstraße durch ebendiese Schneise bastelte. Im September 1990 wurde der Mauerparkbeschluß auch von der neugewählten Bezirksversammlung parlamentarisch abgesegnet. Am Weltkindertag am 20. September 1990 pflanzten BürgerInnen sogar schon Bäume und schufen damit Fakten. Doch obwohl die Eigentumsverhältnisse hier keine Schwierigkeit darstellten und auch ein Sponsor gefunden wurde, gab es bislang kein grünes Licht vom Senat: Das Projekt kollidiert mit der Olympiaplanung, in der der Ausbau des Jahn-Stadions vorgesehen ist. »Wir werden nicht zulassen, daß am Ende ein kleinerer Park zum bloßen Feigenblatt für die Olympiaplanung wird«, schimpft der Baustadtrat in Prenzlauer Berg, Matthias Klipp. Ihn ärgert vor allem, daß durch die Olympia-Standortbeschlüsse vielerorts die Bezirke nicht mehr mitreden können. »Da heißt es, darüber wird nicht mehr diskutiert.« Nicht nur Matthias Klipp fürchtet das, was von einigen bereits als »Lex Olympia« bezeichnet wird: Den Vorrang des Mammutspektakels vor anderen städtebaulichen Maßnahmen zwischen den Stadtteilen. Erste Sofortbaumaßnahmen für die Olympiade sollen dem Abgeordnetenhaus noch in diesem Jahr zur Verabschiedung vorgelegt werden. Die Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees über den Austragungsort wird erst 1993 gefällt werden. Kritiker monierten, im Aufsichtsrat der Olympia GmbH sei die Stadtentwicklungsverwaltung nicht beteiligt. Mit Einschränkungen in seiner Planung muß auch der Bezirk Mitte rechnen, da die Gestaltung des Geländes zwischen Nord- und Humboldthafen vom Ausbau des Stadions der Weltjugend abhängen wird. »Mitte ist überall Innenstadt«, charakterisiert Baustadträtin Dorothea Dubrau ihren Bezirk. Die Zukunft des Grenzstreifens zwischen Mitte und Wedding, Tiergarten und Kreuzberg wird nicht nur von Olympia abhängen. Ein Gebiet ist für die Bundesgartenschau verplant, ein anderes — zwischen Reichstag und Potsdamer Platz — als historisches Gelände ein Politikum ersten Ranges, dessen Gestaltung teilweise durch die Vergabe an Daimler Benz eingeschränkt sein wird und dem sich das Stadtforum ausdrücklich widmen will. Im Bereich Friedrichstadt wurden durch die Neuasphaltierung der Zimmerstraße Fakten geschaffen, die den Investitionsdruck auf die so erschlossenen Grundstücke noch erhöhen wird. Hier soll fürs Dienstleistungsgewerbe gebaut werden. Die erste Stelle in der Innenstadt, in der so etwas wie Wiederherstellung von Stadt stattfindet, ist das Engelbecken, wo die Mauer Kreuzberg und Mitte trennte. Hier herrscht eine seltene Einmütigkeit zwischen BürgerInnenforderungen, den beiden Bezirken und dem Senat, den historischen Grünzug zwischen Michaelkirchplatz und Schillingbrücke wiederherzustellen. Das rund 17.000 Quadratmeter große Areal soll innerhalb der nächsten Jahre als Parkanlage ausgebaut werden. Ende April pflanzten der Umweltsenator Hassemer und die Baustadträtin von Mitte, Dorothea Dubrau, einen von 234 Bäumen. Mit der Bauverwaltung war das Vorhaben nicht abgestimmt, aber Hassemer äußerte, Bausenator Nagel werde sicherlich positiv reagieren. »Die Zukunftsperspektive heißt nicht nur Bauen.« Was allerdings die Planung der angrenzenden Bereiche angeht, befürchtet die Baustadträtin des angrenzenden Bezirks Kreuzberg, Erika Romberg, daß der Druck auf den begehrten innerstädtischen Grenzstreifen für Mitte so groß sein wird, daß die Bezirke zu den schwächsten Punkten in der Planung werden könnten. Wenn immer wiederholt werde, daß es zu Dienstleistungsansiedelung in diesem Kerngebiet keine Alternative gebe, würden am Ende alle daran glauben. Dabei habe man vor anderthalb Jahren noch die Hoffnung auf einen grünen Mauerstreifen gehabt. »Uns wird nicht sehr viel Zeit gelassen, zu diskutieren«, meint sie. Aufschlußreich sei, daß vom Bezirk Kreuzberg niemand zum laufenden Stadtforum eingeladen wurde: »Das Niveau der Demokratie zwischen den Verwaltungen wird herabgesetzt.« In der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz wird eingeräumt, in der Stadtplanung gebe es einen langen Vorlauf, aber wenig konkrete Ergebnisse. Dabei machten sich seit dem Fall der Mauer viele Gedanken über den ehemaligen Todesstreifen. Anfang 1990 begann die Arbeit der »Expertengruppe Grenznaher Raum« mit neun Arbeitskreisen, von denen sich fünf mit dem ehemaligen Grenzstreifen beschäftigten. In dieser Gruppe saßen Vertreter der Senats- und Magistratsverwaltung, der Ostberliner Stadtbezirke und der Westberliner Bezirke, externe Gutachter arbeiteten zu. Verschiedene Gesprächsinitiativen bildeten sich: Das »StadtTor«, wo sich Interessierte aus Ost und West zusammensetzten, der Verein »Perspektive Berlin«, die »Gruppe 9. November« und das »Potsdam Kolleg«. In einer Art »heißem Tagungsherbst« kristallisierte sich neben Vorschlägen, wie die Stadt wieder zusammengefügt werden könnte, auch der Eindruck heraus, daß bei diesen Treffen von BürgerInnen, Architekten, Stadtplanern und Verwaltungsvertretern die Politiker fehlten. Während viele Planer vor übereilten Beschlüssen warnen, sehen die Bezirke ihr eigenes Gewicht in den Prozessen schwinden. »Mit unseren Vorschlägen treffen wir bei SenStadtUm auf Desinteresse, wogegen SenBauWohnen signalisiert, er wolle alles allein machen«, faßt Erika Romberg zusammen. Edzard Reuter hatte in seiner Eröffnungsrede des Stadtforums gewarnt: »Wer darauf warten wollte, in endlos ausufernden Diskussionen zu einem epochalen Meisterentwurf für die Metropole des 21. Jahrhunderts zu finden, wird sich am Schluß nicht mehr einhandeln als zornige Fragen von Menschen, die auf Arbeit warten.« Karen Pfundt
karen pfundt
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AUTOBAHNBAU ENTFACHT KRITIK AM REGIERUNGSSTIL: Weiche die Eiche - taz.de
AUTOBAHNBAU ENTFACHT KRITIK AM REGIERUNGSSTIL: Weiche die Eiche VON ANDREJ IVANJI Sein Wille gilt als oberstes Gebot, seinen Zorn möchte man lieber nicht auf eigener Haut spüren: Seit einem Jahr ist Vizepremier, Verteidigungsminister, Koordinator der Geheimdienste und Chef der Serbischen Fortschrittspartei (SNS), Aleksandar Vučić (43), der neue starke Mann Serbiens. Er kämpft gegen die Korruption, steckt die Schurken hinter Gitter, will Serbien nach Europa bringen, reformieren, modernisieren, umstrukturieren, und wehe, jemand stellt sich ihm in den Weg. Und alles ging glatt – bis plötzlich eine uralte Eiche seine Pläne durchkreuzte. Der Sommerkummer der serbischen Nummer Eins begann vor zwei Wochen, als sich Bagger auf der Trasse des Korridor 11, der von Zentralserbien bis zur montenegrinischen Küste führt, bei dem Dorf Savinac, rund 100 Kilometer von Belgrad entfernt, einer Jahrhunderte alten Eiche nährten. Da war sie plötzlich, imposant in ihrem Umfang, einem acht Meter breiten Stamm, Zweigen mit einer Reichweite von vierzig Metern. Die Autobahningenieure hatten sie vergessen oder ignoriert. Da schrien die sonst unscheinbaren serbischen Grünen auf: Lasst die Eiche in Ruhe! Die Autobahn muss einen Umweg machen! In wenigen Tagen unterzeichneten über 10.000 Menschen eine Petition für die Bewahrung der Eiche. Man organisierte Rockkonzerte rund um den Baum, Wachen, man appellierte an die Welt. Die Unterstützung kam von den europäischen Grünen, von den Gezipark-Aktivisten … Da erwachten auch die Einheimischen. Legenden wurden erzählt, wie serbische Volkshelden unter dieser Eiche einschliefen und von einem Sieg gegen die Türken träumten. Man sprach vom „Fluch der Eiche“: Wer sie nur anrührt, wird einen fürchterlichen Tod sterben. So einige Bauarbeiter wichen zurück. Sicher ist sicher. Da hatte Vučić genug. Die Eiche wird wohl nicht die Modernisierung Serbiens aufhalten, brüllte er. „Wenn ich zwischen der Autobahn und der Eiche wählen muss, wähle ich die Autobahn“, urteilte Vučić. Sollen etwa noch Dutzende Menschen auf der unsicheren Landstraße sterben, weil der Bau der Autobahn verzögert wird, fragte er und sagte: „Serbien muss sich endlich von seiner Provinzmentalität befreien.“ Da platze aber auch der Belgrader intellektuellen und sonstigen Elite der Kragen. Der junge Mann, der als Ultranationalist für Großserbien kämpfte, bevor er vor wenigen Jahren die europäische Erleuchtung erlebte, habe da so einiges durcheinander gebracht, konnte man hören. So sei es eben mit Konvertiten, schrieb der bekannte Kolumnist Teofil Pančić. Jemand, der schon immer für Europa und Modernisierung war, hätte sicher eher Mitleid mit der Eiche, als Vučić, der zu den Kriegen, der Isolation, dem Rückstand Serbiens beigetragen habe und nun glaubt, alles schleunigst nachholen zu müssen. Und außerdem dürfte sich Vučić keinen Präzedenzfall leisten, meint Pančić: Seine Autorität würde leiden, wenn er vor einer Eiche zurückweichen würde. Nein, die Eiche wird kein serbischer Gezipark. Und nein, was die Modernisierung angeht, ist Vučić sicher kein serbischer Kemal Pascha Atatürk. Oder wie Pančić schreibt: Wie die Türken, so ihr Atatürk.
ANDREJ IVANJI
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Studie zum Integrationsverhalten von Türken: Migranten fordern Kindergartenpflicht - taz.de
Studie zum Integrationsverhalten von Türken: Migranten fordern Kindergartenpflicht Die Hälfte der Türken in Deutschland will früher oder später in die Heimat zurück. Gleichzeitig befürwortet die Mehrheit verpflichtende Deutsch- und Integrationskurse. Erst in die Kita und dann mit guten Deutschkenntnissen in die Schule. Bild: dpa BERLIN taz | Wie viele Migranten sind "Integrationsverweigerer"? Kommen Zuwanderer wegen der Sozialleistungen nach Deutschland? Für viele Fragen, um die in der deutschen Integrationsdebatte gestritten wird, fehlen bislang verlässliche Datengrundlagen. Eine neue Befragung zum Integrationsverhalten von Türken in Deutschland gibt dazu einige Antworten. Für die Studie wurden 1000 in Deutschland lebende Menschen mit türkischem Migrationshintergrund – darunter ein Viertel mit deutscher Staatsbürgerschaft – befragt. Davon lebt ein Drittel schon seit über 30 Jahren in Deutschland – trotzdem betrachtet nur ein knappes Fünftel Deutschland als Heimat. Für 40 Prozent bleibt die Türkei das gefühlte Heimatland. Ebenfalls 40 Prozent empfinden beide Länder als Heimat. Das Gefühl der Hin- und Hergerissenheit zwischen den zwei Staaten äußert sich auch in der Zahl von fast zwei Drittel der Befragten, die sich in Deutschland als Türke und in der Türkei als Deutsche fühlen. Fast die Hälfte fühlt sich in Deutschland unerwünscht. Und so planen 47 Prozent fest, früher oder später in die Türkei zurückzukehren. Besonders stark äußert sich diese Vorhaben bei den gut Gebildeten, denn sie rechnen damit, auch in der Türkei leicht einen Job zu finden. Viele Türken führten ein "Leben auf Abruf", sagt Studienautor Holger Liljeberg. Ein knappes Drittel der Befragten würde ohne Sozialleistungen durch den deutschen Staat im Fall des Jobverlusts sofort eine Rückkehr in die Türkei in Erwägung ziehen. Aber von einer "Zuwanderung in die Sozialsysteme" kann man nach den Ergebnissen der Studie nicht sprechen: Die Hälfte der Türken in Deutschland ist berufstätig, unter den Migranten im erwerbsfähigen Alter sind es sogar zwei Drittel. Gegen das Bild vom "Integrationsverweigerer" spricht, dass über drei Viertel der Studienteilnehmer verpflichtende Deutsch- und Integrationskurse für Migranten ohne ausreichende Kenntnisse befürworten. 91 Prozent finden, dass Kinder unbedingt von klein auf Deutsch lernen müssten. Und sogar 95 Prozent sind der Meinung, dass alle türkischstämmigen Kinder vor der Schule eine Kindertagesstätte besuchen sollten, um bei Schulbeginn über ausreichende Deutschkenntnisse zu verfügen. Vonn Deutschland wünschen sich viele der Befragten (83 Prozent) gleichzeitig mehr Rücksicht auf die Gewohnheiten und Besonderheiten türkischer Einwanderer. Diskriminierung haben schon einige erfahren: Fast ein Drittel meint, wegen seines türkischen Namens oder Aussehens bei Bewerbungen abgelehnt worden zu sein; und fast jeder Zweite hat deshalb schon Beschimpfungen in der Öffentlichkeit erlebt. Vom Islam- und Migrantenkritiker Thilo Sarrazin halten die Befragten nicht viel. Über zwei Drittel finden, er habe mit seinen umstrittenen Thesen unrecht, wenn auch einzelne Fakten stimmen mögen. Ganze 40 Prozent haben von Sarrazins Äußerungen aber noch gar nichts gehört.
Niklas Wirminghaus
Die Hälfte der Türken in Deutschland will früher oder später in die Heimat zurück. Gleichzeitig befürwortet die Mehrheit verpflichtende Deutsch- und Integrationskurse.
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Serie „It’s A Sin“: Immer mit Lust - taz.de
Serie „It’s A Sin“: Immer mit Lust Die Serie „It’s A Sin“ auf ZDFneo erzählt die schwulen 80er-Jahre in London. Glänzend, glamourös, sexy – und vor allem stets nah an der Wahrheit. Ritchie (Olly Alexander) muss seine Gefühle nicht mehr ver­stecken Foto: Ben Blackall/ZDF Der Nachteil dieser gar nicht hoch genug zu preisenden Serie erschließt sich erst, wenn man das eigene Lebensalter ins Verhältnis zur Zufriedenheit mit diesem fünfteiligen TV-Epos setzt: Wer aber von den Jüngeren kann die politische wie auch ästhetische Kraft von „It’s A Sin“ ermessen, abgesehen vom Zuspruch für überaus gelungene Schauspielleistungen und der Macht der Coming-of-Age-and-Death-Geschichte? Es geht in diesen Folgen um die frühen bis späten achtziger Jahre in London. Es war die Zeit, in der gewöhnlichste Homophobie auf die schleichend ansteckende Epidemie namens Aids traf. Jede der Folgen springt zwei Jahre weiter als die vorherige, die Geschichte endet, als immer noch kein pharmakologisches Mittel gegen die Immunschwächekrankheit gefunden worden war – erst seit Mitte der Neunziger gibt es Medi-Cocktails, die immerhin kein fast zwangsläufiges Sterben an dieser Infektion bedeuten. Geschildert werden Leben und Schicksal von sechs bis sieben Freunden und einer Freundin, die durch Zufälligkeiten im Dancin’ London der Achtziger in einer WG zueinanderfinden. Alle ringen um das, was man Erwachsensein nennt, sie wollen Liebe, sie wollen mitmachen – und sie wollen Sex. Nicht als schwules Verhängnis denunziert Die schwule WG (plus Hetera) kracht vor Lebenslust beinah aus allen Nähten. Der Vorzug von „It’s a Sin“ (ganz im Sinne der offen schwulen Pet Shop Boys, die diesen Titel auf ihre Weise zur Debatte um Sagbarkeit von Schwulem beisteuerten) ist vor allem, dass diese Leben – mit und ohne Aids – nicht als schwules Verhängnis denunziert werden. Von wegen: So musste es ja kommen – und dann kämpften sie. Nein, diese Geschichte gönnt sich dramaturgisch die Ruhe, Aids als Geißel jener Zeit nicht unentwegt immer dräuender in die Alltagshandlungen zu flechten – das Virus frisst sich wie ein leiser, langsam lauter werdender Fakt in die Leben seiner Protagonisten. Die wehren die Gefahr ab, die der kondomlose Sex birgt: Ist das nicht schon wieder eine schwulenfeindliche Masche, unsere Körperlichkeit zu dämonieren? Um zu lernen, dass die öffentliche Rezeption immer stärker die Folgen einer Ansteckung mit dem HI-Virus als „Schwulenkrebs“ denunziert, dies aber nicht heißt, dass von dieser Erkrankung nicht vor allem homosexuelle Männer heimgesucht sind – ihren sexuellen Praxen gemäß. Explizit, aber nie pornografisch Anders als deutsche Serien gewöhnlich – man mag sich gar nicht vorstellen, was eine hiesige Geschichte aus dieser Zeit an übelstem Kitsch serviert hätte –, wird in dieser britischen Produktion nah an der Wahrheit erzählt. Und, nicht nur nebenbei, es wird Sex gezeigt, so wie es war: beiläufig, fokussiert zugleich, dauernd und wie nie-enden-wollend. Das sieht explizit aus, aber nie pornografisch. Dramaturgisch fällt auch angenehm auf, dass alle Handlungen keineswegs in geföhnten und polierten Mittelschichtsinterieurs stattfinden, sondern in Räumen, die anzeigen, wie karg sie in ihrer WG lebten. Keine üble Praxis, die aidsinfizierten Schwulen angetan wurde – die Isolation in abgesperrten Räumen, illegale Bluttests –, wurde zu schildern ausgespart, vor allem springt ins Auge, wie stark es diese Serie vermag, die brutale (vor allem familiär glutende) Homophobie jener Zeit zu schildern: Nichts war so igitt ohnehin wie schwul, mit Aids wurde es dann gar aussätzig. Britische Gesetzgebung unter Premierministerin Margaret Thatcher untersagte beispielsweise pädagogischen Einrichtungen die Darstellung von nichtheterosexuellen Lebensstilen – und zugleich war der Pop jener Jahren so was von schwulschwul, Boy George, Freddie Mercury, Elton John, Jimmy Somerville selbst noch nicht so ganz out, aber immerhin schon bekennend bi (die öffentliche Zwischenlösung), sympathisierend begleitet durch Prinzessin „Lady Di“ Diana – moralische Verhältnisse, die verkleisterten, wie sehr die Helden und Heldinnen dieser Geschichte auf Fluchten vor der Familie angewiesen waren – sonst wären sie nicht an Aids, sondern an Familyphobie verreckt. Die Serie Wie gesagt: Das Lob kann nur eines aus der selbst erlebten Lebensperspektive sein, der Autor ist Jahrgang 1957 und kennt diese Zeit, der auch ein Aufbruch sexueller, homosexueller Emanzipation werden sollte, aus dem Effeff. Die Angst, der Horror, die Mutmaßung, dass Aids begriffen wird als Strafe Gottes gegen die Sündigkeit der sexuellen Abweichung. Wie treffend, dass der an den Folgen von Aids sterbende Ritchie Tozer (bezaubernd, stark gespielt von Olly Alexander) am Ende sagt: Dass die Zeit, Aids hin oder her, auch einfach Spaß gemacht. Spaß!, Fun!, Lebenslust!: So fühlt sich diese Serie an.
Jan Feddersen
Die Serie „It’s A Sin“ auf ZDFneo erzählt die schwulen 80er-Jahre in London. Glänzend, glamourös, sexy – und vor allem stets nah an der Wahrheit.
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Zum Abschied von Senator Eckhoff: Lassen Sie uns nicht alleine! - taz.de
Zum Abschied von Senator Eckhoff: Lassen Sie uns nicht alleine! Er gab dem schnöden Politikbetrieb ein letztes bisschen Glanz – eine Hommage an den Superstar in Jens Eckhoff Nicht, dass es in der Bremer Politik jemals viel Glamour gab. Gut, Henning Scherf umarmte und lachte alles zu Boden, das ihm zu begegnen wagte, und stellte Bremen samt Rest-Welt in einer Einfachheit dar, die die ganzen anderen Deppen nur nicht kapierten – das war zwar kein Glamour, aber das war irgendwie mehr als die schnöde Peek&amp;Cloppenburg-Aura, die Bremer Politiker sonst an den Tag legen. Nur Jens Eckhoff gab dem ganzen Betrieb noch ein bisschen Glanz, ein bisschen Glitzer, Glitter, Lebensfreude, die Politik braucht, um wahrgenommen zu werden. Jens Eckhoff: Das war öffentliches Schwitzen zwecks Gewichtsabnahme, fortgesetzter Frohsinn auch mangels Erfolg, öffentliches Radeln im Umland, öffentliche Handreichung an den bisherigen Erzfeind und seitherigen Haupt-Fan Gerold Janssen, öffentliches Durchkreuzen sonst undurchdringlicher Ideologie-Fronten, öffentliche Freude auf ungezählten Baustellen, in ungezählten Baggern, nicht-öffentliches Intrigieren, oft unbewiesen, aber stets geargwöhnt, zuletzt in Sachen BSAG – und schließlich eine offensiv zur Schau getragene gute Laune nach angekündigtem Rückzug inklusive angekündigter Wiederkehr in neun Jahren. Wir wissen nicht, wie wir es bis dahin aushalten sollen. Denn was bleibt nun noch? Glatte Langweiler. In der CDU: Kastendiek, Röwekamp, der ewige Neumann. Machen ihren Weg, auch über Leichen, lächeln, reden, unnahbar. In der SPD: Böhrnsen, Sieling, Emigholz – fleißig, vorsichtig, taktisch, jeden Schritt abwägend, immer unterwegs im eigenen und im Dienste Bremens. Irgendwie reicht das uns BetrachterInnen nicht. War da nicht noch mehr als das vorhersehbare Abhaken einer Agenda? Waren da nicht Lebensfreude, Humor, Spontaneität und eine Lust an der Macht, die endlich mal zugegeben wurde? Es ist ja nicht so, dass sie sonst keinen Humor hätte, die Bremer Resttruppe. Oder keine Lebensfreude – bewahre, nie würden wir solches mutmaßen. Aber fortan wird all das weniger spürbar, noch weniger. Wir werden darben. Und warten. Wenn‘s sein muss, neun Jahre lang. sgi
sgi
Er gab dem schnöden Politikbetrieb ein letztes bisschen Glanz – eine Hommage an den Superstar in Jens Eckhoff
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Video der Woche: Der echte Ströbele - taz.de
Video der Woche: Der echte Ströbele Identitätsraub gibt es schon seit Jahrhunderten, im Internet blüht er wieder auf. Auch Hans-Christian Ströbele wurde Opfer – und bedankt sich dafür in einer Videobotschaft.
Rasmus Cloes
Identitätsraub gibt es schon seit Jahrhunderten, im Internet blüht er wieder auf. Auch Hans-Christian Ströbele wurde Opfer – und bedankt sich dafür in einer Videobotschaft.
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Anschieben und mitschieben - taz.de
Anschieben und mitschieben ■ Gesichter der Gr0ßstadt: Karl Köckenberger ist langjähriger Besetzer , Betriebsratsvorsitzender, Initiator eines Kinderzirkus, Familienvater und gläubiger Christ Karl Köckenberger ist schwer zu erreichen. Wenn er nicht gerade als Betriebsratsvorsitzender unterwegs ist, übt er entweder mit Kindern in seinem Jugendzirkus, oder er ist zu Hause „beim Malochen“. Das bedeutet, er saniert mit anderen Mitbewohnern die drei Wohnhäuser bei der Regenbogenfabrik in Kreuzberg, die er vor vierzehn Jahren mit besetzt hatte. Gewerkschafter und Hausbesetzer: Eine seltsame Mischung, die für den 38jährigen jedoch keinen Widerspruch darstellt. „Ich versuche sowohl im Betrieb als auch in meiner Lebensrauminitiative gemeinsame Rechte zu vertreten.“ 1980 kam der gebürtige Franke nach Berlin oder vielmehr nach Kreuzberg. Bei Krupp lernte der sehr ruhig wirkende Mann Stahlbauschlosser, ein halbes Jahr später besetzte er mit verschiedenen Kreuzberger Gruppen mehrere leerstehende Gebäude in der Lausitzer Straße. Bald schon begannen die BesetzerInnen in einem ehemaligen Fabrikgebäude das Kinder-, Kultur- und Nachbarschaftszentrum Regenbogenfabrik aufzubauen mit Kino und Café, Kita und Kinderkino, Fahrradwerkstatt und Tischlerei und einer Mal-, Bastel- und Kunstwerkstatt. Die Unterstützung aus der Nachbarschaft, von Parteien und dem Bezirk Kreuzberg führte letztendlich dazu, daß die Hausgemeinschaft einen Mietvertrag erhielt. „Wir waren mit die Letzten, die einen Vertrag bekamen“, resümiert Karl Köckenberger. „Von 170 besetzten Häusern schafften das etwa die Hälfte.“ Fast parallel zum Aufbau der „Lebensrauminitiative“ verlief der berufliche Aufstieg des dreifachen Vaters zum Betriebsratsvorsitzenden bei Krupp-Stahlbau in Berlin. 1984 in die Arbeitnehmervertretung gewählt, übernahm er drei Jahre später deren Vorsitz, „aber nur, weil gleichzeitig fähige Kollegen in das Gremium gewählt wurden“. Seine Aktivitäten in Kreuzberg habe er da nicht vor sich hergetragen. „Ein bißchen hab' ich schon ein Doppelleben geführt“, meint er und kritzelt dabei mit einem Bleistift Vierecke auf einen Zettel. Aber deshalb sei er keine gespaltene Persönlichkeit. „Ich gehe auch nicht im Anzug zum Konzernchef“, dabei sieht er an seinem blauen Hemd und seiner schwarzen Jeans hinunter. In den sieben Jahren seines Vorsitzes hat Karl Köckenberger viel erreicht, auch wenn er versucht, seinen eigenen Anteil an den Erfolgen so weit wie möglich herunterzuspielen. So hat er beispielsweise den Verkauf des Betriebs an einen hohen Manager der Scientology Church im Sommer 1992 mit verhindert, „aber nur durch die Unterstützung von Öffentlichkeit, Presse, Belegschaft und Gewerkschaften“. Er durchkreuzte die Pläne des Konzerns, Krupp-Berlin aus der Stadt hinauszuverlagern, „aber nur durch die gute Zusammenarbeit mit der Berliner Geschäftsführung“. Der Gewerkschafter der IG Metall wird nicht müde zu betonen, daß der Erfolg seiner Arbeit nicht von ihm abhängt. „Es geht nur, wenn andere es wollen. Manchmal zieht man, manchmal wird man gestoßen.“ Doch ganz so passiv, wie er sich in seiner Bescheidenheit darstellt, ist der Kreuzberger freilich nicht. Bestes Beispiel ist seine Arbeit für die KollegInnen in den von Schließung und Arbeitslosigkeit betroffenen Betrieben in den neuen Ländern. Er brachte Vertreter aus Betrieben verschiedener Gewerkschaften in Ost und West an einen Tisch – und das „Woche für Woche nach der Arbeit“. Diese bisher unübliche Arbeitnehmerlobby sieht er ganz pragmatisch. „Wenn's die Strukturen nicht gibt, die ich brauche, dann schaffe ich sie mir“, sagt er. Charakteristisch für den bescheidenen Projekt- und Tatendrang des gläubigen Christen – „ich würde mich in Richtung Befreiungstheologie einordnen“ – ist ein von ihm initiierter Kinderzirkus. „Der ist durch meine Kinder entstanden“, blockt er wieder ab. Zuerst habe er David (10) und Leila (8) Einräder gekauft, um seinen vernachlässigten Vaterpflichten nachzukommen. Dann seien noch mal fünf für die Nachbarskinder dazugekommen. Immer häufiger und immer länger seien die Geräte verliehen worden. Herausgekommen sei ein „Riesenprojekt“ in Treptow und Kreuzberg mit mehreren ABM- Stellen, das vom Arbeitsamt finanziert wird. Artisten sind dort die Betreuer, Kinder die Artisten. Von Akrobatik über Clownerie bis zur Arbeit mit Tieren ist alles dabei. In diesem Projekt sieht sich Karl Köckenberger wieder: Entstanden in seinem „Lebensraum“ Kreuzberg, in Familie und Nachbarschaft und jetzt grenz- und bezirksüberschreitend, wie sein Wirken im Betrieb. „Betrieb und Kreuzberg“, sagt das Organisationstalent, „das ist zugleich Spannung und Bereicherung.“ Martin Hörnle
martin hörnle
■ Gesichter der Gr0ßstadt: Karl Köckenberger ist langjähriger Besetzer , Betriebsratsvorsitzender, Initiator eines Kinderzirkus, Familienvater und gläubiger Christ
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Polizei gegen Journalisten bei Blockupy: Mit Wucht in die Kamera - taz.de
Polizei gegen Journalisten bei Blockupy: Mit Wucht in die Kamera Nach den Blockupy-Protesten von Frankfurt beklagen sich Reporter über Polizeigewalt. Die Journalisten-Gewerkschaft DJU findet die Vorfälle „unglaublich“. Polizisten bewachen eingekesselte AktivistInnen in der Frankfurter Innenstadt. Bild: dpa FRANKFURT taz | Auf einer Demonstration kann es manchmal ruppig zugehen, auch für Journalisten. Doch was sich am Samstag während der Blockupy-Proteste in Frankfurt am Main abspielte, das bezeichnet Cornelia Haß, Geschäftsführerin der Journalistengewerkschaft DJU, als „unglaubliche“ Vorfälle: „Zu Verstößen kommt es immer wieder, aber was dort passierte, ist sehr ungewöhnlich.“ Sie habe den Eindruck, dass die Polizei „keinerlei Sensibilität für die Pressefreiheit und die Arbeit der Journalisten hatte“. Was ist passiert an diesem 1. Juni in Frankfurt? Eine von etlichen Geschichten kann Christian M. erzählen. Er ist freier Autor und Fotograf, etwa beim Magazin Fluter und der Zeit. Am Samstag fotografierte er den zunächst friedlichen Protest – bis die Polizei begann, den Protestzug gewaltsam zu stoppen, den antikapitalistischen Block an der Demospitze einzukesseln – und damit auch M. „Plötzlich rannten Polizisten auf mich zu“, sagt er. Der Fotograf trug eine graue Weste, auf der deutlich sichtbar „Presse“ stand und befand sich laut eigener Aussage einige Meter vor den Demonstranten. „Dennoch bekam ich aus nächster Nähe eine volle Ladung Pfefferspray in die Augen.“ Er sei kollabiert und ins Krankenhaus gebracht worden. Erst nach mehreren Stunden wurde er entlassen – „mit einem großen Schock: Ich empfinde das als Angriff auf meine Person und die Pressefreiheit.“ Er will nun Strafanzeige gegen die Polizei stellen. M. ist nicht der einzige betroffene Journalist. Bei Cornelia Haß sind bereits vier Beschwerden wegen Polizeigewalt eingegangen, darunter von zwei Journalisten, die ins Krankenhaus mussten. „Vermutlich liegt die Dunkelziffer viel höher.“ Der taz liegen Berichte von weiteren Fällen vor, etwa von einem Fotografen, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. „Ich habe mit der rechten Hand Fotos gemacht“, berichtet er. „Plötzlich kam ein Polizist auf mich zu und obwohl ich meinen Presseausweis mit der linken Hand hochhielt, hat er mir mit voller Wucht die Kamera ins Gesicht geschlagen.“ Erfassung von Personalien Wie groß die Empörung ist, zeigte die Pressekonferenz der Polizei und des hessischen Innenministers am Montag. Dort erhoben – unüblich für einen solchen Rahmen – etliche Journalisten Vorwürfe gegen die Polizei. „Das war eine Schande für Frankfurt“, rief einer. Weitere Pressevertreter beklagen die Erfassung ihrer Personalien. RTL-Reporter Benjamin Holler berichtet, dass sein Kameramann von einem Polizisten geschubst und ihm ein Bein gestellt worden sei. Seine Arbeit sei bewusst behindert worden, sagte Holler der taz. „Als die Räumung im Kessel begann, drückte mir ein Polizist mit seinen Ellbogen massiv gegen die Halsschlagader und ließ auch trotz Protest nicht davon ab“, sagt Fotograf Sascha Rheker, der unter anderem für die Frankfurter Rundschau arbeitet. Das Fazit des 39-Jährigen: „Wenn es um unnötige Gewalt gegen Demonstranten sowie um Ruppigkeit gegenüber Journalisten geht, war das der negative Höhepunkt meiner Karriere.“ Ein Polizeisprecher sagte, man gehe den Vorwürfen nach. „Das muss ein politisches Nachspiel haben“, so DJU-Geschäftsführerin Haß. Entweder sei die Polizei nicht vernünftig auf den Einsatz vorbereitet gewesen oder es sei „bewusst versucht worden, Berichterstattung zu unterbinden“. Die Polizei weist diese Vorwürfe zurück.
Timo Reuter
Nach den Blockupy-Protesten von Frankfurt beklagen sich Reporter über Polizeigewalt. Die Journalisten-Gewerkschaft DJU findet die Vorfälle „unglaublich“.
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Großauftrag für Küstenwache: Lürssen rüstet Saudis auf - taz.de
Großauftrag für Küstenwache: Lürssen rüstet Saudis auf Die Lürssen-Werft bestätigt einen Großauftrag für die saudi-arabische Küstenwache. Der Bund hatte den Deal zuvor mit einer Hermes-Bürgschaft abgesichert. Saudis willkommen: Lürssen-Werft in Wolgast. Bild: dpa BREMEN/WOLGAST dpa | Die Werften-Gruppe Lürssen hat ihren umstrittenen Großauftrag über Boote für Saudi-Arabiens Küstenwache unter Dach und Fach. Nachdem der Bund die Risiken des Deals Anfang Februar mit einer Hermes-Bürgschaft abgesichert habe, sei der Vertrag mit dem saudi-arabischen Innenministerium „nun endgültig in Kraft getreten“, teilte Lürssen am Freitagabend mit. Das Auftragsvolumen und die Zahl der Schiffe blieben ungenannt. Medienberichten zufolge geht es um mehr als eine Milliarde Euro. Der Deal ist umstritten. Auf der einen Seite stehen die vollen Auftragsbücher als Jobgarantie für die Werftbeschäftigten, auf der anderen Seite die politisch sensible Region, in die nun Militärtechnik-Exporte „Made in Germany“ gehen. Der Mitteilung zufolge hat Lürssen die Konstruktionsarbeiten bereits gestartet. „Die Produktion wird voraussichtlich auf der Peene-Werft in Wolgast ausgeführt werden“, teilte das Unternehmen mit. Dort hatte Lürssen Ende 2012 die einst größte Militärwerft der DDR für 17 Millionen Euro aus der insolventen P+S-Gruppe herausgekauft. Laut jüngster Bilanz im Bundesanzeiger gehören zur Obergesellschaft der Lürssen-Gruppe 21 inländische und ausländische Firmen. Im Jahr 2011 arbeiteten im Schnitt 1.226 Mitarbeiter für Lürssen. Produktionsstandorte sind in Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Die Gruppe ist spezialisiert auf die Konstruktion, den Bau und die Wartung von Mega-Yachten und Marine-Schiffen. Die Zentrale ist in Bremen-Vegesack beheimatet.
taz. die tageszeitung
Die Lürssen-Werft bestätigt einen Großauftrag für die saudi-arabische Küstenwache. Der Bund hatte den Deal zuvor mit einer Hermes-Bürgschaft abgesichert.
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War König David eine Tunte? - taz.de
War König David eine Tunte? Jerusalem (AFP) – Die Abgeordnete der israelischen Arbeiterpartei, Yael Dayan, hat am Mittwoch mit ihrer Behauptung, auch König David sei homosexuell gewesen, einen Skandal im Parlament ausgelöst. Während einer Debatte über die Diskriminierung von Homosexuellen in der Armee sagte die Tochter des früheren Verteidigungsministers Moshe Dayan, die Bibel lege nahe, daß David homosexuelle Beziehungen mit seinem Freund Jonathan, dem Sohn König Sauls, unterhalten habe. Ihre Erklärung rief den Zorn mehrerer religiöser Abgeordneter hervor, die versuchten, sie an der Fortsetzung ihrer Rede zu hindern. Auf Initiative Dayans war in der vergangenen Woche erstmals eine Gruppe von männlichen und weiblichen Homosexuellen von einem Parlamentsausschuß empfangen worden. Die israelische Armee erlaubt grundsätzlich den Dienst von Homosexuellen. Der Zugang zu „sensiblen“ Posten ist ihnen jedoch mit der Begründung verwehrt, sie seien erpreßbar.
taz. die tageszeitung
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Klinikchef zur Lage der Krankenhäuser: „Das sind dramatische Zahlen“ - taz.de
Klinikchef zur Lage der Krankenhäuser: „Das sind dramatische Zahlen“ Vielen Krankenhäusern droht 2021 die Zahlungs­unfähigkeit, sagt der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Es brauche Geld vom Staat. Zum täglichen Behandlungsmarathon auf den Stationen kommen jetzt noch finanzielle Nöte Foto: Jens Büttner/dpa taz: Herr Gaß, wie steht es denn aktuell um die deutschen Krankenhäuser? Gerald Gaß: Gar nicht gut. Es fehlt an Liquidität, die Krankenhäuser haben massive wirtschaftliche Probleme. Wenn wir jetzt nichts tun, müssen wir davon ausgehen, dass es bereits im ersten Quartal 2021 eine Vielzahl von Krankenhäusern geben wird, die die Gehälter ihrer Mitarbeiter nicht mehr bezahlen können. Diese Sorge kommt jetzt zu den tagtäglichen Herausforderungen in den Kliniken noch dazu und wir brauchen jetzt ein Signal vom Bundesgesundheitsminister, wie er sich die Finanzierung für Januar, Februar, März und darüber hinaus vorstellt. Laut dem gerade vorgestellten Krankenhausbarometer des Deutschen Krankenhausinstituts gehen 70 Prozent der großen Krankenhäuser davon aus, dass sie 2020 rote Zahlen schreiben. Das sind schon dramatische Zahlen, aber die Befragung des Krankenhausbarometers ist aus den Monaten Juli und August. Da konnten wir noch gar nicht damit rechnen, wie heftig die zweite Welle wird. Diese Prognose dürfte sich noch einmal deutlich verschlechtert haben. Was sind die Gründe für die wirtschaftliche Schieflage? Das Problem ist, dass das reguläre Finanzierungssystem der Krankenhäuser faktisch außer Kraft gesetzt wurde. Normalerweise speist sich die Finanzierung aus jeder einzelnen Behandlung, es gibt keinerlei Grundbudget. Nur wenn ich Patienten behandle, kann ich Rechnungen an Krankenkassen schreiben. In den vergangenen Jahren hatten wir zumindest was diese Fallzahlen betrifft, eine recht stabile Situation. Das ist aber durch die Pandemie im Jahr 2020 und perspektivisch auch noch 2021 nicht der Fall. Wir haben aktuell kein einziges Krankenhaus mehr, dass auch nur annähernd seine Fallzahlen aus der Zeit vor der Pandemie erreicht. Anstelle der sonstigen Behandlungen gibt es doch aber nun die Covidpatienten. Es ist aber nicht so, dass deren Behandlung besonders hoch vergütet wird. Wir haben da ja noch gar keine richtige Finanzierungsgrundlage. Neue Behandlungsformen müssen erst durchkalkuliert werden, da werden wir frühestens Ende 2021 eine entsprechende Fallpauschale haben. Covidpatienten sind sehr behandlungsintensiv. Das führt dazu, dass Personal zusammengezogen und die Regelversorgung eingeschränkt werden muss. im Interview:Gerald Gaß Foto: Tobias Vollmerist Geschäftsführer des Landeskrankenhauses Rheinland-Pfalz und Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, dem Dachverband der deutschen Krankenhausträger. Außerdem fallen immer mehr Mitarbeiter selbst durch Erkrankung oder Quarantäne aus. Und drittens haben wir den Effekt, dass aus dem niedergelassenen Bereich kaum noch Patienten für planbare Behandlungen und Operationen eingewiesen werden. Für diese Ausfälle hat das Bundesgesundheitsministerium einen Rettungsschirm gespannt. Zunächst hat der auch funktioniert. Die Bundesländer konnten die Krankenhäuser melden, die unter diesen Rettungsschirm fallen sollen und diese haben dann sogenannte Freihaltepauschalen für wegfallende Patienten in der Regelversorgung erhalten. Ende September lief dieser Rettungsschirm aber aus und es gab zunächst keine Anschlussregelung. Dabei ging die dramatische Situation für die Krankenhäuser dann erst los. So ist es. Erst seit Mitte November gibt es überhaupt einen neuen Rettungsschirm. Danach erhalten aber nur noch 25 Prozent aller Kliniken Ausgleichszahlungen. Und die betragen auch nur noch 90 Prozent der Freihaltepauschalen vom Sommer. Woran sind die Hilfen jetzt gekoppelt? Zum einen bekommen nur noch Schwerpunkt- und Maximalversorger die Ausgleichzahlungen, obwohl rund die Hälfte der Covidpatienten in Kliniken ohne diese Versorgungsstufen behandelt werden. Außerdem ist die Auszahlung an die Auslastung der Intensivbetten und die Inzidenz im Landkreis gekoppelt. Die erforderliche Inzidenz von 200 haben wir aber im Moment – Stand Dienstag – nur bei 18 Prozent der Landkreise. Der Bundesgesundheitsminister will den Kliniken 2021 mit 3 Milliarden Euro unter die Arme greifen – so viel wie noch nie. Nützt das nichts? Das ist ein Investitionsprogramm, aus dem keine laufenden Kosten wie Löhne und Gehälter bezahlt werden können, sondern ausschließlich Investitionen vor allem in die Digitalisierung finanziert werden sollen. Was genau müsste Ihrer Ansicht nach passieren? Die Bundesländer haben den Gesundheitsminister bereits aufgefordert, den Rettungsschirm noch einmal deutlich nachzubessern. Aber da ist bisher noch nichts passiert. Wir fordern statt der Freihaltepauschalen monatliche Liquiditätshilfen für die Krankenhäuser, die sich daran orientieren, was die Krankenhäuser 2019 an Budget hatten. Das wird sicherlich nicht zu hoch sein, aber dafür sorgen, dass die Krankenhäuser ihre Gehälter bezahlen können. Dann kann man Ende 2021 immer noch in den einzelnen Krankenhäusern einen genauen Jahresabschluss machen. Könnte man nicht auch nach Bedarf nur den Krankenhäusern helfen, die jetzt tatsächlich in die Zahlungsunfähigkeit rutschen… Das Problem dabei ist, dass man dann für jeden einzelnen Fall eine individuelle Regelung finden muss. Und dann ist die Frage, wer einspringt: Der Bund, das Land, die Krankenkassen, die Stadt oder der Landkreis. Ich finde, das ist angesichts einer deutschlandweiten Pandemie mit flächendeckenden Auswirkungen kein angemessenes Vorgehen. Eines muss noch gesagt werden: Die wirtschaftliche Misere vieler Krankenhäuser ist immer wieder ein Thema. Gibt es diesen Negativtrend nicht bereits seit Jahren? Das stimmt und es gab auch vor der Pandemie jedes Jahr Krankenhäuser, die in die Insolvenz gerutscht sind. Aber 2020 und 2021 sind da noch einmal absolute Ausnahmejahre, weil die ganze Finanzierungslogik des Krankenhaussystems außer Kraft gesetzt wird. Diese Ausnahmejahre brauchen jetzt eine Ausnahmefinanzierung. Wenn wir das hinter uns haben, müssen wir überlegen, wie wir die Regelfinanzierung krisenfester gestalten.
Manuela Heim
Vielen Krankenhäusern droht 2021 die Zahlungs­unfähigkeit, sagt der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Es brauche Geld vom Staat.
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Gelder verschwunden, Mitarbeiter weg: Vorwürfe gegen Kolping-Stiftung - taz.de
Gelder verschwunden, Mitarbeiter weg: Vorwürfe gegen Kolping-Stiftung Die Chefin der Kolping-Stiftung in Paraguay erhebt schwere Vorwürfe: Gelder verschwunden, Mitarbeiter getürmt, Aufklärung verschleppt. Die Kolping-Zentrale dementiert. Entwicklungshilfe mit Jugendlichen: das Kolpingwerk in Paraguay. Bild: privat BERLIN/ASUNCION taz | In einem Entwicklungshilfeprojekt der Kolping-Stiftung in Paraguay sind möglicherweise deutsche und europäische Entwicklungsgelder in erheblicher Höhe veruntreut worden. Die Geschäftsführerin der Kolping-Stiftung in Praguay, Brigitte Fuzellier, erhebt schwere Vorfürfe gegen die Kölner Zentrale, die "Sozial- und Entwicklungshilfe des Kolpingwerkes" (SEK). Danach habe man dort versucht, eine Aufklärung der Vorwürfe zu behindern, da negative Auswirkungen bei der finanziellen Unterstützung durch die Europäische Union (EU) und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) befürchtet wurden. Nach der taz vorliegenden Projektdokumenten geht es um die mögliche Veruntreuung von mehreren hunderttausend Euro im Rahmen der falschen Bewertung eines Hauses. Es fehlen aber auch insgesamt 14 Autos der Kolping-Stiftung. Zwei verantwortliche einheimische Mitarbeiter in Paraguay sind verschwunden, gegen einen von ihnen erwirkte die paraguayische Justiz einen Haftbefehl. Fuzellier wirft der Kolping-Zentrale SEK in Köln vor, die Aufklärung des Falles zu behindern. Nach der taz vorliegenden Dokumenten verwies der zuständige Lateinamerika-Referent von Kolping, Peter Schwab, auf den erwarteten Image-Schaden bei einer Veröffentlichung der Vorgänge. "Mir selbst macht am meisten Sorge, inwieweit diese Altlasten Schwierigkeiten mit EU und BMZ bewirken können", schrieb Schwab in einer Email nach Paraguay. Fuzellier hat Strafanzeige gegen Mitarbeiter des SEK und von Kolping Paraguay gestellt. Der SEK e.V. hat ihrerseits gegen Fuzellier rechtliche Schritte wegen Verdächtigung, Beleidigung, Verleumdung und übler Nachrede eingeleitet und dementiert, dass sie die Aufarbeitung der finanziellen Unregelmäßigkeiten behindert habe. An der Aufklärung des Falls ist auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit beteiligt. Bei der entsprechenden Überprüfung vor Ort in diesem Monat sollen auch Mitarbeiter der SEK in Köln dabei sein, denen Fuzellier vorwirft, in den Skandal persönlich verwickelt zu sein. Der Grünen-Entwicklungspolitiker Thilo Hoppe forderte Konsequenzen: "Bei privaten und kirchlichen Projekten, die staatliche Mittel erhalten - wie im Fall Kolping - muss häufiger von staatlicher Stelle kontrolliert werden", sagte Hoppe der taz. Hoppe kritisierte die Rolle der Kolpinger Zentrale SEK scharf: "Ich habe große Fragezeichen, was die Rolle des Kolping-Werks in Köln angeht. Ich habe den Eindruck, dass dort die Angst vor einem Imageschaden bestand und die Aufklärungsarbeit in Asuncion eher behindert hat", sagte er der taz.
G. Repinski
Die Chefin der Kolping-Stiftung in Paraguay erhebt schwere Vorwürfe: Gelder verschwunden, Mitarbeiter getürmt, Aufklärung verschleppt. Die Kolping-Zentrale dementiert.
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Demokratiekrise in Tunesien: Präsident löst Parlament auf - taz.de
Demokratiekrise in Tunesien: Präsident löst Parlament auf Seit acht Monaten war das tunesische Parlament suspendiert. Nachdem sich die Abgeordneten trotzdem trafen, löst Präsident Kais Saied es nun auf. Auch die tunesische Bevölkerung protestiert gegen die autokratischen Tendenzen des Präsidenten Foto: Zoubeir Souissi/reuters TUNIS afp | Tunesiens Präsident Kais Saied hat das bereits seit acht Monaten suspendierte Parlament aufgelöst. Der Staatschef verkündete am Mittwoch in einer von ihm geleiteten Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates, dass das Parlament einen „Putschversuch“ gestartet habe und die Abgeordneten „strafrechtlich verfolgt“ würden. Die Abgeordneten hatten sich zuvor über die von Saied verhängte Suspendierung hinweggesetzt und in einer virtuellen Sitzung für die Rücknahme der seither von ihm angeordneten Maßnahmen gestimmt. An der virtuellen Sitzung hatten 120 der insgesamt 217 Abgeordneten teilgenommen. In dem von ihnen angenommenen Gesetzesentwurf werfen sie dem Staatschef vor, demokratische Prozesse zu blockieren und ein autokratisches System einführen zu wollen. Die Abgeordneten forderten außerdem Parlaments- und Präsidentschaftswahlen und einen nationalen Dialog, um den politischen Stillstand zu überwinden. Saied war Ende 2019 gewählt worden. Im vergangenen Juli berief er sich auf einen Notstandsartikel der Verfassung, setzte die Regierung ab, suspendierte das Parlament und hob die Immunität der Abgeordneten auf. Er regiert seitdem per Dekret. Der Staatschef hat einen Fahrplan für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung aufgestellt. Demnach soll im Juli ein Referendum über die Verfassung abgehalten werden, gefolgt von Wahlen am Ende des Jahres. Die Opposition wirft Saied vor, er betreibe einen Putsch gegen die demokratische Revolution, durch die 2011 während des Arabischen Frühlings der Langzeit-Machthaber Zine El Abidine Ben Ali gestürzt worden war. Saieds Schritte waren zunächst von vielen Tunesiern begrüßt worden, die das oft festgefahrene politische System leid waren. Das Büro der Volksvertreter, dem das Parlamentspräsidium und Vertreter der Fraktionen angehören, hatte bereits am Montag eine virtuelle Sitzung abgehalten. Dabei wurde die Parlamentssitzung am Mittwoch anberaumt, bei der über die „Sondervollmachten“ beraten werden sollte, die Saïed für sich beansprucht. Der Staatschef hatte die Sitzung umgehend als „illegal“ bezeichnet. Die von dem Gremium angekündigten Parlamentssitzungen hätten „keinen Wert“ und seien ein „versuchter Staatsstreich“, sagte er bereits damals.
taz. die tageszeitung
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Müllverbrennung braucht Kredite - taz.de
Müllverbrennung braucht Kredite RUHR taz ■ Der Neubau einer Müllverbrennungsanlage in Herten steht auf der Kippe. Wie die taz erfuhr, kann die Abfallgesellschaft Ruhrgebiet (AGR) die Kredite nicht absichern. Eine österreichische Bank habe für zweistellige Millionenkredite eine direkte Bürgschaft des Regionalverbandes Ruhr (RVR) als Eigentümer der AGR gefordert. Dies hat das Innenministerium NRW aber verboten. Damit hängt der Bau der MVA „am seidenen Faden“, wenn nicht „eine befreundete Organisation“ einspringe, sagte RVR-Beteiligungschef Dieter Funke in einer vertraulichen Sitzung. DAVID SCHRAVEN
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Allzweckwaffe mit Babyzügen - taz.de
Allzweckwaffe mit Babyzügen Die Scharfschützen vom Spiegel hatten „Babyface“ Boris Rhein (CDU) erst kürzlich im Visier. Kontakte zur berüchtigten Rockerbande Hells Angels soll der noch amtierende hessische Innenminister unterhalten haben. Ab sofort ist er auch designierter Kandidat der Union für die nach der Rücktrittsankündigung von OB Petra Roth nun zwangsweise vorgezogene Direktwahl eines neuen Stadtoberhauptes im Sommer 2012. Der Schuss des Nachrichtenmagazins ging allerdings nach hinten los. Der 39 Jahre alte Rhein wies die „ungeheuerliche Unterstellung“ nicht nur glaubwürdig zurück, sondern verbot umgehend zwei Ortsvereine der kriminellen Angels in der Mainmetropole. Der jungenhaft aussehende Hoffnungsträger der hessischen CDU fährt auch keine Harley, sondern in einem Audi A8 (6.0 Quattro) – von seinem Chauffeur gesteuert. Nach einer aktuellen Umfrage der Deutschen Umwelthilfe zur (Un-)Sauberkeit der Dienstfahrzeuge von Landes- und Bundesministern ist die Luxuslimousine von Rhein allerdings die größte Dreckschleuder von allen. Auch ein Rekord. Der Wehrdienstverweigerer Rhein ist auch karrieremäßig immer schnell unterwegs. 1990 in die Junge Union eingetreten, war der Frankfurter Bub schon sechs Jahre später deren Kreisvorsitzender und Mitglied im Landesvorstand der CDU Hessen. 1999 zog der gelernte Jurist dann in den Hessischen Landtag ein. 2006 übernahm Rhein das Rechtsdezernat der Stadt Frankfurt. Doch die CDU Hessen mit Roland Koch noch als Macher und „Menschenfischer“ überredete ihn 2009 dazu, als Staatssekretär in das von Volker Bouffier (CDU) geleitete Innenministerium zu wechseln. Als Bouffier Ministerpräsident wurde, avancierte Rhein zum Innenminister. Jetzt soll die Allzweckwaffe der hessischen Union also OB in Frankfurt und damit Nachfolger der in der Stadt überaus beliebten Petra Roth werden? Nur wenn die Frankfurter CDU das auch wirklich will (die Kandidatenkür findet erst im Frühjahr 2012 statt) – und dann auch die Bürgerinnen und Bürger für Rhein votieren. Seine Chancen stehen aber nicht schlecht, vor allem wegen der schwachbrüstigen Konkurrenz. KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
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