id
int64 58.9k
194k
| slug
stringlengths 19
56
| court
dict | file_number
stringlengths 2
100
| date
timestamp[s] | created_date
timestamp[s] | updated_date
timestamp[s] | type
stringlengths 1
64
| ecli
stringlengths 0
46
| content
stringlengths 0
2.45M
|
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
188,482 | olgmuen-2019-02-07-34-ar-11418 | {
"id": 277,
"name": "Oberlandesgericht München",
"slug": "olgmuen",
"city": null,
"state": 4,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": "Oberlandesgericht"
} | 34 AR 114/18 | 2019-02-07T00:00:00 | 2019-02-11T11:04:18 | 2019-02-13T12:21:02 | Beschluss | <h2>Tenor</h2>
<div>
<p>Als funktional zuständig wird die allgemeine Zivilkammer bestimmt.</p>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
<p>I.</p>
<p><rd nr="1"/>Die in München ansässige Klägerin, ein Versicherungsunternehmen, begehrt nach Abgabe an das im Mahnbescheid als Streitgericht bezeichnete Landgericht Augsburg mit Anspruchsbegründung vom 12.2.2018 von dem im Bezirk des Landgerichts Augsburg wohnhaften Beklagten, einem Versicherungsvermittler, Rückzahlung von Provisionsvorschüssen i.H.v. 6.150,23 € wegen vom Beklagten vermittelter, aber stornierter bzw. reduzierter Versicherungen. Die Parteien schlossen am 1.4.2009 einen Versicherungsagenturvertrag, wonach der Beklagte ausschließlich für die Klägerin im Wesentlichen die Erschließung neuer Kundenkreise und die Pflege der Bestandskunden übernahm. Die Klägerin stützt ihren Anspruch auf Ziff. 4 der nach dem Agenturvertrag geltenden Allgemeinen Provisionsbedingungen, wonach eine Abschlussprovision zurückbelastet wird, soweit ein Versicherungsvertrag storniert oder reduziert wird.</p>
<p><rd nr="2"/>Das Verfahren wurde zunächst von der allgemeinen Einlaufstelle des Landgerichts Augsburg der für Streitigkeiten aus Versicherungsvertragsverhältnissen gemäß <verweis.norm>§ 72 a Abs. 1 Nr. 4 <v.abk ersatz="GVG zuständigen 9">GVG zuständigen 9</v.abk></verweis.norm>. Zivilkammer des Landgerichts Augsburg zugeteilt. Nach Eingang der Anspruchsbegründung verfügte die Vorsitzende dieser Kammer die Umtragung in den allgemeinen Turnus.</p>
<p><rd nr="3"/>Die 2. Zivilkammer des Landgerichts Augsburg (Az.: 21 O 178/18) erklärte sich nach Zustellung der Klage und Eingang von Klageerwiderung und Replik mit Beschluss vom 25.6.2018 für unzuständig und leitete das Verfahren der 9. Zivilkammer zu. Zur Begründung ist ausgeführt, es sei die Zuständigkeit der Spezialkammer gegeben. Es handle sich zwar nicht um eine Streitigkeit zwischen Versicherungsnehmer, Versichertem oder Bezugsberechtigem einerseits und Versicherer andererseits. Unter <verweis.norm>§ 72a Nr. 4 <v.abk ersatz="GVG">GVG</v.abk></verweis.norm> würden wegen der Sachnähe aber auch Streitigkeiten aus Versicherungsvermittlung und -beratung i.S.d. <verweis.norm>§ 59 <v.abk ersatz="VVG">VVG</v.abk></verweis.norm> sowie Streitigkeiten mit Versicherungsmaklern i.S.d. <verweis.norm>§ 59 Abs. 3 <v.abk ersatz="VVG">VVG</v.abk></verweis.norm> fallen, wobei die Beteiligung des Versicherungsnehmers, Versicherten oder Bezugsberechtigen nicht zwingend sei. Die im Rahmen des <verweis.norm>§ 72a Nr. 4 <v.abk ersatz="GVG">GVG</v.abk></verweis.norm> erforderliche Sachnähe ergebe sich daraus, dass zur Beurteilung der Begründetheit von Provisionsrückforderungen gegen den Versicherungsvermittler in Einzelheiten der zu Grunde liegenden Versicherungsverträge einzusteigen sei.</p>
<p><rd nr="4"/>Der Beschluss wurde den Parteien mitgeteilt.</p>
<p><rd nr="5"/>Mit Beschluss vom 4.7.2018 lehnte die 9. Zivilkammer (Az. 91 O 178/18) die Übernahme des Verfahrens ab mit der Begründung, es liege keine Streitigkeit i.S.d. <verweis.norm>§ 72a Nr. 4 <v.abk ersatz="GVG">GVG</v.abk></verweis.norm> vor. Eine Sachnähe zu Versicherungsvertragsverhältnissen, mit der die über den Wortlaut des <verweis.norm>§ 72a Nr. 4 <v.abk ersatz="GVG">GVG</v.abk></verweis.norm> hinausgehende Ausweitung des Anwendungsbereiches gerechtfertigt werden könne, bestehe, wenn Ansprüche eines Versicherungsnehmers gegen Versicherungsvermittler/-berater betroffen seien, die im Zusammenhang mit deren Vermittlungs- oder Beratungstätigkeit stehen. Insoweit gehe es um die unmittelbare Einwirkung dieser Personen auf den konkreten Versicherungsvertrag und die im Versicherungsvertragsgesetz enthaltenen Regelungen. Im vorliegenden Fall sei nicht ersichtlich, inwiefern zur Begründetheit der Klage Einzelheiten der zugrundeliegenden Versicherungsverträge beurteilt werden müssten.</p>
<p><rd nr="6"/>Mit Beschluss vom 11.7.2018 hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Augsburg (Az. nunmehr: 21 O 2275/18) die Akten dem Oberlandesgericht München (Az.: 34 AR 114/18) zur Bestimmung der zuständigen Zivilkammer entsprechend <verweis.norm>§ 36 Abs. 1 Nr. 6 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> vorgelegt. Dieser Beschluss wurde mit dem Ablehnungsbeschluss der 9. Zivilkammer vom 4.7.2018 den Parteien mitgeteilt.</p>
<p><rd nr="7"/>Die Parteien hatten im Bestimmungsverfahren Gelegenheit zur Äußerung. Die Klägerin hat vorgetragen, es bestehe die Möglichkeit, dass im Rahmen der Beweisaufnahme die Frage zu prüfen sei, wer die Nichtausführung eines Versicherungsvertrages zu vertreten habe. Dies könne auch Fragen des Versicherungsvertrages betreffen.</p>
<p>II.</p>
<p><rd nr="8"/>Das Oberlandesgericht München ist als das nächst höhere Gericht analog <verweis.norm>§§ 36 Abs. 1, 37 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit berufen.</p>
<p><rd nr="9"/>1. Die Voraussetzungen für die funktionelle Zuständigkeitsbestimmung entsprechend <verweis.norm>§§ 36 Abs. 1 Nr. 6, 37 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> liegen vor. Die 2. und die 9. Zivilkammer des Landgerichts Augsburg haben sich jeweils durch Beschlüsse für unzuständig erklärt. Zwar setzt <verweis.norm>§ 36 Abs. 1 Nr. 6 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> nach seinem Wortlaut voraus, dass sich verschiedene Gerichte, und nicht einzelne Spruchkörper, rechtskräftig für unzuständig erklärt haben. Die Vorschrift ist jedoch entsprechend anwendbar, wenn zwischen mehreren Spruchkörpern des gleichen Gerichts ein Zuständigkeitsstreit besteht und die Entscheidung des Kompetenzkonflikts nicht von der Auslegung des Geschäftsverteilungsplans, sondern von einer gesetzlichen Zuweisungsregelung abhängt (BGH NJW-RR 2014, 573; BGH NJW 2000, 80; KG BeckRS 2018, 32681; OLG Frankfurt a. M. BeckRS 2018, 17370; OLG Hamburg BeckRS 2018, 33588; Hüßtege in Thomas/Putzo ZPO 39. Aufl. <verweis.norm>§ 72a <v.abk ersatz="GVG">GVG</v.abk></verweis.norm> Rn. 9; Zöller/Lückemann ZPO 32. Aufl. <verweis.norm>§ 72a <v.abk ersatz="GVG">GVG</v.abk></verweis.norm> Rn. 7; BeckOK ZPO/Fischer 31. Edition § 348 Rn. 64; Fölsch in MDR 2018, 1481; Schultzky in MDR 2018, 1015 ff.). Bei der in <verweis.norm>§ 72a <v.abk ersatz="GVG">GVG</v.abk></verweis.norm> aufgeführten Zuständigkeit der Spezialkammern handelt es sich um eine gesetzliche Zuständigkeitsverteilung (BeckOK/Feldmann GVG 1. Edition § 72a Rn. 6; Zöller/Lückemann <verweis.norm>§ 72a <v.abk ersatz="GVG">GVG</v.abk></verweis.norm> Rn. 2; Fölsch in MDR 2018, 1481 ff.).</p>
<p><rd nr="10"/>Auch die weiteren Voraussetzungen des <verweis.norm>§ 36 Abs. 1 Nr. 6 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> sind erfüllt. Die 2. Zivilkammer des Landgerichts Augsburg hat die Zustellung der Klage veranlasst und damit die für die Zuständigkeitsbestimmung notwendige Rechtshängigkeit der Klage gemäß <verweis.norm>§§ 253 Abs. 1, 263 Abs. 1 <v.abk ersatz="ZPO bewirkt (BGH NJW-RR 1996">ZPO bewirkt (BGH NJW-RR 1996</v.abk></verweis.norm>, 254; Zöller/Schultzky § 36 Rn. 31; Hüßtege in Thomas/Putzo § 36 Rn. 22). Die am Kompetenzkonflikt beteiligten Spruchkörper haben sich auch jeweils durch den Parteien bekannt gegebene Entscheidungen für unzuständig erklärt, die 2. Zivilkammer durch Beschluss vom 25.6.2018 und die 9. Zivilkammer durch den die Übernahme ablehnenden Beschluss vom 4.7.2018. Dieser wurde zwar nicht durch die 9. Zivilkammer, wohl aber durch die 2. Zivilkammer - was ausreichend ist - mit Verfügung vom 11.7.2018 an die Parteien herausgegeben. Die entsprechende Anwendung des <verweis.norm>§ 36 Abs. 1 Nr. 6 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> bei einem Kompetenzkonflikt zwischen zwei Spruchkörpern setzt nämlich zumindest voraus, dass die betreffenden Entscheidungen den Beteiligten bekannt gemacht wurden (KG NJW-RR 2018, 639; KG BeckRS 2018, 32681; Hüßtege in Thomas/Putzo § 36 Rn. 23; Zöller/Schultzky § 36 Rn. 35).</p>
<p><rd nr="11"/>Die Zuständigkeit des 9. Zivilsenats steht auch nicht bereits deswegen fest, weil der Beschluss des 2. Zivilsenats für den 9. Zivilsenat bindend wäre. Eine Vorschrift, die - wie etwa <verweis.norm>§ 281 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> oder <verweis.norm>§ 102 <v.abk ersatz="GVG">GVG</v.abk></verweis.norm> - die Bindung eines Verweisungsbeschlusses regeln würde, fehlt im Zusammenhang mit der Zuständigkeitsregelung des <verweis.norm>§ 72a <v.abk ersatz="GVG (OLG Hamburg BeckRS 2018">GVG (OLG Hamburg BeckRS 2018</v.abk></verweis.norm>, 18116). Die bindende Wirkung einer Verweisung gem. <verweis.norm>§ 281 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> setzt voraus, dass zwei verschiedene Gerichte beteiligt sind. Das trifft auf allgemeine Zivilkammern und Spezialkammern desselben Landgerichts, deren Abgrenzung voneinander keine Frage der sachlichen Zuständigkeit im herkömmlichen Sinne der ZPO ist, nicht zu (BGH NJW 1978, 1531).</p>
<p><rd nr="12"/>2. Funktional zuständig ist die allgemeine Zivilkammer.</p>
<p><rd nr="13"/>a) Die in <verweis.norm>§ 72a Satz 1 <v.abk ersatz="GVG">GVG</v.abk></verweis.norm> getroffenen Regelung orientiert sich an den in <verweis.norm>§ 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> genannten Sachgebieten und deren Begriffsverständnis. Die unter <verweis.norm>§ 72a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 <v.abk ersatz="GVG">GVG</v.abk></verweis.norm> (entsprechend <verweis.norm>§ 348 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. h <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm>) genannten Streitigkeiten aus Versicherungsvertragsverhältnissen umfassen Streitigkeiten über Ansprüche aus Versicherungsverhältnissen zwischen dem Versicherungsnehmer, dem Versicherten oder dem Bezugsberechtigten einerseits und dem Versicherer anderseits und - nach dem Willen des Gesetzgebers - daneben, wegen der Sachnähe, auch Streitigkeiten aus Versicherungsvermittlung und -beratung i.S.d. <verweis.norm>§ 59 <v.abk ersatz="VVG (BT">VVG (BT</v.abk></verweis.norm>-Drs. 18/11437, 45; BeckOK/Feldmann <verweis.norm>§ 72a <v.abk ersatz="GVG">GVG</v.abk></verweis.norm> Rn. 16). Streitigkeiten aus Versicherungsvertragsverhältnissen betreffen Ansprüche aus Versicherungsverträgen, also alle mit der Begründung und Durchführung eines Versicherungsverhältnisses verbundenen Streitigkeiten (Büscher in Wieczorek/Schütze ZPO 4. Aufl. § 348 Rn. 62; Klimke in Prölss/Martin VVG 30. Aufl. § 215 Rn. 4). Streitigkeiten aus Versicherungsvermittlung und -beratung sind Klagen mit Versicherungsvermittlern i.S.d. <verweis.norm>§ 59 Abs. 2 und 3 <v.abk ersatz="VVG">VVG</v.abk></verweis.norm>, d.h. mit Versicherungsvertretern oder -maklern bzw. mit Versicherungsberatern i.S.d. <verweis.norm>§ 59 Abs. 4 <v.abk ersatz="VVG">VVG</v.abk></verweis.norm>, die im Zusammenhang mit dem Abschluss oder der Anbahnung eines (zumindest abstrakt in Aussicht genommenen) Versicherungsvertrages stehen (Klimke in Prölss/Martin § 215 Rn. 6, 7). Die in der Gesetzesbegründung enthaltene Formulierung „aus“ setzt das Vorliegen eines Versicherungsvermittlungs- oder -beratungsvertrages voraus, aus dem die betreffenden Ansprüche abgeleitet werden.</p>
<p><rd nr="14"/>b) Ausgehend von diesem Verständnis ist nicht ersichtlich, dass für den vorliegenden Rechtsstreit eine Sonderzuständigkeit nach <verweis.norm>§ 72a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 <v.abk ersatz="GVG">GVG</v.abk></verweis.norm> begründet sein könnte. Grundlage des streitgegenständlichen Anspruchs ist kein Versicherungsvertrags-, vermittlungs- oder -beratungsverhältnis, sondern der zwischen den Parteien abgeschlossene Agenturvertrag i.V.m. mit den in Bezug genommenen Allgemeinen Provisionsbedingungen der Klägerin. Die neu geschaffenen gesetzlichen Sonderzuständigkeiten sollen nach der Gesetzesbegründung sicherstellen, dass eine häufige Befassung mit einer bestimmten Materie eine schnellere und kompetentere Bearbeitung der betreffenden Verfahren erwarten lässt. Dieses Anliegen vermag jedoch nichts daran zu ändern, dass die hierzu neu geschaffenen Vorschriften - wie auch sonstige Zuständigkeitsnormen - einer klaren und eindeutigen Abgrenzung bedürfen. Denn ihre uferlose Ausdehnung brächte die Gefahr mit sich, die mit ihrer Einführung von dem Gesetzgeber erhofften Spezialisierungseffekte wieder zunichte zu machen (KG BeckRS 2018, 32681). Es mag sein, dass im vorliegenden Fall im Zusammenhang mit dem geltend gemachten Anspruch auf Provisionsrückzahlung auch Fragestellungen versicherungsvertraglicher Art von Bedeutung sein können. Allein dies rechtfertigt jedoch noch nicht die Anwendung des <verweis.norm>§ 72a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 <v.abk ersatz="GVG">GVG</v.abk></verweis.norm>.</p>
</div>
|
|
188,452 | ovgnrw-2019-02-06-4-a-93917 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 4 A 939/17 | 2019-02-06T00:00:00 | 2019-02-11T11:03:54 | 2019-02-13T12:21:02 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0206.4A939.17.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 7.3.2017 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf wird abgelehnt.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p>
<p>Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 15.000,00 € festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Die ernstlichen Zweifel sind ausschließlich behauptet, nicht jedoch, wie § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO verlangt, dargelegt. Der Einwand des Klägers, sein Vortrag sei unstreitig gestellt worden, begründet schon deshalb keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, weil das Gericht den Sachverhalt im Verwaltungsprozess von Amts wegen erforscht (§ 86 VwGO).</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegt nicht vor. Der Kläger hat hierzu vorgebracht, er habe von der in der mündlichen Verhandlung erwähnten Klageerwiderung und Vorlage der Verwaltungsvorgänge sowie von im erstinstanzlichen Urteil angeführten Schreiben der C.  C1.   vom 12.10.2016 und der Deutschen Rentenversicherung S.         vom 3.12.2014 keine Kenntnis erhalten. Diese Einwände führen nicht auf einen Verstoß gegen den Grundsatz der Wahrung rechtlichen Gehörs.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das Gebot rechtlichen Gehörs verlangt, dass das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt wird, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO). Die Verwertung von Tatsachen und Beweisergebnissen setzt deshalb voraus, dass diese von den Verfahrensbeteiligten oder vom Gericht im Einzelnen bezeichnet zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht oder sonst in das Verfahren eingeführt worden sind, und dass sich die Beteiligten hierzu äußern konnten.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">StRspr. vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.7.2001 ‒ 2 BvR 982/00 ‒, InfAuslR 2001, 463 = juris, Rn. 15 f.; BVerwG, Urteil vom 14.11.2016 ‒ 5 C 10.15 D ‒, BVerwGE 156, 229 = juris, Rn . 65.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Es liegt jedoch keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, wenn ein Beteiligter es unterlässt, Gebrauch von den ihm verfahrensrechtlich gebotenen Möglichkeiten zu machen, sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Für den Fall, dass eine mündliche Verhandlung stattfindet, begründet der Anspruch auf rechtliches Gehör vor allem das Recht des Beteiligten auf Äußerung in dieser Verhandlung. Inwieweit diese Gelegenheit wahrgenommen wird, ist Sache des Beteiligten. Durch seine prozessuale Mitverantwortung wird der Anspruch auf rechtliches Gehör begrenzt.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 7.6.2017 ‒ 5 C 5.17 D ‒, juris, Rn. 8.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die Möglichkeit, sich Kenntnis über die Klageerwiderung und die Verwaltungsvorgänge zu verschaffen, hätte dem Kläger in der mündlichen Verhandlung offen gestanden. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 7.3.2017 ist die Sach- und Rechtslage mit den Erschienenen, unter anderem dem Kläger und seinem Prozessbevollmächtigten, erörtert worden. Dabei hätte ausreichend Gelegenheit bestanden, sich die entsprechende Kenntnis durch Nachfrage bzw. Einsichtnahme in die Verwaltungsvorgänge zu verschaffen, zumal der Kläger selbst vorgetragen hat, dass der Beklagtenvertreter in der Verhandlung auf die Klageerwiderung und die Verwaltungsvorgänge hingewiesen habe. Abgesehen davon kann der Kläger schon deshalb nicht mit Erfolg geltend machen, er habe sich zu Angaben der C.  C1.   über in den Jahren 2010 bis 2015 gezahlte Lohnsummen und Angaben der Deutschen Rentenversicherung S.         über von seiner Firma, der B.     o. e. I.      GmbH, von 2010 bis 2013 beschäftigte Rohrinstallateure nicht äußern können, weil er ausweislich eines Aktenvermerks am 6.12.2016 auf die von der Firma zur Sozialversicherung gemeldeten Arbeitnehmer für Klempner- und Installationsarbeiten angesprochen worden war. Mit dieser Kenntnis oblag es ihm, sich im Laufe des weiteren Verfahrens Akteneinsicht zu verschaffen, wenn er zu den genauen Erkenntnissen, die der Beklagten vorlagen, hätte Stellung nehmen wollen.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Darüber hinaus erfordert eine Rüge der Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs regelmäßig die substantiierte Darlegung dessen, was die Prozesspartei bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und inwiefern dieser Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">StRspr. vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.8.2016 ‒ 4 B 36.16 ‒, juris, Rn. 3.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">An einer solchen substantiierten Darlegung fehlt es. Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger eine weitere Darlegung nicht möglich war, bestehen nicht. Abgesehen davon, dass er auch zur Begründung seines Zulassungsantrags hätte Akteneinsicht nehmen können, war dem Kläger bereits seit dem 6.12.2016 bekannt, dass die Beklagte über Nachweise von fortbestehenden Arbeitsverhältnissen mit seiner Firma verfügt, auf die das Verwaltungsgericht in seinem Urteil unter Verweis auf die Schreiben der C.  C1.   und der Deutschen Rentenversicherung S.         Bezug genommen hat.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 GKG und lehnt sich an Nr. 54.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ-Beilage 2/2013) an.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.</p>
|
188,446 | bverfg-2019-02-06-1-bvq-419 | {
"id": 3,
"name": "Bundesverfassungsgericht",
"slug": "bverfg",
"city": null,
"state": 2,
"jurisdiction": "Verfassungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": "Bundesgericht"
} | 1 BvQ 4/19 | 2019-02-06T00:00:00 | 2019-02-11T11:03:16 | 2019-02-13T12:21:02 | Ablehnung einstweilige Anordnung | ECLI:DE:BVerfG:2019:qk20190206.1bvq000419 | <h2>Tenor</h2>
<div>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.</p>
</dd>
</dl>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h1>A.</h1>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_1">1</a>
</dt>
<dd>
<p>
Der Antrag ist darauf gerichtet, den Vollzug des durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Zensusvorbereitungsgesetzes 2021 und Zweiten Dopingopfer-Hilfegesetzes sowie Bundesbesoldungsgesetzes vom 27. November 2018 (BGBl I S. 2010) in das Zensusvorbereitungsgesetz (ZensVorbG 2021) eingefügten § 9a ZensVorbG 2021 im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht (§ 32 BVerfGG) außer Kraft zu setzen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h2>I.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_2">2</a>
</dt>
<dd>
<p>
Nach der Verordnung (EG) Nr. 763/2008 in Verbindung mit der Verordnung (EU) Nr. 2017/712 ist die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, der Europäischen Kommission für das Bezugsjahr 2021 statistische Daten und Metadaten für die Volks- und Wohnungszählung zu übermitteln. Zu diesem Zweck sieht § 9a ZensVorbG 2021, der mit Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Zensusvorbereitungsgesetzes 2021 und Zweiten Dopingopfer-Hilfegesetzes sowie Bundesbesoldungsgesetzes vom 27. November 2018 (BGBl I S. 2010) in das Zensusvorbereitungsgesetz eingefügt wurde, eine ab dem 14. Januar 2019 durchzuführende Pilotdatenübermittlung durch die nach Landesrecht für das Meldewesen zuständigen Behörden und die statistischen Landesämter an das Statistische Bundesamt vor, die eine Prüfung der Übermittlungswege und der Qualität der zum Zensus 2021 zu übermittelnden Daten aus den Melderegistern sowie den Test und die Weiterentwicklung der Programme für die Durchführung des Zensus 2021 ermöglichen soll (§ 9a Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 2 Satz 2 ZensVorbG 2021). Diese umfasst die nicht anonymisierten oder pseudonymisierten Meldedaten der in § 9a Abs. 1 Satz 2 ZensVorbG 2021 genannten Personen mit den in § 9a Abs. 2 bis 4 ZensVorbG 2021 genannten Merkmalen, die neben Namen und Wohnanschriften unter anderem auch Geschlecht, Staatsangehörigkeiten, Familienstand und die Zugehörigkeit zu öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften einschließen. Eine Verarbeitung der Daten zu anderen als den in § 9a Abs. 1 Satz 1 ZensVorbG 2021 genannten Zwecken ist ausgeschlossen (§ 9a Abs. 5 Satz 3 ZensVorbG 2021). Die Daten sind nach § 9a Abs. 6 ZensVorbG 2021 unverzüglich zu löschen, soweit sie nicht mehr erforderlich sind, spätestens jedoch zwei Jahre nach dem Stichtag des 13. Januar 2019. Nach der Gesetzesbegründung geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Höchstspeicherfrist von zwei Jahren im Hinblick auf alle übermittelten Daten ausgeschöpft werden muss, um ausreichend Zeit für den Test und die Weiterentwicklung der Programme zur Verfügung zu stellen (BRDrucks 206/18, S. 15).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h2>II.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_3">3</a>
</dt>
<dd>
<p>
1. Die Antragsteller werden an ihren Wohnorten im Melderegister geführt. Sie sind der Ansicht, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung schon deswegen begründet sei, weil eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde gegen § 9a ZensVorbG 2021 offensichtlich begründet sei. Jedenfalls aber überwiege das Interesse an der vorläufigen Aussetzung beziehungsweise Einschränkung der Datenübermittlung gegenüber dem staatlichen Vollzugsinteresse.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_4">4</a>
</dt>
<dd>
<p>
§ 9a ZensVorbG 2021 verletze die Antragsteller in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, da er einen flächendeckenden und intensiven Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung begründe, der nicht durch die Gesetzeszwecke gerechtfertigt sei. So sei schon der Erforderlichkeitsgrundsatz in Verbindung mit dem Gebot der möglichst frühzeitigen Anonymisierung verletzt, da für die Überprüfung der Übermittlungswege eine Übermittlung anonymisierter, pseudonymisierter oder unechter Daten ausreiche und für die Zwecke der Prüfung der Datenqualität und der Programmentwicklung eine nicht anonymisierte Stichprobe genüge. Soweit die Gesetzesbegründung die Verwendung nicht anonymisierter Daten für notwendig erachte, enthalte sie keine Begründung, wieso eine hinreichend große Stichprobe hierfür nicht ausreiche. Jedenfalls sei eine nicht anonymisierte Vollerhebung unverhältnismäßig, weil die Summe der übermittelten und gespeicherten Merkmale Rückschlüsse über Lebenslauf, Wohnsituation, Migrationshintergrund, Partnerschaft, familiäre Verhältnisse und sozialen Status erlaube und gegebenenfalls Einblicke in den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung im Hinblick auf sexuelle Orientierung, eheliche Gemeinschaft, Familienleben und religiöse Bekenntnisse ermögliche. Die hiermit verbundene Eingriffstiefe stehe außer Verhältnis zum Nutzen einer Erprobung und Optimierung der bereits weitgehend erprobten Übermittlungswege und Programme. Mit einer Speicherung der nicht anonymisierten Daten über einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren würden diese nicht nur dem Zugriff einer Vielzahl von Behördenmitarbeitern und externen Dienstleistern zugänglich, sondern auch einem Risiko eines illegalen Zugriffs durch Dritte ausgesetzt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_5">5</a>
</dt>
<dd>
<p>
Jedenfalls aber überwiege das Interesse an der vorläufigen Aussetzung oder Einschränkung der Datenübermittlung gegenüber dem staatlichen Vollzugsinteresse, da bei einer nicht anonymisierten Datenübermittlung irreparable Nachteile für alle melderechtlich erfassten Personen entstünden, wohingegen ein Probedurchlauf gegebenenfalls auch zu einem späteren Zeitpunkt oder in einem reduzierten Umfang möglich beziehungsweise für eine ordnungsgemäße Durchführung des Zensus 2021 nicht unverzichtbar sei.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_6">6</a>
</dt>
<dd>
<p>
2. Zum Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung haben das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat und der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Stellung genommen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h1>B.</h1>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_7">7</a>
</dt>
<dd>
<p>
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist abzulehnen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_8">8</a>
</dt>
<dd>
<p>
Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 112, 284 <291>; 121, 1 <14 f.>; stRspr). Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht auf Grundlage einer Folgenabwägung entscheiden (vgl. BVerfGE 117, 126 <135>; 121, 1 <17>; stRspr).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_9">9</a>
</dt>
<dd>
<p>
1. Eine gegebenenfalls noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde wäre nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet. So ist schon im Gesetzgebungsverfahren zum Teil umstritten geblieben, ob und in welchem Umfang eine zentrale Analyse und Speicherung der nicht anonymisierten oder pseudonymisierten Meldedaten zum Zweck der Erreichung der mit der Pilotdatenlieferung verfolgten Zwecke erforderlich ist (vgl. BTDrucks 206/18, S. 7 ff., 14 f. sowie BT-Plenarprotokoll 19/58, S. 6564A mit BT-Plenarprotokoll 19/52, S. 5609AB, S. 5610BC, S. 5612A - 5613A und BT-Plenarprotokoll 19/58, S. 6565BC, S. 6566B - 6567A, S. 6567B, S. 6568A - D). Auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit hat bis zuletzt Bedenken gegenüber der durchgehenden Verwendung von Klardaten in dem durch § 9a ZensVorbG 2021 legitimierten Testdurchlauf angemeldet, während das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat diese als zur Erreichung der Gesetzeszwecke unerlässlich ansieht. Insoweit wird sich in einem gegebenenfalls durchzuführenden Hauptsacheverfahren insbesondere die Frage stellen, ob die vom Gesetzgeber verfolgten Zwecke auch durch eine in Umfang, Form oder begrenzte Datenübermittlung und -speicherung gleichermaßen erreicht werden könnten. Auch wird zu fragen sein, welcher Mehrwert einer Verwendung der vollständigen Echtdaten im Vergleich zu einer begrenzteren Datenübermittlung - etwa in Form einer Beschränkung auf einzelne Merkmale oder einer Verwendung anonymisierter Datensätze, die gegebenenfalls durch nicht anonymisierte Stichproben ergänzt werden könnten - zukommt und ob dieser in einem angemessenen Verhältnis zum Eingriffsgewicht steht. Diese Fragen bedürfen näherer Aufklärung und können vorliegend nicht in der für das Eilverfahren gebotenen Kürze der Zeit geklärt werden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_10">10</a>
</dt>
<dd>
<p>
2. Im Rahmen der demnach gebotenen Folgenabwägung muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 117, 126 <135>; 121, 1 <17>; stRspr).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_11">11</a>
</dt>
<dd>
<p>
Wird die Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes begehrt, ist bei der Folgenabwägung ein besonders strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 3, 41 <44>; 104, 51 <55>; 112, 284 <292>; 121, 1 <17>; stRspr). Das Bundesverfassungsgericht darf von seiner Befugnis, den Vollzug eines in Kraft getretenen Gesetzes auszusetzen, nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch machen, da der Erlass einer solchen einstweiligen Anordnung stets ein erheblicher Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ist (vgl. BVerfGE 64, 67 <69>; 117, 126 <135>; 121, 1 <17>; 140, 211 <219>). Müssen die für eine vorläufige Regelung sprechenden Gründe schon im Regelfall so schwer wiegen, dass sie den Erlass einer einstweiligen Anordnung unabdingbar machen, so müssen sie im Fall der begehrten Außervollzugsetzung eines Gesetzes darüber hinaus besonderes Gewicht haben (vgl. BVerfGE 104, 23 <27 f.>; 117, 126 <135>; 122, 342 <361 f.>; stRspr). Insoweit ist von entscheidender Bedeutung, ob die Nachteile irreversibel oder nur sehr erschwert revidierbar sind (vgl. BVerfGE 91, 70 <76 f.>; 118, 111 <123>; 140, 211 <219 f.>), um das Aussetzungsinteresse durchschlagen zu lassen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_12">12</a>
</dt>
<dd>
<p>
Bei Anwendung dieser Maßstäbe scheidet eine Aussetzung der Pilotlieferung nach § 9a ZensVorbG 2021 im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht aus.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_13">13</a>
</dt>
<dd>
<p>
a) Ergeht eine einstweilige Anordnung nicht, hätte die noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde aber Erfolg, so würden die Daten der Antragsteller sowie aller melderechtlich erfassten Personen zu Unrecht in nicht anonymisierter Form zusammengeführt und für die gesetzlich vorgesehenen Zwecke genutzt, obwohl dies für deren Erfüllung nicht erforderlich oder sonst unverhältnismäßig wäre.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_14">14</a>
</dt>
<dd>
<p>
In einer solchen zweckändernden Übermittlung der in § 9a Abs. 2 bis 4 ZensVorbG 2021 genannten personenbezogenen Merkmale aller zum maßgeblichen Stichtag melderechtlich erfassten Personen liegt allerdings nicht nur aufgrund der Streubreite und Anlasslosigkeit der Maßnahme ein erheblicher Grundrechtseingriff. So trägt die nicht anonymisierte oder pseudonymisierte Weitergabe und Sammlung von Merkmalen wie Geschlecht, Staatsangehörigkeit, Familienstand oder die Zugehörigkeit zu einer öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaft in Verbindung mit personenbezogenen Angaben über Ehegatten, Lebenspartner und minderjährige Kinder oder gesetzliche Vertreter das Potential in sich, einzelne Lebensbereiche des Betroffen abzubilden und in vielgestaltiger Weise für eine weitere Verknüpfung und Verwendung zu erschließen (vgl. BVerfGE 65, 1 <44 f., 53>). Dies gilt umso mehr, als sich der Gesetzgeber zur Erreichung der in § 9a Abs. 1 Satz 1 ZensVorbG 2021 genannten Zwecke bewusst gegen eine im Kontext statistischer Erhebung sonst übliche und grundsätzlich auch verfassungsrechtlich gebotene frühzeitige Anonymisierung beziehungsweise Trennung von Erhebungs- und Hilfsmerkmalen (vgl. BVerfGE 65, 1 <48 ff., 53 f., 61>) entschieden hat (BTDrucks 19/3828, S. 15).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_15">15</a>
</dt>
<dd>
<p>
Jedoch verdichtet und konkretisiert sich der in der Speicherung für Einzelne liegende Nachteil für ihre Freiheit und Privatheit auch bei der Sammlung von Daten zu statistischen Zwecken erst durch einen Abruf der Daten zu einer möglicherweise irreparablen Beeinträchtigung. Die Datenbevorratung ermöglicht zwar den Abruf, doch führt erst dieser zu konkreten Belastungen. Das Gewicht eines denkbaren Einschüchterungseffekts hängt dann davon ab, unter welchen Voraussetzungen die bevorrateten Daten abgerufen und verwendet werden können. Je weiter die Befugnisse staatlicher Stellen insoweit reichen, desto eher müssen die Bürgerinnen und Bürger befürchten, dass diese Stellen ihr Kommunikationsverhalten überwachen oder - wie im Fall der Erhebung für statistische Zwecke relevanter Daten - diese für Zwecke des Verwaltungsvollzugs auswerten oder mit Daten aus anderen Quellen verknüpfen. Mit der Speicherung allein ist in der Regel jedoch noch kein derart schwerwiegender Nachteil verbunden, dass er die Außerkraftsetzung eines Gesetzes erforderte (vgl. BVerfGE 121, 1 <20> sowie BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 8. Juni 2016 - 1 BvQ 42/15 -, juris, Rn. 18 jeweils zur Vorratsdatenspeicherung).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_16">16</a>
</dt>
<dd>
<p>
Vorliegend dient die Übermittlung und Speicherung der in § 9a Abs. 2 bis 4 ZensVorbG 2021 genannten Merkmale jedoch ausschließlich der Verfolgung der in § 9a Abs. 1 Satz 2 ZensVorbG 2021 genannten Zwecke, das heißt der Vorbereitung und Ermöglichung der statistischen Erhebungen zum Zensus 2021. Eine Nutzung zu anderen als den hier genannten Zwecken - insbesondere eine Verknüpfung mit anderen Datenbeständen oder eine Verwendung zu Zwecken des Verwaltungsvollzuges - hat der Gesetzgeber hingegen ausdrücklich ausgeschlossen (§ 9a Abs. 5 Satz 5 ZensVorbG 2021). An den Inhalt der Daten selbst dürfen die Behörden hierfür nicht anknüpfen und an ihm haben sie auch keinerlei Interesse. Da die Pilotdatenübermittlung als Teil des Zensus zudem den Vorgaben des Bundesstatistikgesetzes zur Geheimhaltung und zu Sicherheitsanforderungen an die elektronische Datenübermittlung unterliegen (§§ 11a, 16 BStatG), bleiben auch insoweit die Nachteile begrenzt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_17">17</a>
</dt>
<dd>
<p>
b) Angesichts dieser eng begrenzten Verwendungszwecke und der Vorgaben des Bundesstatistikgesetzes zur Geheimhaltung und zu Sicherheitsanforderungen an die elektronische Datenübermittlung (§§ 11a, 16 BStatG), deren Einhaltung vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit in Ausfüllung seiner Beratungs- und Kontrolltätigkeit auch weiter überwacht wird, überwiegen diese Nachteile nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit gegenüber den Nachteilen, die bei Erlass der hilfsweise begehrten einstweiligen Anordnung trotz späterer Erfolglosigkeit einer noch zu erhebenden Verfassungsbeschwerde einzutreten drohen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_18">18</a>
</dt>
<dd>
<p>
Denn bei der Erforderlichkeit (vgl. BVerfGE 65, 1 <44, 54>) der Übermittlung sämtlicher nicht anonymisierter Meldedaten für die in § 9a Abs. 1 Satz 1 ZensVorbG 2021 genannten Zwecke, deren Erreichung der Gesetzgeber als notwendige Voraussetzung für eine ungefährdete und erfolgreiche Durchführung des Zensus 2021 ansieht, drohte eine Aussetzung der Vollziehung des Gesetzes die Prüfung der Übermittlungswege und der Qualität der zu übermittelnden Daten beziehungsweise die Prüfung und Weiterentwicklung der Programme zu vereiteln. Es würden damit die Durchführung des auch unionsrechtlich vorgeschriebenen Zensus 2021 erschwert und dem Bund (sowie mittelbar auch den Ländern und den Kommunen) notwendige Entscheidungsgrundlagen und Strukturdaten für politische Entscheidungen möglicherweise entzogen (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 19. September 2018 - 2 BvF 1/15 -, juris, Rn. 147 f.). Angesicht des unionsrechtlich vorgegebenen Termins des Zensus könnte dies auch nicht rechtzeitig nachgeholt werden. Nach dem bei vorläufiger Betrachtung nicht unplausibel erscheinenden Vortrag des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat ist der Probedurchlauf mit Daten aller Meldebehörden erforderlich, weil sonst die Qualität der Merkmale und der Programme nicht überprüft werden könnten. Dies gelte insbesondere für die Verarbeitung der Originalschreibweisen für Namen und die Prüfung von Mehrfachfällen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_19">19</a>
</dt>
<dd>
<p>
c) Auch eine Beschränkung der Pilotdatenübermittlung auf eine stichprobenhafte Übermittlung nicht anonymisierter Daten im Wege der einstweiligen Anordnung erscheint angesichts der vorgenannten Umstände nicht geboten. Zwar wird aus den Gesetzesmaterialien und den hier vorliegenden Stellungnahmen nicht mit abschließender Gewissheit deutlich, ob eine nicht anonymisierte Datenübermittlung sämtlicher Datensätze und insbesondere eine dauerhafte Speicherung sämtlicher Datensätze über eine Dauer von bis zu zwei Jahren für die Erreichung der in § 9a Abs. 1 Satz 1 ZensVorbG 2021 genannten Zwecke erforderlich ist oder eine grundrechtsfreundlichere Ausgestaltung des Probetestlaufs auch durch Anpassung der vorgesehenen Verfahren erreicht werden könnte. Die vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat vorgelegte Stellungnahme lässt es jedoch zumindest plausibel erscheinen, dass eine Beschränkung auf eine nicht anonymisierte Teildatenlieferung die Gefahr in sich trüge, zumindest einzelne der vom Gesetzgeber zum Zweck der Durchführung des Zensus 2021 und zur Steigerung der Validität seiner Ergebnisse als erforderlich erachteten Prüf- und Optimierungsmaßnahmen zu vereiteln und so die Durchführung des Zensus 2021 in seiner vorgesehenen Form zu gefährden. Unter diesen Umständen ist es jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass eine Beschränkung der Datenübermittlung auf eine stichprobenhafte Übermittlung nicht anonymisierter Daten in ihrer Wirkung einer vollständigen Aussetzung des Gesetzesvollzuges gleichkäme, die aus den oben genannten Gründen nicht geboten ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_20">20</a>
</dt>
<dd>
<p>
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.</p>
</dd>
</dl>
</div>
|
188,455 | ovgnrw-2019-02-05-1-a-221618 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 1 A 2216/18 | 2019-02-05T00:00:00 | 2019-02-11T11:03:55 | 2019-02-13T12:21:03 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0205.1A2216.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag wird auf Kosten der Klägerin abgelehnt.</p>
<p>Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 130,49 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO innerhalb der Begründungsfrist dargelegt ist und vorliegt. „Darlegen“ i. S. v. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO bedeutet, unter konkreter Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil fallbezogen zu erläutern, weshalb die Voraussetzungen des jeweils geltend gemachten Zulassungsgrundes im Streitfall vorliegen sollen. Die Zulassungsbegründung soll es dem Oberverwaltungsgericht ermöglichen, die Zulassungsfrage allein auf ihrer Grundlage zu beurteilen, also ohne weitere aufwändige Ermittlungen.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Hiervon ausgehend rechtfertigt das fristgerecht vorgelegte, gänzlich ungeordnete Zulassungsvorbringen die begehrte Zulassung der Berufung aus keinem der– (allenfalls) sinngemäß benannten – Zulassungsgründe. Es genügt ganz überwiegend bereits nicht den Anforderungen an eine hinreichende Darlegung und greift im Übrigen in der Sache nicht durch.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">1. Die Berufung kann zunächst nicht wegen der sinngemäß geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen werden. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung der Klageabweisung ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf weitere Beihilfe zu ihren Aufwendungen für die ihr von dem Arzt U.      unter dem 16. März 2013 bzw. unter dem 20. März 2013 in Rechnung gestellten beiden ayurvedischen Massagen. Nicht entscheidungserheblich sei die Frage, ob Behandlungen nach der ayurvedischen Medizin wissenschaftlich anerkannt oder zumindest (nur) wissenschaftlich noch nicht anerkannt seien. Zwei isolierte Massagen seien nämlich auch dann keine ayurvedische Behandlung, wenn dabei eine größere Menge „medizinierten Öles“ zum Einsatz komme. Zugrunde zu legen sei, dass sich die Behandlung bei Herrn U.      im Frühjahr 2013 auf die beiden in Rechnung gestellten ayurvedischen Massagen beschränkt habe. Denn die Klägerin habe trotz wiederholter Aufforderung durch das Gericht – zuletzt mit Fristsetzung nach § 87b Abs. 3 VwGO bis zum 4. April 2018 – weder dargelegt noch nachgewiesen, dass die beiden Massagen Teil einer umfassenden ayurvedischen Behandlung waren. Dass zwei isolierte Massagen keine ayurvedische Behandlung im medizinischen Sinne darstellten, ergebe sich ohne weiteres aus dem Gutachten von Dr. N.         aus dem Jahr 2008, aus dem vom Gericht eingeholten Sachverständigengutachten von Dr. L.      und aus allgemein zugänglichen Quellen, nämlich aus den im Internet verfügbaren Erläuterungen einschlägiger Kliniken (Kliniken F.     -Mitte und I.    -klinik) zu Ayurveda-Behandlungen. Der weitere, auf Genehmigung der fraglichen beiden Massagen durch das Finanzministerium NRW gerichtete Klageantrag bleibe ebenfalls ohne Erfolg, weil er voraussetze, dass die ayurvedische Therapie als wissenschaftlich noch nicht anerkannte Heilbehandlung akzeptiert werde.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Hiergegen macht die Klägerin mit ihrem Zulassungsvorbringen, soweit sich dieses nicht in einer von vornherein nicht zielführenden Bezugnahme auf nicht konkretisiertes erstinstanzliches Vorbringen erschöpft</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">– vgl. insoweit OVG NRW, Beschluss vom 10. Januar 2019 – 1 A 4171/18 –, juris, Rn. 33 f. –,</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">unter den Gliederungspunkten „Einheitlichkeit der Rechtsprechung“ und „Fortbildung des Rechts“ das Folgende geltend. Gerügt werde zunächst, dass das Verwaltungsgericht sie trotz der seinerzeit schon 4,5jährigen Verfahrensdauer erstmals am 2. März 2018 zu der Erklärung aufgefordert habe, ob die beiden Massagen Teil einer Ayurveda-Behandlung waren. Ferner führt sie gegen diese Aufforderung zwei Äußerungen des Sachverständigen Dr. L.      an. Dieser habe die konkret durchgeführte Behandlung in seinem Gutachten für beihilfefähig erachtet und in der (ersten) mündlichen Verhandlung vom 1. März 2018 außerdem das Vorliegen guter Evidenzen für die Wirksamkeit von Ayurveda schon im Jahre 2013 festgestellt. Die ferner ergangene gerichtliche Aufforderung nach § 87b Abs. 3 VwGO vom 19. März 2018 sei schon wegen der falschen Jahresangabe 2018 unwirksam. Unabhängig davon hätte das Verwaltungsgericht durch Befragung des Arztes aufklären müssen, ob die beiden Massagen Teil einer Ayurveda-Behandlung waren. Auch habe sie zu der Aufforderung nach § 87b Abs. 3 VwGO mit den (in der Zulassungsbegründung noch einmal wörtlich zitierten) Schriftsätzen vom 14. März 2018 und vom 19. März 2018 ausreichend vorgetragen. Die Sanktion des § 87b Abs. 3 VwGO greife nicht, weil der Sachverständige die Massage eines Masseurs als Teil einer Ayurveda-Behandlung angesehen habe. Außerdem sei die in der Verfügung vom 19. März 2018 geäußerte Unterstellung des Verwaltungsgerichts unsinnig, sie – die Klägerin – wolle die Erledigung des Rechtsstreits verzögern. Die weitere Unterstellung im angefochtenen Urteil, die konkreten Massagen seien keine ayurvedischen Behandlung, und die entsprechende rechtliche Bewertung verließen unzulässig (und das Recht auf Gehör verletzend) den Boden der Tatsachen und stellten „'folgerichtig' eine unzulässige Beweiswertung dar“. Indem das Verwaltungsgericht die I.    -klinik zitiert habe, habe es Tatsachen in das Verfahren eingeführt, ohne ihr zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Einführung, „Verdrehung“ bzw. Nichtberücksichtigung der vom Sachverständigen angegebenen Tatsache, Massagen seien Teil der klägerischen Ayurveda-Behandlung, stellten einen schweren Verfahrensfehler dar. Die Abweisung des auf die Genehmigung der beiden Massagen gerichteten Klageantrags sei „keinesfalls ausreichend“, weil das Gutachten des Sachverständigen zu einer allgemeinen Zulassung „der Ayurveda“ zwinge.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Dieses Vorbringen lässt sich dem Zulassungsgrund des §124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (nur) insoweit zuordnen, als die Klägerin die Annahme des Verwaltungsgerichts, die konkret erfolgten beiden Massagen stellten keine ayurvedischen Behandlung dar, für eine „Verdrehung“ der im Sachverständigengutachten geäußerten Einschätzung bzw. für eine tatsachenwidrige Nichtbeachtung dieser Äußerungen hält und deswegen die entsprechende Beweiswürdigung bemängelt. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erfasst in Abgrenzung zu § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO nämlich grundsätzlich auch Fehler bei der Feststellung und Würdigung des entscheidungserheblichen Sachverhalts und bei der Beweiswürdigung.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 82 bis 85 und Rn. 189 f., sowie Kuhlmann, in: Wysk, VwGO, 2. Aufl. 2016, § 124 Rn. 16, jeweils m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Zwar entscheidet das Gericht gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Daraus folgt aber auch die Verpflichtung, der Überzeugungsbildung den im Verfahren festgestellten Sachverhalt vollständig und richtig zugrunde zu legen. Das Gericht darf nicht einzelne erhebliche Tatsachenfeststellungen oder Beweisergebnisse bei seiner rechtlichen Würdigung außer Acht lassen, insbesondere Umstände übergehen, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung hätte aufdrängen müssen. In solchen Fällen fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die innere Überzeugungsbildung des Gerichts, auch wenn die darauf basierende rechtliche Würdigung als solche nicht zu beanstanden ist.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Februar 2010– 2 B 126.09 –, juris, Rn. 4, m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die in Rede stehende Rüge der Klägerin zeigt einen Fehler dieser Art nicht auf. Das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung die Rechtsauffassung zugrunde gelegt, eine Ayurveda-Behandlung liege wegen des ganzheitlichen Ansatzes dieses Medizin- und Heilsystems nur vor, wenn sie dessen drei Kernelemente (innerliche Therapie, Ernährungstherapie und manuelle Therapien) umfasse; die hier nur nachgewiesenen beiden Massagen genügten dem nicht. Eine gegenteilige Aussage hat der Sachverständige Dr. L.      entgegen der Ansicht der Klägerin nicht getroffen. In seinem Gutachten vom 21. August 2016 führt dieser zwar schlussfolgernd aus, dass es sich bei der durchgeführten Behandlung bei korrekter Indikationsstellung „um eine zu diesem Zeitpunkt wissenschaftlich anerkannte Heilbehandlung gehandelt“ habe, für die die Kosten erstattet werden sollten. Er ist bei dieser Aussage aber erkennbar von der (nicht zutreffenden) Vorstellung ausgegangen, dass diese Massagen Teil einer Gesamtbehandlung gewesen seien. Das ergibt sich aus der im Absatz zuvor geäußerten Bewertung, der erfolgte Einsatz körpertherapeutischer/massagetherapeutischer Verfahren der Ayurveda-Medizin entspreche der gängigen Ayurveda-Praxis bei Kopf-, Schulter- und Nackenschmerzen „als Bestandteil einer multimodalen Therapiestrategie“. Nach dieser Äußerung sind Massagen nämlich nur ein „Therapieelement“ (so der im folgenden Satz des Gutachtens verwendete Begriff) einer multimodalen, also mehrere unterschiedliche Behandlungselemente kombinierenden Behandlungsstrategie. Nichts Abweichendes ergibt sich aus den Erläuterungen, die der Sachverständige in der (ersten) mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 1. März 2018 zu seinem Gutachten gegeben hat. Die ausweislich des Verhandlungsprotokolls erfolgte (im weiteren Verlauf des Termins übrigens noch relativierte) Angabe, es habe bereits 2013 „gute Evidenzen für die Wirksamkeit von Ayurveda gegeben“, betrifft nämlich ungeachtet dessen, wie sie zu bewerten wäre, nicht die allein entscheidungstragende Annahme des Verwaltungsgerichts, die Klägerin habe im Frühjahr 2013 schon keine Ayurveda-Therapie, sondern nur zwei „isolierte“ Massagen erhalten.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">2. Die Berufung kann auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen werden.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift, wenn sie eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird, und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung des Zulassungsgrundes ist die Frage auszuformulieren und substantiiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 13. Februar 2018– 1 A 2517/16 –, juris, Rn. 32, und vom 13. Oktober 2011 – 1 A 1925/09 –, juris, Rn. 31 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Diese Darlegungsanforderungen werden hier mit der bloßen, nur in einer Überschrift enthaltenen Behauptung, eine Zulassung sei aus Gründen der „Fortbildung des Rechts“ geboten, offensichtlich nicht erfüllt. Die Klägerin versäumt es schon, eine entsprechende Rechts- oder Tatsachenfrage auszuformulieren. Unterstellt man zu ihren Gunsten, dass sie geklärt wissen will, ob ayurvedische Behandlungen im Frühjahr 2013 bereits wissenschaftliche anerkannt oder zumindest (nur) noch nicht anerkannt waren, so fehlt es an der Darlegung, weshalb diese Frage für das angefochtene Urteil von Bedeutung gewesen sein soll, obwohl das Verwaltungsgericht bereits das Vorliegen einer ayurvedischen Therapie verneint hat.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">3. Die begehrte Zulassung der Berufung kann ferner nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO erfolgen. Nach dieser Vorschrift ist die Berufung zuzulassen, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts von einer Entscheidung eines in der Norm aufgeführten divergenzrelevanten Gerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine solche Divergenz ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn ein inhaltlich bestimmter, die angefochtene Entscheidung tragender Rechtssatz dargelegt wird, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines divergenzrelevanten Gerichts aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 21. April 2010– 1 A 1326/08 –, juris, Rn. 34, und vom 25. Januar 2012 – 1 A 640/10 –, juris, Rn. 2; ferner etwa Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 215 bis 217, m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Mit der bloßen Berufung auf die „Einheitlichkeit des Rechts“ (Überschrift des Gliederungspunktes I.) ist eine die Berufung eröffnende Divergenz ersichtlich nicht dargelegt. Es fehlt schon an der Bezeichnung und Gegenüberstellung divergierender Rechtssätze. Namentlich finden sich, wie schon der Beklagte in seiner Erwiderungsschrift vom 26. Juli 2018 unwidersprochen und zutreffend ausgeführt hat, in der Zulassungsbegründung keinerlei Anhaltspunkte für oder Hinweise auf irgendeine gerichtliche Entscheidung, von der das Verwaltungsgericht i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO abgewichen sein könnte.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">4. Die Berufung kann schließlich nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zugelassen werden. Danach ist die Berufung zuzulassen, wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Damit sind Verstöße gegen Vorschriften gemeint, die den Verfahrensablauf bzw. den Weg zu dem Urteil und die Art und Weise des Urteilserlasses regeln. Nicht erfasst sind hingegen Verstöße gegen Vorschriften, die den Urteilsinhalt betreffen und deren Verletzung sich als Mangel der sachlichen Entscheidung darstellt. Ein Verfahrensmangel ist nur dann ausreichend bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2017 – 5 B 10.17 –, juris, Rn. 19, m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Daran gemessen kommt die Zulassung der Berufung nicht in Betracht, weil das Zulassungsvorbringen einen solchen Verfahrensmangel unter keinem denkbaren Gesichtspunkt aufzeigt.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">a) Das gilt zunächst für die bereits oben behandelte sinngemäße Rüge, das Verwaltungsgericht habe die Äußerungen des Sachverständigen „verdreht“ bzw. ignoriert. Dass nämlich insoweit ein (auch) verfahrensrechtlich relevanter Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) dargelegt sein und vorliegen könnte, ist mit Blick auf die obigen Ausführungen zu 1. auszuschließen.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">b) Ein Verfahrensfehler ist auch nicht mit dem Vortrag der Klägerin in der Begründungsschrift (S. 5, drittletzter Absatz) dargelegt, die gerügte Bewertung des Verwaltungsgerichts, die konkreten Massagen seien keine ayurvedische Behandlung, verletze ihr Recht auf Gehör.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Zur Wahrung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG hat das Gericht den Beteiligten zu allen maßgeblichen Rechts- und Tatsachenfragen die Gelegenheit einzuräumen, Stellung zu beziehen. Es muss den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung ziehen. Das Gericht hat in den Entscheidungsgründen in angemessener Weise zum Ausdruck zu bringen, aus welchen Gründen es von einer Auseinandersetzung mit dem rechtlichen und tatsächlichen Vorbringen eines Beteiligten abgesehen hat. Es ist aber andererseits nicht verpflichtet, sich in den Entscheidungsgründen mit jedem rechtlichen und tatsächlichen Argument ausdrücklich zu befassen. Es darf ein Vorbringen außer Betracht lassen, das nach seinem Rechtsstandpunkt unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen auch in seine Erwägungen einbezogen hat. Nur bei Vorliegen deutlich gegenteiliger Anhaltspunkte kann ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör angenommen werden. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist aber erst dann verletzt, wenn Vortrag nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen ist, der aus der maßgeblichen Sicht des Gerichts entscheidungserheblich war oder gewesen wäre. Ebenso ist es für eine erfolgreiche Gehörsrüge erforderlich, dass die unterstellte Gewährung rechtlichen Gehörs zu einer anderen, für den Rechtsmittelführer günstigeren Entscheidung geführt hätte bzw. im Rahmen des Berufungsverfahrens führen würde.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. August 2012– 1 A 864/11 –, juris, Rn. 3 bis 8, m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Diese Voraussetzungen sind mit der vorstehend wiedergegebenen Rüge ersichtlich nicht dargelegt. Es fehlt insoweit bereits an jeglichen Darlegungen, die über die Behauptung eines solchen Verstoßes hinausgehen. Sofern diese Behauptung auf die Rüge abzielen sollte, das Gericht habe mit seiner in Rede stehenden, allein entscheidungstragenden Bewertung, es habe schon keine ayurvedische Behandlung vorgelegen, eine sachverständige Äußerung und damit zugleich entsprechenden Vortrag der Klägerin missachtet, so griffe dies ersichtlich nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat nämlich gerade die insoweit relevante, von ihm nur anders (und zutreffend, s. o.) interpretierte gutachterlichen Äußerung herangezogen (UA S. 13), um seine im Urteil vorgenommene Bewertung, die für die Klägerin keineswegs überraschend gewesen ist (vgl. zuletzt die protokollierte Nachfrage des Gerichts, ob die Massagen in eine umfassende Behandlung eingebunden gewesen seien), zu begründen.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">c) Ein Gehörsverstoß ist auch nicht mit dem Vortrag dargelegt, das Verwaltungsgericht habe, indem es auf die im Internet verfügbaren Ausführungen der I.    -klinik zum umfassenden Ansatz der Ayurveda-Behandlungen abgestellt habe, (nicht schon allgemeinkundige) Tatsachen in das Verfahren eingeführt, ohne der Klägerin zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Zur Darlegung einer geltend gemachten Versagung rechtlichen Gehörs in Bezug auf – wie hier – einzelne Feststellungen oder rechtliche Gesichtspunkte muss der Rechtsmittelführer ausführen, was er bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte und inwieweit dieser Vortrag zur Klärung des behaupteten Anspruchs geeignet gewesen wäre. Nur so wird nämlich dem Rechtsmittelgericht die nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO erforderliche Prüfung ermöglicht, ob das Urteil auf dem geltend gemachten Gehörsverstoß beruht.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. April 1990– 2 B 37.90 –, juris, Rn. 2, m. w. N. (zu § 138 Nr. 3 VwGO), und OVG Brandenburg, Beschluss vom 28. Oktober 2003 – 2 A 369/02. AZ –, juris, Rn. 3; ferner Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 218 f. und § 124 Rn. 223, sowie Kuhlmann, in: Wysk, VwGO, 2. Aufl. 2016, § 138 Rn. 28.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">An solchen Ausführungen fehlt es hier. Unabhängig davon spricht auch nichts dafür, dass eine insoweit unterstellte Gewährung rechtlichen Gehörs zu einer anderen, für die Klägerin günstigere Entscheidung geführt hätte bzw. im Rahmen des Berufungsverfahrens führen würde. Das Verwaltungsgericht hat seine Einschätzung, die beiden Massagen stellten für sich genommen keine Ayurveda-Behandlung dar, nämlich überzeugend zugleich mit weiteren, diese Einschätzung ebenfalls stützenden Dokumente begründet, deren Heranziehung und Auswertung die Klägerin mit ihrer Zulassungsbegründung nicht angegriffen hat. Herangezogen hat es insoweit die Ausführungen des Dr. N.         (Kliniken F.     -Mitte) in dessen in einem anderen Verfahren erstellten, von der Klägerin selbst vorgelegten Gutachten vom 18. Februar 2008, entsprechende Äußerungen der Kliniken F.     -Mitte im Internet sowie die Ausführungen des Dr. L.      zur Multimodalität der Therapiestrategien in der Ayurveda-Medizin.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">d) Die Klägerin rügt ferner (sinngemäß), das Verwaltungsgericht sei verpflichtet gewesen, durch Befragung des Arztes U.      aufzuklären, ob die beiden Massagen in eine multimodale Ayurveda-Behandlung eingebettet gewesen seien.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Der mit diesem Vortrag geltend gemachte Verstoß gegen die Pflicht zur Amtsermittlung (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegt ungeachtet der Frage hinreichender Darlegung jedenfalls der Sache nach nicht vor. Ein solcher im Rahmen von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zu berücksichtigender Aufklärungsmangel kann, da die anwaltlich vertretene Klägerin ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat, hier nur dann angenommen werden, wenn sich die Beweiserhebung geradezu aufdrängt. Das ist jedoch jedenfalls der Sache nach nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht durfte im Gegenteil ersichtlich von einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts absehen. Eine solche Aufklärung hätte sich nämlich auf eine nicht einmal von der Klägerin selbst behauptete Tatsache bezogen, die zudem aus ihrer Sphäre herrührte und deshalb ggf. – im Sinne einer Obliegenheit – von ihr zu belegen gewesen wäre. Außerdem sprach auch nichts dafür, dass sich die Klägerin im Frühjahr 2013 einer ganzheitlichen Ayurveda-Therapie unterzogen hat, da sie trotz gerichtlicher Aufforderungen keine weiteren Rechnungen des Arztes U.      aus dem maßgeblichen Zeitraum vorgelegt und auch sonst keinen entsprechenden Vortrag geleistet hatte.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">e) Ein Verfahrensverstoß ergibt sich schließlich auch nicht aus den Ausführungen der Klägerin, mit denen sie die im Vorfeld der (zweiten) mündlichen Verhandlung vom 26. April 2018 erfolgten, an sie gerichteten Aufforderungen des Verwaltungsgerichts rügt, zu erklären und ggf. zu belegen, ob die fraglichen Massagen Teil einer ggf. längeren und umfassenderen Behandlung waren.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">aa) Das gilt zunächst in Bezug auf die insoweit zuletzt ergangene, mit dem Hinweis auf die Regelung des § 87b Abs. 3 VwGO versehene Aufforderung dieser Art. Nach § 87b Abs. 3 Satz 1 VwGO kann das Gericht Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf einer nach § 87b Abs. 1 und 2 VwGO gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn die weiteren Voraussetzungen der Vorschrift (Nr. 1 bis 3) gegeben sind und § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO dem nicht entgegensteht. Zwar kann eine auf § 87b Abs. 3 VwGO gestützte, als fehlerhaft angesehene Zurückweisung von Vorbringen durch das Verwaltungsgericht im Verfahren auf Zulassung der Berufung mit der Verfahrensrüge wegen eines Gehörsverstoßes geltend gemacht werden.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Vgl. Ortloff/Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: September 2018, § 87b Rn. 46a.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Eine Zurückweisung ist hier aber nicht erfolgt. Das ergibt sich schon aus dem Umstand, dass es im Urteilszeitpunkt ersichtlich an zurückweisungsfähigem Vortrag gefehlt hat. Die Klägerin hat nämlich in Bezug auf die ihr gestellte Frage zu keinem Zeitpunkt Tatsachen angegeben oder Beweismittel bezeichnet. Dies ist entgegen der durch nichts belegten Behauptung in der Zulassungsbegründungsschrift weder mit ihren auf die Aufforderung reagierenden Schriftsätzen vom 19. März 2018 und vom 21. März 2018 noch danach in irgendeiner Weise geschehen, und auch zuvor fehlte es – namentlich im Schriftsatz vom 14. März 2018 – an jeglichem einschlägigen Vortrag. Bestätigt wird dieser Befund dadurch, dass das angefochtene Urteil dementsprechend auch keinerlei – ansonsten gebotene – Ausführungen zu einer Zurückweisung von Erklärungen und/oder Beweismitteln enthält.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">bb) Alles weitere Vorbringen, mit dem die Klägerin die gerichtlichen Aufforderungen vom 2. März 2018 und vom 19. März 2018 bzw. die entsprechende Vorgehensweise des Verwaltungsgerichts rügt, ist unerheblich. Schon nicht dargelegt ist zunächst, gegen welche (verfahrensrechtliche) Norm das Verwaltungsgericht verstoßen haben soll, indem es die Frage, ob überhaupt eine dem Konzept der Ayurveda-Medizin entsprechende Behandlung erfolgt ist, erst nach 4,5jähriger Verfahrensdauer aufgeworfen hat. Auf die angebliche Unwirksamkeit der Aufforderung nach § 87b VwGO vom 19. März 2018, die aus der Verwendung der Jahreszahl „2018“ statt – richtig – „2013“ in dem Verfügungstext folgen soll, kommt es aus mehreren Gründen nicht an. Die Klägerin hat nämlich, wie ihr Schriftsatz vom 19. März 2018 zeigt, – erstens – den offensichtlichen Schreibfehler als solchen erkannt. Zweitens hat das Gericht dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin daraufhin eine korrigierte Aufforderung zugestellt. Drittens schließlich hat das Gericht, wie bereits ausgeführt, eine Zurückweisung nach § 87b Abs. 3 VwGO gerade nicht vorgenommen. Die weitere Rüge der Klägerin, es sei unsinnig, ihr eine Verzögerungsabsicht zu unterstellen, lässt jede rechtliche Einordnung vermissen und kann deswegen ersichtlich keinen (verfahrensrechtlichen) Fehler des Verwaltungsgerichts aufzeigen. Im Übrigen trifft sie, wie schon die Lektüre der Aufforderung vom 19. März 2018 zeigt, der Sache nach nicht zu.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">5. Die Rüge, die Abweisung des Klageantrags zu 1. sei zu Unrecht erfolgt, hat die Klägerin keinem Zulassungsgrund zugeordnet. Sie führt bei ihrer allenfalls in Betracht kommenden Einordnung als Rüge i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht auf die begehrte Zulassung der Berufung. Denn es ist ersichtlich nicht fehlerhaft, den behaupteten Anspruch auf Genehmigung der beiden Massagen durch das Finanzministerium NRW mit der – nach allem Vorstehenden nicht zu beanstandenden – Erwägung zu verneinen, dass eine ayurvedische Behandlung, „über deren wissenschaftliche Anerkennung (…) gegebenenfalls gestritten werden könnte“ (UA S. 13 Mitte), nicht gegeben ist. Dass genau diese Erwägung tragend war (und es folglich entgegen dem Zulassungsvorbringen nicht auf die gutachterlichen Äußerungen zu 2013 vorhandenen Evidenzen ankommen konnte), ergibt sich aus dem Aufbau des Urteils. Die den Klageantrag zu 1. betreffenden, ihm den Erfolg absprechenden Ausführungen schließen nämlich unmittelbar an die soeben zitierte Verneinung einer ayurvedischen Therapie im Frühjahr 2013 an und verweisen mit der Formulierung „vor diesem Hintergrund“ genau auf diese.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Streitwertfestsetzung nach den §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG und im Übrigen gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar. Das angefochtene Urteil ist nun rechtskräftig, § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO.</p>
|
188,454 | vg-koln-2019-02-05-7-k-1474517 | {
"id": 844,
"name": "Verwaltungsgericht Köln",
"slug": "vg-koln",
"city": 446,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 7 K 14745/17 | 2019-02-05T00:00:00 | 2019-02-11T11:03:55 | 2019-02-13T15:42:39 | Urteil | ECLI:DE:VGK:2019:0205.7K14745.17.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Klage wird abgewiesen.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.</p>
<p>Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>T a t b e s t a n d</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der am 00.00.0000 in der Stadt Karaganda (ehemalige UdSSR, jetzt: Kasachstan) geborene Kläger W. C. stellte am 01.11.1991 gemeinsam mit seiner Ehefrau W1. und drei Kindern einen Antrag auf Aufnahme als Aussiedler an das Bundesverwaltungsamt. Ausweislich seiner Geburtsurkunde vom 00.00.0000 stammt er von den deutschen Volkszugehörigen P. und F. C. , geborene U. ab. Die Großeltern sind nach seinen Angaben ebenfalls deutsche Volkszugehörige gewesen. In seinem Inlandspass aus dem Jahr 1976 ist der Kläger mit deutscher Nationalität eingetragen.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Im Antrag erklärte er, seine Muttersprache sei Deutsch, die jetzige Umgangssprache in der Familie sei Russisch. Die deutsche Sprache könne er verstehen. Sprechen und Schreiben waren nicht angekreuzt. In der Familie werde deutsch gesprochen von den Großeltern, den Eltern, von ihm selbst und seiner Ehegattin.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Nach Zustimmung des Landes Bayern wurden dem Kläger und seinen Familienangehörigen am 04.08.1993 ein Aufnahmebescheid als Spätaussiedler erteilt. Am 25.10.1993 reiste der Kläger mit seiner Familie in das Bundesgebiet ein und wurde als Spätaussiedler registriert.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Am 25.11.1993 stellte er beim zuständigen Landratsamt Reutlingen einen Antrag auf Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG. Bei der Vorsprache aus Anlass der Antragstellung wurde laut einem Aktenvermerk festgestellt, dass der Kläger „schlecht“ deutsch sprach und verstand. Handschriftlich war zugefügt, dass eine Verständigung nicht möglich gewesen sei. Herr B. antworte „nicht“ auf einfache Fragen. Das Wort „nicht“ war nachträglich in den Satz eingefügt worden. Die Befragung sei mit Sprachmittler, nämlich dem Schwiegervater erfolgt.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Durch Bescheid vom 29.06.1994 wurde der Antrag auf Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG abgelehnt. In der Begründung war ausgeführt, es fehle am objektiven Bestätigungsmerkmal der deutschen Sprache. Der Kläger sei bei seiner Einreise in das Bundesgebiet der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig gewesen. Im Aussiedlungsgebiet sei die deutsche Sprache nicht die Muttersprache oder bevorzugte Umgangssprache in der Familie gewesen.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Die Ehefrau des Klägers wurde als Spätaussiedlerin anerkannt. Der Kläger erhielt eine Bescheinigung als Ehegatte einer Spätaussiedlerin gemäß § 15 Abs. 2 BVFG.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 29.10.1994, eingegangen beim Landratsamt S. am 03.11.1994, legte der Kläger Widerspruch gegen die Ablehnung ein und bat darum, diesen trotz Fristüberschreitung zu berücksichtigen. Er stamme aus einer deutschen Familie. Seine Eltern und Großeltern seien Deutsche und hätten sehr gut Deutsch gesprochen. Leider seien alle – bis auf seine Mutter – inzwischen gestorben. Er habe bis zu seinem 6. Lebensjahr nur deutsch gesprochen. Danach sei er auf die Schule gekommen, wo nur russisch gesprochen werden durfte. Nach der Ankunft in Deutschland habe er so schnell wie möglich versucht, seine Deutschkenntnisse zu verbessern und Arbeit zu finden. Bei der Vorsprache habe er sich nicht besonders klar auf Deutsch ausgedrückt, weil er unter Stress gestanden habe. Am Tag der Ausreise aus Kasachstan sei er geschlagen worden. Er bitte um ein erneutes persönliches Gespräch und Prüfung seines Falles.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Das Landratsamt Reutlingen teilte dem Kläger mit Schreiben vom 14.11.1994 mit, dass es keinen Anlass für eine erneute Prüfung des Falls sehe. Der Kläger habe bei seiner Ankunft nicht ausreichend deutsch gesprochen. Die Befragung habe daher durch einen Sprachmittler, den Schwiegervater stattfinden müssen. Eine einfache Unterhaltung in deutscher Sprache sei nicht möglich gewesen. Der Kläger sei durch seine Ehefrau und den Schwiegervater auf die Bedeutung der deutschen Sprachkenntnisse hingewiesen worden und darauf, dass bei Nichtvorliegen eine Rückstufung nach § 7 Abs. 2 BVFG als Ehegatte eines Spätaussiedlers erfolgen müsse. Der Kläger habe daher bis zu der Entscheidung am 22.06.1994 genügend Zeit gehabt, nochmals vorzusprechen und seine Sprachkenntnisse nachzuweisen. Es könne nun, ein Jahr nach der Einreise nach Deutschland, nicht mehr festgestellt werden, wann der Kläger seine Sprachkenntnisse erworben habe. Es wurde angeregt, den Widerspruch zurückzunehmen.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Da der Kläger darauf nicht reagierte, wurde der Widerspruch dem zuständigen Regierungspräsidium Tübingen vorgelegt, der diesen durch Widerspruchsbescheid vom 16.12.1996 wegen einer Versäumung der Widerspruchsfrist als unzulässig zurückwies. Eine Klage gegen den Widerspruchsbescheid wurde nicht erhoben.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben seiner damaligen Bevollmächtigten vom 29.01.2014 beantragte der Kläger beim Bundesverwaltungsamt erneut die Erteilung eines Aufnahmebescheides als Spätaussiedler und berief sich auf die neue Rechtslage nach dem 10. Änderungsgesetz.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 10.11.2015 legte das BVA dieses Schreiben als Antrag auf Wiederaufgreifen des Aufnahmeverfahrens mit dem Ziel der Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung aus und lehnte diesen ab. Ein Grund für das Wiederaufgreifen des Verfahrens liege nicht vor, da sich die Rechtslage durch das 10. Änderungsgesetz nicht zugunsten des Klägers geändert habe. Denn für die Rechtsstellung des Klägers sei nach wie vor die Rechtslage zum Zeitpunkt der Übersiedlung maßgeblich. Der hiergegen am 12.01.2016 erhobene Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 14.01.2016 wegen Verfristung als unzulässig zurückgewiesen.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 23.12.2016 stellte der Kläger beim Bundesverwaltungsamt den Antrag, ihm eine Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG auszustellen. Die Registrierung als Ehegatte einer Spätaussiedlerin durch das Landratsamt S. sei eindeutig fehlerhaft und zu korrigieren. Der Kläger stamme von deutschen Eltern ab und sei in einer deutschen Familie aufgewachsen. Sämtliche Familienmitglieder, insbesondere die Mutter sowie die Geschwister W1. und Waldemar seien als Spätaussiedler anerkannt. Auch habe der Kläger einen Aufnahmebescheid als Spätaussiedler erhalten und sei als solcher registriert worden. Die Bescheinigung sei daher zu korrigieren.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Auf einen entsprechenden Hinweis des Bundesverwaltungsamtes beantragte der Kläger mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 16.02.2017 das Wiederaufgreifen des bestandskräftig abgeschlossenen Bescheinigungsverfahrens nach § 51 VwVfG.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung wurde u.a. vorgetragen, der Vorwurf der nicht ausreichenden Sprachkenntnisse sei unzutreffend. Im Aufnahmeverfahren seien von dem bevollmächtigten Schwager unzutreffende Angaben gemacht worden. Die Angaben zur Vorsprache am 25.11.1993 beim Landratsamt S. seien unrichtig. Er sei kurz vor der Ausreise im Krankenhaus in Karaganda an Lippe und Kinn frisch operiert worden und habe anschließend längere Zeit Fieber und Eiter in der Wunde gehabt. Größere sprachliche Darstellungen seien ihm zum Zeitpunkt der Vorsprache daher nicht möglich gewesen. Er habe auch gar nicht sprechen dürfen. Dies könnten zahlreiche Zeugen bestätigen.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Es sei zu berücksichtigen, dass die Benutzung der deutschen Sprache in der Öffentlichkeit, insbesondere in der Schule und in den Betrieben, auch im Bergbau, streng verboten gewesen sei. Daher hätte nur in der Familie deutsch gesprochen werden können. Der Kontakt zur Großmutter habe fast ausschließlich auf Deutsch stattgefunden.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Dem Kläger könne nicht angelastet werden, dass der Bescheid vom 29.06.1994 bestandskräftig geworden sei. Es habe einige Zeit gedauert, bis der Bescheid bei ihm angekommen sei, da er in der Zwischenzeit umgezogen sei. Daher sei der Widerspruch so spät eingelegt worden. Der Kläger habe den Sachverhalt ohne einen Rechtsanwalt nicht nachvollziehen können. Die Kosten eines Rechtsanwaltes habe er nicht aufbringen können. Er habe sich um eine Wohnung und um eine Arbeitsstelle kümmern müssen. Außerdem habe er nicht gegen den Staat, der ihn letztlich aufgenommen habe, vor Gericht ziehen wollen.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die fehlerhafte Einstufung des Klägers sei verfassungswidrig und unerträglich und verstoße gegen Art. 1, 3 und 6 GG. Sämtliche anderen Familienmitglieder seien als Spätaussiedler anerkannt worden. Durch seinen Ausschluss seien seine Würde und der Anspruch auf Gleichbehandlung verletzt. Es sei nicht zutreffend, dass das Prinzip der Rechtssicherheit hier überwiege, weil der Bescheid in einem Massenverfahren ergangen sei und die maßgeblichen Tatsachen nicht mehr feststellbar seien. Der Kläger habe erhebliche persönliche Nachteile durch diese Entscheidung gehabt, weil die im Aussiedlungsgebiet abgeleisteten Arbeitszeiten von 1970 bis 1993 nicht bei seinen Rentenansprüchen, auch nicht bei einer Witwenrente seiner Ehefrau, berücksichtigt würden. Er sei mittlerweile, auch aufgrund seiner Tätigkeit im Bergbau, schwer erkrankt. Bei Anerkennung als Spätaussiedler wären diese Erkrankungen als Berufskrankheit anerkannt worden mit allen daraus folgenden Vergünstigungen. Deshalb müsse hier das Individualinteresse des Klägers Vorrang vor dem Prinzip der Rechtssicherheit haben. Das Ermessen sei daher auf Null reduziert.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Durch Bescheid des Bundesverwaltungsamts vom 11.07.2017 wurde der Antrag auf Wiederaufgreifen des Bescheinigungsverfahrens erneut abgelehnt.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Gegen den am 12.07.2017 zugestellten Bescheid legte der Kläger mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 12.08.2017 am 14.08.2017 Widerspruch ein.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Durch Widerspruchsbescheid vom 13.10.2017 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Gegen den am 18.10.2017 zugestellten Bescheid hat der Kläger am 14.11.2017 Klage erhoben, mit der er seinen Antrag auf Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung weiterverfolgt.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Er wiederholt seinen Vortrag, er sei deutscher Volkszugehöriger und habe als solcher auch einen Aufnahmebescheid erhalten. Sämtliche Familienmitglieder, insbesondere seine Mutter und seine Geschwister, seien als Spätaussiedler anerkannt. Erst das Landratsamt S. habe ihn zu Unrecht als Ehegatten einer Spätaussiedlerin eingestuft. Dies führe zu massiven schwerwiegenden Nachteilen im Hinblick auf die rentenrechtliche Anrechnung von Beitragszeiten und weiteren Leistungen wegen der inzwischen vorliegenden schweren Erkrankungen, sodass die Aufrechterhaltung des ablehnenden Bescheides schlechthin unerträglich sei. Auch könne der Kläger Rentenansprüche aus seiner früheren Tätigkeit im Aussiedlungsgebiet nicht mehr geltend machen, weil der kasachische Staat diese Ansprüche ablehne. Die Ungleichbehandlung habe inzwischen auch zu einer erheblichen psychischen Beeinträchtigung und Depressionen geführt.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Ein Vorrang der Rechtssicherheit könne hier nicht angenommen werden. Die Allgemeinheit habe keinerlei Nachteile, die vorrangig wären gegenüber den Nachteilen des Klägers. Es gebe eine Vielzahl von Fällen, in denen ein falsch eingeschätzter Status nachträglich noch korrigiert worden sei. Ein grobes Verschulden des Klägers im Hinblick auf die Bestandskraft der unanfechtbaren Ablehnungsentscheidung liege nicht vor. Eine anwaltliche Vertretung habe er sich nicht leisten können.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Es gebe neue Beweismittel, die ohne Verschulden des Klägers seinerzeit nicht hätten vorgebracht worden können. Zeugen könnten bestätigen, dass der Kläger bei seiner Anhörung im November 1993 wegen einer Verletzung an Lippe und Kinn Schmerzen gehabt habe und deshalb nichts gesprochen habe. Das seinerzeit angefertigte Protokoll sei zur Feststellung von unzureichenden Sprachkenntnissen in keiner Weise geeignet. Die Befragung sei auch nur sehr kurz gewesen. Die Sprachprüfung hätte daher wiederholt werden müssen.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Der Sohn des Klägers sowie seine Geschwister könnten bezeugen, dass die Sprachkenntnisse des Vaters sich in keiner Weise von denen der Mutter unterschieden und dass der Kläger im Zeitpunkt der Übersiedlung die deutsche Sprache verstanden und gesprochen habe. Aus diesem Grund habe er auch sehr bald nach seiner Einreise Arbeit gefunden. Dies wäre ohne ausreichende Deutschkenntnisse nicht möglich gewesen.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Auch liege eine neue Tatsache vor, die zuvor nicht habe bewiesen werden können. Der Kläger leide nämlich unter massiven psychischen und geistigen Blockaden beim Sprechen, vor allem bei Behörden und bei Prüfungen. Er benötige längere Zeit, um einen Sachverhalt zu verstehen und sich darauf verbal zu äußern. Dies sei auch schon bei der Anhörung im Jahr 1993 der Fall gewesen und könne von noch zu benennenden Zeugen bestätigt werden. Dies hätte im Rahmen des rechtlichen Gehörs berücksichtigt werden müssen.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Die Ablehnung des Spätaussiedlerstatus führe zu einer massiven Ungleichbehandlung gegenüber den übrigen Mitgliedern seiner Familie und sei daher ein Verstoß gegen Art. 3 und Art. 6 GG sowie gegen Art. 1 GG. Das Abstellen auf die aktuellen Sprachkenntnisse bei der Einreise sei willkürlich gewesen. Andere Antragsteller hätten den Status allein aufgrund einer Ehe mit einer Spätaussiedlerin erlangt. Auch bei der Umsiedlung von EU-Bürgern komme es nicht auf die Sprachkenntnisse an.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Der Kläger beantragt sinngemäß,</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesverwaltungsamts vom 11.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.10.2017 zu verpflichten, das Verfahren wiederaufzugreifen und dem Kläger eine Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG zu erteilen.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks"> die Klage abzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Sie verweist auf die angefochtenen Bescheide und trägt ergänzend vor, es seien keine Gründe für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gegeben. Eine Änderung der Rechtslage oder Sachlage zugunsten des Klägers liege nicht vor. Der Kläger habe auch keine neuen Beweismittel vorgelegt. Sein Vortrag, er sei vor seiner Ausreise aus Kasachstan geschlagen worden und seine unzureichenden Sprachkenntnisse seien darauf zurückzuführen, habe er bereits im Widerspruchsschreiben vom 29.10.1994 vorgetragen. Im Übrigen habe er seinerzeit auch angegeben, warum er keine ausreichenden Sprachkenntnisse habe.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Soweit der Kläger sich nun auf eine Blockade beim Sprechen berufe, sei dies keine neue Tatsache, sondern dem Kläger schon seinerzeit bekannt gewesen. Im Übrigen sei die Entscheidung auch nicht offensichtlich rechtswidrig gewesen. Soweit die Bescheinigungsbehörde auf die aktuellen Sprachkenntnisse des Klägers bei der Einreise abgestellt habe, sei dies in Übereinstimmung mit der damaligen Rechtsauslegung des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG 1993 erfolgt.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge (3 Bände) und die vom Kläger vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks"><strong>E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e</strong></p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid des Bundesverwaltungsamtes vom 11.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.10.2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens und Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des bestandskräftig abgeschlossenen Bescheinigungsverfahrens nach § 51 Abs. 1 oder nach § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG sind nicht erfüllt.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung und Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat. Dies ist im vorliegenden Verfahren nicht der Fall.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Der Kläger kann sich insbesondere nicht auf eine Änderung der Rechtslage durch das am 14.09.2013 in Kraft getretene 10. Gesetz zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes vom 06.09.2013 (BGBl. I S. 3554) berufen. Diese Änderung wirkt sich nicht zugunsten des Klägers aus. Für seinen Anspruch auf Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG ist nämlich weiterhin die Rechtslage im Zeitpunkt seiner Einreise in das Bundesgebiet am 25.10.1993 maßgeblich.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist für den Erwerb der Spätaussiedlereigenschaft im Sinne des § 4 Abs. 1 BVFG aus Gründen des materiellen Rechts grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Einreise zum dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet abzustellen,</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">BVerwG, Urteil vom 10.10.2018 – 1 C 26/17 – juris, Rn. 24, Urteile vom 16.07.2015 – 1 C 30.14 und 1 C 29.14 – .</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Das schließt ein, dass günstige Rechtsänderungen einem Antragsteller nach diesem Zeitpunkt grundsätzlich nicht mehr zugutekommen. Dies gilt auch für das 10. BVFG-Änderungsgesetz. Dieses entfaltet mangels einer ausdrücklichen Regelung keine Rückwirkung auf Übersiedlungen vor seinem Inkrafttreten,</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks"> vgl. BVerwG, Urteil vom 10.10.2018 – 1 C 26/17 – juris Rn. 25 f.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">In der hiermit verbundenen Privilegierung der in den Aussiedlungsgebieten verbliebenen Deutschstämmigen liegt keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG. Die Entscheidung des Gesetzgebers, bereits übergesiedelte Personen nicht an der Lockerung der rechtlichen Anforderungen an die deutsche Volkszugehörigkeit teilhaben zu lassen, beruht auf einem sachlichen Grund. Bezweckt war die Erleichterung der Übersiedlung für noch im Aussiedlungsgebiet wohnende Personen und nicht des Zugangs bereits in Deutschland lebender Personen zu den mit dem Spätaussiedlerstatus verbundenen Vergünstigungen, insbesondere zu den Ansprüchen nach dem Fremdrentengesetz,</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks"> vgl. BVerwG, Urteil vom 10.10.2018 – 1 C 26/17 – juris, Rn. 28.</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Auch die Sachlage hat sich nicht zugunsten des Klägers verändert. Die Änderung muss tatsächliche Umstände betreffen, die im ursprünglichen Verfahren für den Erlass des Verwaltungsakts entscheidungserheblich waren. Für die Ablehnung der Spätaussiedlerbescheinigung durch Bescheid vom 29.06.1994 waren die bei der Anhörung am 25.11.1993 festgestellten Sprachkenntnisse des Klägers entscheidungserheblich. Soweit der Kläger sich jetzt darauf beruft, die Sprachschwierigkeiten bei der Anhörung seien auf eine schwere Kieferverletzung bzw. auf eine psychisch oder geistig bedingte Sprachblockade zurückzuführen, handelt es sich nicht um neue Tatsachen. Vielmehr lagen diese Umstände angeblich bereits im Zeitpunkt der Anhörung vor und sind nicht nachträglich eingetreten.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Es kann dahinstehen, ob eine Änderung der Sachlage auch dann vorliegt, wenn die entscheidungserheblichen Tatsachen zwar Im Zeitpunkt des ursprünglichen Verwaltungsverfahren schon vorlagen, aber nicht – auch nicht mit einem Rechtsbehelf (§ 51 Abs. 2 VwVfG) – geltend gemacht werden konnten,</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks"> vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 16. Aufl. 2015, § 51 Rn. 25.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Denn der Kläger hätte die jetzt vorgetragenen Hinderungsgründe für den Nachweis seiner Sprachkenntnisse bereits im Zeitpunkt der Anhörung -notfalls mit Hilfe der anwesenden Familienangehörigen - vortragen können. Jedenfalls hätten diese in einem nachfolgenden Rechtsmittelverfahren geltend gemacht werden können. Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, er habe sich seinerzeit einen Rechtsanwalt nicht leisten können. Denn aus seinem Widerspruchsschreiben vom 29.10.1994 ergibt sich ohne Zweifel, dass er Gründe für seine Sprachschwierigkeiten sehr wohl auch ohne einen Rechtsanwalt geltend machen konnte. Dafür, dass der Kläger seinerzeit ohne sein Verschulden verhindert war, die Widerspruchsfrist einzuhalten, gibt es keine Anhaltspunkte.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Aus denselben Gründen kann der Kläger sich auch nicht auf den Wiederaufgreifensgrund des 51 Abs.1 Nr. 2 VwVfG berufen. Danach ist das Verfahren wiederaufzugreifen, wenn neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden. Neue Beweismittel im Sinne dieser Vorschrift liegen nicht vor. Zwar hat sich der Kläger nunmehr auf Zeugen berufen, die bestätigen könnten, dass er wegen seiner Gesichtsverletzung bzw. wegen einer psychisch/geistigen Blockade bei der Anhörung nicht richtig habe sprechen können. Es ist jedoch nicht dargelegt, dass diese Zeugen im ursprünglichen Verwaltungsverfahren nicht zur Verfügung standen und damit neue Beweismittel sind. Dafür gibt es auch keine Anhaltspunkte, zumal es sich überwiegend um Familienangehörige handelt.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Ist somit ein Grund für das Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 VwVfG nicht erkennbar, kommt ein Anspruch auf eine erneute Entscheidung nur bei Anwendung der allgemeinen Vorschriften über die Aufhebung von bestandskräftigen Verwaltungsakten nach § 51 Abs. 1 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG in Betracht.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat aber auch keinen Anspruch auf die nachträgliche Aufhebung des bestandskräftigen Ablehnungsbescheides vom 29.06.1994.</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Das Bundesverwaltungsamt hat den Antrag auf Erlass einer neuen Sachentscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung ermessensfehlerfrei abgelehnt. Die Behörde hat hierbei zutreffend auf die Abwägung der grundsätzlich gleichwertigen Belange des Schutzes der Bestandskraft der ablehnenden Entscheidung und damit der Belange des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit auf der einen und auf das Interesse des Klägers an einer erneuten Sachentscheidung auf der anderen Seite abgehoben. Es ist aus rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, dass sie im Ergebnis dem öffentlichen Interesse an Rechtsfrieden und Rechtssicherheit den Vorzug gegeben hat. Hierbei bedarf auch keiner abschließenden Klärung, ob der ablehnende Bescheid bei heutiger Rechtsauslegung rechtswidrig wäre. Denn allein dieser Umstand geböte nicht ausnahmsweise eine erneute Sachentscheidung und damit ein Wiederaufgreifen. Das Ermessen der Behörde zu Gunsten des Betroffenen verdichtet sich lediglich dann, wenn das Festhalten an dem bestandskräftigen Verwaltungsakt schlechthin unerträglich wäre,</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 13.12.2011 – 5 C 9/11 – , Urteil vom 10.10.2018 – 1 C 26/17 – juris Rn. 31.</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Ob dies der Fall ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls und einer Gewichtung der einschlägigen Gesichtspunkte ab. Die Ablehnung des Wiederaufgreifens eines Verfahrens ist insbesondere dann schlechthin unerträglich, wenn die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit als ein Verstoß gegen die guten Sitten, Treu und Glauben oder den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz zu bewerten wäre oder eine offensichtliche Rechtswidrigkeit der bestandskräftigen Entscheidung gegeben ist. Diese Voraussetzungen für eine Ermessensreduzierung sind nicht erfüllt.</p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Insbesondere ist die Ablehnung der Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung durch den Bescheid vom 29.06.1994 nicht offensichtlich rechtswidrig. Die Rechtmäßigkeit des Bescheides richtet sich nach der im Zeitpunkt der Übersiedlung des Klägers im Oktober 1993 geltenden Rechtslage,</p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteile vom 16.07.2015 – 1 C 29.14 – und vom 10.10.2018 – 1 C 26.17 – ,</p>
<span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">also nach der Fassung der §§ 4 und 6 Abs. 2 BVFG 1993. Danach konnte Spätaussiedler nur ein deutscher Volkszugehöriger sein. Für die deutsche Volkszugehörigkeit war erforderlich, dass der Antragsteller von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammte (Nr. 1), ihm die Eltern oder andere Verwandte bestätigende Merkmale wie Sprache, Erziehung und Kultur vermittelt hatten (Nr. 2) und der Antragsteller sich bis zum Verlassen des Aussiedlungsgebietes zum deutschen Volkstum bekannt hatte (Nr. 3).</p>
<span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Zwar erfüllte der Kläger die Anforderungen der Abstammung von deutschen Volkszugehörigen und des Bekenntnisses zum deutschen Volkstum, da er in seinem Inlandspass mit der deutschen Nationalität eingetragen war. Die seinerzeit zuständige Behörde konnte jedoch die erforderliche Vermittlung der deutschen Sprache nicht feststellen.</p>
<span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Möglicherweise hat sie hierbei überzogene Anforderungen an die Sprachvermittlung gestellt, indem sie verlangt hat, dass der Antragsteller die deutsche Sprache als Muttersprache oder als bevorzugte Umgangssprache beherrscht. Dieser Maßstab war jedoch nicht offensichtlich rechtswidrig, weil er im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides im Juni 1994 der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur entsprach,</p>
<span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteile vom 12.11.1996 – 9 C 8.96 – und vom 17.06.1997 – 9 C 10.96 - ; von Schenckendorff, Vertriebenen- und Flüchtlingsrecht, Loseblattkommentar, Stand März 2018, § 6 BVFG n.F. Rn. 185.</p>
<span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Aber auch, wenn man die geringeren Anforderungen an die Sprachvermittlung heranzieht, die nach der späteren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Auslegung des § 6 Abs. 2 Nr. 2 BVFG 1993 entwickelt worden sind, lässt sich eine offensichtliche Rechtswidrigkeit der Ablehnung nicht feststellen. Danach war erforderlich, dass die Eltern oder andere Verwandte die deutsche Sprache neben der Landessprache vom Säuglingsalter bis zur Selbständigkeit „mit Gewicht“ vermittelten, d.h. dem Kind so beibrachten, wie sie sie selbst beherrschten. Der Kenntnis der deutschen Sprache zur Zeit der Aussiedlung kam hierbei Bedeutung als Indiz für die in der Kindheit erfolgte Sprachvermittlung zu,</p>
<span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 19.10.2000 – 5 C 44.99 – , Beschluss vom 10.08.2016 – 1 B 83.99 – , OVG NRW, Urteil vom 23.06.2017 – 11 A 3043/15 – .</p>
<span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Da der Kläger bei seiner Anhörung am 25.11.1993 auch einfache Fragen nicht beantwortet hat und somit eine Verständigung mit ihm nicht möglich war, war der Umfang seiner Sprachkenntnisse bei der Übersiedlung nicht feststellbar. Den Verlauf der Anhörung hat der Kläger nicht bestritten. Er ist lediglich der Meinung, die Mitarbeiter der zuständigen Behörde hätten nicht berücksichtigt, dass er aufgrund der frischen Gesichtsverletzung oder aufgrund einer Sprachblockade im Zeitpunkt der Anhörung gar nicht zu einem Gespräch in der Lage gewesen sei. Die Anhörung sei daher nicht ordnungsgemäß erfolgt und zur Feststellung der vorhandenen Sprachkenntnisse nicht geeignet gewesen.</p>
<span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Es kann offen bleiben, ob die Schwierigkeiten des Klägers bei der Anhörung am 25.11.1993 möglicherweise auch durch die Verletzung im Kieferbereich oder durch eine Blockade aufgrund der Prüfungssituation beeinflusst waren und die vorhandenen Sprachkenntnisse somit nicht zutreffend ermittelt und bewertet werden konnten. Dies ist jedoch keineswegs offensichtlich. Denn zum einen hätte es nahe gelegen, bereits bei der Anhörung auf diese Hindernisse hinzuweisen und um eine Verschiebung zu bitten, was jedoch nicht erfolgt ist. Bereits aus diesem Grund bestehen Zweifel daran, ob die Anhörung allein aus diesen Gründen fehlgeschlagen ist.</p>
<span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Zum anderen gibt es deutliche Hinweise darauf, dass eine Vermittlung der deutschen Sprache an den Kläger in der Kindheit nicht mit dem erforderlichen Gewicht erfolgt ist. Der Kläger gibt selbst in seinem Widerspruchsschreiben vom 29.10.1994 an, er habe bis zu seinem 6. Lebensjahr nur Deutsch gesprochen. In der Schule habe er jedoch nur Russisch sprechen sollen. Das sei nicht seine Schuld. Im Aufnahmeantrag war angekreuzt worden, dass der Kläger die deutsche Sprache verstehe. „Sprechen“ und „Schreiben“ waren nicht angekreuzt. Im Widerspruch dazu wurde erklärt, in der Familie werde auch von dem Antragsteller Deutsch gesprochen. In einer separaten Erklärung zur deutschen Sprache vom 14.10.1991 wurde angegeben, der Kläger verstehe Deutsch; er spreche es aber ganz selten und zwar nur mit den Eltern und Ureltern. In einem Schreiben des bevollmächtigten Schwagers vom 15.02.1993 wurde mitgeteilt, die Familie könne sich zur Zeit in der deutschen Sprache verständigen. In welchem Umfang der Kläger somit in der Kindheit bis zur Selbständigkeit die deutsche Sprache gesprochen hat, bleibt somit vage und ungeklärt.</p>
<span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Es spricht aber sehr viel dafür, dass der Kläger die deutsche Sprache nicht in dem Umfang wie seine Eltern beherrscht hat. Selbst im Klageverfahren werden hierzu keine eindeutigen Aussagen gemacht. So heißt es beispielsweise im Schriftsatz vom 24.01.2018 auf Seite 5, die Familienmitglieder hätten sich untereinander fast nur in russischer Sprache unterhalten, um staatliche Sanktionen abzuwenden. Dies heiße jedoch nicht, dass der Kläger die deutsche Sprache nicht verstanden hätte, zumal die christlichen Gebete an deutschen Feiertagen ausschließlich in deutscher Sprache gesprochen worden seien.</p>
<span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Dieser Vortrag deutet insgesamt darauf hin, dass die deutsche Sprache als Alltagssprache dem Kläger nur in der frühen Kindheit bis zum Schulalter vermittelt worden ist und er die Sprache daher verstanden, aber kaum gesprochen hat. Letztlich ist die Beurteilung des Merkmals der deutschen Sprachvermittlung in der Kindheit des Klägers aufgrund der Aktenlage nicht möglich. Daher kann keine Rede davon sein, dass die Ablehnung der Ausstellung der Spätaussiedlerbescheinigung offensichtlich rechtswidrig war.</p>
<span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit lässt sich auch nicht daraus herleiten, dass andere Familienangehörige des Klägers als Spätaussiedler anerkannt wurden. Denn die Spätaussiedlereigenschaft ist für jeden Antragsteller individuell zu beurteilen. Dies gilt insbesondere für die Vermittlung der Sprachkenntnisse, die sich auch innerhalb einer Familie unterschiedlich entwickeln können.</p>
<span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Ebensowenig ergibt sich eine offensichtliche Rechtswidrigkeit der Verweigerung des Spätaussiedlerstatus daraus, dass dem Kläger ursprünglich ein Aufnahmebescheid erteilt worden ist. Denn im Aufnahmeverfahren wird der zukünftige Spätaussiedlerstatus, der erst mit der Einreise entsteht, nur vorläufig festgestellt. Im vorliegenden Verfahren ist insbesondere vor der Ausreise kein Sprachtest erfolgt. Demnach ist es möglich, dass die Beurteilung der Vermittlung von Sprachkenntnissen im Bescheinigungsverfahren nach der Einreise von der Bewertung im Aufnahmeverfahren abweicht.</p>
<span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Es lässt sich auch nicht feststellen, dass das Festhalten des Bundesverwaltungsamtes an der bestandskräftigen Ablehnung aus anderen Gründen unerträglich ist.</p>
<span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Insbesondere gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte durch eine unterschiedliche Ausübung der Rücknahmebefugnis gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt. Es sind dem Gericht keine Fälle bekannt, in denen eine bestandskräftige Ablehnung der Spätaussiedlerbescheinigung gemäß § 51 Abs. 5 VwVfG aufgehoben worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Das private Interesse des Klägers an einer Aufhebung der Ablehnungsentscheidung überwiegt auch nicht deshalb, weil er wegen des Fehlens der Spätaussiedlereigenschaft keine Ansprüche auf eine Fremdrente und eventuelle weitere Sozialleistungen hat. Dass es sich hierbei um einen erheblichen Nachteil handelt, der den Kläger sehr belastet, kann nachvollzogen werden. Es ist jedoch gleichwohl nicht unerträglich, an der bestandskräftigen Entscheidung festzuhalten. Denn der Gesetzgeber hat den Anspruch auf Fremdrente nur solchen Personen zugestanden, die nach der Einreise eine Spätaussiedlerbescheinigung erhalten. Er ist hierbei davon ausgegangen, dass die Prüfung und Feststellung der Spätaussiedlereigenschaft in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Einreise stattfindet, weil nur dann die Voraussetzungen für die Anerkennung der deutschen Volkszugehörigkeit zuverlässig ermittelt werden können.</p>
<span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat jedoch die Frist für die Erhebung des Widerspruchs ohne eine stichhaltige Begründung verstreichen lassen und sich mit dem Status des Ehemanns einer Spätaussiedlerin eine lange Zeit abgefunden. Erst 20 Jahre später im Jahr 2014 hat er die Wiederaufnahme seines Verfahrens beantragt. Die seinerzeitige Entscheidung war, wie ausgeführt, nicht offensichtlich rechtswidrig. Nachdem nach dieser langen Zeit eine eindeutige Feststellung der Sprachkenntnisse im Zeitpunkt der Einreise als Indiz für die familiäre Sprachvermittlung kaum noch möglich ist, erweist sich das Festhalten an der seinerzeitigen Entscheidung nicht als rechtlich bedenklich.</p>
<span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufig Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708, 711 Nr. 11 ZPO.</p>
<span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p>
<span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn</p>
<span class="absatzRechts">78</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.</p>
<span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Statt in Schriftform kann die Einlegung des Antrags auf Zulassung der Berufung auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.</p>
<span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.</p>
<span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p>
<span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks"><strong>Beschluss</strong></p>
<span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">Der Wert des Streitgegenstandes wird auf</p>
<span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">5.000,00 €</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">festgesetzt.</p>
<span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe</strong></p>
<span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">Der festgesetzte Streitwert entspricht dem gesetzlichen Auffangstreitwert im Zeitpunkt der Klageerhebung (§ 52 Abs. 2 GKG).</p>
<span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p>
<span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, Beschwerde bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.</p>
<span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.</p>
<span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p>
|
188,453 | vg-dusseldorf-2019-02-05-23-l-18618 | {
"id": 842,
"name": "Verwaltungsgericht Düsseldorf",
"slug": "vg-dusseldorf",
"city": 413,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 23 L 186/18 | 2019-02-05T00:00:00 | 2019-02-11T11:03:54 | 2019-02-13T12:21:03 | Beschluss | ECLI:DE:VGD:2019:0205.23L186.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<ul class="ol"><li><strong>1.</strong><p>Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 5. Januar 2018 gegen die Auflagen zum Erlaubnisbescheid des Antragsgegners vom 6. Dezember 2017</p>
</li>
</ul>
<p><strong>-          unter Nr. 2.3</strong></p>
<p><strong>-    sowie unter Nr. 2.4, soweit sie verlangt, den Transport mindestens drei Werktage vorher anzuzeigen und eine Anzeige nicht auch erst einen Werktag vorher genügen lässt,</strong></p>
<p><strong>wird wiederhergestellt.</strong></p>
<p><strong>Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.</strong></p>
<ul class="ol"><li><strong>2.</strong><p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.</p>
</li>
<li><strong>3.</strong><p>Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.</p>
</li>
</ul><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe:</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der am 19. Januar 2018 wörtlich gestellte Antrag,</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks"><strong>die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 5. Januar 2018 gegen die Nebenbestimmungen,</strong></p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks"><strong>-          so die Befristung bis zum 1. Oktober 2019,</strong></p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks"><strong>-          die Bestimmung/Bedingung, dass die Erlaubnis bei Fort- oder Ausfall der verantwortlichen Personen erlischt,</strong></p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks"><strong>-          die Erteilung der Registriernummer gemäß § 4 Binnenmarkt-Tierseuchenschutzverordnung,</strong></p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks"><strong>-          die Nebenbestimmungen unter den Nummern 2.3, 2.4, 3, 4.1, 4.2, 4.3, 4.4 und 4.6 der Erlaubnis</strong></p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks"><strong>-          sowie aus der der Erlaubnis beigefügten Anlage die Nummern 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13 und 14,</strong></p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks"><strong>der durch den Antragsgegner am 6. Dezember 2017 erteilten Erlaubnis wiederherzustellen,</strong></p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">hat im tenorierten Umfang Erfolg; im Übrigen war er abzulehnen.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks"><strong>I.</strong> Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist nur teilweise zulässig.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs bzw. einer Anfechtungsklage wiederherstellen, wenn die Behörde die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO besonders angeordnet hat. Das Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist nur statthaft, soweit der Antragsteller sich gegen ein Verwaltungshandeln wendet, das in der Hauptsache mit der Anfechtungsklage angegriffen werden kann. Wird gegen Nebenbestimmungen im Sinne des § 36 VwVfG NRW zu einem begünstigenden Verwaltungsakt vorgegangen, ist in der Hauptsache eine isolierte Anfechtungsklage gegen sämtliche Formen von Nebenbestimmungen zulässig. Lediglich die Begründetheit einer Anfechtungsklage hängt - abgesehen von der Rechtswidrigkeit der Nebenbestimmung und der Rechtsverletzung für den Kläger - davon ab, ob der übrige Verwaltungsakt ohne die angefochtene Nebenbestimmung sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben kann.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. November 2000 - 11 C 2/00 - BVerwGE 112, 221 = juris Rn. 25; OVG NRW, Urteil vom 16. April 2018 - 4 A 589/17 - juris Rn. 24; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, § 44 Rn. 937, m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Abzugrenzen von der isoliert angreifbaren Nebenbestimmung sind einem Verwaltungsakt beigefügte Hinweise auf die Rechtslage, insbesondere auf bestehende gesetzliche Beschränkungen einer erteilten Erlaubnis oder besondere Verpflichtungen unmittelbar aus dem Gesetz (Inhaltsbestimmungen). Es kommt für die rechtliche Einordnung einer in einem Erlaubnisbescheid enthaltenen Einschränkung als Inhalts- oder Nebenbestimmung auf den objektiven Erklärungsgehalt des Bescheides und nicht auf die Bezeichnung der entsprechenden Regelung durch die Behörde an. Wenn eine Einschränkung nach ihrem objektiven Erklärungsgehalt das erlaubte Verhalten und damit den Inhalt der Hauptregelung näher bestimmt, anstatt als gesonderte Leistungsverpflichtung zum Hauptinhalt der Erlaubnis hinzuzutreten, ist sie eine Inhaltsbestimmung und keine gesondert anfechtbare Nebenbestimmung. Vorläufiger Rechtsschutz gegen sie kann nur über § 123 Abs. 1 VwGO erlangt werden.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Januar 2018 - 8 B 28/17 - juris Rn. 7, und Urteil vom 30. September 2009 - 5 C 32.08 - BVerwGE 135, 67 = juris Rn. 11; OVG NRW, Beschluss vom 22. März 2017 ‑ 13 B 1053/16 ‑ juris Rn. 19.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Ausgehend davon ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO nur statthaft, soweit er sich gegen die Befristung bis zum 1. Oktober 2019, die Bestimmung, dass die Erlaubnis bei Fort- oder Ausfall der verantwortlichen Personen erlischt und die unter den Nummern 2.3, 2.4, 3, 4.1, 4.2, 4.3, 4.4 und 4.6 verfügten Nebenbestimmungen der Erlaubnis richtet. Denn insoweit handelt es sich - ohne Weiteres - um Nebenbestimmungen im Sinne des § 36 Abs. 1, 2 VwVfG NRW, nämlich um eine Befristung, eine Bedingung sowie Auflagen.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Bei der von dem Antragsteller ebenfalls angegriffenen Erteilung der Registriernummer gemäß § 4 Binnenmarkt-Tierseuchenschutzverordnung (BmTierSSchV) sowie den Nrn. 4 bis 14 der Anlage zur Erlaubnis handelt es sich dagegen um Inhaltsbestimmungen, für die der gestellte Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO unstatthaft ist. Durch die Erteilung der Registriernummer im Sinne von § 4 BmTierSSchV wird das genehmigte Verhalten - Hunde zum Zwecke der Abgabe gegen Entgelt oder sonstige Gegenleistung aus Spanien in das Inland zu verbringen und gegen Entgelt oder sonstige Gegenleistung zu vermitteln - und damit der Inhalt der Hauptregelung näher bestimmt. Denn es wird festgelegt, dass die genehmigte Tätigkeit unter dieser bestimmten Registrierungsnummer erfolgt.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Bei den außerdem angegriffenen Nrn. 4 bis 14 der Anlage zur Erlaubnis handelt es sich um Hinweise auf die Rechtslage. Der Antragsgegner hat insoweit für den objektiven Empfänger in der Bescheidbegründung deutlich gemacht, dass er lediglich auf bestehende gesetzliche Beschränkungen der Erlaubnis sowie besondere Verpflichtungen unmittelbar aus dem Gesetz hinweisen möchte, ohne selbst unmittelbare Regelungen zu treffen. Der Erlaubnisbescheid vom 6. Dezember 2017 enthält am Ende auf Seite 5 einen „wichtigen Hinweis“ auf diverse Gesetze, Rechtsverordnungen sowie EU-Verordnungen und ‑ Richtlinien, die „für die vom Verein ausgeübte Tätigkeit des Verbringens und Vermittelns von Hunden unmittelbare Geltung“ hätten und „von Ihnen einzuhalten“ seien; die der Erlaubnis beigefügte Anlage enthalte eine Erläuterung zu den genannten wichtigsten Bestimmungen. So finden sich die gesetzlichen Regelungen zu den den EU-Heimtierausweis betreffenden Nrn. 4 und 5 der Anlage zur Erlaubnis in § 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Anlage 3 Nr. 7 Spalte 2 BmTierSSchV i. V. m. Anhang III Teil 1 zur Durchführungsverordnung (EU) Nr. 577/2013, zu den die TRACES-Bescheinigungen betreffenden Nrn. 6 bis 11 der Anlage zur Erlaubnis in § 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Anlage 3 Nr. 7 Spalte 2 BmTierSSchV i. V. m. Anhang E Teil 1 der Richtlinie 92/65/EWG sowie die den Transport betreffenden Nrn. 12 bis 14 der Anlage zur Erlaubnis in der Verordnung (EG) Nr. 1/2005. Damit sollen auch die in der Anlage aufgeführten Einschränkungen der Erlaubnis nach ihrem objektiven Erklärungsgehalt das genehmigte Verhalten näher bestimmen.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks"><strong>II.</strong> Soweit der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zulässig ist, ist er überwiegend unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ganz oder teilweise wiederherstellen, wenn eine Abwägung der widerstreitenden Belange ergibt, dass das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs überwiegt und das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung zurückstehen muss. Hierbei finden maßgeblich die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs in der Hauptsache Berücksichtigung. Ergibt die im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotene summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass der angefochtene Verwaltungsakt bzw. die Nebenbestimmung offensichtlich rechtswidrig ist, überwiegt das private Aufschubinteresse des Antragstellers. Denn an der Vollziehung einer rechtswidrigen hoheitlichen Maßnahme kann kein öffentliches Interesse bestehen. Wird die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet, überwiegt bei offensichtlicher Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung nicht schon allein deshalb das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit. Vielmehr muss darüber hinaus ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung gegeben sein. Unabhängig von einer Interessenabwägung ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung aufzuheben, wenn sie formell rechtswidrig ergangen ist.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Ausgehend davon muss die für eine Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO erforderliche und von dem Gericht nach diesen Maßstäben unter eigener Ermessensausübung zu treffende Abwägung des Interesses des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung mit dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung vorliegend überwiegend zu Ungunsten des Antragstellers ausfallen.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks"><strong>1.</strong> Gegen die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung ist nichts zu erinnern.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Dieses Begründungserfordernis soll neben der Information des Betroffenen und des mit einem eventuellen Aussetzungsantrag befassten Gerichts vor allem die Behörde selbst mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG zwingen, sich des Ausnahmecharakters der Vollziehungsanordnung bewusst zu werden und die Frage des Sofortvollzuges besonders sorgfältig zu prüfen. Die Anforderungen an den erforderlichen Inhalt einer solchen Begründung dürfen hierbei jedoch nicht überspannt werden. Diese muss allein einen bestimmten Mindestinhalt aufweisen. Dazu gehört es insbesondere, dass sie sich - in aller Regel - nicht lediglich auf eine Wiederholung der den Verwaltungsakt tragenden Gründe, auf eine bloße Wiedergabe des Textes des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO oder auf lediglich formelhafte, abstrakte und letztlich inhaltsleere Wendungen, namentlich solche ohne erkennbaren Bezug zu dem konkreten Fall, beschränken darf.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 1. Juni 2017 - 20 B 475/17 - nicht veröffentlicht, und vom 6. Mai 2016 - 8 B 866/15 - juris Rn. 4.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Nach diesen Maßstäben ist die Begründung der Vollziehungsanordnung hier nicht zu beanstanden. Sie weist einen hinreichenden Bezug zum Einzelfall auf und erschöpft sich nicht in einer Wiederholung des Gesetzestextes. Der Antragsgegner hat ausgeführt, dass nicht hinnehmbar sei, dass der Antragsteller durch Einlegung des Widerspruchs zunächst davon verschont bliebe, die Nebenbestimmungen zu seiner Erlaubnis vom 6. Dezember 2017 zu beachten, da die Beachtung tierschutzrechtlicher Bestimmungen oder Anordnungen dazu diene, Schmerzen, Leiden und Schäden von Tieren abzuwenden bzw. vorzubeugen. Diese Erwägungen sind nicht deshalb unvereinbar mit dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, weil sie zugleich das Interesse am Erlass einer entsprechenden Ordnungsverfügung selbst begründen würden. Das besondere öffentliche Interesse kann gerade bezogen auf Anordnungen, die - wie hier - der Gefahrenabwehr dienen, mit dem Interesse am Erlass des Verwaltungsakts zusammenfallen. Eine gewisse Redundanz und Formelhaftigkeit der Begründung ist unter diesen Umständen unvermeidlich und erlaubt nicht den Schluss, die Behörde habe nicht einzelfallbezogen die für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Umstände abgewogen.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 30. Mai 2018 - 20 B 542/17 - juris Rn. 10, m. w. N., und vom 8. April 2014 - 16 B 207/14 - juris Rn. 3.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Dass dem Antragsgegner der Ausnahmecharakter der Anordnung der sofortigen Vollziehung bewusst gewesen ist, wird auch dadurch deutlich, dass er die sofortige Vollziehung gesondert, gut einen Monat nach Erteilung der streitgegenständlichen Erlaubnis angeordnet und zudem mit einer eigenen Rechtsbehelfsbelehrung zum Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz versehen hat. Anlass dafür mag die Erhebung des Widerspruchs einen Tag zuvor gewesen sein; dies ändert aber nichts daran, dass der Antragsgegner sich bewusst war, dass durch die (nachträgliche) Anordnung der sofortigen Vollziehung ausnahmsweise die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs entfallen wird.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Entgegen der Auffassung des Antragstellers verlangt die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung von Nebenbestimmungen auch keine derart einzelfallbezogene Begründung, die jede Nebenbestimmung gesondert in den Blick nimmt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Erlass der Nebenbestimmungen - wie hier - demselben Ziel, vorliegend dem Tierschutz, zu dienen bestimmt ist. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen kann die Anordnung der sofortigen Vollziehung jedenfalls in einem solchen Fall für alle Nebenbestimmungen zusammengefasst begründet werden.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks"><strong>2.</strong> In der Sache erweisen sich die mit dem Widerspruch angegriffenen Nebenbestimmungen zu dem Erlaubnisbescheid vom 6. Dezember 2017 ganz überwiegend als offensichtlich rechtmäßig, sodass der Widerspruch des Antragstellers insoweit voraussichtlich erfolglos bleiben wird. Lediglich bezüglich der Auflagen unter Nr. 2.3 (Impfschutz) sowie teilweise unter Nr. 2.4 (Anzeige des Transports mindestens drei Werktage vorher) des Bescheides war die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen, weil sie sich als rechtswidrig erweisen.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Nach § 36 Abs. 1 VwVfG NRW darf ein Verwaltungsakt, auf den - wie hier bei Vorliegen der Erlaubnisvoraussetzungen - ein Anspruch besteht,</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">ebenso zur tierschutzrechtlichen Erlaubnis: VG Schleswig, Urteil vom 2. März 2017 - 1 A 56/15 - juris Rn. 26,</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">mit einer Nebenbestimmung nur versehen werden, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden. Die Beifügung von Nebenbestimmungen zu einer tierschutzrechtlichen Erlaubnis ist durch § 21 Abs. 5 Satz 1 TierSchG i. V. m. § 11 Abs. 2a TierSchG in der bis zum 12. Juli 2013 geltenden Fassung (im Folgenden: § 11 Abs. 2a TierSchG a. F.) zugelassen. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 TierSchG bedarf derjenige, der - wie der Antragsteller - Wirbeltiere, die nicht Nutztiere sind, zum Zwecke der Abgabe gegen Entgelt oder eine sonstige Gegenleistung in das Inland verbringen oder einführen oder die Abgabe solcher Tiere, die in das Inland verbracht oder eingeführt werden sollen oder worden sind, gegen Entgelt oder eine sonstige Gegenleistung vermitteln will, der Erlaubnis der zuständigen Behörde. Gemäß § 11 Abs. 2a Satz 1 TierSchG a. F. kann die Erlaubnis, soweit es zum Schutz der Tiere erforderlich ist, unter Befristungen, Bedingungen und Auflagen erteilt werden. Gemäß § 21 Abs. 5 Satz 1 TierSchG ist auf § 11 Abs. 2a TierSchG a. F. zurückzugreifen, weil noch keine Rechtsverordnung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 TierSchG erlassen wurde, die den konkreten Inhalt der Erlaubnis regelt, zu dem auch Nebenbestimmungen zur Erlaubnis gehören. Für einen solchen Fall bestimmt § 21 Abs. 5 Satz 1 TierSchG, dass bis zum Erlass einer solchen Rechtsverordnung unter anderem § 11 Abs. 2a TierSchG a. F. weiter anzuwenden ist.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Vgl. BT-Drs. 17/11811, S. 29; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 4. Dezember 2017 ‑ 11 LA 26/17 ‑ juris Rn. 8, m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">In den Nrn. 1 bis 6 des § 11 Abs. 2a Satz 2 TierSchG a. F. werden einzelne mögliche Nebenbestimmungen - wie das Wort "insbesondere" deutlich macht - beispielhaft aufgezählt, sodass Raum für weitere Nebenbestimmungen verbleibt.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Vgl. auch die Begründung zur Einfügung des Abs. 2a in § 11 TierSchG: BT-Drs. 13/7015, S. 21.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Erforderlich aber auch ausreichend ist dabei, dass die konkrete Auflage zum Schutz der Tiere erforderlich ist, d. h. den Zielen des Tierschutzes dient. Soweit die Auflage zugleich andere Rechtsgüter mittelbar schützt, ist dies als Reflexwirkung zulässig, solange ihre hauptsächliche Zielrichtung der Schutz der Tiere bleibt. Denn die Beifügung von Nebenbestimmungen zu einer Erlaubnis nach § 11 Abs. 1 Satz 1 TierSchG verfolgt den Zweck, das in § 2 TierSchG vorgegebene Schutzniveau durch genauere Regelungen auszufüllen und zu konkretisieren und auf diese Weise einen wirksamen Tierschutz zu erreichen. Da die Nebenbestimmungen nach § 11 Abs. 2a TierSchG a. F. der Gefahrenabwehr dienen, setzt der Erlass einer auf diese Vorschrift gestützten Nebenbestimmung grundsätzlich nicht voraus, dass bereits Verstöße gegen die Gebote des § 2 TierSchG festgestellt wurden oder mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind. Schließlich muss jede einzelne Nebenbestimmung nicht nur dem Tierschutz i. S. d. § 2 TierSchG dienen, sondern auch verhältnismäßig sein.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 4. Dezember 2017 - 11 LA 26/17 - juris Rn. 9, m. w. N.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 19. November 2009 ‑ 9 ZB 07.2282 ‑ juris Rn. 4; Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 3. Aufl. 2016, § 11 Rn. 27; Dietz, Inhalt und Bestandskraft der Erlaubnis nach § 11 des Tierschutzgesetzes, NuR 1999, 681 (683 f.).</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Daneben kann eine tierschutzrechtliche Erlaubnis gemäß § 36 Abs. 1 Alt. 2 VwVfG NRW auch dann mit einer Nebenbestimmung versehen werden, wenn sie sicherstellen soll, dass die Erlaubnisvoraussetzungen aus § 11 Abs. 2 TierSchG a. F., der ebenfalls über § 21 Abs. 5 Satz 1 TierSchG weiterhin Anwendung findet, erfüllt werden und bleiben.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Vgl. Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 3. Aufl. 2016, § 11 Rn. 28.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">In Anwendung dieser Grundsätze sind die angegriffenen Nebenbestimmungen überwiegend rechtmäßig. Im Einzelnen gilt Folgendes:</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks"><strong>a.</strong> Die Befristung der Erlaubnis bis zum 1. Oktober 2019 ist rechtlich nicht zu beanstanden.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Sie ist insbesondere verhältnismäßig. Die Befristung ist ein legitimes Mittel, um den Erfordernissen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit  Rechnung zu tragen, wenn die künftige Entwicklung der maßgeblichen Sach- oder Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses noch nicht hinreichend übersehbar ist.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Aufl. 2018, § 36 Rn. 55.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Vorliegend ist die Entwicklung der Sachlage nicht hinreichend übersehbar. In der Vergangenheit gab es Unklarheiten bei der Erstellung der TRACES-Meldungen durch den Antragsteller, die aus Sicht des Antragsgegners Zweifel an dessen Zuverlässigkeit aufkommen ließen. Wie erheblich diese Zweifel waren und inwieweit sie überhaupt berechtigt waren, ist für die Rechtmäßigkeit der Befristungsentscheidung unerheblich. Denn sie bedeutet keine Entscheidung über die Zuverlässigkeit des Antragstellers, sondern dient in sachgerechter Weise lediglich dazu, dem Antragsteller die Erlaubnis zunächst nur für einen gewissen Zeitraum (knapp zwei Jahre) zu erteilen, damit er sich bei Ausübung der erlaubten Tätigkeit - im Hinblick auf die Einhaltung des Tierschutzes - bewähren kann. Die Möglichkeit des Widerrufs bedeutet kein gleich geeignetes, milderes Mittel gegenüber der Befristung, weil sie dem Antragsteller nicht in gleicher Weise vor Augen führt, dass die Erlaubnis zunächst nur probeweise erteilt wurde. Da eine Verlängerung der Erlaubnisdauer dadurch keineswegs ausgeschlossen ist, vom Antragsgegner sogar eine unbefristete Erlaubnis in Aussicht gestellt wurde, ist sie dem Antragsteller auch zumutbar.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks"><strong>b.</strong> Die auflösende Bedingung zur Erlaubnis,</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">„Sie erlischt bei […] Fort- oder Ausfall der verantwortlichen Personen.“,</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">ist ebenfalls rechtmäßig.</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Diese Nebenbestimmung ist nicht zu unbestimmt. Nach § 37 Abs. 1 VwVfG NRW muss ein Verwaltungsakt - und so auch eine Nebenbestimmung - inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Hinreichend bestimmt ist ein Verwaltungsakt bzw. eine Nebenbestimmung, wenn der Adressat erkennen kann, was von ihm gefordert wird und wenn die Bestimmung darüber hinaus geeignet ist, Grundlage für Maßnahmen zu ihrer zwangsweisen Durchsetzung zu sein. Es genügt, wenn sich die Regelung aus dem gesamten Inhalt des Bescheides, insbesondere seiner Begründung, sowie den weiteren, den Beteiligten bekannten oder ohne Weiteres erkennbaren Umständen unzweifelhaft erkennen lässt.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">StRspr., vgl. zuletzt ausführlich: BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 8 C 18/16 - BVerwGE 160, 193 = juris Rn. 13 f.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Ausgehend davon ist ohne Weiteres sowohl für den Antragsteller als auch die Vollzugsbehörde erkennbar, unter welchen Voraussetzungen die Erlaubnis erlischt. Mit dem „Fort- oder Ausfall der verantwortlichen Personen“ ist gemeint, dass die im Zeitpunkt der Erlaubniserteilung als für den Antragsteller verantwortlich genannten Personen (Frau T.         und Frau Korbstein) sämtlich nicht mehr für diesen tätig sein sollten. Der verwendete Plural gibt schon nicht das Verständnis des Antragstellers her, die Erlaubnis würde bereits erlöschen, sobald auch nur eine der verantwortlichen Personen fort- oder ausfallen sollte. Dies bestätigt der nachfolgende Zusatz im Erlaubnisbescheid, wonach von der Erlaubnis die Tätigkeit des Verbringens und Vermittelns von Hunden, die andere als die genannten verantwortlichen Personen für den Antragsteller erbringen, nicht erfasst wird. In diesem Fall wäre - so der Erlaubnisbescheid - für diese Personen die Aufnahme als weitere verantwortliche Person oder - wenn die Person ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt nicht im Gebiet des Antragsgegners hat - eine eigene Erlaubnis bei der für sie zuständigen Veterinärbehörde zu beantragen. Der Antragsgegner will also sicherstellen, dass die erlaubte Tätigkeit nicht fortgeführt wird, wenn nicht mehr die ihr als Verantwortliche bekannten Personen, sondern unbekannte Dritte die Vereinstätigkeit des Antragstellers fortführen sollten.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">So verstanden ist diese auflösende Bedingung auch verhältnismäßig. Denn sie gewährleistet zum Wohl der Tiere, dass die erlaubte Tätigkeit nur fortgeführt werden darf, solange die vom Antragsgegner als zuverlässig und sachkundig eingestuften Personen die Verantwortung für den Antragsteller tragen. Da weitere verantwortliche Personen nach Prüfung durch den Antragsgegner in die Erlaubnis aufgenommen werden können, um so bei einem etwaigen Ausfall von Frau T.         und Frau L.         die Geltung der Erlaubnis zu erhalten, ist nicht erkennbar, wie diese Bedingung den Antragsteller unzumutbar beeinträchtigen sollte.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Auch die damit zusammenhängende Bedingung, dass Frau L.         als für den Antragsteller stellvertretend verantwortliche Person der zuständigen Behörde bis zum 1. Juni 2018 den Nachweis der Sachkunde einreicht, ist nach § 11 Abs. 2 Nr. 1 TierSchG a. F. i. V. m. § 21 Abs. 5 Satz 1 TierSchG rechtmäßig ergangen. Denn danach darf die Erlaubnis nur erteilt werden, wenn die für die Tätigkeit verantwortliche Person aufgrund ihrer Ausbildung oder ihres bisherigen beruflichen oder sonstigen Umgangs mit Tieren die für die Tätigkeit erforderlichen fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten hat.</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks"><strong>c.</strong> Die Auflage unter Nr. 2.3 des Bescheides,</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">„Es dürfen nur Hunde verbracht werden, die über den gesetzlich vorgeschriebenen Tollwutimpfschutz hinaus auch über einen gültigen Impfschutz (d. h. nach dem vom Hersteller vorgeschriebenen Impfprotokoll) gegen die Erkrankungen Staupe, Parvovirose, Hepatitis contagiosa canis, Leptospirose und Parainfluenza verfügen.“,</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">ist rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten. Da der Erlaubnisbescheid auch ohne diese Nebenbestimmung sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben kann, wird der Widerspruch des Antragstellers insoweit voraussichtlich Erfolg haben.</p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Diese Auflage ist nicht von der Ermächtigungsgrundlage des § 11 Abs. 2a TierSchG a. F. gedeckt, weil mit ihr nicht wie erforderlich in erster Linie tierschutzrechtliche Ziele verfolgt werden. Der Antragsgegner fordert den Nachweis eines zusätzlichen Impfschutzes vor dem Hintergrund, dass in den Mittelmeerländern eine spezielle Seuchensituation bestehe und die zu verbringenden Hunde durch den Aufenthalt in dortigen Tötungs-, Auffangstationen oder Tierheimen einem erhöhten Infektionsdruck ausgesetzt seien. Damit verfolgt er jedoch hauptsächlich tierseuchenrechtliche Zwecke, indem er mittels der Impfpflicht die Ausbreitung von Infektionskrankheiten nach dem Verbringen des Hundes in das Inland verhindern will. Es geht hingegen nicht primär um das Wohl des zu verbringenden Hundes und dessen Schutz vor vermeidbaren Leiden. Der vom Antragsgegner angeführte mittelbare Schutz der Tiere im Inland vor Ansteckung, die in Kontakt mit dem verbrachten Hund treten könnten, spricht gerade die tierseuchenrechtliche Zielsetzung der Auflage an.</p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Unabhängig davon, ob diese tierseuchenrechtlichen Ziele sachlich begründet sein mögen und diese gerade bei der streitgegenständlichen erlaubnispflichtigen Tätigkeit des Antragstellers - dem Verbringen von Hunden in das Inland - bedeutsam werden, kann dieses Anliegen nach der gültigen Gesetzeslage nicht im Wege der tierschutzrechtlichen Erlaubniserteilung eingebracht werden. Denn solange das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft von seiner Verordnungsermächtigung in § 11 Abs. 2 TierSchG in der seit dem 13. Juli 2013 gültigen Fassung nicht Gebrauch gemacht hat, um den Inhalt der Erlaubnis zu regeln, findet § 11 Abs. 2a TierSchG a. F. gemäß § 21 Abs. 5 Satz 1 TierSchG weiterhin Anwendung. Zwar wurde die Erlaubnispflicht in § 11 Abs. 1 Nr. 5 TierSchG für das Verbringen oder Einführen von Wirbeltieren, die nicht Nutztiere sind, zum Zwecke der Abgabe gegen Entgelt oder eine sonstige Gegenleistung in das Inland oder für das Vermitteln der Abgabe solcher Tiere, die in das Inland verbracht oder eingeführt werden sollen oder worden sind, gegen Entgelt oder eine sonstige Gegenleistung, erst zum 13. Juli 2013 und damit gleichzeitig mit dem grundsätzlichen Außerkrafttreten des § 11 Abs. 2a TierSchG eingeführt. Die damalige Neufassung des § 11 TierSchG trug vor allem der Absicht Rechnung, hinsichtlich der Erlaubniserteilung für die in der Vorschrift genannten Tätigkeiten nur noch die wesentlichen Regelungen im Gesetz zu treffen und das Nähere der Regelung durch Verordnung vorzubehalten.</p>
<span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">So die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 17/10572, S. 29.</p>
<span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Die Verordnungsermächtigung eröffnet auch die Möglichkeit, den Inhalt der unterschiedlichen Erlaubnisse im Katalog des § 11 Abs. 1 TierSchG unterschiedlich zu regeln und damit insbesondere die bisherige Zulassung von Nebenbestimmungen in § 11 Abs. 2a TierSchG a. F., „soweit es zum Schutz der Tiere erforderlich ist“, anzupassen. Im vorliegenden Fall der Erlaubnis nach § 11 Abs. 1 Nr. 5 TierSchG wäre dadurch eine Zulassung auch von Nebenbestimmungen zu tierseuchenrechtlichen Zwecken denkbar. Solange es aber an einer entsprechenden Umsetzung durch den Verordnungsgeber fehlt, sind Nebenbestimmungen zu der tierschutzrechtlichen Erlaubnis nach § 11 Abs. 1 Nr. 5 TierSchG, die nicht in erster Linie dem Tierschutz dienen, unzulässig. Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, ob die tierschutzrechtliche Auflage - wie vom Antragsteller vertreten - auch unverhältnismäßig ist, weil es keine ebenso weitreichende gesetzliche Impfpflicht für Hunde gibt.</p>
<span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Vgl. dazu für eine Hundeschule: VG Schleswig, Urteil vom 2. März 2017 - 1 A 56/15 - juris Rn. 35.</p>
<span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Davon unberührt verbleibt auch bereits nach der derzeit gültigen Rechtslage den zuständigen Behörden die Möglichkeit, tierseuchenrechtliche Ordnungsverfügungen auf Grundlage von § 24 Abs. 3 TierGesG zu erlassen.</p>
<span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks"><strong>d.</strong> Die Auflage unter Nr. 2.4 des Bescheides,</p>
<span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">„Die Transporte sind mindestens 3 Werktage vor der Durchführung beim Kreis-O.     Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt <span style="text-decoration:underline">und</span> bei dem zuständigen Veterinäramt der Pflegestelle oder des Endabnehmers anzuzeigen. Daraus müssen Name und Adresse der Pflegestelle oder des Endabnehmers, Datum der Ankunft, Art, Anzahl, Herkunft und Transpondernummern der verbrachten Tiere sowie der Übergabeort und die Übergabezeit ersichtlich sein.“,</p>
<span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">ist rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten, soweit sie verlangt, den Transport mindestens drei Werktage vorher anzuzeigen, und eine Anzeige nicht auch erst einen Werktag vorher genügen lässt. Da der Erlaubnisbescheid auch bei einer entsprechenden geltungserhaltenden Reduktion dieser Nebenbestimmung sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben kann, wird der Widerspruch des Antragstellers insoweit voraussichtlich Erfolg haben.</p>
<span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller ist zunächst nach § 16 Abs. 2 TierSchG allgemein zur Auskunft über seine Tätigkeit verpflichtet. Nach dieser Vorschrift haben natürliche und juristische Personen und nicht rechtsfähige Personenvereinigungen der zuständigen Behörde auf Verlangen die Auskünfte zu erteilen, die zur Durchführung der der Behörde durch dieses Gesetz übertragenen Aufgaben erforderlich sind. Die Auskunftspflicht trifft jede Person, die Adressat einer tierschutzrechtlichen Anordnung sein kann, insbesondere jeden Tierhalter, Tierbetreuer und Betreuungspflichtigen nach § 2 TierSchG sowie auch jede andere Person, die mit Tieren Umgang hat.</p>
<span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 17. März 2017 - W 5 S 17.232 - juris Rn. 21; VG Minden, Urteil vom 26. April 2012 - 2 K 695/12 - juris Rn. 28, m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Sie setzt nach ihrem Wortlaut und gefahrenabwehrrechtlichen Sinn und Zweck nicht erst ein, sobald konkrete Verdachtsmomente eines Verstoßes gegen tierschutzrechtliche Vorschriften gegenüber dem Betroffenen vorliegen, vielmehr genügt es, dass das zuständige Veterinäramt gegenüber dem Adressaten ein Informationsbedürfnis zur Erfüllung seiner Überwachungsaufgabe besitzt.</p>
<span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Vgl. VG Minden, Urteil vom 26. April 2012 - 2 K 695/15 - juris Rn. 30.</p>
<span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Die konkret unter der Auflage Nr. 2.4 vorgesehene Anzeigepflicht findet ihre weitgehende gesetzliche Entsprechung in § 19 Satz 1 BmTierSSchV. Die Vorschrift ist unabhängig davon, ob der Antragsteller gewerbsmäßig tätig wird, vorliegend anwendbar. Denn eine entsprechende Voraussetzung enthält sie nicht. So regelt die BmTierSSchV ausweislich seines § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ganz allgemein das innergemeinschaftliche Verbringen sowie die Einfuhr, Durchfuhr und Ausfuhr - unter anderem - von Hunden. Die Frage der Gewerbsmäßigkeit spielt lediglich im Rahmen der Pflicht zur Anzeige und Registrierung der Tätigkeit gemäß § 4 BmTierSSchV eine Rolle. Eine systematische Verbindung zwischen § 4 BmTierSSchV und § 19 BmTierSSchV besteht nicht.</p>
<span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Vgl. zu §§ 4 und 8 BmTierSSchV: OVG NRW, Beschluss vom 5. Dezember 2018 - 13 B 1316/18 - juris Rn. 25.</p>
<span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Nach § 19 Satz 1 BmTierSSchV kann die zuständige Behörde, soweit es zur Durchführung der Überwachung erforderlich ist, anordnen, dass der Empfänger von Tieren oder Waren aus anderen Mitgliedstaaten die voraussichtliche Ankunftszeit der für den Bestimmungsort zuständigen Behörde unter Angabe der Art und der Menge der Tiere oder Waren mindestens einen Werktag vorher anzeigt. Dies hat der Antragsgegner mit der Auflage unter Nr. 2.4 umgesetzt. Indem er aber die Vorlagefrist von mindestens einem Werktag auf mindestens drei Werktage vor dem Transport zulasten des Antragstellers verkürzt hat, hat er den Rahmen der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage insoweit verlassen.</p>
<span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Eine vollständige Aufhebung der Auflage im Hinblick auf die vom Antragsteller geltend gemachten datenschutzrechtlichen Bedenken kommt hingegen nicht in Betracht. Die vom Antragsteller gerügte Übermittlung des Namens und der Adresse der Pflegestelle und des Endabnehmers verstößt nicht gegen datenschutzrechtliche Vorschriften, insbesondere nicht gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).</p>
<span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 5 Abs. 1 DSGVO müssen personenbezogene Daten insbesondere (Nr. 1) auf rechtmäßige Weise, nach Treu und Glauben und in einer für die betroffene Person nachvollziehbaren Weise verarbeitet werden („Rechtmäßigkeit, Verarbeitung nach Treu und Glauben, Transparenz“) sowie (Nr. 2) für festgelegte, eindeutige und legitime Zwecke erhoben werden und dürfen nicht in einer mit diesen Zwecken nicht zu vereinbarenden Weise weiterverarbeitet werden („Zweckbindung“) und (Nr. 3) dem Zweck angemessen und erheblich sowie auf das für die Zwecke der Verarbeitung notwendige Maß beschränkt sein („Datenminimierung“).</p>
<span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Diesen Vorgaben entspricht die Übermittlung und Speicherung der personenbezogenen Daten über die Pflegestellen und die Endabnehmer. Die Daten werden - wie dargelegt - auf gesetzlicher Grundlage verarbeitet. Der Antragsgegner durfte die abstrakte gesetzliche Auskunftspflicht im Wege der Auflage gegenüber dem Antragsteller konkretisieren. Die Benennung der Pflegestellen und Endabnehmer ist zum Schutz der Tiere erforderlich, da nur so etwaige dortige tierschutzwidrige Zustände von den zuständigen Veterinärämtern schnell zugeordnet und abgestellt werden können. Dementsprechend sind auch die von § 5 Abs. 1 Nr. 2 DSGVO geforderte Zweckbindung der Datenerhebung sowie die nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 DSGVO gebotene Datenminimierung gegeben. Gegenteiliges ergibt sich nicht aus der vom Antragsteller vorgelegten, unverbindlichen Stellungnahme des Bayerischen Landesbeauftragten für den Datenschutz vom 2. Juli 2018. Diese verhält sich schon nicht zu der streitgegenständlichen Datenerhebung im Rahmen einer tierschutzrechtlichen Erlaubnis nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 TierSchG.</p>
<span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks"><strong>e.</strong> Die unter Nr. 3 des Bescheides dem Antragsteller auferlegte Pflicht zur Führung eines Bestandsbuches ist rechtmäßig.</p>
<span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller greift die Auflage nur insoweit an, als der „Bezug zu der den Transport begleitenden TRACES-Bescheinigung (Ausdruck oder INTRA-Nr. der TRACES Bescheinigung)“ in dem vom Antragsteller zu führenden Bestandsbuch hergestellt werden muss. Da der Antragsteller nicht verpflichtet sei, eine Meldung seiner Transporte über das TRACES-System durchführen zu lassen, müsse er auch keine TRACES-Bescheinigung dokumentieren.</p>
<span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Diese Prämisse geht fehl. Der Antragsteller ist gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Anlage 3 Nr. 7 Spalte 2 BmTierSSchV verpflichtet sicherzustellen, dass beim Verbringen von Hunden in das Inland eine amtstierärztliche Bescheinigung mitgeführt wird, die in Übereinstimmung mit dem TRACES-System erstellt wurde.</p>
<span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">Vgl. Beschluss der Kammer vom 27. August 2018 - 23 L 1260/17 - juris Rn. 38 ff.; im Ergebnis ebenso in einem obiter dictum der nachgehende Beschluss des OVG NRW vom 5. Dezember 2018 ‑ 13 B 1316/18 ‑ juris Rn. 26 f.</p>
<span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">§ 8 Abs. 1 Satz 1 BmTierSSchV wird nicht durch vorrangiges Unionsrecht, insbesondere nicht durch die Verordnung (EU) Nr. 576/2013 über die Verbringung von Heimtieren zu anderen als Handelszwecken vom 12. Juni 2013 verdrängt. Nach § 1 Abs. 3 BmTierSSchV sind die Vorschriften dieser Verordnung nicht anzuwenden, soweit unmittelbar geltende Vorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union im Anwendungsbereich dieser Verordnung inhaltsgleiche oder abweichende Anforderungen an das innergemeinschaftliche Verbringen, die Einfuhr, Durchfuhr oder Ausfuhr regeln. Vorliegend sind die abweichenden Anforderungen der Verordnung (EU) Nr. 576/2013 an das innergemeinschaftliche Verbringen von Heimtieren jedoch nicht einschlägig, weil die Hundetransporte des Antragstellers keine Verbringung von Heimtieren im Sinne dieser Verordnung darstellen.</p>
<span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">Die Verordnung (EU) Nr. 576/2013 gilt für die grenzüberschreitende Verbringung von Heimtieren zu anderen als Handelszwecken (Art. 2 Abs. 1). Entsprechend ihrer Begriffsbestimmungen findet sie auf die Verbringung von Heimtieren Anwendung, die von ihrem Halter oder einer ermächtigten Person mitgeführt werden und für die der Halter oder die ermächtigte Person für die Dauer der Verbringung verantwortlich bleibt (Art. 3 Buchst. b). Halter in diesem Sinne ist eine natürliche Person, die im Ausweis als Halter genannt ist (Art. 3 Buchst. c). Die Verbringung erfolgt ferner zu anderen als Handelszwecken, wenn sie weder den Verkauf eines Heimtieres noch den Übergang des Eigentums an dem Heimtier bezweckt (Art. 3 Buchst. a).</p>
<span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Hiernach kommt eine Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 576/2013 schon deshalb nicht in Betracht, weil der Antragsteller eine juristische Person ist und damit weder selbst Halter sein noch eine natürliche Person hierzu ermächtigen kann. Auch die Personen, die die Hunde nach Deutschland transportieren, sind nicht Halter der Hunde. Nach den dem Antrag auf Erlaubniserteilung beigefügten Konzept des Antragstellers handelt es sich lediglich um Flugpaten, auf deren Namen ein oder mehrere Hunde bei der Airline angemeldet werden. Ausweislich des vorgelegten „Tierschutzvertrages“ verbleibt die Haltereigenschaft beim Antragsteller, der diese nach dem Transport des Hundes nach Deutschland an den neuen Halter überträgt.</p>
<span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">Überdies bezwecken die vom Antragsteller durchgeführten Hundetransporte auch den Übergang des Eigentums im Sinne von Art. 3 Buchst. a) Verordnung (EU) Nr. 576/2013. Nach deren Sinn und Zweck soll allein dem Halter oder einer von ihm ermächtigten Person ermöglicht werden, Heimtiere ohne größere bürokratische Hemmnisse - etwa auf einer Urlaubsreise - grenzüberschreitend mit sich zu führen. Sie will hingegen nicht ermöglichen, Heimtiere unter erleichterten Bedingungen zu verbringen, um sie - wie hier - an Dritte abzugeben. Dass das vermittelte Tier nach dem vom Antragsteller vorgelegten „Tierschutzvertrag“ nur in den Besitz des neuen Tierhalters übergeht und die zivilrechtlichen Eigentumsrechte formal beim Antragsteller verbleiben, vermag an einem Eigentumsübergang im Sinne des Unionsrechts nichts zu ändern.</p>
<span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">Vgl. Beschluss der Kammer vom 27. August 2018 - 23 L 1260/17 - juris Rn. 28; ebenso in einem obiter dictum der nachgehende Beschluss des OVG NRW vom 5. Dezember 2018 - 13 B 1316/18 - juris Rn. 21 ff., m. w. N.; vgl. auch zur Vorgängerverordnung (EG) Nr. 998/2003: BT-Drs. 17/10572, S. 46 f.</p>
<span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">Nach dem damit anwendbaren § 8 Abs. 1 Satz 1 BmTierSSchV dürfen Tiere und Waren der in Anlage 3 Spalte 1 genannten Arten oder Verwendungszwecke innergemeinschaftlich nur verbracht werden, wenn sie von einer dort für sie in Spalte 2 genannten gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebenen Bescheinigung begleitet sind. Anlage 3 Nr. 7 Spalte 2 verlangt für das Verbringen von Hunden neben einem Heimtierausweis eine amtsärztliche Bescheinigung nach Muster des Anhangs E Teil 1 der Richtlinie 92/65/EWG in der jeweils geltenden Fassung. Dass diese gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebene Bescheinigung durch das TRACES-System erzeugt sein muss, d. h. online in der TRACES-Datenbank erstellt sein muss, folgt aus einer systematischen, unionsrechtskonformen Auslegung dieses Begriffs mit Art. 20 der Richtlinie 90/425/EWG.</p>
<span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Nach Art. 20 Abs. 1 Richtlinie 90/425/EWG schafft die Kommission nach dem in Art. 18 genannten Verfahren ein informatisiertes System zum Verbund der Veterinärbehörden, insbesondere für einen leichteren Informationsaustausch zwischen den zuständigen Behörden der Regionen, in denen die die Tiere begleitenden Gesundheitszeugnisse oder Dokumente ausgestellt wurden, und den zuständigen Behörden des Bestimmungsmitgliedstaats. Die Kommission erlässt nach dem in Art. 18 genannten Verfahren die Durchführungsbestimmungen zu vorliegendem Artikel und insbesondere geeignete Vorschriften für den Datenaustausch und die Regeln über den Datenschutz (Abs. 3).</p>
<span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Diese Vorschrift kann zur Auslegung des Begriffs der gemeinschaftsrechtsrechtlich vorgeschriebenen Bescheinigung herangezogen werden, weil § 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Anlage 3 Nr. 7 Spalte 2 BmTierSSchV auf die Richtlinie 92/65/EWG Bezug nimmt, die ihrerseits systematisch auf der Richtlinie 90/425/EWG aufbaut und auf sie verweist.</p>
<span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">Ausgehend von der Zielsetzung, im Hinblick auf die Verwirklichung des Binnenmarktes die Anforderungen an den Schutz der Tiergesundheit zu harmonisieren, enthält die Richtlinie 90/425/EWG die grundsätzlichen Erwägungen sowie allgemeine Vorschriften zu Kontrollen und zum Informationsaustausch. Ihr Anwendungsbereich beschränkt sich auf die in Anhang A und B genannten Tiere. Mit der Richtlinie 92/65/EWG wurden weitergehend tierseuchenrechtliche Vorschriften für Tiere und Erzeugnisse tierischen Ursprungs geregelt, die bislang noch nicht von solchen Regelungen erfasst waren. In den Erwägungsgründen wird in diesem Zusammenhang ausgeführt: „Für die Durchführung der Kontrollen und die entsprechenden Folge- und Schutzmaßnahmen gelten die allgemeinen Vorschriften der Richtlinie 90/425/EWG des Rates vom 26. Juni 1990 zur Regelung der veterinärrechtlichen und tierzüchterischen Kontrollen im innergemeinschaftlichen Handel mit lebenden Tieren und Erzeugnissen im Hinblick auf den Binnenmarkt.“ Darüber hinaus bestimmt Art. 12 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 92/65/EWG: „Die Kontrollvorschriften der Richtlinie 90/425/EWG finden insbesondere hinsichtlich der Durchführung der vorzunehmenden Kontrollen sowie der Folgemaßnahmen auf die unter die vorliegende Richtlinie fallenden Tiere, Samen, Eizellen und Embryonen Anwendung, für die eine Gesundheitsbescheinigung mitgeführt wird“. Dass die Richtlinie 92/65/EWG zu diesen Kontrollvorschriften auch die Verwendung des in Art. 20 Richtlinie 90/425/EWG vorgesehenen Datenbanksystems zählt, verdeutlicht schließlich Art. 12 Abs. 4, wonach die Angabe des Bestimmungsorts gemäß Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 90/425/EWG bei Tieren, Samen, Eizellen und Embryonen, für die eine Gesundheitsbescheinigung gemäß der vorliegenden Richtlinie mitgeführt wird, nach dem ANIMO-System erfolgen muss. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 90/425/EWG bestimmt, dass die zuständige Behörde des Ursprungsmitgliedstaats, welche die die Tiere oder Erzeugnisse begleitende Bescheinigung oder das begleitende Dokument ausgestellt hat, am Ausstellungstag der zuständigen Behörde des Bestimmungsortes die von der Kommission nach dem in Art. 18 genannten Verfahren festzulegenden Angaben nach Anhang D vermittels des in Art. 20 vorgesehenen Informationssystems mitteilt.</p>
<span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">Das TRACES-System, das das ANIMO-System abgelöst hat, wurde durch die Entscheidung der Kommission 2004/292/EG vom 30. März 2004 in der Fassung der Entscheidung der Kommission vom 9. Februar 2005, auf der Grundlage von Art. 20 Richtlinie 90/425/EWG eingeführt. Nach Art. 3 Abs. 2 a) der vorgenannten Kommissionsentscheidungen tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass ab dem 31. Dezember 2004 u. a. Teile I und II der Veterinärbescheinigungen für den Handel in TRACES erfasst werden. Darüber hinaus hat die Kommission auf der Grundlage des Art. 20 Abs. 3 der Richtlinie 90/425/EWG die Verordnung (EG) Nr. 599/2004 vom 30. März 2004 zur Festlegung einheitlicher Musterbescheinigungen und Kontrollberichte für den innergemeinschaftlichen Handel mit Tieren und Erzeugnissen tierischen Ursprungs erlassen, die am 31. Dezember 2004 in Kraft getreten ist. In deren Erwägungsgründen ist ausgeführt, die Vereinheitlichung der für den innergemeinschaftlichen Handel vorgeschriebenen Veterinärbescheinigungen sei Voraussetzung für die Einführung des TRACES-Systems, um die erfassten Daten ordnungsgemäß verarbeiten und analysieren und den Gesundheitsschutz in der Gemeinschaft verbessern zu können. Nach Artikel 1 dieser Verordnung werden die für den innergemeinschaftlichen Handel vorgeschriebenen Gesundheits- bzw. Genusstauglichkeitsbescheinigungen, mit Ausnahme der Gesundheitsbescheinigungen für registrierte Equiden, nach dem im Anhang vorgegebenen vereinheitlichen Muster ausgestellt. Teile I und II der im Anhang dieser Verordnung enthaltenen Bescheinigung entsprechen Teilen I und II der im Anhang E Teil 1 der Richtlinie 92/65/EWG abgedruckten Bescheinigung.</p>
<span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">Ist der Antragsteller demnach gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Anlage 3 Nr. 7 Spalte 2 BmTierSSchV verpflichtet sicherzustellen, dass beim Verbringen von Hunden in das Inland eine amtstierärztliche Bescheinigung mitgeführt wird, die in Übereinstimmung mit dem TRACES-System erstellt wurde, so ist es auch verhältnismäßig, dem Antragsteller per Auflage aufzugeben, die erlangte TRACES-Bescheinigung in einem Bestandsbuch zu dokumentieren. Die Buchführungspflicht des Antragstellers ist Ausfluss seiner - bereits angesprochenen - Auskunftspflicht aus § 16 Abs. 2 TierSchG, die insofern auch in § 5 BmTierSSchV konkretisiert wird (vgl. zu dessen vorliegender Anwendbarkeit: Gliederungspunkt III.1 des Beschlusses).</p>
<span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls sind die verlangten Buchführungspflichten zum Schutz der Tiere erforderlich. Die im Einzelnen von dem Antragsteller in das Bestandsbuch einzutragenden Angaben sind notwendig, um den Transport der Hunde in das Inland lückenlos nachvollziehen zu können. Anhand dessen kann der Antragsgegner gegebenenfalls aufgetretene tierschutzrechtliche Verstöße präzise lokalisieren und unterbinden.</p>
<span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks"><strong>f.</strong> Die unter Nr. 4.1 des Bescheides aufgeführte Auflage zur Vorlage einer - näher spezifizierten - Liste aller Pflegestellen ist auf Grundlage von § 11 Abs. 2a Satz 1 TierSchG a. F. rechtmäßig, da sie zum Schutz der Tiere dem Informationsbedürfnis des Antragsgegners zur Erfüllung seiner Überwachungsaufgabe Rechnung trägt. Die Ausführungen zur Auskunftspflicht im Rahmen der Auflage unter Nr. 2.4 gelten entsprechend.</p>
<span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">Des von dem Antragsteller angenommenen Rückgriffs auf § 11 Abs. 2 Nr. 3 TierSchG a. F. bedarf es damit nicht. Nach dieser Vorschrift darf eine Erlaubnis nur erteilt werden, wenn die der Tätigkeit dienenden Räume und Einrichtungen eine den Anforderungen des § 2 entsprechende Ernährung, Pflege und Unterbringung der Tiere ermöglichen. Da vorliegend durch die Auflage nur verlangt wird, eine Liste aller Pflegestellen dem Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt des Antragsgegners zur Verfügung zu stellen, um gegebenenfalls weitere tierschutzrechtliche Maßnahmen auch diesen gegenüber verfügen zu können, kommt es nicht darauf an, ob diese Pflegestellen die der Tätigkeit des Antragstellers dienende „Räume“ oder „Einrichtungen“ darstellen.</p>
<span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks"><strong>g.</strong> Die unter Nr. 4.2 des Bescheides enthaltene Fortbildungspflicht ist auf Grundlage von § 11 Abs. 2a Satz 2 Nr. 3 TierSchG a. F. rechtmäßig ergangen. Nach dieser besonderen Vorschrift kann als Auflage zu einer Erlaubnis insbesondere die regelmäßige Fort- und Weiterbildung angeordnet werden.</p>
<span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">Dem entspricht die Auflage unter Nr. 4.2, wonach sich „[d]ie verantwortlichen Personen fortwährend, selbständig auf allen Gebieten, die das tierschutzgerechte Verbringen und Vermitteln von Hunden betreffen, fortzubilden haben“. Sie ist auch nicht zu unbestimmt. Indem konkret aufgegeben wird, dass sich die verantwortlichen Personen mindestens sechs Stunden pro Jahr auf allen Gebieten, die das tierschutzgerechte Verbringen und Vermitteln von Hunden betreffen, fortzubilden hat, ist hinreichend klar, was und in welchem Umfang Fortbildungsgegenstand sein soll.</p>
<span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">Die Auflage entspricht auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Von den verantwortlichen Personen des Antragsgegners wird nichts Unmögliches verlangt. Der Einwand des Antragsgegners, es gebe nicht so viele Fortbildungsmöglichkeiten in diesem Bereich, dass der geforderten Stundenzahl genügt werden könne, ist unsubstantiiert und widerspricht den vom Antragsteller selbst im Verwaltungsverfahren vorgelegten Bescheinigungen über die von seinen verantwortlichen Personen entsprechend absolvierten Lehrgänge.</p>
<span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks"><strong>h.</strong> Die durch Nr. 4.3 des Bescheides auferlegte Pflicht,</p>
<span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">vor der Zusammenarbeit mit anderen natürlichen oder juristischen Personen sicherzustellen, dass diese über alle erforderlichen tierschutzrechtlichen Erlaubnisse und/oder Zulassungen verfügen und die tierschutz- und tierseuchenrechtlichen Anforderungen durch diese, soweit erforderlich, erfüllt werden,</p>
<span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">ist rechtmäßig.</p>
<span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">Die Auflage ist insbesondere verhältnismäßig. Sie dient dem Tierschutz, indem sie sicherstellt, dass die durch den Antragsgegner erfolgte tierschutzrechtliche Überprüfung des Antragstellers nicht dadurch unterlaufen wird, dass dessen Aufgaben an Dritte außerhalb des Zuständigkeitsbezirks des Antragsgegners delegiert werden. Der Antragsteller hat dem in seiner Antragsbegründung nichts entgegengesetzt.</p>
<span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks"><strong>i.</strong> Die Auflage unter Nr. 4.4 des Bescheides, die der verantwortlichen Person die - darin näher konkretisierte - Überwachung der Haltung der Hunde in den End- und Pflegestellen durch Vor- und Nachkontrollen vorschreibt, ist rechtmäßig.</p>
<span class="absatzRechts">101</span><p class="absatzLinks">Sie ist dem Antragsteller insbesondere zumutbar. Der Antragsgegner weist zutreffend darauf hin, dass es der Antragsteller selbst in der Hand hat, einer etwaigen Überforderung der derzeit zwei verantwortlichen Personen bei den Vor- und Nachkontrollen durch eine Reduzierung der Pflegestellen oder Erhöhung der Anzahl der verantwortlichen Personen entgegenzuwirken. Die von dem Antragsteller praktizierte Delegierung dieser Vor- und Nachkontrollen auf die allein von ihm selbst als zuverlässig und sachkundig erachteten Vereinsmitglieder stellt kein gleich geeignetes Mittel dar. Denn die Überprüfung der Zuverlässigkeit und Sachkunde der für den Antragsteller handelnden Personen obliegt allein dem Antragsgegner. Diese ist nur bei den verantwortlichen Personen des Antragstellers sichergestellt.</p>
<span class="absatzRechts">102</span><p class="absatzLinks">Dass der Antragsteller gerade von dem Antragsgegner gegenüber Tierhändlern und Züchtern in sachlich nicht gerechtfertigter Weise unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ungleich behandelt werden würde, behauptet der Antragsteller lediglich unsubstantiiert, sodass schon weder eine Vergleichbarkeit der Sachverhalte noch eine Ungleichbehandlung ersichtlich ist.</p>
<span class="absatzRechts">103</span><p class="absatzLinks"><strong>j.</strong> Die Auflage unter Nr. 4.6 des Bescheides, wonach der Antragsteller für „Rückläufer“, das sind Hunde, die nicht dauerhaft vermittelt werden konnten, eine Rücknahmekapazität in Höhe von 1 % der im Jahresdurchschnitt vermittelten Hunde, mindestens jedoch zwei Pflegestellenplätze, vorzuhalten hat, ist rechtmäßig.</p>
<span class="absatzRechts">104</span><p class="absatzLinks">Sie dient dem Tierschutz, da sie sicherstellt, dass zurückgegebene Hunde tierschutzgerecht anderweitig, außerhalb eines Tierheims untergebracht werden können. Die vom Antragsteller stattdessen als ausreichend erachtete Maßnahme, im Einzelfall nach Bedarf zu entscheiden, wo er einen „Rückläufer“ unterbringt, ist nicht gleich geeignet, um das sachlich legitime Ziel des Antragsgegners, eine Abgabe des Hundes an ein Tierheim zu vermeiden, zu erreichen. Denn falls kein Pflegestellenplatz für einen „Rückläufer“ vorgehalten wird, ist eine anderweitige Unterbringung außerhalb eines Tierheims nicht sichergestellt.</p>
<span class="absatzRechts">105</span><p class="absatzLinks"><strong>3.</strong> An der sofortigen Vollziehung der rechtmäßigen Nebenbestimmungen besteht auch ein besonderes öffentliches Interesse. Dieses liegt darin, das Verbringen der Hunde durch den Antragsteller in das Inland von Anfang an ohne Unterbrechung durch ein Rechtschutzverfahren in einem tierschutzgerechten Rahmen ablaufen zu lassen.</p>
<span class="absatzRechts">106</span><p class="absatzLinks"><strong>III.</strong> Ungeachtet dessen, dass - wie dargelegt - der gestellte Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO unzulässig ist, soweit der Antragsteller mit ihm auch die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Erteilung der Registriernummer nach § 4 Satz 3 BmTierSSchV sowie gegen die in unter den Nrn. 4 bis 14 der Anlage zur Erlaubnis aufgeführten Hinweise begehrt, wird vorsorglich darauf hingewiesen, dass die dortigen Bestimmungen im Einklang mit dem Gesetz stehen. Insofern wären sie weder über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO gerichtet darauf, diese Bestimmungen vorläufig nicht beachten zu müssen, noch, wenn man davon ausginge, dass ihnen Regelungswirkung zukäme, weil sie in die Form einer Auflage gekleidet wären, vom Antragsteller über § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO erfolgreich angreifbar.</p>
<span class="absatzRechts">107</span><p class="absatzLinks"><strong>1.</strong> Die Vergabe der Registriernummer ist nach § 4 BmTierSSchV zwingend vorgegeben.</p>
<span class="absatzRechts">108</span><p class="absatzLinks">Nach § 4 Satz 1 Nr. 1 BmTierSSchV hat unter anderem derjenige, der gewerbsmäßig Tiere innergemeinschaftlich verbringen oder einführen will, dies vor Aufnahme der Tätigkeit der zuständigen Behörde anzuzeigen. Nach Satz 3 erfasst die zuständige Behörde die angezeigten Betriebe unter Erteilung einer Registriernummer in einem Register.</p>
<span class="absatzRechts">109</span><p class="absatzLinks">Die Voraussetzungen der Anzeigepflicht nach § 4 Satz 1 Nr. 1 BmTierSSchV liegen hier vor. Die Vermittlungstätigkeit des Antragstellers erfolgt "gewerbsmäßig" im Sinne dieser Vorschrift. Die gewerbsmäßige Verbringung setzt in richtlinienkonformer Auslegung keine Gewinnerzielungsabsicht voraus. Vielmehr genügt, dass die Verbringung dazu bestimmt ist, Tiere gegen Zahlung eines Betrages an Dritte zu vermitteln, der grundsätzlich die entstandenen Kosten deckt.</p>
<span class="absatzRechts">110</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 3. Dezember 2015 - C-301/14 - juris Rn. 52; BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2016 ‑ 3 C 23/15 ‑ juris Rn. 20.</p>
<span class="absatzRechts">111</span><p class="absatzLinks">Der Begriff der Gewerbsmäßigkeit ist offen für eine unionsrechtskonforme Auslegung, die auf eine Gewinnerzielungsabsicht verzichtet und es genügen lässt, dass Einnahmen erzielt werden, die grundsätzlich kostendeckend sind. Für diese Auslegung spricht zudem, dass die hier in Rede stehende Verbringung von Tieren zwar von Massentiertransporten weit entfernt ist, aber auf der Grundlage einer weitgehenden Refinanzierung durch die für die Tiervermittlung zu bezahlenden Beträge doch eine Dimension erreicht, die mit Blick auf den Zweck des Tierseuchenschutzes eine Überwachung nahelegt.</p>
<span class="absatzRechts">112</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2016 - 3 C 23/15 - juris Rn. 26.</p>
<span class="absatzRechts">113</span><p class="absatzLinks">Gemessen an diesen Maßstäben ist bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und damit gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage von einer grundsätzlichen Kostendeckung der Vermittlungstätigkeit des Antragstellers auszugehen. Soweit der Antragsteller dies in Abrede stellt, fehlt es bereits an nachvollziehbaren Angaben und Belegen. Er behauptet lediglich, dass seine Tätigkeit nicht kostendeckend sei, weil seine Ausgaben die Einnahmen bei weitem überstiegen. Insofern beruft er sich auf den Fall des eingeführten Hundes „N.   “, für den keine Schutzgebühr habe eingenommen werden können. Da der Antragsteller seine Arbeit erst Mitte 2017, ein halbes Jahr vor Stellung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, aufgenommen habe, könne er derzeit aber noch keine konkrete Gegenüberstellung vorlegen. Dies bestätigt die 1. Vorsitzende des Antragstellers, Frau T.         , in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 17. Januar 2018. Sie erklärt darin, dass die Tierarzt-, Unterbringungs-, Futter-, OP-, Transport- und Bescheinigungskosten die Schutzgebühren in den meisten Fällen überstiegen. Gleichwohl könne sie noch nicht nachweisen, wie wirtschaftlich oder kostendeckend die Vereinstätigkeit sei.</p>
<span class="absatzRechts">114</span><p class="absatzLinks">Diesen Angaben steht entgegen, dass ausweislich des von dem Antragsteller verwendeten Formulars zum Abschluss eines Tierschutzvertrages eine Schutzgebühr in Höhe von 380,- Euro verlangt wird, die „für jeden Hund individuelle medizinische Versorgung, Impfung, Chip, Entwurmung und Transport beinhaltet“. Nur für den Fall, dass der Übernehmende „aufgrund des Allgemeinzustandes des Hundes vom Unkostenbeitrag befreit ist“, „freut“ sich der Antragsteller über eine „freiwillige Spende“. Auf seiner Internetseite (http://L......vermittlung/schutzgebuehr, zuletzt aufgerufen am 5. Februar 2019) führt der Antragsteller dazu näher aus:</p>
<span class="absatzRechts">115</span><p class="absatzLinks">„Die Schutzgebühr ist eine Mischkalkulation unterschiedlicher Kostenfaktoren und dient dazu, unsere Tierschutzarbeit am Laufen zu halten: Angefangen bei den Kosten fürs Freikaufen aus den Tötungs-Stationen sind auch tierärztliche Behandlungen (Impfungen, Entwurmung, Chip, Kastrationen, EU-Pass, sowie OP Kosten für verletzte Tiere usw.), Unterbringungen in Pensionen, Kosten für die Ausreise und der Transport nach Deutschland in dieser Gebühr inbegriffen. […]</p>
<span class="absatzRechts">116</span><p class="absatzLinks">Die Einnahmen aus den Schutzgebühren sind nach dem Sozialprinzip aufgebaut: Die jungen und gesunden Hunde, für die weniger Kosten anfallen, tragen die älteren, kranken oder nur schwer vermittelbaren Hunde mit. Dennoch reichen diese Schutzgebühren nicht aus, um alle anfallenden Kosten für unsere Schützlinge zu tragen, sodass wir außerdem auf Spenden angewiesen sind, um eine optimale Tierärztliche Versorgung zu gewährleisten.“</p>
<span class="absatzRechts">117</span><p class="absatzLinks">Ausgehend von den maßgeblichen vertraglichen Regelungen und dem Konzept des Antragstellers erhebt der Antragsteller grundsätzlich eine Schutzgebühr, aufgrund deren Höhe von 380,- Euro von einer jedenfalls weitgehenden Kostendeckung ohne Weiteres ausgegangen werden kann. Daran ändert nichts, dass dies in Einzelfällen anders sein mag. Maßgeblich ist vielmehr, ob nach dem Gesamtgepräge der Tätigkeit diese als grundsätzlich kostendeckend ausgestaltet ist, sodass durch die für die Tiervermittlung zu zahlenden Beträge eine weitgehende Refinanzierung erreicht wird. Im Übrigen sind auch in den Fällen, in denen der Übernehmende vom Unkostenbeitrag befreit wird, die als Spende erzielten Einnahmen unter anderem vom Übernehmenden erbracht worden. Ist das Konzept des Antragstellers damit auf eine Kostendeckung durch Zahlung eines Betrages der die Tiere Übernehmenden angelegt, wird dies durch die pauschalen Angaben des Antragstellers nicht widerlegt.</p>
<span class="absatzRechts">118</span><p class="absatzLinks"><strong>2.</strong> Ebenso folgen die in den Nrn. 4 bis 14 der Anlage zur Erlaubnis aufgeführten Hinweise aus gesetzlichen Vorgaben.</p>
<span class="absatzRechts">119</span><p class="absatzLinks">Die dagegen vom Antragsteller erhoben Einwände greifen nicht durch. Er wendet sich nicht gegen die Bestimmungen unter den Nrn. 4 bis 14 der Anlage zur Erlaubnis im Einzelnen, sondern rügt generell, dass die Vorgaben nicht anwendbar seien, weil sie nur für ein gewerbsmäßiges Verbringen von Hunden in das Inland (§ 4 BmTierSSchV i. V. m. Art. 12 der Richtlinie 90/425/EWG) bzw. nur in Verbindung mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit (Verordnung <EG> Nr. 1/2005) gälten; darüber hinaus existiere für die durch die Bestimmungen angesprochene Verwendung des TRACES-Systems keine Rechtsgrundlage. Diese Einwände greifen aber - wie ausgeführt - nicht durch. Die Tätigkeit des Antragstellers ist nach Maßgabe des Unionsrechts sowohl als gewerbsmäßig bzw. wirtschaftlich einzustufen als auch unter Beachtung des TRACES-Systems durchzuführen. Soweit der Antragsteller schließlich geltend macht, in Andalusien sei es bei einzelnen Veterinärämtern unmöglich, TRACES-Meldungen in der vom Antragsgegner verlangten Form zu erhalten, ist er darauf zu verweisen, die Ausstellung der Bescheinigungen dort gerichtlich durchzusetzen.</p>
<span class="absatzRechts">120</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">121</span><p class="absatzLinks">Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Das Interesse des Antragstellers wird im Hauptsacheverfahren mit dem Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG angesetzt. Dieser ermäßigt sich in Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wegen der Vorläufigkeit der erstrebten Entscheidung um die Hälfte.</p>
<span class="absatzRechts">122</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung:</strong></p>
<span class="absatzRechts">123</span><p class="absatzLinks">(1)       Gegen die Entscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet.</p>
<span class="absatzRechts">124</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">125</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) eingeht.</p>
<span class="absatzRechts">126</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.</p>
<span class="absatzRechts">127</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sind durch einen Prozessbevollmächtigten einzureichen. Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –).</p>
<span class="absatzRechts">128</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sollen möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p>
<span class="absatzRechts">129</span><p class="absatzLinks">(2)       Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird.</p>
<span class="absatzRechts">130</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.</p>
<span class="absatzRechts">131</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">132</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.</p>
<span class="absatzRechts">133</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift soll möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p>
<span class="absatzRechts">134</span><p class="absatzLinks">War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.</p>
|
180,230 | ovgnrw-2019-02-05-6-a-38017 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 6 A 380/17 | 2019-02-05T00:00:00 | 2019-02-07T14:18:34 | 2019-02-13T12:21:03 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0205.6A380.17.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag wird abgelehnt.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf die Wertstufe bis 7.000,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Über ihn ist nicht mehr in der Sache zu entscheiden, weil sich der Rechtsstreit, der dem angegriffenen Gerichtsbescheid zu Grunde liegt, in der Hauptsache erledigt hat (1.). Damit entfällt zugleich das Rechtsschutzinteresse für die Fortführung des Zulassungsverfahrens, wenn der Rechtsmittelführer - wie vorliegend - keine Erledigungserklärung abgibt, sondern den Übergang zur Fortsetzungsfeststellungsklage (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) wählt, es jedoch an einem berechtigten Interesse an der begehrten Feststellung fehlt. So liegt der Fall hier (2).</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">1. Der Rechtsstreit hat sich in der Hauptsache erledigt und zwar bereits vor Ergehen des angegriffenen Gerichtsbescheides.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat sich mit Schreiben vom 2. Juni 2015 um die Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst des beklagten Landes im Jahr 2016 (Einstellungsjahr 2016) beworben. Das beklagte Land hat dies mit Bescheid vom 5. Februar 2016 abgelehnt. Der Kläger hat hiergegen Klage mit dem Ziel der Aufhebung des Ablehnungsbescheides sowie der Verpflichtung des beklagten Landes zur erneuten Entscheidung über seine Bewerbung erhoben. Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 30. Dezember 2016 als unbegründet abgewiesen. Das Verpflichtungsbegehren hatte sich indes bereits zuvor, nämlich mit dem Verstreichen des Einstellungstermins (1. September 2016) oder jedenfalls kurz danach erledigt. Sofern - wie im Falle des nordrhein-westfälischen Polizeivollzugsdienstes - Stellen für Beamte zu regelmäßig wiederkehrenden Zeitpunkten ausgeschrieben und besetzt werden, so erlischt der materielle Einstellungsanspruch grundsätzlich mit dem Verstreichen des Einstellungszeitpunkts und der Besetzung der Stellen durch andere Bewerber.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Februar 2010 - 2 C 22.09 -, BVerwGE 136, 140 = juris Rn. 19; OVG NRW, Urteil vom 30. November 2017 - 6 A 2111/14 -, juris Rn. 53.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Ob der Zeitpunkt der Erledigung geringfügig hinausgeschoben wird, wenn der Dienstherr - wie hier das beklagte Land bis zum 30. September des jeweiligen Jahres - "Nachzügler" für die Einstellung und Ausbildung noch einige Wochen später akzeptiert, ist im vorliegenden Zusammenhang ohne Belang.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 30. November 2017</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">- 6 A 2111/14 -, a. a. O. Rn. 55.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">2. Der Senat hat den Kläger auf Vorstehendes hingewiesen. Dieser hat daraufhin nicht den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, sondern eine Umstellung des Klageantrags in ein Fortsetzungsfeststellungsbegehren (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) vorgenommen.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Dahinstehen kann vorliegend, ob eine solche Umstellung im Zulassungsverfahren ausgeschlossen ist, wenn die Erledigung bereits während des erstinstanzlichen Verfahrens eingetreten ist und der Übergang zur Fortsetzungsfeststellungsklage somit schon im erstinstanzlichen Verfahren möglich gewesen wäre.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">So Bayerischer VGH, Beschluss vom 18. April 2017</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">- 12 ZB 13.2095 -, juris Rn. 16.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Denn unterstellt, diese Möglichkeit ist dem Kläger auch noch im vorliegenden Zulassungsverfahren eröffnet, fehlt es ihm jedenfalls an dem nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erforderlichen berechtigten Interesse an der begehrten Feststellung.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Der Senat hat die Beteiligten unter dem 8. November 2018 darauf hingewiesen, dass der streitbefangene Ablehnungsbescheid aus den Gründen des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. November 2017 - 2 C 25.17 -, juris, sowie des Senatsbeschlusses vom 12. September 2018 - 6 A 2272/18 -, NWVBl. 2019, 73 = juris, rechtswidrig ist. In diesem (rechtskräftigen) Beschluss hat der Senat u. a. Folgendes ausgeführt:</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">„Der Senat schließt sich unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts an, wonach die Versagung der Einstellung eines Bewerbers in den Polizeivollzugsdienst wegen einer Tätowierung einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage bedarf.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">BVerwG, Urteil vom 17. November 2017 - 2 C 25.17 -, NJW 2018, 1185 = juris, Rn. 33 ff.; OVG NRW, Beschluss vom 23. Juli 2018 - 6 B 556/18 -, juris, Rn. 5 ff.; anders noch OVG NRW, Beschluss vom 14. Juli 2016</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">- 6 B 540/16 -, juris, Rn. 5 ff.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">(…). Die nach dem Vorstehenden erforderliche gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Reglementierung des zulässigen Ausmaßes von Tätowierungen bei Beamten ist in Nordrhein-Westfalen nicht gegeben. Der Erlass des (damaligen) Ministeriums für Inneres und Kommunales Nordrhein-Westfalen vom 29. Mai 2013 - 403-26.00.07A - genügt als bloße Verwaltungsvorschrift hierfür nicht.“</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Daraufhin hat das beklagte Land mit Schriftsatz vom 15. November 2018 mitgeteilt, dass „nach der vom Oberverwaltungsgericht angegebenen Rechtsprechung“ der Ablehnungsbescheid „auch aus hiesiger Sicht rechtswidrig ist“. Damit hat es die Rechtswidrigkeit des Bescheides anerkannt. Zugleich hat es erklärt, die Tätowierungen des Klägers würden nicht mehr zu einer Ablehnung seiner Einstellung in den Polizeivollzugsdienst führen. Ein berechtigtes Interesse des Klägers an der von ihm begehrten Feststellung ist vor diesem Hintergrund nicht mehr gegeben. Sein Hinweis auf die unter dem 1. März 2018 erfolgte „Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 758 vom 25. Januar 2018“ (LT-Drucks. 17/2064) rechtfertigt keine andere Beurteilung. Er geht mit Blick auf den Senatsbeschluss vom 12. September 2018</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">- 6 A 2272/18 -, a. a. O., ins Leere.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p>
|
180,229 | ovgnrw-2019-02-05-4-a-27419a | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 4 A 274/19.A | 2019-02-05T00:00:00 | 2019-02-07T14:18:33 | 2019-02-13T12:21:03 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0205.4A274.19A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 22.11.2018 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf wird abgelehnt.</p>
<p>Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p><br style="clear:both">
<h1> </h1>
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist nicht wegen der allein geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellung bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich in dem angestrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf. Für die Darlegung dieser Voraussetzungen ist neben der Formulierung einer Rechts- oder Tatsachenfrage erforderlich, dass der Zulassungsantrag konkret auf die Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit der Rechts- bzw. Tatsachenfrage sowie ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26.4.2018 – 4 A 869/16.A –, juris, Rn. 4 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Eine auf tatsächliche Verhältnisse gestützte Grundsatzrüge erfordert überdies die Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen etwa im Hinblick auf hierzu vorliegende gegensätzliche Auskünfte oder abweichende Rechtsprechung einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich sind. Insoweit ist es Aufgabe des Rechtsmittelführers, durch die Benennung von bestimmten begründeten Informationen, Auskünften, Presseberichten oder sonstigen Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Bewertungen in der Zulassungsschrift zutreffend sind, so dass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26.4.2018 – 4 A 869/16.A –, juris, Rn. 6 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Diesen Darlegungsanforderungen genügt die Antragsbegründung nicht. Die von den Klägern aufgeworfene Frage,</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">ob Angehörigen der schiitischen Minderheit, welche bereits in Pakistan aufgrund ihrer schiitischen Glaubenszugehörigkeit bedroht wurden, im Falle einer Rückkehr nach Pakistan ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 Asylgesetz droht,</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">führt nicht zur Berufungszulassung. Die Kläger legen die Klärungsbedürftigkeit der Frage nicht schlüssig dar. Mit den Schilderungen zur Bedrohung vor der Ausreise aus Pakistan und zur fehlenden Existenzsicherungsmöglichkeit als Kosmetikverkäufer außerhalb von Karachi erschüttern sie nicht die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, auch im Hinblick auf den subsidiären Schutz könnten die Kläger auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme internen Schutzes verwiesen werden. Sie könnten sich etwaigen Bedrohungen durch eine Flucht innerhalb Pakistans entziehen, der Kläger zu 1. sei auch in anderen Landesteilen Pakistans zur Sicherstellung des Lebensunterhalts seiner Familie in der Lage. Es besteht kein Anhalt dafür, dass schiitischen Rückkehrern nach Pakistan die Sicherstellung ihres Existenzminimums generell nicht möglich oder unzumutbar sein könnte. Insoweit benennen die Kläger bereits keine Erkenntnisquellen, aus denen sich eine generell fehlende Existenzsicherungsmöglichkeit für arbeitsfähige schiitische Rückkehrer ergeben könnte. Es ist nicht Aufgabe des Senats, sondern obliegt aufgrund ihrer Darlegungslast gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG den Klägern, diejenigen Informationen aufzufinden und konkret zu benennen, die aus ihrer Sicht für die Beantwortung der von ihnen aufgeworfenen Frage von Bedeutung sind.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die von den Klägern der Sache nach geltend gemachten Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind kein Zulassungsgrund gemäß § 78 Abs. 3 AsylG. Andere Zulassungsgründe, insbesondere Verfahrensmängel, sind selbst sinngemäß nicht geltend gemacht. Dies gilt auch insoweit, als der Kläger die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts in Zweifel zieht. Diese ist dem sachlichen Recht zuzuordnen und rechtfertigt von vornherein nicht die Zulassung der Berufung wegen eines Verfahrensmangels.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11.12.2018 ‒ 4 A 3890/18.A ‒, juris, Rn. 11 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 100 Abs. 1 ZPO und § 83b AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.</p>
|
188,461 | vg-aachen-2019-02-04-3-k-495517 | {
"id": 840,
"name": "Verwaltungsgericht Aachen",
"slug": "vg-aachen",
"city": 380,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 3 K 4955/17 | 2019-02-04T00:00:00 | 2019-02-11T11:03:57 | 2019-02-13T12:21:03 | Beschluss | ECLI:DE:VGAC:2019:0204.3K4955.17.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Aachen wird ausgesetzt.</p>
<p>Es wird gemäß Art. 267 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu folgenden Auslegungsfragen eingeholt:</p>
<ul class="ol"><li><p>1. Ist Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG so auszulegen, dass ein Führerscheindokument, und zwar einschließlich der darin dokumentierten Fahrberechtigungen, von den Mitgliedstaaten auch dann strikt anzuerkennen ist, wenn die Ausstellung dieses Dokuments auf einem Umtausch eines Führerscheindokuments nach Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG beruht?</p>
</li>
</ul>
<ul class="ol"><li><p>2. Falls Frage 1 zu bejahen ist: Darf ein Mitgliedstaat die Anerkennung des umgetauschten Führerscheindokuments gemäß Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG ablehnen, wenn der Umtausch durch den Ausstellerstaat zu einem Zeitpunkt erfolgt ist, in welchem der Mitgliedstaat, von dem die materielle Fahrberechtigung herrührt, diese bereits entzogen hatte?</p>
</li>
</ul>
<ul class="ol"><li><p>3. Falls Frage 2 zu verneinen ist und eine Anerkennungspflicht besteht: Darf ein Mitgliedstaat die Anerkennung des umgetauschten Führerscheindokuments jedenfalls dann ablehnen, wenn der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsbereich sich die Frage der Anerkennung des Führerscheindokuments stellt, aufgrund "unbestreitbarer Informationen" feststellen kann, dass die materielle Fahrberechtigung zum Zeitpunkt des Umtauschs des Führerscheindokuments nicht mehr bestand?</p>
</li>
</ul><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">I.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">1              Der Kläger ist deutscher Staatsbürger und wohnt im deutsch-niederländischen Grenzgebiet auf der niederländischen Seite. Er begehrt die Aufhebung eines Bescheides, in welchem der Beklagte ihm das Recht abspricht, aufgrund seines niederländischen Führerscheindokuments in Deutschland Kraftfahrzeuge zu führen.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">2              Der am 28. November 1990 geborene Kläger erwarb am 3. Juli 2008 in Deutschland die Fahrerlaubnis der Klassen AM und B sowie am 1. Juli 2015 die Fahrerlaubnis der Klasse T. Dazu stellten ihm die deutschen Behörden einen Führerschein mit der Nummer J 2408774372 aus.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">3              Am 9. Juni 2016 geriet er als Fahrer eines Kraftfahrzeugs in eine polizeiliche Kontrolle. Ein Drogenvortest verlief positiv auf Cannabis. Eine chemisch-toxikologische Untersuchung der Blutprobe führte im Blutserum zu einem Nachweis des Cannabis-Wirkstoffs THC sowie zum Nachweis von Spuren von Amphetamin.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">4              Mit Schreiben vom 20. September 2016 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass beabsichtigt sei, ihm wegen der vorgenannten Fahrt unter Drogeneinfluss die Fahrerlaubnis zu entziehen.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">5              Am 29. September 2016 meldete der Kläger seinen deutschen Wohnsitz ab und verzog in die Niederlande, wo er sich am 13. Oktober 2016 in einem niederländischen Grenzort mit seinem Wohnsitz anmeldete.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">6              Am 1. November 2016 wandte sich der Kläger an die niederländischen Behörden und beantragte, seinen deutschen Führerschein (Nr. J 2408774372) in einen niederländischen Führerschein umzutauschen.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">7              Mit sofort vollziehbarer Ordnungsverfügung vom 9. November 2016 entzog der Beklagte dem Kläger die am 3. Juli 2008 (Klassen AM und B) bzw. 1. Juli 2015 (Klasse T) erteilte Fahrerlaubnis und forderte ihn unter Zwangsgeldandrohung auf, den unter der Nummer J 2408774372 ausgestellten Führerschein unverzüglich abzugeben. Zur Begründung verwies er darauf, dass der Kläger nicht geeignet sei, Kraftfahrzeuge zu führen. Bei ihm bestehe eine Drogenproblematik. Auch in Zukunft sei damit zu rechnen, dass er, wie es am 9. Juni 2016 der Fall gewesen sei, ein Kraftfahrzeug unter Drogeneinfluss führen werde.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">8              Am 12. November 2016 wurde der Bescheid vom 9. November 2016 dem Kläger über seinen damaligen deutschen Rechtsanwalt ordnungsgemäß zugestellt.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">9              Am 14. November 2016 prüfte die in den Niederlanden für den Führerscheinumtausch zuständige Behörde "Rijksdienst voor het Wegverkeer" (künftig: RDW), ob dem Kläger, der seinen deutschen Führerschein vorgelegt hatte, die darin dokumentierte Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und T noch zustehe. Dazu führte der RDW eine Computerabfrage in der europäischen Führerschein-Datenbank "Réseau permis de conduire" (künftig: RESPER) durch.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">10              An diesem Tag zeigte die europäische Datenbank RESPER der niederländischen Behörde RDW an, dass die dem Kläger am 3. Juli 2008 bzw. 1. Juli 2015 in Deutschland erteilte Fahrerlaubnis gültig (Niederländisch: "geldig") sei.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">11              Am 17. November 2016 stellte die RDW dem Kläger einen niederländischen Führerschein (Nr. 5871795197) aus. In Spalte 10 des Dokuments (Erteilungsdatum) heißt es "3. Juli 2008" bzw. "1. Juli 2015". In Spalte 12 des Dokuments (Zusatzabgaben) ist "AM 70.D.J 2408774372" und "B 70.D. J 2408774372" eingetragen.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">12              Der Beklagte erhielt mit einem am 5. Dezember 2016 eingegangenen Schreiben der RDW davon Kenntnis, dass der Kläger seinen deutschen Führerschein in einen niederländischen Führerschein umgetauscht hatte. Das deutsche Führerscheindokument lag dem Schreiben bei.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">13              Der Beklagte fragte beim niederländischen RDW nach, ob mit Blick auf die deutsche Fahrerlaubnisentziehung mit Bescheid vom 9. November 2016 am niederländischen Führerschein vom 17. November 2016 festgehalten werde.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">14              Mit Mail vom 4. Januar 2017 teilte der RDW mit, dass er an der vorgenommenen Umschreibung festhalte, da die Datenbank RESPER ihm bei einer Abfrage am 14. November 2016 die Gültigkeit der deutschen Fahrerlaubnis angezeigt habe.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">15              Am 17. Januar 2017 befuhr der Kläger mit seinem Pkw eine im deutsch-niederländischen Grenzgebiet auf deutscher Seite gelegene Straße im Gebiet des Beklagten und geriet dabei in eine Polizeikontrolle. Die Polizeibeamten hielten ihm vor, dass er keine gültige Fahrerlaubnis für Deutschland besitze.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">16              Mit dem hier streitbefangenen Bescheid vom 5. September 2017 stellte der Beklagte fest, dass der dem Kläger am 17. November 2016 in den Niederlanden ausgestellte Führerschein (Nr. 5871795197, Klassen: AM, B und T) nicht dazu berechtige, in Deutschland fahrerlaubnispflichtige Fahrzeuge zu führen.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">17              Zur Begründung führte der Beklagte u.a. aus: Mit bestandskräftiger Ordnungsverfügung sei dem Kläger wegen der Drogenfahrt vom 9. Juni 2016 die Fahrerlaubnis wirksam entzogen worden. Allerdings habe der Kläger sein Führerscheindokument entgegen der Vorlagepflicht nicht abgegeben, sondern nach Wegzug aus dem Bundesgebiet in einen niederländischen Führerschein umgetauscht. Dieser EU-Führerschein sei ohne jede Eignungsüberprüfung der niederländischen Behörden im Umtauschverfahren erteilt worden. Das Dokument könne daher nach Maßgabe des § 28 der deutschen Fahrerlaubnis-Verordnung keine Fahrberechtigung im Bundesgebiet vermitteln.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">18              Der Kläger hat am 15. September 2017 dagegen Klage erhoben. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass der Feststellungsbescheid gegen den im Unionsrecht verankerten Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von EU-Führerscheinen verstoße, wie sich aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 26. April 2012 in der Rechtssache Hofmann (C-419/10) ergebe.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">19              Mit Beschluss vom 26. Februar 2018 – 3 L 1545/17 –, der im Internet unter www.nrwe.de veröffentlicht ist, hat die Kammer den Antrag des Klägers auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt: Nach Maßgabe der deutschen Rechtsprechung und Rechtslehre sei vorliegend die Anerkennung des niederländischen Führerscheindokuments abzulehnen. Auch wenn man die Rechtslage angesichts des Unionsrechts als offen ansehe, sei bei der im Eilverfahren gebotenen Abwägung der Interessen der Sicherheit des Straßenverkehrs Vorrang gegenüber den Mobilitätsinteressen des Klägers einzuräumen. Die Beschwerde des Klägers gegen diesen Beschluss hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 14. Juni 2018 – 16 B 360/18 – zurückgewiesen.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">II.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">20              Der Rechtsstreit im Klageverfahren ist auszusetzen. Es ist eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden: Europäischer Gerichtshof) zu den im Beschlusstenor formulierten Fragen einzuholen, vgl. Art. 267 AEUV.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">21              Zum rechtlichen Rahmen des Unionsrechts:</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">22              Artikel 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG:</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">"Die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine werden gegenseitig anerkannt."</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">23              Artikel 11 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG:</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">"Hat der Inhaber eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat begründet, so kann er einen Antrag auf Umtausch seines Führerscheins gegen einen gleichwertigen Führerschein stellen. Es ist Sache des umtauschenden Mitgliedstaats, zu prüfen, für welche Fahrzeugklasse der vorgelegte Führerschein tatsächlich noch gültig ist."</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">24              Artikel 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG:</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">"Ein Mitgliedstaat lehnt die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ab, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist."</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">25              Zum rechtlichen Rahmen des deutschen Rechts:</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">26              § 29 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung) bestimmt:</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">"Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis dürfen im Umfang ihrer Berechtigung im Inland Kraftfahrzeuge führen, wenn sie hier keinen ordentlichen Wohnsitz nach § 7 haben."</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">27              § 29 Abs. 3 der Fahrerlaubnis-Verordnung bestimmt:</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">"Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt nicht für Inhaber ausländischer Fahrerlaubnisse,</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">(…)</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">3.              denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist,</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">(…)</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">In den Fällen des Satzes 1 kann die Behörde einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung erlassen."</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">III.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">28              Die Vorlagefragen sind entscheidungserheblich.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">29              Die gerichtliche Entscheidung über die Klage hängt davon ab, ob der angegriffene Bescheid vom 5. September 2017 mit Unionsrecht vereinbar ist.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">30              Im Bescheid wird dem Kläger das Recht abgesprochen, aufgrund eines in den Niederlanden durch Umtausch erworbenen Führerscheindokuments auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland fahrerlaubnispflichtige Fahrzeuge zu führen. Das angerufene Verwaltungsgericht beabsichtigt, den angegriffenen Bescheid als rechtmäßig anzusehen. Es hält eine Ausnahme von der unionsrechtlichen Anerkennungspflicht für geboten, weil dem Kläger zum Zeitpunkt des Umtauschs seines deutschen Führerscheindokuments in den Niederlanden bereits die deutsche materielle Fahrberechtigung entzogen war. Daher dürfte es nicht gerechtfertigt sein, das in den Niederlanden umgetauschte Dokument im Ergebnis besser zustellen als das zugrundeliegende deutsche Originaldokument, das dem Kläger zum Zeitpunkt des Umtauschs keine materielle Fahrberechtigung mehr vermittelt hat. An dieser Entscheidung sieht sich das Gericht aber gehindert. So erscheinen die unionsrechtlichen Voraussetzungen, unter denen ein im Ausstellerstaat durch Umtausch erworbenes Führerscheindokument in einem anderen Mitgliedstaat ausnahmsweise als ungültig angesehen werden darf, als auslegungs- bzw. klärungsbedürftig.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">31              Zur ersten Auslegungsfrage:</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Das Gericht geht davon aus, dass die erste Frage zu bejahen ist mit der Folge, dass die nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gegebene Anerkennungspflicht "ohne jede Formalität" (vgl. dazu etwa: Urteil Hofmann, C-419/10, ECLI:EU:C:2012:240, Rn. 43) ohne Weiteres auch für umgetauschte Führerscheindokumente und die darin dokumentierte materielle Fahrberechtigung gilt.</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">32              Zur zweiten Auslegungsfrage:</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Das Gericht tendiert dazu, die zweite Auslegungsfrage ebenfalls zu bejahen. Dafür spricht der (deutsche) Wortlaut der Regelung in Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG. Danach kann die Anerkennung eines Führerscheindokuments in einem Mitgliedstaat ohne Weiteres abgelehnt werden, wenn dieser Mitgliedstaat dem Betroffenen zuvor die materielle Fahrberechtigung entzogen hat.</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">33              Umgekehrt ist es für die Kammer unter dem Aspekt der Sicherheit des Straßenverkehrs und des damit verfolgten Schutzes von Leib und Leben der Verkehrsteilnehmer nur schwer vorstellbar, dass durch bloßen Umtausch eines Führerscheindokuments eine zuvor aufgrund von Eignungsmängeln entzogene Fahrberechtigung ohne jede Eignungsprüfung der betreffenden Person neu entstehen soll.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">34              Dies gilt auch deshalb, weil nach den unionsrechtlichen Vorgaben gemäß Anhang I Nr. 3 der Richtlinie 2006/126/EG zwischen dem Führerscheindokument als einem bloßen Beweisdokument (nach deutscher Terminologie: "Führerschein") und der materiellen Fahrberechtigung (nach deutscher Terminologie: "Fahrerlaubnis") zu unterscheiden ist. Diese Unterscheidung spiegelt sich in den Eintragungen wider, welche im umgetauschten Führerscheindokument vorhanden sein müssen. Dementsprechend hat die niederländische RDW am 17. November 2016 in Spalte 12 ihres Führerscheindokuments folgende Einträge vorgenommen:</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">"AM 70.D.J 2408774372" und "B 70.D.J 2408774372".</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">35              Die von der RDW dabei gebrauchte Codezahl "70", die der Bezeichnung der Führerscheinklasse (AM bzw. B) folgt, dokumentiert nach Anhang I Nr. 3 der Richtlinie 2006/126/EG, dass die Erteilung des Dokuments auf einem Umtausch beruht, wobei die Buchstaben- und Zahlenkombination "D.J 2408774372" den eingetauschten deutschen ("D") EU-Führerschein bezeichnet. Hinzu kommen die Einträge in Spalte 10 des niederländischen Führerscheindokuments, welche die Daten der in Deutschland erworbenen Fahrberechtigungen ausweisen: "3. Juli 2008" hinsichtlich der Klassen AM und B sowie "1. Juli 2015" hinsichtlich der Fahrerlaubnis der Klasse T.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">36              Gleichwohl stellt sich die angerufene Kammer die Frage, ob und in welchem Umfang der weite Wortlaut der Regelung in Artikel 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG einschränkend auszulegen ist, und zwar im Lichte der besonderen Bedeutung des in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG verankerten Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Führerscheindokumenten, welcher der Verwirklichung der nach Art. 21 AEUV allen Unionsbürgern garantierten Freizügigkeit im Unionsgebiet dient.</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">37              So hat der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung zum so genannten "Führerscheintourismus" unmissverständlich klargestellt, dass es einem Mitgliedstaat, der dem Betroffenen die Fahrberechtigung in der Vergangenheit wegen Eignungsmängeln entzogen oder nicht erteilt hat, keineswegs gestattet ist, deswegen die Anerkennung eines Führerscheindokuments abzulehnen, das dem Betroffenen danach in einem anderen Mitgliedstaat auf der Grundlage einer dortigen Eignungsprüfung ausgestellt worden ist, vgl. dazu Urteile Hofmann, C-419/10, ECLI:EU:C:2012:240, Rn. 70 und Akyüz C‑467/10, ECLI:EU:C:2012:112, Rn. 47 sowie in diesem Sinne bereits Urteil Kapper, C‑476/01, ECLI:EU:C:2004:261, Rn. 77 und Beschlüsse Halbritter C‑227/05 ECLI:EU:C:2006:245 Rn. 28 und Kremer, C‑340/05, ECLI:EU:C:2006:620, Rn. 30.</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">38              Allerdings greift die im Urteil Hofmann, C-419/10, ECLI:EU:C:2012:240, Rn. 76 ff. maßgebliche Erwägung beim hier zu betrachtenden Dokumentenumtausch gerade nicht. So hat der Europäische Gerichtshof im genannten Urteil auch darauf abgestellt, dass eine weniger anerkennungsfreundliche Rechtsauslegung der Richtlinie 2006/126/EG dazu führte, dass der von der Nichtanerkennung seines Führerscheindokuments Betroffene keine Fahrberechtigung im neuen Wohnmitgliedstaat erwerben könnte, was wiederum auf eine ungerechtfertigte Beschränkung des durch Art. 21 AEUV garantierten Rechts hinauslaufe, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten.</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">39              Indessen ist der Eintritt dieser unionsrechtswidrigen Situation gerade nicht zu befürchten, wenn die Anerkennung eines umgetauschten Führerscheindokuments abgelehnt wird. So bleibt es dem davon Betroffenen unbenommen, sich in seinem Wohnmitgliedstaat einer Eignungsprüfung zu unterziehen und sich danach ein Führerscheindokument ausstellen zu lassen, das in allen Mitgliedstaaten (also auch in demjenigen, der ihm zuvor die Fahrberechtigung entzogen hat) ohne weitere Formalitäten anzuerkennen ist.</p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">40              Weitere Unsicherheiten bei der Bestimmung der Reichweite des Anerkennungsgrundsatzes und seiner Ausnahme entstehen aber dadurch, dass nach dem Fallrecht des Europäischen Gerichtshofs der jeweilige Aufenthaltsstaat nicht befugt ist, eine Nachprüfung vorzunehmen, ob ein anderer Mitgliedstaat die einschlägigen Ausstellungsvoraussetzungen für Führerscheindokumente beachtet hat. Der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ist nämlich als Beweis dafür anzusehen, dass sein Inhaber am Tag seiner Ausstellung die einschlägigen Voraussetzungen erfüllte, vgl. dazu etwa die Urteile Grasser C‑184/10, ECLI:EU:C:2011:324, Rn. 21 und Schwarz C-321/07 ECLI:EU:C:2009:104, Rn. 77.</p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">41              Die Kammer bezweifelt, ob dieser Grundsatz beim Dokumentenumtausch uneingeschränkt anwendbar ist. So bezieht sich die vom umtauschenden Mitgliedstaat nach Artikel 11 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG vorzunehmende Prüfung darauf, für welche Fahrzeugklasse das zum Umtausch vorgelegte Dokument noch gültig ist. Damit hat der Ausstellerstaat die Gültigkeit von Verwaltungsakten zu beurteilen, die nicht er, sondern ein anderer Mitgliedstaat erlassen hat. Diese Besonderheit lässt es zweifelhaft erscheinen, ob der Besitz eines umgetauschten Führerscheindokuments tatsächlich als Beweis für die Erfüllung aller Umtauschvoraussetzungen gelten kann.</p>
<span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">42              Im Übrigen dürfte es für die Frage der Anerkennung des umgetauschten Führerscheindokuments nicht etwa darauf ankommen, ob die Ausstellung des Dokuments, wie im vorliegenden Fall, auf der Grundlage eines unrichtigen Gültigkeitsvermerks im EU-Register RESPER erfolgte.</p>
<span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">43              Zur dritten Auslegungsfrage:</p>
<span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Sollte Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG nicht anwendbar sein, stellt sich für die Kammer die Frage, ob sich die Ablehnung der Anerkennung aus dem Fallrecht des Europäischen Gerichtshofs ergibt. Danach ist maßgeblich, ob aufgrund „unbestreitbarer Informationen“ feststeht, dass ein Mitgliedstaat bei der Ausstellung des Führerscheindokuments gegen solche Voraussetzungen verstoßen hat, die für das unionsrechtliche Anerkennungssystem von grundlegender Bedeutung sind. Das ist etwa beim "Wohnsitzerfordernis" anerkannt, vgl. Urteile Hofmann, C-419/10, ECLI:EU:C:2012:240, Rn. 43 f. und Grasser C‑184/10, ECLI:EU:C:2011:324, Rn. 33 sowie Urteil Wiedemann u.a. C‑329/06 u.a., ECLI:EU:C:2008:366 Rn. 72.</p>
<span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">44              Vor diesem Hintergrund erscheint der Kammer eine Ausnahme von der Anerkennungspflicht bei umgetauschten Führerscheindokumenten möglich, wenn ein Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsbereich die Frage der Anerkennung zu beantworten ist, aufgrund "unbestreitbarer Informationen" feststellen kann, dass die materielle Fahrberechtigung zum Zeitpunkt des Umtauschs des Führerscheindokuments nicht mehr bestand.</p>
<span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">45              Im Sinne einer wirksamen Bekämpfung des "Führerscheintourismus" wären damit solche Fälle von der unionsrechtlichen Anerkennungspflicht ausgenommen, in denen ein Mitgliedstaat (beispielsweise bei einer Verkehrskontrolle) aus den Spalten 10 und 12 des ihm vorgelegten EU-Führerscheindokuments eine materielle Fahrberechtigung entnehmen kann, die dieser Mitgliedstaat, wie im vorliegenden Fall geschehen, in der Vergangenheit selbst erteilt, aber schon vor dem Umtausch der Führerscheindokumente zweifelsfrei wirksam entzogen hat.</p>
<span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist kraft Unionsrechts unanfechtbar.</p>
|
188,460 | lg-duisburg-2019-02-04-69-qs-519 | {
"id": 807,
"name": "Landgericht Duisburg",
"slug": "lg-duisburg",
"city": 408,
"state": 12,
"jurisdiction": "Ordentliche Gerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": "Landgericht"
} | 69 Qs 5/19 | 2019-02-04T00:00:00 | 2019-02-11T11:03:57 | 2019-02-13T12:21:03 | Beschluss | ECLI:DE:LGDU:2019:0204.69QS5.19.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Auf die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss wegen des Eintritts der Vollstreckungsverjährung aufgehoben.</p>
<p>Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin werden der Staatskasse auferlegt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks"><strong>I.</strong></p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der Verwaltungsbehörde – Schulamt für die Stadt N – erließ am 12.02.2015 gegen die Beschwerdeführerin einen Bußgeldbescheid über 730 Euro zzgl. Auslagen und Gebühren. Der Bescheid wurde am Dienstag, 17.02.2015, zugestellt. Die Beschwerdeführerin ließ die zweiwöchige Rechtsmittelfrist verstreichen.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Nachdem die Beschwerdeführerin zunächst trotz Zahlungsaufforderungen nichts zahlte und die Verwaltungsbehörde bereits einen Erzwingungshaftbefehl beim Amtsgericht erwirkt hatte, trafen die Verwaltungsbehörde und die Beschwerdeführerin am 06.03.2017 eine Ratenzahlungsvereinbarung über monatliche Zahlungen in Höhe von 50 Euro ab März 2017 (Bl. 10 d. A.).</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Bis Anfang Januar 2018 zahlte die Beschwerdeführerin nur sechs der  fälligen elf Raten, die am 02.11.2017 fällige Rate zahlte sie nicht mehr. Dies nahm die Verwaltungsbehörde zum Anlass, die Ratenzahlungsvereinbarung zu widerrufen und mit Schreiben an das Amtsgericht vom 10.01.2018, dort eingegangen am 16.01.2018, erneut die Anordnung von Erzwingungshaft gegen die Beschwerdeführerin zu beantragen.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Bis einschließlich März 2018 zahlte die Beschwerdeführerin dessen ungeachtet weitere 100 Euro, zuletzt 50 Euro am 02.03.2018.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Den Antrag der Beschwerdeführerin vom 18.10.2018, ihr aufgrund ihrer finanziellen Lage – sie bezieht Leistungen nach dem SGB II – erneut eine Zahlungserleichterung zu gewähren, lehnte die Verwaltungsbehörde ab.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Das Amtsgericht erließ daraufhin am 19.12.2018 einen Erzwingungshaftbefehl über 13 Tage wegen der noch offenen Geldbuße in Höhe von 330 Euro.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Gegen den Beschluss hat die Beschwerdeführerin rechtzeitig sofortige Beschwerde eingelegt.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks"><strong>II.</strong></p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss des Amtsgerichts vom 19.12.2018 war aufzuheben, da die Geldbuße mittlerweile nicht mehr vollstreckt werden darf, nachdem Vollstreckungsverjährung eingetreten ist, § 34 OWiG.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die dreijährige Verjährungsfrist gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 2 OWiG endete trotz des zwischenzeitlichen Ruhens der Verjährung spätestens am 14.01.2019.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Die Verjährung begann gemäß § 34 Abs. 3 OWiG mit Rechtskraft des Bußgeldbescheids. Diese trat am 03.03.2015 ein, nachdem die zweiwöchige Rechtsmittelfrist, die mit der Zustellung am 17.02.2015 begonnen hatte, abgelaufen war.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die Verjährung ruhte zwar ab dem 06.03.2017 gemäß § 34 Abs. 4 Nr. 3 OWiG, da an diesem Tag der Beschwerdeführerin eine Zahlungserleichterung bewilligt wurde. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits 2 Jahre und 3 Tage der Verjährungsfrist verstrichen.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Bewilligung der Zahlungserleichterung und damit auch das Ruhen der Verjährung endeten aber spätestens mit dem Eingang des Schreibens der Verwaltungsbehörde vom 10.01.2018 beim Amtsgericht am 16.01.2018. Damit wurde aktenkundig, dass die Verwaltungsbehörde die bewilligte Zahlungserleichterung widerrufen hatte und nun die Fortsetzung der Vollstreckung betrieb. Die Erkennbarkeit dieses Ereignisses aus der Akte ist auch deshalb von besonderer Bedeutung, damit keine Zweifel über die Dauer des Ruhens entstehen können (vgl. KK-OWiG/Ellbogen, 5. Aufl. 2018, OWiG § 34 Rn. 17).</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Der Lauf der restlichen 362 Tage der Verjährungsfrist endete damit am ersten auf Sonntag, den 13.01.2019, folgenden Werktag, mithin am Montag, den 14.01.2019.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die im Schreiben der Verwaltungsbehörde vom 04.06.2018 (Bl. 24 d. A.) gegenüber dem Amtsgericht dargestellte Ansicht, die letzte „verjährungsunterbrechende Maßnahme“ sei der Eingang einer Rate in Höhe von 50 Euro im März 2018 gewesen, ist nicht haltbar.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Auch wenn die Beschwerdeführerin zu diesem Zeitpunkt noch schuldbefreiend auf die Geldbuße zahlen konnte, geschah dies nicht mehr im Rahmen einer bewilligten Zahlungserleichterung im Sinne des § 34 Abs. 4 Nr. 3 OWiG.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Wie dargestellt, hatte die Verwaltungsbehörde diese bereits im Januar 2018 unmissverständlich widerrufen. In dem Schreiben vom 10.01.2018 bat die Verwaltungsbehörde das Amtsgericht ausdrücklich darum, „die Staatsanwaltschaft entsprechend zu informieren, damit das Antreten der Erzwingungshaft veranlasst werden kann.“ Eine noch bestehende Zahlungserleichterung hätte ein solches Vorgehen ausgeschlossen.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Es ergeben sich aus der Akte auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführerin seitens der Verwaltungsbehörde zu einem späteren Zeitpunkt erneut eine Zahlungserleichterung bewilligt worden wäre. Wegen der oben bereits angesprochenen Bedeutung für die Frage der Verjährung hätte es dazu einer eindeutigen Dokumentation in der Akte bedurft. Dagegen spricht auch, dass die Verwaltungsbehörde die Vollstreckung bis zuletzt weiter betrieben und sich eindeutig gegen die Bewilligung einer weiteren Zahlungserleichterung ausgesprochen hat.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks"><strong>III.</strong></p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Die Kosten des hiermit abgeschlossenen Beschwerdeverfahrens fallen der Staatskasse zur Last. Diese hat in entsprechender Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO auch die notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin zu tragen.</p>
|
188,459 | ovgnrw-2019-02-04-6-b-172118 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 6 B 1721/18 | 2019-02-04T00:00:00 | 2019-02-11T11:03:56 | 2019-02-13T12:21:03 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0204.6B1721.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beschwerde wird zurückgewiesen.</p>
<p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Beschwerde des Antragstellers, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Rahmen der dargelegten Gründe befindet, ist unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in Bezug auf die Untersuchungsanordnung vom 22. August 2018 mit der Maßgabe abgelehnt, dass der Antragsgegner den Untersuchungsauftrag an den Amtsarzt des Gesundheitsamts des Kreises L.     gleichen Datums ersetzt durch einen, der den Satz „Ich bitte auch zu klären, ob der psychische Gesundheitszustand des Beamten Dienstfähigkeit im allgemeinen Vollzugsdienst und in der Laufbahn des mittleren Verwaltungsdienstes in absehbarer Zeit zulässt.“ nicht mehr enthält. Das dagegen gerichtete Beschwerdevorbringen des Antragstellers greift nicht durch.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Entgegen der Auffassung des Antragstellers hat das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen, dass die vom Bundesverwaltungsgericht formulierten strengen Anforderungen an die Angabe der Gründe für eine Untersuchungsanordnung sowie von Art und Umfang der Untersuchung,</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. April 2014 - 2 B 80.13 - ZBR 2014, 254 = juris, Rn. 8 ff., sowie Urteile vom 30. Mai 2013 - 2 C 68.11 -, BVerwGE, 146, 347 = juris Rn. 19 ff., und vom 26. April 2012 - 2 C 17.10 -, ZBR 2013, 128 = juris, Rn. 19 f.,</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">nicht gelten, wenn der Dienstherr die Anordnung auf § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG stützt. Dabei ist das Verwaltungsgericht der Rechtsprechung des Senats gefolgt,</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">vgl. Beschlüsse vom 10. September 2018 - 6 B 1087/18 -, juris Rn. 8 ff., vom 7. September 2018 ‑ 6 B 1113/18 -, juris Rn. 13 ff., vom 4. September 2018 - 6 B 1124/18 -, juris Rn.14 ff., vom 3. September 2018 - 6 B 860/18 -, DÖD 2019, 16 = juris Rn. 15 ff., und vom 26. April 2018 - 6 B 68/18 -, NWVBl. 2018, 370 = juris Rn. 9 ff.,</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">an der dieser auch in Ansehung des Beschwerdevorbringens festhält.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller weist darauf hin, dass die gesetzliche Regelung des § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG nicht nur Fälle erfasse, in denen der Beamte sich selbst für dienstfähig halte, der Dienstherr aber aufgrund konkreter Vorkommnisse Zweifel an der Dienstfähigkeit hat. Daraus lässt sich aber nichts dafür ableiten, dass die besonderen Anforderungen für eine Untersuchungsanordnung, die das Bundesverwaltungsgericht anhand solcher Fälle entwickelt hat, auch für Untersuchungsanordnungen gelten, die auf § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG gestützt werden.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Dem Vorbringen des Antragstellers, es reiche nicht aus, allein auf die Fehlzeiten des Beamten zu verweisen, ist nicht zu folgen. Für den Fall, dass die Fehlzeiten die in § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG vorgesehene Dauer erreichen und der Dienstherr sich ausdrücklich darauf stützt, hat der Gesetzgeber einen alternativen, einfacheren Weg für das Zurruhesetzungsverfahren eröffnet. Der Dienstherr muss dann in der Untersuchungsaufforderung nicht konkret darlegen, dass und warum die zugrunde liegenden Erkrankungen Zweifel an der Dienstfähigkeit des Beamten begründen; da die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen Angaben zu Gründen der Dienstfähigkeit nicht enthalten, kann er dies regelmäßig auch nicht. Er muss lediglich klären, ob mit der Wiederherstellung der vollen Dienstfähigkeit innerhalb von sechs Monaten zu rechnen ist, was naturgemäß von der Art der Erkrankung abhängt. Daraus lässt sich allerdings nicht ableiten, dass vom Dienstherrn die - ihm bisher nicht mögliche - Angabe von Gründen für die Untersuchungsanordnung zu fordern ist, die über die Dauer der krankheitsbedingten Fehlzeiten hinausgehen.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. April 2018 - 6 B 68/18 -, a. a. O., Rn. 16.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Der Einwand des Antragstellers, das Bundesverwaltungsgericht habe aber festgestellt, Fehlzeiten könnten Zweifel an der Dienstfähigkeit des Beamten nur begründen, wenn dies schlüssig dargelegt werde,</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">BVerwG, Beschluss vom 10. April 2014 - 2 B 80.13 -, a. a. O. Rn. 20, sowie Urteil vom 30. Mai 2013 - 2 C 68.11 ‑, a. a. O. Rn. 27,</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">greift nicht durch. Diese Feststellung bezieht sich lediglich auf Fallgestaltungen, in denen sich der Dienstherr nicht auf die Vermutensregel gestützt hatte; den Entscheidungen ist nicht zu entnehmen, dass Fehlzeiten in dem hierzu erforderlichen Ausmaß überhaupt vorlagen.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 3. September 2018 ‑ 6 B 860/18 -, a. a. O., Rn. 26.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Durch diese Vorgehensweise wird dem Beamten, anders als von der Beschwerde dargestellt, weder die Möglichkeit zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Untersuchungsanordnung genommen noch ist er deshalb unverhältnismäßigen und damit nicht gerechtfertigten Eingriffen in seine verfassungsrechtlich geschützten Rechte ausgesetzt. Vielmehr ist der Anlass der Aufforderung zur amtsärztlichen Untersuchung mit der erheblichen - hier seit Januar 2018 bestehenden - Dauer der krankheitsbedingten Dienstunfähigkeit konkret benannt. Der Beamte weiß damit, warum der Amtsarzt ihn untersuchen soll. Die amtsärztliche Untersuchung dient dann dem Zweck festzustellen, ob im Sinne des § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG keine Aussicht besteht, dass innerhalb von sechs Monaten (§ 33 Abs. 1 Satz 3 LBG NRW) die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 3. September 2018 ‑ 6 B 860/18 -, a. a. O., Rn. 22.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Aus dem vom Antragsteller angeführten Umstand, dass es sich bei § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtstG um eine Vermutungsregel handelt, folgt nichts anderes. Selbstredend bedeutet diese nicht, dass die Behörde den Beamten „schematisch“ ‑ so die Beschwerde - in den Ruhestand versetzen darf. Abgesehen davon, dass die vom Antragsteller geforderte Möglichkeit, die Vermutung zu widerlegen, ohne Weiteres bestand, er aber hierzu nichts unternommen hat, dient die angeordnete Untersuchung gerade der Klärung, ob die Vermutung zutrifft oder ob die Fehlzeiten auf Erkrankungen zurückzuführen sind, die die Dienstfähigkeit nicht dauerhaft berühren.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Andere Anforderungen an die Begründung der Untersuchungsaufforderung gelten auch nicht dann, wenn der Dienstherr Erkenntnisse über mögliche Erkrankungen hat. In einem solchen Fall darf er ebenfalls nach § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG vorgehen und muss nicht konkret darlegen, dass und warum diese Zweifel an der Dienstfähigkeit des Beamten begründen. Die Kenntnis (möglicher) Ursachen der Fehlzeiten, wie sie etwa privatärztlichen Bescheinigungen zu entnehmen sind, beseitigt das berechtigte Interesse des Dienstherrn an einer weiteren und umfassenden Klärung des Gesundheitszustandes des Beamten durch mit den Anforderungen der Dienstausübung vertraute Amtsärzte nicht. Sind Untersuchungsanlass langdauernde Fehlzeiten, ist es nicht fernliegend, dass neben den bekannten Erkrankungen auch noch weitere gesundheitliche Einschränkungen vorliegen. Deren - amtsärztlicher - Ermittlung und Feststellung bedarf es nicht zuletzt auch mit Blick auf die Suche nach einer weiteren Verwendungsmöglichkeit für den Beamten, zu der der Dienstherr im Fall der Dienstunfähigkeit grundsätzlich verpflichtet ist.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. September 2018 ‑ 6 B 1113/18 -, a. a. O. Rn. 19.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Wie der Dienstherr in Situationen zu verfahren hat, in denen lange Fehlzeiten auf offenkundigen Umständen wie den vorübergehenden Folgen eines Dienstunfalls beruhen, ist nicht entscheidungserheblich, da weder dargelegt noch erkennbar ist, dass ein solcher Fall hier vorliegt.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Dies zugrunde gelegt, bestand auch keine Verpflichtung des Antragsgegners, zunächst auf anderen Wegen die Gründe für die Fehlzeiten zu eruieren, etwa beim Beamten nachzufragen oder ihn zur Vorlage von Unterlagen aufzufordern.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 3. September 2018 ‑ 6 B 860/18 -, a. a. O., Rn. 37 ff.; offen gelassen von BVerwG, Beschluss vom 16. Mai 2018 - 2 VR 3.18 -, juris Rn. 7.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Die Gelegenheit, dem Dienstherrn solche näheren Erkenntnisse zu verschaffen, hatte der Antragsteller ohne Weiteres, ohne dass er sie genutzt hätte. Der Dienstherr ist aber nicht aus Verhältnismäßigkeitsgründen darauf beschränkt, den Beamten vorab lediglich zu einem amtsärztlichen Gespräch oder zu einer eng begrenzten orientierenden Erstuntersuchung aufzufordern, um sich so Kenntnis zu verschaffen, was Ursache für die Fehlzeiten sein könnte und welche ärztlichen Untersuchungen im konkreten Fall angezeigt sind. Vielmehr kann er sich nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung auf die Vermutung des § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG stützen und die amtsärztliche Untersuchung zur Klärung der Frage anordnen, ob Aussicht besteht, dass der Beamte innerhalb der vom Landesrecht bestimmten Fristen wieder voll dienstfähig sein wird. Ein amtsärztliches Gespräch oder eine orientierende Erstuntersuchung zur Aufklärung des Sachverhalts ist im Gesetz nicht vorgesehen. Der Dienstherr ist zwar unmittelbar aus dem Beamtenverhältnis zur Anordnung einer solchen (unwesentlich) milderen, lediglich vorbereitenden Maßnahme berechtigt. Derartige vorherige Ermittlungsmaßnahmen sind aber nicht aus Verhältnismäßigkeitsgründen geboten, zumal auch eine auf § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG gestützte Untersuchungsanordnung nicht zu besonders eingriffsintensiven Untersuchungen ‑ etwa psychologischer oder psychiatrischer Art - berechtigt.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Beschluss vom 3. September 2018 - 6 B 860/18 -, a. a. O., Rn. 37 ff.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Ohne Erfolg wendet der Antragsteller weiter ein, nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Mai 2013 - 2 C 68.11 -, a. a. O., stehe ohne Spielraum für Interpretationen fest, dass die Anordnung Angaben zu Art und Umfang der ärztlichen Untersuchung enthalten müsse. Die Beschwerde lässt schon außer Acht, dass diese Anforderungen nach einer jüngeren Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts „nicht absolut“ gelten, insbesondere dann keine Anwendung finden, wenn die Behörde keinerlei weitergehenden Erkenntnisse als die hat, dass und in welchem Umfang der Beamte krankheitsbedingte Fehltage aufweist.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Mai 2018 - 2 VR 3.18 -, juris Rn. 6.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Das Erfordernis, Art und Umfang der Untersuchung festzulegen, korrespondiert mit der nur in Bezug auf § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG bestehenden Verpflichtung, tatsächliche Umstände zu benennen, die die Dienstunfähigkeit als nahe liegend erscheinen lassen, und sich zumindest in den Grundzügen darüber klar zu werden, in welcher Hinsicht Zweifel an der Gesundheit des Beamten bestehen. Nur bei dieser Ausgangssituation ergibt sich die Notwendigkeit, dass der Dienstherr mitteilt, welche ärztlichen Untersuchungen er für geboten hält, damit der Beamte anhand dieser Angaben mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ihre Berechtigung überprüfen kann. Liegt der Anlass für die Untersuchungsaufforderung in Fehlzeiten im Sinne von § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG, darf der Dienstherr eine amtsärztliche Untersuchung zur Erhebung des Krankheitsbildes und seiner möglichen Entwicklung anordnen, um eine Grundlage für die nach dieser Vorschrift erforderliche Prognose zu erhalten.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 3. September 2018 ‑ 6 B 860/18 -, a. a. O., Rn. 32 f.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Dass hier nach den eingereichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und den ärztlichen Attesten, die von einem Facharzt für Psychiatrie/Psychotherapie ausgestellt worden sind, sowie dem amtsärztlichen Gutachten vom 4. Juni 2018 deutliche Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung vorliegen, erfordert keine nähere Konkretisierung von Art und Umfang der amtsärztlichen Untersuchung. Nach dem - insoweit den Antragsteller begünstigenden - Beschluss des Verwaltungsgerichts steht fest, dass der Antragsteller sich auf der Grundlage der angefochtenen Untersuchungsanordnung keiner Untersuchung seines psychischen Gesundheitszustandes unterziehen muss. Mit der danach verbleibenden amtsärztlichen Grunduntersuchung des körperlich-physischen Gesundheitszustands, die naturgemäß abhängig vom Einsatzbereich des Beamten erfolgen muss, sind nach den obigen Ausführungen keine unverhältnismäßigen Grundrechtseingriffe verbunden. Eine weitergehende Festlegung dieser Untersuchung ist grundsätzlich weder rechtlich geboten noch möglich, da die Einzelheiten der Untersuchung von deren Verlauf und den dabei gewonnenen Erkenntnissen abhängig sind.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 3. September 2018 ‑ 6 B 860/18 -, a. a. O., Rn. 33.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Sind danach durch die Untersuchungsanordnung rechtmäßigerweise sämtliche - wenig eingriffsintensive - Grunduntersuchungen vom Untersuchungsauftrag an den Amtsarzt umfasst, kann der Antragsteller sich nicht darauf berufen, es könne ihm nicht abverlangt werden, erst im Untersuchungstermin für sich zu entscheiden, ob er bestimmte Untersuchungen über sich ergehen lassen müsse oder nicht.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar.</p>
|
188,458 | ovgnrw-2019-02-04-4-b-113718 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 4 B 1137/18 | 2019-02-04T00:00:00 | 2019-02-11T11:03:56 | 2019-02-13T12:21:03 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0204.4B1137.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 12.7.2018 wird zurückgewiesen.</p>
<p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 3.000,00 € festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat seinen Antrag,</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">die aufschiebende Wirkung der Klage 3 K 4105/18 (VG Düsseldorf) gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 27.4.2018 wiederherzustellen bzw. hinsichtlich der Zwangsmittelandrohung anzuordnen,</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Seine Begründung, bei der im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung sei maßgeblich zu berücksichtigen, dass die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin nicht offensichtlich rechtswidrig sei, vielmehr alles für ihre Rechtmäßigkeit spreche, wird durch das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, nicht in Frage gestellt.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Ermächtigungsgrundlage für die Aufhebung der dem Antragsteller erteilten Geeignetheitsbestätigung vom 11.9.2009 ist zwar, wie der Antragsteller zutreffend einwendet, nicht § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG NRW. Der fehlerhafte Widerruf der Geeignetheitsbestätigung ist jedoch als Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft im Sinne des § 48 Abs. 1 VwVfG NRW gerechtfertigt.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Dabei ist davon auszugehen, dass die Geeignetheitsbestätigung für das Bistro mit der Anschrift I.          T.      in I1.    erteilt worden ist. Ob eine von einer Behörde abgegebene Erklärung eine Regelung im Sinne des § 35 VwVfG NRW enthält und welchen Inhalt diese hat, bestimmt sich nach den gemäß §§ 133, 157 BGB für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Maßstäben. Danach ist anhand der im öffentlichen Recht entsprechend anwendbaren Auslegungsregel des § 133 BGB nicht maßgeblich, was die Behörde bei ihrer Erklärung gedacht hat (innerer Wille), sondern wie der Bürger die Erklärung unter Berücksichtigung der ihm bekannten oder erkennbaren Umstände bei objektiver Auslegung verstehen musste.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17.1.2019 ‒ 4 E 779/18 ‒, juris, Rn. 10 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Im Rahmen der Auslegung einer solchen Willenserklärung ist daher der wirkliche Wille des Erklärenden als eine „innere“ Tatsache zu erforschen. Hat der Erklärungsempfänger den wirklichen Willen des Erklärenden erkannt, so bestimmt dieser wirkliche Wille den Inhalt der Erklärung, ohne dass es auf weiteres ankommt.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 23.5.1986 ‒ 8 C 5.85 ‒, NVwZ 1986, 1011 = juris, Rn. 22 f.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Zwar hat die Antragsgegnerin ausweislich des Wortlautes des Bescheides vom 11.9.2009 antragsgemäß eine Geeignetheitsbestätigung für ein Bistro mit der Anschrift I.          T.        in I1.    erteilt. Der Erteilung war jedoch eine Nachtragsgenehmigung für Änderungen der Baugenehmigung zur Nutzung des Bistros als eigenständiger gastronomischer Betrieb unter der Anschrift I.          T.      vom 5.5.2009 vorangegangen. Unter der Anschrift I.          T.       in I1.    werden dagegen unstreitig zwei Spielhallen und kein Bistro betrieben. In der Folgezeit und auch im Beschwerdeverfahren sind sowohl Antragsteller als auch Antragsgegnerin davon ausgegangen, dass sich die Geeignetheitsbestätigung auf das Bistro mit der Anschrift I.          T.      in I1.    bezieht. Angesichts des übereinstimmenden Verständnisses der Beteiligten vom Inhalt und von der Bedeutung der Geeignetheitsbestätigung erlaubt eine nach § 133 BGB gebotene Auslegung nur den Schluss, die Antragsgegnerin habe ‒ trotz einer Falschbezeichnung,</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">vgl. zur Unbeachtlichkeit einer derartigen falsa demonstratio: BVerwG, Beschluss vom 5.7.2007 ‒ 2 B 39.07 ‒, juris, Rn. 4, ‒</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">eine Geeignetheitsbestätigung für das Bistro I.          T.      erteilt.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Ein Widerruf der Geeignetheitsbestätigung für das Bistro I.          T.      in I1.    nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG kommt deshalb nicht in Betracht, weil der Antragsteller im Beschwerdeverfahren erstmals vorgetragen hat, dass die im Bistro angebotenen Speisen und Getränke seit Inbetriebnahme des Bistros in der Spielhalle zubereitet werden (Seite 2, vierter Absatz, sowie Seite 3, fünfter Absatz des Schriftsatzes vom 15.8.2018), und die Antragsgegnerin bei einer Kontrolle vor Erteilung der Geeignetheitsbestätigung schon hätte erkennen können, dass das Bistro nicht als Aufstellort für Geldspielgeräte mit Gewinnmöglichkeit geeignet sei (Seite 2, dritter Absatz des Schriftsatzes vom 23.10.2018). Diese Angabe ist seitens der Antragsgegnerin nicht widerlegt. Aus den Verwaltungsvorgängen ergeben sich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass im Bistro des Antragstellers jemals eigenständig Getränke angeboten worden sein könnten. Vielmehr hat sich die Antragsgegnerin bei der Bearbeitung des entsprechenden Antrags auf Erteilung der Geeignetheitsbestätigung nach einem Hinweis zur erforderlichen Erkennbarkeit als Bistro auf vom Antragsteller vorgelegte Lichtbilder zum Angebot von Getränken im Bistro verlassen, die die bereits erfolgte Einrichtung eines Bistros nicht erkennen ließen. Eine Ortsbesichtigung oder anderweitige weitere Ermittlungen sind zu diesem Zeitpunkt nicht vorgenommen worden. Dem Bistro fehlte nach dem Vorbringen des Antragstellers mithin von Anfang an eine durch den Schankbetrieb geprägte Nutzung, wie sie § 33c Abs. 3 GewO in Verbindung mit § 1 Abs. 1 SpielV für die Bestätigung der Geeignetheit einer Räumlichkeit zum Aufstellen von Geldspielgeräten vorsieht. Besteht dieser Mangel des Bistros von Anfang an, kommt ein Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG NRW nicht in Betracht. Danach ist ein Widerruf nur dann möglich, wenn die Behörde auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen. Nachträglich eingetretene Tatsachen liegen jedoch dann nicht vor, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen für den Erlass des Verwaltungsakts von Anfang an fehlen und die Behörde erst nachträglich davon erfährt.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 19.9.2018 ‒ 8 C 16.17 ‒, GewArch 2019, 24 = juris, Rn. 12 ff.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die fehlerhaft als Widerruf gewertete Aufhebung der Geeignetheitsbestätigung lässt sich jedoch in eine Rücknahme der Geeignetheitsbestätigung für die Zukunft nach § 48 Abs. 1 VwVfG NRW umdeuten. Als Akt der Rechtserkenntnis ist die Umdeutung auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zulässig, wenn den Beteiligten rechtliches Gehör gewährt wurde.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 19.9.2018 ‒ 8 C 16.17 ‒, GewArch 2019, 24 = juris, Rn. 24.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Einer gesonderten Anhörung zur Frage der Umdeutung bedurfte es nicht, weil der Antragsteller sich in seiner Beschwerdebegründung ausführlich mit der Problematik einer Umdeutung in vorliegendem Fall auseinandergesetzt, damit für beide Beteiligte Gelegenheit zur Stellungnahme bestanden hat.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die Voraussetzungen der Umdeutung nach § 47 Abs. 1 und 2 VwVfG NRW sind erfüllt. Der Widerruf und die Rücknahme sind auf das gleiche Ziel, die Aufhebung der dem Antragsteller erteilten Geeignetheitsbestätigung, gerichtet. Die Rücknahme hätte von der Antragsgegnerin als zuständiger Behörde in der gleichen Verfahrensweise und in der gleichen Form verfügt werden können.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 VwVfG NRW sind entgegen der Ansicht des Antragstellers ebenfalls erfüllt. Nach den oben zitierten, nicht zu widerlegenden Angaben des Antragstellers waren die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 SpielV in dem Bistro I.          T.      in I1.    von Anfang an nicht erfüllt, mithin die Geeignetheitsbestätigung vom 11.9.2009 von Anfang an rechtswidrig. Auch die Rücknahmefrist des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW ist eingehalten. Dabei kommt es nicht auf die zwischen den Beteiligten umstrittene Frage an, ob die Antragsgegnerin bereits bei der ersten Anhörung zum beabsichtigten Widerruf der Geeignetheitsbestätigung vom 17.3.2011 die vollständige Kenntnis der Entscheidungsgrundlagen hatte, so dass die Jahresfrist bereits im März 2012 abgelaufen gewesen sein könnte. Im Rahmen der Umdeutung, die einen Akt der Rechtserkenntnis darstellt,</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 18.1.2017 ‒ 8 C 1.16 ‒, BVerwGE 157, 187 = juris, Rn. 17 f.,</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">kann die Frist für eine zulässige Rücknahme des Verwaltungsakts nicht zu laufen beginnen, bevor der zuständige Amtswalter erfährt, dass der Verwaltungsakt von Anfang an rechtswidrig war. Diese Kenntnis der ursprünglichen Rechtswidrigkeit der Geeignetheitsbestätigung ist erst mit Kenntnisnahme des Schriftsatzes des Antragstellers vom 15.8.2018 gegeben.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Die Rücknahme für die Zukunft löst keine für den Antragsteller ungünstigeren Rechtsfolgen aus als der fehlerhafte Widerruf der Geeignetheitsbestätigung (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwVfG NRW). Ebenso wie dieser beendet die Rücknahme die Wirksamkeit der Geeignetheitsbestätigung für drei Spielgeräte in dem Bistro des Antragstellers für die Zukunft (§ 43 Abs. 2 VwVfG). Entgegen der Ansicht des Antragstellers lösen weder die Rücknahme noch der Widerruf finanzielle Ausgleichsansprüche aus. Ein etwaiger finanzieller Ausgleichsanspruch ist im Übrigen nicht bei der Entscheidung über die Aufhebung eines Verwaltungsaktes zu berücksichtigen, bei der es primär um die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes geht. In Bezug auf begünstigende Verwaltungsakte, die nicht eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewähren oder hierfür Voraussetzung sind, hat der Gesetzgeber dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes durch die Ausgleichsregelung in § 48 Abs. 3 VwVfG NRW Rechnung getragen. Vor diesem Hintergrund ist in Fallgestaltungen, in denen ‒ wie vorliegend ‒ ausschließlich wirtschaftliche Interessen des Begünstigten betroffen sind und außergewöhnliche Umstände, die eine andere Entscheidung möglich erscheinen lassen, weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich sind, die Ermessensentscheidung der Behörde in Richtung auf die Rücknahme des Verwaltungsaktes ebenso "intendiert" wie beim Widerruf.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 10.11.2016 ‒ 4 A 466/14 ‒, GewArch 2017, 157 = juris, Rn. 54 f., m. w. N., und Beschlüsse vom 18.1.2017 ‒ 4 A 1998/14 ‒, ZfWG 2017, 182 = juris, Rn. 8 f., m. w. N. sowie vom 15.12.2017 ‒ 4 A 2519/16 ‒, juris, Rn. 10,</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Der Umdeutung steht deshalb auch § 47 Abs. 3 VwVfG NRW nicht entgegen.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Dessen ungeachtet ist das Vertrauen des Antragstellers auf den Bestand der Geeignetheitsbestätigung nicht schutzwürdig. Nach § 48 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG NRW besteht kein Anspruch auf Ausgleich eines Vermögensnachteils, weil der Antragsteller die Geeignetheitsbestätigung durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung zumindest unvollständig waren. Ausweislich der von ihm im Antragsverfahren auf den Hinweis, man müsse den Hauptzweck des Betreibens eines Bistros erkennen können, vorgelegten Lichtbilder sollte das Bistro über einen eigenständigen Verkauf von Heiß- und Kaltgetränken verfügen, wofür er als Beleg Bilder einer Kaffeemaschine und einer Getränkekarte für das „L.      Cafe“ beigefügt hatte. Erst mit Blick auf diesen Vortrag, unter Berücksichtigung der Gewerbeanmeldung für den Betrieb eines Bistros ohne Alkoholausschank/ohne eigene Speisenzubereitung und der Nachtragsgenehmigung der Nutzung des Bistros als eigenständiger gastronomischer Betrieb ist die Geeignetheitsbestätigung für das Bistro ergangen. Eine eigenständige Bewirtung des Bistros hat jedoch nach den nunmehrigen Angaben des Antragstellers zu keinem Zeitpunkt tatsächlich stattgefunden. Auf die Vorwerfbarkeit der unzulänglichen Angaben kommt es nach § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG NRW nicht an. Es genügt, dass sie objektiv unvollständig oder unrichtig waren.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die Rücknahme für die Zukunft widerspricht nicht der erkennbaren Absicht der Antragsgegnerin. Vielmehr hat diese bereits in dem Widerrufsbescheid im Rahmen einer Hilfserwägung ihre Befugnis auch zur Rücknahme der Geeignetheitsbestätigung angeführt und sowohl im Tenor als auch in der Begründung deutlich gemacht, dass sie rechtmäßige Zustände herbeiführen sowie den Jugend- und Spielerschutz gewährleisten wollte. Eine Rücknahme für die Vergangenheit, wie sie § 48 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 3 und 4 VwVfG im Regelfall vorsieht, kam für die Antragsgegnerin schon deshalb nicht in Betracht, weil sich die Schutzzwecke des § 1 SpielV nicht rückwirkend verwirklichen lassen.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 19.9.2018 ‒ 8 C 16.17 ‒, GewArch 2019, 24 = juris, Rn. 30.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 und 2, 52 Abs. 1 GKG und berücksichtigt, dass Gegenstand des Beschwerdeverfahrens die Geeignetheitsbestätigung für drei Spielgeräte ist.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p>
|
188,457 | vg-dusseldorf-2019-02-04-17-l-21119a | {
"id": 842,
"name": "Verwaltungsgericht Düsseldorf",
"slug": "vg-dusseldorf",
"city": 413,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 17 L 211/19.A | 2019-02-04T00:00:00 | 2019-02-11T11:03:56 | 2019-02-13T12:21:03 | Beschluss | ECLI:DE:VGD:2019:0204.17L211.19A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die aufschiebende Wirkung der Klage 17 K 535/19.A gegen die in Ziffer 4 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 15. Januar 2019 enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>beschlossen:</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks"><strong>Die aufschiebende Wirkung der Klage 17 K 535/19.A gegen die in Ziffer 4 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 15. Januar 2019 enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.</strong></p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks"><strong>Gem. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen. Dies ist der Fall. Die Würdigung des Bundesamtes im angefochtenen Bescheid, der Antragsteller besitze nicht die syrische Staatsangehörigkeit, vermag nach diesem Maßstab nicht zu tragen. Der 1979 geborene Antragsteller gibt an, kurdischer Volkszugehörigkeit zu sein und etwa 100km von der Stadt Hasaka entfernt aus dem syrischen Dorf B.        zu stammen. Er gehöre der Personengruppe der Maktumin an und besitze eine weiße Dorfvorsteherbescheinigung. Er sei Bauer bzw. Schäfer gewesen und habe eine Kuh besessen. Einen festen Wohnsitz habe er nicht gehabt, er sei herumgezogen. Mit Geld habe er nicht so viel zu tun gehabt, deswegen könne er keine syrischen Geldscheine benennen. Im Alter von etwa 17 Jahren sei ihm in einer Operation in der Türkei, wo seine Großmutter, die in Qamishli geboren sei, gelebt habe, ein Hirntumor entfernt worden, dadurch leide er an Epilepsie. Diesen Befund bestätigt ein Arztbrief des B1.       -L.     Krankenhauses in F.     . Der beim Bundesamt zur Herkunft befragte Dolmetscher gab an, ihm sei eine genaue Zuordnung nicht möglich, der Antragsteller spreche teils mit syrischem, teils mit türkischem Dialekt.</strong></p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks"><strong>Vor dem Hintergrund der nachvollziehbaren Unsicherheiten über die Herkunft des Antragstellers hat die Antragsgegnerin sodann (folgerichtig) einen Termin für eine Sprach- und Textanalyse anberaumt, die auch am 11. Oktober 2016 erfolgte (Bl. 65 VV). Wie bei dieser Tatsachenlage dennoch der Einzelentscheider deutlich über zwei Jahre später aus eigener Anschauung, ohne das gutachterliche Ergebnis der von der Antragsgegnerin selbst eingeleiteten Sprachanalyse abzuwarten und eingedenk der Tatsache, dass der Antragsteller offenkundig ein nomadenartiges Leben als Bauer bzw. Schäfer geführt und einen lokal begrenzten, nicht bildungsorientierten Hintergrund hat sowie eingedenk einer früheren Kopfoperation mit Entfernung eines Hirntumors und kognitiver Beeinträchtigungen, zu der Überzeugung gelangen konnte, der Antragsteller sei kein Syrer, ist rechtlich nicht nachvollziehbar und begründet ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides.</strong></p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks"><strong>Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer ist ein Einzelentscheider regelmäßig nicht in der Lage, aus eigener Anschauung über die streitgegenständliche Frage der Staatsangehörigkeit eines die kurdische Volkszugehörigkeit innehabenden Antragstellers aus dem arabischen Raum ohne Zuhilfenahme eines Sprachgutachtens mit hinreichender Sicherheit zu befinden (vgl. bereits Beschluss vom 14. Mai 2018 – 17 L 895/18.A –, juris). Das Sprachgutachten aufwändig sind und oftmals die Gutachtenerstellung lange dauert, ist für sich genommen kein Grund, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.</strong></p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks"><strong>Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens (§§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG).</strong></p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks"><strong>Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).</strong></p>
|
188,456 | vg-dusseldorf-2019-02-04-17-kammer | {
"id": 842,
"name": "Verwaltungsgericht Düsseldorf",
"slug": "vg-dusseldorf",
"city": 413,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 17. Kammer | 2019-02-04T00:00:00 | 2019-02-11T11:03:55 | 2019-02-13T12:21:03 | Beschluss | ECLI:DE:VGD:2019:0204.17KAMMER.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die aufschiebende Wirkung der Klage 17 K 535/19.A gegen die in Ziffer 4 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 15. Januar 2019 enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>beschlossen:</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks"><strong>Die aufschiebende Wirkung der Klage 17 K 535/19.A gegen die in Ziffer 4 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 15. Januar 2019 enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.</strong></p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks"><strong>Gem. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen. Dies ist der Fall. Die Würdigung des Bundesamtes im angefochtenen Bescheid, der Antragsteller besitze nicht die syrische Staatsangehörigkeit, vermag nach diesem Maßstab nicht zu tragen. Der 1979 geborene Antragsteller gibt an, kurdischer Volkszugehörigkeit zu sein und etwa 100km von der Stadt Hasaka entfernt aus dem syrischen Dorf B.        zu stammen. Er gehöre der Personengruppe der Maktumin an und besitze eine weiße Dorfvorsteherbescheinigung. Er sei Bauer bzw. Schäfer gewesen und habe eine Kuh besessen. Einen festen Wohnsitz habe er nicht gehabt, er sei herumgezogen. Mit Geld habe er nicht so viel zu tun gehabt, deswegen könne er keine syrischen Geldscheine benennen. Im Alter von etwa 17 Jahren sei ihm in einer Operation in der Türkei, wo seine Großmutter, die in Qamishli geboren sei, gelebt habe, ein Hirntumor entfernt worden, dadurch leide er an Epilepsie. Diesen Befund bestätigt ein Arztbrief des B1.       -L.     Krankenhauses in F.     . Der beim Bundesamt zur Herkunft befragte Dolmetscher gab an, ihm sei eine genaue Zuordnung nicht möglich, der Antragsteller spreche teils mit syrischem, teils mit türkischem Dialekt.</strong></p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks"><strong>Vor dem Hintergrund der nachvollziehbaren Unsicherheiten über die Herkunft des Antragstellers hat die Antragsgegnerin sodann (folgerichtig) einen Termin für eine Sprach- und Textanalyse anberaumt, die auch am 11. Oktober 2016 erfolgte (Bl. 65 VV). Wie bei dieser Tatsachenlage dennoch der Einzelentscheider deutlich über zwei Jahre später aus eigener Anschauung, ohne das gutachterliche Ergebnis der von der Antragsgegnerin selbst eingeleiteten Sprachanalyse abzuwarten und eingedenk der Tatsache, dass der Antragsteller offenkundig ein nomadenartiges Leben als Bauer bzw. Schäfer geführt und einen lokal begrenzten, nicht bildungsorientierten Hintergrund hat sowie eingedenk einer früheren Kopfoperation mit Entfernung eines Hirntumors und kognitiver Beeinträchtigungen, zu der Überzeugung gelangen konnte, der Antragsteller sei kein Syrer, ist rechtlich nicht nachvollziehbar und begründet ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides.</strong></p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks"><strong>Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer ist ein Einzelentscheider regelmäßig nicht in der Lage, aus eigener Anschauung über die streitgegenständliche Frage der Staatsangehörigkeit eines die kurdische Volkszugehörigkeit innehabenden Antragstellers aus dem arabischen Raum ohne Zuhilfenahme eines Sprachgutachtens mit hinreichender Sicherheit zu befinden (vgl. bereits Beschluss vom 14. Mai 2018 – 17 L 895/18.A –, juris). Das Sprachgutachten aufwändig sind und oftmals die Gutachtenerstellung lange dauert, ist für sich genommen kein Grund, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.</strong></p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks"><strong>Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens (§§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG).</strong></p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks"><strong>Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).</strong></p>
|
188,450 | ovgni-2019-02-04-11-la-36618 | {
"id": 601,
"name": "Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht",
"slug": "ovgni",
"city": null,
"state": 11,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | 11 LA 366/18 | 2019-02-04T00:00:00 | 2019-02-11T11:03:47 | 2019-02-13T12:21:03 | Beschluss | <div id="dokument" class="documentscroll">
<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - Einzelrichter der 5. Kammer - vom 8. Juni 2018 wird abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 EUR festgesetzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der Zulassungsantrag des Klägers, der auf die Zulassungsgründe gemäß § 124 Abs. 2 Nrn. 1 bis 5 VwGO gestützt wird, ist unbegründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Der Fortsetzungsfeststellungsklage des Klägers liegt ein dem Kläger am 29. Februar 2016 gegen 21.40 Uhr in der Innenstadt von B. erteilter Platzverweis eines Polizeibeamten der Beklagten zugrunde. In den Stunden zuvor (bis ca. 20.36 Uhr) fand an gleicher Stelle eine Kundgebung mit anschließendem Aufzug der Gruppierung BRAGIDA statt, gegen deren Versammlung sich parallel eine stationäre Gegendemonstration der Partei Die Linke und des Bündnisses gegen Rechts unter dem Motto „Stoppt die rechte Gewalt“ richtete, die um 20.40 Uhr endete. Wegen vereinzelt auftretender gewalttätiger Aktionen von Demonstranten gegen Teilnehmer der Versammlung der BRAGIDA und gegen Polizeibeamte musste die Polizei gegen die ausgeübte Gewalt einschreiten. Der Kläger war vor Ort und fertigte mit einer Spiegelreflexkamera Bildaufnahmen vom Versammlungsgeschehen. Zur Sicherung von Beweismaterial im Hinblick auf ein mögliches strafbares Verhalten von Teilnehmern der Gegendemonstration forderte die Polizei den Kläger gegen 20.30 Uhr auf, die SD-Karte seiner Kamera auszuhändigen. Dieser Aufforderung kam der Kläger nicht nach. Es erging eine polizeiliche Beschlagnahmeanordnung, der der Kläger nicht freiwillig nachkam. Im Zuge der Durchsetzung der Anordnung kam es zu Handlungen des Klägers, die der Verhinderung der Beschlagnahme dienten. Die Polizei gelangte in den Besitz der Kamera. Die SD-Karte wurde später unter einem Einsatzfahrzeug der Polizei gefunden. Die Polizei nahm den Kläger in ihre Dienststelle mit. Bei seiner Entlassung um 21.40 Uhr wurde ihm ein Platzverweis des Inhalts erteilt, die B. Innenstadt bis 23.00 Uhr desselben Tages nicht mehr zu betreten. Mit seiner Klage hat der Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Platzverweises begehrt. Die Klage hat das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Urteil abgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr.1 VwGO).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Ernstliche Zweifel sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dann gegeben, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Dafür ist nicht erforderlich, dass bei der im Zulassungsverfahren allein möglichen summarischen Überprüfung der Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als der Misserfolg (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 21.12.2009 - 1 BvR 812/09 -, NJW 2010, 1062, juris, Rn. 16, m.w.N.). Weiter liegen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines Urteils dann nicht vor, wenn lediglich einzelne Rechtssätze, tatsächliche oder unterlassene Feststellungen zu Zweifeln Anlass geben, das Urteil aber im Ergebnis aus anderen Gründen offensichtlich richtig ist (BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - 7 AV 4/03 -, NVwZ-RR 2004, 542, juris, Rn. 9). Dem Kläger ist es mit der Begründung seines Zulassungsantrages nicht gelungen, erhebliche Tatsachenfeststellungen oder einen die Entscheidung tragenden Rechtssatz mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage zu stellen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht hat mit zutreffenden Erwägungen das Vorliegen der Voraussetzungen zur Erteilung eines Platzverweises gegen den Kläger bejaht. Rechtsgrundlage für den Platzverweis ist § 17 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG. Nach dieser Vorschrift kann die Polizei zur Abwehr einer Gefahr jede Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten. Der für die Beklagte handelnde Polizeibeamte erteilte dem Kläger am 29. Februar 2016 einen Platzverweis für die B. Innenstadt. Hierbei handelt es sich um einen Verwaltungsakt, der den Anforderungen an die Bestimmtheit genügt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Der Kläger rügt, dass die gegen ihn angeordnete Maßnahme zu unbestimmt sei. Die Innenstadt sei nicht hinreichend umgrenzt. Eine Karte, der er die örtlichen Begrenzungen der Maßnahme hätte entnehmen können, sei ihm nicht ausgehändigt worden. Ein Verwaltungsakt muss, um hinreichend bestimmt im Sinne des § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 37 Abs. 1 VwVfG zu sein, zum einen den Adressaten in die Lage versetzen, zu erkennen, was von ihm gefordert wird, und zum anderen eine geeignete Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung darstellen. Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit eines Verwaltungsakts nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden und mit dem Verwaltungsakt umzusetzenden materiellen Rechts. Der Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts ist entsprechend §§ 133, 157 BGB durch Auslegung zu ermitteln. Dabei ist der erklärte Wille maßgebend, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte. Bei der Ermittlung dieses objektiven Erklärungswertes sind alle dem Empfänger bekannten oder erkennbaren Umstände heranzuziehen (BVerwG, Urt. v. 16.10.2013 - 8 C 21/12 -, BVerwGE 148, 146, juris, Rn. 13 und 14).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Die Bezeichnung der örtlichen Reichweite der hier ergangenen Anordnung (B. Innenstadt) genügte den Anforderungen an deren Bestimmtheit. Maßgebend sind gerade bei mündlichen polizeilichen Anordnungen, die ohne Verzug an Ort und Stelle getroffen werden müssen, die konkreten Umstände des Einzelfalles. Es kommt vor allem darauf an, wie der Betroffene die Maßnahme verstehen muss (Bayerischer VGH, Urt. v. 20.3.2001 - 24 B 99.2709 -, NVwZ 2001, 1291, juris, Rn. 49). Für den Kläger als Adressaten der Anordnung war hinreichend deutlich, was von ihm verlangt wurde. Ob der Ansicht der Beklagten zu folgen ist, dass in B. die Innenstadt räumlich eindeutig durch die Grenzen des Stadtbezirks Nr. 131 festgelegt wird, kann in dem vorliegenden Verfahren auf sich beruhen. Der Kläger hat der Annahme der Beklagten, er sei ein ortskundiger B., bei dem ein hinreichendes Vertrautsein mit den örtlichen Gegebenheiten und den Bezeichnungen der einzelnen Stadtteile vorauszusetzen sei, nicht widersprochen. Zudem enthalten die Verwaltungsvorgänge der Beklagten und auch der erstinstanzliche Schriftwechsel der Beteiligten keine Hinweise darauf, dass die räumliche Reichweite der Maßnahme für den Kläger unklar war. Schließlich hat die Beklagte nachvollziehbar dargelegt, dass der handelnde Polizeibeamte dem Kläger im Falle einer Nachfrage zum räumlichen Geltungsbereich die Reichweite der Anordnung erläutert hätte. Eine solche Nachfrage hat der Kläger offenkundig nicht gestellt. Deshalb konnte der handelnde Polizeibeamte davon ausgehen, dass dem Kläger die räumliche Reichweite der polizeilichen Anordnung bekannt war.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Die Voraussetzungen eines Platzverweises liegen auch in materiell-rechtlicher Hinsicht vor. Der Kläger wurde von einem Ort verwiesen. Mit dem Begriff des Ortes in § 17 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG wird ein engerer räumlicher Bereich umschrieben. Eine Beschränkung auf ein Gebäude, auf eine Straße oder auf einen Platz ist damit nicht verbunden. Je nach Gefahrenlage kann die Maßnahme auch einen darüberhinausgehenden Bereich betreffen. Maßgeblich ist, welche Gefahr zu beseitigen ist. Hiernach richtet sich vorrangig die Ausdehnung des betroffenen Ortes (Waechter, in: BeckOK, Polizei- und Ordnungsrecht Niedersachsen, § 17, Rn. 27). Daran gemessen erstreckt sich der dem Kläger erteilte Platzverweis mit der Bezeichnung „B. Innenstadt“ auf eine begrenzte Örtlichkeit. Anknüpfungspunkt für die polizeiliche Gefahrenabwehr waren die Ereignisse im Zuge der Versammlungen der BRAGIDA und der Partei Die Linke bzw. des Bündnisses gegen Rechts. Beide Veranstaltungen fanden in der Innenstadt B. statt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Der Kläger beruft sich in diesem rechtlichen Zusammenhang ohne Erfolg auf eine Entscheidung des Senats (Senatsbeschl. v. 28.6.2013 - 11 LA 27/13 -, NordÖR 2013, 416, juris), mit der eine erstinstanzliche Entscheidung im Zulassungsverfahren bestätigt wurde, nach der sich ein auf der Grundlage von § 17 Abs. 4 Satz 1 Nds. SOG ergangener Platzverweis in Gestalt eines Aufenthaltsverbots für den gesamten Innenstadtbereich B. für einen Zeitraum von 14 Stunden als rechtswidrig erwies. Der Kläger ist der Auffassung, dass das Oberverwaltungsgericht mit diesem Beschluss den hier streitgegenständlichen örtlichen „Bereich“ bereits als solchen im Sinne des § 17 Abs. 4 Satz 1 Nds. SOG und nicht als „Ort“ im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG angesehen habe. Dieser Ansicht ist nicht zu folgen. Wie bereits ausgeführt, ist der Ort, von dem verwiesen wird, unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Art, des Umfangs und der Dauer der zu beseitigenden Gefahr, festzulegen. Eine solche Einschätzung kann unterschiedliche Maßnahmen nach § 17 Nds. SOG nach sich ziehen. Abgesehen davon hat sich der Senat zu der von dem Kläger aufgeworfenen Frage in dem zitierten Beschluss nicht geäußert. Die auf das Zulassungsvorbringen der Beklagten in jenem Verfahren bezogenen Ausführungen des Gerichts betrafen nicht die räumliche Ausdehnung des Aufenthaltsverbots, sondern die Frage, ob die polizeiliche Prognose, der Kläger werde in dem vom dem Aufenthaltsverbot umfassten Bereich Straftaten begehen, zutreffend war.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass aus der maßgeblichen ex-ante-Betrachtung des handelnden Polizeibeamten (vgl. hierzu: BVerwG, Urt. v. 26.2.1974 - I C 31.72 -, BVerwGE 45, 51, juris, Rn. 38) von dem Kläger eine konkrete Gefahr im Sinne des § 2 Nr. 1 Buchst. a Nds. SOG ausging, die befürchten ließ, dass durch das Verhalten des Klägers die polizeiliche Arbeit im Zuge des nachlaufenden Einsatzes der Polizei nach Beendigung der beiden Versammlungen gestört wird. Zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit gehören auch staatliche Einrichtungen, die sowohl in ihrem Bestand als auch in ihrem Funktionieren Schutz genießen. Wenn Dritte eine polizeiliche Maßnahme stören oder behindern, stellt dies eine konkrete Gefahr für das Funktionieren einer staatlichen Einrichtung und damit für die öffentliche Sicherheit dar (OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 27.3.2014 - 7 A 10993/13 -, juris, Rn. 29; Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Auflage 2012, D Rn. 22 und 25).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts hat sich der Kläger kurz vor der Erteilung des Platzverweises geweigert, die beschlagnahmte Kamera samt Speichermedium herauszugeben und sich dabei in einer Weise verhalten, die einen körperlichen Einsatz von zwei Polizeibeamten erforderte, um die Anordnung durchzusetzen. Der Kläger habe deutlich zu erkennen gegeben, dass er sich weigere, der polizeilichen Anordnung auf Herausgabe des Speichermediums Folge zu leisten. Sein Verhalten, die Speicherkarte aus der Kamera zu nehmen und auf den Boden zu werfen, demonstriere deutlich den Willen, die Tätigkeit der Polizei an diesem Tage zu behindern.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Der Einwand des Klägers, er habe das von dem Verwaltungsgericht festgestellte Verhalten bestritten, so dass das Verwaltungsgericht nicht auf dieser Tatsachenbasis habe entscheiden dürfen, überzeugt nicht. Der Kläger hat im erstinstanzlichen Verfahren die Darstellung des Verlaufs der Durchsetzung der Beschlagnahmeanordnung durch die Beklagte als falsch zurückgewiesen und darauf verwiesen, dass die Vernehmung der eingesetzten Polizeibeamten im Rahmen des gegen ihn anhängigen strafgerichtlichen Verfahrens wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte abzuwarten sei. Das Verwaltungsgericht hat sich ausweislich der Urteilsgründe bei der Beurteilung des entscheidungserheblichen Sachverhalts maßgeblich auf die zeugenschaftlichen Aussagen der am 29. Februar 2016 vor Ort eingesetzten Polizeibeamten im strafgerichtlichen Prozess gegen den Kläger in der mündlichen Verhandlung des Amtsgerichts B. am 16. Mai 2017 gestützt. Das Ergebnis dieser Zeugenaussagen durfte das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Überzeugungsbildung verwerten, ohne eine erneute Beweisaufnahme durchzuführen. Die Aussagen sind nachvollziehbar und widerspruchsfrei und werden zudem vom Kläger im Zulassungsverfahren nicht angegriffen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Soweit der Kläger geltend macht, dass ihm die (durch die Zeugenaussagen) vermittelte Tatsachenbasis teilweise unbekannt gewesen sei, greift dieser Einwand ebenfalls nicht durch. Der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter waren in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht anwesend und haben die Aussagen der Polizeibeamten und deren Protokollierung verfolgt. Die Aussagen der Polizeibeamten waren dem Kläger daher durchaus bekannt. Ob dem Kläger die Sitzungsniederschrift vom 16. Mai 2017 vom Amtsgericht übermittelt wurde, ist für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits unerheblich. Ebensowenig kommt es darauf an, ob dem Kläger bekannt geworden ist, dass das Verwaltungsgericht die Akte des strafgerichtlichen Verfahrens beigezogen hat. Nach den vorstehenden Ausführungen hat der Kläger von dem Inhalt der Zeugenaussagen der Polizeibeamten Kenntnis gehabt. Der hiesigen Gerichtsakte ist zudem zu entnehmen, dass die Beklagte einen Schriftsatz vom 13. Juli 2017 vorgelegt hat, dem neben der Kopie eines Anschreibens der aktenführenden Staatsanwaltschaft an die Beklagte als Anlage eine Kopie der amtsgerichtlichen Sitzungsniederschrift vom 16. Mai 2017 beigefügt war. Ausweislich einer Verfügung des Berichterstatters vom 20. Juli 2017 wurde der Schriftsatz der Beklagten an den Prozessbevollmächtigten des Klägers zur Kenntnis und Stellungnahme weitergeleitet. Unüblich wäre es, wenn diese Übermittlung ohne die beiden Anlagen erfolgt wäre.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Angesichts der vorstehenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts, die die von der Polizei angeordneten Maßnahmen tragen, kann auf sich beruhen, ob auch die weiteren vom erstinstanzlichen Gericht angeführten Tatsachen für die Gefahrenprognose heranzuziehen sind. Gegen die Rechtmäßigkeit des Platzverweises spricht nicht, dass die Maßnahme 70 Minuten nach der Beschlagnahme und rund 60 Minuten nach dem Ende der Versammlungen erteilt wurde. Um 21.40 Uhr befanden sich noch ca. 15 Teilnehmer der Gegendemonstration in unmittelbarer Nähe des Kundgebungsortes und erwarteten den Kläger, der zu diesem Zeitpunkt aus der Polizeidienststelle entlassen wurde. Da es zuvor während der beiden Versammlungen zu tätlichen Auseinandersetzungen gekommen war, die nach den polizeilichen Feststellungen auch von Teilnehmern der Gegendemonstration ausgingen, und sich auch nach dem Ende beider Veranstaltungen noch Demonstranten beider Lager in der Innenstadt aufhielten, bestand jedenfalls um 21.40 Uhr noch die Gefahr, dass der Kläger die polizeiliche Arbeit, die mit der Beendigung der Versammlungen noch nicht abgeschlossen war, behindert.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Der Kläger wurde auch vorübergehend des Ortes verwiesen. Der Platzverweis war zeitlich auf 80 Minuten begrenzt. Der Platzverweis war nach der Begründung des Verwaltungsgerichts auch verhältnismäßig. Hiergegen hat der Kläger in der Zulassungsbegründung nichts vorgetragen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Die Zulassungsrüge gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist unbegründet. Besondere tatsächliche Schwierigkeiten weist die Rechtssache nach den vorstehenden Ausführungen zu § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht auf.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Die Grundsatzrüge (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) des Klägers greift ebenfalls nicht durch. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn sich darin eine entscheidungserhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung stellt, die bisher in der Rechtsprechung noch nicht geklärt ist und daher im Interesse der Einheit, der Fortbildung oder der einheitlichen Auslegung und Anwendung des Rechts der Klärung durch das Rechtsmittelgericht bedarf. Diesen Anforderungen genügt die von dem Kläger erhobene Rüge nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Der Kläger hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">was einen Bereich im Sinne des § 17 Abs. 4 Satz 1 Nds. SOG von einem Ort im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG unterscheidet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Diese Frage ist nicht grundsätzlich bedeutsam. Soweit sie sich auf die Vorschrift des § 17 Abs. 4 Satz 1 Nds. SOG bezieht, ist sie nicht entscheidungserheblich, weil im vorliegenden Verfahren allein die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG streitgegenständlich sind. Soweit die Frage die Auslegung des Begriffes „Ort“ in § 17 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG betrifft, sind allgemeingültige Aussagen, die über die Ausführungen zu dem Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hinausgehen, nicht möglich, weil die räumliche Ausdehnung des Ortes von den Umständen des Einzelfalls abhängt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Die Voraussetzungen einer Divergenzrüge nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO hat der Kläger ebenfalls nicht dargelegt. Der Kläger macht geltend, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts hinsichtlich der Einordnung der gesamten Innenstadt von Braunschweig als Ort im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG statt als Bereich im Sinne des § 17 Abs. 4 Satz 1 Nds. SOG von der Entscheidung des Senats vom 28. Juni 2013 (- 11 LA 27/13 -, a.a.O., juris) abweiche. Eine Divergenz ist nur dann gegeben, wenn mit dem Zulassungsantrag ein inhaltlich bestimmter, die angefochtene Entscheidung tragender abstrakter Rechtssatz benannt wird, mit dem das Verwaltungsgericht einem in der zitierten Entscheidung des Senats aufgestellten, dieselbe Rechtsfrage betreffenden tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Einen solchen Rechtssatz benennt der Kläger in der Zulassungsbegründung weder ausdrücklich noch konkludent.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Die Verfahrensrüge des Klägers gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat weder seine Amtsaufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO noch seine Hinweispflicht nach § 86 Abs. 3 VwGO verletzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Zu Unrecht macht der Kläger geltend, das Verwaltungsgericht sei seiner Pflicht zur Amtsermittlung nicht nachgekommen, weil es ohne weitere Beweisaufnahme davon ausgegangen sei, dass er durch sein Verhalten polizeiliche Maßnahmen gestört habe, obwohl er ein solches Verhalten bestritten habe. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter nicht ausdrücklich beantragt hat und die sich dem Gericht auch nicht aufdrängen musste (BVerwG, Beschl. v. 10.10.2013 - 10 B 19.13 -, juris, Rn. 3). Der anwaltlich vertretene Kläger hat einen förmlichen Beweisantrag im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nicht gestellt. Dem erstinstanzlichen Gericht musste sich auch nicht eine Beweiserhebung aufdrängen. Im verwaltungsgerichtlichen Prozess entscheidet das Gericht über die Art der heranzuziehenden Beweismittel und den Umfang der Beweisaufnahme im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsermittlung von Amts wegen nach Ermessen. Mit der Pflicht zur Amtsermittlung - und auch mit dem Grundsatz der materiellen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme nach § 96 Abs. 1 VwGO - ist es vereinbar, dass das Verwaltungsgericht die am Vorfallstag eingesetzten Polizeibeamten nicht selbst vernommen hat, sondern sich auf deren Zeugenaussagen im Strafprozess gegen den Kläger gestützt hat. Es hängt von der jeweiligen prozessualen Situation ab, ob ein mittelbares Beweismittel ausreicht oder ob das unmittelbare Beweismittel zu nutzen ist. Danach können auch in einem anderen gerichtlichen Verfahren protokollierte Aussagen ausreichen (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 23.1.2014 - 16 A 242/10 -, juris, Rn. 10; Rixen, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 86, Rn. 39; Kopp/ Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 96, Rn. 5). Dass hier ausnahmsweise eine erneute Zeugenvernehmung der Polizeibeamten, etwa zur Gewinnung eines persönlichen Eindrucks, erforderlich gewesen ist, macht der Kläger mit seiner Zulassungsbegründung nicht geltend. Zudem hatten der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter Gelegenheit, den im strafgerichtlichen Prozess vernommenen Polizeibeamten im Verhandlungstermin vor dem Amtsgericht ergänzend Fragen zur ihren Wahrnehmungen zu stellen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Das angegriffene Urteil ist keine der Hinweispflicht des Gerichts gemäß § 86 Abs. 3 VwGO widersprechende unzulässige Überraschungsentscheidung. Eine den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung liegt nur vor, wenn das Gericht auf eine rechtliche Sichtweise oder auf eine bestimmte Bewertung des Sachverhalts abstellt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (BVerwG, Beschl. v.13.1.2009 - 9 B 64.08 -, juris). Nach Ansicht des Klägers ist das Urteil überraschend gewesen, weil das Verwaltungsgericht ohne rechtlichen Hinweis angenommen habe, dass er sich störend verhalten habe, obwohl er diesen Sachverhalt bestritten habe. Die unterschiedlichen Bewertungen des hier streitgegenständlichen Geschehens, das zur Erteilung des Platzverweises gegen den Kläger führte, waren Gegenstand der Erörterungen der Beteiligten sowohl in den gewechselten Schriftsätzen im gerichtlichen Verfahren als auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht. Es konnte den Kläger daher nicht überraschen, dass das Verwaltungsgericht seine Überzeugung auf der ihm von den Beteiligten vermittelten Tatsachenbasis gewonnen hat. Eine Hinweispflicht in Bezug auf die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffes bestand für das Verwaltungsgericht nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText">
<p style="margin-top:24px"> </p>
<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
<p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE190000493&psml=bsndprod.psml&max=true</p>
</div>
</div>
|
|
180,231 | ovgnrw-2019-02-04-6-a-201218a | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 6 A 2012/18.A | 2019-02-04T00:00:00 | 2019-02-07T14:18:34 | 2019-02-13T12:21:03 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0204.6A2012.18A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag wird abgelehnt.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p><br style="clear:both">
<h1><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></h1>
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Zulassungsgründe lassen sich den Ausführungen auf den Seiten 2 bis 15 (bis III.) der Antragsschrift nicht entnehmen. Sie geben lediglich den Sachverhalt sowie erstinstanzliche Schriftsätze wieder.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Das Antragsvorbringen zeigt nicht auf, dass die sodann (ab Seite 15 unten) allein geltend gemachte Gehörsverletzung (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO) vorliegt. Der Kläger beruft sich darauf, sein Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs sei dadurch missachtet worden, dass wegen der zu Unrecht erfolgten Versagung von Prozesskostenhilfe sein Prozessbevollmächtigter nicht in der mündlichen Verhandlung für ihn aufgetreten und so die Stellung von Beweisanträgen unmöglich gemacht worden sei. Damit wird kein Verfahrensfehler dargelegt.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Zwar kann der Anspruch eines Klägers auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO dadurch verletzt werden, dass ihm in rechtswidriger Weise Prozesskostenhilfe vorenthalten und er dadurch um die Möglichkeit anwaltlichen Beistandes gebracht wird mit der Folge, dass dies als Gehörsverstoß dem angefochtenen Urteil anhaftet.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Oktober 2006 - 6 B 29.06 -, juris Rn. 5 f.; OVG NRW, Beschluss vom 12. März 2008 - 13 A 2643/07.A -, juris Rn. 22; Bay.VGH, Beschluss vom 20. September 2017 ‑ 15 ZB 17.31105 -, juris Rn. 6.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Dass die Voraussetzungen vorliegen, wird mit dem Zulassungsantrag nicht dargelegt. Dies gilt schon deshalb, weil der Kläger auch nach der Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags - bis heute - durchgehend durch seinen bevollmächtigten Rechtsanwalt vertreten war. Dieser hat das Mandat nicht niedergelegt, sondern vielmehr vor der mündlichen Verhandlung, zu der er unter Hinweis auf die Versagung von Prozesskostenhilfe nicht erschienen ist, noch umfangreich vorgetragen. Es ist nicht erkennbar, dass angesichts dessen auch im Termin eine anwaltliche Vertretung geboten gewesen wäre.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Vgl. zu diesem Maßstab OVG NRW, Beschluss vom 12. März 2008 - 13 A 2643/07.A -, a. a. O., Rn. 22.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Mit der Antragsbegründung wird auch nicht dargelegt, welche Beweisanträge der Prozessbevollmächtigte bei Anwesenheit gestellt hätte, etwa welche konkreten Fragen ungeachtet des von ihm bereits vorgelegten Erkenntnismaterials aus seiner Sicht noch weiterer Aufklärung bedurft hätten. Das Zulassungsvorbringen richtet sich vielmehr im Stile einer Berufungsschrift gegen die Würdigung des Verwaltungsgerichts, wegen der vorgetragenen Aktivitäten für die Partei „Ahwazi Democratic Popular Front“ sei der Kläger bei einer Rückkehr in den Iran keiner mit einem Verfolgungsgrund verknüpften Verfolgungshandlung ausgesetzt. Dem setzt dieser seine eigene Auffassung entgegen, er werde als Mitglied einer verbotenen Partei als Bedrohung des iranischen Staates angesehen; auf eine hervorgehobene Tätigkeit komme es nicht an.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).</p>
|
188,463 | ovgnrw-2019-02-01-13-a-333218a | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 13 A 3332/18.A | 2019-02-01T00:00:00 | 2019-02-11T11:03:59 | 2019-02-13T12:21:04 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0201.13A3332.18A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 18. Juni 2018 wird abgelehnt.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist nicht wegen des allein geltend gemachten Verfahrensfehlers der Verletzung rechtlichen Gehörs nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO zuzulassen.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">1. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ergibt sich nicht dadurch, dass das Verwaltungsgericht die in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge mit der Begründung abgelehnt hat, die zum Beweis gestellten Tatsachen, nämlich</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">„dass die polizeiliche Anzeige vom 28. November 2017 gegenüber der Staatsanwaltschaft in der Provinz Kapisa echt ist“, und</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">„dass es in Afghanistan üblich ist, dass die entsprechenden Vordrucke bei der zuständigen Behörde erworben werden können, durch eine amtliche Person aufgenommen und sodann bei der zuständigen Staatsanwaltschaft abgegeben werden“,</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">könnten als wahr unterstellt werden.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der Anspruch auf rechtliches Gehör bietet grundsätzlich keinen Schutz gegen Entscheidungen des Gerichts, die das Vorbringen eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lassen. Die Ablehnung einer beantragten Beweiserhebung verletzt das rechtliche Gehör nur dann, wenn sie im maßgeblichen Prozessrecht keinerlei Stütze mehr findet.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10. August 2015 - 5 B 48.15 -, juris, Rn. 10, und vom 8. März 2006 - 1 B 84.05 -, juris, Rn. 7; OVG NRW, Beschlüsse vom 16. Mai 2018 - 13 A 1190/18.A -, juris, Rn. 4 f., vom 18. Januar 2018 - 13 A 3298/17.A -, juris, Rn. 10 f., und vom 14. Juli 2017 ‑ 13 A 1277/17.A -, juris, Rn. 11 f.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Ablehnung eines Beweisantrags durch Wahrunterstellung setzt voraus, dass die behauptete Beweistatsache im Folgenden so behandelt wird, als wäre sie wahr (vgl. § 244 Abs. 3 Satz 2 a.E. StPO). Dies kommt regelmäßig nur für nicht entscheidungs-erhebliche Behauptungen in Frage. Das Gericht darf sich im weiteren Verlauf nicht in Widerspruch zu den als wahr unterstellten Annahmen setzen und muss sie ohne inhaltliche Einschränkung so behandeln, als wären sie nachgewiesen.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Dezember 2012 – 2 B 32.12 –, juris Rn. 12 m.w.N.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die Echtheit der Urkunde und der angegebene übliche Verfahrensablauf bei Erstattung einer Strafanzeige waren ausgehend vom maßgeblichen Standpunkt des Verwaltungsgerichts nicht entscheidungserheblich. Der Kläger führt insbesondere an, die Wahrunterstellung der Echtheit der Urkunde und des zum Beweis gestellten Verfahrensablaufs erstrecke sich auf die örtliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft in Kapisa für den Entführungsfall seiner Tochter. Deshalb habe das Verwaltungsgericht seine Angaben über die Entführung der Tochter nicht mit der Feststellung in Zweifel ziehen dürfen, dass seine Ortsangaben – Kabul als damaliger Wohnort der Familie einerseits und Kapisa als erst nachträglich benannter Ort der Entführung andererseits – nicht nachvollziehbar seien. Indes kommt es auf die Ortsangaben nicht an. Das Gericht hat den Vortrag des Klägers über die (angebliche) Entführung seiner Tochter unabhängig von dessen Ortsangaben mit selbstständig tragender Begründung auch deshalb für nicht glaubhaft gehalten, weil sie im Zusammenhang mit der bereits nicht glaubhaft dargelegten vorangegangenen Bedrohung seiner Person gestanden haben solle. Lediglich „abgesehen davon“ geht es auf die Angaben des Klägers zum Ort der Entführung ein (Urteilsabdruck S. 13).</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Stellte sich das Vorbringen des Klägers zur Entführung seiner Tochter nach dem maßgeblichen Standpunkt des Verwaltungsgerichts auch ungeachtet der Angaben zum Entführungsort als unglaubhaft dar, war das Gericht aufgrund der Wahrunterstellung der mit Blick auf den Entführungsort unter Beweis gestellten Tatsachen nicht gehalten, die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung angeführte durch die Entführung begründete Drucksituation zu dessen Gunsten zu berücksichtigen.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Auch im Übrigen hat der Kläger einen Widerspruch zu den als wahr unterstellten Annahmen nicht aufgezeigt. Mit der Wahrunterstellung der Echtheit der Urkunde und des angegebenen üblichen Verfahrensablaufs ist über die Nachvollziehbarkeit seiner Angaben zum Ort der Entführung und erst recht über die vorgetragene Entführung als solche nichts gesagt. Sein darüber hinaus erhobener Einwand, das Gericht habe nicht zugrunde legen dürfen, dass es in Afghanistan in erheblichem Umfang echte Dokumente wahren Inhalts gebe, weil sich als Ergebnis der beantragten Beweiserhebung hätte ergeben können, dass das Dokument echt sei, zeigt einen Widerspruch zu der als wahr unterstellten Echtheit der Anzeige ebenfalls nicht auf.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">2. Soweit der Kläger geltend macht, das Verwaltungsgericht habe sein Vorbringen bezüglich seiner Tätigkeit für die Firma „U.       “ bzw. für die NATO – unter Verletzung der prozessualen Fürsorgepflicht – als pauschal und unsubstantiiert in Zweifel gezogen, ohne diese Zweifel in der mündlichen Verhandlung durch gezielte Fragen und Vorhalte erkennen zu lassen, hat er eine Verletzung seines Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG ebenfalls nicht aufgezeigt.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Insbesondere hat das Verwaltungsgericht dem Kläger insoweit nicht unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Überraschungsentscheidung das rechtliche Gehör versagt. Eine den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs konkretisierende gerichtliche Hinweispflicht zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung besteht nur dann, wenn auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht mit einer bestimmten Bewertung seines Sachvortrags durch das Verwaltungsgericht zu rechnen braucht. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass aus dem in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgten Gebot des rechtlichen Gehörs grundsätzlich keine Hinweis- oder Aufklärungspflicht in Bezug auf die Rechtsansicht des Gerichts folgt und dass das Gericht auch nicht verpflichtet ist, bereits in der mündlichen Verhandlung das mögliche oder voraussichtliche Ergebnis der Sachverhalts- oder Beweiswürdigung bekannt zu geben, weil sich die tatsächliche und rechtliche Einschätzung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Entscheidungsfindung nach Schluss der mündlichen Verhandlung ergibt. Dagegen kann von einer Überraschungsentscheidung nicht gesprochen werden, wenn das Gericht Tatsachen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten, in einer Weise würdigt, die nicht den subjektiven Erwartungen eines Prozessbeteiligten entsprechen oder von ihm für unrichtig gehalten werden.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 -, juris, Rn. 7; BVerwG, Beschlüsse vom 2. Mai 2017 - 5 B 75.15 D -, juris, Rn. 11, und vom 28. Mai 2015 - 1 B 22.15 u.a. -, juris, Rn. 3; OVG NRW, Beschlüsse vom 15. Februar 2018 - 13 A 342/18.A -, juris, Rn. 6, und vom 17. Oktober 2017 ‑ 13 A 2346/17.A -, juris, Rn. 3, jeweils m.w.N.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Art. 103 Abs. 1 GG begründet keine Verpflichtung des Verwaltungsgerichts, auf Unstimmigkeiten und Widersprüche hinzuweisen und eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 15. Februar 2018 - 13 A 342/18.A -, juris, Rn. 14, vom 11. Januar 2017 - 13 A 2220/16.A - , juris, Rn. 6 f. m.w.N., und vom 6. Juni 2016 - 13 A 1882/15.A -, juris, Rn. 28 ff.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Es entspricht vielmehr ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung,</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 25. August 2015 ‑ 1 B 40.15 -, juris, Rn. 14,</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">dass der Betroffene im Rahmen seiner individuellen Möglichkeiten gehalten ist, schlüssige, nachvollziehbare und substantiierte Angaben zu seinem Verfolgungsschicksal zu machen. Von dieser dem Asylbewerber obliegenden Mitwirkungspflicht dispensiert die Hinweispflicht des § 86 Abs. 3 VwGO nicht, denn diese dient nicht der Auffüllung von Lücken und Defiziten im Vorbringen des Asylbewerbers, sondern nur der Unterstützung des Asylbewerbers bei der Wahrnehmung seiner Mitwirkungspflicht.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. August 2003 - 1 B 107.03, 1 PKH 28.03 -, juris, Rn. 5; OVG NRW, Beschluss vom 15. Februar 2018 - 13 A 342/18.A -, juris, Rn. 16 ff.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Auch ist die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht geeignet, eine – vermeintlich – fehlerhafte Feststellung und Bewertung des Sachverhalts einschließlich seiner rechtlichen Würdigung oder eine – vermeintlich – fehlerhafte Rechtsauffassung zu beanstanden.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. November 2005 - 2 BvR 1090/05 -, juris, Rn. 26; OVG NRW, Beschlüsse vom 9. Januar 2017 - 13 A 1801/16.A -, juris, Rn. 3, vom 8. Mai 2015 - 13 A 949/15.A -, juris, Rn. 3 f., und vom 18. September 2014 - 13 A 1019/14.A -, juris, Rn. 7 f., jeweils m.w.N.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Hiervon ausgehend bestehen keine Anhaltspunkte für eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Das Verwaltungsgericht hat keine Anforderungen an den Sachvortrag gestellt, mit denen der Kläger nicht rechnen musste. Es hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung zu seiner Tätigkeit für die Firma U.       bzw. die NATO – insbesondere zu deren Ort und Dauer – befragt. Dabei war es nicht gehalten, den Versuch zu unternehmen, durch gezielte Nachfragen weitere Details in Erfahrung zu bringen. Eine andere Bewertung ergibt sich nicht unter Berücksichtigung der vom Kläger angeführten Rechtsprechung, insbesondere des Beschlusses der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Juli 1996 – 2 BvR 1416/94 –,</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">NVwZ-Beilage 1997, 11 (13).</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Die dort angeführten besonderen Umstände des Einzelfalls sind mit der prozessualen Situation des Klägers im erstinstanzlichen Verfahren nicht vergleichbar.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Im Übrigen wendet sich der Kläger in dieser Hinsicht im Kern gegen die Sachverhaltswürdigung durch das Verwaltungsgericht, womit er den Verfahrensmangel eines Gehörsverstoßes nicht begründen kann.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">3. Auch die weitere Rüge des Klägers, das Verwaltungsgericht habe seine Einwände gegen die Verwertbarkeit der Anhörungsniederschrift des Bundesamts nicht zur Kenntnis genommen, sondern die Niederschrift aus einem lediglich formalen Grund für verwertbar gehalten, führt nicht zur Zulassung der Berufung nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Das verfassungsrechtlich aus Art. 103 Abs. 1 GG folgende Gebot des rechtlichen Gehörs gibt einem Prozessbeteiligten das Recht, alles aus seiner Sicht Wesentliche vortragen zu können, und verpflichtet das Gericht, dieses Vorbringen zur Kenntnis zu nehmen und in seine Entscheidungserwägungen einzustellen. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings grundsätzlich erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat. Das Gericht ist hingegen nicht gehalten, den Ausführungen eines Beteiligten in der Sache zu folgen.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. November 2005 - 2 BvR 1090/05 -, juris, Rn. 26; OVG NRW, Beschlüsse vom 9. Januar 2017 - 13 A 1801/16.A -, juris, Rn. 3, vom 8. Mai 2015 - 13 A 949/15.A -, juris, Rn. 3 f., und vom 18. September 2014 - 13 A 1019/14.A -, juris, Rn. 7 f., jeweils m.w.N.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Vorliegend hat sich das Verwaltungsgericht mit den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung erhobenen Einwänden gegen die Richtigkeit des Anhörungsprotokolls auseinandergesetzt. Aus dem Umstand, dass es die Einwände auf Seite 14 der Urteilsgründe nicht ausdrücklich wiedergegeben und im Ergebnis nicht für durchgreifend erachtet hat, lässt sich nicht schließen, dass es diese nicht zur Kenntnis genommen und gewürdigt hat. Das Gericht muss den Vortrag des Klägers nicht in jedem Detail in den Entscheidungsgründen würdigen. Auch ist es nicht gehalten, der Einschätzung des Klägers zu folgen.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">4. Schließlich ist auch das Vorbringen des Klägers bezüglich der Feststellungen des Verwaltungsgerichts zu den erhaltenen Drohbriefen nicht geeignet, die Zulassung der Berufung wegen einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zu begründen. Auch in dieser Hinsicht wendet sich der Kläger gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts. Sein Vorbringen ist dem sachlichen Recht und nicht der Frage nach der Gewährung rechtlichen Gehörs zuzuordnen.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).</p>
|
188,462 | ovgnrw-2019-02-01-7-b-136018 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 7 B 1360/18 | 2019-02-01T00:00:00 | 2019-02-11T11:03:58 | 2019-02-13T12:21:04 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0201.7B1360.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster vom 30.8.2018 wird geändert. Die aufschiebende Wirkung der bei dem Verwaltungsgericht Münster anhängigen Klage - 2 K 7095/17 - gegen die Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 30.10.2017 (Aktenzeichen: 63-01008/2016) wird angeordnet.</p>
<p>Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge jeweils zur Hälfte; ihre außergerichtlichen Kosten tragen sie jeweils selbst.</p>
<p>Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 5.000 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Beschwerde, mit der der Antragsteller seinen erstinstanzlichen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner bei dem Verwaltungsgericht Münster anhängigen Klage - 2 K 7095/17 - gegen die der Beigeladenen durch die Antragsgegnerin erteilte Baugenehmigung vom 30.10.2017 für das Vorhaben des sog. H.-centers weiterverfolgt, ist begründet.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ist der Antragsteller, der Sondereigentümer einer in der Nähe der geplanten Zufahrt zu dem Vorhaben gelegenen Wohnung ist, unstreitig antragsbefugt.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Der Antrag ist auch begründet. In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO bzw. § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht auf der Grundlage einer eigenen Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Suspensivinteressen. Wesentliches Element dieser Interessenabwägung ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann. Ist es nicht möglich, die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache wenigstens summarisch zu beurteilen, so sind allein die einander gegenüberstehenden Interessen unter Berücksichtigung der mit der Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einerseits und deren Ablehnung andererseits verbundenen Folgen zu gewichten.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 22.3.2010 - 7 VR 1.10 -, juris, und Beschluss vom 16.9.2014 - 7 VR 1.14 -, BRS 82 Nr. 226 = BauR 2015, 252.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Danach fällt die Interessenabwägung zu Gunsten des Antragstellers aus. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts überwiegen die Erfolgsaussichten der Klage - 2 K 7095/17 -. Der Antragsteller kann voraussichtlich auf der Grundlage des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 3, Abs. 1 b) des Gesetzes über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG - in der Fassung vom 23.8.2017 (BGBl. I. S. 3290) - Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) die Aufhebung oder jedenfalls die Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit der Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 30.10.2017 für das sog. H.‑center verlangen.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">§ 4 UmwRG ist hier anwendbar. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG ist das Gesetz u. a. auf Rechtsbehelfe gegen Zulassungsentscheidungen im Sinne des § 2 Abs. 6 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung über die Zulässigkeit von Vorhaben (UVPG) anzuwenden, für die nach diesem Gesetz eine Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen kann. Darunter fällt die Baugenehmigung, die der Beigeladenen am 30.10.2017 für ihr Vorhaben erteilt worden ist. Es handelt sich um eine Zulassungsentscheidung nach § 2 Abs. 6 Nr. 1 UVPG, nämlich eine Genehmigung über die Zulässigkeit eines Vorhabens, die in einem Verwaltungsverfahren getroffen wird. Das Vorhaben war nach Anl. 1 Ziff. 18.8., 18.6 zum UVPG einer allgemeinen Vorprüfung des Einzelfalls zu unterwerfen. Nach Lage der Dinge musste eine allgemeine Vorprüfung der Umweltverträglichkeit wegen der vorhabenbedingten erheblichen Umweltauswirkungen durch den zu erwartenden Verkehr eine Umweltverträglichkeitsprüfungspflicht ergeben. Im Rahmen des Bebauungsplanverfahrens für den auf das Vorhaben der Beigeladenen bezogenen Bebauungsplan Nr. wurde ausweislich der Planbegründung eine Umweltverträglichkeitsprüfung als Umweltprüfung (vgl. § 2 Abs. 4 BauGB) durchgeführt. Auf diese Prüfung der Umweltverträglichkeit im Rahmen des Bebauungsplanverfahrens hat sich die Antragsgegnerin auch in der im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Entscheidung vom 21.6.2018 über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung unter Hinweis auf § 50 Abs. 1 Satz 2 UVPG gestützt, und ausgeführt, einer für die bauaufsichtliche Zulassung des Vorhabens bestehenden Umweltverträglichkeitsprüfungspflicht sei damit genügt.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Es liegt zwar kein Fehler im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 UmwRG, aber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein anderer Verfahrensfehler im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UmwRG vor. Die Umweltverträglichkeitsprüfung genügt unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalls in einem wesentlichen Bereich nicht den Anforderungen des § 16 Abs. 1 und 3 UVPG in Verbindung mit Anlage 4 Nr. 3. Dort wird entsprechend den Vorgaben der Richtlinie 2011/92/EU vom 13.12.2011 - UVP-Richtlinie (vgl. Art. 5 Abs. 1, Anhang IV Nr. 3 und 4) und der Richtlinie 2001/42/EG vom 27.6.2001 - des Europäischen Parlaments und des Rates - Plan-UP-Richtlinie (Art. 5, Anhang I b)) bestimmt, dass der UVP-Bericht als Zusammenfassung des Ergebnisses der Umweltverträglichkeitsprüfung bzw. Umweltprüfung auch den Zustand der Umwelt ohne Durchführung des in Rede stehenden Vorhabens (Basisszenario) darstellen soll; dies ist Grundlage für die Prognose, inwieweit das in Rede stehende Vorhaben zu erheblichen Umweltauswirkungen führt. Eine ordnungsgemäße Umweltverträglichkeitsprüfung erfasst danach mithin nicht nur die zusätzlichen Auswirkungen eines Vorhabens auf die Umwelt. Sie hat auch die bestehenden Vorbelastungen der maßgeblichen Umweltbereiche, wie etwa die möglichen Umweltauswirkungen durch bestehende Anlagen oder andere am Standort vorhandene Quellen in den Blick zu nehmen.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23.10.2017 - 8 B 709/17 -, juris; BVerwG, Beschluss vom 25.4.2018 - 9 A 16.16 -, DVBl. 2018, 1426; Mitschang, in: Schink/Reidt/Mitschang, Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz, Umweltrechtsbehelfsgesetz, Kommentar, § 50 UVPG, Rn. 51 und 61.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Diese Anforderungen sind hier nicht erfüllt. Aus den Gründen des rechtskräftigen Senatsurteils vom 12.4.2018 - 7 D 53/16.NE -, juris, ist die Verkehrslärmvorbelastung auf dem I. im Bereich des Vorhabens unzureichend ermittelt worden. Die vorgelegte Verkehrsprognose und dementsprechend der Umweltbericht bzw. UVP-Bericht gingen unter anderem für den Prognosehorizont 2018 davon aus, dass die Belastung des I1. bei Realisierung des H.‑centers nicht über 15.600 Kfz täglich steigt; dem lag die Annahme zugrunde, dass kein Verkehr von der U.-T.-Straße auf den I. verlagert werde, weil diese Straße weiterhin zur Verfügung stehe. Die nach der Vorlage des Umweltberichts und vor Erteilung der Baugenehmigung erfolgte Sperrung der U.‑T.‑Straße hätte unter den hier gegebenen Umständen zu einer erneuten Überprüfung und Bewertung der lärmbedingten Auswirkungen des Vorhabens und zu einer Änderung der Angaben im Umweltbericht führen müssen, weil nach dem vorliegenden schalltechnischen Bericht bereits im Prognose-Nullfall für das Jahr 2018 aus den Verkehrsbelastungen des I1. Beurteilungspegel deutlich über 70 dB(A) erwartet wurden. Dies hätte zudem auch eine erneute Beteiligung der Öffentlichkeit nach § 22 UVPG erfordert. Dabei handelt es sich auch im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 28.11.2017 - 7 A 17.12 -, NVwZ 2018, Beilage 1 Nr. 29,</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">um einen Fehler der äußeren Ordnung des Verfahrens. Er betrifft nicht den durch materiell-rechtliche Vorgaben gesteuerten Prozess der Willens- und Entscheidungsbildung, sondern in dem strukturierten Verfahren der Umweltverträglichkeitsprüfung die Phase der Informationsgewinnung im Vorfeld der Sachentscheidung. Entgegen der Einschätzung der Beigeladenen geht es hier mithin um einen Verfahrensfehler und nicht um inhaltliche Mängel der Umweltverträglichkeitsprüfung. Im Übrigen ist die Vorschrift im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) auszulegen. Der Gesetzgeber hat in § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UmwRG die Rechtsprechung des EuGH in der sog. Altrip-Entscheidung, EuGH, Urteil vom 7.11.2013 - Rs. C-72/12 - umsetzen wollen (vgl. BT‑Drs. 18/5927, S. 9 f.). Darin stellte der EuGH fest, dass die Mitgliedstaaten daran gehindert seien, ihre nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie allein auf die Anfechtung wegen des Unterbleibens einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu beschränken. Der Ausschluss ihrer Anwendbarkeit in dem Fall, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung zwar durchgeführt wurde, aber mit - unter Umständen schwerwiegenden - Fehlern behaftet sei, würde den Bestimmungen der Richtlinie über die Beteiligung der Öffentlichkeit weitgehend ihre praktische Wirksamkeit nehmen. Ein solcher Ausschluss liefe dem in der Richtlinie verfolgten Ziel zuwider, einen weiten Zugang zu den Gerichten zu gewähren. Dieses Ziel ist in Art. 11 Abs. 3 der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. L 26/1 vom 28. Januar 2012) normiert. Der EuGH führte weiterhin aus, dass es Sache des betreffenden Gerichts oder der betreffenden Stelle sei, u. a. den Grad der Schwere des geltend gemachten Fehlers zu berücksichtigen und dabei insbesondere zu prüfen, ob dieser Fehler der betroffenen Öffentlichkeit eine der Garantien genommen habe, die geschaffen worden seien, um ihr im Einklang mit den Zielen der Richtlinie Zugang zu Informationen und die Beteiligung am Entscheidungsprozess zu ermöglichen. Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung darf § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 b) UmwRG nicht dahingehend missverstanden werden, dass ein Verfahrensfehler nach seinem Intensitätsgrad einem faktischen Totalausfall der Umweltverträglichkeitsprüfung gleichkommen muss. Bei einem solch restriktiven Verständnis liefe die Nr. 3 im Ergebnis weitgehend leer und würde den dargestellten Vorgaben des EuGH nicht gerecht. Dieser hat vielmehr gerade zum Ausdruck gebracht, dass es nicht genügt, einen Aufhebungsanspruch nur für die Fälle einzuräumen, in denen eine Umweltverträglichkeitsprüfung nicht stattgefunden hat. Ein derart enges Verständnis würde den Bestimmungen der Richtlinie 2011/92/EU (bzw. früher der Richtlinie 85/337/EWG) über die Beteiligung der Öffentlichkeit weitgehend ihre praktische Wirksamkeit nehmen und damit im Sinne der Rechtsprechung des EuGH ihrem Zweck zuwiderlaufen. Schweregrad und Intensität des von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UmwRG erfassten Verfahrensfehlers werden weiter durch den Buchstaben c) konkretisiert. Danach muss der Verfahrensfehler „der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen“ haben. Die vergleichbare individualbezogene (vgl. die Gesetzesbegründung in BT‑Drs. 18/5927, S. 10 f.) Formulierung sieht § 4 Abs. 3 Satz 2 UmwRG vor, der regelt, wann eine natürliche Person im Sinne von § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 UmwRG die Aufhebung einer Entscheidung verlangen kann. Die gesetzliche Formulierung verkürzt allerdings die zitierte Aussage des EuGH. Dieser spricht nicht davon, dass der Fehler die Beteiligungsmöglichkeit am Entscheidungsprozess genommen haben muss, sondern dass „eine der Garantien genommen“ wird, die dazu dient, den Zugang zu Informationen und die Beteiligung am Entscheidungsprozess zu ermöglichen. Der EuGH bringt damit zum Ausdruck, dass bestimmte (inhaltliche) Garantien eingehalten werden müssen, um die Voraussetzung für einen Zugang zu Informationen sowie eine (ausreichende) Beteiligung am Entscheidungsprozess zu schaffen. Die Garantien können etwa darin bestehen, dass bestimmte grundlegende Anforderungen an die Umweltverträglichkeitsprüfung eingehalten werden, damit der Beteiligte eine hinreichende Grundlage für seine Beteiligung hat. Wird dem Beteiligten eine Verfahrensgarantie in diesem Sinne genommen, leidet das Verfahren an einem besonders schwerwiegenden Fehler, bei dem davon auszugehen ist, dass er Einfluss auf die Zulassungsentscheidung hatte und dementsprechend einen Aufhebungsanspruch begründet. Die Bestimmung der Schwere eines Fehlers hat sich demnach an den nach Unionsrecht einzuhaltenden Garantien zu orientieren, etwa an den Vorgaben des Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/92/EU für die vom Projektträger vorzulegenden Angaben. Darin werden bestimmte grundlegende Mindestanforderungen an die Umweltverträglichkeitsuntersuchung verlangt. Hierzu gehören unter anderem die notwendigen Angaben zur Feststellung und Beurteilung der Hauptauswirkungen, die das Projekt voraussichtlich auf die Umwelt haben wird. Ein Mangel hinsichtlich dieser Mindestanforderungen ist nach seiner Art und Schwere einem Unterbleiben der Umweltverträglichkeitsprüfung (Nr. 1) oder der Öffentlichkeitsbeteiligung (Nr. 2) grundsätzlich gleichzustellen, wenn der Beteiligte nur eingeschränkt in der Lage war, sich am Entscheidungsprozess zu beteiligen. Das bedeutet umgekehrt, dass es für einen Aufhebungsanspruch regelmäßig nicht genügt, wenn lediglich einzelne Aspekte der Umweltverträglichkeitsprüfung nicht mit einer hinreichenden Tiefe ermittelt, einzelne Angaben fehlerhaft, Unterlagen unzureichend oder Bewertungen fragwürdig sind. Die Öffentlichkeitsbeteiligung dient gerade dazu, derartige Fehler oder Unzulänglichkeiten der Gutachten oder der zu Grunde liegenden Untersuchungen aufzuspüren und gegebenenfalls Einwendungen zu erheben, damit die Defizite behoben werden. Sie wäre nach ihrem Sinn und Zweck entbehrlich, wenn eine in jeder Hinsicht fehlerfreie Umweltverträglichkeitsprüfung Voraussetzung für eine rechtmäßige Öffentlichkeitsbeteiligung wäre. Ob eine Verkürzung des Verfahrensrechts in diesem Sinne vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20.2.2018 - 8 B 840/17 -, NWVBl. 2018, 295, m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Der Verfahrensmangel ist danach auch nach Art und Schwere mit den in § 4 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 UmwRG genannten Fällen vergleichbar. Er führt im vorliegenden Einzelfall zu einem Ausfall eines hier wesentlichen Teils der Umweltverträglichkeitsprüfung im Sinne der vorgenannten Grundsätze. Die Problematik des vorhabenbedingten Verkehrslärms vor dem Hintergrund einer hohen Vorbelastung war eine wesentliche Frage im Rahmen der planerischen Konfliktbewältigung. Die Verkehrslärmvorbelastung zur Tagzeit lag für eine Vielzahl von Anwohnern am I. in Höhe des Vorhabens, u. a. auch für den Antragsteller, schon auf der Grundlage der Feststellungen der Antragsgegnerin, die Gegenstand des Normenkontrollverfahrens - 7 D 53/16.NE - waren, in einem Bereich, der nach den Maßstäben der Rechtsprechung die Schwelle der Gesundheitsgefahr erreicht bzw. überschreitet. Verkehrslärm, der den Wert von 70 dB(A) tags deutlich überschreitet, ist grundsätzlich nicht mehr zumutbar. Dieser Wert markiert die Schwelle gesundheitsgefährdender Lärmbelastung.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 26.4.2018 - 7 B 1459/17.NE -, BauR 2018, 1084; Urteil vom 26.11.2018 - 10 D 35/16.NE -, m. w. N. sowie BVerwG, Beschluss vom 25.4.2018 - 9 A 16.16 -, DVBl. 2018, 1426.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Der Mangel des Verfahrens im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UmwRG ist bislang nicht geheilt worden. Die Antragsgegnerin hat auf Anfrage des Senats im Beschwerdeverfahren mitgeteilt, die Durchführung eines ergänzenden Verfahrens zum Bebauungsplan sei eingeleitet, die Abwägungsmaterialien würden derzeit aktualisiert, um damit in eine erneute Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung zu gehen. Nach dem Vorbringen der Beigeladenen im Beschwerdeverfahren warten die von ihr beauftragten Gutachter auf aktualisierte Verkehrszahlen der Antragsgegnerin, diese hätten bislang nicht erstellt werden können, weil der zuständige Mitarbeiter innerhalb der Verwaltung der Antragsgegnerin wegen eines Verkehrsunfalls im Sommer mehrere Monate ausgefallen sei. Dem hat Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren nicht widersprochen.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Es erscheint aus den genannten Gründen damit zugleich nicht zweifelhaft, dass gemäß § 4 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UmwRG dem Antragsteller durch den Verfahrensfehler die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen wurde. Dem steht nicht die Erwägung des Verwaltungsgerichts im angefochtenen Beschluss entgegen, der Antragsteller habe im Bebauungsplanaufstellungsverfahren während der Öffentlichkeitsbeteiligung die Möglichkeit gehabt, sich am Entscheidungsprozess zu beteiligen, die gleiche Möglichkeit habe er im Rahmen des eingeleiteten ergänzenden Verfahrens der Heilung des Bebauungsplans. Der Verweis auf die Möglichkeit der Beteiligung im 2015 abgeschlossenen, an einem schwerwiegenden Fehler leidenden Planaufstellungsverfahren würde aus den genannten Gründen im Sinne der Rechtsprechung des EuGH den Bestimmungen der Richtlinie über die Beteiligung der Öffentlichkeit weitgehend ihre praktische Wirksamkeit nehmen, weil der Antragsteller während der Offenlage im Frühjahr 2015 keine Veranlassung hatte, zu den maßgeblichen Veränderungen der tatsächlichen Gegebenheiten Stellung zu nehmen, die erst Mitte Dezember 2015 eintraten. Die etwaige Möglichkeit im Rahmen des eingeleiteten ergänzenden Verfahrens Stellung zu nehmen, ist für das vorliegende Verfahren nicht relevant. Zweck der gesetzlichen Regelung ist es, die Beteiligung des Betroffenen vor der Zulassung des der Umweltverträglichkeitsprüfung unterworfenen Vorhabens zu sichern.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 UmwRG gilt Abs. 1 auch für den unstreitig zulässigen Rechtsbehelf des Antragstellers. Die Berufung auf § 4 UmwRG ist dem Antragsteller entgegen der Annahme der Beigeladenen nicht deshalb verwehrt, weil er gegen den Vorbescheid vom 4.5.2016 keinen Rechtsbehelf eingelegt hat. Der Vorbescheid traf keine abschließende Regelung zu den durch das Vorhaben vor dem Hintergrund der Vorbelastung durch unzumutbaren Verkehrslärm aufgeworfenen Fragen der Bewältigung der Lärmimmissionsproblematik. Die positive Beurteilung der planungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens beschränkte sich auf den dargestellten Umfang. Im Text des Vorbescheids und auch den durch grünen Zugehörigkeitsstempel zum Gegenstand der Feststellung gemachten Anlagen finden sich keine konkreten Angaben zum Umfang der vorhabenbedingten Lärmimmissionen bzw. ihrer Beurteilung vor dem Hintergrund der bestehenden Vorbelastung durch Verkehrslärm. Soweit sich in den Nebenbestimmungen einzelne Regelungen mit immissionsschutzrechtlichem Bezug finden, sollten damit ersichtlich nur solche Betriebsweisen ausgeschlossen werden, deren immissionsschutzrechtliche Unverträglichkeit für die Antragsgegnerin bereits feststand, ohne dass damit eine positive Feststellung im Übrigen verbunden gewesen wäre. Danach kann dahin stehen, ob der Vorbescheid überhaupt gegenüber dem Antragsteller Wirkung erlangt hat; dies erscheint zweifelhaft, weil der Vorgang der Antragsgegnerin nur die Übersendung der ersten vier von insgesamt sechs Seiten des Vorbescheids und eines verkleinerten Ausschnitts des Lageplans dokumentiert. Schließlich ist auch fraglich, ob eine Bestandskraft des Vorbescheids den Anspruch nach § 4 UmwRG überhaupt ausschließen könnte.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Vgl. dazu etwa OVG NRW, Urteil vom 17.6.2014 - 2 A 1434/13 u. a. -, BRS 82 Nr. 116 = BauR 2014, 1900.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Selbst wenn gemäß § 4 Abs. 1 b Satz 1 UmwRG in der Hauptsache voraussichtlich kein Anspruch auf Aufhebung der Baugenehmigung, sondern nur auf Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit besteht, ist im vorliegenden Verfahren die aufschiebende Wirkung anzuordnen.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23.10.2017 - 8 B 565/17 -, juris; Schiller, in: Landmann u. a. Umweltrecht, Loseblattkommentar, Stand April 2018, § 4 UmwRG, Rn. 89; sowie Seibert, Die Fehlerbehebung durch ergänzendes Verfahren nach dem UmwRG, NVwZ 2018, 97 ff. (103).</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Angesichts der im Hinblick auf § 4 UmwRG aufgezeigten Erfolgsaussichten der Klage lässt der Senat offen, ob ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot zulasten des Antragstellers vorliegen könnte, weil die Baugenehmigung vorhabenbedingten Gewerbelärm ungeachtet der aufgezeigten grundrechtsrelevanten Verkehrslärmbelastung am I. im Bereich des Vorhabens zulässt.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Vgl. allg. zur Sonderfallprüfung in entsprechenden Konstellationen: Feldhaus/Tegeder, TA Lärm, Kommentar, Rn. 73 zu Nr. 3.2.2 TA Lärm; sowie Hansmann, in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Loseblattkommentar, Rn. 44 ff. zu Nr. 3 TA Lärm.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Mit Blick auf die positive Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klage rechtfertigen auch andere Gesichtspunkte keine Interessenabwägung zugunsten der Antragsgegnerin bzw. der Beigeladenen.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Vgl. zur allgemeinen Interessenabwägung: OVG NRW, Beschluss vom 23.10.2017 - 8 B 709/17 -, juris, m.w.N.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Zwar kann auch bei positiven Erfolgsaussichten im Ausnahmefall von einer stattgebenden Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO abgesehen werden; das Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt, wenn der Verwaltungsakt nur aus formellen Gründen rechtswidrig ist und davon auszugehen ist, dass ein formell ordnungsgemäßer Verwaltungsakt mit identischem, rechtmäßigen Inhalt in angemessener Zeit erlassen wird.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa Saurenhaus/Buchheister, in Wysk, Verwaltungsgerichtsordnung, Kompakt-Kommentar, 2. Aufl., § 80, Rn. 50, m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Ein solcher Sachverhalt liegt hier indes aus den dargelegten Gründen nicht vor. Dass das für eine Heilung des Mangels von der Antragsgegnerin nach ihrem Vorbringen eingeleitete ergänzende Verfahren absehbar vor dem Abschluss stünde, ist nicht ersichtlich.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die von der Beigeladenen für die Konstellation der allgemeinen folgenorientierten Abwägung bei offenen Erfolgsaussichten der Hauptsache vorgetragenen Aspekte zur wirtschaftlichen Bedeutung der ungehinderten Realisierung ihres Vorhabens sind demgegenüber mit Blick auf die derzeit bestehenden Erfolgsaussichten der Klage gegen die Baugenehmigung ebenso wenig durchgreifend wie ein Interesse an der Verwirklichung von geplanten 33 Wohnungen sowie einer Quartiersgarage im Plangebiet.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Angesichts dessen kann der Senat auch offen lassen, ob im Rahmen der Interessenabwägung das Gewicht der für die Vollziehung der Baugenehmigung von der Antragsgegnerin und der Beigeladenen angeführten Interessen nicht zusätzlich dadurch gemindert wird, dass die Baugenehmigung voraussichtlich auch materiell rechtswidrig ist. Sie dürfte derzeit objektiv-rechtlich gegen Vorgaben des maßgeblichen Bebauungsplans Nr. verstoßen. Das Vorhabengrundstück liegt in einem Mischgebiet, das der Bebauungsplan Nr. festsetzt, der hier im vorläufigen Rechtsschutzverfahren mangels offensichtlicher Mängel zugrunde zu legen ist. Der Senat geht entsprechend seiner ständigen Praxis in vorläufigen Rechtsschutzverfahren von der Wirksamkeit eines Bebauungsplans aus, der nicht an offensichtlichen Mängeln leidet.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 20.6.2018 - 7 B 91/18 -, juris.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">In dem Mischgebiet ist das Vorhaben der Beigeladenen nach der Art der baulichen Nutzung nicht zulässig. Das Vorhaben umfasst als wesentlichen Bestandteil einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb (Verbrauchermarkt). Nach § 6 BauNVO dienen Mischgebiete dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören. Zulässig sind dort zwar auch Einzelhandelsbetriebe und sonstige Gewerbebetriebe. Allerdings ergibt sich schon aus der Regelung des § 11 Abs. 3 Nr. 1 und 2 BauNVO, dass großflächige Einzelhandelsbetriebe grundsätzlich sondergebiets- oder kerngebietspflichtig und deshalb nicht von den Tatbeständen des § 6 BauNVO umfasst sind.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1, § 162 Abs. 3 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG, § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG; der Senat legt für das Hauptsacheverfahren nach Nr. 7a des Streitwertkatalogs der Bausenate des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22.1.2019 (zur Veröffentlichung vorgesehen) einen Wert von 10.000 Euro zugrunde, der für das vorliegende Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß Nr. 14a des Katalogs zu halbieren ist.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar.</p>
|
188,464 | ovgnrw-2019-01-31-11-a-145815a | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 11 A 1458/15.A | 2019-01-31T00:00:00 | 2019-02-11T11:03:59 | 2019-02-13T12:21:04 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0131.11A1458.15A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Das angefochtene Urteil wird geändert.</p>
<p>Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 27. Januar 2015 wird aufgehoben.</p>
<p>Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Instanzen.</p>
<p>Der Beschluss ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.</p>
<p>Die Revision wird nicht zugelassen.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Senat entscheidet über die Berufung des Klägers nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss, weil er sie einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (vgl. § 130a VwGO). Einer Zustimmung der Beteiligten zu dieser Verfahrensweise bedarf es nicht.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Berufung hat Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">I. Die gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 27. Januar 2015 gerichtete statthafte Anfechtungsklage</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">- vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 2015 ‑ 1 C 32.14 -, BVerwGE 153, 162 = juris -</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">ist zulässig. Dem Kläger fehlt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht das dafür erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Ein solches besteht für denjenigen, der mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt. Das Rechtschutzbedürfnis fehlt hingegen, wenn die Klage für den Kläger offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann. Dabei ist jedoch kein strenger Maßstab anzulegen und das Rechtsschutzbedürfnis im Zweifel zu bejahen.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Vgl. W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke<em>,</em> VwGO, Kommentar, 24. Auflage 2018, Vorb § 40 Rn. 30 und 38, m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Ausgehend hiervon ist das Rechtsschutzbedürfnis im Fall des Klägers zu bejahen. Die Durchführung des Verfahrens ist für ihn weder mit Blick auf die von ihm wegen seines hier am 1. August 2018 geborenen deutschen Kinds nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG beantragte Aufenthaltserlaubnis nutzlos geworden (1.) noch ist das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis wegen der zuvor auf seinen Antrag erfolgten Ausstellung eines nigerianischen Nationalpasses durch die nigerianische Botschaft in C.      entfallen (2.).</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">1. Die in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids angeordnete Abschiebungsanordnung nach Belgien hat sich nicht erledigt. Denn die beantragte Aufenthaltserlaubnis ist dem Kläger bisher noch nicht erteilt worden.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">2. Die gegen Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids erhobene Klage ist nicht von vornherein aussichtslos, weil der Kläger einen nigerianischen Nationalpass beantragt und angenommen hat und ein etwaiges Asylverfahren durch die Bundesrepublik Deutschland schon deswegen nicht mehr durchzuführen wäre. Unabhängig davon, dass Gegenstand der gegen Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids erhobenen Klage die Frage ist, ob die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG vorliegen, d. h. ob der Asylantrag des Klägers deswegen unzulässig ist, weil Belgien für die Durchführung seines Asylverfahrens zuständig ist, führt die Annahme oder Erneuerung eines Nationalpasses des Ausländers nicht in jedem Fall automatisch zu einem Erlöschen seiner Rechtsstellung als Asylberechtigter bzw. Flüchtling gemäß § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylG. Vielmehr kommt diesem Verhalten eine Indizwirkung dahin zu, dass sich der Betroffene wieder unter den Schutz seines Heimatlands stellen will, die aber durch die Umstände des Einzelfalls entkräftet werden kann.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2017 - 1 C 28.16 -, BVerwGE 159, 270 = juris.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Ausgehend hiervon führt die Annahme des nigerianischen Nationalpasses durch den Kläger schon nicht „automatisch“ zum Erlöschen eines etwaigen Anspruchs auf die Anerkennung von Asyl oder die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Zudem trägt der Kläger hierzu vor, er mache keine staatliche Verfolgung, sondern eine solche durch die Boko Haram geltend. Ob und in welchem Umfang vor diesem Hintergrund eine Asylanerkennung oder Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt, bleibt daher der Prüfung in einem Asylverfahren vorbehalten, das von der Bundesrepublik Deutschland durchzuführen ist. Im Rahmen (der Zulässigkeitsprüfung einer Anfechtungsklage) des hier anhängigen Verfahrens ist jedenfalls für die Klärung dieser Frage kein Raum.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">II. Die Anfechtungsklage ist auch begründet. In dem für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) ist der Bescheid des Bundesamts vom 27. Januar 2015 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">1. Die Voraussetzungen der für die Feststellung der Unzulässigkeit des Asylantrags (Ziffer 1. des Bescheids vom 27. Januar 2015) im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) maßgeblichen Rechtsgrundlage des § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG sind nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrags für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Belgien ist nicht mehr zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers. Eine Zuständigkeit Belgiens besteht nicht mehr nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO).</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Denn wegen verspäteter Stellung des Wiederaufnahmegesuchs an C1.       ist nunmehr die Beklagte für die Durchführung des Verfahrens des Klägers zuständig (a.). Auf diesen Zuständigkeitsübergang kann sich der Kläger berufen (b.).</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">a. Das Wiederaufnahmegesuch der Beklagten an C1.       ist erst nach Ablauf der Frist des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO erfolgt. Nach dieser Vorschrift ist das Wiederaufnahmegesuch so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung i. S. d. Art. 9 Abs. 5 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 zu stellen. Die Eurodac-Treffermeldung datiert ausweislich der Verwaltungsvorgänge auf den 8. Mai 2014, das auf Art. 18 Abs. 1 b Dublin III-VO gestützte Wiederaufnahmegesuch an C1.       wurde erst am 5. August 2014 und damit nach Ablauf der Frist des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO gestellt. Selbst wenn mit dem Verwaltungsgericht davon ausgegangen würde, der Eurodac-Treffer sei der Beklagten erst am 22. Mai 2014 bekannt geworden, wäre die Zweimonatsfrist des Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO nicht eingehalten.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">b. Der Kläger kann sich auf den Ablauf der Frist für die Stellung des Wiederaufnahmegesuchs mit der Folge des Zuständigkeitsübergangs auf die Beklagte berufen. Art. 27 Abs. 1 Dublin III-VO garantiert einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz, der u. a. die Möglichkeit beinhaltet, einen Rechtsbehelf gegen eine Überstellungsentscheidung einzulegen und die Einhaltung der zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats maßgeblichen Vorschriften der Dublin III-VO zur gerichtlichen Überprüfung zu stellen. Darauf hat der Gerichtshof der Europäischen Union in Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">- Urteile vom 7. Juni 2016 - C-63/15 Ghezelbash und C-155/15 Karim -, beide juris ‑</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">hingewiesen und betont, dass sich ein Asylsuchender im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine ihm gegenüber ergangene Überstellungsentscheidung auf den Ablauf der Frist für die Stellung des Aufnahmegesuchs berufen kann, wobei dies auch dann gilt, wenn der ersuchte Mitgliedstaat zur Aufnahme des Asylbewerbers bereit ist.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 26. Juli 2017 - C-670/16 Mengesteab -, juris, Rn. 41 ff., 62.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">2. Die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG (a. F.) gestützte Abschiebungsanordnung in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids ist ebenfalls rechtswidrig. Nach den §§ 34a Abs. 1 Satz 1, 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG (n. F.) ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Abschiebung nach C1.       ist nicht durchführbar; C1.       ist nach den unter I. getroffenen Feststellungen nicht mehr zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.</p>
|
188,451 | olgce-2019-01-31-8-u-18018 | {
"id": 603,
"name": "Oberlandesgericht Celle",
"slug": "olgce",
"city": null,
"state": 11,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | 8 U 180/18 | 2019-01-31T00:00:00 | 2019-02-11T11:03:48 | 2019-02-13T12:21:04 | Urteil | <div id="dokument" class="documentscroll">
<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Berufung der Klägerin gegen das am 28. Juni 2018 verkündete Teilanerkenntnis- und Endurteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird zurückgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des insgesamt vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Revision wird zugelassen, soweit der Senat eine Verpflichtung der Bausachverständigen zur Bauteilöffnung verneint hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis zu 320.000,00 € festgesetzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>I.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin begehrt Versicherungsleistungen im Zusammenhang mit einem Gebäudeschaden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Die Parteien verbindet ein Wohngebäudeversicherungsvertrag betreffend das unter der postalischen Anschrift F. in L. belegene Einfamilienhaus zum gleitenden Neuwert. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Verbundene Wohngebäudeversicherung (VGB 2002), die Besonderen Bedingungen für die Wohngebäudeversicherung (BBW) sowie die Besonderen Bedingungen für die Versicherung weiterer Elementarschäden in der Wohngebäudeversicherung (BWE 2002) zugrunde. Hinsichtlich des Inhalts der VGB 2002 wird auf die die Anlage B 1, hinsichtlich des Inhalts der BBW wird auf die Anlage B 2 und hinsichtlich der BWE 2002 wird auf die Anlage B 3 Bezug genommen (sämtlich im Anlagenband Beklagte).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Am 2. Juni 2013 kam es im versicherten Gebäude zu einem Hochwasserschaden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin hat behauptet, dass das Gebäude durch das Hochwasser und die hierbei eingetretenen Schäden am Fundament <span style="text-decoration:underline">zerstört</span> worden sei, sodass ihr ein Anspruch auf die vollen Wiederherstellungskosten gemäß § 27 Ziffer 1 a) VGB 2002 zustehe. Auf dieser Grundlage belaufe sich der Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf 531.360,00 €. Die Beklagte hat demgegenüber behauptet, dass das Gebäude durch das Hochwasser nur <span style="text-decoration:underline">beschädigt</span> worden sei. Deshalb könne die Klägerin nur Erstattung der Reparaturkosten verlangen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Mit Urteil vom 20. August 2014 hat das Landgericht die auf Feststellung einer entsprechenden Leistungspflicht gerichtete Klage abgewiesen (Bl. 79 - 84 d. A.). Die Klage sei unzulässig, weil angesichts der Möglichkeit einer Leistungsklage kein Feststellungsinteresse bestehe. Der Senat hat seinerseits mit Urteil vom 19. März 2015 (Bl. 184 - 193 d. A.) das landgerichtliche Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur abermaligen Verhandlung und Durchführung einer Beweisaufnahme an das Landgericht zurückverwiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Nach Zurückverweisung des Rechtsstreits hat die Klägerin ergänzend vorgetragen, dass bei dem Versicherungsfall auch ihre Einbauküche zerstört worden sei und die Beklagte dementsprechend auch insoweit zur Zahlung verpflichtet sei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Im Anschluss hat die Klägerin beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">1. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, für die durch das Hochwasser am 2. Juni 2013 an dem versicherten Gebäude "F. in L." entstandenen Schäden eine bedingungsgemäße Entschädigung in Höhe der ortsüblichen Wiederherstellungskosten (einschließlich Architektengebühren sowie sonstiger Konstruktions- und Planungskosten) unter Anrechnung der Restwerte zu leisten,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt"><strong>hilfsweise</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p style="margin-left:90pt">a) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die durch das versicherte Ereignis Hochwasser am 2./3. Juni 2013 zerstörte bzw. beschädigte Küche bedingungsgemäß zu ersetzen,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p style="margin-left:90pt">b) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin das durch das versicherte Ereignis Hochwasser am 2./3. Juni 2013 zerstörte bzw. beschädigte Gebäude bedingungsgemäß zu ersetzen,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Versicherungsleistungen bedingungsgemäß zu verzinsen,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin durch die verzögerte Regulierung eingetretene Schäden zu ersetzen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte hat den Antrag zu 2 anerkannt. Den Hilfsantrag zu 1 b) hat sie unter der Bedingung anerkannt, dass die Klage insoweit zulässig ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Im Übrigen hat sie beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">die Klage abzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Das Haus sei nicht zerstört, sondern durch das Hochwasser lediglich beschädigt worden. Auf die Reparaturkosten habe sie einen Betrag in Höhe von 163.983,33 € (Restbetrag nach Abzug der Selbstbeteiligung) geleistet. Dies sei geschehen, nachdem die Klägerin der Beklagten die Reparatur des streitgegenständlichen Gebäudes durch Vorlage der entsprechenden Rechnungen nachgewiesen habe (Bl. 138 d. A.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Das Landgericht hat nach Zurückverweisung des Rechtsstreits Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 29. April 2015 (Bl. 201 - 203 d. A.) in der Fassung des Beschlusses vom 16. Juli 2015 (Bl. 216 d. A.) durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten der Sachverständigen Dipl.-Ing. R. H. vom 28. Februar 2017 Bezug genommen (in der Aktentasche). Darüber hinaus hat das Landgericht die Sachverständige angehört. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Sitzungsprotokoll vom 6. Juni 2018 Bezug genommen (Bl. 371 - 374 d. A.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Mit Teilanerkenntnis- und Endurteil vom 28. Juni 2018 hat das Landgericht die Beklagte entsprechend dem Anerkenntnis der Beklagten verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Der Antrag zu 1 sei unbegründet. Die Klägerin habe nicht bewiesen, dass das versicherte Objekt bei dem Hochwasser zerstört worden sei. Im Gegenteil sei die Sachverständige zu dem überzeugenden Ergebnis gekommen, dass das Haus reparaturfähig und reparaturwürdig sei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Den Antrag zu 2 habe die Beklagte anerkannt. Der Antrag zu 3 sei unzulässig. Die Klägerin begehre insoweit Erstattung ihres Verzugsschadens und könne diesen auch beziffern. Im Übrigen seien Voraussetzungen und Höhe des Anspruchs streitig, sodass auch bei einer antragsgemäßen Feststellung durch die Kammer nicht mit einer Leistung der Beklagten zu rechnen sei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Der Hilfsantrag zu 1 a) sei unbegründet. Die Klägerin habe nicht substanziiert vorgetragen, dass es sich bei der durch Hochwasser beschädigten Küche um eine dem Versicherungsschutz unterfallende Sache handele.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Der Hilfsantrag zu 1 b) sei unzulässig. Insoweit fehle es am Feststellungsinteresse, weil eine Leistungspflicht der Beklagten dem Grunde nach unstreitig sei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Das vom Landgericht eingeholte Gutachten sei nicht schlüssig und nachvollziehbar. Die Sachverständige habe keine Feststellungen zu etwaigen Schäden am Fundament getroffen. Entgegen den Ausführungen im landgerichtlichen Urteil sei dies auch nicht an der mangelnden Zustimmung der Klägerin gescheitert. Die Klägerin sei vielmehr ausdrücklich damit einverstanden gewesen, dass die Sachverständige in eigener Verantwortung eine Bauteilöffnung vornehme.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Im Hinblick auf den Hilfsantrag zu 1 a) habe die Klägerin vorgetragen, dass die Küche individuell gefertigt worden sei. Die Vorlage von Unterlagen sei ihr nicht möglich. Womöglich könne der benannte Zeuge aber Unterlagen zur Verfügung stellen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Soweit die Klägerin mit dem Hilfsantrag zu 1 b) Feststellung der generellen Leistungspflicht der Beklagten begehrt habe, verkenne das Landgericht, dass Verjährung drohe.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Nicht nachvollziehbar seien auch die Feststellungen des Landgerichts zum Verzugsschaden. Die Klägerin habe erstinstanzlich dargelegt, dass die Beklagte mit der von ihr geschuldeten Leistung in Verzug gesetzt worden sei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Bei der Kostenverteilung sei das Landgericht fehlerhaft von einem sofortigen Anerkenntnis der Beklagten ausgegangen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">das Urteil des Landgerichts Hannover vom 28. Juni 2018, Az. 8 O 64/14, aufzuheben und</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">1. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, für die durch das Hochwasser am 2. Juni 2013 an dem versicherten Gebäude "F. in L." entstandenen Schäden eine bedingungsgemäße Entschädigung in Höhe der ortsüblichen Wiederherstellungskosten (einschließlich Architektengebühren sowie sonstiger Konstruktions- und Planungskosten) unter Anrechnung der Restwerte zu leisten,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt"><strong>hilfsweise</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p style="margin-left:90pt">a) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die durch das versicherte Ereignis Hochwasser am 2./3. Juni 2013 zerstörte bzw. beschädigte Küche bedingungsgemäß zu ersetzen,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p style="margin-left:90pt">b) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin das durch das versicherte Ereignis Hochwasser am 2./3. Juni 2013 zerstörte bzw. beschädigte Gebäude bedingungsgemäß zu ersetzen,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_34">34</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin durch die verzögerte Regulierung eingetretene Schäden zu ersetzen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_35">35</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_36">36</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">die Berufung zurückzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_37">37</a></dt>
<dd><p>Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil. Das Gebäude sei durch das Hochwasser nicht zerstört worden, weshalb die Klägerin auch keine Entschädigung für die angebliche Zerstörung ihres Gebäudes verlangen könne. Soweit die Sachverständige von einer weitergehenden Untersuchung des Gebäudes Abstand genommen habe, sei das nur auf die Verweigerungshaltung der Klägerin zurückzuführen. Zutreffend habe das Landgericht auch von einer Beweisaufnahme über die Küche abgesehen. Soweit die Klägerin eine individuelle Anfertigung der Küche behauptet habe, sei diese Behauptung völlig inhaltsleer gewesen. Hierauf habe das Landgericht die Klägerin im Übrigen auch hingewiesen. Auch im Übrigen sei das landgerichtliche Urteil nicht zu beanstanden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_38">38</a></dt>
<dd><p>Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Übrigen und im Einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das landgerichtliche Urteil verwiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_39">39</a></dt>
<dd><p>Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen F. M. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 14. Januar 2019 Bezug genommen (Bl. 497 - 500 d. A.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>II.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_40">40</a></dt>
<dd><p>Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Der Klägerin stehen gegen die Beklagte keine weitergehenden Ansprüche gemäß § 1 Satz 1 VVG in Verbindung mit dem zwischen den Parteien zustande gekommenen Versicherungsvertrag in dem von der Klägerin geltend gemachten Umfang zu.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_41">41</a></dt>
<dd><p>Im Einzelnen:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_42">42</a></dt>
<dd><p>A. Antrag zu 1</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_43">43</a></dt>
<dd><p>1. Der auf Feststellung der Leistungspflicht der Beklagten gemäß § 1 Satz 1 VVG in Verbindung mit § 27 Ziffer 1 a) VGB 2002 gerichtete Antrag ist zulässig. Zur Begründung wird auf die Ausführungen im Senatsurteil vom 19. März 2015 (Bl. 184 - 193 d. A.) Bezug genommen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_44">44</a></dt>
<dd><p>2. Der Antrag ist allerdings unbegründet. Die Voraussetzungen eines Anspruchs gemäß § 27 Ziffer 1 a) VGB 2002 liegen nicht vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_45">45</a></dt>
<dd><p>a) Der Versicherungsfall im Sinne von § 1 Ziffer 1 BEW 2002 ist unstreitig eingetreten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_46">46</a></dt>
<dd><p>b) Leistungsverweigerungsrechte macht die Beklagte nicht geltend.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_47">47</a></dt>
<dd><p>c) Die Klägerin kann allerdings nicht die Kosten für die Wiederherstellung des Gebäudes gemäß § 27 Ziffer 1 a) VGB 2002 verlangen. Danach ersetzt der Versicherer in der gleitenden Neuwertversicherung bei zerstörten Gebäuden die ortsüblichen Wiederherstellungskosten des Gebäudes unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalls.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_48">48</a></dt>
<dd><p>Ein Gebäude ist zerstört, wenn eine Reparatur technisch nicht möglich ist oder wenn eine Reparatur wirtschaftlich unvertretbar ist. Beides hat die Klägerin nicht bewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_49">49</a></dt>
<dd><p>aa) Soweit die Klägerin eine Zerstörung des Gebäudes behauptet, hat sie eine Beschädigung des Hausfundaments vorgetragen. Dieses bestehe aus einer sog. schwarzen Wanne, also einem aus normalen Beton bestehenden Fundament mit einer Bitumendickschicht mit Unterbau (Bl. 51 d. A.). Das Hochwasser sei zwischen Wanne und Fundament eingedrungen, wobei Fundament und Sockel beschädigt worden seien. Aufgrund dessen sei eine Sanierung technisch und wirtschaftlich nicht möglich, denn dies würde eine Entfernung des Gebäudes und anschließende Wiedererrichtung erfordern (Bl. 112, 117, 119 d. A.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_50">50</a></dt>
<dd><p>Diese Behauptung hat die Klägerin nicht bewiesen. Das Landgericht hat unter Bezugnahme auf die von der Sachverständigen getroffenen Feststellungen in seinem Urteil ausgeführt, dass sich bei einer Begehung des Hauses keine Anhaltspunkte für eine Beschädigung des Fundaments ergeben hätten. Die von der Sachverständigen für erforderlich erachtete Bauteilöffnung habe die Klägerin abgelehnt. Damit sei die Klägerin für ihre Behauptung einer irreparablen Beschädigung des Fundaments beweisfällig geblieben (Bl. 382, 383 d. A.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_51">51</a></dt>
<dd><p>An diese Feststellungen ist der Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich gebunden. Das gilt nur dann nicht, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Das gilt grundsätzlich auch für Tatsachenfeststellungen, die auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens getroffen worden sind (vgl. BGH NJW 2014, 74).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_52">52</a></dt>
<dd><p>An solchen Zweifeln fehlt es im vorliegenden Fall. Die Sachverständige hat in ihrem Gutachten vom 28. Februar 2017 unter anderem ausgeführt, dass zwar in der Fassade des Hauses im Bereich des Erdgeschosses Risse vorhanden seien. Diese Risse seien aber nicht auf das Hochwasserereignis im Jahr 2013 zurückzuführen. Vielmehr handele es sich um Schwindrisse, die während und kurz nach der Bauphase entstanden seien. Daneben seien Setzungsrisse und Fugen im Bauwerk vorhanden, die aber ebenfalls nicht in einem Zusammenhang mit dem Versicherungsfall stünden. Lediglich die Perimeter-Dämmplatten im Bereich des Sockels an der West-, Ost- und Südfassade hätten sich durch eingedrungenes Wasser und nachfolgenden Frost gelöst. Die mit einer Reparatur verbundenen Kosten würden sich aber auf gerade einmal 6.558,00 € netto belaufen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_53">53</a></dt>
<dd><p>Diese Feststellungen begegnen keinen Bedenken und auch die Klägerin hat erstinstanzlich hiergegen keine Einwände erhoben. Dasselbe gilt für die von der Sachverständigen für eine eingehendere Untersuchung des Fundaments für erforderlich erachtete, tatsächlich aber nicht durchgeführte Bauteilöffnung. Zu dieser Bauteilöffnung war die Sachverständige nicht verpflichtet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_54">54</a></dt>
<dd><p>Die Sachverständige hat die Parteien bereits mit Schreiben vom 3. Dezember 2015 (Bl. 240, 241 d. A.) darauf hingewiesen, dass die beweispflichtige Partei für den geplanten Ortstermin Handwerker zur Verfügung stellen müsse, damit diese die erforderlichen Arbeiten für das Öffnen und Freilegen der zu untersuchenden Bauteile nach Angabe der Sachverständigen ausführen könnten. Mit Schreiben vom 11. Dezember 2015 (Bl. 243, 244 d. A.) hat die Sachverständige diese Vorgabe weiter präzisiert. Unter anderem heißt es in diesem Schreiben:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_55">55</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">"Das Öffnen, Freilegen und Schließen von Bauteilen kann dabei in jedem Fall nur auf alleinige Gefahr der beweisführenden Partei geschehen. Für die Arbeiten, Messungen usw. kann die Sachverständige keine Haftung übernehmen."</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_56">56</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin hat der Sachverständigen daraufhin mit Schreiben vom 23. August 2018 (Bl. 293 d. A.) mitgeteilt, dass sie keine Bauteilöffnung vornehmen werde.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_57">57</a></dt>
<dd><p>Damit ist die Klägerin insoweit beweisfällig geblieben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_58">58</a></dt>
<dd><p>Ob ein Sachverständiger zu einer Bauteilöffnung in eigener Verantwortung und auf eigenes Risiko verpflichtet ist, wird in der Rechtsprechung uneinheitlich beantwortet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_59">59</a></dt>
<dd><p>Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass der Sachverständige auch zu Bauteilöffnungen verpflichtet sei, wenn nur so die Beweisfrage beantwortet werden könne. Zur Begründung wird angeführt, dass § 404 a Abs. 1 ZPO eine umfassende Weisungsbefugnis des Gerichts gegenüber dem Sachverständigen enthalte (vgl. OLG Celle, 4. Senat, BauR 1998, 1281; OLG Karlsruhe IBR 2018, 599). Eine solche Weisungsbefugnis umfasse auch die Bauteilöffnung. Denn es sei die ureigenste Aufgabe eines Sachverständigen, die Grundlagen für die Erstattung des Gutachtens zu schaffen. Er habe zu beurteilen, was dazu erforderlich sei und habe seine Hilfsperson entsprechend anzuleiten (vgl. OLG Celle, 5. Senat, MDR 2017, 422). Die Konzentration auch vorbereitender Maßnahmen in der Person des Sachverständigen sei praktikabel und führe am ehesten zu effizienten Ergebnissen (vgl. Thüringer Oberlandesgericht ZfIR 2007, 253). Dem Sachverständigen würden auch keine Haftungsfolgen aufgebürdet, die über den normalen Umfang der ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Berufspflichten hinausgingen (vgl. OLG Frankfurt BauR 1998, 231).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_60">60</a></dt>
<dd><p>Die Gegenmeinung hält dem entgegen, dass es nach dem Beibringungsgrundsatz Aufgabe der Parteien sei, dem gerichtlich bestellten Sachverständigen die Ausführung seiner gutachterlichen Tätigkeit zu ermöglichen (vgl. OLG Schleswig BauR 2018, 1772; OLG Düsseldorf BauR 2016, 299; OLG Hamm IBR 2007, 160). Soweit eine Partei die Bauteilöffnung vornehmen könne, sei diese deshalb auch nicht erforderlich im Sinne von § 404 a Abs. 4 ZPO (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 21. November 2013, Az. 3 W 30/13; OLG Bamberg BauR 2002, 829). Der Eingriff in die Substanz des zu begutachtenden Objekts gehöre für den Gutachter weder zu seiner Ausbildung noch zum eigentlichen Zuschnitt seines Gewerkes (vgl. OLG Frankfurt DS 2018, 215). Die Bauteilöffnung führe unter Umständen auch zu einem nicht unerheblichen Haftungsrisiko des Gutachters. Im Falle der Beauftragung eines Handwerksbetriebes würde dem Sachverständigen zudem dessen Insolvenzrisiko aufgebürdet, was nicht sachgerecht wäre (vgl. OLG Rostock BauR 2003, 757). Überdies führe die Verpflichtung des Sachverständigen zur Ausführung substanzverletzender Eingriffe zu einer grundrechtsrelevanten Indienstnahme Privater im Hinblick auf die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben. Ein gerichtliches Weisungsrecht sei hieran gemessen nicht verhältnismäßig (vgl. OLG Schleswig a. a. O.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_61">61</a></dt>
<dd><p>Jedenfalls im vorliegenden Fall schließt sich der Senat der zweiten Auffassung an.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_62">62</a></dt>
<dd><p>Eine generelle Pflicht des Sachverständigen zur Durchführung von Bauteilöffnungen kann weder dem Gesetz noch dem allgemeinen Pflichtenkreis des Sachverständigen entnommen werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_63">63</a></dt>
<dd><p>Soweit die Pflicht des Sachverständigen zur Bauteilöffnung teilweise auf § 404a Abs. 1 ZPO gestützt wird, kann ein solcher Regelungsumfang der Gesetzesbegründung nicht entnommen werden. Danach beabsichtigte der Gesetzgeber mit der Regelung vielmehr, Ablehnungsanträgen der Parteien durch klare Vorgaben des Gerichts vorzubeugen (Seite 39 BT-Drucks. 11/3621). Dass der Gesetzgeber mit der Bestimmung auch eine Konkretisierung des Pflichtenkreises des Sachverständigen beabsichtigte, ergibt sich aus der Gesetzesbegründung hingegen nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_64">64</a></dt>
<dd><p>In diesem Zusammenhang kann auch nicht dem Argument zugestimmt werden, die Bauteilöffnung sei die ureigenste Aufgabe des Sachverständigen. Die Aufgabe des Sachverständigen ist gemäß § 407 ZPO die Erstellung eines Gutachtens. Dementsprechend muss der Sachverständige primär eine analytische Tätigkeit entfalten, nicht aber auch handwerkliche Leistungen erbringen (vgl. Bruns, BauR 2015, 183 [185]). Auch hat der Sachverständige gemäß § 407a Abs. 1 Satz 1 ZPO nach Erteilung des Gutachtenauftrags lediglich zu prüfen, ob der Auftrag in sein <span style="text-decoration:underline">Fach</span>gebiet fällt. Die etwaige Fähigkeit zur Vornahme etwaiger vorbereitender Maßnahmen wird in der Norm hingegen nicht erwähnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_65">65</a></dt>
<dd><p>Entscheidend ist nach Auffassung des Senats vielmehr, dass die Verpflichtung des Sachverständigen öffentlich-rechtlicher Natur ist (vgl. BGH VersR 2003, 1049; BGH NJW 1976, 1154; BGH NJW 1973, 554; Zimmermann in Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl., § 404a, Rn. 2; Scheuch in BeckOK ZPO, Stand: 01.12.2018, § 404a, Rn. 1). Deshalb unterliegt auch das Weisungsrecht des Gerichts gemäß § 404a Abs. 1 Satz 1 ZPO den im Öffentlichen Recht geltenden allgemeinen Rechtsgrundsätzen und hier insbesondere dem Übermaßverbot. Dementsprechend setzt die Erteilung von Weisungen durch das Gericht regelmäßig eine Abwägung zwischen den Interessen der beweispflichtigen Partei einerseits und den mit einer Durchführung des Gutachtenauftrags für den Sachverständigen verbundenen Anforderungen voraus. Insbesondere kommt hierbei dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn besondere Bedeutung zu (vgl. Grzeszick in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 84. EL, Art. 20, Rn. 117). Ob eine Maßnahme für den Betroffenen zumutbar ist, kann nur auf der Grundlage einer einzelfallbezogenen Abwägung zwischen dem Nutzen der Maßnahme und den durch die Maßnahmen herbeigeführten Beeinträchtigungen beurteilt werden (vgl. Grzeszick a. a. O.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_66">66</a></dt>
<dd><p>Soweit es um die Bauteilöffnung des Fundaments als vorbereitende Maßnahme für eine Begutachtung geht, sprechen gegen ein Weisungsrecht des Senats die mit einer solchen Maßnahme für den Sachverständigen regelmäßig verbundenen Haftungsrisiken. Denn die nicht zerstörungsfreie Untersuchung des Hausfundaments birgt die Gefahr, dass die Horizontal- oder Vertikalsperre beschädigt wird. Dieses Risiko kann auch unter Hinweis auf die Sachkunde des Sachverständigen nicht von vornherein von der Hand gewiesen werden. Denn der Sachverständige wird die Bauteilöffnung im Regelfall nicht in eigener Person durchführen können, sondern sich insoweit eines Fachunternehmens bedienen müssen. Mit der Einschaltung dritter und möglicherweise nicht gleichermaßen fachkundiger Personen ist aber immer die Gefahr verbunden, dass diesen Personen Fehler unterlaufen und zwar auch bei einer sorgfältigen Überwachung durch den Sachverständigen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_67">67</a></dt>
<dd><p>Dass der Sachverständige im Fall einer Inanspruchnahme durch den Geschädigten gemäß § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB den Versuch des Entlastungsbeweises unternehmen kann, heißt nicht, dass ihm dieser Beweis auch gelingt. Denn insbesondere bei der Überwachung der mit der Bauteilöffnung beauftragten Personen ist der Umfang der insoweit erforderlichen Sorgfalt häufig eine Wertungsfrage, die letztlich erst von den Gerichten entschieden werden kann.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_68">68</a></dt>
<dd><p>Auch dass Sachverständige etwa im Fall einer zusätzlichen Qualifikation als Ingenieur häufig haftpflichtversichert sind, vermag das mit einer Bauteilöffnung verbundene Risiko nicht in einem relevanten Umfang einzuschränken. Denn die Muster-AVB des GDW für die Besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Berufshaftpflichtversicherung von Architekten, Bauingenieuren und Beratenden Ingenieuren mit Stand Februar 2016 (BBR Arch) sehen keinen Versicherungsschutz für Tätigkeiten vor, die über das im Versicherungsschein beschriebene Berufsbild hinausgehen. Insbesondere gilt das für eigene Bauleistungen des Versicherungsnehmers, vgl. A. Ziff. 1.2.1 b) BBR Arch. Hinzu kommt, dass der Eintritt eines Versicherungsfalls und die nachfolgende Inanspruchnahme des Versicherers diesen wiederum gemäß § 92 Abs. 1 VVG zur anschließenden Kündigung des Versicherungsvertrags berechtigten. Die Wiedererlangung des Versicherungsschutzes bei einem anderen Versicherer ist aber regelmäßig (wenn überhaupt) nur gegen Zahlung höherer Prämien zu erhalten. Auch dies ist ein Risiko, das dem Sachverständigen regelmäßig nicht zugemutet werden kann.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_69">69</a></dt>
<dd><p>Schließlich folgt ein hinreichender Schutz des Sachverständigen vor einer Inanspruchnahme des Geschädigten auch nicht aus Art. 34 Satz 1 GG. Zwar kommt es danach bei einer Amtspflichtverletzung zu einer Haftungsverlagerung auf den Staat. Allerdings übt ein vom Gericht beauftragter Sachverständiger keine öffentliche Gewalt für das Gericht aus (vgl. BGH NJW 1973, 554). Dementsprechend scheidet ein Anspruchsübergang im Fall eines durch den Sachverständigen oder ein von ihm beauftragtes Unternehmen verursachten Sachschadens regelmäßig aus (vgl. BGH a. a. O.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_70">70</a></dt>
<dd><p>Im Gegenzug kann ein überwiegendes Interesse der Klägerin an einer Bauteilöffnung durch den Sachverständigen nicht festgestellt werden. Ein etwaiges Kosteninteresse kann die Klägerin für sich bereits deshalb nicht ins Feld führen, weil die mit einer Bauteilöffnung verbundenen Kosten ohnehin zunächst von ihr zu tragen sind, § 17 Abs. 1 GKG. Auch das Risiko etwaiger, mit einer Bauteilöffnung verbundener weitergehender Schäden besteht unabhängig von der Durchführung im Auftrag der Klägerin oder im Auftrag des Sachverständigen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_71">71</a></dt>
<dd><p>Zwar steht der Klägerin im Fall einer Bauteilöffnung durch den Sachverständigen und hiermit verbundener weitergehender Schäden neben dem ausführenden Handwerker in der Person des Sachverständigen ein weiterer Schuldner zur Verfügung (vgl. Spindler in: BeckOGK BGB, Stand: 01.07.2018, § 831 Rn. 71). Der Vorteil eines zweiten Gesamtschuldners besteht aber ausschließlich in der Reduzierung eines etwaig bestehenden Insolvenzrisikos. Dieses Insolvenzrisiko besteht für den Sachverständigen nach einer etwaigen Verurteilung zur Zahlung von Schadensersatz und einer nachfolgenden Inanspruchnahme des mit der Bauteilöffnung beauftragten Fachunternehmers im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs gemäß § 426 BGB jedoch gleichermaßen. Es ist aber nicht nachvollziehbar, weshalb dieses Insolvenzrisiko einseitig der Sachverständige tragen soll.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_72">72</a></dt>
<dd><p>Auch im Übrigen erfährt die Klägerin durch eine Bauteilöffnung auf eigene Veranlassung keine relevanten Rechtsnachteile. Insbesondere wird sie hierdurch nicht an der ihr obliegenden Beweisführung gehindert.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_73">73</a></dt>
<dd><p>Unter diesen Umständen haben weder das Landgericht noch der Senat die Sachverständige zu einer Bauteilöffnung in eigener Zuständigkeit verpflichten dürfen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_74">74</a></dt>
<dd><p>Nur höchst vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass bereits das Landgericht diesen Rechtsstandpunkt vertreten und die Parteien hierauf hingewiesen hat. Mit Faxschreiben vom 23. August 2016 (Bl. 292 d. A.) hat die Sachverständige dem Gericht mitgeteilt, dass die Klägerin keine Bauteilöffnung vornehmen werde. Deshalb bitte die Sachverständige um eine entsprechende Weisung durch das Gericht. Die Vorsitzende hat der Sachverständigen daraufhin mitgeteilt, dass</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_75">75</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">"das Gericht eine Partei nicht anweisen kann, eine Bauteilöffnung vorzunehmen. Sollte sich der Sachverhalt ohne Bauteilöffnung nicht aufklären lassen, vermerken Sie dies bitte in Ihrem Gutachten; es müsste dann ggf. nach Beweislast entschieden werden." (Bl. 293 R d. A.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_76">76</a></dt>
<dd><p>Durch dieses den Parteivertretern in Abschrift übermittelte Schreiben hat das Landgericht seine Rechtsauffassung klar zu erkennen gegeben. Zwar hat das Landgericht die Anfrage der Sachverständigen erkennbar lediglich als Bitte um eine isolierte Anweisung der Klägerin verstanden, nicht aber als Bitte um eine Anweisung der Sachverständigen. Allerdings ist kurz vorher eine entsprechende explizite Aufforderung des Klägervertreters eingegangen (Bl. 290 d. A.). Dementsprechend ist durch dieses Schreiben für die Klägerin erkennbar geworden, dass das Landgericht auch für eine Anweisung der Sachverständigen zur Bauteilöffnung keine Veranlassung sieht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_77">77</a></dt>
<dd><p>Letztlich kommt es hierauf aber nicht entscheidend an, denn auch im Berufungsverfahren ist die Klägerin von ihrem Standpunkt nicht abgerückt und hat sich insbesondere nicht zu einer durch sie selbst veranlassten Bauteilöffnung bereit erklärt. Dementsprechend kann auch dahingestellt bleiben, ob eine entsprechende Bereitschaft der Klägerin im Berufungsverfahren überhaupt noch zu berücksichtigen wäre oder ob es sich hierbei um ein Angriffsmittel gehandelt hätte, das bereits erstinstanzlich hätte unterbreitet werden müssen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_78">78</a></dt>
<dd><p>bb) Auch einen wirtschaftlichen Totalschaden hat die Klägerin nicht bewiesen. Das Landgericht ist abermals auf der Grundlage des eingeholten Sachverständigengutachtens zu dem Ergebnis gelangt, dass mit der Reparatur des Hauses Kosten in Höhe von 164.599,59 € netto bzw. 195.873,51 € brutto verbunden seien. Dem stehe ein Zeitwert des Gebäudes in Höhe von 384.156,00 € gegenüber.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_79">79</a></dt>
<dd><p>Auch insoweit begegnen die Feststellungen des Landgerichts keinen Bedenken. Soweit die Beklagte ihrerseits Einwände gegen die Höhe der Reparaturkosten erhoben hat, ist dies für den Rechtsstreit ohne Relevanz. Anhaltspunkte für weitergehende Reparaturkosten oder auch eine fehlerhaft zu hohe Ermittlung des Zeitwerts bestehen hingegen nicht und werden auch von der Klägerin mit Ausnahme der von ihr behaupteten Schäden am Fundament nicht aufgezeigt. Soweit es aber die Schäden am Fundament betrifft, ist die Klägerin beweisfällig geblieben (s. o.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_80">80</a></dt>
<dd><p>Die Ausführungen der Beklagten in der Berufungsbegründung führen nicht zu einer abweichenden Würdigung. Die Klägerin vertritt lediglich weiterhin die Auffassung, dass die Sachverständige zu einer Bauteilöffnung in eigener Zuständigkeit hätte angehalten werden müssen. Eine Bauteilöffnung in eigener Verantwortung hat die Klägerin hingegen ausdrücklich abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_81">81</a></dt>
<dd><p>B. Hilfsantrag zu 1 a)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_82">82</a></dt>
<dd><p>Der Klägerin steht gegen die Beklagte auch kein Anspruch gemäß § 1 Satz 1 VVG in Verbindung mit § 1 Nr. 2 a) VGB 2002 wegen der an der vorhandenen Einbauküche entstandenen Schäden zu.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_83">83</a></dt>
<dd><p>Gemäß § 1 Nr. 2 a) VGB 2002 sind solche Einbaumöbel bzw. Einbauküchen mitversichert, die nicht serienmäßig produziert, sondern individuell für das Gebäude raumspezifisch geplant und gefertigt sind.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_84">84</a></dt>
<dd><p>Die Abgrenzung von individuell für das Gebäude raumspezifisch geplanten und gefertigten Einbauküchen erfolgt vor dem Hintergrund, dass die Wohngebäudeversicherung typischerweise das Risiko von Substanzschäden des Gebäudes abdeckt, während die Hausratversicherung die Einrichtung des Gebäudes umfasst (vgl. OLG Saarbrücken VersR 2012, 1029; OLG Saarbrücken VersR 1996, 97; OLG Köln, NJW-RR 1993, 861). Dementsprechend erfasst § 1 Nr. 2 a) VGB 2002 nur solche Einbauküchen, bei denen bei natürlicher Betrachtungsweise von einer Einheit zwischen Gebäude und Einbaumöbeln/-küchen auszugehen ist, weil diese individuell für das Gebäude gefertigt worden sind und deshalb jedenfalls nicht ohne größeren Aufwand von ihrem Standort zu trennen und an anderer Stelle wiederzuverwenden wären (vgl. OLG Saarbrücken VersR 2012, 1029).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_85">85</a></dt>
<dd><p>Dabei ist nicht auf die Anpassung der Küche in ihrer Gesamtheit abzustellen, denn insoweit erfolgt immer eine Orientierung am vorhandenen Raumangebot und eine Anpassung durch den zusätzlichen Einbau von Blenden und Arbeitsfläche. Entscheidend ist vielmehr, ob die Einzelelemente der Küche in Gestalt von Schränken, Theken, Regalen pp. serienmäßig gefertigt oder individuell angepasst werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_86">86</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin hat sich auf die Behauptung beschränkt, dass die Küche vom Küchenstudio M. individuell geplant, gefertigt und eingebaut worden sei (Bl. 73 d. A.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_87">87</a></dt>
<dd><p>Diese Behauptung hat der vom Senat vernommene Zeuge M. indes nicht bestätigt. Der Zeuge hat vielmehr ausgesagt, die einzelnen Elemente (Korpusteile) der Küche nach dem Katalog des Küchenherstellers bestellt und eingebaut zu haben. So sei er auch im Jahr 2014 nach dem streitgegenständlichen Wasserschaden erneut verfahren. In diesem Zusammenhang hat der Zeuge ergänzend ausgesagt, im Jahr 2014 einzelne Bestandteile der Küche individuell angefertigt zu haben. Das gelte für die Arbeitsplatten, die Abdeckplatte auf der Bar, das abgehängte Bord über der Bar sowie die Fußleisten unterhalb der Küchenelemente und unterhalb des Barelementes. Außerdem habe er für den Sockel der Bar eine speziell mit dem Fußboden verbundene Sonderkonstruktion fertigen müssen. Ob der Zeuge diese Arbeiten auch bereits bei erstmaligem Einbau der Küche vornahm, hat er nicht mehr angeben können. Doch selbst wenn das der Fall gewesen sein sollte, würde sich dadurch am Charakter einer nicht der Gebäudeversicherung unterfallenden Einbauküche nichts ändern. Vielmehr handelt es sich bei diesen Anpassungen um Arbeiten, die bei jeder Einbauküche in gewissem Umfang vorgenommen werden müssen, um den vorhandenen Raumangebot Rechnung zu tragen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_88">88</a></dt>
<dd><p>C. Hilfsantrag zu 1 b)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_89">89</a></dt>
<dd><p>Soweit die Klägerin mit diesem Antrag Feststellung der generellen Leistungspflicht der Beklagten aufgrund des streitgegenständlichen Elementarschadensereignisses begehrt, hat das Landgericht den Antrag zutreffend als unzulässig bewertet. Die Leistungspflicht der Beklagten dem Grunde nach steht außer Streit. Demzufolge besteht kein Interesse der Klägerin an einer entsprechenden Feststellung, § 256 Abs. 1 ZPO. Etwas anderes gilt auch nicht im Hinblick auf die Gefahr einer etwaigen Verjährung des Leistungsanspruchs.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_90">90</a></dt>
<dd><p>Das Interesse an einer alsbaldigen Feststellung besteht, wenn eine tatsächliche Unsicherheit ein Rechtsverhältnis nach Art und Umfang gefährdet (BGH NJW 92, 437). Ein solches Feststellungsinteresse ist jedoch regelmäßig zu verneinen, wenn ein Anerkenntnis vorliegt und darüber hinaus eine Verjährung von Ansprüchen nicht droht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_91">91</a></dt>
<dd><p>Im vorliegenden Fall hat die Beklagte nach Einführung des Hilfsantrags in den Rechtsstreit explizit darauf hingewiesen, ihre Leistungspflicht dem Grunde nach nicht zu bestreiten. Hierin ist ein Anerkenntnis zu sehen mit der Folge eines Neubeginns der Verjährungsfrist gemäß § 212 BGB. Damit droht eine Verjährung des Leistungsanspruchs dem Grunde nach nicht vor April 2020 (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 22. Dezember 2016, Az. 9 U 198/15).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_92">92</a></dt>
<dd><p>D. Antrag zu 2</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_93">93</a></dt>
<dd><p>Insoweit begehrt die Klägerin die Feststellung, dass die Beklagte zur Erstattung des durch die verspätete Regulierung verbundenen Schadens verpflichtet ist. Auf entsprechende Nachfrage des Landgerichts zur Höhe des insoweit anzusetzenden Streitwerts hat die Klägerin auf die angefallenen Anwaltskosten in Höhe von 2.858,38 € verwiesen (Bl. 306 d. A.). Insoweit können dem Klägervortrag aber die Voraussetzungen für einen entsprechenden Anspruch dem Grunde nach nicht entnommen werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_94">94</a></dt>
<dd><p>Der Anspruch auf Erstattung einer Geschäftsgebühr im Sinne von Nr. 2300 VV RVG setzt eine Anspruchsgrundlage voraus, die sich außerhalb deliktischer Ansprüche in der Regel aus Verzug gemäß §§ 280, 286 BGB ergibt. Darüber hinaus setzt die Erstattungsfähigkeit der Anwaltsgebühren als materieller Schaden voraus, dass die Beauftragung des Rechtsanwalts mit der vorgerichtlichen Tätigkeit erforderlich und zweckmäßig war (vgl. BGH NJW 2012, 919).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_95">95</a></dt>
<dd><p>1. Insoweit ist bereits nicht erkennbar, welcher Anspruch der Klägerin Gegenstand der Mandatierung war. Dementsprechend ist auch nicht erkennbar, ob eine Hauptforderung existiert, mit deren Befriedigung die Beklagte in Verzug hätte geraten können.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_96">96</a></dt>
<dd><p>2. Darüber hinaus bestehen keine Anhaltspunkte, dass sich die Beklagte bei erstmaliger Mandatierung des Klägervertreters im September 2013 (vgl. Bl. 346 d. A.) mit irgendeiner von ihr geschuldeten Leistung bereits in Verzug befand und dass es sich bei den vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten deshalb um einen kausal auf diesem Verzug beruhenden Schaden handelt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_97">97</a></dt>
<dd><p>Um einen Schuldner mit der von ihm geschuldeten Leistung in Verzug zu setzen, bedarf es außerhalb der Fälle des § 286 Abs. 2 BGB einer Mahnung. Dass die Klägerin die Beklagte aber nach Fälligkeit eines bestehenden Anspruchs und noch vor Mandatierung des Klägervertreters zur Zahlung aufforderte, kann weder dem Parteivortrag noch den eingereichten vorgerichtlichen Schreiben entnommen werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_98">98</a></dt>
<dd><p>Eine Mahnung war auch nicht ausnahmsweise gemäß § 286 Abs. 2 BGB entbehrlich. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte, dass die Beklagte die von ihr geschuldete Leistung noch vor Beauftragung des Klägervertreters gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB ernsthaft und endgültig verweigert hatte. An das Vorliegen einer endgültigen Erfüllungsverweigerung sind im Hinblick auf den Zweck der Fristsetzung strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BGH NJW-RR 1993, 139; BGH NJW 1986, 661). Der Schuldner muss die Erfüllung des Vertrages gegenüber dem Gläubiger unmissverständlich, endgültig und ernstlich ablehnen, sodass für den Gläubiger nicht mehr zweifelhaft sein darf, dass er unter keinen Umständen mehr mit einer freiwilligen Leistung rechnen kann. Der Schuldner muss eindeutig und gewissermaßen als "sein letztes Wort" den Willen zum Ausdruck gebracht haben, dass er seine Vertragspflichten nicht erfüllen werde (vgl. BGH NJW 2013, 1431).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_99">99</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin hat kein Schreiben der Beklagten eingereicht, das als letztes Wort der Beklagten verstanden werden könnte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_100">100</a></dt>
<dd><p>In der Berufungsbegründung hat die Klägerin zwar vorgetragen, dass sie die Beklagte bereits vor Mandatierung des Klägervertreters zur Zahlung an den Grundschuldgläubiger aufgefordert habe. Die Beklagte hat diesen Vortrag aber bereits erstinstanzlich bestritten (Bl. 331 d. A.). Einen Beweis für ihre Behauptung hat die Klägerin aber nicht angeboten und insbesondere auch nicht die angeblichen Mahnschreiben von August, September und Oktober 2013 vorgelegt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>III.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_101">101</a></dt>
<dd><p>1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Eine Abänderung der landgerichtlichen Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Ob das erstinstanzliche Anerkenntnis der Beklagten ein sofortiges Anerkenntnis im Sinne von § 93 ZPO ist, kann dahingestellt bleiben. Dieses Anerkenntnis bezieht sich lediglich auf eine Nebenforderung, die gemäß § 43 Abs. 1 GKG den Streitwert nicht erhöht und dementsprechend auch keine isolierten Kosten verursacht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_102">102</a></dt>
<dd><p>2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_103">103</a></dt>
<dd><p>3. Der Senat hat die Revision zugelassen. Der Senat verneint jedenfalls im vorliegenden Fall die Pflicht der Sachverständigen zur Vornahme einer Bauteilöffnung und weicht damit von einem tragenden abstrakten Rechtssatz anderer Oberlandesgerichte ab. Damit liegt ein Fall der Divergenz im strengen Sinne gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_104">104</a></dt>
<dd><p>4. Der für das Berufungsverfahren maßgebliche Streitwert orientiert sich allein am Hauptantrag zu 1. Diesen Antrag bewertet der Senat mit 293.901,34 €. Der Antrag zu 1 ist auf Erstattung der Wiederherstellungskosten aufgrund einer vollständigen Zerstörung des Gebäudes gerichtet. Die Klägerin hat die Wiederherstellungskosten insgesamt mit 531.360,00 € beziffert (Bl. 7 d. A.). Abzüglich der von der Beklagten bereits erbrachten Zahlungen in Höhe von 158.983,33 € und abzüglich des Selbstbehalts in Höhe von 5.000,00 € verbleibt ein Betrag in Höhe von 367.376,67 €. Abzuziehen ist schließlich noch der Feststellungsabschlag, den der Senat mit 20% bemisst.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_105">105</a></dt>
<dd><p>Die Hilfsanträge wirken sich demgegenüber nicht streitwerterhöhend aus. Dem Vortrag der Klägerin können keine Anhaltspunkte entnommen werden, dass der Schaden an der Einbauküche nicht bereits vom Hauptantrag zu 1 erfasst wird. Wenn es sich aber bei dem Anspruch auf Erstattung der an der Einbauküche entstandenen Schäden um eine bereits in den Wiederherstellungskosten enthaltene Rechnungsposition handelt, besitzt der Hilfsantrag zu 1 a) keine über die geltend gemachten Wiederherstellungskosten hinausgehende wirtschaftliche Bedeutung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_106">106</a></dt>
<dd><p>Die weiteren Ansprüche betreffen Nebenforderungen im Sinne von § 43 Abs. 1 GKG, die den Streitwert nicht erhöhen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_107">107</a></dt>
<dd><p>Dementsprechend errechnet sich der Streitwert für das Berufungsverfahren wie folgt:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_108">108</a></dt>
<dd><table class="Rsp">
<tr><th colspan="3" rowspan="1"></th></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left">Wiederherstellungskosten ...................................................</p></td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left">531.360,00</p></td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left">€       </p></td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left">abzgl. bereits geleistete Zahlungen ....................................</p></td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left">-158.983,33</p></td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left">€       </p></td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left">abzgl. Selbstbehalt ..............................................................</p></td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left">-5.000,00</p></td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left">€       </p></td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left">abzgl. Feststellungsabschlag von 20 % ..............................</p></td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left">-73.475,33</p></td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left">€       </p></td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left">Gesamt ................................................................................</p></td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left">293.901,34</p></td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left">€       </p></td>
</tr>
</table></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText">
<p style="margin-top:24px"> </p>
<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
<p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=KORE204382019&psml=bsndprod.psml&max=true</p>
</div>
</div>
|
|
180,270 | lg-munchen-ii-2019-01-31-7-o-1446117 | {
"id": 268,
"name": "Landgericht München II",
"slug": "lg-munchen-ii",
"city": 188,
"state": 4,
"jurisdiction": "Ordentliche Gerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": "Landgericht"
} | 7 O 14461/17 | 2019-01-31T00:00:00 | 2019-02-07T14:19:18 | 2019-02-13T12:21:04 | Endurteil | <h2>Tenor</h2>
<div>
<p>1. Die Klage wird abgewiesen.</p>
<p>2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.</p>
<p>3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.</p>
</div>
<h2>Tatbestand</h2>
<div>
<p><rd nr="1"/>Die Klägerin nimmt die Beklagtenseite wegen Verletzung ihrer Rechte aus dem nationalen Teil des europäischen Patents 806 auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Rückruf und Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch.</p>
<p>A. Zu den Parteien</p>
<p><rd nr="2"/>Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin (K (E) 3) des europäischen Patents 806 (im Folgenden: Klagepatent, K (E) 1) mit dem Titel Verfahren und Vorrichtung zur Kommunikationskanalauswahl.</p>
<p><rd nr="3"/>Die Beklagte ist eine USamerikanische Gesellschaft mit Sitz in Kalifornien. Sie ist das Mutterunternehmen der P. -Gruppe und entwickelt, vertreibt und stellt u.a. mobile Computer und Kommunikationsgeräte her, die unter den Marken x und y vertrieben werden.</p>
<p>B. Klagepatent</p>
<p><rd nr="4"/>Das Klagepatent wurde am 20.11.2006 unter Inanspruchnahme der Priorität vom 28.11.2005 (US …506) angemeldet. Der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents wurde am 30.03.2016 veröffentlicht.</p>
<p><rd nr="5"/>Patentanspruch 8 lautet im englischen Original wie folgt:</p>
<p>„8. A communication terminal (10) comprising:</p>
<p>a communication controller (63) including a transceiver device for transmitting signals over a communication link; a user interface including a display and an input interface; an input detection device (61) configured to sense input of letters by a user in a standby screen, representing a title for a second communication terminal; a title memory; a data retrieving mechanism (65), configured to retrieve information associated with the title of the second communication terminal and connected to a display control device (62) for presenting the retrieved information on the display and the data retrieving mechanism (65) is configured to retrieve information related to selectable communication channels usable for communicating with the second communication terminal;</p>
<p>characterised in that the display control device (62) is configured to present, on the display, a plurality of selectable items (152-157) only representing the usable communication channels, responsive to sensing of input of the title; wherein once the user starts to type letters, the display control device (62) is configured to present the different usable communication channels for selection.“</p>
<p><rd nr="6"/>Patentanspruch 8 lautet in deutscher Übersetzung:</p>
<p>8. Kommunikationsendgerät umfassend:</p>
<p>eine Kommunikationssteuervorrichtung (63) umfassend eine Transceivervorrichtung zur Übertragung von Signalen über eine Kommunikationsverbindung; eine Benutzerschnittstelle umfassend eine Anzeige und eine Eingabeschnittstelle; eine Eingabedetektionsvorrichtung (61), die dazu ausgebildet ist, die Eingabe von Buchstaben durch einen Benutzer in einer Standby-Anzeige zu detektieren, die einen Titel für ein zweites Kommunikationsendgerät repräsentieren; einen Titelspeicher; einen Datenabfragemechanismus (65), der dazu ausgebildet ist, Information abzufragen, die mit dem Titel des zweiten Kommunikationsendgeräts assoziiert ist und mit einer Anzeigesteuervorrichtung (62) für die Darstellung der abgefragten Information auf der Anzeige verbunden ist; und der Datenabfragemechanismus (65) dazu ausgebildet ist, Information abzufragen, die sich auf auswählbare Kommunikationskanäle bezieht, die für das Kommunizieren mit dem zweiten Kommunikationsendgerät verwendbar sind;</p>
<p>dadurch gekennzeichnet, dass die Anzeigesteuervorrichtung (62) dazu ausgebildet ist, eine Mehrzahl von auswählbaren Punkten (152-157) auf der Anzeige darzustellen, die lediglich die verwendbaren Kommunikationskanäle repräsentieren, die auf das Detektieren der Eingabe des Titels ansprechbar sind; wobei die Anzeigesteuervorrichtung (62) dazu ausgebildet ist, am Anfang der Eingabe von Buchstaben durch den Benutzer die verschiedenen verwendbaren Kommunikationskanäle zur Auswahl darzustellen.</p>
<p><rd nr="7"/>Anspruch 11 lautet im englischen Original:</p>
<p>11. The communication terminal (10) according to claim 8, wherein the display control device (62) is configured to present the plurality of selectable items (152-157) as separate icons.</p>
<p><rd nr="8"/>In deutscher Übersetzung:</p>
<p>11. Kommunikationsendgerät (10) nach Anspruch 8, wobei die Anzeigesteuervorrichtung (62) zur Darstellung der Mehrzahl von auswählbaren Punkten (152-157) als gesonderte Ikonen ausgebildet ist.</p>
<p><rd nr="9"/>Die Klägerin macht im Verfahren nur noch eine beschränkte Anspruchskombination aus Anspruch 8, kombiniert mit dem abhängigen Anspruch 11, geltend (S. 4 Replik). Die Merkmale des (ursprünglich unbeschränkt) geltend gemachten Patentanspruchs 8 ergeben sich im Einzelnen aus der Merkmalsgliederung K (E) 2; die Merkmale des beschränkten Anspruchs folgen aus K (E) 6.</p>
<p><rd nr="10"/>Das Klagepatent ist nicht standardessentiell.</p>
<p><rd nr="11"/>Die nachfolgend wiedergegebene Figur 1 des Klagepatents zeigt ein beispielhaftes Mobiltelefon:</p>
<p><img src="BayBuergerServiceRS_2019_706-1-de.PNG" alt=""/></p>
<p><rd nr="12"/>Das Klagepatent geht hierbei grundsätzlich von einem Mobiltelefon mit einem Eingabebereich (input interface) 14 aus, das mit Knöpfen oder Tasten arbeitet, [0016]. Indes erlaubt das Klagepatent auch den Einsatz eines Touch-Displays, [0016] aE.</p>
<p>C. Zu der angegriffenen Ausführungsform</p>
<p><rd nr="13"/>Die Klägerin wendete sich zunächst explizit, aber nicht abschließend, gegen die Mobilfunkgeräte x 7 Plus, x 7, x 6s Plus, x 6s, x SE (S. 22/23, 57 Klageschrift). Sie erläuterte in der Replik, auch die Mobilfunkgeräte x 8 Plus, x 8, und x X verwirklichten das Klagepatent (S. 29 Replik).</p>
<p><rd nr="14"/>Die angegriffenen Ausführungsformen unterstützen Mobilfunkstandards wie GSM, GPRS, UMTS oder LTE. Sie verfügen über ein Multi-Touch Widescreen Display mit LED-Hintergrund-Beleuchtung und IPS-Technologie. Mittels einer Home-Taste an den angegriffenen Ausführungsformen kann der Benutzer in das Hauptmenü des Systems wechseln (S. 23/28 Klageschrift). Die fraglichen Mobilfunkgeräte weisen keine physische Tastatur auf (S. 30 Replik).</p>
<p><rd nr="15"/>Die angegriffenen Ausführungsformen werden durch das Betriebssystem iOS gesteuert, das auch die Funktion Spotlight-Suche umfasst, mittels derer der Nutzer u.a. auf dem Telefon gespeicherte Kontakte finden kann (S. 28/29 Klageschrift). In iOS 11 heißt die fragliche Suchfunktion Siri & Suchen (S. 29 Replik). Die Spotlight-Suche/ Funktion Siri & Suchen (im Folgenden zusammenfassend „Suchfunktionalität“) kann der Nutzer aktivieren, indem er in dem Home-Screen auf dem Display des Telefons nach unten streicht (S. 18 Klageerwiderung-II, S.30 Replik, S. 22 Duplik mit Bildern). Die Suchfunktionalität zeigt nicht nur Kontakte an, vielmehr stellt sie eine Inhalte des jeweiligen iPhones, aber auch Inhalte aus dem Internet umfassende Abfragefunktion dar. Eine Kommunikation kann aus der Suchfunktionalität heraus nicht gestartet werden, vielmehr ist hierzu der Wechsel in die Telefon-/ Nachrichten-/ Facetime-Anwendung erforderlich (S. 24/26 Duplik mit Bildern, SVG, Augenschein).</p>
<p>D. </p>
<p><rd nr="16"/>Die Klägerin bringt vor,</p>
<p>I. sie sei - entgegen der Auffassung der Beklagtenseite - aktivlegitimiert.</p>
<p>II. Vorwürfe der Beklagtenseite, die Klägerin würde eine Marktmacht missbrauchen und durch die Klage den Mitbewerber N. vom Markt drängen wollen, wies die Klägerin zurück. Sie unterstrich, die Beklagtenseite wolle vielmehr die Klägerin schädigen durch Anstiftung der Lizenznehmer der Klägerin dazu, Lizenzgebühren nicht mehr zu zahlen, (S. 63/75 Replik).</p>
<p>III. Zu der Auslegung des Merkmals „Standby-Anzeige“ stützt sie sich auf [0018], und unterstreicht, die Standby-Anzeige erlaube die Eingabe einer Nummer und die Einleitung eines Anrufs. Entscheidend sei, dass aus der Standby-Anzeige heraus ein Kommunikationskanal zugänglich sei, dass mithin keine gesonderte Anwendung für die Aktivierung des Kommunikationskanals aufgerufen werden müsse, sondern durch die bloße Aktivierung einer allgemeinen Eingabemöglichkeit - gleich der Eingabe einer Telefonnummer im Stand der Technik - etwaige Kommunikationskanäle aufgerufen werden können (Klage S. 20, 34/35, Replik S. 7/8). Dieses Verständnis werde durch [0003] und [0019] gedeckt (S. 8/9 Replik).</p>
<p><rd nr="17"/>Ein anderes folge nicht aus [0021] mit Figur 6: die dort beschriebene Ausführungsform sei nicht in Anspruch 8 des Klagepatents beansprucht, weil die Kontaktliste aufgerufen werde, um eine Verbindung einzuleiten (S. 10 Replik unter Bezugnahme auf [0018]). Die Klägerin unterstreicht, dass das Teilmerkmal „Standby-Anzeige“ erst im Verlauf des Erteilungsverfahrens in die Ansprüche 1 und 8 aufgenommen worden sei, um Bedenken wegen <verweis.norm>Art. 84 <v.abk ersatz="EPÜ auszuräumen (Teilanmeldung K">EPÜ auszuräumen (Teilanmeldung K</v.abk></verweis.norm> (E) 7, Absichtserklärung K (E) 8, Klagepatent mit Änderungen des Prüfers K (E) 9).</p>
<p>IV. Nach obiger zutreffender Auslegung sei das Merkmal verletzt. Denn die Suchfunktionalität erlaube das Eintippen und Eingeben einer Nummer, wie dies die klagepatentgemäße Standby-Anzeige verlange (S. 35 Klageschrift).</p>
<p><rd nr="18"/>Nichts anderes folge aus den Einwendungen der Beklagtenseite. Erstens könne man nicht nur - wie die Beklagtenseite das tue - den Sperrbildschirm oder den Home-Screen als Standby-Anzeige ansehen. Vielmehr sei eine Standby-Anzeige dadurch gekennzeichnet, dass man eine Nummer eingeben könne - das könne man weder bei Sperrbildschirm noch bei dem Home-Screen, aber bei Eingabe in die Suchfunktion (S. 30 Replik). Es sei zu berücksichtigen, dass die angegriffenen Ausführungsformen keine physische Tastatur aufwiesen, wie dies das Klagepatent ausdrücklich vorsehe, [0016]. Durch die Wischgeste erscheine die Tastatur erst, und erst dann könne über eine patentgemäße Standby-Anzeige gesprochen werden (S. 30/31 Replik).</p>
<p><rd nr="19"/>Die Suchfunktion sei keine spezifische Funktionalität für einen Kommunikationskanal, ebenso wenig ein Adressbuch oder eine Kontaktliste, wovon sich das Klagepatent (mit der Standby-Anzeige) abgrenzen wolle (S. 31 Replik).</p>
<p>V. Eine Aussetzung des Verfahrens mit Blick auf die Nichtigkeitsklage (S. 33/61 Replik) oder andere Verfahren (S. 76/80 Replik) sei nicht veranlasst.</p>
<p>E. Anträge</p>
<p><rd nr="20"/>Die Klägerin kündigte zunächst schriftsätzlich folgende Anträge an:</p>
<p>I. Die Beklagte wird verurteilt,</p>
<p>1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000 - ersatzweise Ordnungshaft - oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen, Kommunikationsendgeräte in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu diesen Zwecken einzuführen oder zu besitzen,</p>
<p>die Folgendes umfassen:</p>
<p>- eine Kommunikationssteuervorrichtung umfassend eine Transceivervorrichtung zur Übertragung von Signalen über eine Kommunikationsverbindung;</p>
<p>- eine Benutzerschnittstelle umfassend eine Anzeige und eine Eingabeschnittstelle;</p>
<p>- eine Eingabedetektionsvorrichtung, die dazu ausgebildet ist, die Eingabe von Buchstaben durch einen Benutzer in einer Standby-Anzeige zu detektieren, die einen Titel für ein zweites Kommunikationsendgerät repräsentiert;</p>
<p>- einen Titelspeicher;</p>
<p>- einen Datenabfragemechanismus, der dazu ausgebildet ist, Information zu detektieren, die mit dem Titel des zweiten Kommunikationsendgeräts assoziiert ist und mit einer Anzeigesteuervorrichtung für die Darstellung der abgefragenen Information auf der Anzeige verbunden ist; und der Datenabfragemechanismus dazu ausgebildet ist, Information abzufragen, die sich auf auswählbare Kommunikationskanäle bezieht, die für das Kommunizieren mit dem zweiten Kommunikationsendgerät verwendbar sind;</p>
<p>dadurch gekennzeichnet, dass die Anzeigesteuervorrichtung dazu ausgebildet ist, eine Mehrzahl von auswählbaren Punkten auf der Anzeige darzustellen, die lediglich die verwendbaren Kommunikationskanäle repräsentieren, die auf das Detektieren der Eingabe des Titels ansprechbar sind; wobei die Anzeigesteuervorrichtung dazu ausgebildet ist, am Anfang der Eingabe von Buchstaben durch den Benutzer die verschiedenen verwendbaren Kommunikationskanäle zur Auswahl darzustellen.</p>
<p>(Anspruch 8, unmittelbare Verletzung),</p>
<p>insbesondere, wenn die Kommunikationssteuervorrichtung zum Aufbau einer Kommunikationsverbindung mit dem zweiten Kommunikationsendgerät über einen ausgewählten aus der Mehrzahl von Kommunikationskanälen ausgebildet ist;</p>
<p>(Anspruch 9, unmittelbare Verletzung) und/oder insbesondere wenn die Eingabedetektionsvorrichtung dazu ausgebildet ist, die Eingabe eines Befehls zu detektieren, indem einer der Kommunikationskanäle ausgewählt wird;</p>
<p>(Anspruch 10, unmittelbare Verletzung) und/oder insbesondere wenn die Anzeigesteuervorrichtung zur Darstellung der Mehrzahl von auswählbaren Punkten als gesonderte Ikonen ausgebildet ist;</p>
<p>(Anspruch 11, unmittelbare Verletzung) und/oder insbesondere wenn die verschiedenen Kommunikationskanäle zwei Typen der Gruppe: Sprachanruf, Videoanruf, Textnachrichten, Bildnachrichten und E-Mail umfassen;</p>
<p>(Anspruch 12, unmittelbare Verletzung) und/oder insbesondere wenn die abgefragene Information Identitätsdaten eines Benutzers des zweiten Kommunikationsendgeräts umfasst;</p>
<p>(Anspruch 13, unmittelbare Verletzung) und/oder insbesondere wenn die abgefragene Information ein Bild eines Benutzers des zweiten Kommunikationsendgeräts umfasst;</p>
<p>(Anspruch 14, unmittelbare Verletzung)</p>
<p>2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagte die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 30. März 2016 begangen hat, und zwar unter Angabe</p>
<p>a) der Namen und Anschriften der Lieferanten und anderer Vorbesitzer,</p>
<p>b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,</p>
<p>c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen und bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;</p>
<p>wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Einkaufs- und Verkaufsbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;</p>
<p>3. der Klägerin schriftlich in geordneter Form (gegliedert nach Kalendervierteljahren) Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagte die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 30. April 2016 begangen hat, und zwar unter Angabe:</p>
<p>a) die Mengen der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse,</p>
<p>b) der einzelnen Lieferungen (unter Angabe der Marken der jeweiligen Erzeugnisse sowie allen Identifikationsmerkmalen wie Typenbezeichnung, Artikelbezeichnung, laufender Produktnummer), aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen (und ggf. Typenbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,</p>
<p>c) der einzelnen Angebote (unter Angabe der Marken der jeweiligen Erzeugnisse sowie allen Identifikationsmerkmalen wie Typenbezeichnung, Artikelbezeichnung, laufender Produktnummer), aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen (und ggf. Typenbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,</p>
<p>d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,</p>
<p>e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,</p>
<p>wobei zum Nachweis der Angaben zu b) die entsprechenden Belege (nämlich Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen,</p>
<p>wobei es der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu benennenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten trägt, und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;</p>
<p>4. die unter Ziffer I.1. bezeichneten, in Verkehr gebrachten und im Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen,</p>
<p>indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagte oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagte zurückzugeben und den Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits bezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe zugesagt wird und endgültig zu entfernen, indem die Beklagte die erfolgreich zurückgerufenen Erzeugnisse wieder an sich nimmt.</p>
<p>II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 30. April 2016 begangenen Handlungen der Beklagten entstanden ist und noch entstehen wird.</p>
<p>III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.</p>
<p><rd nr="21"/>Sie stellte in dem frühen ersten Termin sodann folgende Anträge, die die nunmehr eingeschränkte Geltendmachung der Ansprüche des Klagepatents berücksichtigen:</p>
<p>I. Die Beklagte wird verurteilt,</p>
<p>1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000 - ersatzweise Ordnungshaft - oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen, Kommunikationsendgeräte in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu diesen Zwecken einzuführen oder zu besitzen,</p>
<p>die Folgendes umfassen:</p>
<p>- eine Kommunikationssteuervorrichtung umfassend eine Transceivervorrichtung zur Übertragung von Signalen über eine Kommunikationsverbindung;</p>
<p>- eine Benutzerschnittstelle umfassend eine Anzeige und eine Eingabeschnittstelle;</p>
<p>- eine Eingabedetektionsvorrichtung, die dazu ausgebildet ist, die Eingabe von Buchstaben durch einen Benutzer in einer Standby-Anzeige zu detektieren, die einen Titel für ein zweites Kommunikationsendgerät repräsentiert;</p>
<p>- einen Titelspeicher;</p>
<p>- einen Datenabfragemechanismus, der dazu ausgebildet ist, Information zu detektieren, die mit dem Titel des zweiten Kommunikationsendgeräts assoziiert ist und mit einer Anzeigesteuervorrichtung für die Darstellung der abgefragenen Information auf der Anzeige verbunden ist; und der Datenabfragemechanismus dazu ausgebildet ist, Information abzufragen, die sich auf auswählbare Kommunikationskanäle bezieht, die für das Kommunizieren mit dem zweiten Kommunikationsendgerät verwendbar sind;</p>
<p>dadurch gekennzeichnet, dass die Anzeigesteuervorrichtung dazu ausgebildet ist, eine Mehrzahl von auswählbaren Punkten auf der Anzeige darzustellen, die lediglich die verwendbaren Kommunikationskanäle repräsentieren, die auf das Detektieren der Eingabe des Titels ansprechbar sind; wobei die Anzeigesteuervorrichtung dazu ausgebildet ist, am Anfang der Eingabe von Buchstaben durch den Benutzer die verschiedenen verwendbaren Kommunikationskanäle zur Auswahl darzustellen; und wobei die Anzeigesteuervorrichtung zur Darstellung der Mehrzahl von auswählbaren Punkten als gesonderte Ikonen ausgebildet ist.</p>
<p>(Anspruch 8, eingeschränkte Fassung, unmittelbare Verletzung),</p>
<p>insbesondere, wenn die Kommunikationssteuervorrichtung zum Aufbau einer Kommunikationsverbindung mit dem zweiten Kommunikationsendgerät über einen ausgewählten aus der Mehrzahl von Kommunikationskanälen ausgebildet ist;</p>
<p>(Anspruch 9, unmittelbare Verletzung) und/oder insbesondere wenn die Eingabedetektionsvorrichtung dazu ausgebildet ist, die Eingabe eines Befehls zu detektieren, indem einer der Kommunikationskanäle ausgewählt wird;</p>
<p>(Anspruch 10, unmittelbare Verletzung) und/oder insbesondere wenn die verschiedenen Kommunikationskanäle zwei Typen der Gruppe: Sprachanruf, Videoanruf, Textnachrichten, Bildnachrichten und E-Mail umfassen;</p>
<p>(Anspruch 12, unmittelbare Verletzung) und/oder insbesondere wenn die abgefragene Information Identitätsdaten eines Benutzers des zweiten Kommunikationsendgeräts umfasst;</p>
<p>(Anspruch 13, unmittelbare Verletzung) und/oder insbesondere wenn die abgefragene Information ein Bild eines Benutzers des zweiten Kommunikationsendgeräts umfasst;</p>
<p>(Anspruch 14, unmittelbare Verletzung)</p>
<p>2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagte die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 30. März 2016 begangen hat, und zwar unter Angabe</p>
<p>a) der Namen und Anschriften der Lieferanten und anderer Vorbesitzer,</p>
<p>b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,</p>
<p>c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen und bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;</p>
<p>wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Einkaufs- und Verkaufsbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;</p>
<p>3. der Klägerin schriftlich in geordneter Form (gegliedert nach Kalendervierteljahren) Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagte die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 30. April 2016 begangen hat, und zwar unter Angabe:</p>
<p>a) der Mengen der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse,</p>
<p>b) der einzelnen Lieferungen (unter Angabe der Marken der jeweiligen Erzeugnisse sowie allen Identifikationsmerkmalen wie Typenbezeichnung, Artikelbezeichnung, laufender Produktnummer), aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen (und ggf. Typenbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,</p>
<p>c) der einzelnen Angebote (unter Angabe der Marken der jeweiligen Erzeugnisse sowie allen Identifikationsmerkmalen wie Typenbezeichnung, Artikelbezeichnung, laufender Produktnummer), aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen (und ggf. Typenbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,</p>
<p>d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,</p>
<p>e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,</p>
<p>wobei zum Nachweis der Angaben zu b) die entsprechenden Belege (nämlich Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen,</p>
<p>wobei es der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu benennenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt, und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;</p>
<p>4. die unter Ziffer I.1. bezeichneten, in Verkehr gebrachten und im Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen,</p>
<p>indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagte oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagte zurückzugeben und den Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits bezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe zugesagt wird und endgültig zu entfernen, indem die Beklagte die erfolgreich zurückgerufenen Erzeugnisse wieder an sich nimmt.</p>
<p>II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der der N. Inc. durch die unter Ziffer I.1. bezeichneten, in der Zeit vom 30. April 2016 bis zum 20. September 2017 begangenen Handlungen der Beklagten und der der Klägerin durch die unter Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 21. September 2017 begangenen Handlungen der Beklagten entstanden ist und noch entstehen wird.</p>
<p>III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.</p>
<p><rd nr="22"/>Die Beklagtenseite hat einer etwaigen Teilklagerücknahme unter Verwahrung gegen die Kostenlast zugestimmt. Im Übrigen beantragt sie Klageabweisung,</p>
<p>hilfsweise Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf die anhängige Nichtigkeitsklage.</p>
<p><rd nr="23"/>Sie beantragt weiter hilfsweise, </p>
<p>das Urteil nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von mindestens 1,152 Mrd. € für vorläufig vollstreckbar zu erklären, und der Beklagtenseite zu gestatten, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung (auch durch Gestellung einer Bürgschaft) abzuwenden.</p>
<p><rd nr="24"/>Im Hinblick auf die nichttechnischen Erwiderungen beantragt die Beklagtenseite weiter hilfsweise </p>
<p>die Aussetzung bis zur rechtskräftigen Entscheidung des UK High Court, HP-2017-000015, § 148 ZPO, bzw. bis zur Entscheidung der EU-Kommission über die Wettbewerbsverfahren gegen die Klägerin wegen AT.40220, AT.39711, <verweis.norm>Art. 16 <v.abk ersatz="VO 2003/1/EG">VO 2003/1/EG</v.abk></verweis.norm>, außerdem weiter hilfsweise von der EU Kommission eine Stellungnahme zur Anwendung der Wettbewerbsregeln einzuholen und das Verfahren bis zum Erhalt der Stellungnahme auszusetzen, und zuletzt hilfsweise eine Vorlage an den EuGH, um die Kartellrechtswidrigkeit des behaupteten klägerischen Verhaltens überprüfen zu lassen.</p>
<p><rd nr="25"/>Die Klägerin wendet sich gegen eine Aussetzung.</p>
<p>F. Die Beklagtenseite bringt vor:</p>
<p><rd nr="26"/>I. Die Beklagtenseite bestreitet die Aktivlegitimation der Klägerin (S. 2/3 Klageerwiderung, S. 2/4 Duplik).</p>
<p><rd nr="27"/>II. Eine Auslegung des Begriffs Standby-Anzeige schon nach dem Wortlaut zeige, dass hier eine Funktion des Telefons angesprochen sei, in der es lediglich bereit sei, Anrufe zu empfangen und Nutzereingaben entgegen zu nehmen (S. 15 Klageerwiderung). Der Fachmann habe den Begriff zum Prioritätszeitpunkt so verstanden, dass das Telefon allenfalls Batterieladung, Signalstärke, Namen des Netzbetreibers, Uhrzeiten und gegebenenfalls eventuelle Benachrichtigungen anzeigte (S. 15 Klageerwiderung, FBD 101). Zwar sei es bei einer Ausstattung des Telefons mit einer physischen Tastatur möglich gewesen, direkt im Standby-Modus eine Nummer einzugeben, das sei für das Verständnis des Begriffs indes nicht konstitutiv gewesen. Maßgeblich sei vielmehr, dass das Gerät im Grundzustand sei, mithin kein weiteres Menü und keine weitere Funktion geöffnet sei. Dieses fachmännische Verständnis decke sich mit dem Verständnis der Beschreibung in [0003]. Nur bei einem Verständnis von Standby-Anzeige als „Nullzustand“ mache auch der „Witz“ des Klagepatents [0018] Sinn (S. 16/17 Klageerwiderung). Es handele sich schon dann nicht mehr um eine klagepatentgemäße Standby-Anzeige, wenn der Nutzer überhaupt eine Anwendung aufrufen müsse. Standby-Anzeige sei damit der Grundzustand des Geräts (S. 6 Duplik).</p>
<p><rd nr="28"/>Der Umstand, dass die angegriffenen Ausführungsformen keine physische Tastatur hätten, erlaube keine weitere Auslegung - insbesondere folge nichts anderes aus dem klägerseits in Bezug genommenen [0016]. Schließlich könne auch ein Touchscreen ständig eine Tastatur anzeigen (S. 6/7 Duplik).</p>
<p><rd nr="29"/>Nicht klagepatentgemäß sei es, wenn nur gespeicherte Telefonnummern aus der Standby-Anzeige heraus angerufen werden könnten (S. 27 Duplik unter Bezugnahme auf [0018]).</p>
<p><rd nr="30"/>III. Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichten das Merkmal nicht. Standby-Anzeige im klagepatentgemäßen Sinne sei allein der Sperrbildschirm der angegriffenen Ausführungsformen, in dem jedoch keine Anwendung gestartet und kein Menü geöffnet sei (S. 17/18 Klageerwiderung). Die Suchfunktionalität müsse hingegen gesondert aufgerufen werden; sie könne durch eine Geste (Streichen nach unten im „Home-Screen“) gestartet werden (S. 18 Klageerwiderung). Die im Klagepatent beschriebene Problemstellung passe auf die angegriffene Ausführungsform nicht, weil stets die Auswahl einer Anwendung erforderlich sei (S. 7 Duplik).</p>
<p><rd nr="31"/>Die Beklagtenseite unterstreicht: Die Anzeige der virtuellen Tastatur sei von der Suchfunktionalität selbst zu unterscheiden. Das werde deutlich, wenn man eine physische Tastatur an das iPhone anschließe - dann werde gerade keine Tastatur angezeigt. Daher diene die Wischgeste entgegen der Darstellung der Klägerin nicht dazu, eine Tastatur anzuzeigen, sondern die Suchanwendung zu starten (S. 23, 29 Duplik mit Bildern).</p>
<p><rd nr="32"/>Die Suchfunktionalität erlaube die Suche nach bestimmten Themen an verschiedenen Orten des Mobiltelefons (S. 18 Klageerwiderung). Sie erlaube hingegen gerade nicht den Aufruf einer Kommunikation nach Eingabe einer (in dem Telefon nicht gespeicherten) Telefonnummer aus der Anwendung heraus (S. 27 Duplik mit Bild). Der klagepatentgemäßen Funktionsbeschreibung komme die Telefonanwendung am nächsten - sie sei indes nicht klagepatentgemäß, weil die Anwendung erst gestartet werden müsse (S. 28 Duplik).</p>
<p><rd nr="33"/>Es sei auch nicht richtig, wie klägerseits dargestellt, dass die Suchfunktionalität keine Anwendung sei, weil sie nicht gelöscht werden könne und nicht über ein Symbol auf dem Bildschirm verfügte - die Gestensteuerung ersetze technisch nur den Aufruf einer Anwendung durch Betätigen eines Symbols. Der Navigationsaufwand sei derselbe (S. 29/ 30 Duplik).</p>
<p><rd nr="34"/>IV. Ihren Aussetzungsantrag mit Blick auf die Nichtigkeitsklage FBD 102 stützt die Beklagtenseite auf die fehlende Neuheit gegenüber den Entgegenhaltungen Hawkins (FBD 104), Stepanich (FBD 107) und Kwon (FBD 108) (S. 22 Klageerwiderung). Auch der Anspruch in der nunmehr geltend gemachten Fassung sei nicht patentfähig (S. 34/63 Duplik).</p>
<p><rd nr="35"/>Durch die Geltendmachung einer eingeschränkten Merkmalskombination habe sich der Aussetzungsmaßstab verschoben (S. 34 Duplik).</p>
<p><rd nr="36"/>V. Im Übrigen sei jedenfalls eine etwaige Verurteilung zur Unterlassung unverhältnismäßig, weil dies gegen Kartellrecht verstoßen würde: Die Klägerin halte auf dem Markt für Premium-LTE-Basisband-Chipsätze und auf dem SEP-Lizenzmarkt eine marktbeherrschende Stellung (S. 23 ff.). Die relevanten Märkte seien durch starke Markteintrittsbarrieren gekennzeichnet (S. 26 ff. Klageerwiderung). Eine Vielzahl von Wettbewerbsbehörden (im Einzelnen S. 18 ff., FBD 8, 8b, 9, 10) ermittelten wegen missbräuchlichen Verhaltens gegen die Klägerin, teilweise sei sie schon zur Zahlung hoher Bußgelder verpflichtet worden. Unter anderem habe sie durch ein Rabattsystem die Beklagtenseite zu einem exklusiven Bezug von Premium-Basisband-Chipsätzen gezwungen, um so ihre Mitbewerber aus dem Markt zu drängen. Ihre marktbeherrschende Stellung wolle sie auch durch die hiesige Klage stärken (S. 36 Klageerwiderung). Dabei sei irrelevant, dass das hiesige Verfahren kein SEP beträfe. Denn die Klägerin wolle die Beklagtenseite durch die hiesige dafür „bestrafen“, dass die Beklagtenseite nach einer fünfjährigen Periode des Bezugs nur von Chips der Klägerin nunmehr N. -Chipsätze verwende (S. 37 Klageerwiderung).</p>
<p><rd nr="37"/>Die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs habe kein anderes Ziel als die Aufrechterhaltung und Ausweitung der marktbeherrschenden Stellung der Klägerin durch den Ausschluss von N., sei daher missbräuchlich, <verweis.norm>Art. 102 <v.abk ersatz="AEUV">AEUV</v.abk></verweis.norm>, und daher abzuweisen. Anderenfalls trüge das Gericht zu einer Schädigung oder einem Ausschluss des Wettbewerbs auf dem Markt für Premium-Basisband-Chipsätzen bei. Auch wenn hier ein nicht-beherrschter Markt betroffen sei, müsse nach der Rechtsprechung des EuGH das hiesige Verhalten mit Blick auf die Stellung der Klägerin im beherrschten Markt in einer Gesamtbetrachtung gewürdigt werden (S. 37 ff. Klageerwiderung).</p>
<p><rd nr="38"/>Neben der möglichen Aussetzung nach <verweis.norm>Art. 16 Abs. 1 <v.abk ersatz="VO 2003/1/EG">VO 2003/1/EG</v.abk></verweis.norm>, oder zur Anfrage bei der Europäischen Kommission oder zur Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens oder mit Blick auf ein Verfahren im Vereinigten Königreich (S. 44 ff. Klageerwiderung) müsse das Gericht daher die Unverhältnismäßigkeit des Ausspruchs des Unterlassungsanspruchs nach <verweis.norm>Art. 3 Abs. 2 der <v.abk ersatz="Durchsetzungsrichtlinie 2004/48/EG beachten (S">Durchsetzungsrichtlinie 2004/48/EG beachten (S</v.abk></verweis.norm>. 44 Klageerwiderung). Die Klägerin verstoße auch unmittelbar gegen <verweis.norm>Art. 3 der <v.abk ersatz="Entscheidung der Kommission vom 24">Entscheidung der Kommission vom 24</v.abk></verweis.norm>.01.2018 (S. 6ff. Duplik).</p>
<p><rd nr="39"/>VI. Mit der Duplik machte die Beklagtenseite auch einen Lizenzeinwand geltend (Duplik Teil III). Weil es hierauf nicht streitentscheidend ankommt, verweist das Gericht auf den Sachvortrag der Beklagtenseite in der Duplik Teil III.</p>
<p><rd nr="40"/>VII. Hilfsweise seien Rückruf- und Vernichtungsansprüche wegen Unverhältnismäßigkeit abzuweisen, weiter hilfsweise seien vollstreckungsrechtliche Besonderheiten zu beachten (S. 65/71 Klageerwiderung, FBD 18, FBD 19, S. 46 Duplik), insbesondere eine erhöhte Vollstreckungssicherheit.</p>
<p>G. Prozessuales</p>
<p><rd nr="41"/>Die Beklagtenseite verkündete mit Schriftsatz vom 21.08.2018 den Streit an die O. A. Co Ltd., die I. Corporation und die E. Corporation. Die E. Corporation trat mit Schriftsatz vom 6.9.2018 dem Streit bei.</p>
<p><rd nr="42"/>Das Gericht hat die Sache in zwei Terminen ausführlich mit den Parteien erörtert.</p>
<p><rd nr="43"/>Zur Ergänzung des Tatbestands nimmt das Gericht Bezug auf alle zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, sowie sämtliche gerichtlichen Verfügungen, Beschlüsse und Protokolle.</p>
<p><rd nr="44"/>Nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung reichte die beklagte Partei den Schriftsatz vom 25.1.2019 ein. Darin wird mitgeteilt, dass die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamtes in den Einspruchsverfahren betreffend das EP … 067 (7 O 14455/17 und 7 O 14460/17) und das EP … 658 (7 O 14457/17 und 7 O 14462/17) am 23.1.2019 die vorläufige Rechtsauffassung vertreten habe, dass diese Patente nicht rechtsbeständig seien. Diese vorläufige Einschätzung habe auch Einfluss auf die Beurteilung der Rechtsbeständigkeit des hiesigen Klagepatents, denn alle Patente entstammten derselben Ursprungsanmeldung.</p>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
<p><rd nr="45"/>Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.</p>
<p>A. </p>
<p><rd nr="46"/>Die Klage ist zulässig.</p>
<p><rd nr="47"/>I. Das Landgericht München ist zuständig. Die internationale und örtliche Zuständigkeit folgt aus <verweis.norm>Art. 7 Nr. 2 <v.abk ersatz="EuGVVO">EuGVVO</v.abk></verweis.norm>, § 38 Nr. 1 GZVJu, die sachliche (ausschließliche) Zuständigkeit ergibt sich aus § 143 PatG.</p>
<p><rd nr="48"/>II. Der Klage fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis, auch nicht wegen des beklagtenseits erhobenen Kartellrechtseinwands.</p>
<p><rd nr="49"/>1. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt einer Klage nur unter besonderen Umständen. Grundsätzlich besteht ein Anspruch auf die Möglichkeit, ein ordentliches Gericht anzurufen. Das Rechtsschutzbedürfnis einer Klage ist von der Begründetheit zu trennen, d.h. der Berechtigung des materiellen Klagebegehrens (Zöller-Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, vor <verweis.norm>§ 253 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> Rn. 18 mwN). Eine Klage kann u.a. unzulässig sein, wenn das Gericht bei einer Gesamtwürdigung Indizien dafür feststellt, dass der Kläger mit der Klage ausschließlich prozesszweckfremde Zwecke verfolgt (BGH NJW 2017, 674, 675 Rn. 25 mwN; als höchstrichterliche Rechtsprechung zu dem Rechtsschutzbedürfnis als allgemeine Prozessvoraussetzung auf das Patentrecht übertragbar).</p>
<p><rd nr="50"/>Immaterialgüterrechte sind im europäischen Primär- und Sekundärrecht ebenso wie national auf verfassungsrechtlicher Ebene geschützt. Sie gewähren ein Ausschließlichkeitsrecht, das insbesondere die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs gewährt. Dessen Ausübung kann grundsätzlich keinen Missbrauch begründen (Calliess/Ruffert-Weiß, EUV/AEUV, 5. Auflage, <verweis.norm>Art. 102 <v.abk ersatz="AEUV">AEUV</v.abk></verweis.norm> Rn. 39 mwN): Es ist eine Grundwertung des Patentrechts, dass der Patentinhaber sein Ausschließlichkeitsrecht auch ausüben darf. Anderes kann grundsätzlich nur gelten, wenn das fragliche Patent standardessenziell ist und dem Patentinhaber hierdurch eine marktbeherrschende Stellung vermittelt, oder wenn sich aus den Modalitäten der Ausübung der Rechte aus dem (nicht standardessentiellen aber nicht umgehbaren) Patent ergibt, dass ein kartellrechtlich relevantes Ziel verfolgt wird (und die Ausübung des Rechts mithin nicht mehr seinem „spezifischen Gegenstand“ entspricht, siehe Calliess/Ruffert-Weiß, EUV/AEUV, 5. Auflage, <verweis.norm>Art. 102 <v.abk ersatz="AEUV">AEUV</v.abk></verweis.norm> Rn. 39 mwN; grundlegend EuGH verb. Rs. C-241/91 P und 242/91 P GRUR-Int 1995, 490, 493, Rn. 50 ff. - Magill; EuGH 238/87 GRUR-Int 1990, 141, Rn. 9 - Volvo/Veng). An die Annahme einer solchen Ausnahmesituation sind strenge Anforderungen zu stellen (zB EuGH Rs. C-418/01 - IMS Health MMR 2004, 456, Rn. 34, 35 mwN). Eine Lizenz soll dann erteilt werden müssen, wenn ihre Verweigerung das Auftreten eines neuen Erzeugnisses verhindert, nach dem eine potenzielle Nachfrage der Verbraucher besteht, die Verweigerung darf nicht gerechtfertigt sein, und sie muss geeignet sein, jeglichen Wettbewerb auf einem abgeleiteten Markt auszuschließen (EuGH Rs. C-418/01 - IMS Health MMR 2004, 456, Rn. 38 mwN). Dieser Ansatz kann dahingehend generalisiert werden, dass bei Vorliegen der vorgenannten Umstände die Geltendmachung von Ansprüchen auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung aus einem Ausschließlichkeit vermittelnden Immaterialgüterrecht ausgeschlossen sein soll.</p>
<p><rd nr="51"/>2. Nach diesem Maßstab liegt keine Rechtsmissbräuchlichkeit der Anträge auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung (nachfolgend alleine: Antrag auf Unterlassung) vor, die zu einer Unzulässigkeit der Klage insoweit führen würde.</p>
<p><rd nr="52"/>a. Das Gericht prüft die Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrags auf Unterlassung als Teil der Zulässigkeit der Klage, obwohl die Beklagtenseite diesen Punkt (nur) als Begründetheitsproblem ansieht. Das Gericht hat aber die Zulässigkeit einer Klage von Amts wegen zu prüfen und vorgetragene Tatsachen rechtlich eigenständig zu werten, unabhängig von der juristischen Einkleidung durch die Parteien.</p>
<p><rd nr="53"/>b. Die Beklagtenseite hat nicht belegt, dass die Klägerin (lediglich) prozesszweckfremde Ziele mit der Klage verfolgt. Sie hat nicht belegt, dass die Klage nur dem Zweck dient, ihre marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für Premium-Basisband-Chipsätze auszubauen, und/ oder N. als Mitbewerber aus dem Markt zu drängen.</p>
<p><rd nr="54"/>Irrelevant ist, ob die Klägerin eine marktbeherrschende Stellung innehat, und wenn ja, auf welchem Markt. Denn die Geltendmachung der klägerischen Ansprüche, insbesondere des Unterlassungsanspruchs, ist schon keine missbräuchliche Verhaltensweise. Entgegen den oben dargestellten Grundsätzen hat die Beklagtenseite schon nicht belegt, dass durch die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs das Auftreten eines neuen Erzeugnisses verhindert wird. Vielmehr behauptet die Beklagtenseite, dass die patentgemäße Erfindung nicht benutzt werde. Die engen Voraussetzungen, unter denen nach der Rechtsprechung des EuGH die Geltendmachung eines Immaterialgüterrechts ausgeschlossen sein soll, sind mithin nicht erfüllt.</p>
<p><rd nr="55"/>Die Vorgehensweise der Klägerin erfordert des Weiteren keine Marktmacht, auch nicht bei der beklagtenseits herangezogenen Gesamtschau des Prozessverhaltens der Klägerin. Die Klägerin geht als Patentinhaberin gegen die Beklagtenseite vor, unabhängig von der Stellung beider Parteien auf bestimmten Märkten. Die Beklagtenseite behauptet zwar, dass die Klägerin mit den Klagen ein außerhalb des eigentlichen Klagebegehrens liegendes Ziel verfolge, nämlich N. aus dem Markt zu drängen. Dem steht indes schon entgegen, dass die Klägerin nach dem Vortrag der Beklagtenseite ihre Unterlassungsansprüche (nur) „überwiegend“ gegen iPhones richte, die N. -Chips enthielten (S. 8 Klageerwiderung Teil I). Das bedeutet gleichzeitig, dass sie auch gegen iPhones vorgeht, die Qualcomm-Chips enthalten. Belegt ist die Behauptung, die Klägerin verfolge mit den Klagen das Ziel, N. aus dem Markt zu drängen, im Übrigen nicht. Schließlich kommt hinzu, dass die Beklagtenseite eines der wichtigsten Unternehmen auf dem Markt der Mobilfunktelefonherstellung ist, und die hiesigen Verfahren Signalwirkung für andere Unternehmen haben können, die ein gesondertes gerichtliches Vorgehen gegen diese Unternehmen entbehrlich machen würde. Im Übrigen hat die Beklagtenseite nicht im Einzelnen vorgetragen, welche konkreten anderen Unternehmen durch welche konkreten Produkte Patentrechte der Klägerin verletzen und warum und seit wann die Klägerin hiervon in einer Weise Kenntnis erlangt hat, die eine Klageerhebung mit einiger Erfolgswahrscheinlichkeit ermöglichten.</p>
<p><rd nr="56"/>Wollte man der Argumentationslinie der Beklagtenseite folgen, wäre die Klägerin im Übrigen effektiv jeglicher Möglichkeit beraubt, die Verletzung ihrer Patente durch Mobilfunkhersteller zu ahnden, jedenfalls soweit diese andere als ihre Chips verwenden. Konsequent zu Ende gedacht dürfte die Klägerin auch nicht gegen die Hersteller patentverletzender Chips vorgehen, weil ein etwaiger Unterlassungs- und Rückrufanspruch Auswirkungen auf Mobilfunkhersteller und damit mittelbar auf die Marktquote N. s haben könnte. Die Klägerin wäre mithin wegen einer (bestrittenen) marktbeherrschenden Stellung auf einem abgeschlossenen Markt effektiv daran gehindert, jegliche ihrer Patente - gleich welcher Markt hierdurch betroffen sein könnte - durchzusetzen. Dieses Ergebnis ist mit der oben dargestellten gesetzgeberischen Wertung des Patentrechts nicht vereinbar.</p>
<p><rd nr="57"/>Ein Anspruch auf Lizenzerteilung kommt nur unter engen Voraussetzungen bei standardessentiellen Patenten in Betracht, ein solches liegt unstreitig nicht vor. Eine Ausweitung auf nicht standardessentielle Patente, kommt nach der Rechtsprechung des EuGH (wie vorzitiert) allenfalls dann in Betracht, wenn deren Benutzung unabdingbar ist. Die Beklagtenseite trägt insoweit aber gerade vor, das Klagepatent nicht zu nutzen.</p>
<p><rd nr="58"/>d. Die Klägerin verstößt durch die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs auch nicht gegen die Entscheidung der EU-Kommission, Case AT.40220. Zwar ist sie trotz der eingelegten Nichtigkeitsklage mangels Suspensivwirkung (<verweis.norm>Art. 278 S. 1 <v.abk ersatz="AEUV">AEUV</v.abk></verweis.norm>) verbindlich. Der Beschluss der EU-Kommission erfasst aber die hiesige Klage nicht. Wie oben festgestellt, stellt die Klage keinen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung der Klägerin dar. Insbesondere ist für die Klage keine marktbeherrschende Stellung erforderlich, sondern nur die Inhaberschaft des Klagepatents. Es liegt mithin kein Verhalten vor, das ein vergleichbares Ziel oder eine vergleichbare Wirkung aufweist wie das durch den Beschluss der EU-Kommission adressierte Verhalten.</p>
<p><rd nr="59"/>3. Nach alledem ist die Klage nicht als kartellrechtsverstoßend anzusehen. Sie ist nicht rechtsmissbräuchlich.</p>
<p><rd nr="60"/>4. Die Klage ist insgesamt zulässig.</p>
<p>B. </p>
<p><rd nr="61"/>Die Klage ist aber unbegründet. Es kann dahinstehen, ob die Klägerin aktivlegitimiert ist. Ferner kann der Lizenzeinwand dahinstehen. Denn die angegriffenen Ausführungsformen verletzen das Klagepatent nicht.</p>
<p><rd nr="62"/>I. Das Klagepatent EP 806 betrifft ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Kommunikationskanalauswahl. Es wurde am 20.11.2006 unter Inanspruchnahme der Priorität vom 28.11.2005 (US …506) angemeldet. Der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents wurde am 30.03.2016 veröffentlicht.</p>
<p><rd nr="63"/>1. Als relevanter Fachmann ist nach übereinstimmender Definition der Parteien, der sich die Kammer anschließt, ein Dipl.-Ing. zu definieren, mit der Fachrichtung Nachrichtentechnik mit mehrjähriger Erfahrung in der Konzeption von Kommunikationsendgeräten und Fachkenntnissen im Bereich Kommunikationstechniken wie Festnetz- und Mobiltelefonie. Soweit die Parteien darüber divergieren, ob der Fachmann Kenntnisse im Bereich der verschiedenen gängigen Kommunikationsstandards haben müsse (so die Klägerin) oder Kenntnisse über Benutzeroberflächen ausreichend seien (so die Beklagtenseite), kommt es hierauf nicht streitentscheidend an.</p>
<p><rd nr="64"/>2. Das Klagepatent erläutert zum Stand der Technik im Prioritätszeitpunkt, dass frühe Kommunikationsendgeräte und -verfahren nur zur Nutzung eines Kommunikationskanals bestimmt waren, etwa der Telegraf und später die Sprachtelefonie für konventionelle Telefone. Auch frühe Mobiltelefone waren ursprünglich nur für Sprachtelefonie entwickelt und geeignet. Im Zuge der Weiterentwicklung mobiler Kommunikationsgeräte traten weitere Kanäle hinzu, so etwa die Möglichkeit, Textnachrichten über den Short Message Service (SMS) zu versenden oder - in späteren Entwicklungsstufen - Multimedianachrichten (MMS) (Abs. [0002]).</p>
<p><rd nr="65"/>Zum Prioritätszeitpunkt nutzten laut Klagepatent viele Anwender ihre Mobiltelefone sowohl für Sprachtelefonie als auch für Textnachrichten. Die Benutzeroberflächen der Mobiltelefone waren jedoch nach wie vor hauptsächlich auf die Anwahl von Telefonnummern für Sprachverbindungen ausgelegt, so dass die Eingabe einer Textnachricht nicht ohne Navigieren in die entsprechende Anwendung möglich war, wenn das Mobiltelefon sich in einem Standby-Zustand befand (Abs. [0003]). Die Eingabe einer Telefonnummer in der Standby-Anzeige erlaubte meist lediglich den Aufbau einer Sprachverbindung (Abs. [0003]), nicht die unmittelbare Eingabe einer Textnachricht.</p>
<p><rd nr="66"/>Das Klagepatent geht in erster Linie von einem Mobiltelefon mit Bildschirm und physischer Tastatur aus, sieht aber auch die Möglichkeit des Einsatzes eines Touch-Screens vor, [0016]. Insoweit weiß der Fachmann, dass eine Touch-Screen-Tastatur dauerhaft oder nur bei Bedarf angezeigt werden kann.</p>
<p><rd nr="67"/>3. Diesen Stand der Technik kritisiert das Klagepatent indirekt [3; 36] dahingehend, dass der Nutzer, der einen anderen Kanal als das Telefon benutzen wollte, zunächst diesen anderen Kommunikationskanal auswählen musste durch Öffnen der entsprechenden Anwendung und anschließend erst den Empfänger der beabsichtigten Nachricht auswählen konnte.</p>
<p><rd nr="68"/>4. Das Klagepatent möchte im Wege einer Alternative bzw. Verbesserung eine effizientere Möglichkeit bereitstellen, um eine Kommunikationsverbindung zu einem zweiten Endgerät in einem Kommunikationsendgerät auszuwählen, welches mehrere Kommunikationskanäle verwenden kann, also etwa Sprachtelefonie und Textnachrichten (Abs. [0005]).</p>
<p><rd nr="69"/>5. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Kommunikationskanalauswahl vor. Die Erfindung nach dem Klagepatent erlaubt es, so [0036], zunächst den zu kontaktierenden Kontakt auszuwählen und sodann den hierzu zu nutzenden Kommunikationskanal, wobei die Auswahl des Kontakts vorliegend dadurch von statten geht, dass in einem Stand-by-Bildschirm durch den Benutzer Buchstaben eingegeben werden, die einen Titel für ein zweites Kommunikationsendgerät repräsentieren, und im Anschluss daran die verschiedenen verwendbaren Kommunikationskanäle zur Auswahl angeboten werden, wobei sie, so die nun geltend gemachte Einschränkung, als gesonderte Ikonen dargestellt werden.</p>
<p><rd nr="70"/>Die Klägerin macht Anspruch 8 nunmehr nur noch in eingeschränkter Fassung geltend (Einschränkung auf Anspruchskombination 8 mit 11).</p>
<p><rd nr="71"/>Beide Parteien gliedern den neu gefassten Anspruch 8 auf dieselbe Weise, der sich die Kammer anschließt (K (E) 6, zuvor K (E) 2). Die von der ursprünglichen Fassung abweichenden Merkmale der eingeschränkten Merkmalskombination hat das Gericht unterstrichen.</p>
<table border="0" rules="none" class="cals framenone">
<colgroup>
<col width="9%"/>
<col width="9%"/>
<col width="9%"/>
<col width="70%"/>
</colgroup>
<tbody>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.</p>
</td><td colspan="3" rowspan="1" align="left">
<p>A communication terminal (10) comprising:</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.1</p>
</td><td colspan="2" rowspan="1" align="left">
<p>a communication controller (63) including a transceiver device for transmitting signals over a communication link;</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.2</p>
</td><td colspan="2" rowspan="1" align="left">
<p>a user interface including a display and an input interface;</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.3</p>
</td><td colspan="2" rowspan="1" align="left">
<p>an input detection device (61) configured to sense input of letters by a user in a standby screen, representing a title for a second communication terminal;</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.4</p>
</td><td colspan="2" rowspan="1" align="left">
<p>a title memory;</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.5</p>
</td><td colspan="2" rowspan="1" align="left">
<p>a data retrieving mechanism (65),</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.5.1</p>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>configured to retrieve information associated with the title of the second communication terminal and connected to a display control device (62) for presenting the retrieved information on the display; and</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.5.2</p>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>configured to retrieve information related to selectable communication channels usable for communicating with the second communication terminal;</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="3" rowspan="1" align="left">
<p>characterised in that</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.6</p>
</td><td colspan="2" rowspan="1" align="left">
<p>the display control device (62) is configured to present, on the display, a plurality of selectable items (152-157) only representing the usable communication channels, responsive to sensing of input of the title; wherein</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.6.1</p>
<p>8.6.2</p>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>once the user starts to type letters, the display control device (62) is configured to present the different usable communication channels for selection; and the display control device is configured to present the plurality of selectable items as separate icons.</p>
</td></tr>
</tbody>
</table>
<p>Deutsche Übersetzung:</p>
<table border="0" rules="none" class="cals framenone">
<colgroup>
<col width="9%"/>
<col width="9%"/>
<col width="9%"/>
<col width="70%"/>
</colgroup>
<tbody>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.</p>
</td><td colspan="3" rowspan="1" align="left">
<p>Kommunikationsendgerät umfassend</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.1</p>
</td><td colspan="2" rowspan="1" align="left">
<p>eine Kommunikationssteuervorrichtung (63) umfassend eine Transceivervorrichtung zur Übertragung von Signalen über eine Kommunikationsverbindung;</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.2</p>
</td><td colspan="2" rowspan="1" align="left">
<p>eine Benutzerschnittstelle umfassend eine Anzeige und eine Eingabeschnittstelle;</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.3</p>
</td><td colspan="2" rowspan="1" align="left">
<p>eine Eingabedetektionsvorrichtung (61), die dazu ausgebildet ist, die Eingabe von Buchstaben durch einen Benutzer in einer Standby-Anzeige zu detektieren, die einen Titel für ein zweites Kommunikationsendgerät repräsentieren;</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.4</p>
</td><td colspan="2" rowspan="1" align="left">
<p>einen Titelspeicher;</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.5</p>
</td><td colspan="2" rowspan="1" align="left">
<p>einen Datenabfragemechanismus (65),</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.5.1</p>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>der dazu ausgebildet ist, Information abzufragen, die mit dem Titel des zweiten Kommunikationsendgeräts assoziiert ist und mit einer Anzeigesteuervorrichtung (62) für die Darstellung der abgefragenen Information auf der Anzeige verbunden ist; und</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.5.2</p>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>der dazu ausgebildet ist, Information abzufragen, die sich auf auswählbare Kommunikationskanäle bezieht, die für das Kommunizieren mit dem zweiten Kommunikationsendgerät verwendbar sind;</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="3" rowspan="1" align="left">
<p>dadurch gekennzeichnet, dass</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.6</p>
</td><td colspan="2" rowspan="1" align="left">
<p>die Anzeigesteuervorrichtung (62) dazu ausgebildet ist, eine Mehrzahl von auswählbaren Punkten (152-157) auf der Anzeige darzustellen, die lediglich die verwendbaren Kommunikationskanäle repräsentieren, die auf das Detektieren der Eingabe des Titels ansprechbar sind; wobei</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.6.1</p>
<p>8.6.2</p>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>die Anzeigesteuervorrichtung (62) dazu ausgebildet ist, am Anfang der Eingabe von Buchstaben durch den Benutzer die verschiedenen verwendbaren Kommunikationskanäle zur Auswahl darzustellen; und wobei die Anzeigesteuervorrichtung zur Darstellung der Mehrzahl von auswählbaren Punkten als gesonderte Ikonen ausgebildet ist.</p>
</td></tr>
</tbody>
</table>
<p><rd nr="72"/>II. Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichen die technische Lehre des neu gefassten Patentanspruchs 8 des Klagepatents weder wortsinngemäß noch mit äquivalenten Mitteln. Streitig ist zwischen den Parteien die Verwirklichung der Merkmale 8.3, 8.5.1, 8.5.2 und 8.6. Jedenfalls eine Verwirklichung des Merkmals 8.3 durch die angegriffenen Ausführungsformen besteht nicht.</p>
<p><rd nr="73"/>1. Die angegriffenen Ausführungsformen machen von Anspruch 8 keinen unmittelbaren wortsinngemäßen Gebrauch. Sie weisen keine Standby-Anzeige im patentgemäßen Sinne (Merkmal 8.3) auf.</p>
<p><rd nr="74"/>a. Gemäß <verweis.norm>Art. 69 <v.abk ersatz="EPÜ">EPÜ</v.abk></verweis.norm> wird der Schutzbereich eines europäischen Patents durch die Patentansprüche bestimmt. Beschreibung und Zeichnungen sind zur Auslegung indes heranzuziehen. Erforderlich ist eine funktionsorientierte Auslegung, wobei die Patentschrift ihr eigenes Lexikon darstellen kann (BGH GRUR 1999, 909, 912 - Spannschraube). Begriffe in den Patentansprüchen und in der Patentbeschreibung sind so zu deuten, wie sie der angesprochene Durchschnittsfachmann nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift unter Berücksichtigung von Aufgabe und Lösung der Erfindung versteht (BGH GRUR 1999, 909, 911 - Spannschraube, mwN). Eine (wohlwollende) Auslegung muss auch dann erfolgen, wenn der Anspruchswortlaut scheinbar eindeutig ist (BGH GRUR 2015, 875, 876 - Rotorelemente, mwN). Patentansprüche sind in Zweifelsfällen grundsätzlich so auszulegen, dass sie sich im Verhältnis zu in der Schrift mitgeteiltem Stand der Technik abgrenzen, es ihnen mithin nicht bereits insoweit an Neuheit fehlt. Bei Widersprüchen zwischen Patentansprüchen und Beschreibung sind solche Bestandteile der Beschreibung, die in den Patentansprüchen keinen Niederschlag gefunden haben, grundsätzlich nicht in den Patentschutz einbezogen (BGH GRUR 2011, 701, 703 Rn. 23 - Okklusionsvorrichtung).</p>
<p><rd nr="75"/>b. Eine klagepatentgemäße „Standby-Anzeige“ im Sinne des Merkmals 8.3 setzt hiernach voraus, dass ein Adressbuch oder ähnliches nicht zielgerichtet geöffnet ist und in diesem Modus Buchstaben eingegeben werden können und sodann aufgrund dieser Eingabe eine Auswahl an Kontaktierungsmöglichkeiten angezeigt wird. Das setzt aus der Sicht des Fachmanns voraus, dass auch im Standby-Modus das Adressbuch im Hintergrund geöffnet sein muss, oder durch die Eingabe im Standby-Modus im Hintergrund geöffnet wird. Anderenfalls wäre technisch nicht erklärlich, wie die anschließende Suche nach weiteren Kommunikationskanälen funktionieren kann. Da Patentansprüche nach oben Gesagtem grundsätzlich so auszulegen sind, dass sie eine neue Erfindung offenbaren, muss Merkmal 8.3 des Klagepatents so gelesen werden, dass ein zielgerichteter Aufruf des Adressbuchs aber in jedem Fall zu unterbleiben hat. Denn andernfalls würde Anspruch 8 nichts anderes beanspruchen, als in [0004] als vorbekannt beschrieben.</p>
<p><rd nr="76"/>Ein anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass das Klagepatent in [0021] und [0023] als Ausführungsbeispiele vorsieht, dass eine Nummer aus einer Konktaktliste abgerufen werden kann ([0021], Z. 20 ff.:</p>
<p>„In an exemplary embodiment, an address number may be input using input interface 14 tc [sic] type the number, or by fetching the number in a contact list stored in the terminal using e.g. a navigationtool 141 of the input interface.”; [0023]: “According to an exemplary embodiment of Fig. 1, a user has input an address number in the form of a telephone number +123456789, either using input interface 14 to type the number or by fetching the number in a contact list stored in the terminal.“)</p>
<p><rd nr="77"/>Denn diese Ausführungsbeispiele lassen sich mit dem Wortlaut des Anspruchs nicht (mehr) vereinen und sind daher nach vorzitierter höchstrichterlicher Rechtsprechung gerade nicht (mehr) beansprucht. Anderenfalls wäre der „Witz“ des Klagepatents, wonach gerade kein zielgerichteter Aufruf des Adressbuchs oder einer Kontaktliste erforderlich ist, konterkariert, wie dies auch die Klägerin - allerdings mit im Ergebnis abweichendem Auslegungsergebnis - sieht (S. 10 Replik).</p>
<p><rd nr="78"/>Weil schon dieser Aspekt des Begriffs „Standby-Anzeige“ in den angegriffenen Ausführungsformen nicht verwirklicht ist, kommt es auf die übrigen Umstände des Verständnisses der Standby-Anzeige nicht mehr an.</p>
<p><rd nr="79"/>c. Unter Zugrundelegung der obigen Auslegung liegt keine Verletzung des Merkmals 8.3 vor. Denn die Suchfunktion Spotlight läuft nicht im Hintergrund sondern muss durch den Nutzer extra und zielgerichtet aufgerufen werden. Dies geschieht, indem der Nutzer im Home-Screen-Modus auf dem Display nach unten streicht. Wie die Beklagtenseite zutreffend unterstreicht, ist es für die Patentverletzung unerheblich, ob ein Programm durch das Betätigen eines Buttons oder durch eine Geste auf dem Display, der eine Aktivierung eines bestimmten Programms zugewiesen ist, aufgerufen wird (zu S.18 Klageerwiderung-II).</p>
<p><rd nr="80"/>Die Klägerseite dringt auch nicht mit ihrer Argumentation durch, durch die Geste werde erst eine Tastatur aufgerufen, und erst dann sei von einem patentgemäßen Standby-Modus zu sprechen (zu S. 30 Replik). Das ist widerlegt durch die - nicht bestrittenen Angaben der Beklagtenseite, bei Anschluss einer Tastatur werde in der Suchfunktionalität keine virtuelle Tastatur angezeigt (S. 23, 29 Duplik). Ebenso wäre technisch ohne Weiteres eine Anwendung denkbar, die allein die Anzeige einer virtuellen Tastatur ermöglicht. Das zeigt, dass die Suchfunktionalität bei der angegriffenen Ausführungsform gerade nicht den patentgemäßen Standby-Modus erzeugen soll, sondern eine über die Anzeige der Tastatur hinausgehende Anwendung ist, die dem im Patent beschriebenen Adressbuch gleichsteht. Weil der Begriff „Standby-Modus“ des Merkmals 8.3 aber gerade den zielgerichteten Aufruf einer Anwendung, wie etwa eines Adressbuchs ausschließt, wird durch den Aufruf der Suchfunktionalität das Merkmal nicht verwirklicht.</p>
<p><rd nr="81"/>2. Merkmal 8.3 wird auch nicht mit einem patentrechtlich äquivalenten Mittel verwirklicht. Vortrag hierzu fehlt. Eine äquivalente Verletzung ist auch sonst nicht ersichtlich.</p>
<p><rd nr="82"/>3. Nach alledem liegt keine unmittelbare (wortsinngemäße oder äquivalente) Patentverletzung vor.</p>
<p><rd nr="83"/>Die Klage ist mithin unbegründet.</p>
<p><rd nr="84"/>III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO, soweit sie teilweise zurückgenommen worden ist (Geltendmachung einer nur eingeschränkten Merkmalskombination), im Übrigen aus § 91 ZPO.</p>
<p><rd nr="85"/>IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 2 ZPO.</p>
<p><rd nr="86"/>V. Die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach <verweis.norm>§ 156 Abs. 1 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> war nicht veranlasst.</p>
<p><rd nr="87"/>Nach <verweis.norm>§ 156 Abs. 1 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> kann das Gericht die Wiedereröffnung einer Verhandlung, die geschlossen war, anordnen.</p>
<p><rd nr="88"/>Vorliegend hat die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamtes am 23.1.2019, und damit nach Schluss der mündlichen Verhandlung, im Rahmen der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eine vorläufige und nicht bindende Einschätzung in Bezug auf die Rechtsbeständigkeit des EP … 067 (7 O 14455/17 und 7 O 14460/17) und des EP … 658 (7 O 14457/17 und 7 O 14462/17) kommuniziert. Hiernach seien diese beiden Patente nicht rechtsbeständig. Auch wenn die Kammer die Einschätzung der beklagten Partei teilte, dass diese vorläufige Einschätzung auch Einfluss auf die Beurteilung der Rechtsbeständigkeit des hiesigen Klagepatents habe, war eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht veranlasst. Denn wie gezeigt war die Klage mangels Verletzung abzuweisen. Auf die Rechtsbeständigkeit des Klagepatents kam es daher nicht entscheidend an. </p>
<table border="0" rules="none" class="cals framenone">
<colgroup>
<col width="100%"/>
</colgroup>
<tbody>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p>Verkündet am 31.01.2019</p>
</td></tr>
</tbody>
</table>
</div>
|
|
180,269 | lg-munchen-ii-2019-01-31-7-o-1445617 | {
"id": 268,
"name": "Landgericht München II",
"slug": "lg-munchen-ii",
"city": 188,
"state": 4,
"jurisdiction": "Ordentliche Gerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": "Landgericht"
} | 7 O 14456/17 | 2019-01-31T00:00:00 | 2019-02-07T14:19:18 | 2019-02-13T12:21:04 | Endurteil | <h2>Tenor</h2>
<div>
<p>1. Die Klage wird abgewiesen.</p>
<p>2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.</p>
<p>3. Das Urteil ist für die Beklagtenseite gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.</p>
</div>
<h2>Tatbestand</h2>
<div>
<p><rd nr="1"/>Die Klägerin nimmt die Beklagtenseite wegen Verletzung ihrer Rechte aus dem nationalen Teil des europäischen Patents 806 B 1 auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Rückruf und Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch.</p>
<p>A. Zu den Parteien</p>
<p><rd nr="2"/>Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin (K (E) 3) des europäischen Patents 806 B 1 (im Folgenden: Klagepatent, K (E) 1) mit dem Titel Verfahren und Vorrichtung zur Kommunikationskanalauswahl.</p>
<p><rd nr="3"/>Die Beklagte zu 1) ist eine irische Tochtergesellschaft der P. Inc. mit Sitz in Irland. Sie ist für den deutschen P. Online-Store und das P. Contact Center verantwortlich. Die Beklagte zu 2) betreibt die physischen P. Retail Stores in Deutschland. Komplementärin ist die P. Holding BV mit Sitz in den Niederlanden; Kommanditistin ist die P. Retail Europe Unlimited Company mit Sitz in Irland.</p>
<p>B. Klagepatent</p>
<p><rd nr="4"/>Das Klagepatent wurde am 20.11.2006 unter Inanspruchnahme der Priorität vom 28.11.2005 (US … 506) angemeldet. Der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents wurde am 30.03.2016 veröffentlicht.</p>
<p><rd nr="5"/>Patentanspruch 8 lautet im englischen Original wie folgt:</p>
<p>„8. A communication terminal (10) comprising:</p>
<p>a communication controller (63) including a transceiver device for transmitting signals over a communication link; a user interface including a display and an input interface; an input detection device (61) configured to sense input of letters by a user in a standby screen, representing a title for a second communication terminal; a title memory; a data retrieving mechanism (65), configured to retrieve information associated with the title of the second communication terminal and connected to a display control device (62) for presenting the retrieved information on the display and the data retrieving mechanism (65) is configured to retrieve information related to selectable communication channels usable for communicating with the second communication terminal;</p>
<p>characterised in that the display control device (62) is configured to present, on the display, a plurality of selectable items (152-157) only representing the usable communication channels, responsive to sensing of input of the title; wherein once the user starts to type letters, the display control device (62) is configured to present the different usable communication channels for selection.“</p>
<p><rd nr="6"/>Patentanspruch 8 lautet in deutscher Übersetzung:</p>
<p>8. Kommunikationsendgerät umfassend:</p>
<p>eine Kommunikationssteuervorrichtung (63) umfassend eine Transceivervorrichtung zur Übertragung von Signalen über eine Kommunikationsverbindung; eine Benutzerschnittstelle umfassend eine Anzeige und eine Eingabeschnittstelle; eine Eingabedetektionsvorrichtung (61), die dazu ausgebildet ist, die Eingabe von Buchstaben durch einen Benutzer in einer Standby-Anzeige zu detektieren, die einen Titel für ein zweites Kommunikationsendgerät repräsentieren; einen Titelspeicher; einen Datenabfragemechanismus (65), der dazu ausgebildet ist, Information abzufragen, die mit dem Titel des zweiten Kommunikationsendgeräts assoziiert ist und mit einer Anzeigesteuervorrichtung (62) für die Darstellung der abgefragten Information auf der Anzeige verbunden ist; und der Datenabfragemechanismus (65) dazu ausgebildet ist, Information abzufragen, die sich auf auswählbare Kommunikationskanäle bezieht, die für das Kommunizieren mit dem zweiten Kommunikationsendgerät verwendbar sind;</p>
<p>dadurch gekennzeichnet, dass die Anzeigesteuervorrichtung (62) dazu ausgebildet ist, eine Mehrzahl von auswählbaren Punkten (152-157) auf der Anzeige darzustellen, die lediglich die verwendbaren Kommunikationskanäle repräsentieren, die auf das Detektieren der Eingabe des Titels ansprechbar sind; wobei die Anzeigesteuervorrichtung (62) dazu ausgebildet ist, am Anfang der Eingabe von Buchstaben durch den Benutzer die verschiedenen verwendbaren Kommunikationskanäle zur Auswahl darzustellen.</p>
<p><rd nr="7"/>Anspruch 11 lautet im englischen Original:</p>
<p>11. The communication terminal (10) according to claim 8, wherein the display control device (62) is configured to present the plurality of selectable items (152-157) as separate icons.</p>
<p><rd nr="8"/>In deutscher Übersetzung:</p>
<p>11. Kommunikationsendgerät (10) nach Anspruch 8, wobei die Anzeigesteuervorrichtung (62) zur Darstellung der Mehrzahl von auswählbaren Punkten (152-157) als gesonderte Ikonen ausgebildet ist.</p>
<p><rd nr="9"/>Die Klägerin macht im Verfahren nur noch eine beschränkte Anspruchskombination aus Anspruch 8, kombiniert mit dem abhängigen Anspruch 11, geltend (S. 4 Replik). Die Merkmale des (ursprünglich unbeschränkt) geltend gemachten Patentanspruchs 8 ergeben sich im Einzelnen aus der Merkmalsgliederung K (E) 2; die Merkmale des beschränkten Anspruchs folgen aus K (E) 6.</p>
<p><rd nr="10"/>Das Klagepatent ist nicht standardessentiell.</p>
<p><rd nr="11"/>Die nachfolgend wiedergegebene Figur 1 des Klagepatents zeigt ein beispielhaftes Mobiltelefon:</p>
<p><img src="BayBuergerServiceRS_2019_703-1-de.PNG" alt=""/></p>
<p><rd nr="12"/>Das Klagepatent geht hierbei grundsätzlich von einem Mobiltelefon mit einem Eingabebereich (input interface) 14 aus, das mit Knöpfen oder Tasten arbeitet, [0016]. Indes erlaubt das Klagepatent auch den Einsatz eines Touch-Displays, [0016] aE.</p>
<p>C. Zu der angegriffenen Ausführungsform</p>
<p><rd nr="13"/>Die Klägerin wendete sich zunächst explizit, aber nicht abschließend, gegen die Mobilfunkgeräte P. 7 Plus, P. 7, P. 6s Plus, P. 6s, P. SE (S. 22/23, 57 Klageschrift). Sie erläuterte in der Replik, auch die Mobilfunkgeräte P. 8 Plus, P. 8, und P. X verwirklichten das Klagepatent (S. 29 Replik).</p>
<p><rd nr="14"/>Die angegriffenen Ausführungsformen unterstützen Mobilfunkstandards wie GSM, GPRS, UMTS oder LTE. Sie verfügen über ein Multi-Touch Widescreen Display mit LED-Hintergrund-Beleuchtung und IPS-Technologie. Mittels einer Home-Taste an den angegriffenen Ausführungsformen kann der Benutzer in das Hauptmenü des Systems wechseln (S. 23/28 Klageschrift). Die fraglichen Mobilfunkgeräte weisen keine physische Tastatur auf (S. 30 Replik).</p>
<p><rd nr="15"/>Die angegriffenen Ausführungsformen werden durch das Betriebssystem iOS gesteuert, das auch die Funktion Spotlight-Suche umfasst, mittels derer der Nutzer u.a. auf dem Telefon gespeicherte Kontakte finden kann (S. 28/29 Klageschrift). In iOS 11 heißt die fragliche Suchfunktion Siri & Suchen (S. 29 Replik). Die Spotlight-Suche/ Funktion Siri & Suchen (im Folgenden zusammenfassend „Suchfunktionalität“) kann der Nutzer aktivieren, indem er in dem Home-Screen auf dem Display des Telefons nach unten streicht (S. 19 Klageerwiderung-II, S.30 Replik, S. 22 Duplik mit Bildern). Die Suchfunktionalität zeigt nicht nur Kontakte an, vielmehr stellt sie eine Inhalte des jeweiligen P. s, aber auch Inhalte aus dem Internet umfassende Abfragefunktion dar. Eine Kommunikation kann aus der Suchfunktionalität heraus nicht gestartet werden, vielmehr ist hierzu der Wechsel in die Telefon-/ Nachrichten-/ Facetime-Anwendung erforderlich (S. 24/26 Duplik mit Bildern, SVG, Augenschein).</p>
<p>D. </p>
<p><rd nr="16"/>Die Klägerin bringt vor,</p>
<p>I. sie sei - entgegen der Auffassung der Beklagtenseite - aktivlegitimiert.</p>
<p>II. Vorwürfe der Beklagtenseite, die Klägerin würde eine Marktmacht missbrauchen und durch die Klage den Mitbewerber N. vom Markt drängen wollen, wies die Klägerin zurück. Sie unterstrich, die Beklagtenseite wolle vielmehr die Klägerin schädigen durch Anstiftung der Lizenznehmer der Klägerin dazu, Lizenzgebühren nicht mehr zu zahlen, (S. 63/75 Replik).</p>
<p>III. Zu der Auslegung des Merkmals „Standby-Anzeige“ stützt sie sich auf [0018], und unterstreicht, die Standby-Anzeige erlaube die Eingabe einer Nummer und die Einleitung eines Anrufs. Entscheidend sei, dass aus der Standby-Anzeige heraus ein Kommunikationskanal zugänglich sei, dass mithin keine gesonderte Anwendung für die Aktivierung des Kommunikationskanals aufgerufen werden müsse, sondern durch die bloße Aktivierung einer allgemeinen Eingabemöglichkeit - gleich der Eingabe einer Telefonnummer im Stand der Technik - etwaige Kommunikationskanäle aufgerufen werden können (Klage S. 20, 34/35, Replik S. 7/8). Dieses Verständnis werde durch [0003] und [0019] gedeckt (S. 8/9 Replik).</p>
<p><rd nr="17"/>Ein anderes folge nicht aus [0021] mit Figur 6: die dort beschriebene Ausführungsform sei nicht in Anspruch 8 des Klagepatents beansprucht, weil die Kontaktliste aufgerufen werde, um eine Verbindung einzuleiten (S. 10 Replik unter Bezugnahme auf [0018]). Die Klägerin unterstreicht, dass das Teilmerkmal „Standby-Anzeige“ erst im Verlauf des Erteilungsverfahrens in die Ansprüche 1 und 8 aufgenommen worden sei, um Bedenken wegen <verweis.norm>Art. 84 <v.abk ersatz="EPÜ auszuräumen (Teilanmeldung K">EPÜ auszuräumen (Teilanmeldung K</v.abk></verweis.norm> (E) 7, Absichtserklärung K (E) 8, Klagepatent mit Änderungen des Prüfers K (E) 9).</p>
<p>IV. Nach obiger zutreffender Auslegung sei das Merkmal verletzt. Denn die Suchfunktionalität erlaube das Eintippen und Eingeben einer Nummer, wie dies die klagepatentgemäße Standby-Anzeige verlange (S. 35 Klageschrift).</p>
<p><rd nr="18"/>Nichts anderes folge aus den Einwendungen der Beklagtenseite. Erstens könne man nicht nur - wie die Beklagtenseite das tue - den Sperrbildschirm oder den Home-Screen als Standby-Anzeige ansehen. Vielmehr sei eine Standby-Anzeige dadurch gekennzeichnet, dass man eine Nummer eingeben könne - das könne man weder bei Sperrbildschirm noch bei dem Home-Screen, aber bei Eingabe in die Suchfunktion (S. 30 Replik). Es sei zu berücksichtigen, dass die angegriffenen Ausführungsformen keine physische Tastatur aufwiesen, wie dies das Klagepatent ausdrücklich vorsehe, [0016]. Durch die Wischgeste erscheine die Tastatur erst, und erst dann könne über eine patentgemäße Standby-Anzeige gesprochen werden (S. 30/31 Replik).</p>
<p><rd nr="19"/>Die Suchfunktion sei keine spezifische Funktionalität für einen Kommunikationskanal, ebenso wenig ein Adressbuch oder eine Kontaktliste, wovon sich das Klagepatent (mit der Standby-Anzeige) abgrenzen wolle (S. 31 Replik).</p>
<p>V. Eine Aussetzung des Verfahrens mit Blick auf die Nichtigkeitsklage (S. 33/61 Replik) oder andere Verfahren (S. 76/80 Replik) sei nicht veranlasst.</p>
<p>E. Anträge</p>
<p><rd nr="20"/>Die Klägerin kündigte zunächst schriftsätzlich folgende Anträge an:</p>
<p>I. Die Beklagten werden verurteilt,</p>
<p>1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000 - ersatzweise Ordnungshaft - oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen, Kommunikationsendgeräte in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu diesen Zwecken einzuführen oder zu besitzen,</p>
<p>die Folgendes umfassen:</p>
<p>- eine Kommunikationssteuervorrichtung umfassend eine Transceivervorrichtung zur Übertragung von Signalen über eine Kommunikationsverbindung;</p>
<p>- eine Benutzerschnittstelle umfassend eine Anzeige und eine Eingabeschnittstelle;</p>
<p>- eine Eingabedetektionsvorrichtung, die dazu ausgebildet ist, die Eingabe von Buchstaben durch einen Benutzer in einer Standby-Anzeige zu detektieren, die einen Titel für ein zweites Kommunikationsendgerät repräsentiert;</p>
<p>- einen Titelspeicher;</p>
<p>- einen Datenabfragemechanismus, der dazu ausgebildet ist, Information zu detektieren, die mit dem Titel des zweiten Kommunikationsendgeräts assoziiert ist und mit einer Anzeigesteuervorrichtung für die Darstellung der abgefragenen Information auf der Anzeige verbunden ist; und der Datenabfragemechanismus dazu ausgebildet ist, Information abzufragen, die sich auf auswählbare Kommunikationskanäle bezieht, die für das Kommunizieren mit dem zweiten Kommunikationsendgerät verwendbar sind;</p>
<p>dadurch gekennzeichnet, dass die Anzeigesteuervorrichtung dazu ausgebildet ist, eine Mehrzahl von auswählbaren Punkten auf der Anzeige darzustellen, die lediglich die verwendbaren Kommunikationskanäle repräsentieren, die auf das Detektieren der Eingabe des Titels ansprechbar sind; wobei die Anzeigesteuervorrichtung dazu ausgebildet ist, am Anfang der Eingabe von Buchstaben durch den Benutzer die verschiedenen verwendbaren Kommunikationskanäle zur Auswahl darzustellen.</p>
<p>(Anspruch 8, unmittelbare Verletzung),</p>
<p>insbesondere, wenn die Kommunikationssteuervorrichtung zum Aufbau einer Kommunikationsverbindung mit dem zweiten Kommunikationsendgerät über einen ausgewählten aus der Mehrzahl von Kommunikationskanälen ausgebildet ist;</p>
<p>(Anspruch 9, unmittelbare Verletzung) und/oder insbesondere wenn die Eingabedetektionsvorrichtung dazu ausgebildet ist, die Eingabe eines Befehls zu detektieren, indem einer der Kommunikationskanäle ausgewählt wird;</p>
<p>(Anspruch 10, unmittelbare Verletzung) und/oder insbesondere wenn die Anzeigesteuervorrichtung zur Darstellung der Mehrzahl von auswählbaren Punkten als gesonderte Ikonen ausgebildet ist;</p>
<p>(Anspruch 11, unmittelbare Verletzung) und/oder insbesondere wenn die verschiedenen Kommunikationskanäle zwei Typen der Gruppe: Sprachanruf, Videoanruf, Textnachrichten, Bildnachrichten und E-Mail umfassen;</p>
<p>(Anspruch 12, unmittelbare Verletzung) und/oder insbesondere wenn die abgefragene Information Identitätsdaten eines Benutzers des zweiten Kommunikationsendgeräts umfasst;</p>
<p>(Anspruch 13, unmittelbare Verletzung) und/oder insbesondere wenn die abgefragene Information ein Bild eines Benutzers des zweiten Kommunikationsendgeräts umfasst;</p>
<p>(Anspruch 14, unmittelbare Verletzung)</p>
<p>2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 30. März 2016 begangen haben, und zwar unter Angabe</p>
<p>a) der Namen und Anschriften der Lieferanten und anderer Vorbesitzer,</p>
<p>b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,</p>
<p>c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen und bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;</p>
<p>wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Einkaufs- und Verkaufsbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;</p>
<p>3. der Klägerin schriftlich in geordneter Form (gegliedert nach Kalendervierteljahren) Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 30. April 2016 begangen haben, und zwar unter Angabe:</p>
<p>a) die Mengen der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse,</p>
<p>b) der einzelnen Lieferungen (unter Angabe der Marken der jeweiligen Erzeugnisse sowie allen Identifikationsmerkmalen wie Typenbezeichnung, Artikelbezeichnung, laufender Produktnummer), aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen (und ggf. Typenbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,</p>
<p>c) der einzelnen Angebote (unter Angabe der Marken der jeweiligen Erzeugnisse sowie allen Identifikationsmerkmalen wie Typenbezeichnung, Artikelbezeichnung, laufender Produktnummer), aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen (und ggf. Typenbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,</p>
<p>d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,</p>
<p>e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,</p>
<p>wobei zum Nachweis der Angaben zu b) die entsprechenden Belege (nämlich Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen,</p>
<p>wobei es den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu benennenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen, und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;</p>
<p>4. in der Bundesrepublik Deutschland jeweils in ihrem unmittelbaren und/oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum befindlichen, unter Ziffer I.1. bezeichneten Erzeugnisse auf eigene Kosten zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von der Klägerin zu benennenden oder zu beauftragenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben;</p>
<p>5. die unter Ziffer I.1. bezeichneten, in Verkehr gebrachten und im Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen,</p>
<p>indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagten oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagten zurückzugeben und den Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits bezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe zugesagt wird und endgültig zu entfernen, indem die Beklagten die erfolgreich zurückgerufenen Erzeugnisse wieder an sich nehmen.</p>
<p>II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 30. April 2016 begangenen Handlungen der Beklagten entstanden ist und noch entstehen wird.</p>
<p>III. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.</p>
<p><rd nr="21"/>Sie stellte in dem frühen ersten Termin sodann folgende Anträge, die die nunmehr eingeschränkte Geltendmachung der Ansprüche des Klagepatents berücksichtigen:</p>
<p>I. Die Beklagten werden verurteilt,</p>
<p>1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000 - ersatzweise Ordnungshaft - oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen, Kommunikationsendgeräte in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu diesen Zwecken einzuführen oder zu besitzen,</p>
<p>die Folgendes umfassen:</p>
<p>- eine Kommunikationssteuervorrichtung umfassend eine Transceivervorrichtung zur Übertragung von Signalen über eine Kommunikationsverbindung;</p>
<p>- eine Benutzerschnittstelle umfassend eine Anzeige und eine Eingabeschnittstelle;</p>
<p>- eine Eingabedetektionsvorrichtung, die dazu ausgebildet ist, die Eingabe von Buchstaben durch einen Benutzer in einer Standby-Anzeige zu detektieren, die einen Titel für ein zweites Kommunikationsendgerät repräsentiert;</p>
<p>- einen Titelspeicher;</p>
<p>- einen Datenabfragemechanismus, der dazu ausgebildet ist, Information zu detektieren, die mit dem Titel des zweiten Kommunikationsendgeräts assoziiert ist und mit einer Anzeigesteuervorrichtung für die Darstellung der abgefragenen Information auf der Anzeige verbunden ist; und der Datenabfragemechanismus dazu ausgebildet ist, Information abzufragen, die sich auf auswählbare Kommunikationskanäle bezieht, die für das Kommunizieren mit dem zweiten Kommunikationsendgerät verwendbar sind;</p>
<p>dadurch gekennzeichnet, dass die Anzeigesteuervorrichtung dazu ausgebildet ist, eine Mehrzahl von auswählbaren Punkten auf der Anzeige darzustellen, die lediglich die verwendbaren Kommunikationskanäle repräsentieren, die auf das Detektieren der Eingabe des Titels ansprechbar sind; wobei die Anzeigesteuervorrichtung dazu ausgebildet ist, am Anfang der Eingabe von Buchstaben durch den Benutzer die verschiedenen verwendbaren Kommunikationskanäle zur Auswahl darzustellen; und wobei die Anzeigesteuervorrichtung zur Darstellung der Mehrzahl von auswählbaren Punkten als gesonderte Ikonen ausgebildet ist.</p>
<p>(Anspruch 8, eingeschränkte Fassung, unmittelbare Verletzung),</p>
<p>insbesondere, wenn die Kommunikationssteuervorrichtung zum Aufbau einer Kommunikationsverbindung mit dem zweiten Kommunikationsendgerät über einen ausgewählten aus der Mehrzahl von Kommunikationskanälen ausgebildet ist;</p>
<p>(Anspruch 9, unmittelbare Verletzung) und/oder insbesondere wenn die Eingabedetektionsvorrichtung dazu ausgebildet ist, die Eingabe eines Befehls zu detektieren, indem einer der Kommunikationskanäle ausgewählt wird;</p>
<p>(Anspruch 10, unmittelbare Verletzung) und/oder insbesondere wenn die verschiedenen Kommunikationskanäle zwei Typen der Gruppe: Sprachanruf, Videoanruf, Textnachrichten, Bildnachrichten und E-Mail umfassen;</p>
<p>(Anspruch 12, unmittelbare Verletzung) und/oder insbesondere wenn die abgefragene Information Identitätsdaten eines Benutzers des zweiten Kommunikationsendgeräts umfasst;</p>
<p>(Anspruch 13, unmittelbare Verletzung) und/oder insbesondere wenn die abgefragene Information ein Bild eines Benutzers des zweiten Kommunikationsendgeräts umfasst;</p>
<p>(Anspruch 14, unmittelbare Verletzung)</p>
<p>2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 30. März 2016 begangen haben, und zwar unter Angabe</p>
<p>d) der Namen und Anschriften der Lieferanten und anderer Vorbesitzer,</p>
<p>e) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,</p>
<p>f) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen und bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;</p>
<p>wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Einkaufs- und Verkaufsbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;</p>
<p>3. der Klägerin schriftlich in geordneter Form (gegliedert nach Kalendervierteljahren) Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 30. April 2016 begangen haben, und zwar unter Angabe:</p>
<p>a) der Mengen der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse,</p>
<p>b) der einzelnen Lieferungen (unter Angabe der Marken der jeweiligen Erzeugnisse sowie allen Identifikationsmerkmalen wie Typenbezeichnung, Artikelbezeichnung, laufender Produktnummer), aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen (und ggf. Typenbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,</p>
<p>c) der einzelnen Angebote (unter Angabe der Marken der jeweiligen Erzeugnisse sowie allen Identifikationsmerkmalen wie Typenbezeichnung, Artikelbezeichnung, laufender Produktnummer), aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen (und ggf. Typenbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,</p>
<p>d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,</p>
<p>e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,</p>
<p>wobei zum Nachweis der Angaben zu b) die entsprechenden Belege (nämlich Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen,</p>
<p>wobei es den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu benennenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen, und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;</p>
<p>4. in der Bundesrepublik Deutschland jeweils in ihrem unmittelbaren und/oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum befindlichen, unter Ziffer I.1. bezeichneten Erzeugnisse auf eigene Kosten zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von der Klägerin zu benennenden oder zu beauftragenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben;</p>
<p>5. die unter Ziffer I.1. bezeichneten, in Verkehr gebrachten und im Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen,</p>
<p>indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagten oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagten zurückzugeben und den Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits bezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe zugesagt wird und endgültig zu entfernen, indem die Beklagten die erfolgreich zurückgerufenen Erzeugnisse wieder an sich nehmen.</p>
<p>II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der der N. R., Inc. durch die unter Ziffer I.1. bezeichneten, in der Zeit vom 30. April 2016 bis zum 20. September 2017 begangenen Handlungen der Beklagten und der der Klägerin durch die unter Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 21. September 2017 begangenen Handlungen der Beklagten entstanden ist und noch entstehen wird.</p>
<p>III. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.</p>
<p><rd nr="22"/>Die Beklagtenseite hat einer etwaigen Teilklagerücknahme unter Verwahrung gegen die Kostenlast zugestimmt. Im Übrigen beantragt sie Klageabweisung,</p>
<p>hilfsweise Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf die anhängige Nichtigkeitsklage.</p>
<p><rd nr="23"/>Sie beantragt weiter hilfsweise, </p>
<p>das Urteil nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von mindestens 1,152 Mrd. € für vorläufig vollstreckbar zu erklären, und der Beklagtenseite zu gestatten, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung (auch durch Gestellung einer Bürgschaft) abzuwenden.</p>
<p><rd nr="24"/>Im Hinblick auf die nichttechnischen Erwiderungen beantragt die Beklagtenseite weiter hilfsweise </p>
<p>die Aussetzung bis zur rechtskräftigen Entscheidung des UK High Court, HP-2017-000015, § 148 ZPO, bzw. bis zur Entscheidung der EU-Kommission über die Wettbewerbsverfahren gegen die Klägerin wegen AT.40220, AT.39711, <verweis.norm>Art. 16 <v.abk ersatz="VO 2003/1/EG">VO 2003/1/EG</v.abk></verweis.norm>, außerdem weiter hilfsweise von der EU Kommission eine Stellungnahme zur Anwendung der Wettbewerbsregeln einzuholen und das Verfahren bis zum Erhalt der Stellungnahme auszusetzen, und zuletzt hilfsweise eine Vorlage an den EuGH, um die Kartellrechtswidrigkeit des behaupteten klägerischen Verhaltens überprüfen zu lassen.</p>
<p><rd nr="25"/>Die Klägerin wendet sich gegen eine Aussetzung.</p>
<p>F. </p>
<p><rd nr="26"/>Die Beklagtenseite bringt vor:</p>
<p><rd nr="27"/>I. Die Beklagtenseite bestreitet die Aktivlegitimation der Klägerin (S. 2/3 Klageerwiderung-II, S. 2/4 Duplik-II).</p>
<p><rd nr="28"/>II. Eine Auslegung des Begriffs Standby-Anzeige schon nach dem Wortlaut zeige, dass hier eine Funktion des Telefons angesprochen sei, in der es lediglich bereit sei, Anrufe zu empfangen und Nutzereingaben entgegen zu nehmen (S. 15 Klageerwiderung-II). Der Fachmann habe den Begriff zum Prioritätszeitpunkt so verstanden, dass das Telefon allenfalls Batterieladung, Signalstärke, Namen des Netzbetreibers, Uhrzeiten und gegebenenfalls eventuelle Benachrichtigungen anzeigte (S. 16 Klageerwiderung-II, FBD 101). Zwar sei es bei einer Ausstattung des Telefons mit einer physischen Tastatur möglich gewesen, direkt im Standby-Modus eine Nummer einzugeben, das sei für das Verständnis des Begriffs indes nicht konstitutiv gewesen. Maßgeblich sei vielmehr, dass das Gerät im Grundzustand sei, mithin kein weiteres Menü und keine weitere Funktion geöffnet sei. Dieses fachmännische Verständnis decke sich mit dem Verständnis der Beschreibung in [0003]. Nur bei einem Verständnis von Standby-Anzeige als „Nullzustand“ mache auch der „Witz“ des Klagepatents [0018] Sinn (S. 16/17 Klageerwiderung-II). Es handele sich schon dann nicht mehr um eine klagepatentgemäße Standby-Anzeige, wenn der Nutzer überhaupt eine Anwendung aufrufen müsse. Standby-Anzeige sei damit der Grundzustand des Geräts (S. 6 Duplik-II).</p>
<p><rd nr="29"/>Der Umstand, dass die angegriffenen Ausführungsformen keine physische Tastatur hätten, erlaube keine weitere Auslegung - insbesondere folge nichts anderes aus dem klägerseits in Bezug genommenen [0016]. Schließlich könne auch ein Touchscreen ständig eine Tastatur anzeigen (S. 6/7 Duplik-II).</p>
<p><rd nr="30"/>Nicht klagepatentgemäß sei es, wenn nur gespeicherte Telefonnummern aus der Standby-Anzeige heraus angerufen werden könnten (S. 27 Duplik-II unter Bezugnahme auf [0018]).</p>
<p><rd nr="31"/>III. Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichten das Merkmal nicht. Standby-Anzeige im klagepatentgemäßen Sinne sei allein der Sperrbildschirm der angegriffenen Ausführungsformen, in dem jedoch keine Anwendung gestartet und kein Menü geöffnet sei (S. 18 Klageerwiderung-II). Die Suchfunktionalität müsse hingegen gesondert aufgerufen werden; sie könne durch eine Geste (Streichen nach unten im „Home-Screen“) gestartet werden (S. 19 Klageerwiderung-II). Die im Klagepatent beschriebene Problemstellung passe auf die angegriffene Ausführungsform nicht, weil stets die Auswahl einer Anwendung erforderlich sei (S. 7 Duplik-II).</p>
<p><rd nr="32"/>Die Beklagtenseite unterstreicht: Die Anzeige der virtuellen Tastatur sei von der Suchfunktionalität selbst zu unterscheiden. Das werde deutlich, wenn man eine physische Tastatur an das P. anschließe - dann werde gerade keine Tastatur angezeigt. Daher diene die Wischgeste entgegen der Darstellung der Klägerin nicht dazu, eine Tastatur anzuzeigen, sondern die Suchanwendung zu starten (S. 23, 29 Duplik-II mit Bildern).</p>
<p><rd nr="33"/>Die Suchfunktionalität erlaube die Suche nach bestimmten Themen an verschiedenen Orten des Mobiltelefons (S. 19 Klageerwiderung-II). Sie erlaube hingegen gerade nicht den Aufruf einer Kommunikation nach Eingabe einer (in dem Telefon nicht gespeicherten) Telefonnummer aus der Anwendung heraus (S. 27 Duplik-II mit Bild). Der klagepatentgemäßen Funktionsbeschreibung komme die Telefonanwendung am nächsten - sie sei indes nicht klagepatentgemäß, weil die Anwendung erst gestartet werden müsse (S. 28 Duplik-II).</p>
<p><rd nr="34"/>Es sei auch nicht richtig, wie klägerseits dargestellt, dass die Suchfunktionalität keine Anwendung sei, weil sie nicht gelöscht werden könne und nicht über ein Symbol auf dem Bildschirm verfügte - die Gestensteuerung ersetze technisch nur den Aufruf einer Anwendung durch Betätigen eines Symbols. Der Navigationsaufwand sei derselbe (S. 29/ 30 Duplik-II).</p>
<p><rd nr="35"/>IV. Ihren Aussetzungsantrag mit Blick auf die Nichtigkeitsklage FBD 102 stützt die Beklagtenseite auf die fehlende Neuheit gegenüber den Entgegenhaltungen Hawkins (FBD 104), Stepanich (FBD 107) und Kwon (FBD 108) (S. 23 Klageerwiderung-II). Auch der Anspruch in der nunmehr geltend gemachten Fassung sei nicht patentfähig (S. 34/63 Duplik-II).</p>
<p><rd nr="36"/>Durch die Geltendmachung einer eingeschränkten Merkmalskombination habe sich der Aussetzungsmaßstab verschoben (S. 34 Duplik-II).</p>
<p><rd nr="37"/>V. Im Übrigen sei jedenfalls eine etwaige Verurteilung zur Unterlassung unverhältnismäßig, weil dies gegen Kartellrecht verstoßen würde: Die Klägerin halte auf dem Markt für Premium-LTE-Basisband-Chipsätze und auf dem SEP-Lizenzmarkt eine marktbeherrschende Stellung (S. 23 ff.). Die relevanten Märkte seien durch starke Markteintrittsbarrieren gekennzeichnet (S. 26 ff. Klageerwiderung-I). Eine Vielzahl von Wettbewerbsbehörden (im Einzelnen S. 18 ff., FBD 8, 8b, 9, 10) ermittelten wegen missbräuchlichen Verhaltens gegen die Klägerin, teilweise sei sie schon zur Zahlung hoher Bußgelder verpflichtet worden. Unter anderem habe sie durch ein Rabattsystem die Beklagtenseite zu einem exklusiven Bezug von Premium-Basisband-Chipsätzen gezwungen, um so ihre Mitbewerber aus dem Markt zu drängen. Ihre marktbeherrschende Stellung wolle sie auch durch die hiesige Klage stärken (S. 36 Klageerwiderung). Dabei sei irrelevant, dass das hiesige Verfahren kein SEP beträfe. Denn die Klägerin wolle die Beklagtenseite durch die hiesige dafür „bestrafen“, dass die Beklagtenseite nach einer fünfjährigen Periode des Bezugs nur von Chips der Klägerin nunmehr N. -Chipsätze verwende (S. 37 Klageerwiderung-I).</p>
<p><rd nr="38"/>Die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs habe kein anderes Ziel als die Aufrechterhaltung und Ausweitung der marktbeherrschenden Stellung der Klägerin durch den Ausschluss von N., sei daher missbräuchlich, <verweis.norm>Art. 102 <v.abk ersatz="AEUV">AEUV</v.abk></verweis.norm>, und daher abzuweisen. Anderenfalls trüge das Gericht zu einer Schädigung oder einem Ausschluss des Wettbewerbs auf dem Markt für Premium-Basisband-Chipsätzen bei. Auch wenn hier ein nicht-beherrschter Markt betroffen sei, müsse nach der Rechtsprechung des EuGH das hiesige Verhalten mit Blick auf die Stellung der Klägerin im beherrschten Markt in einer Gesamtbetrachtung gewürdigt werden (S. 37 ff. Klageerwiderung-I).</p>
<p><rd nr="39"/>Neben der möglichen Aussetzung nach <verweis.norm>Art. 16 Abs. 1 <v.abk ersatz="VO 2003/1/EG">VO 2003/1/EG</v.abk></verweis.norm>, oder zur Anfrage bei der Europäischen Kommission oder zur Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens oder mit Blick auf ein Verfahren im Vereinigten Königreich (S. 44 ff. Klageerwiderung) müsse das Gericht daher die Unverhältnismäßigkeit des Ausspruchs des Unterlassungsanspruchs nach <verweis.norm>Art. 3 Abs. 2 der <v.abk ersatz="Durchsetzungsrichtlinie 2004/48/EG beachten (S">Durchsetzungsrichtlinie 2004/48/EG beachten (S</v.abk></verweis.norm>. 44 Klageerwiderung). Die Klägerin verstoße auch unmittelbar gegen <verweis.norm>Art. 3 der <v.abk ersatz="Entscheidung der Kommission vom 24">Entscheidung der Kommission vom 24</v.abk></verweis.norm>.01.2018 (S. 6ff. Duplik).</p>
<p><rd nr="40"/>VI. Mit der Duplik machte die Beklagtenseite auch einen Lizenzeinwand geltend (Duplik Teil III). Weil es hierauf nicht streitentscheidend ankommt, verweist das Gericht auf den Sachvortrag der Beklagtenseite in der Duplik Teil III.</p>
<p><rd nr="41"/>VII. Hilfsweise seien Rückruf- und Vernichtungsansprüche wegen Unverhältnismäßigkeit abzuweisen, weiter hilfsweise seien vollstreckungsrechtliche Besonderheiten zu beachten (S. 65/71 Klageerwiderung-I, FBD 18, FBD 19, S. 46 Duplik-I), insbesondere eine erhöhte Vollstreckungssicherheit.</p>
<p>G. Prozessuales</p>
<p><rd nr="42"/>Die Beklagtenseite verkündete mit Schriftsatz jeweils vom 21.08.2018 den Streit an die O. A. Co Ltd., die I. Corporation und die E. Corporation. Die E. Corporation trat mit Schriftsatz vom 6.9.2018 dem Streit bei.</p>
<p><rd nr="43"/>Das Gericht hat die Sache in zwei Terminen ausführlich mit den Parteien erörtert.</p>
<p><rd nr="44"/>Zur Ergänzung des Tatbestands nimmt das Gericht Bezug auf alle zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, sowie sämtliche gerichtlichen Verfügungen, Beschlüsse und Protokolle.</p>
<p><rd nr="45"/>Nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung reichte die beklagte Partei den Schriftsatz vom 25.1.2019 ein. Darin wird mitgeteilt, dass die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamtes in den Einspruchsverfahren betreffend das EP … 067 (7 O 14455/17 und 7 O 14460/17) und das EP … 658 (7 O 14457/17 und 7 O 14462/17) am 23.1.2019 die vorläufige Rechtsauffassung vertreten habe, dass diese Patente nicht rechtsbeständig seien. Diese vorläufige Einschätzung habe auch Einfluss auf die Beurteilung der Rechtsbeständigkeit des hiesigen Klagepatents, denn alle Patente entstammten derselben Ursprungsanmeldung.</p>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
<p><rd nr="46"/>Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.</p>
<p>A. </p>
<p><rd nr="47"/>Die Klage ist zulässig.</p>
<p><rd nr="48"/>I. Das Landgericht München ist zuständig. Die internationale und örtliche Zuständigkeit folgt aus <verweis.norm>Art. 7 Nr. 2 <v.abk ersatz="EuGVVO">EuGVVO</v.abk></verweis.norm>, § 38 Nr. 1 GZVJu, die sachliche (ausschließliche) Zuständigkeit ergibt sich aus § 143 PatG.</p>
<p><rd nr="49"/>II. Der Klage fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis, auch nicht wegen des beklagtenseits erhobenen Kartellrechtseinwands.</p>
<p><rd nr="50"/>1. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt einer Klage nur unter besonderen Umständen. Grundsätzlich besteht ein Anspruch auf die Möglichkeit, ein ordentliches Gericht anzurufen. Das Rechtsschutzbedürfnis einer Klage ist von der Begründetheit zu trennen, d.h. der Berechtigung des materiellen Klagebegehrens (Zöller-Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, vor <verweis.norm>§ 253 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> Rn. 18 mwN). Eine Klage kann u.a. unzulässig sein, wenn das Gericht bei einer Gesamtwürdigung Indizien dafür feststellt, dass der Kläger mit der Klage ausschließlich prozesszweckfremde Zwecke verfolgt (BGH NJW 2017, 674, 675 Rn. 25 mwN; als höchstrichterliche Rechtsprechung zu dem Rechtsschutzbedürfnis als allgemeine Prozessvoraussetzung auf das Patentrecht übertragbar).</p>
<p><rd nr="51"/>Immaterialgüterrechte sind im europäischen Primär- und Sekundärrecht ebenso wie national auf verfassungsrechtlicher Ebene geschützt. Sie gewähren ein Ausschließlichkeitsrecht, das insbesondere die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs gewährt. Dessen Ausübung kann grundsätzlich keinen Missbrauch begründen (Calliess/Ruffert-Weiß, EUV/AEUV, 5. Auflage, <verweis.norm>Art. 102 <v.abk ersatz="AEUV">AEUV</v.abk></verweis.norm> Rn. 39 mwN): Es ist eine Grundwertung des Patentrechts, dass der Patentinhaber sein Ausschließlichkeitsrecht auch ausüben darf. Anderes kann grundsätzlich nur gelten, wenn das fragliche Patent standardessenziell ist und dem Patentinhaber hierdurch eine marktbeherrschende Stellung vermittelt, oder wenn sich aus den Modalitäten der Ausübung der Rechte aus dem (nicht standardessentiellen aber nicht umgehbaren) Patent ergibt, dass ein kartellrechtlich relevantes Ziel verfolgt wird (und die Ausübung des Rechts mithin nicht mehr seinem „spezifischen Gegenstand“ entspricht, siehe Calliess/Ruffert-Weiß, EUV/AEUV, 5. Auflage, <verweis.norm>Art. 102 <v.abk ersatz="AEUV">AEUV</v.abk></verweis.norm> Rn. 39 mwN; grundlegend EuGH verb. Rs. C-241/91 P und 242/91 P GRUR-Int 1995, 490, 493, Rn. 50 ff. - Magill; EuGH 238/87 GRUR-Int 1990, 141, Rn. 9 - Volvo/Veng). An die Annahme einer solchen Ausnahmesituation sind strenge Anforderungen zu stellen (zB EuGH Rs. C-418/01 - IMS Health MMR 2004, 456, Rn. 34, 35 mwN). Eine Lizenz soll dann erteilt werden müssen, wenn ihre Verweigerung das Auftreten eines neuen Erzeugnisses verhindert, nach dem eine potenzielle Nachfrage der Verbraucher besteht, die Verweigerung darf nicht gerechtfertigt sein, und sie muss geeignet sein, jeglichen Wettbewerb auf einem abgeleiteten Markt auszuschließen (EuGH Rs. C-418/01 - IMS Health MMR 2004, 456, Rn. 38 mwN). Dieser Ansatz kann dahingehend generalisiert werden, dass bei Vorliegen der vorgenannten Umstände die Geltendmachung von Ansprüchen auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung aus einem Ausschließlichkeit vermittelnden Immaterialgüterrecht ausgeschlossen sein soll.</p>
<p><rd nr="52"/>2. Nach diesem Maßstab liegt keine Rechtsmissbräuchlichkeit der Anträge auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung (nachfolgend alleine: Antrag auf Unterlassung) vor, die zu einer Unzulässigkeit der Klage insoweit führen würde.</p>
<p><rd nr="53"/>a. Das Gericht prüft die Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrags auf Unterlassung als Teil der Zulässigkeit der Klage, obwohl die Beklagtenseite diesen Punkt (nur) als Begründetheitsproblem ansieht. Das Gericht hat aber die Zulässigkeit einer Klage von Amts wegen zu prüfen und vorgetragene Tatsachen rechtlich eigenständig zu werten, unabhängig von der juristischen Einkleidung durch die Parteien.</p>
<p><rd nr="54"/>b. Die Beklagtenseite hat nicht belegt, dass die Klägerin (lediglich) prozesszweckfremde Ziele mit der Klage verfolgt. Sie hat nicht belegt, dass die Klage nur dem Zweck dient, ihre marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für Premium-Basisband-Chipsätze auszubauen, und/ oder N. als Mitbewerber aus dem Markt zu drängen.</p>
<p><rd nr="55"/>Irrelevant ist, ob die Klägerin eine marktbeherrschende Stellung innehat, und wenn ja, auf welchem Markt. Denn die Geltendmachung der klägerischen Ansprüche, insbesondere des Unterlassungsanspruchs, ist schon keine missbräuchliche Verhaltensweise. Entgegen den oben dargestellten Grundsätzen hat die Beklagtenseite schon nicht belegt, dass durch die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs das Auftreten eines neuen Erzeugnisses verhindert wird. Vielmehr behauptet die Beklagtenseite, dass die patentgemäße Erfindung nicht benutzt werde. Die engen Voraussetzungen, unter denen nach der Rechtsprechung des EuGH die Geltendmachung eines Immaterialgüterrechts ausgeschlossen sein soll, sind mithin nicht erfüllt.</p>
<p><rd nr="56"/>Die Vorgehensweise der Klägerin erfordert des Weiteren keine Marktmacht, auch nicht bei der beklagtenseits herangezogenen Gesamtschau des Prozessverhaltens der Klägerin. Die Klägerin geht als Patentinhaberin gegen die Beklagtenseite vor, unabhängig von der Stellung beider Parteien auf bestimmten Märkten. Die Beklagtenseite behauptet zwar, dass die Klägerin mit den Klagen ein außerhalb des eigentlichen Klagebegehrens liegendes Ziel verfolge, nämlich N. aus dem Markt zu drängen. Dem steht indes schon entgegen, dass die Klägerin nach dem Vortrag der Beklagtenseite ihre Unterlassungsansprüche (nur) „überwiegend“ gegen P. s richte, die N. -Chips enthielten (S. 8 Klageerwiderung Teil I). Das bedeutet gleichzeitig, dass sie auch gegen P. s vorgeht, die Qualcomm-Chips enthalten. Belegt ist die Behauptung, die Klägerin verfolge mit den Klagen das Ziel, N. aus dem Markt zu drängen, im Übrigen nicht. Schließlich kommt hinzu, dass die Beklagtenseite eines der wichtigsten Unternehmen auf dem Markt der Mobilfunktelefonherstellung ist, und die hiesigen Verfahren Signalwirkung für andere Unternehmen haben können, die ein gesondertes gerichtliches Vorgehen gegen diese Unternehmen entbehrlich machen würde. Im Übrigen hat die Beklagtenseite nicht im Einzelnen vorgetragen, welche konkreten anderen Unternehmen durch welche konkreten Produkte Patentrechte der Klägerin verletzen und warum und seit wann die Klägerin hiervon in einer Weise Kenntnis erlangt hat, die eine Klageerhebung mit einiger Erfolgswahrscheinlichkeit ermöglichten.</p>
<p><rd nr="57"/>Wollte man der Argumentationslinie der Beklagtenseite folgen, wäre die Klägerin im Übrigen effektiv jeglicher Möglichkeit beraubt, die Verletzung ihrer Patente durch Mobilfunkhersteller zu ahnden, jedenfalls soweit diese andere als ihre Chips verwenden. Konsequent zu Ende gedacht dürfte die Klägerin auch nicht gegen die Hersteller patentverletzender Chips vorgehen, weil ein etwaiger Unterlassungs- und Rückrufanspruch Auswirkungen auf Mobilfunkhersteller und damit mittelbar auf die Marktquote N. s haben könnte. Die Klägerin wäre mithin wegen einer (bestrittenen) marktbeherrschenden Stellung auf einem abgeschlossenen Markt effektiv daran gehindert, jegliche ihrer Patente - gleich welcher Markt hierdurch betroffen sein könnte - durchzusetzen. Dieses Ergebnis ist mit der oben dargestellten gesetzgeberischen Wertung des Patentrechts nicht vereinbar.</p>
<p><rd nr="58"/>Ein Anspruch auf Lizenzerteilung kommt nur unter engen Voraussetzungen bei standardessentiellen Patenten in Betracht, ein solches liegt unstreitig nicht vor. Eine Ausweitung auf nicht standardessentielle Patente, kommt nach der Rechtsprechung des EuGH (wie vorzitiert) allenfalls dann in Betracht, wenn deren Benutzung unabdingbar ist. Die Beklagtenseite trägt insoweit aber gerade vor, das Klagepatent nicht zu nutzen.</p>
<p><rd nr="59"/>d. Die Klägerin verstößt durch die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs auch nicht gegen die Entscheidung der EU-Kommission, Case AT.40220. Zwar ist sie trotz der eingelegten Nichtigkeitsklage mangels Suspensivwirkung (<verweis.norm>Art. 278 S. 1 <v.abk ersatz="AEUV">AEUV</v.abk></verweis.norm>) verbindlich. Der Beschluss der EU-Kommission erfasst aber die hiesige Klage nicht. Wie oben festgestellt, stellt die Klage keinen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung der Klägerin dar. Insbesondere ist für die Klage keine marktbeherrschende Stellung erforderlich, sondern nur die Inhaberschaft des Klagepatents. Es liegt mithin kein Verhalten vor, das ein vergleichbares Ziel oder eine vergleichbare Wirkung aufweist wie das durch den Beschluss der EU-Kommission adressierte Verhalten.</p>
<p><rd nr="60"/>3. Nach alledem ist die Klage nicht als kartellrechtsverstoßend anzusehen. Sie ist nicht rechtsmissbräuchlich</p>
<p><rd nr="61"/>4. Die Klage ist insgesamt zulässig.</p>
<p>B. </p>
<p><rd nr="62"/>Die Klage ist aber unbegründet. Es kann dahinstehen, ob die Klägerin aktivlegitimiert ist. Ferner kann der Lizenzeinwand dahinstehen. Denn die angegriffenen Ausführungsformen verletzen das Klagepatent nicht.</p>
<p><rd nr="63"/>I. Das Klagepatent EP 806 B 1 betrifft ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Kommunikationskanalauswahl. Es wurde am 20.11.2006 unter Inanspruchnahme der Priorität vom 28.11.2005 (US …506) angemeldet. Der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents wurde am 30.03.2016 veröffentlicht.</p>
<p><rd nr="64"/>1. Als relevanter Fachmann ist nach übereinstimmender Definition der Parteien, der sich die Kammer anschließt, ein Dipl.-Ing. zu definieren, mit der Fachrichtung Nachrichtentechnik mit mehrjähriger Erfahrung in der Konzeption von Kommunikationsendgeräten und Fachkenntnissen im Bereich Kommunikationstechniken wie Festnetz- und Mobiltelefonie. Soweit die Parteien darüber divergieren, ob der Fachmann Kenntnisse im Bereich der verschiedenen gängigen Kommunikationsstandards haben müsse (so die Klägerin) oder Kenntnisse über Benutzeroberflächen ausreichend seien (so die Beklagtenseite), kommt es hierauf nicht streitentscheidend an.</p>
<p><rd nr="65"/>2. Das Klagepatent erläutert zum Stand der Technik im Prioritätszeitpunkt, dass frühe Kommunikationsendgeräte und -verfahren nur zur Nutzung eines Kommunikationskanals bestimmt waren, etwa der Telegraf und später die Sprachtelefonie für konventionelle Telefone. Auch frühe Mobiltelefone waren ursprünglich nur für Sprachtelefonie entwickelt und geeignet. Im Zuge der Weiterentwicklung mobiler Kommunikationsgeräte traten weitere Kanäle hinzu, so etwa die Möglichkeit, Textnachrichten über den Short Message Service (SMS) zu versenden oder - in späteren Entwicklungsstufen - Multimedianachrichten (MMS) (Abs. [0002]).</p>
<p><rd nr="66"/>Zum Prioritätszeitpunkt nutzten laut Klagepatent viele Anwender ihre Mobiltelefone sowohl für Sprachtelefonie als auch für Textnachrichten. Die Benutzeroberflächen der Mobiltelefone waren jedoch nach wie vor hauptsächlich auf die Anwahl von Telefonnummern für Sprachverbindungen ausgelegt, so dass die Eingabe einer Textnachricht nicht ohne Navigieren in die entsprechende Anwendung möglich war, wenn das Mobiltelefon sich in einem Standby-Zustand befand (Abs. [0003]). Die Eingabe einer Telefonnummer in der Standby-Anzeige erlaubte meist lediglich den Aufbau einer Sprachverbindung (Abs. [0003]), nicht die unmittelbare Eingabe einer Textnachricht.</p>
<p><rd nr="67"/>Das Klagepatent geht in erster Linie von einem Mobiltelefon mit Bildschirm und physischer Tastatur aus, sieht aber auch die Möglichkeit des Einsatzes eines Touch-Screens vor, [0016]. Insoweit weiß der Fachmann, dass eine Touch-Screen-Tastatur dauerhaft oder nur bei Bedarf angezeigt werden kann.</p>
<p><rd nr="68"/>3. Diesen Stand der Technik kritisiert das Klagepatent indirekt [3; 36] dahingehend, dass der Nutzer, der einen anderen Kanal als das Telefon benutzen wollte, zunächst diesen anderen Kommunikationskanal auswählen musste durch Öffnen der entsprechenden Anwendung und anschließend erst den Empfänger der beabsichtigten Nachricht auswählen konnte.</p>
<p><rd nr="69"/>4. Das Klagepatent möchte im Wege einer Alternative bzw. Verbesserung eine effizientere Möglichkeit bereitstellen, um eine Kommunikationsverbindung zu einem zweiten Endgerät in einem Kommunikationsendgerät auszuwählen, welches mehrere Kommunikationskanäle verwenden kann, also etwa Sprachtelefonie und Textnachrichten (Abs. [0005]).</p>
<p><rd nr="70"/>5. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Kommunikationskanalauswahl vor. Die Erfindung nach dem Klagepatent erlaubt es, so [0036], zunächst den zu kontaktierenden Kontakt auszuwählen und sodann den hierzu zu nutzenden Kommunikationskanal, wobei die Auswahl des Kontakts vorliegend dadurch von statten geht, dass in einem Stand-by-Bildschirm durch den Benutzer Buchstaben eingegeben werden, die einen Titel für ein zweites Kommunikationsendgerät repräsentieren, und im Anschluss daran die verschiedenen verwendbaren Kommunikationskanäle zur Auswahl angeboten werden, wobei sie, so die nun geltend gemachte Einschränkung, als gesonderte Ikonen dargestellt werden.</p>
<p><rd nr="71"/>Die Klägerin macht Anspruch 8 nunmehr nur noch in eingeschränkter Fassung geltend (Einschränkung auf Anspruchskombination 8 mit 11).</p>
<p><rd nr="72"/>Beide Parteien gliedern den neu gefassten Anspruch 8 auf dieselbe Weise, der sich die Kammer anschließt (K (E) 6, zuvor K (E) 2). Die von der ursprünglichen Fassung abweichenden Merkmale der eingeschränkten Merkmalskombination hat das Gericht unterstrichen.</p>
<table border="0" rules="none" class="cals framenone">
<colgroup>
<col width="9%"/>
<col width="9%"/>
<col width="9%"/>
<col width="70%"/>
</colgroup>
<tbody>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.</p>
</td><td colspan="3" rowspan="1" align="left">
<p>A communication terminal (10) comprising:</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.1</p>
</td><td colspan="2" rowspan="1" align="left">
<p>a communication controller (63) including a transceiver device for transmitting signals over a communication link;</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.2</p>
</td><td colspan="2" rowspan="1" align="left">
<p>a user interface including a display and an input interface;</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.3</p>
</td><td colspan="2" rowspan="1" align="left">
<p>an input detection device (61) configured to sense input of letters by a user in a standby screen, representing a title for a second communication terminal;</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.4</p>
</td><td colspan="2" rowspan="1" align="left">
<p>a title memory;</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.5</p>
</td><td colspan="2" rowspan="1" align="left">
<p>a data retrieving mechanism (65),</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.5.1</p>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>configured to retrieve information associated with the title of the second communication terminal and connected to a display control device (62) for presenting the retrieved information on the display; and</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.5.2</p>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>configured to retrieve information related to selectable communication channels usable for communicating with the second communication terminal;</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="3" rowspan="1" align="left">
<p>characterised in that</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.6</p>
</td><td colspan="2" rowspan="1" align="left">
<p>the display control device (62) is configured to present, on the display, a plurality of selectable items (152-157) only representing the usable communication channels, responsive to sensing of input of the title; wherein</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.6.1</p>
<p>8.6.2</p>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>once the user starts to type letters, the display control device (62) is configured to present the different usable communication channels for selection; and the display control device is configured to present the plurality of selectable items as separate icons.</p>
</td></tr>
</tbody>
</table>
<p>Deutsche Übersetzung:</p>
<table border="0" rules="none" class="cals framenone">
<colgroup>
<col width="9%"/>
<col width="9%"/>
<col width="9%"/>
<col width="70%"/>
</colgroup>
<tbody>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.</p>
</td><td colspan="3" rowspan="1" align="left">
<p>Kommunikationsendgerät umfassend</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.1</p>
</td><td colspan="2" rowspan="1" align="left">
<p>eine Kommunikationssteuervorrichtung (63) umfassend eine Transceivervorrichtung zur Übertragung von Signalen über eine Kommunikationsverbindung;</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.2</p>
</td><td colspan="2" rowspan="1" align="left">
<p>eine Benutzerschnittstelle umfassend eine Anzeige und eine Eingabeschnittstelle;</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.3</p>
</td><td colspan="2" rowspan="1" align="left">
<p>eine Eingabedetektionsvorrichtung (61), die dazu ausgebildet ist, die Eingabe von Buchstaben durch einen Benutzer in einer Standby-Anzeige zu detektieren, die einen Titel für ein zweites Kommunikationsendgerät repräsentieren;</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.4</p>
</td><td colspan="2" rowspan="1" align="left">
<p>einen Titelspeicher;</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.5</p>
</td><td colspan="2" rowspan="1" align="left">
<p>einen Datenabfragemechanismus (65),</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.5.1</p>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>der dazu ausgebildet ist, Information abzufragen, die mit dem Titel des zweiten Kommunikationsendgeräts assoziiert ist und mit einer Anzeigesteuervorrichtung (62) für die Darstellung der abgefragenen Information auf der Anzeige verbunden ist; und</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.5.2</p>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>der dazu ausgebildet ist, Information abzufragen, die sich auf auswählbare Kommunikationskanäle bezieht, die für das Kommunizieren mit dem zweiten Kommunikationsendgerät verwendbar sind;</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="3" rowspan="1" align="left">
<p>dadurch gekennzeichnet, dass</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.6</p>
</td><td colspan="2" rowspan="1" align="left">
<p>die Anzeigesteuervorrichtung (62) dazu ausgebildet ist, eine Mehrzahl von auswählbaren Punkten (152-157) auf der Anzeige darzustellen, die lediglich die verwendbaren Kommunikationskanäle repräsentieren, die auf das Detektieren der Eingabe des Titels ansprechbar sind; wobei</p>
</td></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p/>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>8.6.1</p>
<p>8.6.2</p>
</td><td colspan="1" rowspan="1" align="left">
<p>die Anzeigesteuervorrichtung (62) dazu ausgebildet ist, am Anfang der Eingabe von Buchstaben durch den Benutzer die verschiedenen verwendbaren Kommunikationskanäle zur Auswahl darzustellen; und wobei die Anzeigesteuervorrichtung zur Darstellung der Mehrzahl von auswählbaren Punkten als gesonderte Ikonen ausgebildet ist.</p>
</td></tr>
</tbody>
</table>
<p><rd nr="73"/>II. Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichen die technische Lehre des neu gefassten Patentanspruchs 8 des Klagepatents weder wortsinngemäß noch mit äquivalenten Mitteln. Streitig ist zwischen den Parteien die Verwirklichung der Merkmale 8.3, 8.5.1, 8.5.2 und 8.6. Jedenfalls eine Verwirklichung des Merkmals 8.3 durch die angegriffenen Ausführungsformen besteht nicht.</p>
<p><rd nr="74"/>1. Die angegriffenen Ausführungsformen machen von Anspruch 8 keinen unmittelbaren wortsinngemäßen Gebrauch. Sie weisen keine Standby-Anzeige im patentgemäßen Sinne (Merkmal 8.3) auf.</p>
<p><rd nr="75"/>a. Gemäß <verweis.norm>Art. 69 <v.abk ersatz="EPÜ">EPÜ</v.abk></verweis.norm> wird der Schutzbereich eines europäischen Patents durch die Patentansprüche bestimmt. Beschreibung und Zeichnungen sind zur Auslegung indes heranzuziehen. Erforderlich ist eine funktionsorientierte Auslegung, wobei die Patentschrift ihr eigenes Lexikon darstellen kann (BGH GRUR 1999, 909, 912 - Spannschraube). Begriffe in den Patentansprüchen und in der Patentbeschreibung sind so zu deuten, wie sie der angesprochene Durchschnittsfachmann nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift unter Berücksichtigung von Aufgabe und Lösung der Erfindung versteht (BGH GRUR 1999, 909, 911 - Spannschraube, mwN). Eine (wohlwollende) Auslegung muss auch dann erfolgen, wenn der Anspruchswortlaut scheinbar eindeutig ist (BGH GRUR 2015, 875, 876 - Rotorelemente, mwN). Patentansprüche sind in Zweifelsfällen grundsätzlich so auszulegen, dass sie sich im Verhältnis zu in der Schrift mitgeteiltem Stand der Technik abgrenzen, es ihnen mithin nicht bereits insoweit an Neuheit fehlt. Bei Widersprüchen zwischen Patentansprüchen und Beschreibung sind solche Bestandteile der Beschreibung, die in den Patentansprüchen keinen Niederschlag gefunden haben, grundsätzlich nicht in den Patentschutz einbezogen (BGH GRUR 2011, 701, 703 Rn. 23 - Okklusionsvorrichtung).</p>
<p><rd nr="76"/>b. Eine klagepatentgemäße „Standby-Anzeige“ im Sinne des Merkmals 8.3 setzt hiernach voraus, dass ein Adressbuch oder ähnliches nicht zielgerichtet geöffnet ist und in diesem Modus Buchstaben eingegeben werden können und sodann aufgrund dieser Eingabe eine Auswahl an Kontaktierungsmöglichkeiten angezeigt wird. Das setzt aus der Sicht des Fachmanns voraus, dass auch im Standby-Modus das Adressbuch im Hintergrund geöffnet sein muss, oder durch die Eingabe im Standby-Modus im Hintergrund geöffnet wird. Anderenfalls wäre technisch nicht erklärlich, wie die anschließende Suche nach weiteren Kommunikationskanälen funktionieren kann. Da Patentansprüche nach oben Gesagtem grundsätzlich so auszulegen sind, dass sie eine neue Erfindung offenbaren, muss Merkmal 8.3 des Klagepatents so gelesen werden, dass ein zielgerichteter Aufruf des Adressbuchs aber in jedem Fall zu unterbleiben hat. Denn andernfalls würde Anspruch 8 nichts anderes beanspruchen, als in [0004] als vorbekannt beschrieben.</p>
<p><rd nr="77"/>Ein anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass das Klagepatent in [0021] und [0023] als Ausführungsbeispiele vorsieht, dass eine Nummer aus einer Konktaktliste abgerufen werden kann ([0021], Z. 20 ff.:</p>
<p>„In an exemplary embodiment, an address number may be input using input interface 14 tc [sic] type the number, or by fetching the number in a contact list stored in the terminal using e.g. a navigationtool 141 of the input interface.”; [0023]: “According to an exemplary embodiment of Fig. 1, a user has input an address number in the form of a telephone number +123456789, either using input interface 14 to type the number or by fetching the number in a contact list stored in the terminal.“)</p>
<p><rd nr="78"/>Denn diese Ausführungsbeispiele lassen sich mit dem Wortlaut des Anspruchs nicht (mehr) vereinen und sind daher nach vorzitierter höchstrichterlicher Rechtsprechung gerade nicht (mehr) beansprucht. Anderenfalls wäre der „Witz“ des Klagepatents, wonach gerade kein zielgerichteter Aufruf des Adressbuchs oder einer Kontaktliste erforderlich ist, konterkariert, wie dies auch die Klägerin - allerdings mit im Ergebnis abweichendem Auslegungsergebnis - sieht (S. 10 Replik).</p>
<p><rd nr="79"/>Weil schon dieser Aspekt des Begriffs „Standby-Anzeige“ in den angegriffenen Ausführungsformen nicht verwirklicht ist, kommt es auf die übrigen Umstände des Verständnisses der Standby-Anzeige nicht mehr an.</p>
<p><rd nr="80"/>c. Unter Zugrundelegung der obigen Auslegung liegt keine Verletzung des Merkmals 8.3 vor. Denn die Suchfunktion Spotlight läuft nicht im Hintergrund sondern muss durch den Nutzer extra und zielgerichtet aufgerufen werden. Dies geschieht, indem der Nutzer im Home-Screen-Modus auf dem Display nach unten streicht. Wie die Beklagtenseite zutreffend unterstreicht, ist es für die Patentverletzung unerheblich, ob ein Programm durch das Betätigen eines Buttons oder durch eine Geste auf dem Display, der eine Aktivierung eines bestimmten Programms zugewiesen ist, aufgerufen wird (zu S.18 Klageerwiderung-II).</p>
<p><rd nr="81"/>Die Klägerseite dringt auch nicht mit ihrer Argumentation durch, durch die Geste werde erst eine Tastatur aufgerufen, und erst dann sei von einem patentgemäßen Standby-Modus zu sprechen (zu S. 30 Replik). Das ist widerlegt durch die - nicht bestrittenen Angaben der Beklagtenseite, bei Anschluss einer Tastatur werde in der Suchfunktionalität keine virtuelle Tastatur angezeigt (S. 23, 29 Duplik-II). Ebenso wäre technisch ohne Weiteres eine Anwendung denkbar, die allein die Anzeige einer virtuellen Tastatur ermöglicht. Das zeigt, dass die Suchfunktionalität bei der angegriffenen Ausführungsform gerade nicht den patentgemäßen Standby-Modus erzeugen soll, sondern eine über die Anzeige der Tastatur hinausgehende Anwendung ist, die dem im Patent beschriebenen Adressbuch gleichsteht. Weil der Begriff „Standby-Modus“ des Merkmals 8.3 aber gerade den zielgerichteten Aufruf einer Anwendung, wie etwa eines Adressbuchs ausschließt, wird durch den Aufruf der Suchfunktionalität das Merkmal nicht verwirklicht.</p>
<p><rd nr="82"/>2. Merkmal 8.3 wird auch nicht mit einem patentrechtlich äquivalenten Mittel verwirklicht. Vortrag hierzu fehlt. Eine äquivalente Verletzung ist auch sonst nicht ersichtlich.</p>
<p><rd nr="83"/>3. Nach alledem liegt keine unmittelbare (wortsinngemäße oder äquivalente) Patentverletzung vor.</p>
<p><rd nr="84"/>Die Klage ist mithin unbegründet.</p>
<p><rd nr="85"/>III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO, soweit sie teilweise zurückgenommen worden ist (Geltendmachung einer nur eingeschränkten Merkmalskombination), im Übrigen aus § 91 ZPO.</p>
<p><rd nr="86"/>IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 2 ZPO.</p>
<p><rd nr="87"/>V. Die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach <verweis.norm>§ 156 Abs. 1 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> war nicht veranlasst.</p>
<p><rd nr="88"/>Nach <verweis.norm>§ 156 Abs. 1 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> kann das Gericht die Wiedereröffnung einer Verhandlung, die geschlossen war, anordnen.</p>
<p><rd nr="89"/>Vorliegend hat die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamtes am 23.1.2019, und damit nach Schluss der mündlichen Verhandlung, im Rahmen der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eine vorläufige und nicht bindende Einschätzung in Bezug auf die Rechtsbeständigkeit des EP … 067 (7 O 14455/17 und 7 O 14460/17) und des EP … 658 (7 O 14457/17 und 7 O 14462/17) kommuniziert. Hiernach seien diese beiden Patente nicht rechtsbeständig. Auch wenn die Kammer die Einschätzung der beklagten Partei teilte, dass diese vorläufige Einschätzung auch Einfluss auf die Beurteilung der Rechtsbeständigkeit des hiesigen Klagepatents habe, war eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht veranlasst. Denn wie gezeigt war die Klage mangels Verletzung abzuweisen. Auf die Rechtsbeständigkeit des Klagepatents kam es daher nicht entscheidend an. </p>
<table border="0" rules="none" class="cals framenone">
<colgroup>
<col width="100%"/>
</colgroup>
<tbody>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p>Verkündet am 31.01.2019</p>
</td></tr>
</tbody>
</table>
</div>
|
|
180,268 | lg-munchen-ii-2019-01-31-7-o-1013717 | {
"id": 268,
"name": "Landgericht München II",
"slug": "lg-munchen-ii",
"city": 188,
"state": 4,
"jurisdiction": "Ordentliche Gerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": "Landgericht"
} | 7 O 10137/17 | 2019-01-31T00:00:00 | 2019-02-07T14:19:18 | 2019-02-13T12:21:04 | Endurteil | <h2>Tenor</h2>
<div>
<p>1. Die Klage wird abgewiesen.</p>
<p>2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.</p>
<p>3. Das Urteil ist für die Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.</p>
</div>
<h2>Tatbestand</h2>
<div>
<p><rd nr="1"/>Die Klägerin macht mit der vorliegenden Klage Ansprüche wegen Verletzung des Gebrauchsmusters DE 501 U1 durch von der Beklagten zu 1) in Korea als sog. „white label Produkte“ (also ohne Nennung der Marke eines Original Equipment Manufacturer, kurz OEM) hergestellte und in Deutschland angebotene Speichermodule (load-reduce dual in-line memory modules, kurz LRDIMM) geltend. Diese Speichermodule werden zudem, so der bestrittene Vortrag der Klägerin, von der Beklagten zu 2) unter ihrer eigenen Marke und mit eigenen Produktnummern in Deutschland für die Server-Produkte der Beklagten zu 1) angeboten.</p>
<p><rd nr="2"/>Die Klägerin ist eine europäische Niederlassung des weltweit operierenden, USamerikanischen Speicherchipherstellers E. Inc. mit Sitz in Irvine, California. Die Muttergesellschaft der Klägerin wurde im Jahr 2000 gegründet und ist ein Zulieferer für modulare Hochleistungsspeichersysteme.</p>
<p><rd nr="3"/>Die Beklagte zu 1) ist eine südkoreanische Halbleiterherstellerin. Das Unternehmen wurde im Februar 1983 als Y. Co., Ltd gegründet. Größter Anteilseigner ist die K. . Das Unternehmen ist ein direkter Wettbewerber des Konzerns der Klägerin.</p>
<p><rd nr="4"/>Die Beklagte zu 2) ist die deutsche Tochter des USamerikanischen Informationstechnikunternehmens E. mit Sitz in Palo Alto im Bundesstaat Kalifornien.</p>
<p><rd nr="5"/>Die Klägerin ist nach eigenem Vortrag seit dem 04.07.2017 die eingetragene Inhaberin des deutschen Gebrauchsmusters DE 501 U1 (im Folgenden „Klagegebrauchsmuster“; Anlage K1), das am 06.02.2017 unter Inanspruchnahme der Prioritäten der US 12/504,131 und US 12/761,179 vom 16.07.2009 bzw. 15.04.2010 als Abzweigung der Europäischen Patentanmeldung 10 73 0021.2 eingetragen wurde. Der Hinweis auf die Eintragung wurde am 16.03.2017 veröffentlicht.</p>
<p><rd nr="6"/>Bei dem Klagegebrauchsmuster handelt es sich nach dem übereinstimmenden Vortrag aller Parteien um ein für den Standard JEDEC essentielles Schutzrecht.</p>
<p><rd nr="7"/>Das Klagegebrauchsmuster steht in Kraft (Registerausdruck gem. Anlage K2). Die Beklagte zu 1 hat unter dem 5.12.2017 Löschungsantrag (Anlage FBD B 10) beim Deutschen Patent- und Markenamt gegen das Klagegebrauchsmuster eingereicht.</p>
<p><rd nr="8"/>Das Europäische Patentamt hat in Bezug auf die Europäische Patentanmeldung EP 660 (Anmelde-Nr. 18 179 414.0) aus der Familie des Klagegebrauchsmusters mit identischen Ansprüchen Ende 2018 einen Prüfbescheid zum europäischen Recherchebericht erlassen. Hierin wird festgestellt, dass der Gegenstand der Anmeldung durch die Entgegenhaltung „Halbert“ in Kombination mit dem Wissen des angesprochenen Fachmanns nahegelegt sei (Anlage K 19 S. 2-4 des Konvoluts SK28; Übersetzung Anlage B SK 29).</p>
<p><rd nr="9"/>Das US-PTO hat in Bezug auf das parallele US-Patent 185 am 5.7.2018 festgestellt, dass die Entgegenhaltung „Halbert“ der erfinderischen Tätigkeit nicht alleine, sondern nur in Kombination mit der weiteren Entgegenhaltung „Amidi“ entgegenstehe (Anlage B SK 18; Übersetzung Anlage B SK 18a).</p>
<p><rd nr="10"/>Die eingetragenen Schutzansprüche lauten wie folgt:</p>
<p>„Schutzanspruch 1:</p>
<p>Speichermodul zur Verwendung in einem Computersystem, das einen Systemspeichercontroller aufweist, mit:</p>
<p>einer gedruckten Leiterplatte bzw. Printed Circuit Board (PCB), die in einem Modulschlitz des Computersystems anbringbar ist, wobei die PCB einen Randstecker hat, der eine Vielzahl elektrischer Kontakte aufweist, die an einem Rand der PCB positioniert und dazu positioniert sind, lösbar mit korrespondierenden Kontakten eines Computersystem-Sockels verbunden zu werden, um elektrische Leitfähigkeit zwischen dem Systemspeichercontroller und dem Speichermodul bereitzustellen; Speichervorrichtungen, die jeweils eine Bitbreite von 4 Bits haben, wobei die Speichervorrichtungen mechanisch mit der PCB verbunden und in mehreren Reihen mit n Speichervorrichtungen pro Reihe angeordnet sind, wobei jede Reihe eine Bitbreite hat, die gleich einer Bitbreite des Speichermoduls ist; einer Steuerschaltung, die mechanisch mit der PCB verbunden und über registrierte Steuerleitungen betriebsbereit mit den Speichervorrichtungen verbunden ist, wobei die Steuerschaltung dazu konfigurierbar ist, Steuersignale für eine Lese- oder Schreiboperation, die von dem Speichercontroller empfangen werden, zu registrieren und Modulsteuersignale zu erzeugen, wobei die Lese- oder Schreiboperation auf eine bestimmte der mehreren Reihen abzielt; und n/2 Datenübertragungsschaltungen, die mechanisch mit der PCB verbunden und an entsprechenden Positionen entlang des Rands der PCB verteilt sind, wobei die n/2 Datenübertragungsschaltungen dazu konfigurierbar sind, betriebsbereit mit dem Systemspeichercontroller verbunden zu werden, und dazu konfigurierbar sind, Modulsteuersignale von der Steuerschaltung zu empfangen, wobei jede der Vielzahl von Datenübertragungsschaltungen eine Bitbreite von 8 Bits hat und mit zwei zugehörigen Speichervorrichtungen in jeder der mehreren Reihen verbunden ist; wobei jede Datenübertragungsschaltung dazu konfigurierbar ist, auf die Modulsteuersignale anzusprechen durch Freigeben von Datenpfaden und durch Treiben von Datensignalen für die Lese- oder Schreiboperation auf den Datenpfaden zwischen dem Systemspeichercontroller und den beiden zugehörigen Speichervorrichtungen in der bestimmten der mehreren Reihen; wobei das Speichermodul des Weiteren Column Address Strobe(CAS)-Latenz bzw. Speicherlatenz verwendet, um die Operation der n/2 Datenübertragungsschaltungen zu steuern.“</p>
<p>Schutzanspruch 2:</p>
<p>Speichermodul nach Anspruch 1, wobei das Speichermodul dazu konfiguriert ist, mit dem Speichercontroller über Steuerleitungen und Datenleitungen zu kommunizieren, wobei die Steuerschaltung mit den Steuerleitungen verbunden ist und jede Datenübertragungsschaltung mit einem jeweiligen 8-Bit-Abschnitt der Datenleitungen verbunden ist.</p>
<p>Schutzanspruch 3:</p>
<p>Speichermodul nach Anspruch 2, wobei jede Datenübertragungsschaltung dazu konfiguriert ist, dem Speichercontroller eine Speichervorrichtungslast auf jedem Bit des jeweiligen 8-Bit-Abschnitts der Datenleitungen während einer Schreiboperation zu präsentieren.</p>
<p>Schutzanspruch 4:</p>
<p>Speichermodul nach Anspruch 1, wobei jede Datenübertragungsschaltung Logik aufweist, die auf die Modulsteuersignale anspricht, und wobei die Datenpfade Tristate-Puffer aufweisen, die von der Logik gesteuert werden.</p>
<p>Schutzanspruch 5:</p>
<p>Speichermodul nach Anspruch 4, wobei die Tristate-Puffer die Datensignale regenerieren, um Signalwellenformen wiederherzustellen.</p>
<p>Schutzanspruch 6:</p>
<p>Speichermodul nach Anspruch 1, wobei die Modulsteuersignale eine Richtung des Datenflusses durch die n/2 Datenübertragungsschaltungen angeben.</p>
<p>Schutzanspruch 7:</p>
<p>Speichermodul nach Anspruch 6, wobei jede Datenübertragungsschaltung verschiedene Datenpfade für verschiedene Richtungen des Datenflusses aufweist.</p>
<p>Schutzanspruch 8:</p>
<p>Speichermodul nach Anspruch 1, wobei die Steuerschaltung des Weiteren dazu konfiguriert ist, die Terminierung der Datensignale für die Lese oder Schreiboperation gemäß der CAS-Latenz zu steuern.</p>
<p>Schutzanspruch 9:</p>
<p>Speichermodul zur Verwendung in einem Computersystem, das einen Systemspeichercontroller aufweist, mit:</p>
<p>einer gedruckten Leiterplatte bzw. Printed Circuit Board (PCB), die in einem Modulschlitz des Computersystems anbringbar ist, wobei die PCB einen Randstecker hat, der eine Vielzahl elektrischer Kontakte aufweist, die an einem Rand der PCB positioniert und dazu positioniert sind, lösbar mit korrespondierenden Kontakten eines Computersystem-Sockels verbunden zu werden, um elektrische Leitfähigkeit zwischen dem Systemspeichercontroller und dem Speichermodul bereitzustellen; Speichervorrichtungen, die jeweils eine Bitbreite von 8 Bits haben, wobei die Speichervorrichtungen mechanisch mit der PCB verbunden und in mehreren Reihen mit n Speichervorrichtungen pro Reihe angeordnet sind, wobei jede Reihe eine Bitbreite hat, die gleich einer Bitbreite des Speichermoduls ist; einer Steuerschaltung, die mechanisch mit der PCB verbunden und über registrierte Steuerleitungen betriebsbereit mit den Speichervorrichtungen verbunden ist, wobei die Steuerschaltung dazu konfigurierbar ist, Steuersignale für eine Lese- oder Schreiboperation, die von dem Speichercontroller empfangen werden, zu registrieren und Modulsteuersignale zu erzeugen, wobei die Lese- oder Schreiboperation auf eine bestimmte der mehreren Reihen abzielt; und n Datenübertragungsschaltungen, die mechanisch mit der PCB verbunden und an entsprechenden Positionen entlang des Rands der PCB verteilt sind, wobei die n Datenübertragungsschaltungen dazu konfigurierbar sind, betriebsbereit mit dem Systemspeichercontroller verbunden zu werden, und dazu konfigurierbar sind, Modulsteuersignale von der Steuerschaltung zu empfangen, wobei jede der Vielzahl von Datenübertragungsschaltungen eine Bitbreite von 8 Bits hat und mit einer zugehörigen Speichervorrichtung in jeder der mehreren Reihen verbunden ist; wobei jede Datenübertragungsschaltung dazu konfigurierbar ist, auf die Modulsteuersignale anzusprechen durch Freigeben von Datenpfaden und durch Treiben von Datensignalen für die Lese- oder Schreiboperation auf den Datenpfaden zwischen dem Systemspeichercontroller und der zugehörigen Speichervorrichtung in der bestimmten der mehreren Reihen; wobei das Speichermodul des Weiteren Column Address Strobe(CAS)-Latenz bzw. Speicherlatenz verwendet, um die Operation der n Datenübertragungsschaltungen zu steuern.</p>
<p>Schutzanspruch 10:</p>
<p>Speichermodul nach Anspruch 9, wobei das Speichermodul dazu konfiguriert ist, mit dem Speichercontroller über Steuerleitungen und Datenleitungen zu kommunizieren, wobei die Steuerschaltung mit den Steuerleitungen verbunden ist und jede Datenübertragungsschaltung mit einem jeweiligen 8-Bit-Abschnitt der Datenleitungen verbunden ist.</p>
<p>Schutzanspruch 11:</p>
<p>Speichermodul nach Anspruch 10, wobei jede Datenübertragungsschaltung dazu konfiguriert ist, dem Speichercontroller eine Speichervorrichtungslast auf jedem Bit des jeweiligen 8-Bit-Abschnitts der Datenleitungen während einer Schreiboperation zu präsentieren.</p>
<p>Schutzanspruch 12:</p>
<p>Speichermodul nach Anspruch 9, wobei jede Datenübertragungsschaltung Logik aufweist, die auf die Modulsteuersignale anspricht, und wobei die Datenpfade Tristate-Puffer aufweisen, die von der Logik gesteuert werden.</p>
<p>Schutzanspruch 13:</p>
<p>Speichermodul nach Anspruch 12, wobei die Tristate-Puffer die Datensignale regenerieren, um Signalwellenformen wiederherzustellen.</p>
<p>Schutzanspruch 14:</p>
<p>Speichermodul nach Anspruch 9, wobei die Modulsteuersignale eine Richtung des Datenflusses durch die n Datenübertragungsschaltungen angeben.</p>
<p>Schutzanspruch 15:</p>
<p>Speichermodul nach Anspruch 14, wobei jede Datenübertragungsschaltung verschiedene Datenpfade für verschiedene Richtungen des Datenflusses aufweist.</p>
<p>Schutzanspruch 16:</p>
<p>Speichermodul nach Anspruch 9, wobei die Steuerschaltung des Weiteren dazu konfiguriert ist, die Terminierung der Datensignale für die Lese oder Schreiboperation gemäß der CAS-Latenz zu steuern.</p>
<p><rd nr="11"/>Die Klägerin gliedert den vorliegend geltend gemachten Schutzanspruch 1 wie folgt (vgl. Merkmalsgliederung gem. Anlage K 8):</p>
<p>1. Speichermodul zur Verwendung in einem Computersystem, das einen Systemspeichercontroller aufweist, mit:</p>
<p>1.1 einer gedruckten Leiterplatte bzw. Printed Circuit Board (PCB), die in einem Modulschlitz des Computersystems anbringbar ist,</p>
<p>1.1.1 wobei die PCB einen Randstecker hat, der eine Vielzahl elektrischer Kontakte aufweist, die an einem Rand der PCB positioniert und dazu positioniert sind, lösbar mit korrespondierenden Kontakten eines Computersystem-Sockels verbunden zu werden, um elektrische Leitfähigkeit zwischen dem Systemspeichercontroller und dem Speichermodul bereitzustellen;</p>
<p>1.2 Speichervorrichtungen,</p>
<p>1.2.1 die jeweils eine Bitbreite von 4 Bits haben,</p>
<p>1.2.2 wobei die Speichervorrichtungen mechanisch mit der PCB verbunden und</p>
<p>1.2.3 in mehreren Reihen mit n Speichervorrichtungen pro Reihe angeordnet sind,</p>
<p>1.2.3.1 wobei jede Reihe eine Bitbreite hat, die gleich einer Bitbreite des Speichermoduls ist;</p>
<p>1.3 einer Steuerschaltung, die mechanisch mit der PCB verbunden und über registrierte Steuerleitungen betriebsbereit mit den Speichervorrichtungen verbunden ist,</p>
<p>1.3.1 wobei die Steuerschaltung dazu konfigurierbar ist, Steuersignale für eine Lese- oder Schreiboperation, die von dem Speichercontroller empfangen werden, zu registrieren und Modulsteuersignale zu erzeugen,</p>
<p>1.3.1.1 wobei die Lese- oder Schreiboperation auf eine bestimmte der mehreren Reihen abzielt; und</p>
<p>1.4 n/2 Datenübertragungsschaltungen, die mechanisch mit der PCB verbunden und an entsprechenden Positionen entlang des Rands der PCB verteilt sind,</p>
<p>1.4.1 wobei die n/2 Datenübertragungsschaltungen dazu konfigurierbar sind, betriebsbereit mit dem Systemspeichercontroller verbunden zu werden,</p>
<p>1.4.2 und dazu konfigurierbar sind, Modulsteuersignale von der Steuerschaltung zu empfangen,</p>
<p>1.4.3 wobei jede der Vielzahl von Datenübertragungsschaltungen eine Bitbreite von 8 Bits hat und</p>
<p>1.4.4 mit zwei zugehörigen Speichervorrichtungen in jeder der mehreren Reihen verbunden ist;</p>
<p>1.4.5 wobei jede Datenübertragungsschaltung dazu konfigurierbar ist, auf die Modulsteuersignale anzusprechen durch Freigeben von Datenpfaden und durch Treiben von Datensignalen für die Lese- oder Schreiboperation auf den Datenpfaden zwischen dem Systemspeichercontroller und den beiden zugehörigen Speichervorrichtungen in der bestimmten der mehreren Reihen;</p>
<p>1.5 wobei das Speichermodul des Weiteren Column Address Strobe (CAS)-Latenz bzw. Speicherlatenz verwendet, um die Operation der n/2 Datenübertragungsschaltungen zu steuern.</p>
<p><rd nr="12"/>Im Einzelnen sind folgende Produkte angegriffen (angegriffene Ausführungsformen):</p>
<p>Produktbezeichnung B1 Speicher Reihen („ranks“) Produktbezeichnung B2</p>
<p>HMA42GL7AFR4N 16GB 2 16 GB RAM DDR4 PC4-17000 2133 MHz</p>
<p>HMA84GL7AMR4N 32GB 4 32 GB RAM DDR4 PC4-17000 2133 MHz</p>
<p>HMA42GL7MFR4N 16GB 2 16 GB RAM DDR4 PC4-17000 2133 MHz</p>
<p>HMA84GL7MMR4N 32GB 4 32 GB RAM DDR4 PC4-17000 2133 MHz</p>
<p>HMA84GL7AFR4N 32GB 2 32 GB RAM DDR4 PC4-19200 2400 MHz</p>
<p>HMAA8GL7AMR4N 64GB 4 64 GB RAM DDR4 PC4-19200 2400 MHz</p>
<p>HMA84GL7MFR4N 32GB 2 32 GB RAM DDR4 PC4-19200 2400 MHz</p>
<p>HMAA8GL7MMR4N 64GB 4 64 GB RAM DDR4 PC4-19200 2400 MHz </p>
<p><rd nr="13"/>Die angegriffenen Ausführungsformen werden von der Klägerin wie nachfolgend dargestellt exemplarisch anhand des Models HMA84GL7AFR4N-UH (32 GB DDR 4 SDRAM Load Reduced DIMM [LRDIMM]; kurz als „B1 LRDIMM“) vertieft erörtert. Dieses Model hat 2 Reihen (Ranks) von Speichervorrichtungen. Die Vorder- und Rückseite des HMA84GL7AFR4N-UH haben folgendes Aussehen:</p>
<p>Abbildung 1: … Abbildung 2:</p>
<p><img src="BayBuergerServiceRS_2019_715-1-de.png" alt=""/></p>
<p><rd nr="14"/>Die Klägerin trägt vor, dass sie derzeit zu Recht eingetragene Inhaberin des Klagegebrauchsmusters sei. Ihr seien auch die Ansprüche für die Vergangenheit wirksam abgetreten worden.</p>
<p><rd nr="15"/>Die angegriffenen Ausführungsformen (wie oben dargestellt) würden nicht nur - insoweit unstreitig - von der Beklagten zu 1 sondern auch von der Beklagten zu 2) unter ihrer eigenen Marke und mit eigenen Produktnummern in Deutschland für die Server-Produkte der Beklagten zu 1) angeboten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den diesbezüglich schriftsätzlich Vortrag der Klägerin verwiesen.</p>
<p><rd nr="16"/>Die angegriffenen Ausführungsformen machten von Schutzanspruch 1 unmittelbaren wortsinngemäßen Gebrauch. Insbesondere die zwischen den Parteien streitigen Merkmalsgruppen 1.3 und 1.4 seien im Sinne der Klägerin auszulegen.</p>
<p><rd nr="17"/>Das Klagegebrauchsmuster sei rechtsbeständig. Der Löschungsantrag der Beklagten zu 1) habe keine Aussicht auf Erfolg.</p>
<p><rd nr="18"/>Die Klägerin bzw. deren Mutter seien den aufgrund der Standardessentialität des Klagegebrauchsmusters bestehenden kartellrechtlichen Verpflichtungen gegenüber den Beklagten vollumfänglich nachgekommen.</p>
<p><rd nr="19"/>Die Klägerin beantragt,</p>
<p>A. Die Beklagten werden verurteilt,</p>
<p>I. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 - ersatzweise Ordnungshaft - oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollziehen ist, jeweils zu unterlassen,</p>
<p>„ Speichermodule zur Verwendung in einem Computersystem, das einen Systemspeichercontroller aufweist, mit:</p>
<p>einer gedruckten Leiterplatte bzw. Printed Circuit Board (PCB), die in einem Modulschlitz des Computersystems anbringbar ist, wobei die PCB einen Randstecker hat, der eine Vielzahl elektrischer Kontakte aufweist, die an einem Rand der PCB positioniert und dazu positioniert sind, lösbar mit korrespondierenden Kontakten eines Computersystem-Sockels verbunden zu werden, um elektrische Leitfähigkeit zwischen dem Systemspeichercontroller und dem Speichermodul bereitzustellen;</p>
<p>Speichervorrichtungen, die jeweils eine Bitbreite von 4 Bits haben, wobei die Speichervorrichtungen mechanisch mit der PCB verbunden und in mehreren Reihen mit n Speichervorrichtungen pro Reihe angeordnet sind, wobei jede Reihe eine Bitbreite hat, die gleich einer Bitbreite des Speichermoduls ist;</p>
<p>einer Steuerschaltung, die mechanisch mit der PCB verbunden und über registrierte Steuerleitungen betriebsbereit mit den Speichervorrichtungen verbunden ist, wobei die Steuerschaltung dazu konfigurierbar ist, Steuersignale für eine Lese- oder Schreiboperation, die von dem Speichercontroller empfangen werden, zu registrieren und Modulsteuersignale zu erzeugen, wobei die Lese- oder Schreiboperation auf eine bestimmte der mehreren Reihen abzielt; und n/2 Datenübertragungsschaltungen, die mechanisch mit der PCB verbunden und an entsprechenden Positionen entlang des Rands der PCB verteilt sind, wobei die n/2 Datenübertragungsschaltungen dazu konfigurierbar sind, betriebsbereit mit dem Systemspeichercontroller verbunden zu werden, und dazu konfigurierbar sind, Modulsteuersignale von der Steuerschaltung zu empfangen, wobei jede der Vielzahl von Datenübertragungsschaltungen eine Bitbreite von 8 Bits hat und mit zwei zugehörigen Speichervorrichtungen in jeder der mehreren Reihen verbunden ist;</p>
<p>wobei jede Datenübertragungsschaltung dazu konfigurierbar ist, auf die Modulsteuersignale anzusprechen durch Freigeben von Datenpfaden und durch Treiben von Datensignalen für die Lese- oder Schreiboperation auf den Datenpfaden zwischen dem Systemspeichercontroller und den beiden zugehörigen Speichervorrichtungen in der bestimmten der mehreren Reihen;</p>
<p>wobei das Speichermodul des Weiteren Column Address Strobe(CAS)-Latenz bzw. Speicherlatenz verwendet, um die Operation der n/2 Datenübertragungsschaltungen zu steuern;</p>
<p>in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;</p>
<p>(unmittelbare Verletzung des Vorrichtungsanspruchs 1 des DE 501 U1)</p>
<p>II. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die unter Ziffer A.I. bezeichneten Handlungen seit dem 04.07.2017 begangen haben, und zwar unter Angabe</p>
<p>a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,</p>
<p>b) der Namen und Anschriften gewerblicher Abnehmer, einschließlich der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,</p>
<p>c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der bezahlten Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,</p>
<p>wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kauf- oder Mietbelege, nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine, in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;</p>
<p>III. der Klägerin in einer einheitlichen, geordneten Aufstellung unter Vorlage von Belegen, wie Rechnungen, hilfsweise Lieferscheinen oder Quittungen, schriftlich sowie in elektronischer Form, darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die unter Ziffer A.I. bezeichneten Handlungen seit dem 04.07.2017 begangen haben, und zwar jeweils unter Angabe</p>
<p>a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und - preisen, einschließlich der Rechnungsnummern, und der jeweiligen Typenbezeichnungen sowie der Namen und Abschriften der Abnehmer,</p>
<p>b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und - preisen und der jeweiligen Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,</p>
<p>c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, im Falle von Internet-Werbung der Domain, der Zugriffszahlen und der Schaltungszeiträume, und bei direkter Werbung, wie Rundbriefen, der Namen und Anschriften der Empfänger,</p>
<p>d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,</p>
<p>wobei es den Beklagten gegebenenfalls vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der Angebotsempfänger und der nicht-gewerblichen Abnehmer statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden und ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten die durch die Einschaltung des Wirtschaftsprüfers entstehenden Kosten tragen und ihn zugleich ermächtigen, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob bestimmte Angebotsempfänger oder nicht-gewerbliche Abnehmer in der erteilten Rechnungslegung enthalten sind;</p>
<p>IV. die vorstehend unter Ziffer A.I. bezeichneten, im Besitz gewerblicher Abnehmer befindlichen Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich festgestellten gebrauchsmusterverletzenden Zustand der Erzeugnisse mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagekosten zu übernehmen, oder diese Erzeugnisse aus den Vertriebswegen endgültig zu entfernen, indem die Beklagten diese Erzeugnisse wieder an sich nehmen.</p>
<p>B. Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die in Ziffer A.I bezeichneten, seit dem 04.07.2017 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.</p>
<p>C. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.</p>
<p>D. </p>
<p>Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.</p>
<p>E. </p>
<p>Für den Fall der Anordnung einer Sicherheitsleistung wird der Klägerin gestattet, diese auch in Form einer Bank- oder Sparkassenbürgschaft zu erbringen.</p>
<p>F. </p>
<p>Die Höhe der Sicherheitsleistung wird für die einzelnen vollstreckbaren Teile des Urteils gesondert festgestellt.</p>
<p><rd nr="20"/>Die Beklagten beantragen, </p>
<p>die Klage abzuweisen und hilfsweise, das Verfahren im Hinblick auf den Löschungsantrag gegen das Klagegebrauchsmuster auszusetzen.</p>
<p><rd nr="21"/>Die Klägerin wendete sich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gegen eine Aussetzung.</p>
<p><rd nr="22"/>Die Beklagten tragen vor, dass die Klage bereits wegen fehlender Aktivlegitimation der Klägerin abzuweisen sei, weil diese nicht Inhaberin des Klagegebrauchsmusters sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den diesbezüglichen schriftsätzlichen Vortrag der Beklagten verwiesen Unabhängig hiervon sei die Übertragung auf die Klägerin wegen Sittenwidrigkeit unwirksam. Dies ergebe sich insbesondere aus dem engen zeitlichen Konnex zwischen der Gründung der Klägerin, der angeblichen Übertragung des Gebrauchsmusters und der Einreichung der vorliegenden Klage. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den diesbezüglichen schriftsätzlichen Vortrag der Beklagten verwiesen.</p>
<p><rd nr="23"/>Die Beklagte zu 2) sei nicht passivlegitimiert. Sie biete in der Bundesrepublik Deutschland Technologiedienstleistungen, Infrastrukturen und Lösungen an, aber keine Speichermodule.</p>
<p><rd nr="24"/>Die angegriffenen Speichermodule machten von Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters bei richtiger Auslegung keinen Gebrauch. Folgte man der breiten Auslegung der Klägerin wäre das Klagegebrauchsmuster nicht rechtsbeständig. Bei der angegriffenen Ausführungsform würden - insoweit unstreitig - sämtliche Daten, die von der Steuerschaltung über die Datenübertragungsschaltungen zu den Reihen der angegriffenen Ausführungsform gelangen, stets an sämtliche Reihen geleitet, nicht nur an eine bestimmte. Daher seien auch keinerlei Datenpfade zwischen dem Systemspeicherkontroller und den mehreren Reihen verschlossen, die über die Puffer laufen. Daher sei eine Schalterfunktion dergestalt, dass der Weg zu den beiden Speichervorrichtungen in der einen, bestimmten Reihe eröffnet wird, und der Weg zu allen sonstigen Reihen verschlossen bleibt, nicht gegeben. Daher erfolge auch keine Freigabe, weil dies nach der von den Beklagten favorisierten Auslegung voraussetze, dass Pfade verschlossen sind. Jeder Datenpuffer der angegriffenen Ausführungsform leite aber - insoweit unstreitig - sämtliche ankommenden Daten an beide mit ihm verbundenen Reihen weiter.</p>
<p><rd nr="25"/>Der Antrag der Beklagten nach <verweis.norm>§ 110 <v.abk ersatz="ZPO wurde mit rechtskräftigen Zwischenurteil vom 25">ZPO wurde mit rechtskräftigen Zwischenurteil vom 25</v.abk></verweis.norm>.1.2018 zurückgewiesen. Wegen der Details wird auf dieses Zwischenurteil verwiesen.</p>
<p><rd nr="26"/>Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die eingereichten Schriftsätze samt Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften vom 25.1.2018 und 6.12.2018 verwiesen.</p>
<p><rd nr="27"/>Unter dem 20.12.2018 reichten die Beklagten einen nachgelassenen Schriftsatz ein.</p>
<p><rd nr="28"/>Unter dem 14.1.2019 haben die Beklagten und unter dem 15.1.2019 hat die Klägerin mitgeteilt, dass das DPMA mit Zwischenbescheid vom 8.1.2019 (Anlage B SK 34) mitgeteilt habe, dass der Löschungsantrag gegen das Klagegebrauchsmuster nach vorläufiger Auffassung voraussichtlich Erfolg haben werde. Keiner der Schutzansprüche sei gegenüber der Entgegenhaltung „Ellsberry“ erfinderisch. Termin für die mündliche Verhandlung wurde auf den 28.5.2019 festgelegt.</p>
<p><rd nr="29"/>Die Klägerin teilte in dem Schriftsatz vom 15.1.2019 darüber hinaus mit, dass sie dem Aussetzungsantrag der Beklagten nun nicht mehr entgegentrete und nunmehr selbst die Aussetzung des Rechtsstreits bis zur erstinstanzlichen Entscheidung des DPMA beantrage.</p>
<p><rd nr="30"/>Die Beklagten verwiesen in dem Schriftsatz vom 14.1.2019 auf ihren Abweisungsantrag und nur hilfsweise gestellten Aussetzungsantrag.</p>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
<p><rd nr="31"/>Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klage war abzuweisen, weil die angegriffenen Ausführungsformen vom Gegenstand des Schutzanspruchs 1 des Klagegebrauchsmusters keinen Gebrauch machen. Jedenfalls die Merkmalsgruppen 1.3 und 1.4 werden nicht verwirklicht. Denn nach dem unstreitigen Vortrag der Beklagten werden sämtliche Daten, die von der Steuerschaltung über die Datenübertragungsschaltungen zu den Reihen der angegriffenen Ausführungsform gelangen, stets an sämtliche Reihen geleitet, nicht nur an eine bestimmte. Daher ist eine - nach zutreffender Auslegung erforderliche - Schalterfunktion dergestalt, dass der Weg zu den beiden Speichervorrichtungen in der einen, bestimmten Reihe eröffnet wird, und der Weg zu allen sonstigen Reihen verschlossen bleibt, nicht gegeben. Auf das weitere Verteidigungsvorbringen der Beklagten kam es daher nicht mehr an.</p>
<p><rd nr="32"/>Dem nach Schluss der mündlichen Verhandlung von der Klagepartei gestellten, nunmehr in erster Linie verfolgten Aussetzungsantrag war nicht zu entsprechen. Denn die Beklagten haben im Termin und in dem Schriftsatz vom 14.1.2019 die Aussetzung nur hilfsweise für den Fall beantragt, dass die Klage nicht abgewiesen wird. Damit liegt ein übereinstimmender Aussetzungsantrag nicht vor. Da die Klage bereits jetzt entscheidungs- und abweisungsreif ist, war dem Verfahren, dem Beschleunigungsgrundsatz folgend, durch Abweisung der Klage Fortgang zu geben. Demnach war die mündliche Verhandlung auch nicht wieder zu eröffnen (<verweis.norm>§ 156 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm>). Das nicht nachgelassene Vorbringen der Parteien war, soweit es über Rechtsausführungen hinausgeht, nach <verweis.norm>§ 296a <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> nicht zu berücksichtigen.</p>
<p>A. Gegenstand und Auslegung des Klagegebrauchsmusters </p>
<p><rd nr="33"/>Das Klagegebrauchsmuster bezieht sich im Allgemeinen auf Speicheruntersysteme von Computersystemen und insbesondere auf Systeme und Vorrichtungen zum Verbessern der Leistung und der Speicherkapazität von Speicheruntersystemen oder Speicherplatten. Im Detail bezieht sich das Klagegebrauchsmuster auf Speicherplatten, die Dual In-Line Memory Modules (DIMMs) bzw. doppelreihige Speicherbausteine aufweisen (Klagegebrauchsmuster, Abs. [0001]).</p>
<p>angesprochener Fachmann</p>
<p><rd nr="34"/>Der Adressat des Klagegebrauchsmusters, d.h. der hier relevante Durchschnittsfachmann (kurz „Fachmann“), ist Fachmann auf dem Gebiet der Halbleiter-Speichertechnik und hat insbesondere detaillierte Kenntnisse über Speicheruntersysteme, Speicherplatten und Speichermodule für Computer-Systeme. Er besitzt typischerweise einen Hochschulabschluss im Fachgebiet Elektrotechnik, Informatik oder Physik mit Schwerpunkt Halbleitertechnik und/oder Mikroelektronik. Er verfügt über mehrjährige praktische Erfahrung in der Konzeption von Halbleiter-Speichermodulen, etwa in einer Entwicklungsabteilung eines einschlägigen Unternehmens und auch im Rahmen von Standardisierungsgremien. Schon alleine aufgrund seines Hochschulstudiums hat der relevante Durchschnittsfachmann fundierte Kenntnisse im Bereich Computer-Systeme im Allgemeinen. Insbesondere hat er ein detailliertes Fachwissen auf den Gebieten Halbleiter-Speichersysteme und Mikroelektronik.</p>
<p><rd nr="35"/>Ferner ist der Fachmann mit den die Funktionsweise eines Speichermoduls zwingend vorge-benden Normierungsvorschriften, wie den einschlägigen Standards der JEDEC Solid State Technology Association (kurz “JEDEC“) bestens vertraut. Sie gehören schon wegen ihres normativen Charakters zu seinem täglichen Arbeitswerkzeug und somit zu seinem allgemeinen Fachwissen. Speichermodule müssen mit einer Vielzahl verschiedener Komponenten von verschiedensten Herstellern wechselwirken können. Die JEDEC-Standards sind dabei die maßgeblichen Standards, die eine solche Wechselwirkung reibungslos ermöglichen. De facto sind Speichermodule, die für ein Computersystem nicht den Eindruck erwecken, mit den JEDEC-Standards kompatibel zu sein, nahezu unverkäuflich. Das Klagegebrauchsmuster nennt die JEDEC-Standards selbst ausdrücklich in Abs. [0006].</p>
<p>Stand der Technik</p>
<p><rd nr="36"/>Das Klagegebrauchsmuster beschreibt in den Figuren 1A bis 2D Speichermodule nach dem Stand der Technik. Danach war ein Aufbau von Speichermodulen mit einer Steuerschaltung und einer Vielzahl von Speichervorrichtungen in verschiedenen Reihen, die jeweils mit einem Systemspeichercontroller verbunden sind, im Stand der Technik bereits bekannt. Fig. 2A des Klagegebrauchsmusters zeigt ein solches herkömmliches Speicheruntersystem 200, das mit einem Speichermodul 210 mit zwei Reihen von Speichervorrichtungen 212 bestückt ist (Klagegebrauchsmuster, [0035]).</p>
<p>Figur 2a (im Original mit farbigen Markierungen):</p>
<p><img src="BayBuergerServiceRS_2019_715-2-de.png" alt=""/></p>
<p><rd nr="37"/>Jede Reihe des Speichermoduls 210 weist eine Vielzahl von Speichervorrichtungen 212 auf, die beispielsweise als Dynamic Random Access Memory (DRAM) oder Synchronous DRAM (SDRAM) ausgebildet sein können. Ein Register 230 des Speichermoduls (rot hinterlegt) empfängt von einem außerhalb des Speicheruntersystems gelegenen Systemspeichercontroller 220 (grün hinterlegt) eine Vielzahl von Steuerleitungen 240 (als einzige durchgezogene Linie gezeigt). Das Register 230 selbst ist wiederum über Steuerleitungen 242 mit den einzelnen Speichervorrichtungen 212 jeder Reihe des Speichermoduls 210 verbunden (Klagegebrauchsmuster, Abs. [0035]).</p>
<p><rd nr="38"/>Über Datenleitungen 250 (gestrichelte Linien) sind die einzelnen Speichervorrichtungen 212 des Speicheruntersystems ebenfalls mit dem Systemspeichercontroller 220 verbunden. Aus diesem Grund erfährt der Systemspeichercontroller 220 während einer Schreiboperation alle Speichervorrichtungen 212 als Last über die Datenleitungen 250. Ebenfalls erfährt jede Speichervorrichtung 212 während einer Leseoperation mehrere andere Speichervorrichtungen 212 sowie den Systemspeichercontroller 220 als Last über die Datenleitung (Klagegebrauchsmuster, [0035]).</p>
<p><rd nr="39"/>Diese erhöhte Last an den Ausgängen des Systemcontrollers und an den Ausgängen der Speichervorrichtungen führt zu einem langsameren System und wird vom Klagegebrauchsmuster als wesentlicher Nachteil der bekannten Speichermodule beschrieben (Klagegebrauchsmuster, Abs. [0031]). Entsprechend beschreibt das Klagegebrauchsmuster diesen Nachteil nahezu wortgleich für alle Figuren zum Stand der Technik (Figuren 1A bis 2B), so beispielsweise für Figur 1A:</p>
<p>„Daher erfährt der Systemspeichercontroller 120 während einer Schreiboperation alle Speichervorrichtungen 112 als Last über die Datenleitungen 150, und während einer Leseoperation erfährt jede Speichervorrichtung 112 mehrere andere Speichervorrichtungen 112, sowie den Systemspeichercontroller 120, als Last über die Datenleitungen 150“ (Klagegebrauchsmuster, Abs. [0032], für die anderen Figuren s. auch Abs. [0033], [0035], [0036] und [0038] des Klagegebrauchsmusters).</p>
<p><rd nr="40"/>Als mögliche Lösung dieses Nachteils wurde im Stand der Technik vorgeschlagen, die Datensignale nicht mehr direkt zwischen dem Systemspeichercontroller und den Speichervorrichtungen zu übertragen, sondern wie die Steuersignale durch einen Speicherpuffer zu schicken. Dieser Vorschlag liegt den Figuren 2C und 2D zugrunde und ist in Abs. [0039] beschrieben. Diese Konfigurationen weisen jedoch ebenfalls erhebliche Nachteile auf, z.B. sind extrem viele Datenleitungen auf dem Speichermodul erforderlich und die Zeitsteuerung von Datensignalen ist erheblich erschwert (vgl. Klagegebrauchsmuster, Abs. [0040]).</p>
<p>Aufgabe</p>
<p><rd nr="41"/>Das Klagegebrauchsmuster stellt sich daher die Aufgabe, ein Speichermodul mit hoher Speicherdichte und Zugriffsgeschwindigkeit bereitzustellen, was insbesondere die Reduzierung der Lasten des Systemspeichercontrollers und der Speichervorrichtungen erfordert.</p>
<p>Lösung</p>
<p><rd nr="42"/>Um die gewünschte Lastenreduzierung zu erreichen, verwendet das Klagegebrauchsmuster sogenannte Datenübertragungsschaltungen in Speicheruntersystemen. Fig. 3c des Klagegebrauchsmusters zeigt ein solches Speicheruntersystem, das Datenübertragungsschaltungen 416‘ (gelb hinterlegt) umfasst.</p>
<p>Figur 3c (im Original mit farbigen Markierungen):</p>
<p><img src="BayBuergerServiceRS_2019_715-3-de.png" alt=""/></p>
<p><rd nr="43"/>Jede Datenübertragungsschaltung 416‘ ist innerhalb des Speichermoduls über Steuerleitungen 442‘ einerseits mit der Steuerschaltung (rot hinterlegt) und andererseits mit einer oder mehreren Speichervorrichtungen in mehreren Reihen verbunden (vgl. Klagegebrauchsmuster, Abs. [0042], [0050]). Nach außen ist jede Datenübertragungsschaltung über Datenleitungen 450‘ mit dem Systemspeichercontroller verbunden und dient somit als Verbindungselement für die Übertragung von Daten zwischen dem Systemspeichercontroller und den Speichervorrichtungen.</p>
<p><rd nr="44"/>Um sich vom Stand der Technik abzugrenzen, beansprucht das Klagegebrauchsmuster eine ganz konkrete Funktionalität der Datenübertragungsschaltung. Das Klagegebrauchsmuster beschreibt dies als selektives Zulassen oder Verhindern der Datenübertragung zwischen dem Systemspeichercontroller und bestimmten Speichervorrichtungen, wobei die Modulsteuersignale der Datenübertragungsschaltung anzeigen, zu welchen Speichervorrichtungen diese die Datenübertragung zulassen soll:</p>
<p>„Wie zum Beispiel in Fig. 3A gezeigt, ist die erste Datenübertragungsschaltung 4161 dazu konfigurierbar, auf Modulsteuersignale anzusprechen, indem sie Datenübertragung zwischen dem Systemspeichercontroller 420 und entweder den ausgewählten Speichervorrichtungen 412A1 und 412C1 oder den ausgewählten Speichervorrichtungen 412B1 und 412D1 selektiv zulässt oder verhindert, und die zweite Datenübertragungsschaltung 4162 ist dazu konfigurierbar, auf Modulsteuersignale anzusprechen, indem sie Datenübertragung zwischen dem Systemspeichercontroller 420 und entweder den ausgewählten Speichervorrichtungen 412A2 und 412C2 oder den ausgewählten Speichervorrichtungen 412B2 und 412D2 selektiv zulässt oder verhindert.“ (Klagegebrauchsmuster, Abs. [0051])</p>
<p><rd nr="45"/>Die Grundidee des selektiven Zulassens oder Verhinderns der Datenübertragung durch die Datenübertragungsschaltung ist in Figur 5 des Klagegebrauchsmusters dargestellt:</p>
<p>Figur 5 (im Original mit farbigen Markierungen):</p>
<p><img src="BayBuergerServiceRS_2019_715-4-de.jpeg" alt=""/></p>
<p><rd nr="46"/>Die Datenübertragungsschaltung 416 (gelb umrandet) weist eine Steuerlogikschaltung 502 auf, um die verschiedenen Komponenten der Datenübertragungsschaltung 416 zu steuern. Die dargestellte Datenübertragungsschaltung 416 schaltet eine einzige Datenleitung 518 zwischen dem Systemspeichercontroller 420 (grün hinterlegt) und den Speichervorrichtungen, die über die Datenleitungen 452 mit der Datenübertragungsschaltung 416 verbunden sind (nicht dargestellt).</p>
<p><rd nr="47"/>Bei einer Schreiboperation fungieren sog. Tristate-Puffer 504 und 506 innerhalb der Datenübertragungsschaltung gewissermaßen als „Weiche“, die jeweils nur den Datenpfad zu bestimmten Speichervorrichtungen freigeben, den Datenpfad zu den übrigen Speichervorrichtungen jedoch blockieren:</p>
<p><rd nr="48"/>Demgemäß wird, wenn die Steuerlogikschaltung 502 beispielsweise ein Signal „Freigabe A” empfängt, ein erster Tristate-Puffer 504 in Pfad A aktiviert und treibt den Datenwert aktiv an seinem Ausgang, während ein zweiter Tristate-Puffer 506 in Pfad B mit seinem Ausgang im Hochimpedanzzustand deaktiviert wird. In diesem Zustand gestattet die Datenübertragungsschaltung 416, dass die Daten entlang des Pfads A an ein erstes Endgerät Y1 geleitet werden, das mit der ersten Gruppe der Speichervorrichtungen 412, z. B. denjenigen in den Reihen A und C, verbunden ist und nur mit diesen kommuniziert. In ähnlicher Weise öffnet, wenn ein Signal „Freigabe B” empfangen wird, der erste Tristate 503 den Pfad A und der zweite Tristate 506 schließt den Pfad B, so dass die Daten an ein zweites Endgerät Y2 geleitet werden, das mit der zweiten Gruppe der Speichervorrichtungen 412, zum Beispiel denjenigen in den Reihen B und D, verbunden ist und nur mit diesen kommuniziert (Klagegebrauchsmuster, Abs. [0062]).</p>
<p><rd nr="49"/>Die nachfolgenden Grafiken veranschaulichen die in einer Datenübertragungsschaltung 416 ablaufenden Vorgänge während einer Schreiboperation. Aus ihnen wird unmittelbar ersichtlich, dass die Datenübertragungsschaltung bei einer Schreiboperation selektiv nur einen Datenpfad zwischen dem Systemspeichercontroller und den über diesen Datenpfad mit der Datenübertragungsschaltung verbundenen Speichervorrichtungen freigibt, während der Datenpfad zu den anderen Speichervorrichtungen in der Datenübertragungsschaltung blockiert wird:</p>
<p>Figur 5 (im Original mit farbigen Markierungen):</p>
<p><img src="BayBuergerServiceRS_2019_715-5-de.jpeg" alt=""/></p>
<p><rd nr="50"/>Auch bei einer Leseoperation fungiert die Datenübertragungsschaltung als „Weiche“, in diesem Fall durch den Multiplexer 508:</p>
<p>„Für eine Leseoperation fungiert die Datenübertragungsschaltung 416 als Multiplexerschaltung. Bei der in Fig. 5 dargestellten Ausführungsform werden zum Beispiel Datensignale, die aus den Speichervorrichtungen 412 einer Reihe gelesen werden, an dem ersten oder zweiten Endgerät Y1, Y2 der Datenübertragungsschaltung empfangen. Die Datensignale werden in einen Multiplexer 508 eingespeist, welcher eines auswählt, um es an seinen Ausgang zu routen. Die Steuerlogikschaltung 502 erzeugt ein Auswahlsignal, um das gewählte Datensignal auszuwählen, und das ausgewählte Datensignal wird entlang einer einzigen Datenleitung 518 an den Systemspeichercontroller 420 übertragen, vorzugsweise nachdem es durch einen Lesepuffer 509 hindurchgegangen ist.“ (Klagegebrauchsmuster, Abs. [0063])</p>
<p><rd nr="51"/>Die nachfolgenden Grafiken veranschaulichen die in einer Datenübertragungsschaltung 416 ablaufenden Vorgänge während einer Leseoperation. Aus ihnen wird unmittelbar ersichtlich, dass eine Datenübertragungsschaltung auch bei einer Leseoperation selektiv nur einen Datenpfad zwischen dem Systemspeichercontroller und den über diesen Datenpfad mit der Datenübertragungsschaltung verbundenen Speichervorrichtungen freigibt, während der Datenpfad zu den anderen Speichervorrichtungen in der Datenübertragungsschaltung blockiert wird.</p>
<p>Figur 5 (im Original mit farbigen Markierungen):</p>
<p><img src="BayBuergerServiceRS_2019_715-6-de.jpeg" alt=""/></p>
<p><rd nr="52"/>Der Kern der dem Klagegebrauchsmuster zugrundeliegenden Lehre liegt also darin, dass die Datenübertragungsschaltungen Modulsteuersignale empfangen (siehe Absatz [0051]) und anhand dieser Modulsteuersignale nur Datenpfade zu bestimmten Speichervorrichtungen freigeben, also eine elektrische Verbindung herstellen, während die Datenpfade zu anderen Speichervorrichtungen, die ebenfalls mit dieser Datenübertragungsschaltung verbunden sind, blockiert bleiben, also elektrisch isoliert sind. Durch das Blockieren der nicht freigegebenen Datenpfade erreicht das Klagegebrauchsmuster die gewünschte Lastreduzierung für den Systemspeichercontroller und die Speichervorrichtungen.</p>
<p><rd nr="53"/>Der Gegenstand des Anspruchs 1 beansprucht eine spezifische Ausgestaltung eines lastreduzierenden Speichermoduls zur Verwendung in einem Computersystem. Insbesondere stellt er detaillierte Anforderungen an die Ausgestaltung der Speichervorrichtungen und Datenübertragungsschaltungen.</p>
<p><rd nr="54"/>Die Besonderheit des Anspruchs 1 des Klagegebrauchsmusters ist, dass nach Merkmal 1.4.5 Datenpfade zu zwei Speichervorrichtungen in nur einer bestimmten Reihe freigegeben werden und Datensignale zu diesen Speichervorrichtungen getrieben werden.</p>
<p><rd nr="55"/>Die Parteien gliedern den geltend gemachten Schutzanspruch 1 übereinstimmend wie nachfolgend dargestellt. Die Kammer schließt sich dieser Merkmalsgliederung an:</p>
<p>1. Speichermodul zur Verwendung in einem Computersystem, das einen Systemspeichercontroller aufweist, mit:</p>
<p>1.1 einer gedruckten Leiterplatte bzw. Printed Circuit Board (PCB), die in einem Modulschlitz des Computersystems anbringbar ist,</p>
<p>1.1.1 wobei die PCB einen Randstecker hat, der eine Vielzahl elektrischer Kontakte aufweist, die an einem Rand der PCB positioniert und dazu positioniert sind, lösbar mit korrespondierenden Kontakten eines Computersystem-Sockels verbunden zu werden, um elektrische Leitfähigkeit zwischen dem Systemspeichercontroller und dem Speichermodul bereitzustellen;</p>
<p>1.2 Speichervorrichtungen,</p>
<p>1.2.1 die jeweils eine Bitbreite von 4 Bits haben,</p>
<p>1.2.2 wobei die Speichervorrichtungen mechanisch mit der PCB verbunden und</p>
<p>1.2.3 in mehreren Reihen mit n Speichervorrichtungen pro Reihe angeordnet sind,</p>
<p>1.2.3.1 wobei jede Reihe eine Bitbreite hat, die gleich einer Bitbreite des Speichermoduls ist;</p>
<p>1.3 einer Steuerschaltung, die mechanisch mit der PCB verbunden und über registrierte Steuerleitungen betriebsbereit mit den Speichervorrichtungen verbunden ist,</p>
<p>1.3.1 wobei die Steuerschaltung dazu konfigurierbar ist, Steuersignale für eine Lese- oder Schreiboperation, die von dem Speichercontroller empfangen werden, zu registrieren und Modulsteuersignale zu erzeugen,</p>
<p>1.3.1.1 wobei die Lese- oder Schreiboperation auf eine bestimmte der mehreren Reihen abzielt; und</p>
<p>1.4 n/2 Datenübertragungsschaltungen, die mechanisch mit der PCB verbunden und an entsprechenden Positionen entlang des Rands der PCB verteilt sind,</p>
<p>1.4.1 wobei die n/2 Datenübertragungsschaltungen dazu konfigurierbar sind, betriebsbereit mit dem Systemspeichercontroller verbunden zu werden,</p>
<p>1.4.2 und dazu konfigurierbar sind, Modulsteuersignale von der Steuerschaltung zu empfangen,</p>
<p>1.4.3 wobei jede der Vielzahl von Datenübertragungsschaltungen eine Bitbreite von 8 Bits hat und</p>
<p>1.4.4 mit zwei zugehörigen Speichervorrichtungen in jeder der mehreren Reihen verbunden ist;</p>
<p>1.4.5 wobei jede Datenübertragungsschaltung dazu konfigurierbar ist, auf die Modulsteuersignale anzusprechen durch Freigeben von Datenpfaden und durch Treiben von Datensignalen für die Lese- oder Schreiboperation auf den Datenpfaden zwischen dem Systemspeichercontroller und den beiden zugehörigen Speichervorrichtungen in der bestimmten der mehreren Reihen;</p>
<p>1.5 wobei das Speichermodul des Weiteren Column Address Strobe (CAS)-Latenz bzw. Speicherlatenz verwendet, um die Operation der n/2 Datenübertragungsschaltungen zu steuern.</p>
<p><rd nr="56"/>Einige dieser Merkmale bedürfen der näheren Erläuterung:</p>
<p>Erzeugung von Modulsteuersignalen, Merkmal 1.3.1 </p>
<p><rd nr="57"/>Merkmal 1.3.1 beschreibt die Steuerschaltung des beanspruchten Speichermoduls genauer. Danach ist die Steuerschaltung dazu konfigurierbar, Steuersignale für eine Lese- oder Schreiboperation (…) zu registrieren und Modulsteuersignale zu erzeugen. Für den vorliegenden Fall wichtig ist die in Merkmal 1.3.1 vorgenommene Differenzierung zwischen Steuersignalen und Modulsteuersignalen sowie die Auslegung von „erzeugen“. Die Funktion der Modulsteuersignale ist, wie die weitere Auslegung zeigen wird, die Signalisierung an die Datenübertragungsschaltung, nur bestimmte Datenpfade freizugeben, konkret die Datenpfade, die zu den zwei Speichervorrichtungen in der einen bestimmten Reihe führen, wie sich aus Merkmal 1.3.1 in Verbindung mit Merkmal 1.3.1.1 und 1.4.5 ergibt.</p>
<p>Steuersignal vs. Modulsteuersignal </p>
<p><rd nr="58"/>Merkmal 1.3.1 differenziert zwischen Steuersignalen und Modulsteuersignalen:</p>
<p>„[…], wobei die Steuerschaltung dazu konfigurierbar ist, Steuersignale für eine Lese- oder Schreiboperation, die von dem Speichercontroller empfangen werden, zu registrieren und Modulsteuersignale zu erzeugen,"!</p>
<p><rd nr="59"/>Steuersignale werden von dem Systemspeichercontroller an die Steuerschaltung übertragen und beziehen sich auf eine Lese- oder Schreiboperation. Sie werden von der Steuerschaltung empfangen und registriert.</p>
<p><rd nr="60"/>Modulsteuersignale werden von der Steuerschaltung selbst erzeugt und von der Steuerschaltung an die Datenübertragungsschaltungen übertragen (vgl. Merkmal 1.4.2 und 1.4.5). Signale, die entweder bereits vom Systemspeichercontroller erzeugt werden (und nicht von der Steuerschaltung selbst) oder von der Steuerschaltung direkt an die Speichervorrichtungen übertragen werden (und nicht an die Datenübertragungsschaltungen), sind dementsprechend keine Modulsteuersignale im Sinne des Klagegebrauchsmusters.</p>
<p>Erzeugen</p>
<p><rd nr="61"/>Der Begriff „Erzeugen“ wird in der Gebrauchsmusterbeschreibung nicht weiter definiert. Seine Bedeutung für die Lehre des Klagegebrauchsmusters ergibt sich jedoch aus dem US Patent 7,289,386 (Anlage FBD B 5), auf welches das Klagegebrauchsmuster in Abs. [0049] vollumfänglich Bezug nimmt („Beispiele von Schaltungen, die als Steuerschaltung 430, 430‘ dienen können, sind im Einzelnen in den US-Patenten Nr. 7,289, 386 (…) beschrieben, die jeweils vollumfänglich unter Bezugnahme hier aufgenommen sind“, [0049] letzter Satz).</p>
<p><rd nr="62"/>Die Idee des genannten US Patents 386 bestand darin, auf dem Speichermodul eine neue Einheit vorzusehen, welche dem Speichercontroller eine einzelne Reihe mit 1 Gigabyte Speicherkapazität „vorspiegelt“, während das Speichermodul in Wahrheit zwei Reihen mit je 512 Megabyte Speicherkapazität enthält. Hierfür war es notwendig, auf dem Speichermodul ein neues, proprietäres Signal zu „erzeugen“ („generate“), welches der Speichercontroller nicht kennt. Erzeugt wurde dieses Signal durch die neue Einheit auf dem Speichermodul, das sog. „logic element“. In dem US Patent 386 wurde somit sogar eine neue Einheit geschaffen, um das gewünschte neue Signal zu erzeugen. Hieraus folgt für die Auslegung von Merkmal 1.3.1, dass auch das Modulsteuersignal von der Steuerschaltung neu geschaffen werden muss. Insbesondere genügt es nicht, ein bereits vorhandenes Signal lediglich weiterzuleiten.</p>
<p><rd nr="63"/>Dieses Verständnis deckt sich mit dem des maßgeblichen Fachmanns. Dieser setzt „erzeugen“ gleich mit „hervorbringen“ oder „entstehen lassen“ - wie es auch dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht. Auch hiernach ist ein bloßes Weiterleiten von bereits existierenden Signalen nicht erfasst.</p>
<p>Modulsteuersignal veranlasst Datenübertragungsschaltung, einen bestimmten Datenpfad freizugeben </p>
<p><rd nr="64"/>Die Modulsteuersignale bewirken, dass die Datenübertragungsschaltungen einen bestimmten von mehreren Datenpfaden freigeben. Dieser Datenpfad führt zu zwei bestimmten Speichervorrichtungen in einer Reihe (Merkmale 1.3.1.1 und 1.4.5).</p>
<p><rd nr="65"/>Dies ergibt sich eindeutig aus Merkmal 1.4.5:</p>
<p>1.4.5 „wobei jede Datenübertragungsschaltung dazu konfigurierbar ist, auf die Modulsteuersignale anzusprechen durch Freigeben von Datenpfaden und durch Treiben von Datensignalen für die Lese- oder Schreiboperation (…) in der bestimmten der mehreren Reihen“</p>
<p><rd nr="66"/>Merkmal 1.4.5 legt somit fest, dass die Modulsteuersignale dazu führen, dass die Datenübertragungsschaltungen die entsprechenden Datenpfade für die eine bestimmte der mehreren Reihen freigeben bzw. die Datensignale in die eine bestimmte der mehreren Reihen treiben. Die Modulsteuersignale geben also die Datenpfade, bzw. die bestimmte Reihe vor, die Datenübertragungsschaltungen setzen die Vorgabe um.</p>
<p><rd nr="67"/>Diese Funktion der Modulsteuersignale ergibt sich auch schon aus der Merkmalsgruppe 1.3:</p>
<p>1.3 „einer Steuerschaltung (…)“</p>
<p>1.3.1 "[…], wobei die Steuerschaltung dazu konfigurierbar ist, Steuersignale für eine Lese- oder Schreiboperation, die von dem Speichercontroller empfangen werden, zu registrieren und Modulsteuersignale zu erzeugen,</p>
<p>1.3.1.1 wobei die Lese- oder Schreiboperation auf eine bestimmte der mehreren Reihen abzielt;.“</p>
<p><rd nr="68"/>Die gesamte Merkmalsgruppe 1.3 spezifiziert die Steuerschaltung, auch Merkmal 1.3.1.1. Danach erzeugt die Steuerschaltung die Modulsteuersignale (Merkmal 1.3.1) und bewirkt hierdurch, dass die Lese- oder Schreiboperation (die vom Systemspeichercontroller stammt) auf eine bestimmte der mehreren Reihen abzielt (Merkmal 1.3.1. i.V.m. 1.3.1.1).</p>
<p>„Datenübertragungsschaltungen“, Merkmalsgruppe 1.4 </p>
<p><rd nr="69"/>Merkmal 1.4 beschreibt die Datenübertragungsschaltungen des beanspruchten Speichermoduls genauer. Aus der Beschreibung des Klagegebrauchsmusters ergibt sich, dass diese bei bestimmten Ausführungsformen einen Puffer aufweisen oder auch selbst als solcher fungieren können (siehe z.B. [0054]). Hieraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass sich die Funktion der Datenübertragungsschaltungen nicht auf einen Puffer beschränkt.</p>
<p><rd nr="70"/>Bereits dem Namen nach, muss zumindest eine Form von „Schaltung“ für zu übertragende Daten gegeben sein. Die Datenübertragungsschaltung muss die Datenpfade zu ausgewählten Speichervorrichtungen in einer bestimmten Reihe freigeben, diese also entweder an- oder aus“schalten“. Dieses Verständnis bestätigen die Merkmale 1.4.2 sowie 1.4.5.</p>
<p><rd nr="71"/>Merkmal 1.4.2 verlangt, dass die Datenübertragungsschaltungen dazu konfigurierbar sind, die Modulsteuersignale von der Steuerschaltung zu empfangen. Wie dargelegt, sind die von der Steuerschaltung erzeugten Modulsteuersignale dafür verantwortlich, welcher Datenpfad zu den zwei Speichervorrichtungen in der einen bestimmten der mehreren Reihen für die Lese- oder Schreiboperation ausgewählt wird.</p>
<p><rd nr="72"/>Nach Merkmal 1.4.5 ist jede Datenübertragungsschaltung dazu konfigurierbar, auf die Modulsteuersignale anzusprechen durch „Freigeben von Datenpfaden“ und durch „Treiben von Datensignalen“ für die Lese- oder Schreiboperation auf den Datenpfaden zwischen dem Systemspeichercontroller und den beiden zugehörigen Speichervorrichtungen in der bestimmten der mehreren Reihen.</p>
<p><rd nr="73"/>Auch Fig. 5 stützt die Grundidee dieses Verständnisses. Die Datenübertragungsschaltung muss auf Grundlage der Modulsteuersignale den konkreten Datenpfad von bzw. zu den bestimmten Speichervorrichtungen freigeben bzw. frei“schalten“.</p>
<p><rd nr="74"/>„Freigeben von Datenpfaden und (…) Treiben von Datensignalen (…) in der bestimmten der mehreren Reihen“, Merkmal 1.4.5 Merkmal 1.4.5 beschreibt den eigentlichen Kern der Lehre des Klagegebrauchsmusters wie folgt:</p>
<p>„n/2 Datenübertragungsschaltungen […], wobei jede Datenübertragungsschaltung dazu konfigurierbar ist, auf die Modulsteuersignale anzusprechen durch Freigeben von Datenpfaden und durch Treiben von Datensignalen für die Lese- oder Schreiboperation auf den Datenpfaden zwischen dem Systemspeichercontroller und den beiden zugehörigen Speichervorrichtungen in der bestimmten der mehreren Reihen.“</p>
<p><rd nr="75"/>Die nach Merkmal 1.4.5 freizugebenden Datenpfade sind diejenigen zwischen dem Systemspeichercontroller und den zwei Speichervorrichtungen in der einen bestimmten ausgewählten Reihe. Über diese Datenpfade sendet der Systemspeichercontroller Daten zu und empfängt Daten von den Speichervorrichtungen. Jeder dieser Datenpfade verläuft vom Systemspeichercontroller zu einer Datenübertragungsschaltung (vgl. Merkmal 1.4.1) und von dort weiter zu den mit der jeweiligen Datenübertragungsschaltung verbundenen Speichervorrichtungen in den mehreren Reihen (vgl. Merkmal 1.4.4). Die Datenübertragungsschaltungen fungieren also gewissermaßen als Weiche.“</p>
<p><rd nr="76"/>Nach Merkmal 1.4.5 soll die Datenübertragungsschaltung nun bestimmte Datenpfade „freigeben“ und auf diesen freigegebenen Datenpfaden Daten treiben. Die Freigabe eines Datenpfades setzt schon nach dem Wortlaut voraus, dass der Datenpfad zuvor geschlossen ist. Weil nach Merkmal 1.4.5 nur die Datenpfade zwischen dem Systemspeichercontroller und den Speichervorrichtungen in der ausgewählten Reihe freigegeben werden sollen, müssen alle anderen Datenpfade notwendigerweise geschlossen sein. Die Datenübertragungsschaltung soll also nur mit den Speichervorrichtungen der einen ausgewählten Reihe eine aktive Verbindung herstellen, nicht aber mit den Speichervorrichtungen der anderen Reihen.</p>
<p><rd nr="77"/>Auch das Treiben von Datensignalen in „der bestimmten der mehreren Reihen“ bedeutet, dass Daten nur in die eine ausgewählte Reihe „getrieben“ werden, nicht in die anderen Reihen (siehe hierzu auch die in Fig. 5 sowie Absatz [0064] enthaltene Grundidee der Weichenstellung). Am Beispiel der Weiche veranschaulicht, sollen also innerhalb der Datenübertragungsschaltung die Wege zu den ausgewählten Speichervorrichtungen geöffnet werden, während die Wege zu allen anderen Speichervorrichtungen blockiert bleiben.</p>
<p><rd nr="78"/>Dieses Verständnis wird von der Beschreibung des Klagegebrauchsmusters gestützt. Wie bereits dargelegt, umschreibt das Klagegebrauchsmuster das Freigeben von Datenpfaden als selektives Zulassen und Verhindern der Datenübertragung zwischen dem Systemspeichercontroller und den Speichervorrichtungen (vgl. Abs. [0010], [0011], [0042], [0051]). Auch hieraus ergibt sich für den Fachmann, dass nach dem Klagegebrauchsmuster die Verbindung zwischen dem Systemspeichercontroller und den nicht ausgewählten Speichervorrichtungen in der Datenübertragungsschaltung blockiert werden soll.</p>
<p><rd nr="79"/>Die Beschreibung des Klagegebrauchsmusters konkretisiert das „Freigeben von Datenpfaden“ nach Merkmal 1.4.5 sogar noch weiter:</p>
<p>„Um die von dem Systemspeichercontroller 420 erfahrenen Speichervorrichtungslasten zu reduzieren (zum Beispiel während einer Schreiboperation), ist die Datenübertragungsschaltung 416 bestimmter Ausführungsformen vorteilhaft dazu konfiguriert, von dem Systemspeichercontroller 420 als einzige Speicherlast erkannt zu werden. Dieses vorteilhafte Ergebnis wird bei bestimmten Ausführungsformen in gewünschter Weise erzielt, indem die Datenübertragungsschaltungen 416 verwendet werden, um nur die aktivierten Speichervorrichtungen 412 mit dem Speichercontroller 420 elektrisch zu verbinden (zum Beispiel die eine, zwei oder mehr Speichervorrichtungen 412, in welche Daten zu schreiben sind), und die anderen Speichervorrichtungen 412 von dem Speichercontroller 420 elektrisch zu isolieren (zum Beispiel die eine, zwei oder mehr Speichervorrichtungen 412, in welche keine Daten zu schreiben sind)." (Klagegebrauchsmuster, Abs. [0058])</p>
<p><rd nr="80"/>Das oben beschriebene Ziel des Klagegebrauchsmusters, gegenüber dem Stand der Technik eine erhebliche Lastenreduzierung und somit deutlich verbesserte Leistung bei reduziertem Energiebedarf zu erreichen, soll also nach der Lehre des Klagegebrauchsmusters dadurch erreicht werden, dass die Datenübertragungsschaltung immer nur zu zwei Speichervorrichtungen einer Reihe eine elektrische Verbindung aufbaut.</p>
<p><rd nr="81"/>Der Fachmann versteht Merkmal 1.4.5 mithin so, dass die Datenübertragungsschaltung nur zu den „beiden zugehörigen Speichervorrichtungen der bestimmten der mehreren Reihen“ eine elektrische Verbindung aufbauen soll, während die Datenpfade zu den anderen Speichervorrichtungen elektrisch isoliert bleiben und folglich auch keine Daten an diese anderen Speichervorrichtungen übertragen werden.</p>
<p><rd nr="82"/>Soweit die Klägerin dagegen, u.a. auch in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 15.1.2019, argumentiert, dass der eingetragene Wortlaut des Schutzanspruches 1 ein weiteres Verständnis zulasse mit der Folge, dass es für eine wortsinngemäße Verwirklichung ausreiche, wenn die Signale diese (bestimmten) Speichermodule erreichten, die aufgrund von Steuerbefehlen „zuhörten“, und es unschädlich sei, wenn auch alle anderen Speichermodule sie bekämen, die aber mangels entsprechender Steuerbefehle nicht „zuhörten“, ist dieser Argumentation schon aus den oben genannten Gründen nicht zu folgen. Mit der Klägerin ist zwar festzustellen, dass die Beschreibung des Klagegebrauchsmusters auf den ersten Blick keine einzige einengende, weil allgemein gehaltene, Beschreibungsstelle aufweist. Die Beschreibung erläutert vielmehr ausschließlich „bestimmte Ausführungsformen“ ohne - auf den ersten Blick - Schutzanspruch 1 in der eingetragenen Form allgemein zu erläutern. Allerdings finden sich in [21] und [41] der Beschreibung „Generalklauseln“ wonach bestimmte Zeichnungen bzw. Erläuterungen pars pro toto zu verstehen seien. Derartige spezifische und als pars pro toto zu verstehende Erläuterungen finden sich zum Beispiel in [54] wonach die Datenbits selektiv nur an ausgewählte, und nicht an alle, Speichervorrichtungen gesendet werden; und zwar betreffend diejenige „alternative“ Ausführungsform, bei der laut Klägerin die Datenübertragungsschaltung als Puffer fungiert. Allerdings ist nirgends beschrieben, dass die Pufferfunktion alternativ zur Weichenfunktion verstanden werden soll; im Gegenteil, der Wortlaut des eingetragenen Anspruchs 1 spricht von selektiv senden. Die Pufferfunktion stellt somit eine zusätzliche Eigenschaft zur Weichenfunktion dar. [66] bestätigt das; denn dort sind auch bei dem Einsatz von Puffern Datenübertragungsschaltungen deaktiviert und Signale werden nur an bestimmte Speichereinrichtungen über die „richtigen“ Datenpfade getrieben. Die anderen (falschen) Datenpfade sind zu Gunsten einer Entlastung elektrisch isoliert.</p>
<p><rd nr="83"/>Die Zusammenschau von Schutzanspruch 1 mit dem abhängigen Schutzanspruch 4 zeigt ebenfalls, dass die Verwendung als Puffer einen zusätzlichen Unterfall und keine Alternative zum Grundkonzept der Verwendung als Weiche darstellt. Schlussendlich offenbart [37] als Stand der Technik eine Vorbeiflug-Konfiguration, bei welcher Steuersignale entlang der Steuerleitungen von dem Register zu den Speichervorrichtungen einer gegebenen Reihe gesendet werden. Die Signale erreichen dabei jede Speichervorrichtung der Reihe sequentiell. Das Klagegebrauchsmuster vermag sich hiervon nur dann abzugrenzen, wenn man der obigen Auslegung folgt.</p>
<p><rd nr="84"/>Etwas anders ergibt sich auch nicht aus dem von der Klägerin im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 15.1.2019 zitierten Absatz [5]. Dieser lautet:</p>
<p>„Im Betrieb werden die Reihen eines Speichermoduls durch Steuersignale ausgewählt oder aktiviert, die vom Prozessor empfangen werden. Beispiele solcher Steuersignale beinhalten, sind jedoch nicht beschränkt auf, Reihenauswahlsignale, auch Chipauswahlsignale genannt. Die meisten Computer- und Serversysteme unterstützen eine begrenzte Anzahl von Reihen pro Speichermodul, was die Speicherdichte, die in jedem Speichermodul integriert werden kann, einschränkt.“</p>
<p><rd nr="85"/>Denn dieser Absatz beschreibt die Funktionsweise von im Stand der Technik bekannten Speichermodulen. Wie die von Absatz [58] beschriebene Lastreduktion und das vom Wortlaut des Schutzanspruchs geforderte Freigeben von ansonsten geschlossenen Datenpfaden sowie das Treiben von Datensignalen für die Lese- oder Schreiboperation nur auf den „richtigen“ Datenpfaden zwischen dem Systemspeichercontroller und den beiden zugehörigen Speichervorrichtungen in der bestimmten der mehreren Reihen anders als oben beschrieben be-werkstelligt werden soll, ergibt sich weder hieraus noch aus den Ausführungen der Klägerin in deren nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 15.1.2019.</p>
<p>B. keine Gebrauchsmusterverletzung</p>
<p><rd nr="86"/>Die angegriffenen Ausführungsformen machen vom geltend gemachten Anspruch 1 des Klagegebrauchsmusters keinen Gebrauch. Jedenfalls die Merkmalsgruppen 1.3 und 1.4 werden nicht verwirklicht. Die Klage war daher mangels Gebrauchsmusterverletzung kostenpflichtig abzuweisen.</p>
<p>Im Einzelnen:</p>
<p><rd nr="87"/>Nach dem unstreitigen Vortrag der Beklagten werden sämtliche Daten, die von der Steuerschaltung über die Datenübertragungsschaltungen zu den Reihen der angegriffenen Ausführungsform gelangen, stets an sämtliche Reihen geleitet, nicht nur an eine bestimmte. Daher sind auch keinerlei Datenpfade zwischen dem Systemspeicherkontroller und den mehreren Reihen verschlossen, die über die Puffer laufen. Daher ist eine Schalterfunktion dergestalt, dass der Weg zu den beiden Speichervorrichtungen in der einen, bestimmten Reihe eröffnet wird, und der Weg zu allen sonstigen Reihen verschlossen bleibt, nicht gegeben. Daher erfolgt auch keine Freigabe, weil dies nach dem oben gefundenen Auslegungsergebnis voraussetzt, dass Pfade verschlossen sind. Jeder Datenpuffer der angegriffenen Ausführungsform leitet sämtliche ankommenden Daten an beide mit ihm verbundenen Reihen weiter.</p>
<p>C. Nebenentscheidungen</p>
<p><rd nr="88"/>Die Kostenentscheidung ergibt sich aus <verweis.norm>§ 91 Abs. 1 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm>, diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus <verweis.norm>§ 709 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm>. </p>
</div>
|
|
180,233 | ovgnrw-2019-01-31-4-a-16118a | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 4 A 161/18.A | 2019-01-31T00:00:00 | 2019-02-07T14:18:34 | 2019-02-13T12:21:04 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0131.4A161.18A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 7.11.2017 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Köln wird abgelehnt.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die vom Kläger geltend gemachte Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Das in Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO verankerte Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es ist indes grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht diesen Anforderungen genügt. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, jedes Vorbringen in den Gründen ausdrücklich zu bescheiden. Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17.8.2017 ‒ 4 A 1904/17.A –, juris, Rn. 2 ff., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil das Vorbringen des Klägers wiedergegeben und gewürdigt (Urteilsabdruck, Seite 2, letzter Absatz, bis Seite 4, dritter Absatz, sowie Seite 7, dritter Absatz, bis Seite 8, dritter Absatz). Dass es dieses anders als der Kläger gewertet hat, begründet keinen Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat nicht die Überzeugung gewinnen können, dass der Kläger in seinem Heimatland vor seiner Ausreise flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung erlitten hat. Seine auswendig gelernt wirkenden Schilderungen hätten ‒ auch in der mündlichen Verhandlung ‒ insgesamt nicht von einem eigens Erlebten gezeugt. Auch habe der Kläger die bereits vom Bundesamt aufgezeigten Ungereimtheiten und Widersprüchlichkeiten nicht ausräumen können. In diesem Zusammenhang hat das Verwaltungsgericht lediglich beispielhaft einzelne Gesichtspunkte seiner Würdigung ‒ zur zeitlichen Einordnung der Angelegenheit mit der DVD, zur Antwort des Klägers auf die Frage, weshalb am Fluss nicht geschossen worden sei, zu seinen Angaben der Heimatadresse sowie der Teilnahme an einer Demonstration ‒ ergänzend zu den umfangreichen Ausführungen des Bundesamts (Bescheid vom 1.6.2017, Seite 3, letzter Absatz, bis Seite 5, zweiter Absatz) hervorgehoben. Es hat die Klage mithin schon nicht ‒ wie der Kläger meint ‒ im Wesentlichen deshalb abgewiesen, weil er sich nicht mehr daran erinnern konnte, wann sich die Angelegenheit mit der DVD und der nachfolgenden Verhaftung abgespielt habe. Vor allem aber erschöpfen sich die Einwände des Klägers, die nicht einmal auf alle Argumente des Bundesamts und des Verwaltungsgerichts eingehen, in Kritik an der Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts. Einwände gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts sind aber dem sachlichen Recht zuzurechnen und rechtfertigen, sofern sie ‒ wie hier ‒ nicht von Willkür geprägt ist, von vornherein nicht die Zulassung der Berufung wegen eines Verfahrensmangels nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 1.2.2010 ‒ 10 B 21.09 ‒, juris, Rn. 13, und vom 2.11.1995 ‒ 9 B 710.94 ‒, NVwZ-RR 1996, 359 = juris, Rn 5.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör wird auch nicht mit dem Einwand des Klägers aufgezeigt, das Verwaltungsgericht habe sich nicht ausführlich mit seiner Teilnahme an einer Demonstration in Köln befasst, insbesondere nicht aufgeführt, welche Erkenntnisse das Gericht zu der Ansicht gebracht hätten, die Teilnahme an einer Demonstration sei „nach derzeitiger Erkenntnislage“ nicht mit Verfolgung bedroht. Es ist insoweit nicht ersichtlich, dass sich das Verwaltungsgericht unter Verstoß gegen das prozessuale Gebot, das Urteil nur auf Tatsachen- und Beweisergebnisse zu stützen, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten (§ 108 Abs. 2 VwGO), nicht in das Verfahren eingeführte Erkenntnisquellen herangezogen hat. Indem das Verwaltungsgericht in der Mitteilung des Klägers, er habe 2016 in L.    an einer Demonstration gegen das Regime Kabila teilgenommen, „unter Berücksichtigung der aktuellen Erkenntnislage“ keine tragfähigen Anhaltspunkte für beachtliche Nachfluchtgründe entnommen hat, hat es (noch) erkennbar Bezug genommen auf den aktuellsten in das Verfahren eingeführten Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 21.6.2017, wonach die Regierung den exilpolitischen Tätigkeiten ihrer Landsleute in Deutschland grundsätzlich wenig Bedeutung beimesse, soweit es sich nicht um die Aufforderung bzw. Anstiftung zu Straftaten handele.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Demokratischen Republik Kongo vom 21.6.2017, S. 15.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Der Wunsch des Klägers, das Verwaltungsgericht hätte sich ausführlicher mit den Risiken seiner Demonstrationsteilnahme beschäftigen müssen, betrifft nicht seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Das gilt selbst dann, wenn diesem Vorbringen sinngemäß eine Aufklärungsrüge zu entnehmen sein sollte. Ein Aufklärungsmangel begründet grundsätzlich ‒ so auch hier ‒ weder einen Gehörsverstoß, noch gehört er zu den sonstigen Verfahrensmängeln im Sinne der §§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, 138 VwGO. Dies gilt auch insoweit, als der gerichtlichen Aufklärungsverpflichtung verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19.12.2016 ‒ 4 A 2203/15.A ‒, juris, Rn. 24 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.</p>
|
180,232 | ovgnrw-2019-01-31-4-a-16218a | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 4 A 162/18.A | 2019-01-31T00:00:00 | 2019-02-07T14:18:34 | 2019-02-13T12:21:04 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0131.4A162.18A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 7.11.2017 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Köln wird abgelehnt.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die vom Kläger geltend gemachte Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das in Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO verankerte Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es ist indes grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht diesen Anforderungen genügt. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, jedes Vorbringen in den Gründen ausdrücklich zu bescheiden. Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17.8.2017 ‒ 4 A 1904/17.A –, juris, Rn. 2 ff., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil das Vorbringen des Klägers wiedergegeben und gewürdigt (Urteilsabdruck, Seite 2, dritter Absatz, bis Seite 4, dritter Absatz, sowie Seite 7, vorletzter Absatz, bis Seite 8, zweiter Absatz). Dass es dieses anders als der Kläger gewertet hat, begründet keinen Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat das Vorbringen des Klägers, er sei bereits in der Vergangenheit unberechtigt inhaftiert gewesen und in Haft gefoltert worden, für unglaubhaft gehalten. Seine Schilderungen seien insoweit oberflächlich, vage und ohne jegliche Details geblieben; er habe nicht glaubhaft vermitteln können, etwas eigens Erlebtes zu schildern. Dem von ihm vorgelegten Haftbefehl von 2013 komme schon deshalb nur ein geringer Aussagewert zu, weil jedes Dokument ‒ auch Haftbefehle ‒ mit vom Besteller vorgegebenem Inhalt von der formal zuständigen Stelle käuflich erworben werden könnten. Der Kläger habe auch keine nachvollziehbaren Angaben dazu gemacht, wie er an den Haftbefehl gekommen sei. Schließlich sei weder ein Grund für den Haftbefehl ersichtlich noch, ob er überhaupt noch in Kraft sei.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Indem der Kläger dem entgegen hält, er habe keineswegs oberflächlich vorgetragen und das von ihm vorgelegte Schreiben der Polizei von 2013 sei entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht gekauft, erschöpfen sich seine Einwände in Kritik an der Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts. Einwände gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts sind aber dem sachlichen Recht zuzurechnen und rechtfertigen, sofern sie ‒ wie hier ‒ nicht von Willkür geprägt ist, von vornherein nicht die Zulassung der Berufung wegen eines Verfahrensmangels nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 1.2.2010 ‒ 10 B 21.09 ‒, juris, Rn. 13, und vom 2.11.1995 ‒ 9 B 710.94 ‒, NVwZ-RR 1996, 359 = juris, Rn 5.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör wird auch nicht mit dem Einwand des Klägers aufgezeigt, das Verwaltungsgericht hätte zumindest durch Einholung einer Auskunft des Auswärtigen Amts überprüfen müssen, ob das Schreiben tatsächlich echt sei. Die damit erhobene Aufklärungsrüge betrifft nicht seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Ein Aufklärungsmangel begründet grundsätzlich ‒ so auch hier ‒ weder einen Gehörsverstoß, noch gehört er zu den sonstigen Verfahrensmängeln im Sinne der §§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, 138 VwGO. Dies gilt auch insoweit, als der gerichtlichen Aufklärungsverpflichtung verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19.12.2016 ‒ 4 A 2203/15.A ‒, juris, Rn. 24 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Ohne Erfolg bleibt schließlich der Einwand des Klägers, das Verwaltungsgericht hätte zumindest in der mündlichen Verhandlung darauf hinweisen müssen, dass es von einer Fälschung des polizeilichen Dokuments ausgehe. Abgesehen davon, dass das Verwaltungsgericht nicht notwendig von einer Fälschung ausgegangen ist, sondern die Möglichkeit in Betracht gezogen hat, dass es sich um ein ‒ allerdings gekauftes ‒ Dokument handelt, das von der zuständigen Stelle ausgestellt wurde, bestand keine entsprechende Hinweispflicht. Das Recht auf rechtliches Gehör begründet keine Pflicht des Gerichts, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder die mögliche Würdigung des Sachverhalts hinzuweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Einschätzung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Entscheidungsfindung nach Schluss der mündlichen Verhandlung ergibt. Eine gerichtliche Hinweispflicht ‒ zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung ‒ besteht nur dann, wenn auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht mit einer bestimmten Bewertung seines Sachvortrags durch das Verwaltungsgericht zu rechnen braucht.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 18.12.2017 ‒ 6 B 52.17 ‒, juris, Rn. 6, und vom 29.1.2010 ‒ 5 B 21.09 u. a. ‒, Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 61 = juris, Rn. 18, m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter musste schon mit Blick auf die im Wesentlichen gleichartige Würdigung in dem im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen Beschluss vom 7.7.2017 ‒ 5 L 2105/17.A, VG Köln ‒ (Beschlussabdruck, Seite 4, dritter Absatz) damit rechnen, dass das Verwaltungsgericht dem vorgelegten Haftbefehl, selbst wenn er echt wäre, auch im Hauptsacheverfahren ohne weitere Sachverhaltsaufklärung nur einen geringen Aussagewert beigemessen könnte, weil Haftbefehle und andere Dokumente in der D. R. Kongo mit dem gewünschten Inhalt von der zuständigen Stelle käuflich erworben werden können.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Demokratischen Republik Kongo vom 21.6.2017, S. 23.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.</p>
|
175,012 | eugh-2019-01-31-c-18317 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-183/17 | 2019-01-31T00:00:00 | 2019-01-31T19:20:42 | 2019-01-31T19:20:42 | Urteil | ECLI:EU:C:2019:78 | <p>Vorläufige Fassung</p>
<p class="C19Centre">URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)</p>
<p class="C19Centre">31. Januar 2019(<a href="#Footnote*" name="Footref*">*</a>)</p>
<p class="C71Indicateur">„Rechtsmittel – Entwicklungszusammenarbeit – Haushaltsvollzug der Europäischen Union im Rahmen der indirekten Mittelverwaltung – Nichtigkeitsklage – Zulässigkeit – Anfechtbare Handlungen – Beschluss über die Übertragung einer Haushaltsvollzugsaufgabe auf eine andere als die ursprünglich betraute Person – Beschluss, keine neuen Haushaltsvollzugsaufgaben mehr auf die ursprünglich betraute Einrichtung zu übertragen – Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2342/2002 – Art. 43 – Delegierte Verordnung (EU) Nr. 1268/2012 – Art. 43 – Begriff ‚internationale Organisation‘ – Voraussetzungen – Schadensersatzantrag“</p>
<p class="C02AlineaAltA">In den verbundenen Rechtssachen C‑183/17 P und C‑184/17 P</p>
<p class="C02AlineaAltA">betreffend zwei Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 11. April 2017 von der</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>International Management Group</b> mit Sitz in Brüssel (Belgien), Prozessbevollmächtigte: L. Levi und J.‑Y. de Cara, avocats,</p>
<p class="C72Alineadroite">Rechtsmittelführerin,</p>
<p class="C02AlineaAltA">andere Partei des Verfahrens:</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Europäische Kommission,</b> vertreten durch F. Castillo de la Torre und J. Baquero Cruz als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C72Alineadroite">Beklagte im ersten Rechtszug,</p>
<p class="C02AlineaAltA">erlässt</p>
<p class="C19Centre">DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer M. Vilaras in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Dritten Kammer sowie der Richter J. Malenovský (Berichterstatter), L. Bay Larsen, M. Safjan und D. Šváby,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. Juni 2018,</p>
<p class="C02AlineaAltA">nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. September 2018</p>
<p class="C02AlineaAltA">folgendes</p>
<p class="C75Debutdesmotifs">
<b>Urteil</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point1">1</a>        Mit ihren Rechtsmitteln beantragt die International Management Group (im Folgenden: IMG) die Aufhebung der Urteile des Gerichts der Europäischen Union vom 2. Februar 2017, International Management Group/Kommission (T‑29/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:56, im Folgenden: angefochtenes Urteil T‑29/15), und vom 2. Februar 2017, International Management Group/Kommission (T‑381/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:57, im Folgenden: angefochtenes Urteil T‑381/15) (im Folgenden zusammen: angefochtene Urteile), mit denen dieses Gericht ihre Klagen, mit denen sie in der Rechtssache T‑29/15 die Nichtigerklärung des Durchführungsbeschlusses C(2014) 9787 final der Kommission vom 16. Dezember 2014 zur Änderung des Durchführungsbeschlusses C(2013) 7682 über das Jahresaktionsprogramm 2013 für Myanmar/Burma zulasten des Gesamthaushaltsplans der Europäischen Union (im Folgenden: Beschluss vom 16. Dezember 2014) und in der Rechtssache T‑381/15 zum einen die Nichtigerklärung des im Schreiben der Europäischen Kommission an IMG vom 8. Mai 2015 enthaltenen Beschlusses der Kommission (im Folgenden: Beschluss vom 8. Mai 2015) (zusammen mit dem Beschluss vom 16. Dezember 2014: streitige Beschlüsse) sowie zum anderen den Ersatz des durch den Beschluss vom 8. Mai 2015 verursachten Schadens begehrte, abgewiesen hat.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <i>Die Finanzregelung von 2002</i>
</p>
<p class="C06Titre3"> Verordnung Nr. 1605/2002</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point2">2</a>        Die Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates vom 25. Juni 2002 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften (ABl. 2002, L 248, S. 1) in der durch die Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1995/2006 des Rates vom 13. Dezember 2006 (ABl. 2006, L 390, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1605/2002) wurde mit Wirkung zum 1. Januar 2013 durch die Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 1605/2002 (ABl. 2012, L 298, S. 1) aufgehoben. Art. 212 Buchst. a der Verordnung Nr. 966/2012 sah jedoch u. a. vor, dass die Art. 53 und 53d der Verordnung Nr. 1605/2002 weiterhin Anwendung auf sämtliche Mittelbindungen finden, die bis zum 31. Dezember 2013 eingegangen sein werden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point3">3</a>        Art. 53 der Verordnung Nr. 1605/2002 bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Kommission führt den Haushalt entsprechend den Artikeln 53a bis 53d nach einer der folgenden Methoden aus:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      nach dem Prinzip der zentralen Mittelverwaltung oder</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      nach dem Prinzip der geteilten oder dezentralen Verwaltung oder</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">c)      nach dem Prinzip der gemeinsamen Verwaltung mit internationalen Organisationen.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point4">4</a>        Art. 53d dieser Verordnung sieht u. a. vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Bei der gemeinsamen Mittelverwaltung werden … bestimmte Haushaltsvollzugsaufgaben internationalen Organisationen … übertragen …</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Die mit der betreffenden internationalen Organisation geschlossenen Vereinbarungen über die Bereitstellung der Finanzmittel müssen genaue Bestimmungen über die Haushaltsvollzugsaufgaben enthalten, die dieser Organisation übertragen werden.</p>
<p class="C02AlineaAltA">… “</p>
<p class="C06Titre3"> Verordnung Nr. 2342/2002</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point5">5</a>        Die Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2342/2002 der Kommission vom 23. Dezember 2002 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung Nr. 1605/2002 (ABl. 2002, L 357, S. 1) in der durch die Verordnung (EG, Euratom) Nr. 478/2007 der Kommission vom 23. April 2007 (ABl. 2007, L 111, S. 13) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 2342/2002) (zusammen mit der Verordnung Nr. 1605/2002: Finanzregelung 2002) wurde mit Wirkung zum 1. Januar 2013 von der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 1268/2012 der Kommission vom 29. Oktober 2012 über die Anwendungsbestimmungen für die Verordnung Nr. 966/2012 (ABl. 2012, L 362, S. 1) (im Folgenden zusammen mit der Verordnung Nr. 966/2012: Finanzregelung 2012) aufgehoben.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point6">6</a>        Art. 43 („Gemeinsame Verwaltung“) Abs. 2 der Verordnung Nr. 2342/2002 sah u. a. vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Bei den internationalen Organisationen gemäß Artikel 53d der [Verordnung Nr. 1605/2002] handelt es sich im Einzelnen um:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      internationale öffentliche Einrichtungen, die durch zwischenstaatliche Abkommen geschaffen werden, sowie von diesen eingerichtete spezialisierte Agenturen;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">… “</p>
<p class="C05Titre2"> <i>Die Finanzregelung 2012</i>
</p>
<p class="C06Titre3"> Verordnung Nr. 966/2012</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point7">7</a>        Die Verordnung Nr. 966/2012 ist gemäß ihrem Art. 214 Abs. 1 am 27. Oktober 2012 in Kraft getreten. Nach Art. 214 Abs. 2 galt sie, unbeschadet besonderer, für andere Artikel dieser Verordnung vorgesehene Daten, ab dem 1. Januar 2013.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point8">8</a>        Zu diesen anderen Artikeln gehört Art. 58 („Arten des Haushaltsvollzugs“), der ausschließlich auf ab dem 1. Januar 2014 eingegangene Mittelbindungen Anwendung findet und dessen Abs. 1 vorsieht:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Kommission führt den Haushalt nach einer der folgenden Methoden aus:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      direkt (‚direkte Mittelverwaltung‘) über ihre Dienststellen …</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      in geteilter Mittelverwaltung mit den Mitgliedstaaten (‚geteilte Mittelverwaltung‘) oder</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">c)      indirekt (‚indirekte Mittelverwaltung‘) … im Wege der Übertragung von Haushaltsvollzugsaufgaben auf:</p>
<p class="C11Marge1avecretrait">i)      Drittländer oder von diesen benannte Einrichtungen,</p>
<p class="C11Marge1avecretrait">ii)      internationale Organisationen und deren Agenturen,</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">… “</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point9">9</a>        Die Art. 84 bis 86 der Verordnung Nr. 966/2012 galten ab dem 1. Januar 2013.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point10">10</a>      In Art. 84 („Finanzierungsbeschluss“) der Verordnung heißt es:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Jede Ausgabe ist Gegenstand von vier Vorgängen: Mittelbindung, Feststellung, Zahlungsanordnung und Zahlung. </p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Der Mittelbindung geht ein Finanzierungsbeschluss des betreffenden Organs oder der Behörden voran, denen das Organ entsprechende Befugnisse übertragen hat, sofern die betreffenden Mittel nicht … ohne Basisrechtsakt verwendet werden können. </p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)      In dem Beschluss nach Absatz 2 werden das verfolgte Ziel, die erwarteten Ergebnisse, die Methode der Umsetzung und ihr Gesamtbetrag angegeben. Er enthält zudem eine Beschreibung der zu finanzierenden Maßnahmen, Angaben zur Höhe der für die einzelnen Maßnahmen vorgesehenen Beträge und den vorläufigen Durchführungszeitplan. </p>
<p class="C02AlineaAltA">Im Fall direkter Mittelverwaltung werden in dem Beschluss auch die [betraute] Einrichtung oder Person nach Artikel 58 Absatz 1 Buchstabe c, die für die Wahl der Einrichtung oder der Person angelegten Kriterien sowie die ihr übertragenen Aufgaben angegeben.</p>
<p class="C02AlineaAltA">… “</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point11">11</a>      Art. 85 („Mittelbindungsarten“) Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Eine Mittelbindung besteht darin, die Mittel vorzumerken, die erforderlich sind, um Zahlungen, die sich aus rechtlichen Verpflichtungen ergeben, zu einem späteren Zeitpunkt leisten zu können.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Eine rechtliche Verpflichtung ist die Handlung, durch die der Anweisungsbefugte eine Verpflichtung eingeht, die eine Belastung zur Folge hat.</p>
<p class="C02AlineaAltA">… “ </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point12">12</a>      Art. 86 („Mittelbindungsvorschriften“) Abs. 1 der Verordnung sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Bei allen haushaltswirksamen Maßnahmen muss der zuständige Anweisungsbefugte eine Mittelbindung vornehmen, bevor er eine rechtliche Verpflichtung gegenüber Dritten eingeht … “</p>
<p class="C06Titre3"> Delegierte Verordnung Nr. 1268/2012</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point13">13</a>      In Art. 43 („Besondere Bestimmungen für die indirekte Mittelverwaltung mit internationalen Organisationen“) Abs. 1 der Delegierten Verordnung Nr. 1268/2012 heißt es:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Bei den internationalen Organisationen gemäß Artikel 58 Absatz 1 Buchstabe c Ziffer ii der [Verordnung Nr. 966/2012] handelt es sich im Einzelnen um:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      internationale öffentliche Einrichtungen, die durch zwischenstaatliche Abkommen geschaffen werden, sowie von diesen eingerichtete spezialisierte Agenturen;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…“</p>
<p class="C05Titre2"> <i>Verordnung Nr. 883/2013</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point14">14</a>      Die Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. September 2013 über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1073/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Verordnung (Euratom) Nr. 1074/1999 des Rates (ABl. 2013, L 248, S. 1) ist am 1. Oktober 2013 in Kraft getreten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point15">15</a>      Art. 7 („Durchführung der Untersuchungen“) Abs. 6 dieser Verordnung sieht insbesondere vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Erweist sich bei einer Untersuchung, dass es sinnvoll sein könnte, administrative Sicherungsmaßnahmen zum Schutz der finanziellen Interessen der Union zu ergreifen, so setzt [OLAF] unverzüglich das betroffene Organ, die betroffene Einrichtung oder die betroffene sonstige Stelle über die laufende Untersuchung in Kenntnis. Dabei werden folgende Informationen mitgeteilt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">Die betroffenen Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen können in enger Zusammenarbeit mit [OLAF] jederzeit beschließen, geeignete Sicherungsmaßnahmen, einschließlich Maßnahmen zur Beweissicherung, zu ergreifen und setzen [OLAF] unverzüglich von einem solchen Beschluss in Kenntnis.“ </p>
<p class="C04Titre1"> <b>Vorgeschichte der Rechtsstreite</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <i>Die Rechtsmittelführerin</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point16">16</a>      Nach ihren dem Gerichtshof in den Akten vorliegenden Statuten wurde IMG am 25. November 1994 als internationale Organisation mit der Bezeichnung „International Management Group – Infrastructure for Bosnia and Herzegovina“ und Sitz in Belgrad (Serbien) errichtet, um den am Wiederaufbau Bosnien-Herzegowinas beteiligten Staaten zu diesem Zweck eine spezialisierte Stelle zur Verfügung stellen zu können. Seitdem dehnte IMG ihren Tätigkeitsbereich immer weiter aus und schloss am 13. Juni 2012 ein Sitzabkommen mit dem Königreich Belgien.</p>
<p class="C05Titre2"> <i>Der ursprüngliche Beschluss </i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point17">17</a>      Am 7. November 2013 erließ die Kommission auf der Grundlage von Art. 84 der Verordnung Nr. 966/2012 den Durchführungsbeschluss C(2013) 7682 final über das Jahresaktionsprogramm 2013 für Myanmar/Burma zulasten des Gesamthaushaltsplans der Europäischen Union (im Folgenden: ursprünglicher Beschluss).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point18">18</a>      In Art. 1 dieses Beschlusses hieß es, dass das Aktionsprogramm für das Jahr 2013 für Myanmar/Burma, wie in den Anhängen 1 und 2 dieses Beschlusses näher ausgeführt, genehmigt sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point19">19</a>      Gemäß Art. 3 des Beschlusses konnten die Haushaltsvollzugsaufgaben im Rahmen der gemeinsamen Mittelverwaltung unter der Voraussetzung des Abschlusses einer Übertragungsvereinbarung auf die in den Anhängen 1 und 2 des Beschlusses aufgeführten Einrichtungen übertragen werden. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point20">20</a>      Anhang 2 des Beschlusses beschrieb die zweite Aktion des Aktionsprogramms für das Jahr 2013 für Myanmar/Burma. Die Abschnitte 5 und 8 dieses Anhangs sahen im Wesentlichen vor, dass diese Aktion aus einem Programm zur Entwicklung des Handels bestand, dessen Kosten, die auf 10 Mio. Euro veranschlagt wurden, von der Europäischen Union finanziert würden und dessen Durchführung in gemeinsamer Verwaltung mit IMG sichergestellt würde. Nr. 8.3.1 dieses Anhangs stellte IMG als eine in Myanmar/Burma bereits etablierte und an der Durchführung von unionsfinanzierten Projekten in diesem Staat mitwirkende internationale Organisation vor.</p>
<p class="C05Titre2"> <i>Der Beschluss vom 16. Dezember 2014 und seine Vorgeschichte</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point21">21</a>      Am 17. Februar 2014 setzte das OLAF die Kommission davon in Kenntnis, dass es eine Untersuchung zum Status von IMG eröffnet habe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point22">22</a>      Am 24. Februar 2014 leitete der Generalsekretär der Kommission diese Information an den Generaldirektor Internationale Zusammenarbeit und Entwicklung dieses Organs weiter, wobei er ihn auf die Möglichkeit hinwies, Sicherungsmaßnahmen auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 6 der Verordnung Nr. 883/2013 zu erlassen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point23">23</a>      Am 26. Februar 2014 erließ dieser Generaldirektor Sicherungsmaßnahmen auf der Grundlage der genannten Vorschrift. Diese begründete er damit, dass die ursprüngliche Untersuchung des OLAF Zweifel am Status von IMG habe aufkommen lassen (im Folgenden: Sicherungsmaßnahmen vom 26. Februar 2014). Diese Sicherungsmaßnahmen bestanden im Wesentlichen darin, zum einen den Abschluss neuer Übertragungsvereinbarungen mit IMG im Rahmen der indirekten Mittelverwaltung des Unionshaushalts gemäß der Verordnung Nr. 966/2012 und zum anderen die Erstreckung bereits mit IMG geschlossener Übertragungsvereinbarungen im Rahmen der gemeinsamen Verwaltung des Unionshaushalts auf der Grundlage der Verordnung Nr. 1605/2002 zeitweilig zu verbieten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point24">24</a>      Am 25. April 2014 richtete dieser Generaldirektor ein Schreiben an IMG (im Folgenden: Schreiben vom 25. April 2014), in dem er sie über drei neue Gesichtspunkte in der Akte der Kommission informierte, nämlich erstens den Umstand, dass fünf Mitgliedstaaten der Union, die nach Angaben von IMG Mitglieder dieser Organisation sein sollten, sich nicht als solche betrachteten, zweitens den Umstand, dass der Generalsekretär der Organisation der Vereinten Nationen (UNO) angegeben habe, dass IMG keine Sonderorganisation der UNO sei, und drittens, dass Ungewissheiten in Bezug auf die Vollmachten von Personen bestünden, die bestimmte Staaten bei der Unterzeichnung der Gründungsakte von IMG vertreten hätten. Der Generaldirektor Internationale Zusammenarbeit und Entwicklung der Kommission teilte ferner mit, dass er in Anbetracht der sich aus diesen Gesichtspunkten ergebenden Zweifel hinsichtlich des Status von IMG seine Dienststellen angewiesen habe, in Bezug auf diese Organisation vorübergehend auf Verfahren zu verzichten, die die Ausführung von Haushaltsaufgaben durch internationale Organisationen erlauben. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point25">25</a>      Am 15. Dezember 2014 erhielt die Kommission den vom OLAF nach Abschluss seiner Untersuchung erstellten Bericht (im Folgenden: OLAF‑Bericht), der eine Reihe von Empfehlungen enthielt. In diesem Bericht stellte das OLAF im Wesentlichen fest, dass IMG keine internationale Organisation im Sinne der Finanzregelungen von 2002 und 2012 sei, und empfahl der Kommission, Sanktionen gegen IMG zu verhängen und die Beträge zurückzufordern, die an diese wegen ihrer Eigenschaft als internationale Organisation gezahlt worden waren.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point26">26</a>      Am nächsten Tag erließ die Kommission gestützt auf Art. 84 der Verordnung Nr. 966/2012 den Beschluss vom 16. Dezember 2014. Nach Art. 1 dieses Beschlusses wurde Anhang 2 des ursprünglichen Beschlusses durch einen neuen Anhang ersetzt, dessen Abschnitte 1 und 4.3 im Wesentlichen vorsahen, dass nicht mehr IMG, sondern die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (im Folgenden: GIZ) mit der Durchführung des in diesem ursprünglichen Beschluss vorgesehenen Programms zur Entwicklung des Handels im Wege der indirekten Mittelverwaltung betraut wurde.</p>
<p class="C05Titre2"> <i>Beschluss vom 8. Mai 2015</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point27">27</a>      Am 16. Januar 2015 erstellte der juristische Dienst der Kommission einen Vermerk mit dem Titel „Rechtliche Bewertung des [OLAF‑Berichts] zur Untersuchung … in Bezug auf [IMG]“ (im Folgenden: Stellungnahme des juristischen Dienstes).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point28">28</a>      Am 8. Mai 2015 richtete die Kommission ein Schreiben an IMG, um diese über die Konsequenzen zu informieren, die sie aus dem OLAF‑Bericht zu ziehen beabsichtige. In diesem Schreiben teilte sie mit, obwohl sie den meisten Empfehlungen des OLAF nicht nachkommen werde, habe sie u. a. beschlossen, dass ihre Dienststellen erst dann mit IMG neue Übertragungsvereinbarungen nach dem in der Verordnung Nr. 966/2012 für internationale Organisationen vorgesehenen Modus der indirekten Mittelverwaltung abschließen würden, wenn hinsichtlich des Status von IMG als internationale Organisation absolute Gewissheit bestehe. Dieser Teil des Schreibens stellt den in Rn. 1 des vorliegenden Urteils angesprochenen Beschluss vom 8. Mai 2015 dar. </p>
<p class="C04Titre1"> <b>Die angefochtenen Urteile</b>
</p>
<p class="C06Titre3"> Angefochtenes Urteil T‑29/15</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point29">29</a>      Mit Klageschrift, die am 21. Januar 2015 bei der Kanzlei des Gerichts einging und unter dem Aktenzeichen T‑29/15 in das Register eingetragen wurde, erhob IMG eine Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses vom 16. Dezember 2014.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point30">30</a>      Mit Schriftsatz, der am 24. März 2015 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob die Kommission eine Einrede der Unzulässigkeit gegen diese Klage, mit der die Unanfechtbarkeit des Beschlusses vom 16. Dezember 2014 geltend gemacht wurde, weil dieser zum einen keine verbindlichen Rechtswirkungen erzeuge und zum anderen rein bestätigenden Charakter zu dem Schreiben vom 25. April 2014 habe, mit dem IMG über die Sicherungsmaßnahmen vom 26. Februar 2014 informiert worden sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point31">31</a>      Mit Beschluss vom 30. Juni 2015 hat das Gericht die Entscheidung über diese Einrede und die Kostenentscheidung dem Endurteil vorbehalten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point32">32</a>      Am 2. Februar 2017 erließ das Gericht das angefochtene Urteil T‑29/15, mit dem es die Klage von IMG abwies und dieser die Kosten auferlegte. Hierbei stellte es erstens in den Rn. 28 bis 78 dieses Urteils fest, dass die Unzulässigkeitseinrede der Kommission unbegründet sei, weil der Beschluss vom 16. Dezember 2014 zum einen verbindliche Rechtswirkungen zeitige, indem er IMG endgültig die Möglichkeit zum Abschluss einer Übertragungsvereinbarung nehme, und zum anderen nicht rein bestätigend zu dem Schreiben vom 25. April 2014 sei. Die Klage von IMG gegen diesen Beschluss sei daher zulässig. Zweitens führte das Gericht in den Rn. 79 bis 169 und 174 dieses Urteils aus, dass keiner der sieben von IMG angeführten Klagegründe durchdringe und ihre Klage deshalb als unbegründet abzuweisen sei.</p>
<p class="C06Titre3"> Angefochtenes Urteil T‑381/15</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point33">33</a>      Mit Klageschrift, die am 14. Juli 2015 bei der Kanzlei des Gerichts einging und unter dem Aktenzeichen T‑381/15 in das Register eingetragen wurde, erhob IMG eine Klage, mit der sie die Nichtigerklärung des Beschlusses vom 8. Mai 2015 und den Ersatz des durch diesen verursachten Schadens begehrte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point34">34</a>      Mit Schriftsatz, der am 25. September 2015 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob die Kommission eine Einrede der Unzulässigkeit gegen diese Klage, mit der sie die Unanfechtbarkeit des Beschlusses vom 8. Mai 2015 insbesondere wegen des Fehlens verbindlicher Rechtsfolgen geltend machte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point35">35</a>      Mit Beschluss vom 29. Januar 2016 hat das Gericht die Entscheidung über diese Einrede und die Kostenentscheidung dem Endurteil vorbehalten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point36">36</a>      Am 2. Februar 2017 erließ das Gericht das angefochtene Urteil T‑381/15, mit dem es die Erledigung eines Teils der Klage von IMG feststellte, die Klage im Übrigen abwies und IMG die Kosten auferlegte. Hierbei stellte es zunächst in den Rn. 41 bis 53 und 75 dieses Urteils fest, dass der Beschluss vom 8. Mai 2015 verbindliche Rechtswirkungen gezeitigt habe, da er IMG die Möglichkeit genommen habe, mit der Durchführung neuer Haushaltsaufgaben nach dem Modus der indirekten Mittelverwaltung mit einer internationalen Organisation gemäß Art. 58 Abs. 1 der Verordnung Nr. 966/2012 betraut zu werden, und dass die Nichtigkeitsklage von IMG daher zulässig sei. Sodann führte das Gericht in den Rn. 76 bis 160 des Urteils aus, dass keiner der von IMG vorgebrachten acht Klagegründe durchdringe und ihre Nichtigkeitsklage deshalb als unbegründet abzuweisen sei. Schließlich wies das Gericht in den Rn. 170 bis 173 des Urteils den Schadensersatzantrag von IMG als unbegründet zurück.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point37">37</a>      Außerdem entschied das Gericht in den Rn. 174 bis 184 des angefochtenen Urteils T‑381/15 über einen Antrag der Kommission, der darauf gerichtet war, zwei von IMG beigebrachte Aktenstücke, nämlich den OLAF‑Bericht und die Stellungnahme des juristischen Dienstes, aus den Gerichtsakten zu entfernen. Es wies diesen Antrag in Bezug auf den OLAF‑Bericht zurück und gab ihm in Bezug auf die Stellungnahme des juristischen Dienstes statt.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Anträge der Parteien und Verfahren vor dem Gerichtshof </b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point38">38</a>      Mit ihrem Rechtsmittel in der Rechtssache C‑183/17 P beantragt IMG, </p>
<p class="C03Tiretlong">–        das angefochtene Urteil T‑29/15 aufzuheben, soweit darin ihre Nichtigkeitsklage als unbegründet abgewiesen worden ist;</p>
<p class="C03Tiretlong">–        den Rechtsstreit durch Nichtigerklärung des Beschlusses vom 16. Dezember 2014 endgültig zu entscheiden;</p>
<p class="C03Tiretlong">–        die Kommission zur Tragung der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und des Rechtsmittelverfahrens zu verurteilen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point39">39</a>      Mit ihrem Rechtsmittel in der Rechtssache C‑184/17 P beantragt IMG,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        das angefochtene Urteil T‑381/15 aufzuheben, soweit darin ihre Nichtigkeits- und Schadensersatzklage als unbegründet abgewiesen worden ist;</p>
<p class="C03Tiretlong">–        den Rechtsstreit endgültig zu entscheiden, indem der Beschluss vom 8. Mai 2015 für nichtig erklärt und die Union zum Ersatz der durch diesen Beschluss verursachten Schäden verurteilt wird;</p>
<p class="C03Tiretlong">–        die Kommission zur Tragung der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und des Rechtsmittelverfahrens zu verurteilen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point40">40</a>      Die Kommission beantragt, die beiden Rechtsmittel zurückzuweisen und IMG die Kosten aufzuerlegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point41">41</a>      Außerdem hat die Kommission zwei Anschlussrechtsmittel eingelegt, mit denen sie beantragt, </p>
<p class="C03Tiretlong">–        die angefochtenen Urteile in beiden Rechtssachen aufzuheben, soweit ihre Unzulässigkeitseinreden zurückgewiesen worden sind, und endgültig über die Rechtsstreite zu entscheiden, indem die Klagen als unzulässig abgewiesen und IMG die Kosten auferlegt werden;</p>
<p class="C03Tiretlong">–        darüber hinaus in der Rechtssache C‑184/17 P die Entfernung des OLAF‑Berichts aus den Gerichtsakten anzuordnen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point42">42</a>      IMG beantragt, diese beiden Anschlussrechtsmittel zurückzuweisen und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point43">43</a>      Mit Schreiben vom 8. Februar 2018 sind die Parteien aufgefordert worden, zu einer möglichen Verbindung der beiden Rechtssachen zu gemeinsamem mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung des Gerichtshofs Stellung zu nehmen. Die hat IMG auf dieses Schreiben hin erklärt, insoweit keine Einwände zu haben. Die Kommission hat sich innerhalb der gesetzten Frist nicht geäußert.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point44">44</a>      Mit Beschluss vom 20. März 2018 sind die Rechtssachen C‑183/17 P und C‑184/17 P nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts zu gemeinsamem mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung des Gerichtshofs verbunden worden.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Zu den Anschlussrechtsmitteln</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <i>Vorbringen der Parteien</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point45">45</a>      Die Kommission macht erstens geltend, das Gericht habe in den Rn. 57 bis 63 des angefochtenen Urteils T‑29/15 und in den Rn. 44 bis 48 des angefochtenen Urteils T‑381/15 zu Unrecht die Auffassung vertreten, dass die streitigen Beschlüsse verbindliche Rechtswirkungen gehabt hätten, weil sie IMG die Möglichkeit genommen hätten, neue Übertragungsvereinbarungen im Rahmen einer indirekten Mittelverwaltung von durch den Unionshaushalt finanzierten Projekten zu schließen. Zwar sei durch den Beschluss vom 16. Dezember 2014 der ursprüngliche Beschluss insoweit geändert worden, als die GIZ an die Stelle von IMG als zum Abschluss einer speziellen Übertragungsvereinbarung befugte Einrichtung gesetzt worden sei, und weise der Beschluss vom 8. Mai 2015 darauf hin, dass die Kommission keine neuen Übertragungsvereinbarungen mit IMG mehr schließen wolle. IMG habe jedoch auch keinerlei Anspruch darauf, dass solche Vereinbarungen mit ihr geschlossen würden, so dass die streitigen Beschlüsse ihr gegenüber allenfalls faktische Wirkungen gehabt hätten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point46">46</a>      Zweitens macht die Kommission geltend, ein Finanzierungsbeschluss wie der Beschluss vom 16. Dezember 2014 sei entgegen den Ausführungen des Gerichts in den Rn. 49 bis 52 des angefochtenen Urteils T‑29/15 ein rein interner Rechtsakt, der keine verbindliche Rechtswirkung gegenüber Dritten erzeuge.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point47">47</a>      Drittens schließlich bringt die Kommission vor, das Gericht habe fehlerhaft entschieden, dass der Beschluss vom 16. Dezember 2014 keinen rein bestätigenden Rechtsakt zu dem Schreiben vom 25. April 2014 darstelle, mit dem IMG über den Erlass der Sicherungsmaßnahmen vom 26. Februar 2014 informiert worden sei. Entgegen den Ausführungen des Gerichts in den Rn. 70 bis 73 des angefochtenen Urteils T‑29/15 habe dieser Beschluss nämlich keine neuen tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkte enthalten. Außerdem sei, auch wenn diese Sicherungsmaßnahmen und dieser Beschluss auf unterschiedliche Rechtsgrundlagen gestützt und im Rahmen unterschiedlicher Verfahren erlassen worden seien, wie das Gericht in den Rn. 74 bis 76 dieses Urteils ausgeführt habe, der Beschluss gleichwohl die direkte und zwangsläufige Folge der Sicherungsmaßnahmen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point48">48</a>      In ihrem Anschlussrechtsmittel in der Rechtssache C‑184/17 P macht die Kommission zudem geltend, dass IMG kein Zugang zum OLAF‑Bericht hätte gewährt werden dürfen. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point49">49</a>      Sie ersucht daher den Gerichtshof darum, diesen Bericht aus der Gerichtsakte zu entfernen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point50">50</a>      IMG hält diese verschiedenen Argumente für nicht stichhaltig.</p>
<p class="C05Titre2"> <i>Würdigung durch den Gerichtshof</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point51">51</a>      Was erstens das in Rn. 45 des vorliegenden Urteils angesprochene Vorbringen der Kommission betreffend das Fehlen verbindlicher Rechtswirkungen der streitigen Beschlüsse betrifft, so können nach ständiger Rechtsprechung alle Bestimmungen oder Maßnahmen der Organe,<b/>Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, gleich welcher Form, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen, die die Interessen einer natürlichen oder juristischen Person durch eine qualifizierte Änderung ihrer Rechtsstellung beeinträchtigen, Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein (Urteile vom 11. November 1981, IBM/Kommission, 60/81, EU:C:1981:264, Rn. 9, vom 12. September 2006, Reynolds Tobacco u. a./Kommission, C‑131/03 P, EU:C:2006:541, Rn. 54, und vom 13. Oktober 2011, Deutsche Post und Deutschland/Kommission, C‑463/10 P und C‑475/10 P, EU:C:2011:656, Rn. 37).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point52">52</a>      Im vorliegenden Fall hat das Gericht zunächst in den – von der Kommission nicht gerügten – Rn. 37 bis 42 des angefochtenen Urteils T‑29/15 festgestellt, dass der Beschluss vom 16. Dezember 2014 ein auf der Grundlage von Art. 84 der Verordnung Nr. 966/2012 von diesem Organ erlassener Finanzierungsbeschluss sei, der nicht nur die Rechtswirkung gehabt habe, sondern dessen Gegenstand selbst es gewesen sei, den ursprünglichen Beschluss dahin zu ändern, dass an Stelle von IMG die GIZ als mit der Durchführung der im Rahmen des Aktionsprogramms für Myanmar/Burma für das Jahr 2013 vorgesehenen Aktion der Entwicklung des Handels betraute Einrichtung benannt wurde.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point53">53</a>      Im Rahmen dieser Prüfung hat das Gericht in Rn. 38 dieses Urteils insbesondere festgestellt, dass es zwischen den Parteien unstreitig sei, dass IMG selbst im ursprünglichen Beschluss nur „vorbehaltlich des Abschlusses einer Übertragungsvereinbarung“ als zuständige Stelle benannt worden sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point54">54</a>      Unter Berücksichtigung dieser verschiedenen Gesichtspunkte hat das Gericht sodann in den Rn. 44 bis 48 und 57 bis 63 des Urteils festgestellt, dass der Beschluss vom 16. Dezember 2014 verbindliche Rechtswirkungen erzeugt habe, die die Interessen von IMG beeinträchtigen könnten, indem ihr die Möglichkeit zum Abschluss dieser Übertragungsvereinbarung genommen werde.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point55">55</a>      Hierzu ist festzustellen, dass Art. 84 Abs. 2 der Verordnung Nr. 966/2012, auf den sowohl der ursprüngliche Beschluss als auch der Beschluss vom 16. Dezember 2014 gestützt waren, vorsieht, dass einer Mittelbindung ein solcher Beschluss vorangeht. Diese Mittelbindung besteht, wie sich aus den Art. 85 Abs. 1 und Art. 86 Abs. 1 dieser Verordnung ergibt, darin, dass der Anweisungsbefugte zunächst die Mittelbindung der Ausgabe vornimmt und dann eine rechtliche Verpflichtung gegenüber dem Dritten eingeht, der die Zahlungen empfangen soll, die diese Ausgabe konkretisieren. Folglich macht die Kommission zu Recht geltend, dass zu dem Zeitpunkt, als der Beschluss vom 16. Dezember 2014 erlassen wurde, keine rechtliche Verpflichtung gegenüber IMG eingegangen worden war und dass IMG daher keinen Anspruch darauf hatte, dass eine Übertragungsvereinbarung mit ihr geschlossen wird.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point56">56</a>      Wie das Gericht in den Rn. 42 und 59 des angefochtenen Urteils T‑29/15 ausgeführt hat, werden allerdings in einem Mittelbindungsbeschluss gemäß Art. 84 Abs. 3 der Verordnung Nr. 966/2012 auch „die betraute Einrichtung oder Person …, die für [ihre] Wahl … angelegten Kriterien sowie die ihr übertragenen Aufgaben“ angegeben. So war im ursprünglichen Beschluss IMG als mit einer der im Rahmen des Aktionsprogramms für Myanmar/Burma für das Jahr 2013 vorgesehenen Aktionen betraute Einrichtung gewählt worden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point57">57</a>      Außerdem ergibt sich aus Art. 53d Abs. 2 der Verordnung Nr. 1605/2002, der zum Zeitpunkt des Erlasses des ursprünglichen Beschlusses anwendbar war, dass eine Übertragungsvereinbarung, wie sie in diesem Beschluss vorgesehen ist, die Modalitäten des Vollzugs der zuvor in einem gegebenen Fall auf eine internationale Organisation übertragenen Haushaltsaufgaben präzisieren muss. Dem Abschluss dieser Vereinbarung muss somit notwendigerweise der Erlass eines Finanzierungsbeschlusses vorausgehen, die dieser Organisation solche Aufgaben zuweist; er kann nur mit diesem Beschluss erfolgen. Daher hat der Verlust der Eigenschaft als mit den fraglichen Aufgaben betraute Einrichtung automatisch den Verlust der Möglichkeit zum Abschluss der entsprechenden Übertragungsvereinbarung zur Folge. Gegenstand und Rechtswirkung des Beschlusses vom 16. Dezember 2014 war aber gerade die Benennung der GIZ als betraute Einrichtung, um es der Kommission zu ermöglichen, eine Übertragungsvereinbarung mit dieser Einrichtung anstelle von IMG zu schließen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point58">58</a>      Unter diesen Umständen hat das Gericht in den Rn. 44, 45, 57, 59, 60 und 62 des angefochtenen Urteils T‑29/15 zu Recht festgestellt, dass IMG durch den Beschluss vom 16. Dezember 2014 sowohl die Rechtsstellung einer für die Übertragung einer Haushaltsaufgabe gewählten Einrichtung als auch jede tatsächliche Möglichkeit genommen wurde, die entsprechende Übertragungsvereinbarung zu schließen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point59">59</a>      Der Verlust einer solchen Rechtsstellung stellt aber offensichtlich eine verbindliche Rechtswirkung dar, die geeignet ist, die Interessen von IMG zu beeinträchtigen. Der Verlust jeder tatsächlichen Möglichkeit, die entsprechende Übertragungsvereinbarung zu schließen, ist, wie in Rn. 57 des vorliegenden Urteils ausgeführt, die automatische Folge dieses Verlusts einer Rechtsstellung und stellt insofern auch eine verbindliche Rechtswirkung dar.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point60">60</a>      Der von der Kommission zur Stützung ihres Anschlussrechtsmittels in der Rechtssache C‑183/17 P vorgebrachte Grund ist daher, soweit damit das Fehlen einer verbindlichen Rechtswirkung des Beschlusses vom 16. Dezember 2014 geltend gemacht wird, als unbegründet zurückzuweisen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point61">61</a>      Was den Beschluss vom 8. Mai 2015 betrifft, ist vorab festzustellen, dass dieser keine zukünftige Absicht zum Ausdruck bringt, wie die Kommission indes behauptet, sondern einen gefassten und gegenwärtigen Beschluss, keine Übertragungsvereinbarung mehr zu schließen, „bis hinsichtlich des Status von IMG als internationale Organisation absolute Gewissheit besteht“. Insoweit nimmt er dem Betroffenen jede tatsächliche Aussicht auf die Übertragung neuer Haushaltsvollzugsaufgaben und die Gewährung der entsprechenden Mittel im Rahmen einer indirekten Mittelverwaltung des Unionshaushalts, wie das Gericht in den Rn. 44 und 45 des angefochtenen Urteils T‑381/15 dargelegt hat.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point62">62</a>      Der Gerichtshof hat aber bereits entschieden, dass, wenn eine von der Kommission gegenüber einer bestimmten Person in Ausübung eigener Befugnisse erlassene Entscheidung zur Folge hat, dass diese Person allein durch den Erlass dieser Entscheidung alle echten Chancen auf die Gewährung einer Unionsfinanzierung einbüßt, diese Wirkung als verbindliche Rechtswirkung dieser Entscheidung anzusehen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. April 1997, Geotronics/Kommission, C‑395/95 P, EU:C:1997:210, Rn. 14 und 15).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point63">63</a>      Der von der Kommission zur Stützung ihres Anschlussrechtsmittels in der Rechtssache C‑184/17 P vorgebrachte Grund ist daher auch als unbegründet zurückzuweisen, soweit damit das Fehlen einer verbindlichen Rechtswirkung des Beschlusses vom 8. Mai 2015 geltend gemacht wird.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point64">64</a>      Was zweitens das in Rn. 46 des vorliegenden Urteils wiedergegebene Vorbringen der Kommission betrifft, wonach ein Finanzierungsbeschluss wie der in den vorliegenden Rechtssachen in Rede stehende als ein Rechtsakt ohne jede verbindliche Rechtswirkung gegenüber Dritten anzusehen sei, ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung Rechtsakte, die nur im verwaltungsinternen Bereich der sie erlassenden Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union Wirkungen entfalten sollen, grundsätzlich keine mit der Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 AEUV anfechtbare Rechtsakte sein können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 25. Februar 1988, Les Verts/Parlament, 190/84, EU:C:1988:94, Rn. 8, und vom 6. April 2000, Spanien/Kommission, C‑443/97, EU:C:2000:190, Rn. 28).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point65">65</a>      Im vorliegenden Fall genügt jedoch die Feststellung, dass dem Gericht, da es aus den in den Rn. 57 bis 59 des vorliegenden Urteils genannten Gründen zu Recht angenommen hat, dass der Beschluss vom 16. Dezember 2014 auf die Erzeugung verbindlicher Rechtswirkungen gegenüber IMG abgezielt hatte, nicht vorgeworfen werden kann, einen Rechtsfehler begangen zu haben, indem es in den Rn. 49 bis 52 des angefochtenen Urteils T‑29/15 das Vorbringen der Kommission, wonach dieser Beschluss nur in ihrem internen Bereich Rechtswirkungen entfalte, als unbegründet zurückgewiesen hat.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point66">66</a>      Drittens schließlich macht die Kommission, wie in Rn. 47 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, geltend, dass der Beschluss vom 16. Dezember 2014 als „rein bestätigender Rechtsakt zu einem früheren Rechtsakt“, nämlich dem Schreiben vom 25. April 2014, mit dem IMG vom Erlass der Sicherungsmaßnahmen vom 26. Februar 2014 informiert wurde, hätte eingestuft werden müssen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point67">67</a>      Ein Rechtsakt ist als rein bestätigend zu einem anderen Rechtsakt anzusehen, wenn er ihm gegenüber keinen neuen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt enthält (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. April 1970, Nebe/Kommission, 24/69, EU:C:1970:22, Rn. 8, und vom 3. April 2014, Kommission/Niederlande und ING Groep, C‑224/12 P, EU:C:2014:213, Rn. 69).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point68">68</a>      Im vorliegenden Fall hat das Gericht in den Rn. 70 bis 73 des angefochtenen Urteils T‑29/15 festgestellt, dass, während die Prüfung des Inhalts der Sicherungsmaßnahmen vom 26. Februar 2014 gezeigt habe, dass diese die Wirkung gehabt hätten, den Abschluss einer Übertragungsvereinbarung wie der von dem ursprünglichen Beschluss erfassten mit IMG vorübergehend auszusetzen, die Prüfung des Beschlusses vom 16. Dezember 2014 ergeben habe, dass sein Inhalt die verbindliche Rechtswirkung gehabt habe, IMG in spezifischer und endgültiger Weise die Möglichkeit zum Abschluss einer solchen Vereinbarung zu nehmen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point69">69</a>      Damit hat das Gericht die neuen rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte hervorgehoben, die den Beschluss vom 16. Dezember 2014 gegenüber den Sicherungsmaßnahmen vom 26. Februar 2014 kennzeichnen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point70">70</a>      Daher ist der von der Kommission zur Stützung ihres Anschlussrechtsmittels in der Rechtssache C‑183/17 P vorgebrachte Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen, soweit damit geltend gemacht wird, der Beschluss vom 16. Dezember 2014 sei ein „rein bestätigender Rechtsakt zu einem früheren Rechtsakt“.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point71">71</a>      Da keiner der von der Kommission zur Stützung ihrer Anschlussrechtsmittel vorgebrachten Rechtsmittelgründe durchzudringen vermag, sind diese Anschlussrechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point72">72</a>      Darüber hinaus braucht über den Antrag der Kommission, den OLAF‑Bericht aus der Akte zu entfernen, nicht entschieden zu werden, weil dieser gegenstandslos geworden ist, da die Kommission dem Gerichtshof in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat, IMG diesen Bericht von sich aus übermittelt zu haben.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Zu den Rechtsmitteln</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point73">73</a>      Zur Stützung ihrer Rechtsmittel, die auf die Aufhebung der angefochtenen Urteile abzielen, soweit darin ihre Nichtigkeitsklagen als unbegründet abgewiesen worden sind, bringt IMG vier Rechtsmittelgründe in der Rechtssache C‑183/17 P bzw. fünf Rechtsmittelgründe in der Rechtssache C‑184/17 P vor. Darüber hinaus erhebt sie mehrere Rügen in Bezug auf die Behandlung bestimmter Aktenstücke aus den Gerichtsakten durch das Gericht.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point74">74</a>      Außerdem bringt IMG zur Stützung ihres Rechtsmittels, das auf die Aufhebung des angefochtenen Urteils T‑381/15 abzielt, soweit darin ihre Schadensersatzklage als unbegründet abgewiesen worden ist, einen sechsten Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C‑184/17 P vor.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point75">75</a>      Zunächst ist der zweite Rechtsmittelgrund zu prüfen, den IMG in den verbundenen Rechtssachen jeweils vorgebracht hat.</p>
<p class="C05Titre2"> <i>Zum zweiten Rechtsmittelgrund in den Rechtssachen C</i>‑<i>183/17 P und C</i>‑<i>184/17 P</i>
</p>
<p class="C06Titre3"> Vorbringen der Verfahrensbeteiligten</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point76">76</a>      IMG macht erstens geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es festgestellt habe, dass der Kommission kein Rechtsfehler und kein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen sei, als sie die streitigen Beschlüsse gestützt auf Gründe erlassen habe, die sich auf Zweifel dieses Organs hinsichtlich ihres Status als internationale Organisation im Sinne der Finanzregelungen von 2002 und 2012 beziehen. Die von der Kommission zur Begründung ihrer Zweifel vorgelegten Beweise beträfen nämlich nur einen Teil der 16 Mitglieder von IMG und nicht den Status dieser Einrichtung als internationale Organisation im Sinne der genannten Regelungen als solchen. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point77">77</a>      Zweitens habe das Gericht den Sachverhalt verfälscht, indem es die von IMG vorgebrachten Argumente gegen die Begründetheit der streitigen Beschlüsse pauschal zurückgewiesen habe, statt die zahlreichen von der Betroffenen im Anhang zu ihren Schriftsätzen zur Bestätigung ihres Status als internationale Organisation vorgelegten Dokumente (Statuten, Gründungsprotokoll, Sitzabkommen mit dem Königreich Belgien, Erklärungen von Botschaftern etc.) zu prüfen. Diese Dokumente, die der Kommission zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Beschlüsse zur Verfügung gestanden hätten, belegten aber, dass IMG eine internationale Organisation sei, die im Jahr 1994 auf der Basis eines von 16 Staaten sowie dem Amt der Europäischen Gemeinschaften für humanitäre Hilfe (ECHO) im Anschluss an eine Sitzung der Arbeitsgruppe des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen geschlossenen zwischenstaatlichen Abkommens gegründet worden sei, um den am Wiederaufbau von Bosnien-Herzegowina beteiligten Staaten zu diesem Zweck eine spezielle Einrichtung zur Verfügung stellen zu können.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point78">78</a>      In ihrer Klagebeantwortung macht die Kommission geltend, dass die zu entscheidende Frage bei die Prüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Urteile nicht sei, ob IMG den Status einer internationalen Organisation im Sinne der Finanzregelungen von 2002 und 2012 besitze, sondern vielmehr, ob das Organ unter Berücksichtigung der Zweifel, die hieran bestanden hätten, beschließen durfte, IMG nicht mehr im Hinblick auf diesen Status mit Haushaltsvollzugsaufgaben zu betrauen. In diesem Zusammenhang beschränkten sich die in Rn. 76 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Argumente von IMG darauf, die Tatsachen- und Beweiswürdigung des Gerichts zu rügen, und seien insofern als unzulässig zurückzuweisen, weil sie nicht der Kontrolle des Gerichtshofs im Rechtsmittelverfahren unterlägen. Außerdem sei das Argument, die von der Kommission zur Begründung der in den streitigen Beschlüssen zum Ausdruck gebrachten Zweifel vorgelegten Beweise beträfen nur einen Teil der 16 Mitglieder der IMG, in der ersten Instanz nicht vorgebracht worden und müsse daher aufgrund seiner Neuheit als in der Rechtsmittelinstanz unzulässig zurückgewiesen werden. Jedenfalls habe das Gericht mit seiner Feststellung, dass die Zweifel in Bezug auf den Status von IMG als internationale Organisation die streitigen Beschlüsse rechtfertigten, weder einen Rechtsfehler begangen noch die von IMG vorgelegten Beweisstücke verfälscht. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point79">79</a>      In ihrer Erwiderung bringt IMG ergänzend vor, dass ihr Vorbringen die rechtliche Stichhaltigkeit der vom Gericht in den angefochtenen Urteilen in Bezug auf die Rechtmäßigkeit der streitigen Beschlüsse im Hinblick auf die Finanzregelungen von 2002 und 2012 ausgeführte Argumentation in Frage stelle und daher zulässig sei.</p>
<p class="C06Titre3"> Würdigung durch den Gerichtshof</p>
<p class="C07Titre4">–       Zur Zulässigkeit</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point80">80</a>      Da die Kommission die Zulässigkeit einiger der von IMG zur Stützung ihres jeweils zweiten Rechtsmittelgrundes vorgebrachten Rügen in Frage stellt, ist vorab daran zu erinnern, dass es zulässig ist, dass ein Rechtsmittelführer vor dem Gerichtshof die Auslegung und Anwendung des Unionsrechts durch das Gericht im ersten Rechtszug beanstandet (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Juli 2000, Salzgitter/Kommission, C‑210/98 P, EU:C:2000:397, Rn. 43, und vom 12. September 2006, Reynolds Tobacco u. a./Kommission, C‑131/03 P, EU:C:2006:541, Rn. 51) und in diesem Rahmen Rechtsmittelgründe geltend macht, mit denen die Begründetheit der von diesem Gericht im angefochtenen Urteil vorgenommenen Beurteilungen aus rechtlichen Erwägungen gerügt wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. Juni 2011, Diputación Foral de Vizcaya u. a./Kommission, C‑465/09 P bis C‑470/09 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2011:372, Rn. 146, und vom 4. September 2014, Spanien/Kommission, C‑197/13 P, EU:C:2014:2157, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point81">81</a>      Im vorliegenden Fall macht IMG aber mit ihren in Rn. 76 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Rügen einen Fehler geltend, den das Gericht bei der Anwendung der Finanzregelungen von 2002 und 2012 in den Rn. 102 bis 106 und 113 des angefochtenen Urteils T‑29/15 sowie in den Rn. 98 bis 103, 108 und 109 des angefochtenen Urteils T‑381/15 in Beantwortung von Klagegründen, mit denen IMG die Rechtmäßigkeit der streitigen Beschlüsse im Hinblick auf diese Regelungen beanstandet hat, begangen haben soll.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point82">82</a>      Außerdem ist festzustellen, dass mit dem Argument, die von der Kommission zur Begründung der in den streitigen Beschlüssen zum Ausdruck gebrachten Zweifel vorgelegten Beweise beträfen nur einen Teil der 16 Mitglieder von IMG, aus rechtlichen Erwägungen die Beurteilung des Gerichts zum einen in Rn. 103 des angefochtenen Urteils T‑29/15, die auf Rn. 89 dieses Urteils verweist, die wiederum auf Rn. 85 dieses Urteils verweist, und zum anderen in Rn. 98 des angefochtenen Urteils T‑381/15, die auf dessen Rn. 85 verweist, gerügt werden soll, wonach diese Beschlüsse unter Berücksichtigung des Zusammenhangs, in dem sie ergangen sind, als u. a. durch diese Beweise gerechtfertigt anzusehen seien. Eine solche Rüge kann im Licht der in Rn. 80 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung im Rechtsmittelverfahren nicht aus dem Grund als unzulässig zurückgewiesen werden, dass sie nicht im ersten Rechtszug erhoben worden sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point83">83</a>      Die von IMG zur Stützung ihres jeweils zweiten Rechtsmittelgrundes in den verbundenen Rechtssachen vorgebrachten Rügen sind daher zulässig.</p>
<p class="C07Titre4">–       Zur Begründetheit</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point84">84</a>      Zur Begründetheit ist festzustellen, dass der zweite Rechtsmittelgrund der Rechtsmittel auf die Rn. 102 bis 106 und 113 des angefochtenen Urteils T‑29/15 bzw. auf die Rn. 98 bis 103, 108 und 109 des angefochtenen Urteils T‑381/15 abzielt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point85">85</a>      Insoweit hat IMG vor dem Gericht zum einen die Rechtmäßigkeit des Beschlusses vom 16. Dezember 2014 im Hinblick auf die Finanzregelungen von 2002 und 2012 sowie zum anderen die Rechtmäßigkeit des Beschlusses vom 8. Mai 2015 im Hinblick auf die Finanzregelung von 2012 in Zweifel gezogen. In diesem Rahmen hat sie, wie das Gericht in den Rn. 102 und 104 des angefochtenen Urteils T‑29/15 sowie in Rn. 96 des angefochtenen Urteils T‑381/15 festgestellt hat, u. a. geltend gemacht, sie sei eine durch ein zwischenstaatliches Abkommen geschaffene internationale Organisation im Sinne dieser Regelungen, wie aus den verschiedenen vor der Kommission wie auch dem Gericht vorgelegten Beweisstücken hervorgehe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point86">86</a>      Um diese Argumente zu widerlegen hat das Gericht zunächst, in den Rn. 103 und 105 des angefochtenen Urteils T‑29/15 sowie in Rn. 98 des angefochtenen Urteils T‑381/15, ausgeführt, dass die Kommission in den streitigen Beschlüssen Zweifel am Status von IMG als internationale Organisation geäußert habe, indem sie sich auf die im Schreiben vom 25. April 2014 – wie es in Rn. 24 des vorliegenden Urteils wiedergegeben worden ist – vorgebrachten Gesichtspunkte gestützt habe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point87">87</a>      Sodann hat das Gericht in den Rn. 104 bis 105 des angefochtenen Urteils T‑29/15 und in Rn. 102 des angefochtenen Urteils T‑381/15 festgestellt, dass die von IMG vorgebrachten Argumente und Beweise nicht geeignet seien, eine fehlende Begründetheit der von der Kommission in den streitigen Beschlüssen auf der Grundlage der fraglichen Gesichtspunkte geäußerten Zweifel darzutun.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point88">88</a>      Insoweit ist festzustellen, dass nach den Art. 53 und 53d Abs. 1 der Verordnung Nr. 1605/2002 sowie nach Art. 58 Abs. 1 der Verordnung Nr. 966/2012, durch die die Verordnung Nr. 1605/2002 aufgehoben und ersetzt worden ist, die Kommission den Unionshaushalt u. a. ausführen kann, indem sie Haushaltsvollzugsaufgaben auf internationale Organisationen überträgt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point89">89</a>      Aus diesen Vorschriften ergibt sich, dass die Kommission, wenn sie den Erlass eines Beschlusses beabsichtigt, durch den Haushaltsvollzugsaufgaben unter diesem Gesichtspunkt auf eine bestimmte Einrichtung übertragen werden, verpflichtet ist, sich zu vergewissern, dass diese Einrichtung die Eigenschaft einer internationalen Organisation besitzt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point90">90</a>      Erlässt die Kommission nach dem Erlass eines Beschlusses über die Übertragung von Haushaltsvollzugsaufgaben auf eine bestimmte Einrichtung in deren Eigenschaft als internationale Organisation Beschlüsse wie die streitigen Beschlüsse auf der Grundlage von Gesichtspunkten, die ihrer Ansicht nach geeignet sind, diese Eigenschaft in Frage zu stellen, müssen diese Beschlüsse zudem in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht gerechtfertigt sein. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point91">91</a>      Der Begriff „internationale Organisation“ im Sinne der Art. 53 und 53d der Verordnung Nr. 1605/2002 und des Art. 58 der Verordnung Nr. 966/2012 wurde in Art. 43 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2342/2002 und dann in Art. 43 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1268/2012, durch die die Verordnung Nr. 2342/2002 aufgehoben und ersetzt worden ist, gleichlautend definiert. Nach diesen Vorschriften umfasst er u. a. „internationale öffentliche Einrichtungen, die durch zwischenstaatliche Abkommen geschaffen werden, sowie von diesen eingerichtete spezialisierte Agenturen“.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point92">92</a>      Im vorliegenden Fall hat das Gericht die Rechtmäßigkeit der streitigen Beschlüsse nicht im Hinblick auf diese Definition geprüft, sondern nur festgestellt, dass die von IMG vorgebrachten Argumente und Beweismittel die Zweifel der Kommission am Status von IMG als internationale Organisation nicht in Frage stellten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point93">93</a>      Diese Feststellung ist aber rechtsfehlerhaft, da keiner der vom Gericht vorgebrachten, in Rn. 86 des vorliegenden Urteils genannten Gesichtspunkte zur Rechtfertigung der Zweifel der Kommission rechtlich geeignet ist, diese zu begründen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point94">94</a>      Was den ersten dieser Gesichtspunkte betrifft, der die Frage betrifft, ob mehrere von IMG als Mitglied dargestellte Staaten tatsächlich Mitglieder der Organisation waren, geht nämlich aus den Feststellungen des Gerichts selbst hervor, dass die insoweit gehegten Zweifel der Kommission nur „bestimmte“ Mitglieder von IMG betrafen, und zwar genauer fünf von insgesamt 16. Solche Zweifel, selbst wenn man unterstellt, dass sie begründet sind, führen aber völkerrechtlich nicht dazu, dass die Einrichtung, deren Mitglieder diese Staaten nicht – oder nicht mehr – sein sollen, ihre Eigenschaft als „internationale Organisation“ verliert, erst recht nicht, wenn die betreffenden Staaten, wie hier, nur eine kleine Minderheit der Mitglieder der fraglichen Einrichtung darstellen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point95">95</a>      Was den zweiten Gesichtspunkt angeht, der sich auf Zweifel an den Vollmachten von Personen bezieht, die bestimmte Staaten bei der Unterzeichnung der Gründungsakte von IMG vertreten haben, ist ebenfalls festzustellen, dass dieser möglicherweise die Gültigkeit der Unterschriftshandlungen speziell dieser Staaten bei der Gründung von IMG in Frage stellen könnte, aber nicht die Gültigkeit der Gründung dieser Einrichtung selbst, da die geltend gemachten etwaigen Vertretungsmängel nur eine begrenzte Zahl der teilnehmenden Staaten betrafen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point96">96</a>      Zum dritten Gesichtspunkt, wonach der UN-Generalsekretär gegenüber dem OLAF angegeben habe, dass IMG keine Sonderorganisation der UNO sei, genügt die Feststellung, dass dieser rechtlich unerheblich ist. Wie nämlich Rn. 91 des vorliegenden Urteils zu entnehmen ist, setzen die Finanzregelungen von 2002 und 2012 keineswegs voraus, dass eine Einrichtung eine Sonderorganisation der UNO sein muss, um als „internationale Organisation“ qualifiziert werden zu können. Außerdem war es vorliegend unstreitig, dass IMG nie vorgegeben hat, eine solche Organisation zu sein, sondern die Eigenschaft einer „internationale[n] öffentliche[n Einrichtung], die durch zwischenstaatliche Abkommen geschaffen [wurde]“, für sich beanspruchte, wie aus den in Rn. 85 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Feststellungen des Gerichts klar hervorgeht.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point97">97</a>      Nach alledem ist der von IMG zur Stützung ihrer Rechtsmittel in den Rechtssachen C‑183/17 P und C‑184/17 P jeweils vorgebrachte zweite Rechtsmittelgrund, mit dem geltend gemacht wird, das Gericht habe in den angefochtenen Urteilen fehlerhaft festgestellt, dass der Kommission kein Rechtsfehler und kein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen sei, als sie den Erlass der streitigen Beschlüsse mit ihren Zweifeln hinsichtlich des Status von IMG als „internationale Organisation“ im Sinne der Finanzregelungen von 2002 und 2012 gerechtfertigt habe, begründet. Den Rechtsmittelgründen ist daher stattzugeben, ohne dass geprüft zu werden braucht, ob diese Entscheidung des Gerichts darüber hinaus auch eine Sachverhaltsverfälschung enthält.</p>
<p class="C06Titre3"> Zu den Folgerungen, die daraus zu ziehen sind, dass dem jeweils zweiten Rechtsmittelgrund stattgegeben wird</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point98">98</a>      Was die Folgerungen betrifft, die aus dem in der vorstehenden Randnummer festgestellten Rechtsfehler zu ziehen sind, ist erstens darauf hinzuweisen, dass die Zurückweisung der Klagegründe von IMG in Bezug auf den Rechtsfehler, den die Kommission dadurch begangen hat, dass sie die streitigen Beschlüsse mit ihren Zweifeln am Status von IMG als internationale Organisation rechtfertigte, den tragenden Grund für den Tenor der angefochtenen Urteile darstellt, soweit mit ihnen die Nichtigkeitsklagen dieser Einrichtung abgewiesen worden sind. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point99">99</a>      Die angefochtenen Urteile sind daher aufzuheben, soweit mit ihnen die Nichtigkeitsklagen von IMG als unbegründet abgewiesen wurden, ohne dass die anderen von IMG vorgebrachten Rechtsmittelgründe und Rügen geprüft zu werden brauchen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point100">100</a>    Zweitens hatte, wie in Rn. 33 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, IMG in der Rechtssache T‑381/15 auch einen Antrag auf Ersatz der Schäden gestellt, die ihr durch den Beschluss vom 8. Mai 2015 entstanden sein sollen, indem die Kommission darin erklärte, dass sie keine neuen Übertragungsvereinbarungen im Rahmen einer indirekten Mittelverwaltung des Unionshaushalts mehr mit IMG schließen werde.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point101">101</a>    Das Gericht hat aber folgerichtig auch diesen Schadensersatzantrag auf der Grundlage der in Rn. 97 des vorliegenden Urteils dargestellten rechtsfehlerhaften Beurteilung zurückgewiesen, wie sich aus den Rn. 170 und 172 des angefochtenen Urteils T‑381/15 ergibt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point102">102</a>    Daher ist das angefochtene Urteil T‑381/15 auch aufzuheben, soweit darin dieser Schadensersatzantrag als unbegründet zurückgewiesen wurde.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Zu den Nichtigkeitsklagen und zum Schadensersatzantrag</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point103">103</a>    Ist der Rechtsstreit teilweise zur Entscheidung reif, kann der Gerichtshof nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union selbst endgültig über diesen Teil des Rechtsstreits entscheiden und die Rechtssache im Übrigen an das Gericht zurückverweisen. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point104">104</a>    Im vorliegenden Fall ist es angebracht, dass der Gerichtshof endgültig über die beiden Nichtigkeitsklagen entscheidet, die zur Entscheidung reif sind. Wie sich nämlich aus den Rn. 92 bis 96 des vorliegenden Urteils ergibt, sind die streitigen Beschlüsse rechtswidrig, da die von der Kommission zu ihrer Begründung angeführten Gesichtspunkte nicht geeignet sind, die Eigenschaft von IMG als internationale Organisation im Sinne der Finanzregelungen von 2002 und 2012 in Frage zu stellen. Diese Beschlüsse sind daher insgesamt für nichtig zu erklären.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point105">105</a>    Was den Schadensersatzantrag in der Rechtssache T‑381/15 betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass – wie in Rn. 101 des vorliegenden Urteils ausgeführt – das Gericht ihn ausschließlich auf der Grundlage seiner Beurteilung zurückgewiesen hat, wonach der Kommission weder ein Rechtsfehler noch ein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen sei, indem sie den Erlass des Beschlusses vom 8. Mai 2015 mit ihren Zweifeln am Status von IMG als internationale Organisation gerechtfertigt habe. Zwar geht aus den vorstehenden Randnummern hervor, dass diese Beurteilung mit einem Rechtsfehler behaftet ist; es ist jedoch weiter erforderlich, die übrigen Argumente der Parteien in Bezug auf diesen Schadensersatzantrag zu prüfen, insbesondere diejenigen, die sich auf das Bestehen und den Umfang der von IMG behaupteten Schäden beziehen, über die vor dem Gerichtshof im Übrigen nicht verhandelt worden ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point106">106</a>    Nach alledem ist festzustellen, dass dieser Teil des Rechtsstreits nicht zur Entscheidung reif und die Rechtssache daher insoweit an das Gericht zurückzuverweisen ist.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Kosten</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point107">107</a>    Nach Art. 184 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel begründet ist und er den Rechtsstreit selbst endgültig entscheidet.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point108">108</a>    Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point109">109</a>    Da im vorliegenden Fall die Kommission in den Rechtssachen C‑183/17 P, C‑184/17 P und T‑29/15 unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag von IMG die Kosten in diesen drei Rechtssachen aufzuerlegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point110">110</a>    In Bezug auf die Rechtssache T‑381/15 dagegen ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission zwar im Rahmen der Nichtigkeitsklage von IMG unterlegen ist, die Rechtssache in Bezug auf den mit dieser Nichtigkeitsklage verbundenen Schadensersatzantrag aber noch nicht entscheidungsreif ist und an das Gericht zurückverwiesen werden muss.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point111">111</a>    Folglich ist die Kostenentscheidung in dieser Rechtssache nach Art. 137 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, vorzubehalten.</p>
<p class="C41DispositifIntroduction">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:</p>
<p class="C08Dispositif">1.      <b>Die Urteile des Gerichts der Europäischen Union vom 2. Februar 2017, International Management Group/Kommission (T</b>‑<b>29/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:56), und vom 2. Februar 2017, International Management Group/Kommission (T</b>‑<b>381/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:57), werden aufgehoben.</b>
</p>
<p class="C08Dispositif">2.      <b>Der Durchführungsbeschluss C(2014) 9787 final der Kommission vom 16. Dezember 2014 zur Änderung des Durchführungsbeschlusses C(2013) 7682 über das Jahresaktionsprogramm 2013 für Myanmar/Burma zulasten des Gesamthaushaltsplans der Europäischen Union wird für nichtig erklärt.</b>
</p>
<p class="C08Dispositif">3.      <b>Der Beschluss der Europäischen Kommission, keine neuen Übertragungsvereinbarungen in der indirekten Mittelverwaltung mehr mit der International Management Group zu schließen, der in ihrem Schreiben vom 8. Mai 2015 enthalten ist, wird für nichtig erklärt.</b>
</p>
<p class="C08Dispositif">4.      <b>Die Rechtssache T</b>‑<b>381/15 wird zur Entscheidung über den Antrag der International Management Group auf Ersatz der Schäden, die dieser Einrichtung durch den in Nr. 3 des Tenors genannten Beschluss der Kommission entstanden sein sollen, an das Gericht der Europäischen Union zurückverwiesen.</b>
</p>
<p class="C08Dispositif">5.      <b>Die Anschlussrechtsmittel werden zurückgewiesen.</b>
</p>
<p class="C08Dispositif">6.      <b>Die Kommission trägt die Kosten in den Rechtssachen C</b>‑<b>183/17 P, C</b>‑<b>184/17 P und T</b>‑<b>29/15.</b>
</p>
<p class="C08Dispositif">7.      <b>In der Rechtssache T</b>‑<b>381/15 bleibt die Kostenentscheidung vorbehalten.</b>
</p>
<p class="C77Signatures">Unterschriften</p>
<hr/>
<p class="C42FootnoteLangue">
<a href="#Footref*" name="Footnote*">*</a>      Verfahrenssprachen: Englisch und Französisch.</p>
|
175,011 | eugh-2019-01-31-c-70417 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-704/17 | 2019-01-31T00:00:00 | 2019-01-31T19:20:41 | 2019-01-31T19:20:41 | Schlussantrag des Generalanwalts | ECLI:EU:C:2019:85 | <p>Vorläufige Fassung</p>
<p class="C36Centre">
<br/>
</p>
<p class="C36Centre">SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN</p>
<p class="C36Centre">ELEANOR SHARPSTON</p>
<p class="C36Centre">vom 31. Januar 2019(<a href="#Footnote1" name="Footref1">1</a>)</p>
<p class="C38Centregrasgrandespacement">
<b>Rechtssache C</b>‑<b>704/17</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>D. H.</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Weiterer Beteiligter:</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Ministerstvo vnitra </b>(Innenministerium, Tschechische Republik)</p>
<p class="C39Centreespacement">(Vorabentscheidungsersuchen des Nejvyšší správní soud [Oberstes Verwaltungsgericht, Tschechische Republik])</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 6 und 47 – Gemeinsame Asylpolitik und subsidiärer Schutz – Richtlinie 2013/33/EU – Art. 9 – Garantien für Antragsteller auf internationalen Schutz, die in Haft genommen wurden – Gerichtliche Überprüfung von Haftanordnungen – Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf – Nationale Bestimmung, dass die gerichtliche Überprüfung eingestellt werden muss, wenn der Antragsteller auf internationalen Schutz freigelassen wird“</p>
<br/>
<br/>
<br/>
<br/>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point1">1.</a>        Mit dieser Vorlage auf Vorabentscheidung ersucht der Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht, Tschechische Republik) den Gerichtshof um Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie 2013/33/EU(<a href="#Footnote2" name="Footref2">2</a>) über die Garantien für Antragsteller auf internationalen Schutz, die aufgrund einer Anordnung der zuständigen Behörden in Haft genommen wurden. Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob diese Richtlinie im Licht der Charta der Grundrechte der Europäischen Union(<a href="#Footnote3" name="Footref3">3</a>), insbesondere der darin verankerten Rechte auf Freiheit und Sicherheit sowie auf einen wirksamen Rechtsbehelf, nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, nach denen Gerichtsverfahren, mit denen die Inhaftnahme angefochten wird, eingestellt werden müssen, wenn die betreffende Person aus der Haft freigelassen wird.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point2">2.</a>        Der Gerichtshof wird die Frage des vorlegenden Gerichts u. a. anhand des Grundrechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf in Verbindung mit den allgemeinen unionsrechtlichen Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität im Kontext der nationalen Verfahrensautonomie prüfen.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK)</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point3">3.</a>        Nach Art. 5 Abs. 1 EMRK(<a href="#Footnote4" name="Footref4">4</a>) hat „[j]ede Person … das Recht auf Freiheit und Sicherheit“. Art. 5 Abs. 4 bestimmt, dass „[j]ede Person, die festgenommen oder der die Freiheit entzogen ist, … das Recht [hat] zu beantragen, dass ein Gericht innerhalb kurzer Frist über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung entscheidet und ihre Entlassung anordnet, wenn die Freiheitsentziehung nicht rechtmäßig ist“. Nach Art. 5 Abs. 5 hat „[j]ede Person, die unter Verletzung dieses Artikels von Festnahme oder Freiheitsentziehung betroffen ist, … Anspruch auf Schadensersatz“.</p>
<p class="C04Titre1"> Unionsrecht</p>
<p class="C05Titre2"> Charta</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point4">4.</a>        Nach Art. 6 der Charta hat „[j]eder Mensch das Recht auf Freiheit und Sicherheit“(<a href="#Footnote5" name="Footref5">5</a>). Die übrigen Bestimmungen des Art. 5 EMRK werden nicht besonders wiedergegeben.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point5">5.</a>        Nach Art. 47 Abs. 1 hat jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen(<a href="#Footnote6" name="Footref6">6</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point6">6.</a>        Nach Art. 51 Abs. 1 der Charta gelten deren Bestimmungen für die Mitgliedstaaten „ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point7">7.</a>        Art. 52 Abs. 1 lautet: „Jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten muss gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.“ Art. 52 Abs. 3 bestimmt: „Soweit diese Charta Rechte enthält, die den durch die [EMRK] garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird. Diese Bestimmung steht dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt.“ Art. 52 Abs. 7 bestimmt, dass die Gerichte der Union und der Mitgliedstaaten „[d]ie Erläuterungen, die als Anleitung für die Auslegung [der] Charta verfasst wurden, … von den Gerichten der Union und der Mitgliedstaaten gebührend zu berücksichtigen [sind]“(<a href="#Footnote7" name="Footref7">7</a>). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point8">8.</a>        In den Erläuterungen wird klargestellt, dass „[d]ie Rechte nach Artikel 6 … den Rechten [entsprechen], die durch Artikel 5 EMRK garantiert sind, denen sie nach Artikel 52 Absatz 3 der Charta an Bedeutung und Tragweite gleichkommen“. Demgemäß dürfen „[d]ie Einschränkungen, die legitim an diesen Rechten vorgenommen werden können, … daher nicht über die Einschränkungen hinausgehen, die im Rahmen … [der] EMRK zulässig sind“. Die Erläuterungen machen deutlich, dass der in Art. 47 der Charta garantierte Schutz umfassender ist als der in Art. 13 der EMRK vorgesehene, da er das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht garantiert.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Richtlinie 2013/32</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point9">9.</a>        Art. 26 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes(<a href="#Footnote8" name="Footref8">8</a>) lautet: „Wird ein Antragsteller in Gewahrsam genommen, so stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass eine rasche gerichtliche Überprüfung des Gewahrsams gemäß der Richtlinie 2013/33/EU möglich ist.“ </p>
<p class="C05Titre2"> <b>Richtlinie 2013/33</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point10">10.</a>      In den Erwägungsgründen der Richtlinie 2013/33 wird Folgendes ausgeführt.</p>
<p class="C03Tiretlong">–        Der Europäische Rat nahm das Stockholmer Programm an(<a href="#Footnote9" name="Footref9">9</a>), in dem erneut die Verpflichtung zu dem Ziel bekräftigt wird, auf der Grundlage hoher Schutzstandards sowie fairer und wirksamer Verfahren einen gemeinsamen Raum des Schutzes und der Solidarität zu schaffen, der auf einem gemeinsamen Asylverfahren und einem einheitlichen Status für Personen, denen internationaler Schutz gewährt wird, beruht (5. Erwägungsgrund).</p>
<p class="C03Tiretlong">–        In Bezug auf die Behandlung von Personen, die unter diese Richtlinie fallen, sind die Mitgliedstaaten gehalten, ihren Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Instrumenten nachzukommen, denen sie beigetreten sind (10. Erwägungsgrund).</p>
<p class="C03Tiretlong">–        Solche Personen dürfen nur in sehr klar definierten außergewöhnlichen Umständen, die in der Richtlinie 2013/33 festgelegt sind, in Haft genommen werden unter Beachtung der Grundsätze der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit in Bezug auf die Art und Weise und den Zweck der Inhaftnahme. Befindet sich ein Antragsteller auf internationalen Schutz in Haft, sollte er wirksamen Zugang zu den erforderlichen Verfahrensgarantien, beispielsweise zur Einlegung eines Rechtsbehelfs bei einer nationalen Justizbehörde haben (15. Erwägungsgrund).</p>
<p class="C03Tiretlong">–        Die Richtlinie 2013/33 steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden. Sie zielt vor allem darauf ab, u. a. die Anwendung der Art. 6 und 47 der Charta zu fördern, und muss entsprechend umgesetzt werden (35. Erwägungsgrund).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point11">11.</a>      Art. 2 enthält u. a. folgende Definitionen: Ein „Antrag auf internationalen Schutz“ bezeichnet „das Ersuchen eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen um Schutz durch einen Mitgliedstaat, bei dem davon ausgegangen werden kann, dass er die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Gewährung des subsidiären Schutzstatus anstrebt, und der nicht ausdrücklich um eine andere, gesondert zu beantragende Form des Schutzes außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2011/95/EU ersucht“(<a href="#Footnote10" name="Footref10">10</a>). „Antragsteller“ bezeichnet „einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, über den noch nicht endgültig entschieden wurde“(<a href="#Footnote11" name="Footref11">11</a>). „Haft“ bezeichnet „die räumliche Beschränkung eines Antragstellers durch einen Mitgliedstaat auf einen bestimmten Ort, an dem der Antragsteller keine Bewegungsfreiheit hat“(<a href="#Footnote12" name="Footref12">12</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point12">12.</a>      Art. 3 bestimmt, dass die Richtlinie 2013/33 „für alle Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen [gilt], die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze, in den Hoheitsgewässern oder in den Transitzonen internationalen Schutz beantragen, solange sie als Antragsteller im Hoheitsgebiet verbleiben dürfen …“. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point13">13.</a>      Nach Art. 4 können die Mitgliedstaaten günstigere Bestimmungen für die Aufnahme von Antragstellern erlassen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point14">14.</a>      Art. 8 regelt die materiellen Bedingungen für die Inhaftnahme von Antragstellern auf internationalen Schutz. Antragsteller dürfen nur aus den in Art. 8 Abs. 3 angegebenen Gründen in Haft genommen werden. Nach Art. 8 Abs. 3 Buchst. d können die Mitgliedstaaten insbesondere eine Person, die um internationalen Schutz ersucht, im Rahmen eines Rückführungsverfahrens gemäß der Richtlinie 2008/115/EG(<a href="#Footnote13" name="Footref13">13</a>) in Haft nehmen „zur Vorbereitung seiner Rückführung und/oder Fortsetzung des Abschiebungsverfahrens“, wenn der betreffende Mitgliedstaat „auf der Grundlage objektiver Kriterien, einschließlich der Tatsache, dass der Antragsteller bereits Gelegenheit zum Zugang zum Asylverfahren hatte, belegen kann, dass berechtigte Gründe für die Annahme bestehen, dass er den Antrag auf internationalen Schutz nur beantragt, um die Vollstreckung der Rückkehrentscheidung zu verzögern oder zu vereiteln“. Die Haftgründe werden im einzelstaatlichen Recht geregelt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point15">15.</a>      Art 9 („Garantien für in Haft befindliche Antragsteller“) lautet: </p>
<p class="C02AlineaAltA">„1.      Ein Antragsteller wird für den kürzest möglichen Zeitraum und nur so lange in Haft genommen, wie die in Artikel 8 Absatz 3 genannten Gründe gegeben sind.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">2.      Die Haft der Antragsteller wird von einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde schriftlich angeordnet. In der Anordnung werden die sachlichen und rechtlichen Gründe für die Haft angegeben.</p>
<p class="C02AlineaAltA">3.      Wird die Haft von einer Verwaltungsbehörde angeordnet, so sorgen die Mitgliedstaaten von Amts wegen und/oder auf Antrag des Antragstellers für eine zügige gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme. Findet eine derartige Überprüfung von Amts wegen statt, so wird so schnell wie möglich nach Beginn der Haft entschieden. Findet die Überprüfung auf Antrag des Antragstellers statt, so wird über sie so schnell wie möglich nach Einleitung des diesbezüglichen Verfahrens entschieden. Zu diesem Zweck legen die Mitgliedstaaten in ihrem einzelstaatlichen Recht die Frist fest, in der die gerichtliche Überprüfung von Amts wegen und/oder die gerichtliche Überprüfung auf Antrag des Antragstellers durchzuführen ist.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Falls sich die Haft infolge der gerichtlichen Überprüfung als unrechtmäßig herausstellt, wird der betreffende Antragsteller unverzüglich freigelassen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">4.      In Haft befindliche Antragsteller werden unverzüglich schriftlich und in einer Sprache, die sie verstehen, oder von der vernünftigerweise angenommen werden darf, dass sie sie verstehen, über die Gründe für die Haft und die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Verfahren für die Anfechtung der Haftanordnung sowie über die Möglichkeit informiert, unentgeltlich Rechtsberatung und ‑vertretung in Anspruch zu nehmen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">5.      Die Haft wird in angemessenen Zeitabständen von Amts wegen und/oder auf Antrag des betroffenen Antragstellers von einer Justizbehörde überprüft, insbesondere wenn sie von längerer Dauer ist oder sich maßgebliche Umstände ergeben oder neue Informationen vorliegen, die sich auf die Rechtmäßigkeit der Haft auswirken könnten. </p>
<p class="C02AlineaAltA">6.      Im Falle einer gerichtlichen Überprüfung der Haftanordnung nach Absatz 3 sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass der Antragsteller unentgeltliche Rechtsberatung und ‑vertretung in Anspruch nehmen kann. Die Rechtsberatung und ‑vertretung umfasst zumindest die Vorbereitung der erforderlichen Verfahrensdokumente und die Teilnahme an der Verhandlung im Namen des Antragstellers vor den Justizbehörden.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Anwendbares nationales Recht</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point16">16.</a>      Das vorlegende Gericht teilt mit, dass die Vorschriften über die gerichtliche Überprüfung der Inhaftnahme in § 46a Abs. 6 bis 9 des Zákon č. 325/1999 Sb., o azylu (Gesetz Nr. 325/1999 Slg., im Folgenden: Asylgesetz Nr. 325/1999) Antragstellern die Möglichkeit gab, eine Haftanordnung innerhalb von 30 Tagen nach Zustellung der Anordnung anzufechten. Der Krajský soud (Regionalgericht, Tschechische Republik) – das erstinstanzliche Gericht – konnte über die Klage innerhalb von sieben Arbeitstagen ab Zustellung der Verwaltungsakte an das Gericht entscheiden. Gegen das ergehende Urteil konnte beim vorlegenden Gericht Kassationsbeschwerde eingelegt werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point17">17.</a>      Mit Wirkung vom 15. August 2017 wurde § 46a Abs. 9 des Asylgesetzes Nr. 325/1999 durch das Gesetz Nr. 222/2017 Slg. geändert. Gemäß der neuen Fassung von § 46a Abs. 9(<a href="#Footnote14" name="Footref14">14</a>) hat das Gericht (nach den Angaben in dem Vorlagebeschluss) nunmehr das bei ihm anhängige Verfahren automatisch einzustellen, wenn der Antragsteller auf internationalen Schutz vor Verkündung der Entscheidung über seine Anfechtungsklage gegen die Inhaftnahme aus der Haft freigelassen wird. Über die Freilassung des Antragstellers haben die zuständigen Behörden das betreffende Gericht unverzüglich zu unterrichten. Dieses gilt für das erstinstanzliche Verfahren und entsprechend auch für das Kassationsverfahren vor dem vorlegenden Gericht.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefrage</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point18">18.</a>      Am 20. März 2017 wurde festgestellt, dass sich Herr D. H. ohne gültige Reisedokumente oder Aufenthaltsgenehmigung im Hoheitsgebiet der Tschechischen Republik aufhielt. Er erhielt eine Ausweisungsverfügung mit Einreiseverbot und wurde zum Zweck der Abschiebung in Haft genommen. Herr D. H. beantragte internationalen Schutz im Hoheitsgebiet der Tschechischen Republik. Mit Anordnung vom 28. März 2017 wurde er von der zuständigen Behörde mit der Begründung in Haft behalten, dass er den Antrag auf internationalen Schutz lediglich mit dem Ziel gestellt habe, seinen Aufenthalt zu legalisieren und der Ausweisung aus der Tschechischen Republik zu entgehen (im Folgenden: Haftanordnung).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point19">19.</a>      Herr D. H. erhob gegen die Haftanordnung Anfechtungsklage vor dem Krajský soud (Regionalgericht). Die Klage wurde am 4. Juli 2017 als unbegründet abgewiesen. Am 16. August 2017, also einen Tag nach dem Inkrafttreten der in Rede stehenden nationalen Maßnahme, legte Herr D. H. Kassationsbeschwerde beim vorlegenden Gericht ein. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point20">20.</a>      Zwischenzeitlich, am 5. April 2017, hatte Herr D. H. seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückgezogen. Daraufhin wurde er aus der Haft freigelassen; er verließ freiwillig das Hoheitsgebiet der Tschechischen Republik und reiste in die Republik Belarus. Die zuständige Behörde unterrichtete das vorlegende Gericht über seine Freilassung aus der Haft und beantragte gemäß der in Rede stehenden nationalen Maßnahme die Einstellung des beim vorlegenden Gericht anhängigen Kassationsverfahrens.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point21">21.</a>      Vor diesem Hintergrund fragt das vorlegende Gericht:</p>
<p class="C02AlineaAltA">Steht die Auslegung von Art. 9 der Richtlinie 2013/33/EU in Verbindung mit den Art. 6 und 47 der Charta einer innerstaatlichen rechtlichen Regelung entgegen, die es dem vorlegenden Gericht verwehrt, eine Gerichtsentscheidung in Sachen der Inhaftnahme eines Ausländers zu überprüfen, nachdem der Ausländer aus der Haft entlassen wurde?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point22">22.</a>      Die Tschechische Republik und die Kommission haben schriftliche Stellungnahmen eingereicht. Die Rechtssache ist der Großen Kammer zugewiesen worden. Unbeschadet der Bedeutung der Rechtsfrage wurde eine mündliche Verhandlung nicht für notwendig befunden. </p>
<p class="C04Titre1"> <b>Bewertung</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zulässigkeit</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point23">23.</a>      Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass in Verfahren nach Art. 267 AEUV das nationale Gericht, das allein über unmittelbare Kenntnis des zugrunde liegenden Sachverhalts verfügt, die besten Voraussetzungen besitzt, um unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Rechtssache die Notwendigkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Unionsrechts betreffen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point24">24.</a>      Herr D. H. wurde aus der Haft freigelassen (und verließ anschließend das Hoheitsgebiet der Tschechischen Republik). Der Gerichtshof hat von Amts wegen die Frage zu prüfen, ob das vorlegende Gericht um ein allgemeines Gutachten ersucht oder die Klärung einer hypothetischen Frage wünscht, was die Vorlage unzulässig machen würde(<a href="#Footnote15" name="Footref15">15</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point25">25.</a>      Meines Erachtens ist das nicht der Fall. Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass die Haftanordnung als solche nicht aufgehoben wurde und dass der Antragsteller nach nationalem Recht, bevor er Schadensersatz wegen unrechtmäßiger Haft geltend machen kann, eine Aufhebung der Haftanordnung erwirken muss. Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass eine automatische Verfahrenseinstellung den Antragsteller um das Recht auf einen derartigen Schadensersatz bringen würde. Die tschechische Regierung widerspricht dieser Rechtsauffassung. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point26">26.</a>      Es ist nicht Sache des Gerichtshofs über die Anwendbarkeit nationaler Vorschriften zur Entscheidung eines Ausgangsverfahrens zu befinden. Der Gerichtshof hat vielmehr im Rahmen der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Unionsgerichten und den nationalen Gerichten den rechtlichen Kontext der Vorabentscheidungsfrage, wie er in der Vorlageentscheidung definiert ist, zu berücksichtigen(<a href="#Footnote16" name="Footref16">16</a>). Der Gerichtshof ist jedoch befugt, dem vorlegenden Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die es diesem ermöglichen, für die Entscheidung der bei ihm anhängigen Rechtssache über die Frage der Vereinbarkeit zu befinden(<a href="#Footnote17" name="Footref17">17</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point27">27.</a>      Da es nicht ausgeschlossen ist, dass Herr D. H. das Verfahren zur Aufhebung der Haftanordnung fortsetzen möchte und da das vorlegende Gericht der Auffassung ist, dass die Antwort, die der Gerichtshof auf die Vorlagefrage gibt, für seine Prüfungen im Ausgangsverfahren relevant ist, hat der Gerichtshof meines Erachtens über diese Frage zu befinden.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Allgemeine Bemerkungen</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point28">28.</a>      Es ist unstreitig, dass Herr D. H. einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat und dass er daher Antragsteller im Sinne der Richtlinie 2013/33 ist(<a href="#Footnote18" name="Footref18">18</a>). Unstreitig ist auch, dass er infolge der Haftanordnung im Sinne des Art. 2 Buchst. h dieser Richtlinie in Haft genommen wurde.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point29">29.</a>      Das vorlegende Gericht führt aus, dass die vor dem 15. August 2017 geltende Fassung des nationalen Gesetzes auf das erstinstanzliche Verfahren gegen die Haftanordnung Anwendung gefunden habe, dass aber nun die geänderte Fassung dieser Bestimmung, die eine automatische Einstellung erforderlich macht, in dem bei ihm anhängigen Verfahren anzuwenden sei.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point30">30.</a>      Das vorlegende Gericht möchte geklärt wissen, ob Art. 9 der Richtlinie 2013/33 der in Rede stehenden nationalen Maßnahme entgegensteht. Es ist anerkennenswert, dass das vorlegende Gericht sich seiner Verantwortung bewusst ist, diese Richtlinie wenn nötig uneingeschränkt umzusetzen, ohne auf die vorherige Aufhebung der in Rede stehenden nationalen Maßnahme auf gesetzgeberischem Wege oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren zu warten(<a href="#Footnote19" name="Footref19">19</a>).Es ist sich ebenfalls bewusst, dass es die Auslegung dieser Bestimmung soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie 2013/33 ausrichten muss, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen(<a href="#Footnote20" name="Footref20">20</a>), um die volle Wirksamkeit der fraglichen Richtlinie zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel im Einklang steht(<a href="#Footnote21" name="Footref21">21</a>). Das vorlegende Gericht hebt hervor, dass die in Rede stehende nationale Maßnahme zur automatischen Verfahrenseinstellung für alle Verfahren gilt, also sowohl für erstinstanzliche Verfahren als auch für Kassationsverfahren.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point31">31.</a>      Wenn Verwaltungs- oder Justizbehörden der Mitgliedstaaten die zur Umsetzung der Richtlinie 2013/33 erlassenen nationalen Rechtsvorschriften anwenden, handeln sie im Anwendungsbereich des Unionsrechts und somit zur Durchführung des Rechts der Union im Sinne des Art. 51 Abs. 1 der Charta(<a href="#Footnote22" name="Footref22">22</a>). Sie sind daher zur Achtung der in den Art. 6 und 47 der Charta verankerten Grundrechte auf Freiheit und auf einen wirksamen Rechtsbehelf verpflichtet.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point32">32.</a>      Soweit die Charta Rechte enthält, die den durch die EKMR garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird(<a href="#Footnote23" name="Footref23">23</a>). Nach den Erläuterungen zur Charta entspricht ihr Art. 6 Art. 5 EMRK; demgegenüber erweitert Art. 47 der Charta Art. 13 EMRK(<a href="#Footnote24" name="Footref24">24</a>). Der Mindestschutzstandard der garantierten Rechte wird daher nicht nur durch den Wortlaut der EMRK(<a href="#Footnote25" name="Footref25">25</a>), sondern u. a. auch durch die Rechtsprechung des EGMR in Straßburg bestimmt(<a href="#Footnote26" name="Footref26">26</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point33">33.</a>      Der Gerichtshof muss zwei Fragen klären. Erstens: In welchem Umfang besteht das Recht auf gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Inhaftnahme nach Art. 9 der Richtlinie 2013/33? Zweitens: Inwieweit gelten für die zweitinstanzliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer derartigen Inhaftnahme dieselben Bedingungen wie sie für erstinstanzliche Überprüfungen gelten?</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme: Art. 9 der Richtlinie 2013/33</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point34">34.</a>      Art. 8 der Richtlinie 2013/33 enthält strikte materielle Voraussetzungen für die Inhaftnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen. Durch Art. 9 erhalten die so in Haft genommenen Personen verschiedene gewichtige Garantien. Dazu gehört, dass der Betreffende nur so lange in Haft genommen werden darf, wie die in Art. 8 Abs. 3 dieser Richtlinie genannten Gründe gegeben sind (Art. 9 Abs. 1). Der Vorlagebeschluss ist insoweit nicht explizit, aber es scheint, dass Herr D. H. auf der Grundlage von Art. 8 Abs. 3 Buchst. d (<a href="#Footnote27" name="Footref27">27</a>) in Haft genommen worden war.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point35">35.</a>      Wird ein Antragsteller in Haft genommen, so muss ihm die Möglichkeit einer zügigen gerichtlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme gegeben werden(<a href="#Footnote28" name="Footref28">28</a>). Zusätzlich werden ihm wichtige Verfahrensgarantien gewährt: Das Recht, in einer Sprache, die er versteht, über die Gründe für die Haft und die Verfahren für die Anfechtung der Haftanordnung informiert zu werden(<a href="#Footnote29" name="Footref29">29</a>) und das Recht, unentgeltliche Rechtsberatung und ‑vertretung in Anspruch nehmen zu können(<a href="#Footnote30" name="Footref30">30</a>). Falls sich die Haft infolge der gerichtlichen Überprüfung als unrechtmäßig herausstellt, ist der betreffende Antragsteller unverzüglich freizulassen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point36">36.</a>      Da die Bestimmungen des Art. 9 der Richtlinie 2013/33 im Licht der Bestimmungen der Art. 6 und 47 der Charta und der EMRK, auf die sich die Charta bezieht, zu lesen sind, ist es angebracht, zunächst die in der EMRK vorgeschriebenen Schutzstandards in Erinnerung zu rufen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point37">37.</a>      Nach Art. 5 Abs. 1 EMRK darf die Freiheit nur in den dort angeführten besonderen Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden. Jede Person, die festgenommen oder der die Freiheit entzogen ist, hat das Recht nach Art. 5 Abs. 4 zu beantragen, dass ein Gericht innerhalb kurzer Frist über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzugs entscheidet und ihre Entlassung anordnet, wenn der Freiheitsentzug nicht rechtmäßig ist(<a href="#Footnote31" name="Footref31">31</a>). Das Hauptziel dieser gerichtlichen Überprüfung besteht erkennbar darin, der in Haft befindlichen Person die Möglichkeit zu geben, ihr Recht auf Freiheit durchzusetzen. Wenn die Inhaftnahme unrechtmäßig erfolgte, sollte sie selbstverständlich nicht länger in Haft bleiben.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point38">38.</a>      Allerdings verschwinden die <i>Folgen</i> und <i>Auswirkungen</i> einer unrechtmäßigen Haft nicht wie von Zauberhand, wenn die Türen der Haftanstalt aufspringen und die in Haft genommene Person freigelassen wird. Mit der gerichtlichen Feststellung, dass die Inhaftnahme unrechtmäßig erfolgte, wird damit auch festgestellt, dass es unzulässig gewesen war, die betreffende Person Tage oder Wochen eingesperrt zu halten. Keine Macht auf Erden kann ihr diese Zeit einfach so zurückgeben. Aber die Gerichte können es <i>kenntlich machen und ausspre</i><i>chen</i>, dass die Inhaftnahme nicht rechtmäßig war. Damit wird der Sachverhalt richtig gestellt. Dies kann für die Zukunft wichtig sein, und zwar immer dann, wenn diese Person ein Formular auszufüllen hat, in dem es um ihre Vergangenheit geht, oder wenn eine Amtsperson oder ein möglicher Arbeitgeber über sie eine Computerrecherche durchführt. Dies kann als solches schon ein gewisses Maß an Genugtuung enthalten: offizielle Anerkennung, dass ein Unrecht, eine Ungerechtigkeit begangen wurde.Die betroffene Person möchte aber möglicherweise auch weitergehen und eine Entschädigung für diese verlorenen Tage oder Wochen verlangen. In Art. 5 Abs. 5 EMRK heißt es demgemäß, dass jede Person, der unter Verletzung der in Art. 5 Abs. 1 und 4 dieses Artikels genannten Bestimmungen die Freiheit entzogen worden ist, einen durchsetzbaren Anspruch auf Schadensersatz hat(<a href="#Footnote32" name="Footref32">32</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point39">39.</a>      In Bezug auf das in Art. 47 der Charta verankerte Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz hat der Gerichtshof festgestellt, dass jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht hat, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Der Gerichtshof hat dazu betont, dass das Vorhandensein einer wirksamen, zur Gewährleistung des Unionsrechts dienenden gerichtlichen Kontrolle dem Wesen eines Rechtsstaats inhärent ist(<a href="#Footnote33" name="Footref33">33</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point40">40.</a>      Der Wortlaut von Art. 9 Abs. 3 und 5 der Richtlinie 2013/33 lässt keinen Zweifel daran, dass einem <i>in Haft befindlichen</i> Antragsteller die Möglichkeit gegeben werden muss, die Rechtmäßigkeit seiner Inhaftnahme gerichtlich überprüfen zu lassen. Besteht dieses Recht fort, wenn das Verfahren, das der Antragsteller während seiner Haft eingeleitet hat, noch anhängig ist, er aber durch eine Verwaltungsentscheidung der zuständigen nationalen Behörde aus der Haft entlassen wird?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point41">41.</a>      Ich bin der Auffassung, dass diese Frage mit „Ja“ beantwortet werden muss.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point42">42.</a>      Art. 9 Abs. 3 beginnt mit den Worten: „Wird die Haft von einer Verwaltungsbehörde angeordnet …“ Es heißt nicht: „Wenn der Antragsteller in Haft ist …“ Die Betonung liegt also auf der <i>Rechtstatsache</i>, dass die zuständige Behörde eine Freiheitsentziehung angeordnet hat. Es ist diese Rechtstatsache, um die es geht, denn es ist das Recht auf Freiheit, dass durch eine staatliche Maßnahme eingeschränkt wurde.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point43">43.</a>      Dies wird durch den Wortlaut des Art. 9 Abs. 2 bestätigt. Danach wird „[d]ie Haft der Antragsteller … von einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde schriftlich angeordnet. In der Anordnung werden die sachlichen und rechtlichen Gründe für die Haft angegeben“. Es ist diese Haftanordnung, die Gegenstand der rechtlichen Überprüfung ist, weil sie die Grundlage für die Freiheitsentziehung darstellt. Falls als Ergebnis der Überprüfung der Haftanordnung „sich die Haft … als unrechtmäßig herausstellt, wird der betreffende Antragsteller unverzüglich freigelassen“ (Art. 9 Abs. 3 letzter Satz). Die Strenge der Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Haftanordnung kommt deutlich in Erwägungsgrund 15 der Richtlinie 2013/33 zum Ausdruck, in dem es heißt, dass „Antragsteller … nur in den in der Richtlinie eindeutig definierten Ausnahmefällen und im Einklang mit den Grundsätzen der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit in Bezug auf die Art und Weise und den Zweck der Inhaftnahme in Haft genommen werden [dürfen]“(<a href="#Footnote34" name="Footref34">34</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point44">44.</a>      Meines Erachtens bestätigt der Wortlaut des Art. 9 der Richtlinie 2012/33 die von mir vertretene Auffassung.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point45">45.</a>      Was die Ziele und den Zweck dieser Bestimmung betrifft, so besteht natürlich der übliche und unmittelbare Zweck der gerichtlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Haftanordnung darin, die Haftanordnung aufzuheben, damit der Betroffene seine Freiheit wiedererlangt. Aber die Folgen und Auswirkungen der Inhaftnahme sind dieselben unabhängig davon, ob die Freilassung aus der Haft durch eine weitere Verwaltungsentscheidung der zuständigen Behörde oder aufgrund eines Gerichtsurteils zur Aufhebung der ursprünglichen Haftanordnung erfolgt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point46">46.</a>      Eine Auslegung der Richtlinie, wonach die betreffende Person, sobald sie nicht mehr in Haft ist, nicht mehr geschützt ist, würde zu seltsamen Unstimmigkeiten führen. Es genügen zwei Beispiele, um dies zu verdeutlichen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point47">47.</a>      Angenommen zwei Antragsteller auf internationalen Schutz, A und B, werden von den zuständigen Behörden in Haft genommen und zwar aus Gründen, die nach Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2013/33 unzulässig sind. Beide erheben Anfechtungsklage. Nach zwei Wochen erkennen die Behörden ihren Fehler in Bezug auf A und lassen ihn am Morgen des 15. Tages seiner Inhaftnahme frei. B bleibt in Haft. Am Nachmittag dieses Tages wird über beide Klagen vor dem für die gerichtliche Überprüfung solcher Fragen zuständigen Gericht verhandelt. Wenn die durch die Richtlinie gewährten Rechte mit der Freilassung aus der Haft entfallen würden, würde die Klage des A abgewiesen, während im Fall des B eine Entscheidung erginge, mit der die Haftanordnung aufgehoben, die unverzügliche Freilassung an diesem Nachmittag angeordnet und ihm die Möglichkeit eines Schadensersatzanspruchs wegen unrechtmäßiger Haft eröffnet würde. Nur sechs Stunden trennen die Zeitpunkte, zu denen A und B ihre Freiheit wiedererlangen. Beide befanden sich länger als zwei Wochen unrechtmäßig in Haft. Bei einer restriktiven Auslegung des Art. 9 dahin gehend, dass er nur diejenigen Antragsteller erfasst, die tatsächlich <i>in Haft sind</i>, wenn ihre Fälle vor Gericht verhandelt werden, würde A trotzdem jeglicher gerichtliche Schutz entzogen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point48">48.</a>      Nehmen wir andererseits den Fall an, dass der Antragsteller C von den zuständigen nationalen Behörden in Haft genommen wird, wobei es sich um eine Personenverwechslung handelt – er ist zwar ein Antragsteller auf internationalen Schutz, aber ist tatsächlich nicht die Person D, den die Behörden in Haft zu nehmen beabsichtigten, und es gibt nach der Richtlinie keine Rechtsgründe für seine Inhaftnahme. C erhebt Anfechtungsklage. Bevor sein Fall vor Gericht verhandelt wird (und während er weiterhin lautstark geltend macht, dass er nicht D ist) wird er abgeschoben. Er befindet sich somit nicht mehr in Haft und könnte sich bei einer restriktiven Auslegung des Art. 9 zu seinem Schutz nicht an die Gerichte wenden, da er (im Wege der Abschiebung) „freigelassen“ wurde.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point49">49.</a>      Eine Berechtigung der zuständigen Behörden, eine Person, die sie gemäß Art. 8 der Richtlinie 2013/33 in Haft genommen haben, dadurch dem Geltungsbereich und dem Schutz des Artikels 9 der Richtlinie zu entziehen, dass sie einfach eine weitere Verwaltungsentscheidung treffen, um diese Person freizulassen und um anschließend die Bestimmung wie im Ausgangsverfahren über die automatische Verfahrenseinstellung anzuwenden, enthielte die reale Möglichkeit eines Missbrauchs. Es wäre möglich, dass die Behörden einen Antragsteller auf internationalen Schutz nacheinander in Haft nehmen, freilassen, wieder in Haft nehmen und wieder freilassen, um damit zu erreichen, dass er zu keinem Zeitpunkt eine gerichtliche Überprüfung der Haftanordnung(en) erhalten kann.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point50">50.</a>      Damit sage ich nicht, dass dies tatsächlich geschieht. Ich möchte aber auf das historische Beispiel aus dem Vereinigten Königreich eines missglückten Gesetzes auf dem Höhepunkt des Kampfes der Suffragetten um das Frauenwahlrecht hinweisen. Militante Frauenrechtlerinnen wurden wegen geringfügiger Sachschäden oder wegen Behinderung der Polizei inhaftiert. Sie begannen im Gefängnis einen Hungerstreik und wurden ziemlich brutal zwangsernährt. Als sich das Mitgefühl der Öffentlichkeit ihnen zuwendete, hatte die liberale Regierung Stanley Baldwin einen Einfall. Könnte man nicht, anstatt sie im Gefängnis, wenn sie durch Nahrungsmangel geschwächt waren, zwangsweise zu ernähren, einfach unter Auflagen freilassen? Sobald sie wieder zu essen begännen und ihre Kraft wiedererlangt hätten, könnte man sie erneut festnehmen und wieder einsperren. Also erließ die Regierung den Prisoners (Temporary Discharge for Ill Health) Act 1913 (Gefangenengesetz über vorübergehende Entlassung bei schlechter Gesundheit 1913). Das Gesetz wurde schnell unter dem Beinamen „The Cat and Mouse Act“ bekannt, denn die grausame Analogie zu einer Katze, die mit ihrer Beute spielt, bevor sie sie erledigt, war mehr als deutlich. Unter den Gegebenheiten des vorliegenden Falles besteht Anlass, anzunehmen, dass es zu Missbrauch kommen könnte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point51">51.</a>      Es ist auch darauf hinzuweisen, dass, wie das vorlegende Gericht ausführt, eine gerichtliche Entscheidung über die Aufhebung der Haftanordnung eine notwendige Voraussetzung für eine Schadensersatzklage wegen unrechtmäßiger Haft darstellt. Die tschechische Regierung bestreitet in ihren schriftlichen Erklärungen, dass dies nach nationalem Recht unbedingt richtig sei, und ich kann mich nicht dazu äußern, ob die Auslegung des nationalen Rechts durch die Regierung oder den Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht) die richtige ist. Ich möchte nur zwei Bemerkungen allgemeinerer Art machen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point52">52.</a>      Erstens besteht der Zweck der in Art. 9 verankerten Garantien zur Überprüfung der in Art. 8 Abs. 3 genannten Haftgründe nicht nur darin, sicherzustellen, dass die Antragsteller freigelassen werden, wenn diese Gründe nicht nachgewiesen werden können, sondern auch darin, von willkürlichen Verletzungen des Rechts des Antragstellers auf Freiheit abzuhalten(<a href="#Footnote35" name="Footref35">35</a>). Im Hinblick darauf, dass diese Bestimmung im Licht der in den Art. 6 und 47 der Charta verankerten Grundrechte auszulegen ist, spricht dies für eine nicht-restriktiven Auslegung, während die entgegengesetzte Auslegung meines Erachtens diesen Grundrechten widersprechen würde(<a href="#Footnote36" name="Footref36">36</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point53">53.</a>      Zweitens enthält die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Frage des Interesses einer Person an der Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens hierzu hilfreiche Hinweise. So hat der Gerichtshof im Zusammenhang mit einzelnen vom Rat erlassenen restriktiven Maßnahmen im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik entschieden, dass ein Antragsteller ein Interesse daran hat, die Aufhebung eines Rechtsakts zu beantragen, insbesondere wenn die Feststellung der Rechtswidrigkeit als Grundlage für eine künftige Klage auf materiellen oder immateriellen Schadensersatz dienen kann(<a href="#Footnote37" name="Footref37">37</a>), der durch den angefochtenen Rechtsakt verursacht wurde(<a href="#Footnote38" name="Footref38">38</a>). Selbst wenn keine Aussicht auf Ersatz eines Vermögensschadens besteht, könnte der Antragsteller gleichwohl ein immaterielles Interesse an der Durchführung des Verfahrens haben, da eine mögliche Nichtigerklärung eine Form der Wiedergutmachung des von ihm erlittenen immateriellen Schadens darstellt, der ihm aufgrund der Rechtswidrigkeit der betreffenden Handlung entstanden ist(<a href="#Footnote39" name="Footref39">39</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point54">54.</a>      Meines Erachtens lassen sich die Grundsätze dieser Rechtsprechung durchaus auf einen Sachverhalt übertragen, in dem die betreffende Person einen Eingriff in ihr in Art. 6 der Charta verankertes Grundrecht auf Freiheit erlitten hat. Ich bin daher der Ansicht, dass Art. 9 der Richtlinie 2013/33 nicht nur einem Antragsteller, der noch in Haft ist, zwecks Überprüfung Zugang zu den Gerichten gewährt, sondern dass diese Bestimmung es auch einem Antragsteller, der in Haft gewesen war, dann aber durch Verwaltungsanordnung freigelassen wurde, ermöglicht, auf Feststellung zu klagen, dass die ihm auferlegte Haft unrechtmäßig gewesen war.Ob eine solche Feststellung eine moralische Genugtuung für das erlittene Unrecht darstellt oder als Ausgangspunkt für eine Schadensersatzklage wegen unrechtmäßiger Inhaftnahme dient, ist insoweit unerheblich.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point55">55.</a>      Schließlich sei angemerkt, dass das vorlegende Gericht darauf hinweist, dass die in Rede stehende nationale Maßnahme die automatische Verfahrenseinstellung vorschreibt und somit die gerichtliche Überprüfung einer verwaltungsrechtlichen Haftanordnung <i>sogar in der ersten Instanz</i> ausschließt. Das vorlegende Gericht vertritt die Auffassung, dass eine solche Regelung nicht mit Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2013/33 vereinbar sei; das findet auch meine Zustimmung. Eine Bestimmung, die tatsächlich dazu führt, die gerichtliche Kontrolle auszuschalten, lässt sich nur schwer mit der grundlegenden Prämisse der Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union in Einklang bringen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point56">56.</a>      Ich bin daher der Ansicht, dass die Frage des vorlegenden Gerichts allgemein dahin zu beantworten ist, dass Art. 9 der Richtlinie 2013/33 einer nationalen Bestimmung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden insofern entgegensteht, als die nationalen Gerichte durch diese Bestimmung verpflichtet werden, ein Gerichtsverfahren, das von einem Antragsteller auf internationalen Schutz zur Anfechtung einer gegen ihn erlassenen Haftanordnung anhängig gemacht wurde, einzustellen, wenn die betreffende Person durch eine nachfolgende Anordnung aus der Haft freigelassen wird.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme: Kassationsverfahren</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point57">57.</a>      Im vorliegenden Verfahren hatte Herr D. H. den Vorteil, dass die Haftanordnung in seinem Fall <i>vor</i> dem Inkrafttreten der geänderten Fassung des § 46a Abs. 9 des Asylgesetzes Nr. 325/1999 gerichtlich geprüft wurde.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point58">58.</a>      Behalten die Mitgliedstaaten nach Unionsrecht den Gestaltungsspielraum, vorschreiben zu können, dass <i>Rechtsbehelfs</i><i>verfahren </i>gegen eine erstinstanzliche Gerichtsentscheidung automatisch eingestellt werden müssen, wenn der Antragsteller durch Verwaltungsanordnung aus der Haft freigelassen wird, bevor die Entscheidung des Gerichts ergeht?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point59">59.</a>      Sowohl die Regierung der Tschechischen Republik als auch die Kommission halten eine solche Auffassung mit Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2013/33 für vereinbar. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point60">60.</a>      Ich bin anderer Ansicht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point61">61.</a>      Mit der Richtlinie 2013/33 soll ein hoher Schutzstandard sowie ein faires und wirksames Verfahren für Antragsteller eingeführt werden(<a href="#Footnote40" name="Footref40">40</a>). Die Entstehungsgeschichte der Richtlinie zeigt, dass rechtliche und verfahrensrechtliche Garantien für die Inhaftnahme von Antragstellern eingeführt wurden, um ein höheres Maß an Harmonisierung zu gewährleisten und die in der früheren Maßnahme festgelegten Mindeststandards für die Aufnahme von Asylbewerbern zu verbessern (Richtlinie 2003/9/EG)(<a href="#Footnote41" name="Footref41">41</a>). Das Ziel war sicherzustellen, dass diese Bestimmungen in vollem Umfang mit den Grundrechten, die in der Charta verankert sind, sowie mit den Verpflichtungen aus dem Völkerrecht vereinbar sind(<a href="#Footnote42" name="Footref42">42</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point62">62.</a>      Insofern als die Richtlinie 2033/13 eine Mindestharmonisierung der Aufnahmebedingungen für Antragsteller vorsieht(<a href="#Footnote43" name="Footref43">43</a>), legt sie ein Grundniveau fest, das kein Mitgliedstaat unterschreiten darf. Es steht ihnen jedoch frei, großzügigere Regelungen zu erlassen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point63">63.</a>      Die Richtlinie 2013/33 enthält keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, eine zweite Instanz gerichtlicher Kontrolle für den Fall vorzusehen, dass Antragsteller eine Entscheidung der ersten Instanz anfechten wollen(<a href="#Footnote44" name="Footref44">44</a>). Zudem entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes dem Einzelnen nur ein Recht auf Zugang zu einem Gericht und nicht zu mehreren Gerichtsinstanzen eröffnet(<a href="#Footnote45" name="Footref45">45</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point64">64.</a>      Eine nationale Bestimmung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende fällt somit uneingeschränkt in den Geltungsbereich der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität des Unionsrechts(<a href="#Footnote46" name="Footref46">46</a>). Die Bereitstellung einer zweiten Instanz dürfte aber nebenbei bemerkt nicht nur für den Beschwerdeführer von Vorteil sein. Auf diese Weise wird den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats eine Eingreifmöglichkeit gegeben, wenn sie etwas (zu Recht oder zu Unrecht) als eine „schlechte“ erstinstanzliche Entscheidung betrachten, und in Fällen, in denen mehrere Gerichte in erster Instanz zuständig sind, ermöglicht dies eine kohärente Rechtsprechung auf zweitinstanzlicher Ebene, wodurch für alle Beteiligten Einheitlichkeit und Rechtssicherheit gewährleistet werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point65">65.</a>      Bei der Prüfung des Gestaltungsspielraums der Mitgliedstaaten muss aber auch berücksichtigt werden, dass Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2033/13 in besonderer Weise Ausdruck der für Antragsteller im weiteren Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems in Bezug auf das Recht auf einen wirksamen Rechtsschutz festzulegenden Aufnahmebedingungen ist. Mit dieser Richtlinie sollen wirksame materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Garantien eingeführt werden, um die Rechtmäßigkeit von Haftanordnungen sicherzustellen(<a href="#Footnote47" name="Footref47">47</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point66">66.</a>      Der Gerichtshof hat in einer Reihe von Rechtssachen geurteilt, in denen Einzelpersonen gegen eine erstinstanzliche Entscheidung klagten, bei der es um Rechte ging, die sich aus dem Unionsrecht herleiteten, bei denen das Unionsrecht aber keine zweite Instanz auf der nationalen Ebene vorsah. In diesen Fällen war es erforderlich, die nationalen Verfahrensregeln für eine solche Kontrolle anhand des Effektivitätsgrundsatzes zu überprüfen. Zwei jüngere Beispiele mögen diesen Ansatz des Gerichtshofs veranschaulichen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point67">67.</a>      So betraf das Urteil in der Rechtssache Belastingdienst/Toeslagen(<a href="#Footnote48" name="Footref48">48</a>) die Berufung eines Drittstaatsangehörigen gegen einen Bescheid der nationalen Behörde, mit der die Erstattung von Zuschüssen zu Miet- und Krankenkosten angeordnet wurde. Das vorlegende Gericht ersuchte um Auslegung des Art. 39 der Richtlinie 2005/85/EG(<a href="#Footnote49" name="Footref49">49</a>) und des Art. 13 der Richtlinie 2008/115 im Licht der Art. 18, 19 Abs. 2 und 47 der Charta. Die Frage war, ob diese Bestimmungen einer nationalen Regelung entgegenstehen, die zwar einen Rechtsbehelf gegen ein erstinstanzliches Urteil für den Fall vorsieht, das dieses eine Entscheidung bestätigt, mit dem ein Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt wird, diesen Rechtsbehelf aber nicht kraft Gesetzes mit aufschiebender Wirkung ausstattet, obwohl der Betroffene die ernsthafte Gefahr eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung geltend macht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point68">68.</a>      Der Gerichtshof hat ausgeführt, dass, obwohl diese Richtlinien keine Regelungen über die Schaffung und Ausgestaltung eines zweiten Rechtszugs für Rechtsbehelfe gegen abschlägige Entscheidungen über einen Antrag auf internationalen Schutz und Rückkehrentscheidungen enthalten(<a href="#Footnote50" name="Footref50">50</a>), „die Richtlinie 2008/115 ebenso wie die Richtlinie 2005/85, wie sich aus dem 24. Erwägungsgrund der ersteren und dem achten Erwägungsgrund der letzteren ergibt, unter Beachtung der insbesondere in der Charta anerkannten Grundrechte und Grundsätze auszulegen [ist]“(<a href="#Footnote51" name="Footref51">51</a>). Der Gerichtshof hat anschließend die nationalen Bestimmungen gemäß den Grundsätzen von Äquivalenz und Effektivität überprüft und festgestellt, dass der Grundsatz der Effektivität in diesem Fall keine über die Grundrechte hinaus gehenden Anforderungen, insbesondere über die durch Artikel 47 der Charta garantierten, enthielt(<a href="#Footnote52" name="Footref52">52</a>). Der Gerichtshof hat festgestellt, dass in dem betreffenden Fall beide Grundsätze gewahrt waren.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point69">69.</a>      Im Gegensatz dazu hat der Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache Sánchez Morcillo und Abril García(<a href="#Footnote53" name="Footref53">53</a>), das die Auslegung des Art. 7 der Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen(<a href="#Footnote54" name="Footref54">54</a>) und Art. 47 der Charta betraf, festgestellt, dass die betreffenden nationalen Bestimmungen geeignet waren, die Wirksamkeit des mit der Richtlinie 93/13 eingeführten Verbraucherschutzes zu beeinträchtigen(<a href="#Footnote55" name="Footref55">55</a>). Bei der Überprüfung der nationalen Bestimmungen aufgrund des Grundsatzes der Effektivität, hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Wirksamkeit der den Einzelnen aus der Richtlinie 93/13 erwachsenden Rechte (im betreffenden Fall gegen die Verwendung missbräuchlicher Klauseln) zu gewährleisten, das <i>Erfordernis eines gerichtlichen Schutzes</i>, das in Art. 47 der Charta auch garantiert ist, impliziert. Dieser Schutz muss sowohl für die Bestimmung der Gerichte gelten, die für die Entscheidung über Klagen, die sich auf das Unionsrecht stützen, zuständig sind, als auch für die Festlegung der Verfahrensmodalitäten(<a href="#Footnote56" name="Footref56">56</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point70">70.</a>      Meines Erachtens ist der Ansatz des Gerichtshofs im letzteren Fall hier sinngemäß anwendbar. Letztlich entscheidet die Effektivität der gerichtlichen Überprüfung der Haftanordnungen darüber, ob die materiellen Voraussetzungen in Art. 8 und die Garantien in Art. 9 der Richtlinie 2013/33 die Antragsteller so schützen, wie dies vorgesehen ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point71">71.</a>      In Bezug auf den Grundsatz der Effektivität sind meines Erachtens folgende Aspekte des vom vorlegenden Gericht beschriebenen Sachverhalts besonders relevant.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point72">72.</a>      Erstens kann es bei einer automatischen Verfahrenseinstellung zu einer willkürlichen Behandlung kommen. Wenn die zweite Instanz nicht in der Lage ist, die Verhandlung über eine erstinstanzlichen Entscheidung über eine Haftanordnung abzuschließen, bevor die betroffene Person freigelassen wird, wird es eine unterschiedliche Behandlung im Vergleich zu den Fällen geben, in denen der Antragsteller in Haft ist. Selbst wenn die Gründe für die Überprüfung und die betreffenden Sachverhalte übereinstimmen, könnte letztere Person mit einem Rechtsmittel gegen das erstinstanzliche Urteil vorgehen, während erstere dazu nicht berechtigt wäre. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point73">73.</a>      Zweitens könnten die Verwaltungsbehörden einfach dadurch, dass sie den betreffenden Antragsteller freilassen, erreichen, dass die zweite Instanz niemals in der Lage ist, ein erstinstanzliches Urteil zu überprüfen. Der Grundsatz der Waffengleichheit wäre dadurch nicht gewahrt(<a href="#Footnote57" name="Footref57">57</a>). Zudem werden die zuständigen Behörden, indem sie den Gerichten anzeigen, wenn ein Antragsteller freigelassen wird, was die automatische Einstellung des Verfahrens zu Folge hat, auch in die Lage versetzt, das Berufungsgericht bei der unabhängigen Wahrnehmung seiner Aufgaben zu behindern.Wenn, wie das vorlegende Gericht in seinem Vorlagebeschluss mitteilt, Rechtsbeschwerden in der Regel erst nach der Freilassung des betreffenden Antragstellers zu ihm gelangen, dann bedeutet die automatische Verfahrenseinstellung, dass dem vorlegenden Gericht tatsächlich die Möglichkeit genommen wird, die Rechtmäßigkeit von Haftanordnungen zu überprüfen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point74">74.</a>      Zwar trifft es sicherlich zu, dass Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2013/33 nicht verlangt, eine zweite gerichtliche Überprüfungsinstanz einzurichten; wenn aber die Mitgliedstaaten diese zusätzliche Überprüfung in ihr nationales Systeme aufnehmen, müssen die <i>Bedingungen </i>unter denen diese Überprüfung durchgeführt wird, den allgemeinen Rahmen der Garantien in dieser Richtlinie beachten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point75">75.</a>      Das frühe Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Sotgiu(<a href="#Footnote58" name="Footref58">58</a>) kann hierzu als Beispiel herangezogen werden. Diese Rechtssache betraf die Auslegung der Ausnahme von der Freizügigkeit der Arbeitnehmer bei Tätigkeit in der öffentlichen Verwaltung nach Art. 48 Abs. 4 EWGV. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass den Interessen, die diese Ausnahme den Mitgliedstaaten zu schützen erlaubt, mit der Möglichkeit genüge getan ist, den Zugang ausländischer Staatsangehöriger zu gewissen Tätigkeiten in der öffentlichen Verwaltung zu beschränken. Diese Bestimmung kann jedoch <i>nicht </i>herangezogen werden, um eine unterschiedliche Behandlung in Bezug auf Entlohnung oder sonstige Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer zu rechtfertigen, <i>wenn diese einmal in den Dienst der Verwaltung aufgenommen sind </i>(<a href="#Footnote59" name="Footref59">59</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point76">76.</a>      Dementsprechend hat meines Erachtens ein Mitgliedstaat, wenn er eine zweite Instanz für die Überprüfung von Haftanordnungen <i>einrichtet</i>, die Garantien des Art. 9 der Richtlinie 2013/33, einschließlich der Garantie des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes zu beachten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point77">77.</a>      Wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe, ist eine Einschränkung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art 47 der Charta in Fällen, in denen eine nationale Maßnahme in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt,nur dann gerechtfertigt, wenn sie gesetzlich vorgesehen ist, den Wesensgehalt dieses Rechts achtet und unter Wahrung des allgemeinen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich ist und den von der Europäischen Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entspricht. Meines Erachtens muss in Fällen wie dem vorliegenden eine Überprüfung nach Art. 52 Abs. 1 der Charta durchgeführt werden, um das Schutzniveau, das Art. 47 der Charta dem Einzelnen gewährt, sicherzustellen. Ein anderer methodischer Ansatz hätte die überraschende (und meines Erachtens unvertretbare) Folge, dass die Mitgliedstaaten diesen Kriterien einfach dadurch entgehen könnten, dass sie in einem Bereich innerhalb ihrer Verfahrensautonomie handeln würden, in dem der Unionsgesetzgeber das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf konkretisierend ausgestaltet hat(<a href="#Footnote60" name="Footref60">60</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point78">78.</a>      Vor diesem Hintergrund scheint mir die in Rede stehende nationale Maßnahme nicht dem Grundsatz der Effektivität zu genügen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point79">79.</a>      Wie steht es mit dem Äquivalenzgrundsatz?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point80">80.</a>      Dieser Grundsatz verlangt die Gleichbehandlung von auf einen Verstoß gegen das nationale Recht gestützter Rechtsbehelfe und entsprechender, auf einen Verstoß gegen das Unionsrecht gestützter Rechtsbehelfe, nicht aber die Gleichwertigkeit nationaler Verfahrensvorschriften, die für unterschiedliche Verfahren gelten(<a href="#Footnote61" name="Footref61">61</a>). Die Situation eines Drittstaatsangehörigen, der um internationalen Schutz ersucht, ist in gewisser Hinsicht eine besondere.Es gibt beispielsweise völkerrechtliche Verpflichtungen sowie spezifische Bestimmungen des Unionsrechts, die sich auf seine Situation auswirken(<a href="#Footnote62" name="Footref62">62</a>). Ein Drittstaatsangehöriger, der im Rahmen der Richtlinie 2013/33 um internationalen Schutz ersucht, unterliegt daher nicht notwendigerweise denselben Verfahrensregeln, die für nationale Angelegenheiten gelten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point81">81.</a>      Das vorlegende Gericht nennt in seinem Vorlagebeschluss verschiedene Beispiele für nationale Verfahren, die eine gerichtliche Kontrolle einer Inhaftierung beinhalten, wie beispielsweise die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Inhaftierung durch die Polizei oder der Einweisung in eine Heilanstalt. Wie mir scheint, sind diese Verfahren mit der in Rede stehenden nationalen Maßnahme vergleichbar.Letztlich ist es jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die nationalen Verfahrensregeln zur Umsetzung dieser Richtlinie mit allgemeineren Verfahrensregeln vergleichbar sind, die die Inhaftnahme von Einzelpersonen regeln. Wie der Gerichtshof ausgeführt hat, „ist es Sache des nationalen Gerichts mit seiner unmittelbaren Kenntnis der anwendbaren Verfahrensmodalitäten, die Gleichartigkeit der betreffenden Rechtsbehelfe unter dem Gesichtspunkt ihres Gegenstands, ihres Rechtsgrundes und ihrer wesentlichen Merkmale zu prüfen“(<a href="#Footnote63" name="Footref63">63</a>).</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Ergebnis</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point82">82.</a>      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefrage des Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht, Tschechische Republik) wie folgt zu antworten: </p>
<p class="C02AlineaAltA">Art. 9 der Richtlinie 2013/33 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes im Licht der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Bestimmung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden insofern entgegensteht, als die nationalen Gerichte durch diese Bestimmung verpflichtet werden, ein Gerichtsverfahren, das von einem Antragsteller auf internationalen Schutz zur Anfechtung einer gegen ihn erlassenen Haftanordnung anhängig gemacht wurde, automatisch einzustellen, wenn die betreffende Person durch eine nachfolgende Anordnung aus der Haft freigelassen wird, bevor die Entscheidung des Gerichts ergeht.</p>
<hr/>
<p class="C40FootnoteLangue">
<a href="#Footref1" name="Footnote1">1</a>      Originalsprache: Englisch.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref2" name="Footnote2">2</a>      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. 2013, L 180, S. 96). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref3" name="Footnote3">3</a>      ABl. 2010, C 83, S. 389 (im Folgenden: die Charta). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref4" name="Footnote4">4</a>      Unterzeichnet in Rom am 4. November 1950 (im Folgenden: EMRK).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref5" name="Footnote5">5</a>      Art. 6 der Charta entspricht Art. 5 EMRK. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref6" name="Footnote6">6</a>      Dieses Recht basiert auf Art. 13 EMRK.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref7" name="Footnote7">7</a>      Erläuterungen zur Charta der Grundrechte (ABl. 2007, C 303, S. 17).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref8" name="Footnote8">8</a>      Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl. 2013, L 180, S. 60). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref9" name="Footnote9">9</a>      Auf seiner Tagung vom 10. und 11. Dezember 2009.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref10" name="Footnote10">10</a>      Art. 2 Buchst. a. Der Querverweis bezieht sich auf die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref11" name="Footnote11">11</a>      Art. 2 Buchst. b. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref12" name="Footnote12">12</a>      Art. 2 Buchst. h. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref13" name="Footnote13">13</a>      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehörige (ABl. 2008, L 348, S. 98). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref14" name="Footnote14">14</a>      Im Folgenden bezeichne ich den geänderten Gesetzestext als „in Rede stehende nationale Maßnahme“ und die gerügte Vorschrift als „automatische Verfahrenseinstellung“.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref15" name="Footnote15">15</a>      Urteil vom 22. November 2005, Mangold (C‑144/04, EU:C:2005:709, Rn. 34 bis 36.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref16" name="Footnote16">16</a>      Urteil vom 17. Juli 2008, Corporación Dermoestética (C‑500/06, EU:C:2008:421, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref17" name="Footnote17">17</a>      Urteil vom 16. Dezember 2008, Michaniki (C‑213/07, EU:C:2008:731, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref18" name="Footnote18">18</a>      Vgl. oben Rn. 9 und 11.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref19" name="Footnote19">19</a>      Vgl. hierzu Urteil vom 8. September 2015, Taricco u. a. (C‑105/14, EU:C:2015:555, Rn. 49). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref20" name="Footnote20">20</a>      Urteil vom 13. November 1990, Marleasing (C‑106/89, EU:C:1990:395, Rn. 8). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref21" name="Footnote21">21</a>      Vgl. entsprechend Urteil vom 6. November 2018, Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (C‑684/16, EU:C:2018:874, Rn. 59).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref22" name="Footnote22">22</a>      Vgl. entsprechend Urteil vom 5. April 2016, Aranyosi und Căldăraru (C‑404/15 und C‑659/15 PPU, EU:C:2016:198, Rn. 84 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref23" name="Footnote23">23</a>      Mit. Art. 52 Abs. 3 soll die notwendige Übereinstimmung zwischen den Rechten in der Charta und den entsprechenden Rechten in der EMRK sichergestellt werden. Vgl. Urteil vom 28. Juli 2016, JZ (C‑294/16 PPU, EU:C:2016:610, Rn. 50).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref24" name="Footnote24">24</a>      Urteil vom 14. September 2017, K. (C‑18/16, EU:C:2017:680, Rn. 50).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref25" name="Footnote25">25</a>      Siehe oben Nr. 8; vgl. auch zu Art. 6 der Charta Urteil vom 15. März 2017 (Al Chodor, C‑528/15, EU:C:2017:213, Rn. 37).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref26" name="Footnote26">26</a>      Urteil vom 22. Dezember 2010, DEB (C‑279/09, EU:C:2010:811, Rn. 35).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref27" name="Footnote27">27</a>      Für den Wortlaut dieser Bestimmung siehe oben Nr. 14.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref28" name="Footnote28">28</a>      Vgl. Art. 26 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 und Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2013/33.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref29" name="Footnote29">29</a>      Art. 9 Abs. 4.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref30" name="Footnote30">30</a>      Art. 9 Abs. 6.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref31" name="Footnote31">31</a>      Vgl. Urteil des EGMR von 8. Juli 2004, Vachev/Bulgarien (ECHR:2004:0708JUD004298798, § 71).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref32" name="Footnote32">32</a>      Vgl. Urteile des EGMR vom 16. Juni 2005, Storck/Deutschland (ECHR:2005:0616JUD006160300, § 119 bis § 122) und vom 19. Februar 2009, A. u. a./Vereinigtes Königreich (ECHR:2009:0219JUD000345505, § 226 bis § 229).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref33" name="Footnote33">33</a>      Urteil vom 28. März 2017, Rosneft, C‑72/15, EU:C:2017:236, Rn. 73. Die entsprechenden Rechte in der EMRK sind die Art. 6 und 13.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref34" name="Footnote34">34</a>      Urteil vom 15. Februar 2016, N. (C‑601/15 PPU, EU:C:2016:84, Rn. 56). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref35" name="Footnote35">35</a>      Meines Erachtens sind die Worte „Befindet sich ein Antragsteller in Haft“ in Erwägungsgrund 15 nicht dahin auszulegen, dass der Antragsteller tatsächlich körperlich in Haft zu sein hat, um eine gerichtliche Überprüfung beantragen zu können. Es ist aber auch ständige Rechtsprechung, dass die Erwägungsgründe eines Unionsrechtsakts rechtlich nicht verbindlich sind und weder herangezogen werden können, um von den Bestimmungen des betreffenden Rechtsakts abzuweichen, noch um diese Bestimmungen in einem Sinne auszulegen, der ihrem Wortlaut offensichtlich widerspricht (vgl. Urteil vom 24. November 2005, Deutsches Milch-Kontor, C‑136/04, EU:C:2005:716, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref36" name="Footnote36">36</a>      Siehe meine Stellungnahme in N. (C‑601/15 PPU, EU:C:2016:85, Nr. 136); vgl. auch Erwägungsgründe 10 und 35 der Richtlinie 2013/33. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref37" name="Footnote37">37</a>      Vgl. Urteil vom 22. Dezember 2008, Gordon/Kommission (C‑198/07 P, EU:C:2008:761, Rn. 19 und 60). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref38" name="Footnote38">38</a>      Vgl. z. B. Urteil vom 27. Juni 2013, Xeda International und Pace International/Kommission (C‑149/12 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:433, Rn. 32 und 33).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref39" name="Footnote39">39</a>      Vgl. entsprechend Urteile vom 28. Mai 2013, Abdulrahim/Rat und Kommission (C‑239/12 P, EU:C:2013:331, Rn. 70 bis 72), und vom 15. Juni 2017, Al-Faqih u. a./Kommission (C‑19/16 P, EU:C:2017:466, Rn. 36 und 37).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref40" name="Footnote40">40</a>      5. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/33.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref41" name="Footnote41">41</a>      Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (ABl. 2003, L 31, S. 18). Die Maßnahme beinhaltete keine spezifischen Gründe für die Inhaftnahme oder Garantien für Antragsteller.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref42" name="Footnote42">42</a>      Kommissionsvorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (Neufassung), KOM/2008/0815 endg. vom 3.12.2008.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref43" name="Footnote43">43</a>      Art. 4 der Richtlinie 2013/33. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref44" name="Footnote44">44</a>      Erst recht enthält die Richtlinie 2013/33 daher auch keine besonderen Bestimmungen über den Ablauf eines zweitinstanzlichen Verfahrens wie etwa, ob das Beschwerdeverfahren eines Antragstellers nach seiner Haftentlassung einzustellen ist.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref45" name="Footnote45">45</a>      Urteil vom 26. September 2018, Belastingdienst/Toeslagen (Aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels) (C‑175/17, EU:C:2018:776, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref46" name="Footnote46">46</a>      Die nationalen Bestimmungen dürfen nicht weniger günstig sein als die für entsprechende innerstaatliche Klagen (Grundsatz der Äquivalenz) und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder erschweren (Grundsatz der Effektivität), Urteil vom 26. September 2018, Belastingdienst/Toeslagen (Aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels) (C‑175/17, EU:C:2018:776, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung). Zum Grundsatz der Effektivität vgl. auch Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit ein wirksamer Rechtsschutz „in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen“ gewährleistet ist. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref47" name="Footnote47">47</a>      Siehe oben, Nr. 57.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref48" name="Footnote48">48</a>      Urteil vom 26. September 2018, Belastingdienst/Toeslagen (Aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels) (C‑175/17, EU:C:2018:776).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref49" name="Footnote49">49</a>      Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. 2005, L 326, S. 13). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref50" name="Footnote50">50</a>      Urteil vom 26. September 2018, Belastingdienst/Toeslagen (Aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels) (C‑175/17, EU:C:2018:776, Rn. 30).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref51" name="Footnote51">51</a>      Urteil vom 26. September 2018, Belastingdienst/Toeslagen (Aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels) (C‑175/17, EU:C:2018:776, Rn. 31 unter Verweis auf das Urteil vom 19. Juni 2018, Gnandi (C‑181/16, EU:C:2018:465, Rn. 51).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref52" name="Footnote52">52</a>      Urteil vom 2. September 2018, Belastingdienst/Toeslagen (Aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels) (C‑175/17, EU:C:2018:776, Rn. 47).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref53" name="Footnote53">53</a>      Urteil vom 17. Juli 2014, Sánchez Morcillo und Abril García (C‑169/14, EU:C:2014:2099).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref54" name="Footnote54">54</a>      Richtlinie des Rates vom 5. April 1993 (ABl. 1993, L 95, S. 29).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref55" name="Footnote55">55</a>      Vgl. Urteil vom 17. Juli 2014, Sánchez Morcillo und Abril García (C‑169/14, EU:C:2014:2099, Rn. 50).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref56" name="Footnote56">56</a>      Urteil vom 17. Juli 2014, Sánchez Morcillo und Abril García (C‑169/14, EU:C:2014:2099, Rn. 35).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref57" name="Footnote57">57</a>      Nach ständiger Rechtsprechung ist der Grundsatz der Waffengleichheit ebenso wie etwa der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens nur ein Ausfluss des Begriffs des fairen Verfahrens als solchem, das die Verpflichtung umfasst, jeder Partei eine angemessene Möglichkeit zu bieten, ihre Sache unter Bedingungen zu vertreten, die sie gegenüber ihrem Gegner nicht klar benachteiligen. Vgl. Urteil vom 17. Juli 2014, Sánchez Morcillo und Abril García (C‑169/14, EU:C:2014:2099, Rn. 48 und 49). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref58" name="Footnote58">58</a>      Urteil von 12. Februar 1974 (152/73, EU:C:1974:13). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref59" name="Footnote59">59</a>      Urteil vom 12. Februar 1974, Sotgiu (152/73, EU:C:1974:13, Rn. 4). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref60" name="Footnote60">60</a>      Meine Schlussanträge in der Rechtssache Star Storage u.a. (C‑439/14 und C‑488/14, EU:C:2016:307, Nrn. 37 und 38).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref61" name="Footnote61">61</a>      Urteil vom 6. Oktober 2015, Târșia (C‑69/14, EU:C:2015:662, Rn. 34). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref62" name="Footnote62">62</a>      Zu den völkerrechtlichen Instrumenten gehört das Genfer Abkommen über die Rechtstellung der Flüchtlinge, das in Genf am 28. Juli 1951 unterzeichnet wurde (United Nations Treaty Series, Bd. 189, S. 150, Nr. 2545 (1954)) in der Fassung des New Yorker Protokolls vom 31. Januar 1967 (im Folgenden: Genfer Flüchtlingskonvention); in deutscher Sprache verfügbar unter: https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/shop/media/pdf/7b/8b/76/GFK_Pocket_2015.pdf.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref63" name="Footnote63">63</a>      Urteil vom 26. September 2018, Belastingdienst/Toeslagen (Aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels) (C‑175/17, EU:C:2018:776, Rn. 43 mit Verweisung auf die Urteile vom 27. Juni 2013, Agrokonsulting-04 (C‑93/12, EU:C:2013:432, Rn. 39) und vom 9. November 2017, Dimos Zagoriou (C‑217/16, EU:C:2017:841, Rn. 20).</p>
|
175,010 | eugh-2019-01-31-c-22517 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-225/17 | 2019-01-31T00:00:00 | 2019-01-31T19:20:41 | 2019-01-31T19:20:41 | Urteil | ECLI:EU:C:2019:82 | <p>Vorläufige Fassung</p>
<p class="C19Centre">URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)</p>
<p class="C19Centre">31. Januar 2019(<a href="#Footnote*" name="Footref*">*</a>)</p>
<p class="C71Indicateur">„Rechtsmittel – Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen gegen die Islamische Republik Iran – Einfrieren von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen – Nichtigerklärung einer Aufnahme durch das Gericht der Europäischen Union – Änderung der Kriterien für die Aufnahme in eine Liste der Personen und Einrichtungen, deren Vermögenswerte eingefroren werden – Erneute Aufnahme – Beweise, die sich auf die Zeit vor der ersten Aufnahme beziehen – Tatsachen, die vor der ersten Aufnahme bekannt waren – Rechtskraft – Umfang – Rechtssicherheit – Vertrauensschutz – Grundsatz ne bis in idem – Effektiver gerichtlicher Rechtsschutz“</p>
<p class="C02AlineaAltA">In der Rechtssache C‑225/17 P</p>
<p class="C02AlineaAltA">betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 27. April 2017,</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Islamic Republic of Iran Shipping Lines</b> mit Sitz in Teheran (Iran), </p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Hafize Darya Shipping Lines (HDSL)</b> mit Sitz in Teheran, </p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Khazar Shipping Lines</b> mit Sitz in Anzali Free Zone (Iran), </p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>IRISL Europe GmbH</b> mit Sitz in Hamburg (Deutschland), </p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Qeshm Marine Services & Engineering Co.,</b> vormals IRISL Marine Services and Engineering Co., mit Sitz in Qeshm (Iran), </p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Irano Misr Shipping Co.</b> mit Sitz in Alexandria (Ägypten), </p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Safiran Payam Darya Shipping Lines</b> mit Sitz in Teheran, </p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Marine Information Technology Development Co., </b>vormals Shipping Computer Services Co., mit Sitz in Teheran, </p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Rahbaran Omid Darya Ship Management Co.,</b> auch bekannt als Soroush Sarzamin Asatir, mit Sitz in Teheran, </p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Hoopad Darya Shipping Agency,</b> vormals South Way Shipping Agency Co. Ltd, mit Sitz in Teheran, </p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Valfajr 8th Shipping Line Co.</b> mit Sitz in Teheran,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Prozessbevollmächtigte: M. Lester, QC, und M. Taher, Solicitor,</p>
<p class="C72Alineadroite">Rechtsmittelführerinnen,</p>
<p class="C02AlineaAltA">andere Parteien des Verfahrens:</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Rat der Europäischen Union,</b> vertreten durch J. Kneale und M. Bishop als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C72Alineadroite">Beklagter im ersten Rechtszug,</p>
<p class="C02AlineaAltA">unterstützt durch:</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Europäische Kommission,</b> vertreten durch D. Gauci und T. Scharf als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C72Alineadroite">Streithelferin im ersten Rechtszug (T‑87/14),</p>
<p class="C02AlineaAltA">erlässt</p>
<p class="C19Centre">DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Mitwirkung des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer sowie der Richter T. von Danwitz (Berichterstatter), C. Lycourgos, E. Juhász und C. Vajda,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Generalanwältin: E. Sharpston,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Kanzler: A. Calot Escobar,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund des schriftlichen Verfahrens,</p>
<p class="C02AlineaAltA">nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 13. September 2018</p>
<p class="C02AlineaAltA">folgendes</p>
<p class="C75Debutdesmotifs">
<b>Urteil</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point1">1</a>        Mit ihrem Rechtsmittel beantragen die Islamic Republic of Iran Shipping Lines (im Folgenden: IRISL), die Hafize Darya Shipping Lines (HDSL), die Khazar Shipping Lines, die IRISL Europe GmbH, die Qeshm Marine Services & Engineering Co. (vormals IRISL Marine Services and Engineering Co.), die Irano Misr Shipping Co., die Safiran Payam Darya Shipping Lines, die Marine Information Technology Development Co. (vormals Shipping Computer Services Co.), die Rahbaran Omid Darya Ship Management Co. (auch bekannt als Soroush Sarzamin Asatir), die Hoopad Darya Shipping Agency (vormals South Way Shipping Agency Co. Ltd) und die Valfajr 8th Shipping Line Co. die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 17. Februar 2017, Islamic Republic of Iran Shipping Lines u. a./Rat (T‑14/14 und T‑87/14, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2017:102), mit dem das Gericht ihre Anträge zurückgewiesen hat, die</p>
<p class="C03Tiretlong">–        in der Rechtssache T‑14/14 auf die Nichtigerklärung des Beschlusses 2013/497/GASP des Rates vom 10. Oktober 2013 zur Änderung des Beschlusses 2010/413/GASP über restriktive Maßnahmen gegen Iran (ABl. 2013, L 272, S. 46) sowie der Verordnung (EU) Nr. 971/2013 des Rates vom 10. Oktober 2013 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 267/2012 über restriktive Maßnahmen gegen Iran (ABl. 2013, L 272, S. 1), soweit diese Rechtsakte sie betreffen (im Folgenden: streitige Handlungen vom Oktober 2013), und</p>
<p class="C03Tiretlong">–        in der Rechtssache T‑87/14 (ABl. 2013, L 316, S. 1) auf die Feststellung der Unanwendbarkeit des Beschlusses 2013/497 und der Verordnung Nr. 971/2013 und auf die Nichtigerklärung des Beschlusses 2013/685/GASP des Rates vom 26. November 2013 zur Änderung des Beschlusses 2010/413/GASP über restriktive Maßnahmen gegen Iran (ABl. 2013, L 316, S. 46) und der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1203/2013 des Rates vom 26. November 2013 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 267/2012 über restriktive Maßnahmen gegen Iran (ABl. 2013, L 316, S. 1), soweit diese Rechtsakte sie betreffen (im Folgenden: streitige Handlungen vom November 2013), gerichtet waren.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Vorgeschichte des Rechtsstreits</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point2">2</a>        Am 23. Dezember 2006 nahm der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (im Folgenden: Sicherheitsrat) die Resolution 1737 (2006) an. Nach deren Ziff. 7 darf die Islamische Republik Iran die mit ihren proliferationsrelevanten nuklearen Tätigkeiten oder der Entwicklung von Trägersystemen für Kernwaffen zusammenhängenden Güter und Technologien nicht ausführen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point3">3</a>        Am 24. März 2007 nahm der Sicherheitsrat die Resolution 1747 (2007) an. Nach deren Ziff. 5 darf die Islamische Republik Iran keine Rüstungsgüter oder sonstiges Wehrmaterial aus ihrem Hoheitsgebiet oder durch ihre Staatsangehörigen oder unter Benutzung von ihre Flagge führenden Schiffen oder Luftfahrzeugen, sei es auf direktem oder indirektem Weg, liefern, verkaufen oder transferieren.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point4">4</a>        Am 9. Juni 2010 nahm der Sicherheitsrat die Resolution 1929 (2010) an, durch die der Geltungsbereich der mit den vorgenannten Resolutionen verhängten restriktiven Maßnahmen ausgeweitet wurde und weitere restriktive Maßnahmen gegen die Islamische Republik Iran eingeführt wurden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point5">5</a>        Der Europäische Rat begrüßte am 17. Juni 2010 die Annahme der Resolution 1929 (2010) und ersuchte den Rat der Europäischen Union, Maßnahmen zur Umsetzung der in dieser Resolution vorgesehenen Maßnahmen sowie Begleitmaßnahmen zu erlassen, damit alle noch bestehenden Bedenken in Bezug auf die Entwicklung sensibler Technologien durch die Islamische Republik Iran zur Unterstützung ihrer Nuklear- und Trägerraketenprogramme auf dem Verhandlungsweg ausgeräumt werden können (im Folgenden: Erklärung vom 17. Juni 2010). Diese Maßnahmen sollten sich auf den Handel, den Finanzsektor, den iranischen Verkehrssektor, darunter IRISL und ihre Tochtergesellschaften, und Schlüsselbranchen der Gas- und Ölindustrie konzentrieren. Es war ebenfalls vorgesehen, die Maßnahme des Einfrierens von Vermögenswerten insbesondere auf die Mitglieder des Korps der Islamischen Revolutionsgarden zu erstrecken.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point6">6</a>        Am 26. Juli 2010 wurde der Beschluss 2010/413/GASP des Rates über restriktive Maßnahmen gegen Iran und zur Aufhebung des Gemeinsamen Standpunkts 2007/140/GASP (ABl. 2010, L 195, S. 39, berichtigt im ABl. 2010, L 197, S. 19) erlassen, in dessen Erwägungsgründen 4, 5, 7 und 8 es heißt:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">„(4)      Der Sicherheitsrat … hat am 9. Juni 2010 die Resolution 1929 (2010) angenommen …</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(5)      Der Europäische Rat hat am 17. Juni 2010 … den Rat ersucht, Maßnahmen zur Umsetzung der in der Resolution 1929 (2010) [des Sicherheitsrats] vorgesehenen Maßnahmen sowie Begleitmaßnahmen zu erlassen.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(7)      Die Resolution 1929 (2010) weitet die mit der Resolution 1737 (2006) verhängten finanziellen Restriktionen und Reisebeschränkungen auf weitere Personen und Einrichtungen aus, einschließlich auf Personen und Einrichtungen des Korps der Islamischen Revolutionsgarden und Einrichtungen [von IRISL].</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(8)      Gemäß der [Erklärung vom 17. Juni 201] sollten die Einreisebeschränkungen und das Einfrieren von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen auf die Personen und Einrichtungen, die vom Sicherheitsrat …, benannt werden, und darüber hinaus auf weitere Personen und Einrichtungen Anwendung finden …“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point7">7</a>        Art. 20 Abs. 1 Buchst. b dieses Beschlusses sah das Einfrieren von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen von „Personen und Einrichtungen“ vor, „die an den … nuklearen Tätigkeiten Irans … beteiligt sind, direkt damit in Verbindung stehen oder Unterstützung dafür bereitstellen … oder Personen und Einrichtungen, die den benannten Personen oder Einrichtungen bei der Umgehung der Bestimmungen der Resolutionen 1737 (2006), 1747 (2007), 1803 (2008) und 1929 (2010) oder dieses Beschlusses oder bei dem Verstoß gegen diese Bestimmungen behilflich waren, sowie weitere führende Mitglieder und Einrichtungen … [von IRISL] und von Einrichtungen, die unter ihrem Eigentum oder ihrer Kontrolle stehen oder in ihrem Namen handeln; diese sind in Anhang II aufgeführt.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point8">8</a>        Die Namen der Rechtsmittelführerinnen wurden in den Anhang II dieses Beschlusses aufgenommen. Begründet wurde dies für IRISL u. a. damit, dass sie „an der Beförderung militärischer Fracht, einschließlich verbotener Fracht aus Iran [beteiligt war]. Drei dieser Vorfälle beinhalteten klare Verletzungen, die dem Iran-Sanktionsausschuss des [Sicherheitsrats] gemeldet wurden. …“ Die Begründung für die übrigen Rechtsmittelführerinnen lautete, dass sie im Eigentum oder unter der Kontrolle von IRISL stünden oder in ihrem Namen handelten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point9">9</a>        Mit der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 668/2010 des Rates zur Durchführung von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 423/2007 über restriktive Maßnahmen gegen Iran (ABl. 2010, L 195, S. 25) wurden ebenfalls am 26. Juli 2010 die Namen der Rechtsmittelführerinnen aus im Wesentlichen mit den in der vorstehenden Randnummer angeführten identischen Gründen der Liste in Anhang V der Verordnung (EG) Nr. 423/2007 des Rates vom 19. April 2007 über restriktive Maßnahmen gegen Iran (ABl. 2007, L 103, S. 1) hinzugefügt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point10">10</a>      Die Verordnung (EU) Nr. 961/2010 des Rates vom 25. Oktober 2010 über restriktive Maßnahmen gegen Iran und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 423/2007 (ABl. 2010, L 281, S. 1) sah in Art. 16 Abs. 2 Buchst. d das Einfrieren der Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen vor, die Eigentum oder Besitz der in Anhang VIII aufgeführten Personen, Organisationen und Einrichtungen waren, für die festgestellt wurde, dass sie „juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die im Eigentum oder unter der Kontrolle [von IRISL] stehen“, sind. Dieses Aufnahmekriterium wurde im Wesentlichen in Art. 23 Abs. 2 Buchst. e der Verordnung (EG) Nr. 267/2012 des Rates vom 23. März 2012 über restriktive Maßnahmen gegen Iran und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 961/2010 (ABl. 2012, L 88, S. 1) übernommen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point11">11</a>      Die Namen der Rechtsmittelführerinnen verblieben aus im Wesentlichen mit den in Rn. 8 des vorliegenden Urteils angeführten identischen Gründen immer wieder in Anhang VIII der Verordnung Nr. 961/2010 und in Anhang IX der Verordnung Nr. 267/2012.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point12">12</a>      Mit Urteil vom 16. September 2013, Islamic Republic of Iran Shipping Lines u. a./Rat (T‑489/10, im Folgenden: Urteil vom 16. September 2013, EU:T:2013:453), erklärte das Gericht Anhang II des Beschlusses 2010/413, den Anhang der Durchführungsverordnung Nr. 668/2010, Anhang VIII der Verordnung Nr. 961/2010 und Anhang IX der Verordnung Nr. 267/2012 für nichtig, soweit sie die Rechtsmittelführerinnen betrafen. Zur Begründung führte es aus, dass der Rat seine Behauptung, IRISL sei einer bereits benannten Person oder Einrichtung bei der Verletzung von Resolutionen des Sicherheitsrats behilflich gewesen, nicht rechtlich hinreichend begründet habe. Er habe auch nicht nachgewiesen, dass IRISL für die nukleare Proliferation Unterstützung bereitgestellt habe, indem sie dreimal unter Verstoß gegen das Rüstungsgüterembargo militärische Güter befördert habe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point13">13</a>      Der Rat erließ am 10. Oktober 2013 den Beschluss 2013/497. Nach dem zweiten Erwägungsgrund dieses Beschlusses sollten die Kriterien für die Benennung im Hinblick auf das Einfrieren von Geldern, die Personen und Einrichtungen betreffen, die bereits benannten Personen und Einrichtungen Hilfe dabei geleistet haben, die Bestimmungen der einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrats oder des Beschlusses 2010/413 zu umgehen bzw. gegen diese zu verstoßen, angepasst werden, um Personen und Einrichtungen zu erfassen, die selbst gegen die genannten Bestimmungen verstoßen haben bzw. diese umgangen haben.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point14">14</a>      Mit diesem Beschluss wurde der Wortlaut von Art. 20 Abs. 1 Buchst. b des Beschlusses 2010/413 wie folgt geändert:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„… Personen und Einrichtungen, die an den … nuklearen Tätigkeiten Irans … beteiligt sind oder direkt damit in Verbindung stehen …, oder Personen und Einrichtungen, die den benannten Personen oder Einrichtungen bei der Umgehung der Bestimmungen der Resolutionen 1737 (2006), 1747 (2007), 1803 (2008) und 1929 (2010) des Sicherheitsrates … oder dieses Beschlusses oder bei dem Verstoß gegen diese Bestimmungen behilflich waren oder die selbst eine solche Umgehung oder einen solchen Verstoß begangen haben, sowie weitere Mitglieder und Einrichtungen … [von IRISL] und von Einrichtungen, die in deren Eigentum oder unter deren Kontrolle stehen oder Personen und Einrichtungen, die [in deren] Namen … handeln oder Personen und Einrichtungen, die Versicherungsdienstleistungen oder sonstige wesentliche Dienstleistungen für … [IRISL] oder für Einrichtungen, die in deren Eigentum oder unter deren Kontrolle stehen bzw. in deren Namen handeln, erbringen; diese sind in Anhang II aufgeführt.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point15">15</a>      Ebenfalls am 10. Oktober 2013 erließ der Rat die Verordnung Nr. 971/2013, um den Beschluss 2013/497 in der Europäischen Union umzusetzen. Mit dieser Verordnung wurde der Wortlaut von Art. 23 Abs. 2 Buchst. b und e der Verordnung Nr. 267/2012 wie folgt geändert:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„… In Anhang IX sind die natürlichen und juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen aufgeführt, in Bezug auf die festgestellt wurde, dass sie …:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen sind, die diese Verordnung, den Beschluss [2010/413] oder die Resolutionen 1737 (2006), 1747 (2007), 1803 (2008) und 1929 (2010) des [Sicherheitsrats] umgangen oder verletzt haben oder einer in der Liste aufgeführten Person, Organisation oder Einrichtung bei einer solchen Umgehung oder Verletzung behilflich waren;</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">e)      juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen sind, die im Eigentum oder unter der Kontrolle [von IRISL] stehen oder natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen sind, die in ihrem Namen handeln, oder natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen sind, die Versicherungs- oder sonstige wesentliche Dienstleistungen für [IRISL] oder für Einrichtungen erbringen, die in [deren] Eigentum oder unter [deren] Kontrolle stehen oder in [deren] Namen handeln.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point16">16</a>      Mit den streitigen Handlungen vom November 2013 nahm der Rat die Namen der Rechtsmittelführerinnen erneut in die in Anhang II des Beschlusses 2010/413 und in Anhang IX der Verordnung Nr. 267/2012 enthaltenen Listen der Personen und Einrichtungen, deren Vermögenswerte eingefroren werden (im Folgenden: streitige Listen), auf.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point17">17</a>      Die Gründe für die Aufnahme von IRISL in diese Listen waren identisch und lauteten:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„IRISL war an der Beförderung von Wehrmaterial aus Iran unter Verstoß gegen Nummer 5 der Resolution 1747 (2007) des [Sicherheitsrats] beteiligt. Dem Iran-Sanktionsausschuss des [Sicherheitsrats] sind im Jahr 2009 drei klare Verletzungen gemeldet worden.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point18">18</a>      Die erneute Aufnahme der übrigen Rechtsmittelführerinnen in diese Listen wurde bei HDSL, Safiran Payam Darya Shipping Lines und Hoopad Darya Shipping Agency damit begründet, dass sie „im Namen der IRISL“ handelten, bei Khazar Shipping Lines, IRISL Europe und Valfajr 8th Shipping Line, dass sie „im Eigentum der IRISL“ stünden, bei Qeshm Marine Services & Engineering und Marine Information Technology Development, dass sie „von IRISL kontrolliert“ würden, bei Irano Misr Shipping, dass sie „wesentliche Dienstleistungen für die IRISL“ erbringe und bei Rahbaran Omid Darya Ship Management, dass sie „im Namen der IRISL“ handele und „ihr wesentliche Dienstleistungen“ erbringe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point19">19</a>      Am 18. Oktober 2015 erließ der Rat zur Umsetzung des mit der Islamischen Republik Iran vereinbarten gemeinsamen umfassenden Aktionsplans zur iranischen Nuklearfrage vom 14. Juli 2015 zum einen den Beschluss (GASP) 2015/1863 zur Änderung des Beschlusses 2010/413/GASP über restriktive Maßnahmen gegen Iran (ABl. 2015, L 274, S. 174), mit dem die Anwendung der im Beschluss 2013/685 vorgesehenen restriktiven Maßnahmen gegenüber den Rechtsmittelführerinnen ausgesetzt wurde, und zum anderen die Durchführungsverordnung (EU) 2015/1862 zur Durchführung der Verordnung Nr. 267/2012 (ABl. 2015, L 274, S. 161), mit der ihre Namen von der Liste in Anhang IX der Verordnung Nr. 267/2012 gestrichen wurden.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point20">20</a>      Mit Klageschriften, die am 6. Januar und 7. Februar 2014 bei der Kanzlei des Gerichts eingingen, erhoben die Rechtsmittelführerinnen in der Rechtssache T‑14/14 Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Handlungen vom Oktober 2013 und in der Rechtssache T‑87/14 auf Nichtigerklärung der streitigen Handlungen vom November 2013 sowie auf Erklärung der Unanwendbarkeit der streitigen Handlungen vom Oktober 2013 gemäß Art. 277 AEUV. Das Gericht verband diese beiden Rechtssachen zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung und Entscheidung.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point21">21</a>      Im angefochtenen Urteil entschied das Gericht über die Klage in der Rechtssache T‑87/14, nachdem es die Klage in der Rechtssache T‑14/14 abgewiesen hatte. In den Rn. 53 bis 105 des angefochtenen Urteils wies es zunächst alle Klagegründe zurück, mit denen die Rechtsmittelführerinnen ihre Einrede der Rechtswidrigkeit der streitigen Handlungen vom Oktober 2013 untermauert hatten. Diese Klagegründe waren erstens auf eine fehlende Rechtsgrundlage, zweitens auf eine Verletzung ihres berechtigten Vertrauens sowie des Grundsatzes der Rechtssicherheit, des Grundsatzes <i>ne bis in idem</i> und des Grundsatzes der Rechtskraft, drittens auf einen Ermessensmissbrauch, viertens auf eine Verletzung ihrer Verteidigungsrechte und fünftens auf eine Verletzung ihrer Grundrechte, insbesondere ihres Eigentumsrechts und des Rechts auf Wahrung ihres Ansehens gestützt. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point22">22</a>      In den Rn. 106 bis 211 des angefochtenen Urteils wies das Gericht sodann alle Klagegründe zurück, mit denen die Rechtsmittelführerinnen ihren Antrag auf Nichtigerklärung der streitigen Handlungen vom November 2013 untermauert hatten. Diese Klagegründe waren erstens auf eine fehlende Rechtsgrundlage, zweitens auf offensichtliche Beurteilungsfehler seitens des Rates, drittens auf eine Verletzung der Verteidigungsrechte, viertens auf eine Verletzung der Grundsätze des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit und der Rechtskraft sowie des Grundsatzes <i>ne bis in idem</i> und des Diskriminierungsverbots und fünftens auf eine Verletzung ihrer Grundrechte, insbesondere ihres Eigentumsrechts und des Rechts auf Wahrung ihres Ansehens, sowie eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gestützt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point23">23</a>      Folglich wies das Gericht die Klage in den Rechtssachen T‑14/14 und T‑87/14 insgesamt ab.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Anträge der Parteien vor dem Gerichtshof</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point24">24</a>      Die Rechtsmittelführerinnen beantragen,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        das angefochtene Urteil aufzuheben;</p>
<p class="C03Tiretlong">–        ihren vor dem Gericht gestellten Anträgen stattzugeben;</p>
<p class="C03Tiretlong">–        dem Rat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens und des Verfahrens des ersten Rechtszugs aufzuerlegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point25">25</a>      Der Rat beantragt,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        das Rechtsmittel als unzulässig und, hilfsweise, als unbegründet zurückzuweisen;</p>
<p class="C03Tiretlong">–        hilfsweise, für den Fall, dass der Gerichtshof das angefochtene Urteil aufhebt und selbst endgültig in der Sache entscheidet, die Nichtigkeitsklage abzuweisen und den Antrag auf Erklärung der Unanwendbarkeit zurückzuweisen;</p>
<p class="C03Tiretlong">–        den Rechtsmittelführerinnen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point26">26</a>      Die Europäische Kommission beantragt,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        das Rechtsmittel als unzulässig und, hilfsweise, als unbegründet zurückzuweisen;</p>
<p class="C03Tiretlong">–        den Rechtsmittelführerinnen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Zum Rechtsmittel</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur Zulässigkeit des Rechtsmittels</b>
</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Vorbringen der Parteien</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point27">27</a>      Der Rat wendet die Unzulässigkeit des Rechtsmittels ein und führt zur Begründung aus, die Rechtsmittelführerinnen hätten kein Interesse an einer Entscheidung darüber, da die gegen sie ergriffenen restriktiven Maßnahmen durch den Beschluss 2015/1863 und die Durchführungsverordnung 2015/1862 aufgehoben worden seien und sein Beschluss, sie mit den streitigen Handlungen vom November 2013 erneut in die streitigen Listen aufzunehmen, ihr Ansehen nicht beschädige. Insbesondere beziehe sich die Begründung für die Wiederaufnahme auf einen öffentlichen Bericht des Sanktionsausschusses des Sicherheitsrats für das Jahr 2009.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point28">28</a>      Die Kommission fügt hinzu, dass das Rechtsmittel für unzulässig zu erklären sei, da die Rechtsmittelführerinnen in Wahrheit eine Überprüfung der vom Gericht entschiedenen Rechtssache durch den Gerichtshof begehrten. Die Rechtsmittelführerinnen beschränkten sich weitgehend darauf, die Gründe und Argumente zu wiederholen, die sie vor dem Gericht vorgetragen hätten, ohne sich auf Rechtsfragen zu beschränken. Dies gelte insbesondere für ihren sechsten Rechtsmittelgrund.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point29">29</a>      Die Rechtsmittelführerinnen halten das Rechtsmittel für zulässig. Sie tragen vor, dass sie sehr wohl ein Interesse daran hätten, die Rechtswidrigkeit <i>ab initio</i> der gegen sie ergriffenen restriktiven Maßnahmen anerkennen zu lassen, ihr Ansehen wiederherzustellen, das von der Union selbst geschädigt worden sei, und gegebenenfalls eine Schadensersatzklage zu erheben. Außerdem gingen die Rechtsfehler des Gerichts, die zur Nichtigerklärung des angefochtenen Urteils führen müssten, klar aus ihrer Rechtsmittelschrift hervor.</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Würdigung durch den Gerichtshof</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point30">30</a>      Als Erstes ist zum Rechtsschutzinteresse darauf hinzuweisen, dass dessen Vorliegen nach ständiger Rechtsprechung voraussetzt, dass das Rechtsmittel der Partei, die es eingelegt hat, im Ergebnis einen Vorteil verschaffen kann (Urteil vom 21. Dezember 2011, Frankreich/People’s Mojahedin Organization of Iran, C‑27/09 P, EU:C:2011:853, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point31">31</a>      Der Gerichtshof hat ferner entschieden, dass eine Person oder Einrichtung, deren Name in eine Liste von Personen und Einrichtungen, deren Vermögenswerte eingefroren werden, aufgenommen wurde, unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf ihren Ruf, auch nach Streichung ihres Namens von dieser Liste oder nach Aussetzung des Einfrierens ihrer Vermögenswerte, zumindest ein immaterielles Interesse an der Nichtigerklärung dieser Aufnahme behält, um vom Unionsrichter anerkennen zu lassen, dass sie niemals in eine solche Liste hätte aufgenommen werden dürfen (Urteile vom 29. November 2018, National Iranian Tanker Company/Rat, C‑600/16 P, EU:C:2018:966, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 29. November 2018, Bank Tejarat/Rat, C‑248/17 P, EU:C:2018:967, Rn. 29).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point32">32</a>      Demnach haben die Rechtsmittelführerinnen im Hinblick auf die Weiterverfolgung der Nichtigerklärung ihrer erneuten Aufnahme in die streitigen Listen zumindest ein immaterielles Interesse an der Nichtigerklärung des angefochtenen Urteils, obwohl gemäß dem Beschluss 2015/1863 und der Durchführungsverordnung 2015/1862 das Einfrieren ihrer Vermögenswerte aufgrund der erneuten Aufnahme in die Liste in Anhang II des Beschlusses 2010/413 ausgesetzt und ihre Namen von der Liste in Anhang IX der Verordnung Nr. 267/2012 gestrichen wurden. Auch die bloße Tatsache, dass eine solche Aufnahme auf einem öffentlichen Bericht einer internationalen Einrichtung wie dem Sicherheitsrat beruht, stellt nicht das – zumindest immaterielle – Interesse der betroffenen Person oder Einrichtung in Frage, die Nichtigerklärung eines Rechtsakts der Union zu verfolgen, der allein schon ihrem Ansehen schaden oder einen bereits bestehenden Schaden noch verschlimmern könnte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point33">33</a>      Die vom Rat erhobene Einrede der Unzulässigkeit greift daher nicht durch.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point34">34</a>      Soweit als Zweites die Kommission die Unzulässigkeit des Rechtsmittels einwendet, weil die Rechtsmittelführerinnen nur eine Überprüfung der bereits vor dem Gericht vorgetragenen Klagegründe und Argumente begehrten, ist darauf hinzuweisen, dass im ersten Rechtszug geprüfte Rechtsfragen im Rechtsmittelverfahren erneut aufgeworfen werden können, wenn der Rechtsmittelführer die Auslegung oder Anwendung des Unionsrechts durch das Gericht beanstandet. Könnte nämlich ein Rechtsmittelführer sein Rechtsmittel nicht in dieser Weise auf bereits vor dem Gericht geltend gemachte Klagegründe und Argumente stützen, so würde dies dem Rechtsmittelverfahren einen Teil seiner Bedeutung nehmen (Urteile vom 19. Januar 2017, Kommission/Total und Elf Aquitaine, C‑351/15 P, EU:C:2017:27, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 17. Mai 2017, Portugal/Kommission, C‑337/16 P, EU:C:2017:381, Rn. 20).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point35">35</a>      Im vorliegenden Fall werden im Rechtsmittel bei einer Gesamtbetrachtung die beanstandeten Randnummern des angefochtenen Urteils und die Gründe, aus denen sie nach Ansicht der Rechtsmittelführerinnen Rechtsfehler enthalten, hinreichend präzise angegeben, und es wird entgegen dem, was die Kommission nahegelegt hat, nicht nur Vorbringen wiederholt oder wiedergegeben, so dass es dem Gerichtshof möglich ist, seine Rechtmäßigkeitskontrolle vorzunehmen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point36">36</a>      Demnach ist die von der Kommission erhobene Einrede der Unzulässigkeit zu verwerfen, soweit sie sich gegen das Rechtsmittel insgesamt richtet.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point37">37</a>      Diese Feststellung greift jedoch in keiner Weise der Prüfung der Zulässigkeit einzelner, jeweils für sich genommener Rechtsmittelgründe vor (Urteile vom 14. Juni 2016, Marchiani/Parlament, C‑566/14 P, EU:C:2016:437, Rn. 34, und vom 4. Mai 2017, RFA International/Kommission, C‑239/15 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:337, Rn. 20).</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur Begründetheit</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point38">38</a>      Die Rechtsmittelführerinnen stützen ihr Rechtsmittel auf neun Gründe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point39">39</a>      Mit den ersten fünf Gründen werden Rechtsfehler des Gerichts bei der Prüfung der Klagegründe gerügt, die für die Einrede der Rechtswidrigkeit der streitigen Handlungen vom Oktober 2013 in der Rechtssache T‑87/14 angeführt worden waren. Mit diesen Handlungen hatte der Rat die Kriterien für die Aufnahme in die Listen der Personen und Einrichtungen, deren Vermögenswerte eingefroren werden, geändert.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point40">40</a>      Mit den letzten vier Rechtsmittelgründen wird die Prüfung der in der Rechtssache T‑87/14 vorgetragenen Gründe für die Nichtigerklärung der streitigen Handlungen vom November 2013 durch das Gericht gerügt. Mit diesen Handlungen hatte der Rat die Namen der Rechtsmittelführerinnen erneut in die streitigen Listen aufgenommen, und zwar für IRISL auf der Grundlage des Aufnahmekriteriums nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. b des Beschlusses 2010/413 in der durch den Beschluss 2013/497 geänderten Fassung und nach Art. 23 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 267/2012 in der durch die Verordnung Nr. 971/2013 geänderten Fassung (im Folgenden: Kriterium des Verstoßes gegen die Resolution 1747 [2007]) und für die übrigen Rechtsmittelführerinnen auf der Grundlage des Aufnahmekriteriums nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. b des Beschlusses 2010/413 in der durch den Beschluss 2013/497 geänderten Fassung und nach Art. 23 Abs. 2 Buchst. e der Verordnung Nr. 267/2012 in der durch die Verordnung Nr. 971/2013 geänderten Fassung (im Folgenden: Kriterium der Verbindung zu IRISL).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point41">41</a>      Als Erstes sind der zweite und der achte Rechtsmittelgrund zusammen mit den dritten Teilen des ersten und des sechsten Rechtsmittelgrundes zu prüfen, mit denen Rechtsfehler in Bezug auf die Folgen des Urteils vom 16. September 2013 gerügt werden, als Zweites der zweite Teil des ersten Rechtsmittelgrundes, mit dem gerügt wird, es sei auf das Argument, der Rat habe keinen objektiven Grund und keine Rechtfertigung für die Änderung der Kriterien für die Aufnahme in die Listen der Personen und Einrichtungen, deren Vermögenswerte eingefroren werden, durch die streitigen Handlungen vom Oktober 2013 geliefert, nicht eingegangen worden, als Drittes der vierte und der siebte Rechtsmittelgrund, mit denen eine Verletzung der Verteidigungsrechte gerügt wird, als Viertes der dritte, der fünfte und der neunte Rechtsmittelgrund zusammen mit dem ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes und dem zweiten Teil des sechsten Rechtsmittelgrundes, mit denen eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und der Grundrechte sowie ein Rechtsfehler des Gerichts wegen der Verneinung eines Ermessensmissbrauchs durch den Rat gerügt wird, und als Letztes der erste Teil des sechsten Rechtsmittelgrundes, mit dem Rechtsfehler des Gerichts gerügt werden, weil es nicht festgestellt habe, dass der Rat mehrere offensichtliche Beurteilungsfehler begangen habe.</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Zum zweiten und zum achten Rechtsmittelgrund und zu den dritten Teilen des ersten und des sechsten Rechtsmittelgrundes </i>
</p>
<p class="C07Titre4">–       <i>Vorbringen der Parteien</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point42">42</a>      Mit dem zweiten und dem achten Rechtsmittelgrund sowie den dritten Teilen des ersten und des sechsten Rechtsmittelgrundes machen die Rechtsmittelführerinnen im Wesentlichen geltend, das Gericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Rat im Anschluss an das rechtskräftige Urteil vom 16. September 2013 die streitigen Handlungen vom Oktober 2013 und November 2013 habe erlassen können, ohne den Grundsatz der Rechtskraft, die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit, den Grundsatz <i>ne bis in idem</i> oder das in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verankerte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf zu verletzen. Die einzige Begründung für die streitigen Handlungen vom Oktober 2013 sei eine Umgehung dieses Urteils.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point43">43</a>      Die genannten Grundsätze stünden dem entgegen, dass der Rat die Aufnahmekriterien für ihre erneute Aufnahme in die streitigen Listen umformuliere, ohne dass sich der Sachverhalt geändert habe oder neue Beweise vorlägen und obwohl im Urteil vom 16. September 2013 festgestellt worden sei, dass zwischen dem in Ziff. 5 der Resolution 1747 (2007) vorgesehenen Verbot der Beförderung von Rüstungsgütern und der nuklearen Proliferation kein Zusammenhang bestehe, und das Aufnahmekriterium für die mit IRISL verbundenen Einrichtungen zurückgewiesen worden sei. Die erneute Aufnahme von IRISL sei auf dieselben Behauptungen zu angeblichen Verstößen gegen die Resolution 1747 (2007) im Jahr 2009 gestützt wie diejenigen, auf deren Grundlage ihre mit dem Urteil vom 16. September 2013 für nichtig erklärte ursprüngliche Aufnahme erfolgt sei. Das Gericht habe sich auf die Feststellung beschränkt, dass diese Vorkommnisse hinreichend aktuell gewesen seien.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point44">44</a>      Zudem verleihe die Möglichkeit, eine Person oder Einrichtung erneut in eine Liste von Personen und Einrichtungen, deren Vermögenswerte eingefroren werden, aufzunehmen, nachdem eine erste Aufnahme für nichtig erklärt worden sei, dem Rat keine absolute und unbegrenzte Befugnis zur erneuten Aufnahme wegen desselben, aber anders beschriebenen Sachverhalts. Die Rn. 186 bis 189 des angefochtenen Urteils seien daher fehlerhaft. Eine andere Auslegung „verewige“ den Rechtsstreit nur und nähme dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf seinen Sinn. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point45">45</a>      Der Rat tritt mit Unterstützung der Kommission dem Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen entgegen.</p>
<p class="C07Titre4">–       <i>Würdigung durch den Gerichtshof</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point46">46</a>      Zunächst ist festzustellen, dass, wie das Gericht in Rn. 183 des angefochtenen Urteils zu Recht ausgeführt hat, die von den Unionsgerichten erlassenen Nichtigkeitsurteile, sobald sie unanfechtbar geworden sind, Rechtskraft erlangen. Diese erstreckt sich nicht nur auf den Tenor des Nichtigkeitsurteils, sondern auch auf die Gründe, die den Tenor tragen und daher von diesem nicht zu trennen sind (Urteile vom 29. November 2018, National Iranian Tanker Company/Rat, C‑600/16 P, EU:C:2018:966, Rn. 42, sowie vom 29. November 2018, Bank Tejarat/Rat, C‑248/17 P, EU:C:2018:967, Rn. 70).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point47">47</a>      Nach ständiger Rechtsprechung erstreckt sich die Rechtskraft außerdem lediglich auf diejenigen Tatsachen- und Rechtsfragen, die tatsächlich oder notwendigerweise Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung waren (Urteile vom 29. März 2011, ThyssenKrupp Nirosta/Kommission, C‑352/09 P, EU:C:2011:191, Rn. 123, sowie vom 13. September 2017, Pappalardo u. a./Kommission, C‑350/16 P, EU:C:2017:672, Rn. 37), wie sich aus Rn. 184 des angefochtenen Urteils ergibt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point48">48</a>      Im vorliegenden Fall hatte das Gericht, worauf es in Rn. 185 des angefochtenen Urteils zu Recht hingewiesen hat, im Urteil vom 16. September 2013 die ursprüngliche Aufnahme von IRISL für nichtig erklärt, nachdem es in den Rn. 38 und 39 dieses Urteils die Begründung für diese Aufnahme, sie sei einer benannten Person oder Einrichtung bei einem Verstoß gegen die Resolutionen des Sicherheitsrats behilflich gewesen, als unzureichend eingestuft und in den Rn. 58 und 66 festgestellt hatte, dass der Rat nicht nachgewiesen habe, dass IRISL, indem sie dreimal unter Verstoß gegen das Verbot nach Ziff. 5 der Resolution 1747 (2007) militärische Güter befördert habe, für die nukleare Proliferation Unterstützung bereitgestellt habe. Damit hat das Gericht jedoch weder die drei Vorkommnisse noch die Beweise dafür in Frage gestellt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point49">49</a>      Das Gericht hat hingegen, wie ebenfalls zu Recht aus den Rn. 80, 186 und 187 des angefochtenen Urteils hervorgeht, im Urteil vom 16. September 2013 weder zur Gültigkeit der Aufnahmekriterien Stellung genommen, auf deren Grundlage die ursprüngliche Aufnahme von IRISL erfolgte und die sich auf die Bereitstellung von Unterstützung für die nukleare Proliferation und die Hilfe für eine benannte Person oder Einrichtung beim Verstoß gegen die Resolutionen des Sicherheitsrates bezogen, noch hat es folgerichtig etwas zu der Frage ausgeführt, ob die Aufnahme von IRISL auf der Grundlage des Kriteriums des Verstoßes gegen die Resolution 1747 (2007) gerechtfertigt war.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point50">50</a>      Hinsichtlich der anderen Rechtsmittelführerinnen ergibt sich zutreffend aus Rn. 188 des angefochtenen Urteils, dass das Gericht im Urteil vom 16. September 2013, ohne die Rechtmäßigkeit der Kriterien zu prüfen, auf deren Grundlage sie in die Listen aufgenommen wurden, und ohne zu prüfen, ob sie diese Kriterien erfüllten, lediglich festgestellt hat, dass der Umstand, dass sie im Eigentum von IRISL oder unter ihrer Kontrolle stünden oder in ihrem Namen handelten, nicht den Erlass und die Aufrechterhaltung von restriktiven Maßnahmen gegen sie rechtfertige, da IRISL selbst nicht wirksam in die Listen der Personen und Einrichtungen, deren Vermögenswerte eingefroren würden, aufgenommen worden sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point51">51</a>      Wie die Generalanwältin in Nr. 106 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, ist den Feststellungen des Gerichts im Urteil vom 16. September 2013, auf die in den Rn. 48 bis 50 des vorliegenden Urteils eingegangen worden ist und die nach der in den Rn. 46 und 47 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung in Rechtskraft erwachsen, nicht zu entnehmen, dass der Rat im Rahmen der Maßnahmen, die ergriffen wurden, um dem Urteil vom 16. September 2013 nachzukommen, nicht hätte entscheiden können, die bestehenden Aufnahmekriterien, auf deren Grundlage die Rechtsmittelführerinnen ursprünglich aufgenommen worden waren, beizubehalten oder sie – in seiner Rolle als Gesetzgeber – anzupassen, um mittels der Verstärkung der zur Verfügung stehenden rechtlichen Mittel das Ziel zu verfolgen, Druck auf die Islamische Republik Iran auszuüben, damit sie ihr Nuklearproliferationsprogramm einstellen muss.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point52">52</a>      Wie das Gericht in Rn. 186 des angefochtenen Urteils zu Recht festgestellt hat, war die erneute Aufnahme von IRISL in die streitigen Listen insoweit auf ein anderes Kriterium gestützt als diejenigen, auf deren Grundlage sie durch die mit dem Urteil vom 16. September 2013 für nichtig erklärten Beschlüsse in die Listen aufgenommen wurde, und damit auf eine andere rechtliche Grundlage (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. November 2018, Bank Tejarat/Rat, C‑248/17 P, EU:C:2018:967, Rn. 74).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point53">53</a>      Überdies hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Rechtswidrigkeit von Handlungen, mit denen eine Person oder Einrichtung in eine Liste von Personen und Einrichtungen, deren Vermögenswerte eingefroren werden, aufgenommen wurde, wenn sich die Rechtswidrigkeit daraus ergibt, dass die vom Rat vorgelegten Informationen nicht ausreichten, um ihre tatsächliche Grundlage zu untermauern, den Rat nicht daran hindern konnte, nach einer erneuten Prüfung der Situation der betroffenen Person oder Einrichtung neue restriktive Maßnahmen auf der Grundlage bereits vorhandener oder verfügbarer tatsächlicher Gesichtspunkte zu erlassen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. November 2018, National Iranian Tanker Company/Rat, C‑600/16 P, EU:C:2018:966, Rn. 45 und 56, sowie vom 29. November 2018, Bank Tejarat/Rat, C‑248/17 P, EU:C:2018:967, Rn. 73 und 82).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point54">54</a>      Wie aus den Rn. 132 und 186 des angefochtenen Urteils hervorgeht, stellte entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen die erneute Aufnahme von IRISL in die streitigen Listen auf der Grundlage eines anderen Kriteriums als derjenigen, auf deren Grundlage sie bis zur Verkündung des Urteils vom 16. September 2013 in den Listen geführt wurde, schon für sich allein einen neuen Gesichtspunkt für die Situation der übrigen Rechtsmittelführerinnen dar.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point55">55</a>      Demnach hat das Gericht in den Rn. 90 und 189 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerfrei entschieden, dass die Rechtskraft des Urteils vom 16. September 2013 dem Erlass der streitigen Handlungen vom Oktober 2013 und November 2013 nicht entgegengestanden hat.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point56">56</a>      Das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen, das Gericht habe im Urteil vom 16. September 2013 festgestellt, dass es keinen Zusammenhang zwischen dem Verbot nach Ziff. 5 der Resolution 1747 (2007) und der nuklearen Proliferation gebe, beruht auf einem falschen Verständnis dieses Urteils. Denn das Gericht hat sich, wie Rn. 49 des Urteils zu entnehmen ist, darauf beschränkt, das Aufnahmekriterium der Unterstützung der nuklearen Proliferation auszulegen und es im Rahmen der Rechtssache, mit der es befasst war, anzuwenden, indem es u. a. ausgeführt hat, dass die Verbote nach Ziff. 5 der Resolution 1747 (2007) und Ziff. 7 der Resolution 1737 (2006) unterschiedlich seien und nicht unter allen Umständen zwangsläufig die gleichen Güter und Technologien umfassten. Es hat in Rn. 52 des genannten Urteils in tatsächlicher Hinsicht weiter ausgeführt, dass sich aus den ihm vorgelegten Schriftstücken keine Anhaltspunkte dafür ergäben, dass die von den in Rn. 48 des vorliegenden Urteils angeführten Vorkommnissen erfassten Güter zugleich unter das in Ziff. 7 der Resolution 1737 (2006) vorgesehene Verbot im Zusammenhang mit proliferationsrelevanten Gütern fielen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point57">57</a>      Was den Grundsatz des Vertrauensschutzes anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass sich, wie aus Rn. 191 des angefochtenen Urteils hervorgeht, nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs jeder auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen kann, bei dem ein Unionsorgan durch klare Zusicherungen begründete Erwartungen geweckt hat. Dagegen kann niemand eine Verletzung dieses Grundsatzes geltend machen, dem keine solchen Zusicherungen gegeben wurden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. September 2017, Pappalardo u. a./Kommission, C‑350/16 P, EU:C:2017:672, Rn. 39, und vom 21. Februar 2018, Kreuzmayr, C‑628/16, EU:C:2018:84, Rn. 46).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point58">58</a>      Entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen konnte das Urteil vom 16. September 2013 bei ihnen keine begründeten Erwartungen dahin wecken, dass der Rat nach diesem Urteil die anwendbaren Aufnahmekriterien nicht ändern könnte oder unter Beachtung dieses Urteils einen Beschluss über die erneute Aufnahme in die streitigen Listen für die Zukunft fassen könnte. Es konnte dies umso weniger, wie sich aus den Rn. 193 und 194 des angefochtenen Urteils ergibt, als das Gericht in den Rn. 64 und 82 des Urteils vom 16. September 2013 entschieden hatte, dass der Rat die anwendbare Regelung in seiner Eigenschaft als Gesetzgeber anpassen könne, um weitere Fälle vorzusehen, in denen restriktive Maßnahmen angenommen werden könnten, und dass der Rat über einen Zeitraum von zwei Monaten und zehn Tagen verfüge, um die festgestellten Verstöße zu beheben, indem er gegebenenfalls neue restriktive Maßnahmen gegen die Rechtsmittelführerinnen erlasse. Aus diesen Gründen und da die Rechtsmittelführerinnen in ihrer Rechtsmittelschrift kein klares zusätzliches Argument für eine Verletzung des Grundsatzes der Rechtssicherheit durch das Gericht vorbringen, kann eine solche Verletzung auch nicht festgestellt werden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point59">59</a>      Zum in Art. 50 der Charta verankerten Grundsatz <i>ne bis in idem</i> genügt der Hinweis, dass restriktive Maßnahmen präventiven Charakter haben (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Dezember 2011, Afrasiabi u. a., C‑72/11, EU:C:2011:874, Rn. 44, sowie vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 132). Somit kann dieser Grundsatz, der sich auf Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen wegen einer Straftat bezieht, für die eine Person bereits durch ein rechtskräftiges Strafurteil freigesprochen oder verurteilt wurde, nicht angeführt werden, um die Gültigkeit solcher Maßnahmen in Abrede zu stellen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point60">60</a>      Folglich hat das Gericht in den Rn. 90, 196 und 199 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerfrei entschieden, dass der Rat die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit sowie den Grundsatz <i>ne bis in idem</i> nicht verletzt habe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point61">61</a>      Schließlich machen die Rechtsmittelführerinnen geltend, das Gericht habe ihr in Art. 47 der Charta verankertes Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf verletzt, weil es nicht festgestellt habe, dass der Rat ohne neue Tatsachen oder Beweise die Aufnahmekriterien für ihre erneute Aufnahme in die streitigen Listen nicht hätte ändern dürfen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point62">62</a>      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass mit dieser Bestimmung der sich aus Art. 6 Abs. 1 und Art. 13 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergebende Schutz im Unionsrecht gewährleistet wird. Nach Art. 47 Abs. 1 der Charta hat jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes kann den Rat jedoch nicht daran hindern, eine Person oder Einrichtung auf der Grundlage anderer Aufnahmegründe als derjenigen, auf denen die erstmalige Aufnahme beruhte, oder auf der Grundlage desselben Aufnahmegrundes, der auf andere Beweise gestützt wird, erneut in die Listen von Personen und Einrichtungen, deren Vermögenswerte eingefroren werden, aufzunehmen. Mit diesem Grundsatz soll nämlich sichergestellt werden, dass eine beschwerende Maßnahme vor Gericht angefochten werden kann, nicht aber, dass eine neue beschwerende Maßnahme, die auf andere Gründe oder Beweise gestützt wird, nicht ergehen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. November 2018, National Iranian Tanker Company/Rat, C‑600/16 P, EU:C:2018:966, Rn. 53 und 54). Daher und in Anbetracht der Erwägungen in den Rn. 53 und 54 des vorliegenden Urteils stand dieser Grundsatz dem Erlass der streitigen Handlungen vom Oktober 2013 und November 2013 nicht entgegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point63">63</a>      Nach alledem sind der zweite und der achte Rechtsmittelgrund sowie die dritten Teile des ersten und des sechsten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Zum zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes </i>
</p>
<p class="C07Titre4">–       <i>Vorbringen der Parteien</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point64">64</a>      Mit dem zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes tragen die Rechtsmittelführerinnen vor, das Gericht habe im angefochtenen Urteil die von ihnen vor ihm erhobene Rüge nicht geprüft, wonach der Rat keinen objektiven Grund und keine Rechtfertigung dafür geliefert habe, dass die Kriterien für die Aufnahme in die Listen der Personen und Einrichtungen, deren Vermögenswerte eingefroren werden, durch die streitigen Handlungen vom Oktober 2013 geändert worden seien. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point65">65</a>      Der Rat vertritt, unterstützt durch die Kommission, die Auffassung, dass der zweite Teil des ersten Rechtsmittelgrundes unbegründet sei.</p>
<p class="C07Titre4">–       <i>Würdigung durch den Gerichtshof</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point66">66</a>      Soweit die Rechtsmittelführerinnen mit dem zweiten Teil ihres ersten Rechtsmittelgrundes geltend machen, das Gericht sei nicht auf ihr Argument eingegangen, dass die Aufnahmekriterien nicht angemessen begründet worden seien, genügt der Hinweis, dass das Gericht in den Rn. 65 bis 78 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat, warum die Kriterien seiner Meinung nach als gerechtfertigt und verhältnismäßig anzusehen seien. Das Gericht hat sich somit zu diesem Argument geäußert.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point67">67</a>      Soweit der zweite Teil des ersten Rechtsmittelgrundes dahin zu verstehen ist, dass dem Gericht damit vorgeworfen werden soll, nicht von Amts wegen festgestellt zu haben, dass eine formelle Begründung der streitigen Handlungen vom Oktober 2013 fehle, mit denen der Rat die Kriterien für die Aufnahme in die Listen der Personen und Einrichtungen, deren Vermögenswerte eingefroren werden, geändert hat, ist Folgendes anzumerken.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point68">68</a>      Nach ständiger Rechtsprechung muss die nach Art. 296 AEUV vorgeschriebene Begründung die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassenen Maßnahmen entnehmen und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. November 2012, Al‑Aqsa/Rat und Niederlande/Al‑Aqsa, C‑539/10 P und C‑550/10 P, Rn. 138 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 15. November 2012, Rat/Bamba, C‑417/11 P, EU:C:2012:718, Rn. 50).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point69">69</a>      Die Begründung muss jedoch der Natur des betreffenden Rechtsakts und dem Kontext, in dem er erlassen worden ist, angepasst sein. Das Begründungserfordernis ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Inhalt des Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und nach dem Interesse zu beurteilen, das die Adressaten oder andere von dem Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffene Personen an Erläuterungen haben können. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich und rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob eine Begründung ausreichend ist, nicht nur anhand des Wortlauts des Rechtsakts zu beurteilen ist, sondern auch anhand seines Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. November 2012, Al‑Aqsa/Rat und Niederlande/Al‑Aqsa, C‑539/10 P und C‑550/10 P, EU:C:2012:711, Rn. 139 und 140, sowie vom 8. September 2016, Iranian Offshore Engineering & Construction/Rat, C‑459/15 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:646, Rn. 24).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point70">70</a>      Als Erstes ist festzustellen, dass im zweiten Erwägungsgrund des Beschlusses 2013/497 ausgeführt ist, dass die Kriterien für die Aufnahme in die Listen der Personen und Einrichtungen, deren Vermögenswerte eingefroren werden, die Personen und Einrichtungen betreffen, die bereits benannten Personen und Einrichtungen Hilfe dabei geleistet haben, die Bestimmungen der einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrates oder des Beschlusses 2010/413 zu umgehen bzw. gegen diese zu verstoßen, angepasst werden sollen, um Personen und Einrichtungen zu erfassen, die selbst gegen die genannten Bestimmungen verstoßen haben bzw. diese umgangen haben. Diese Begründung ist im zweiten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 971/2013 im Kern übernommen worden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point71">71</a>      Die Rechtfertigung für die Annahme des Kriteriums eines Verstoßes gegen die Resolution 1747 (2007), auf dessen Grundlage die erneute Aufnahme von IRISL in die streitigen Listen erfolgte, geht somit klar aus dem Wortlaut der streitigen Handlungen vom Oktober 2013 hervor. Wie das Gericht in Rn. 68 des angefochtenen Urteils zutreffend ausgeführt hat, sind zudem die allgemeinen Regeln der Union, die den Erlass restriktiver Maßnahmen vorsehen, anhand von Wortlaut und Ziel der Resolutionen des Sicherheitsrats auszulegen, die sie umsetzen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. September 2008, Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission, C‑402/05 P und C‑415/05 P, EU:C:2008:461, Rn. 297, sowie vom 16. November 2011, Bank Melli Iran/Rat, C‑548/09 P, EU:C:2011:735, Rn. 104).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point72">72</a>      Als Zweites ist zunächst darauf hinzuweisen, dass in den Erwägungsgründen 1 und 3 des Beschlusses 2013/497 auf den Beschluss 2010/413 verwiesen wird, der mit ihm geändert wird und bereits in Art. 20 Abs. 1 Buchst. b vorsah, dass die Gelder von Personen und Einrichtungen, die im Eigentum oder unter der Kontrolle von IRISL stehen oder in ihrem Namen handeln, eingefroren werden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point73">73</a>      Ebenso verweist die Verordnung Nr. 971/2013 nicht nur auf diese Beschlüsse, sondern auch auf die Verordnung Nr. 267/2012, die mit ihr geändert wird, darunter Art. 23 Abs. 2 Buchst. e, der ebenfalls bereits das Einfrieren der Gelder solcher Personen und Einrichtungen vorsah. Die Verordnung Nr. 267/2012 hat die Verordnung Nr. 961/2010 ersetzt, die der Umsetzung des Beschlusses 2010/413 diente und in Art. 16 das Einfrieren der Gelder von Personen und Einrichtungen, die im Eigentum oder unter der Kontrolle von IRISL stehen, vorsah.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point74">74</a>      Des Weiteren wird in den Erwägungsgründen 4 und 5 des Beschlusses 2010/413 auf die Annahme der Resolution 1929 (2010) durch den Sicherheitsrat und die Erklärung vom 17. Juni 2010 verwiesen, mit der der Europäische Rat den Rat ausdrücklich ersucht hat, Maßnahmen zur Umsetzung der in der Resolution 1929 (2010) vorgesehenen Maßnahmen sowie „Begleitmaßnahmen“ zu erlassen. Diese Maßnahmen sollten sich auf den iranischen Verkehrssektor einschließlich „IRISL und ihrer Tochtergesellschaften“ konzentrieren.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point75">75</a>      Ferner ist in den Erwägungsgründen 7 und 8 des Beschlusses 2010/413 ausgeführt, dass die Resolution 1929 (2010) die mit der Resolution 1737 (2006) verhängten finanziellen Restriktionen und Reisebeschränkungen auf Einrichtungen von IRISL ausgeweitet hat und dass gemäß der Erklärung vom 17. Juni 2010 das Einfrieren von Geldern auf weitere Personen und Einrichtungen Anwendung finden sollte, die vom Sicherheitsrat nach denselben Kriterien benannt werden. Auch in der Verordnung Nr. 961/2010 wurde auf den Beschluss 2010/413, auf die Resolution 1929 (2010) und auf die Erklärung vom 17. Juni 2010 Bezug genommen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point76">76</a>      Vor diesem Hintergrund geht die Rechtfertigung dafür, dass der Rat mit dem Beschluss 2010/413 und der Verordnung Nr. 961/2010 Bestimmungen erlassen hat, die das Einfrieren der Gelder von Tochtergesellschaften von IRISL und im weiteren Sinne von mit ihr in Verbindung stehenden Personen und Einrichtungen vorsehen, um die Wirksamkeit der gegen sie ergriffenen Maßnahmen sicherzustellen und somit zu verhindern, dass die Maßnahmen mit deren Hilfe unterlaufen werden, vor dem Hintergrund des historischen Kontexts dieser Rechtsakte und sämtlicher Vorschriften zur Regelung der restriktiven Maßnahmen gegen die Islamische Republik Iran klar, verständlich und eindeutig aus diesen Rechtsakten hervor.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point77">77</a>      Aufgrund dieses ihnen bekannten Kontexts und der Gesamtheit der Vorschriften konnten die Rechtsmittelführerinnen die Gründe für diese Bestimmungen verstehen und konnte das Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point78">78</a>      Daher ist im Ergebnis festzuhalten, dass in den streitigen Handlungen vom Oktober 2013 die Aufrechterhaltung des Aufnahmekriteriums im Hinblick auf das Einfrieren der Gelder der Einrichtungen, die im Eigentum oder unter der Kontrolle von IRISL stehen oder in ihrem Namen handeln, sowie seine Ausdehnung auf die Einrichtungen, die Versicherungs- oder sonstige wesentliche Dienstleistungen für IRISL erbringen, rechtlich hinreichend begründet ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point79">79</a>      Nach alledem ist dem Gericht kein Rechtsfehler unterlaufen, als es nicht von Amts wegen festgestellt hat, dass eine Begründung für die streitigen Handlungen vom Oktober 2013 fehle.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point80">80</a>      Folglich ist der zweite Teil des ersten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Zum vierten und zum siebten Rechtsmittelgrund</i>
</p>
<p class="C07Titre4">–       <i>Vorbringen der Parteien</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point81">81</a>      Mit dem vierten und dem siebten Rechtsmittelgrund tragen die Rechtsmittelführerinnen vor, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, als es angenommen habe, dass ihre Verteidigungsrechte beim Erlass der streitigen Handlungen vom Oktober 2013 und November 2013 gewahrt worden seien. Die Rechtsmittelführerinnen machen als Erstes geltend, das Kriterium der Verbindung zu IRISL sei, da es diese ausdrücklich benenne, als ein persönliches Kriterium anzusehen, so dass der Rat sie von den von ihm beabsichtigten Änderungen habe unterrichten und ihnen eine Stellungnahme habe zugestehen müssen. Als Zweites rügen sie, dass der Rat die Stellungnahme von IRISL nicht berücksichtigt habe, bevor er über ihre erneute Aufnahme in die Listen entschieden habe, und dass er sie selbst erneut in die streitigen Listen aufgenommen habe, bevor er auf ihre Stellungnahme reagiert habe und ihnen die Dokumente zur Rechtfertigung der erneuten Aufnahme ausgehändigt habe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point82">82</a>      Der Rat, unterstützt durch die Kommission, verneint die Begründetheit des vierten und des siebten Rechtsmittelgrundes.</p>
<p class="C07Titre4">–       <i>Würdigung durch den Gerichtshof</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point83">83</a>      Als Erstes ist darauf hinzuweisen, dass bei restriktiven Maßnahmen mit individueller Geltung es die Achtung der Verteidigungsrechte und des Anspruchs auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz u. a. erfordert, dass die zuständige Unionsbehörde der betroffenen Person die ihr vorliegenden, diese Person belastenden Informationen, auf die sie ihre Entscheidung stützt, mitteilt (Urteil vom 28. März 2017, Rosneft, C‑72/15, EU:C:2017:236, Rn. 121 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point84">84</a>      Im vorliegenden Fall stellen die Rechtsmittelführerinnen jedoch nicht in Abrede, dass es sich bei dem Kriterium der Verbindung zu IRISL, das sich aus den streitigen Handlungen vom Oktober 2013 ergibt, um einen Rechtsakt mit allgemeiner Geltung handelt, wie das Gericht in Rn. 97 des angefochtenen Urteils zu Recht festgestellt hat, da in ihm objektiv und abstrakt eine Kategorie von Personen und Einrichtungen benannt wird, bei denen es sich nicht um IRISL selbst handelt und auf die restriktive Maßnahmen anwendbar sein können. Sie stellen auch nicht in Abrede, dass die anderen Rechtsmittelführerinnen als IRISL von diesem Kriterium nicht individuell betroffen sind.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point85">85</a>      Daher musste der Rat die ihm zur Verfügung stehenden Informationen nicht den anderen Rechtsmittelführerinnen als IRISL übermitteln, bevor er das Kriterium der Verbindung zu IRISL anwandte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point86">86</a>      Was IRISL selbst anbelangt, ist festzustellen, dass dieses Kriterium nicht als Grundlage für den Erlass individueller restriktiver Maßnahmen gegen sie dienen kann, so dass der von ihr angeführte persönliche Charakter den Rat nicht zur Anwendung der in Rn. 83 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung verpflichtet. Jedenfalls sah schon die Regelung, die vor den streitigen Handlungen vom Oktober 2013 galt, ein solches auf sie anwendbares persönliches Kriterium vor, so dass die fehlende Information über die betreffende Änderung ihr keinen Schaden zugefügt und ihr insbesondere nicht jede Möglichkeit genommen hat, sich an den Rat zu wenden, um – gegebenenfalls nach Verkündung des Urteils vom 16. September 2013 – ihren Standpunkt zum individuellen Charakter dieses Kriteriums zu vertreten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point87">87</a>      Somit ergibt sich, dass das Gericht rechtsfehlerfrei zu dem Schluss gekommen ist, dass die Verteidigungsrechte der Rechtsmittelführerinnen beim Erlass der streitigen Handlungen vom Oktober 2013 nicht verletzt wurden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point88">88</a>      Als Zweites ist zu der Frage, ob dem Gericht ein Rechtsfehler unterlaufen ist, als es in den Rn. 173 bis 181 des angefochtenen Urteils festgestellt hat, dass der Rat die Verteidigungsrechte der Rechtsmittelführerinnen bei ihrer erneuten Aufnahme in die streitigen Listen nicht verletzt habe, darauf hinzuweisen, dass im Fall eines Folgebeschlusses über das Einfrieren von Geldern, auf dessen Grundlage der Name einer Person oder Einrichtung auf einer Liste von Personen oder Einrichtungen, deren Gelder eingefroren werden, verbleibt, grundsätzlich im Voraus die belastenden Umstände mitgeteilt werden müssen und der betroffenen Person oder Einrichtung Gelegenheit zur Anhörung gegeben werden muss (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Dezember 2011, Frankreich/People’s Mojahedin Organization of Iran, C‑27/09 P, EU:C:2011:853, Rn. 62, und vom 7. April 2016, Central Bank of Iran/Rat, C‑266/15 P, EU:C:2016:208, Rn. 32).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point89">89</a>      Wurden dem Betroffenen hinreichend genaue Informationen mitgeteilt, die es ihm erlauben, zu den vom Rat zur Last gelegten Gesichtspunkten sachdienlich Stellung zu nehmen, verpflichtet der Grundsatz der Beachtung der Verteidigungsrechte den Rat nicht dazu, von sich aus Zugang zu allen in seinen Akten enthaltenen Schriftstücken zu gewähren. Nur auf Antrag des Betroffenen hat der Rat Einsicht in alle nicht vertraulichen Verwaltungspapiere zu gewähren, die die in Rede stehende Maßnahme betreffen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. November 2011, Bank Melli Iran/Rat, C‑548/09 P, EU:C:2011:735, Rn. 92, und vom 28. Juli 2016, Tomana u. a./Rat und Kommission, C‑330/15 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:601, Rn. 66).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point90">90</a>      Zudem ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs das Recht, vor dem Erlass von Rechtsakten, mit denen restriktive Maßnahmen gegen bereits von diesen Maßnahmen erfasste Personen oder Einrichtungen aufrechterhalten werden, gehört zu werden, zu wahren, wenn der Rat diesen Personen oder Einrichtungen neue Beweismittel entgegengehalten hat, und nicht, wenn eine solche Aufrechterhaltung auf dieselben Gründe gestützt wird wie diejenigen, die dem Erlass des ursprünglichen Rechtsakts über die Verhängung der betreffenden restriktiven Maßnahmen zugrunde liegen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Dezember 2011, Frankreich/People’s Mojahedin Organization of Iran, C‑27/09 P, EU:C:2011:853, Rn. 63, sowie vom 28. Juli 2016, Tomana u. a./Rat und Kommission, C‑330/15 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:601, Rn. 67).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point91">91</a>      Wie die Generalanwältin in Nr. 190 ihrer Schlussanträge hervorgehoben hat, ist im vorliegenden Fall der maßgebliche Zeitpunkt für die Prüfung, ob der Rat das Recht der Rechtsmittelführerinnen auf rechtliches Gehör gewahrt hat, der Zeitpunkt, zu dem er sie erneut in die streitigen Listen aufgenommen hat, also der 26. November 2013. Wie sich aber aus den Rn. 173 bis 175 des angefochtenen Urteils ergibt, hat der Rat den Rechtsmittelführerinnen die Gründe für die von ihm geplante erneute Aufnahme mit Schreiben vom 22. bzw. 30. Oktober 2013 mitgeteilt. Diese beruhten auf den gleichen Tatumständen und waren im Wesentlichen mit denjenigen identisch, die in den 2010 erlassenen Beschlüssen über die ursprüngliche Aufnahme standen, so dass es sich um Informationen handelte, die ihnen bereits bekannt waren. Ferner ist den Rn. 176 bis 180 des angefochtenen Urteils zu entnehmen, dass die Rechtsmittelführerinnen vor Erlass der streitigen Handlungen vom November 2013 mit Schreiben vom 15. bzw. 19. November 2013 Stellung zu diesen Informationen nahmen, worauf der Rat am 27. November 2013 antwortete und ihnen die Schriftstücke aus seiner Akte übermittelte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point92">92</a>      Wie die Generalanwältin in Nr. 193 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, ist der Rat entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen überdies nicht verpflichtet, vor dem Erlass geplanter restriktiver Maßnahmen auf Stellungnahmen der betroffenen Person oder Einrichtung zu antworten. Die Übersendung einer solchen Antwort gehört nämlich, wenn die Betroffenen gehört wurden, vielmehr zur Begründung des Rechtsakts, mit dem diese Maßnahmen beschlossen werden, als zur Wahrung der Verteidigungsrechte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point93">93</a>      Das Gericht hat somit rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Rat die Verteidigungsrechte der Rechtsmittelführerinnen beim Erlass der streitigen Handlungen vom November 2013 nicht verletzt habe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point94">94</a>      Daher sind der vierte und der siebte Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Zum dritten, fünften und neunten Rechtsmittelgrund sowie zum ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes und zum zweiten Teil des sechsten Rechtsmittelgrundes</i>
</p>
<p class="C07Titre4">–       <i>Vorbringen der Parteien</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point95">95</a>      Mit ihrem dritten, fünften und neunten Rechtsmittelgrund sowie mit dem ersten Teil ihres ersten Rechtsmittelgrundes und dem zweiten Teil ihres sechsten Rechtsmittelgrundes machen die Rechtsmittelführerinnen geltend, das Gericht habe zum einen in den Rn. 63, 71, 74 und 76 des angefochtenen Urteils unzutreffend angenommen, dass die streitigen Handlungen vom Oktober 2013 gerechtfertigt seien und zum Ziel der Bekämpfung der nuklearen Proliferation in Iran in einem angemessenen Verhältnis stünden, und zum anderen in den Rn. 93 bis 95 des angefochtenen Urteils, dass der Erlass dieser Handlungen, die, wie sie meinen, nach dem Urteil vom 16. September 2013 nicht mit diesem Ziel im Einklang gestanden hätten, keinen Ermessensmissbrauch des Rates darstelle. Das Gericht habe außerdem einen Rechtsfehler begangen, als es die Auffassung vertreten habe, dass die streitigen Handlungen vom Oktober 2013 und November 2013 ihre Grundrechte, insbesondere ihr Recht auf Eigentum und das Recht auf Wahrung ihres Ansehens, nicht in ungerechtfertigter und unverhältnismäßiger Weise verletzten. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point96">96</a>      Die Rechtsmittelführerinnen tragen erstens vor, das Kriterium des Verstoßes gegen die Resolution 1747 (2007) sei nicht geeignet und stehe in keinem angemessenen Verhältnis zum Ziel der Bekämpfung der nuklearen Proliferation in Iran, da zwischen der nach Ziff. 5 dieser Resolution verbotenen Beförderung von Rüstungsgütern, den Tätigkeiten der betroffenen Einrichtung und der nuklearen Proliferation kein Zusammenhang bestehe. Gleiches gelte für das Kriterium der Verbindung zu IRISL, denn die Aufnahme einer Tochtergesellschaft in eine Liste der Einrichtungen, deren Vermögenswerte eingefroren werden, sei nur dann gerechtfertigt, wenn die Muttergesellschaft an der nuklearen Proliferation beteiligt gewesen sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point97">97</a>      Zweitens sei die Argumentation des Gerichts widersprüchlich. Es habe die Rechtmäßigkeit dieser Kriterien bestätigt, ohne zu erläutern, inwieweit sie geeignet seien und zum genannten Ziel in einem angemessenen Verhältnis stünden, und gleichzeitig in den Rn. 101 und 102 des angefochtenen Urteils – zu Unrecht – entschieden, dass diese Kriterien nicht voraussetzten, dass eine Verbindung zwischen den Rechtsmittelführerinnen und der nuklearen Proliferation bestehe, und dem Rat nicht geböten, eine solche Verbindung nachzuweisen. Damit habe das Gericht diese Kriterien zu weit ausgelegt. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point98">98</a>      Das Gericht habe auch nicht geprüft, inwiefern ihre erneute Aufnahme in die streitigen Listen dabei helfe, das verfolgte Ziel zu erreichen und Druck auf die Islamische Republik Iran auszuüben, obwohl IRISL entgegen den Ausführungen im angefochtenen Urteil weder im Eigentum noch unter der Kontrolle der iranischen Regierung stehe. Drittens habe das Kriterium der Verbindung zu IRISL, da IRISL darin erneut ausdrücklich benannt werde, diese in den Augen der Welt als eine Einrichtung dargestellt, die Unterstützung für die nukleare Proliferation bereitstelle, was zu schwerwiegenden Folgen für ihr Ansehen und ihre Geschäftstätigkeit geführt habe. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point99">99</a>      Der Rat, unterstützt durch die Kommission, tritt dem Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen entgegen. </p>
<p class="C07Titre4">–       <i>Würdigung durch den Gerichtshof</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point100">100</a>    Im Rahmen des dritten, fünften und neunten Rechtsmittelgrundes sowie des ersten Teils des ersten Rechtsmittelgrundes und des zweiten Teils des sechsten Rechtsmittelgrundes machen die Rechtsmittelführerinnen im Wesentlichen als Erstes geltend, das Gericht habe zu Unrecht angenommen, dass die Verletzung ihres Grundrechts auf Eigentum und ihres Rechts auf Achtung ihres Ansehens, zu der die streitigen Handlungen vom Oktober 2013 und November 2013 führen könnten, verhältnismäßig sei und dass auch die Formulierung des Kriteriums des Verstoßes gegen die Resolution 1747 (2007) und des Kriteriums der Verbindung zu IRISL den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahre. Es habe sich dabei auf die gleiche Argumentation gestützt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point101">101</a>    Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 52 Abs. 1 der Charta jede Einschränkung der Ausübung der in der Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten muss und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Einschränkungen dieser Rechte und Freiheiten nur vorgenommen werden dürfen, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point102">102</a>    Wie das Gericht in den Rn. 204 und 205 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat, gilt das in Art. 17 der Charta verankerte Eigentumsrecht folglich nicht schrankenlos. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt zudem, dass die von einer Bestimmung des Unionsrechts eingesetzten Mittel zur Erreichung der mit der betreffenden Regelung verfolgten legitimen Ziele geeignet sind und nicht über das dazu Erforderliche hinausgehen (Urteile vom 15. November 2012, Al‑Aqsa/Rat und Niederlande/Al-Aqsa, C‑539/10 P und C‑550/10 P, EU:C:2012:711, Rn. 122 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 29. November 2018, National Iranian Tanker Company/Rat, C‑600/16 P, EU:C:2018:966, Rn. 76).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point103">103</a>    Zur gerichtlichen Kontrolle der Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit hat der Gerichtshof, worauf auch das Gericht in Rn. 62 des angefochtenen Urteils zu Recht hingewiesen hat, dem Unionsgesetzgeber ein weites Ermessen in Bereichen zuerkannt, in denen er politische, wirtschaftliche und soziale Entscheidungen treffen und komplexe Prüfungen vornehmen muss. Er hat daraus geschlossen, dass eine in einem solchen Bereich erlassene Maßnahme nur dann rechtswidrig ist, wenn sie zur Erreichung des vom zuständigen Organ verfolgten Ziels offensichtlich ungeeignet ist (Urteil vom 28. November 2013, Rat/Manufacturing Support & Procurement Kala Naft, C‑348/12 P, EU:C:2013:776, Rn. 120 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point104">104</a>    Was das Ziel anbelangt, das der Rat mit dem Erlass der streitigen Handlungen vom Oktober 2013 und November 2013, mit denen der Beschluss 2010/413 und die Verordnung Nr. 267/2012 geändert wurden, verfolgt, hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass dieser Beschluss und diese Verordnung das Ziel haben, die nukleare Proliferation zu verhindern und auf diese Weise Druck auf die Islamische Republik Iran auszuüben, die betreffenden Aktivitäten zu beenden. Dieses Ziel, das in den allgemeineren Rahmen der Bemühungen um die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit fällt, ist rechtmäßig (Urteil vom 29. November 2018, National Iranian Tanker Company/Rat, C‑600/16 P, EU:C:2018:966, Rn. 77 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point105">105</a>    Sodann ist hinsichtlich der Geeignetheit der streitigen Handlungen vom Oktober 2013 und November 2013 zur Erreichung dieses Ziels in Bezug auf das Kriterium des Verstoßes gegen die Resolution 1747 (2007) festzustellen, dass dieser Resolution, wie der Rat geltend macht, zu entnehmen ist, dass nach Ansicht des Sicherheitsrats das in Ziff. 5 der Resolution vorgesehene Verbot der Beförderung von Rüstungsgütern aus dem Iran gewährleisten soll, dass das iranische Nuklearprogramm ausschließlich friedlichen Zwecken dient, und die Einführung sensibler Technologien durch den Iran zur Unterstützung seiner Nuklear- und Trägerraketenprogramme verhindern soll.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point106">106</a>    Wie die Generalanwältin in den Nrn. 76 und 77 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, können der iranischen Regierung die Erlöse aus dem Rüstungsgüterhandel unmittelbar oder mittelbar Ressourcen oder Mittel verschiedener Art liefern, die ihr eine Weiterverfolgung der Tätigkeiten der nuklearen Proliferation ermöglichen, und dafür zweckentfremdet werden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point107">107</a>    Unter diesen Umständen erlaubt das Kriterium des Verstoßes gegen die Resolution 1747 (2007), die Verhaltensweisen von Personen und Einrichtungen, bei denen die Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie die Tätigkeiten der nuklearen Proliferation in Iran fördern, auch dann zu erfassen, wenn diese keine unmittelbare oder mittelbare Verbindung zur nuklearen Proliferation haben und nicht in diese Tätigkeiten verwickelt sind, wie das Gericht zutreffend in den Rn. 101 und 102 des angefochtenen Urteils festgestellt hat. Dieses Kriterium erscheint daher zur Erreichung des in Rn. 104 des vorliegenden Urteils angeführten Ziels geeignet.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point108">108</a>    Was die Erforderlichkeit dieses Kriteriums betrifft, lässt entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen der Umstand, dass es mit ihm möglich ist, Maßnahmen des Einfrierens von Geldern zu erlassen, wenn keine Verbindung zwischen den betroffenen Personen oder Einrichtungen und der nuklearen Proliferation besteht, nicht darauf schließen, dass diese Maßnahmen über das hinausgehen, was erforderlich ist, um das genannte Ziel zu erreichen. Der Gerichtshof hat nämlich bereits entschieden, dass nicht ersichtlich ist, dass ein Aufnahmekriterium wie das der Unterstützung der iranischen Regierung, mit dem eigene Tätigkeiten der betroffenen Person oder Einrichtung erfasst werden können, die als solche keine unmittelbare oder mittelbare Verbindung zur nuklearen Proliferation aufweisen, aber dennoch zu ihr beitragen können, ungeeignet wäre und über das zur Erreichung dieses Ziels Erforderliche hinausginge (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. November 2018, National Iranian Tanker Company/Rat, C‑600/16 P, EU:C:2018:966, Rn. 78). Es ist ferner darauf hinzuweisen, dass die große Zahl der Resolutionen des Sicherheitsrats sowie die verschiedenen Maßnahmen der Union, die eine nach der anderen verabschiedet werden, der Notwendigkeit Rechnung tragen, das Spektrum der restriktiven Maßnahmen zu erweitern, mit denen dieses Ziel erreicht werden soll.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point109">109</a>    Zur Tragweite des Kriteriums der Verbindung zu IRISL ist festzustellen, dass es zu einem rechtlichen Rahmen gehört, der klar durch die Ziele begrenzt wird, die mit der Regelung über restriktive Maßnahmen gegen die Islamische Republik Iran verfolgt werden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point110">110</a>    Der Gerichtshof hat insoweit bereits entschieden, dass, wenn die Gelder einer die iranische Regierung unterstützenden Einrichtung eingefroren werden, die nicht unerhebliche Gefahr besteht, dass sie auf die ihr gehörenden oder von ihr kontrollierten Einrichtungen Druck ausübt, um die Auswirkungen der gegen sie gerichteten Maßnahmen zu unterlaufen, so dass das Einfrieren der Gelder dieser Einrichtungen erforderlich und angemessen ist, um die Wirksamkeit der erlassenen Maßnahmen zu gewährleisten und um zu garantieren, dass diese Maßnahmen nicht unterlaufen werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. September 2016, NIOC u. a./Rat, C‑595/15 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:721, Rn. 89 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point111">111</a>    Mit diesem Kriterium wird somit auf objektive Weise ein eng begrenzter Kreis von Personen und Einrichtungen festgelegt, die aufgrund ihrer Verbindungen zu IRISL das Unterlaufen der gegen IRISL gerichteten restriktiven Maßnahmen erleichtern könnten und folglich das in Rn. 104 des vorliegenden Urteils genannte Ziel, die nukleare Proliferation zu verhindern und somit Druck auf die Islamische Republik Iran auszuüben, untergraben könnten, und zwar unabhängig davon, ob diese Personen und Einrichtungen an Tätigkeiten der nuklearen Proliferation beteiligt sind. Es ist daher nicht ersichtlich, dass dieses Kriterium offensichtlich über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point112">112</a>    In Anbetracht der Ausführungen in den Rn. 106 bis 111 des vorliegenden Urteils ist außerdem das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen zurückzuweisen, wonach das Gericht seine Argumentation habe widersprüchlich werden lassen, indem es angenommen habe, dass das Kriterium des Verstoßes gegen die Resolution 1747 (2007) und das Kriterium der Verbindung zu IRISL, obwohl sie gerechtfertigt seien und in einem angemessenen Verhältnis zum genannten Ziel stünden, es nicht erforderten, dass eine Verbindung zwischen der betroffenen Person oder Einrichtung und der nuklearen Proliferation nachzuweisen sei. Mit diesen Ausführungen hat das Gericht die beiden Kriterien nicht übermäßig weit ausgelegt und seine Argumentation ist auch nicht widersprüchlich.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point113">113</a>    Dem Gericht ist ferner in Bezug auf die geltend gemachte Beeinträchtigung des Ansehens der Rechtsmittelführerinnen kein Rechtsfehler unterlaufen, als es in Rn. 209 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat, dass der Rat nicht behaupte, die Rechtsmittelführerinnen seien selbst an der nuklearen Proliferation beteiligt, so dass sie nicht persönlich mit Verhaltensweisen in Verbindung gebracht würden, die eine Gefahr für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit darstellten, und die Beeinträchtigung ihres Ansehens sei zwangsläufig geringer, als wenn ihre erneute Aufnahme in die streitigen Listen auf einen solchen Grund gestützt worden wäre. Auch das Kriterium der Verbindung zu IRISL bringt nicht zum Ausdruck, dass IRISL persönlich an der nuklearen Proliferation beteiligt wäre. Somit ist nicht ersichtlich, dass diese Beeinträchtigung angesichts der überragenden Bedeutung des in Rn. 104 des vorliegenden Urteils angeführten Ziels und der Notwendigkeit, die Personen und Einrichtungen über die allgemeinen Kriterien für die Aufnahme von Personen und Einrichtungen in die Listen der Personen und Einrichtungen, deren Vermögenswerte eingefroren werden, klar und präzise zu definieren, im vorliegenden Fall also die Verbindungen zu IRISL, die als solche, sobald sie festgestellt sind, eine solche Aufnahme rechtfertigen, offensichtlich über das Erforderliche hinausgeht.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point114">114</a>    Folglich hat das Gericht rechtsfehlerfrei in den Rn. 71, 73, 75 bis 77, 103 und 208 des angefochtenen Urteils im Wesentlichen festgestellt, dass das Kriterium des Verstoßes gegen die Resolution 1747 (2007) und das Kriterium der Verbindung zu IRISL als mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar zu betrachten seien und die Beschränkungen des Eigentumsrechts und die Beeinträchtigung des Ansehens nicht außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen zu stehen schienen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point115">115</a>    Als Zweites ist festzustellen, dass die Rechtsmittelführerinnen keinen Nachweis dafür erbracht haben, dass der Rat durch den Erlass der streitigen Handlungen vom Oktober 2013 einen Ermessensmissbrauch begangen hat. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist eine Rechtshandlung nur dann ermessensmissbräuchlich, wenn aufgrund objektiver, schlüssiger und übereinstimmender Indizien anzunehmen ist, dass sie ausschließlich oder zumindest vorwiegend zu anderen als den angegebenen Zwecken oder mit dem Ziel erlassen worden ist, ein Verfahren zu umgehen, das der Vertrag speziell vorsieht, um die konkrete Sachlage zu bewältigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. März 2017, Rosneft, C‑72/15, EU:C:2017:236, Rn. 135), worauf das Gericht zu Recht in Rn. 92 des angefochtenen Urteils hingewiesen hat.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point116">116</a>    Wie sich aus den Rn. 46 bis 63 und 101 bis 114 des vorliegenden Urteils ergibt, hat das Gericht in den Rn. 93 bis 95 des angefochtenen Urteils zutreffend festgestellt, dass das Urteil vom 16. September 2013 dem Erlass dieser Rechtshandlungen nicht entgegenstand. Diese sind mit dem legitimen Ziel, die nukleare Proliferation zu verhindern und damit Druck auf die Islamische Republik Iran auszuüben, damit sie die Tätigkeiten im Zusammenhang mit der nuklearen Proliferation beendet, vereinbar, so dass es den auf einen Ermessensmissbrauch gestützten Klagegrund zu Recht zurückgewiesen hat.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point117">117</a>    Demnach sind der dritte, der fünfte und der neunte Rechtsmittelgrund sowie der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes und der zweite Teil des sechsten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Zum ersten Teil des sechsten Rechtsmittelgrundes</i>
</p>
<p class="C07Titre4">–       <i>Vorbringen der Parteien</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point118">118</a>    Im Rahmen des ersten Teils ihres sechsten Rechtsmittelgrundes machen die Rechtsmittelführerinnen als Erstes geltend, das Gericht habe zu Unrecht keine offensichtlichen Beurteilungsfehler des Rates bei der erneuten Aufnahme von IRISL in die streitigen Listen festgestellt. Die Begründung des Gerichts in den Rn. 117 und 131 des angefochtenen Urteils, die sich auf die Feststellung tatsächlicher Verstöße gegen die Resolution 1747 (2007) aus dem Jahr 2009 stütze, sei sachlich unrichtig. Der Bericht des Sanktionsausschusses des Sicherheitsrats für das Jahr 2009, auf den sich der Rat gestützt habe, lasse nicht erkennen, dass IRISL gegen diese Resolution verstoßen habe. Das Gericht habe zudem in den Rn. 120 und 124 des angefochtenen Urteils den Beweisen und insbesondere den Zeugenaussagen, die die Rechtsmittelführerinnen vorgelegt hätten, um zu belegen, dass IRISL an dem Verstoß gegen die Resolution 1747 (2007) nicht beteiligt gewesen sei, nicht ausreichend Gewicht beigemessen. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point119">119</a>    Die Rechtsmittelführerinnen tragen als Zweites vor, das Gericht habe es in den Rn. 136 bis 165 des angefochtenen Urteils unterlassen, Fehler des Rates bei der Tatsachenwürdigung festzustellen, als es entschieden habe, dass die erneute Aufnahme der anderen Rechtsmittelführerinnen als IRISL auf der Grundlage des Kriteriums der Verbindung zu IRISL gerechtfertigt sei. So habe sich das Gericht hinsichtlich Khazar Shipping Lines, IRISL Europe und Valfajr 8th Shipping Line auf die Feststellung beschränkt, dass ihre erneute Aufnahme in die streitigen Listen gerechtfertigt sei, weil sie im Eigentum der IRISL stünden. Der Rat habe aber weder die Höhe der Beteiligung noch die Wahrscheinlichkeit dafür geprüft, dass Druck auf sie ausgeübt werde, um die Beschränkungen gegenüber IRISL zu umgehen. In Bezug auf Qeshm Marine Services & Engineering und Marine Information Technology Development habe das Gericht nur darauf hingewiesen, dass es sich um Tochtergesellschaften von IRISL handele. Außerdem habe das Gericht fälschlich angenommen, dass HDSL und Safiran Payam Darya Shipping Lines im Namen von IRISL handelten, weil sie als tatsächlich Begünstigte einige ihrer Schiffe übernommen hätten. Hinsichtlich Irano Misr Shipping habe der Rat nicht die Dienstleistungen benannt, die sie erbringe, und nicht erläutert, inwiefern diese wesentlich seien.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point120">120</a>    Nach Ansicht des Rates und der Kommission ist der erste Teil des sechsten Rechtsmittelgrundes unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.</p>
<p class="C07Titre4">–       <i>Würdigung durch den Gerichtshof</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point121">121</a>    Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist allein das Gericht für die Feststellung und Würdigung der Tatsachen sowie grundsätzlich für die Prüfung der Beweise, auf die es seine Feststellungen stützt, zuständig. Sind diese Beweise ordnungsgemäß erhoben und die allgemeinen Rechtsgrundsätze sowie die Vorschriften über die Beweislast und das Beweisverfahren eingehalten worden, ist es nämlich allein Sache des Gerichts, den Wert der ihm vorgelegten Beweise zu beurteilen. Diese Beurteilung ist somit, sofern die Beweise nicht verfälscht werden, keine Rechtsfrage, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofs unterliegt (Urteil vom 7. April 2016, Akhras/Rat, C‑193/15 P, EU:C:2016:219, Rn. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point122">122</a>    Soweit die Rechtsmittelführerinnen im vorliegenden Fall geltend machen, dass die erneute Aufnahme von IRISL auf der Grundlage des Kriteriums des Verstoßes gegen die Resolution 1747 (2007) im Hinblick auf den vom Rat angeführten Bericht des Sanktionsausschusses des Sicherheitsrats für das Jahr 2009 und die Zeugenaussagen, die sie vorgelegt hätten, nicht gerechtfertigt gewesen sei, ist festzustellen, dass die Rechtsmittelführerinnen den Gerichtshof in Wirklichkeit um eine erneute Würdigung der Tatsachen und Beweise und des diesen beizumessenden Wertes ersuchen, ohne deren Verfälschung zu behaupten, was im Stadium des Rechtsmittels nicht zulässig ist. Aus denselben Gründen ist ihr Vorbringen zu den Tatsachenfeststellungen des Gerichts in den Rn. 136 bis 165 des angefochtenen Urteils unzulässig, die sich darauf beziehen, dass Khazar Shipping Lines, IRISL Europe und Valfajr 8th Shipping Line im Eigentum und Qeshm Marine Services & Engineering und Marine Information Technology Development unter der Kontrolle von IRISL stünden, dass HDSL und Safiran Payam Darya Shipping Lines in ihrem Namen handelten und Irano Misr Shipping ihr wesentliche Dienstleistungen erbringe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point123">123</a>    Der erste Teil des sechsten Rechtsmittelgrundes ist daher zurückzuweisen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point124">124</a>    Da sämtliche Rechtsmittelgründe zurückgewiesen worden sind, ist das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Kosten</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point125">125</a>    Nach Art. 184 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point126">126</a>    Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point127">127</a>    Da die Rechtsmittelführerinnen mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind ihnen entsprechend dem Antrag des Rates neben ihren eigenen Kosten die Kosten des Rates aufzuerlegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point128">128</a>    Nach Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, trägt die Kommission ihre eigenen Kosten.</p>
<p class="C41DispositifIntroduction">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:</p>
<p class="C08Dispositif">1.      <b>Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.</b>
</p>
<p class="C08Dispositif">2.      Die Islamic Republic of Iran Shipping Lines, die Hafize Darya Shipping Lines (HDSL), die Khazar Shipping Lines, die IRISL Europe GmbH, die Qeshm Marine Services & Engineering Co., die Irano Misr Shipping Co., die Safiran Payam Darya Shipping Lines, die Marine Information Technology Development Co., die Rahbaran Omid Darya Ship Management Co., die Hoopad Darya Shipping Agency und die Valfajr 8th Shipping Line Co. tragen neben ihren eigenen Kosten die Kosten des Rates der Europäischen Union.</p>
<p class="C08Dispositif">3.      <b>Die Europäische Kommission trägt ihre eigenen Kosten.</b>
</p>
<p class="C77Signatures">Unterschriften</p>
<hr/>
<p class="C42FootnoteLangue">
<a href="#Footref*" name="Footnote*">*</a>      Verfahrenssprache: Englisch.</p>
|
175,009 | eugh-2019-01-31-c-5518 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-55/18 | 2019-01-31T00:00:00 | 2019-01-31T19:20:40 | 2019-01-31T19:20:40 | Schlussantrag des Generalanwalts | ECLI:EU:C:2019:87 | <p>Vorläufige Fassung</p>
<p class="C36Centre">SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS</p>
<p class="C36Centre">GIOVANNI PITRUZZELLA</p>
<p class="C36Centre">vom 31. Januar 2019(<a href="#Footnote1" name="Footref1">1</a>)</p>
<p class="C38Centregrasgrandespacement">
<b>Rechtssache C</b>‑<b>55/18</b>
</p>
<p class="C37Centregras">Federación de Servicios de Comisiones Obreras (CCOO)</p>
<p class="C37Centregras">
<b>gegen</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Deutsche Bank SAE,</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Beteiligte:</b>
</p>
<p class="C37Centregras">Federación Estatal de Servicios de la Unión General de Trabajadores (FES-UGT),</p>
<p class="C37Centregras">Confederación General del Trabajo (CGT),</p>
<p class="C37Centregras">Confederación Solidaridad de Trabajadores Vascos (ELA),</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Confederación Intersindical Galega (CIG)</b>
</p>
<p class="C39Centreespacement">(Vorabentscheidungsersuchen der Audiencia Nacional [Nationaler Gerichtshof, Spanien])</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Sozialpolitik – Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer – Arbeitszeitgestaltung – Richtlinie 2003/88/EG – Tägliche Ruhezeit – Wöchentliche Ruhezeit – Wöchentliche Höchstarbeitszeit – Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte – Richtlinie 89/391/EWG – Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz – Verpflichtung der Unternehmen zur Einführung eines Systems zur Messung der täglichen Arbeitszeit“</p>
<br/>
<br/>
<br/>
<br/>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point1">1.</a>        Ist es für die Gewährleistung der vollen Wirksamkeit des Schutzes der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz – Ziele, die die Richtlinie 2003/88/EG(<a href="#Footnote2" name="Footref2">2</a>) u. a. durch die Festlegung von Höchstarbeitszeiten verfolgt – erforderlich, dass die Mitgliedstaaten die Verpflichtung des Arbeitgebers vorsehen, Instrumente zur Messung der tatsächlichen täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit einzuführen?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point2">2.</a>        Das ist im Wesentlichen die Frage, die durch das den Gegenstand der vorliegenden Rechtssache bildende Vorabentscheidungsersuchen der Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof, Spanien) aufgeworfen wird. Dieses Vorabentscheidungsersuchen ergeht im Rahmen eines Verbandsrechtsstreits, den einige Arbeitnehmergewerkschaften mit dem Ziel einleiteten, nachzuweisen und feststellen zu lassen, dass die Beklagte, die Deutsche Bank SAE (im Folgenden: Deutsche Bank), verpflichtet ist, ein System zur Erfassung der täglichen effektiven geleisteten Arbeitszeit zu schaffen, das es gestattet, die angemessene Einhaltung der gesetzlich und in Tarifverträgen festgelegten Arbeitszeit zu überprüfen. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point3">3.</a>        In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich die Gründe darlegen, aus denen ich der Ansicht bin, dass sich aus dem Unionsrecht die Verpflichtung der Mitgliedstaaten ergibt, eine Arbeitszeitregelung einzuführen, die, wenn auch begrenzt durch den Ermessensspielraum, der den Mitgliedstaaten aufgrund der Mindestharmonisierungsfunktion der Richtlinie 2003/88 eingeräumt ist, die effektive Einhaltung der Vorschriften über die Grenzen der Arbeitszeiten durch die Einführung von Systemen zur Messung der tatsächlich geleisteten Arbeit sicherstellt. Das Fehlen solcher Mechanismen in der Rechtsordnung eines Mitgliedstaats beeinträchtigt nämlich meines Erachtens die praktische Wirksamkeit der angeführten Richtlinie.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point4">4.</a>        Daher bin ich der Auffassung, dass die Richtlinie 2003/88 nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die den Arbeitgebern nicht ausdrücklich allgemein eine Form der Messung oder Kontrolle der Regelarbeitszeit der Arbeitnehmer im Allgemeinen vorschreiben.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">I.      <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C22Titrenumerote2">A.      <b>Unionsrecht</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point5">5.</a>        Im vierten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/88 heißt es:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Verbesserung von Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeit stellen Zielsetzungen dar, die keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden dürfen.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point6">6.</a>        In Art. 3 („Tägliche Ruhezeit“) der Richtlinie 2003/88 heißt es:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jedem Arbeitnehmer pro 24-Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden gewährt wird.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point7">7.</a>        Art. 5 („Wöchentliche Ruhezeit“) der Richtlinie 2003/88 bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jedem Arbeitnehmer pro Siebentageszeitraum eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden zuzüglich der täglichen Ruhezeit von elf Stunden gemäß Artikel 3 gewährt wird. </p>
<p class="C02AlineaAltA">Wenn objektive, technische oder arbeitsorganisatorische Umstände dies rechtfertigen, kann eine Mindestruhezeit von 24 Stunden gewählt werden.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point8">8.</a>        Art. 6 („Wöchentliche Höchstarbeitszeit“) der Richtlinie 2003/88 lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit nach Maßgabe der Erfordernisse der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer: </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)       die wöchentliche Arbeitszeit durch innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder in Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern festgelegt wird; </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)       die durchschnittliche Arbeitszeit pro Siebentageszeitraum 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschreitet.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point9">9.</a>        Art. 22 („Sonstige Bestimmungen“) der Richtlinie 2003/88 sieht Folgendes vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)       Es ist einem Mitgliedstaat freigestellt, Artikel 6 nicht anzuwenden, wenn er die allgemeinen Grundsätze der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer einhält und mit den erforderlichen Maßnahmen dafür sorgt, dass </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)       kein Arbeitgeber von einem Arbeitnehmer verlangt, im Durchschnitt des in Artikel 16 Buchstabe b) genannten Bezugszeitraums mehr als 48 Stunden innerhalb eines Siebentagezeitraums zu arbeiten, es sei denn der Arbeitnehmer hat sich hierzu bereit erklärt; </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)       keinem Arbeitnehmer Nachteile daraus entstehen, dass er nicht bereit ist, eine solche Arbeit zu leisten; </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">c)       der Arbeitgeber aktuelle Listen über alle Arbeitnehmer führt, die eine solche Arbeit leisten; </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">d)       die Listen den zuständigen Behörden zur Verfügung gestellt werden, die aus Gründen der Sicherheit und/oder des Schutzes der Gesundheit der Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Überschreitung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit unterbinden oder einschränken können; </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">e)       der Arbeitgeber die zuständigen Behörden auf Ersuchen darüber unterrichtet, welche Arbeitnehmer sich dazu bereit erklärt haben, im Durchschnitt des in Artikel 16 Buchstabe b) genannten Bezugszeitraums mehr als 48 Stunden innerhalb eines Siebentagezeitraums zu arbeiten. </p>
<p class="C02AlineaAltA">… </p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)       Sofern die Mitgliedstaaten von den in diesem Artikel genannten Möglichkeiten Gebrauch machen, setzen sie die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point10">10.</a>      Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit(<a href="#Footnote3" name="Footref3">3</a>) bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Vorkehrungen, um zu gewährleisten, dass die Arbeitgeber, die Arbeitnehmer und die Arbeitnehmervertreter den für die Anwendung dieser Richtlinie erforderlichen Rechtsvorschriften unterliegen.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point11">11.</a>      Art. 11 Abs. 3 der Richtlinie 89/391 lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Arbeitnehmervertreter mit einer besonderen Funktion bei der Sicherheit und beim Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer haben das Recht, den Arbeitgeber um geeignete Maßnahmen zu ersuchen und ihm diesbezüglich Vorschläge zu unterbreiten, um so jeder Gefahr für die Arbeitnehmer vorzubeugen und/oder die Gefahrenquellen auszuschalten.“</p>
<p class="C22Titrenumerote2">B.      <b>Spanisches Recht</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point12">12.</a>      Art. 34 des Estatuto de los Trabajadores, in der Fassung des Real decreto legislativo (Königliches Gesetzesdekret) 2/2015 zur Billigung der Neufassung des Arbeitnehmerstatuts vom 23. Oktober 2015(<a href="#Footnote4" name="Footref4">4</a>) (im Folgenden: Arbeitnehmerstatut) sieht Folgendes vor:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">„1.      Die Dauer der Arbeitszeit wird durch die Tarifverträge oder Arbeitsverträge festgelegt. Die Regelarbeitszeit beträgt im Jahresdurchschnitt höchstens 40 tatsächlich geleistete Wochenstunden. </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">3.      Zwischen dem Ende eines Arbeitszeitraums und dem Beginn des folgenden liegen mindestens zwölf Stunden. Die Anzahl der tatsächlich geleisteten gewöhnlichen Arbeitsstunden darf neun Stunden täglich nicht überschreiten, sofern nicht in einem Tarifvertrag oder in Ermangelung dessen in einer Vereinbarung zwischen dem Unternehmen und den Arbeitnehmervertretern eine andere Verteilung der täglichen Arbeitszeit vereinbart wird; die täglichen Ruhezeiten sind in jedem Fall zu beachten. </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point13">13.</a>      Art. 35 („Überstunden“) des Arbeitnehmerstatuts bestimmt:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">„1.      Arbeitsstunden, die über die im Einklang mit dem vorstehenden Artikel festgelegte Höchstdauer der Regelarbeitszeit hinaus geleistet werden, stellen Überstunden dar. … </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Die Zahl der Überstunden darf 80 Stunden jährlich nicht überschreiten. </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">4.      Die Leistung von Überstunden ist freiwillig, soweit sie nicht in einem Tarifvertrag oder in einem Individualarbeitsvertrag innerhalb der Grenzen von Abs. 2 festgelegt ist. </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">5.      Für die Berechnung der Überstunden wird die Arbeitszeit jedes Arbeitnehmers täglich aufgezeichnet und zum für die Zahlung der Vergütung festgelegten Zeitpunkt zusammengezählt, wobei dem Arbeitnehmer eine Kopie der Aufstellung im Beleg zur entsprechenden Zahlung übermittelt wird.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point14">14.</a>      Die dritte Zusatzbestimmung („Zuständigkeiten der Arbeitnehmervertreter im Bereich der Arbeitszeit“) des Real Decreto 1561/1995, de 21 de septiembre 1995, sobre jornadas especiales de trabajo (Königliches Dekret 1561/1995 vom 21. September 1995 über Sonderarbeitszeiten)(<a href="#Footnote5" name="Footref5">5</a>) lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Unbeschadet der den Arbeitnehmervertretern im Bereich der Arbeitszeit im Arbeitnehmerstatut und im vorliegenden Real Decreto zuerkannten Befugnisse haben diese Vertreter das Recht …:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)       …</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      jeden Monat vom Arbeitgeber über die von den Arbeitnehmern geleisteten Überstunden unterrichtet zu werden, unabhängig von der gewählten Form des Ausgleichs; sie erhalten zu diesem Zweck eine Kopie der Aufstellung nach Art. 35 Abs. 5 des Arbeitnehmerstatuts.“</p>
<p class="C21Titrenumerote1">II.    <b>Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point15">15.</a>      Am 26. Juli 2017 reichte die Federación de Servicios de Comisiones Obreras (CCOO), eine Arbeitnehmergewerkschaft, die Teil der auf staatlicher Ebene in Spanien repräsentativsten Gewerkschaftsorganisation ist, eine Verbandsklage bei der Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof) gegen die Deutsche Bank ein und beantragte den Erlass eines Urteils, mit dem festgestellt werde, dass diese verpflichtet sei, ein System zur Erfassung der von den Arbeitnehmern geleisteten täglichen effektiven Arbeitszeit einzuführen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point16">16.</a>      Dieses System sollte die Überprüfung zum einen der Einhaltung der vereinbarten Arbeitszeit und zum anderen der Verpflichtung, den Gewerkschaftsvertretern die Informationen über die monatlich geleisteten Überstunden gemäß Art. 35 Abs. 5 des Arbeitnehmerstatuts und der dritten Zusatzbestimmung des Real Decreto 1561/1995 zu übermitteln, gestatten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point17">17.</a>      Am Verfahren haben sich zur Unterstützung des Standpunkts der CCOO vier andere Gewerkschaftsorganisationen beteiligt: die Federación Estatal de Servicios de la Unión General de Trabajadores (FES-UGT), die Confederación General del Trabajo (CGT), die Confederación Solidaridad de Trabajadores Vascos (ELA) und die Confedaración Intersindacal Galega (CIG). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point18">18.</a>      Nach Ansicht der Klägerinnen ergibt sich die Verpflichtung zur Schaffung eines Systems zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit aus der Auslegung der Art. 34 und 35 des Arbeitnehmerstatuts in Verbindung mit Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte und den Art. 3, 5, 6, 8 und 22 der Richtlinie 2003/88. Die Deutsche Bank bringt hingegen vor, dass nach den Urteilen des Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) vom 23. März und vom 20. April 2017 das spanische Recht eine solche allgemeine Verpflichtung nicht vorsehe.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point19">19.</a>      Die Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof) stellte fest, dass, obwohl das beklagte Unternehmen an verschiedene Vorschriften über die Arbeitszeiten gebunden sei, die sich aus mehreren nationalen Tarifverträgen der Branche und Betriebsvereinbarungen ergäben, sie keine Art der Erfassung der tatsächlich von der Belegschaft geleisteten Arbeitszeit nutze, die es gestatte, die Einhaltung der Vorschriften über die Arbeitszeiten, die in den Gesetzen und Tarifverträgen festgelegt seien, sowie die etwaige Leistung von Überstunden zu überprüfen. Das beklagte Unternehmen nütze eine Software (Absences Calendar), durch die nur die ganztägigen Abwesenheiten (Urlaub, Arbeitsbefreiung, Krankheit usw.) aufgezeichnet werden könnten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point20">20.</a>      Die Inspección de Trabajo y Seguridad Social (Inspektion für Arbeit und soziale Sicherheit) der Provinzen Madrid und Navarra verlangte von der Beklagten, ein System zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit einzuführen. Da dies nicht geschah, stellte sie das Vorliegen eines Verstoßes fest und schlug die Auferlegung einer Sanktion vor. Aufgrund des Urteils des Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) vom 23. März 2017 wurde jedoch keine Sanktion verhängt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point21">21.</a>      Das vorlegende Gericht führt aus, dass in diesem Urteil, das im Plenum, jedoch mit einigen Sondervoten, ergangen sei, das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) eine allgemeine Verpflichtung im spanischen Recht, die Regelarbeitszeit aufzuzeichnen, ausgeschlossen habe. Insbesondere habe das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) darauf hingewiesen, dass Art. 35 Abs. 5 des Arbeitnehmerstatuts nur zur Führung einer Liste der geleisteten Überstunden und zur Mitteilung der Zahl der gegebenenfalls von den Arbeitnehmern geleisteten Stunden am Ende jedes Monats an ihre Gewerkschaftsvertreter verpflichte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point22">22.</a>      Das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) stützte diese Entscheidung im Wesentlichen auf folgende Gründe: Die Verpflichtung zur Führung einer Liste sei in Art. 35 des Arbeitnehmerstatuts betreffend die Überstunden enthalten, und nicht in Art. 34 betreffend die Arbeitszeit. Wenn der spanische Gesetzgeber eine solche Liste vorschreiben habe wollen, habe er dies speziell getan, wie für die Teilzeitbeschäftigten, mobilen Arbeitnehmer, Arbeitnehmer in der Handelsmarine und Arbeitnehmer im Eisenbahnsektor. Art. 22 der Richtlinie 2003/88 sehe, wie das spanische Recht, die Verpflichtung vor, eine Liste der Überstunden, aber nicht der normalen Arbeitszeit, die die vorgesehene Höchstarbeitszeit nicht überschreite, zu führen. Die Führung einer solchen Liste impliziere die Verarbeitung personenbezogener Daten des Arbeitnehmers mit der Gefahr, dass das Unternehmen ungerechtfertigt in das Privatleben des Arbeitnehmers eingreife. Das Versäumnis, eine solche Liste zu führen, werde nicht als ein klarer und eindeutiger Verstoß gegen die Vorschriften über die Zuwiderhandlungen und Sanktionen in der Sozialordnung eingestuft. Diese Auslegung würde die Verteidigungsrechte des Arbeitnehmers im Verfahren nicht verletzen, da der Arbeitnehmer nach den spanischen Verfahrensvorschriften nicht daran gehindert werde, mit anderen Mitteln die etwaige Leistung von Überstunden nachzuweisen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point23">23.</a>      Das vorlegende Gericht äußert Zweifel an der Vereinbarkeit des Standpunktes des Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) mit dem Unionsrecht. Insoweit weist es zunächst darauf hin, dass eine Umfrage unter der erwerbstätigen Bevölkerung in Spanien im Jahr 2016 ergeben habe, dass 53,7 % der Überstunden nicht aufgezeichnet würden. Außerdem habe die spanische Generaldirektion Beschäftigung des Ministeriums für Beschäftigung und Soziale Sicherheit in zwei Berichten (vom 31. Juli 2014 und vom 1. März 2016) dargelegt, dass die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden genau bekannt sein müsse, damit festgestellt werden könne, ob Überstunden geleistet worden seien. Das erkläre, weshalb die Arbeitsinspektoren verlangt hätten, ein System zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit einzuführen, das als einziges Mittel zur Prüfung angesehen werde, ob die Höchstarbeitszeiten im Referenzzeitraum überschritten würden. Das vorlegende Gericht weist auch darauf hin, dass die Auslegung des spanischen Rechts durch das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) in der Praxis zur Folge habe, dass die Arbeitnehmer nicht über ein Beweismittel verfügten, das für den Nachweis einer über die Regelarbeitszeit hinausgehenden Leistung wesentlich sei, und ihre Vertreter nicht über ein für die Prüfung der Einhaltung der Vorschriften erforderliches Mittel verfügten, mit der weiteren Folge, dass die Kontrolle der Einhaltung der Arbeitszeit und der Ruhezeiten allein dem Ermessen des Arbeitgebers überlassen bleibe.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point24">24.</a>      Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts kann in dieser Situation das nationale Recht die Einhaltung der Verpflichtungen betreffend die Arbeitszeitgestaltung nach der Richtlinie 2003/88 und, was die Rechte der Arbeitnehmervertreter angehe, nach der Richtlinie 89/391 nicht gewährleisten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point25">25.</a>      Unter diesen Umständen hat die Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen: </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Ist davon auszugehen, dass das Königreich Spanien durch die Art. 34 und 35 des Arbeitnehmerstatuts nach ihrer Auslegung in der Rechtsprechung die erforderlichen Maßnahmen erlassen hat, um die Wirksamkeit der Grenzen für die Dauer der täglichen Arbeitszeit sowie der wöchentlichen und täglichen Ruhezeiten, die in den Art. 3, 5 und 6 der Richtlinie 2003/88 vorgesehen sind, für Vollzeitarbeitnehmer zu gewährleisten, die sich nicht ausdrücklich individuell oder kollektiv zur Ableistung von Überstunden verpflichtet haben und die keine mobilen Arbeitnehmer, Arbeitnehmer in der Handelsmarine oder Arbeitnehmer im Eisenbahnsektor sind?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Sind Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie die Art. 3, 5, 6, 16 und 22 der Richtlinie 2003/88 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1, Art. 11 Abs. 3 und Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 89/391 dahin auszulegen, dass sie innerstaatlichen Rechtsvorschriften wie den Art. 34 und 35 des Arbeitnehmerstatuts entgegenstehen, aus denen nach gefestigter Rechtsprechung nicht abzuleiten ist, dass von den Unternehmen verlangt werden kann, ein System zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit für Vollzeitarbeitnehmer einzuführen, die sich nicht ausdrücklich individuell oder kollektiv zur Ableistung von Überstunden verpflichtet haben und die keine mobilen Arbeitnehmer, Arbeitnehmer in der Handelsmarine oder Arbeitnehmer im Eisenbahnsektor sind?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">3.      Ist davon auszugehen, dass der den Mitgliedstaaten durch Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie die Art. 3, 5, 6, 16 und 22 der Richtlinie 2003/88 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1, Art. 11 Abs. 3 und Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 89/391 auferlegten Verpflichtung, die Dauer der Arbeitszeit aller Arbeitnehmer allgemein zu begrenzen, für gewöhnliche Arbeitnehmer durch die innerstaatlichen Rechtsvorschriften in den Art. 34 und 35 des Arbeitnehmerstatuts Genüge getan wird, aus denen nach gefestigter Rechtsprechung nicht abzuleiten ist, dass von den Unternehmen verlangt werden kann, ein System zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit für Vollzeitarbeitnehmer einzuführen, die sich nicht ausdrücklich individuell oder kollektiv zur Ableistung von Überstunden verpflichtet haben, im Unterschied zu mobilen Arbeitnehmern, Arbeitnehmern in der Handelsmarine und Arbeitnehmern im Eisenbahnsektor? </p>
<p class="C21Titrenumerote1">III. <b>Rechtliche Würdigung</b>
</p>
<p class="C22Titrenumerote2">A.      <b>Vorbemerkungen</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point26">26.</a>      Einleitend ist meines Erachtens darauf hinzuweisen, dass, wie die Kommission in ihren Erklärungen dargelegt hat, die drei Vorlagefragen des vorlegenden Gerichts miteinander verbunden sind und sich unter einigen Gesichtspunkten überschneiden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point27">27.</a>      Es ergibt sich nämlich aus ihrem Wortlaut, dass sich die Antwort auf die erste Frage aus der Antwort auf die zweite und die dritte Vorlagefrage, die sich untereinander inhaltlich decken, ergibt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point28">28.</a>      Mit seinem Vorabentscheidungsersuchen möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, ob Bestimmungen des nationalen Rechts wie die Art. 34 und 35 des Arbeitnehmerstatuts in ihrer Auslegung durch das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) einen wirksamen Schutz des Arbeitnehmers im Bereich der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit sowie der täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten ermöglichen, wie er in Umsetzung des Unionsrechts vorgesehen wurde, obwohl sie nicht den Einsatz eines Systems zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit vorschreiben. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point29">29.</a>      In diesem Kontext halte ich es daher für angebracht, die drei Vorlagefragen des vorlegenden Gerichts gemeinsam zu prüfen und sie wie folgt umzuformulieren: Stehen Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie die Art. 3, 5, 6, 16 und 22 der Richtlinie 2003/88 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1, Art. 11 Abs. 3 und Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 89/391, nämlich Bestimmungen, die über die Auferlegung von Grenzen für die Dauer der Arbeitszeit das Ziel eines wirksamen Schutzes der Gesundheit und Sicherheit des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz verfolgen, nationalen Rechtsvorschriften wie den Art. 34 und 35 des spanischen Arbeitnehmerstatuts in ihrer Auslegung durch die spanische Rechtsprechung entgegen, aus denen nicht abzuleiten ist, dass von den Unternehmen verlangt werden kann, ein System zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit für Vollzeitarbeitnehmer einzuführen, die nicht ausdrücklich individuell oder kollektiv die Leistung von Überstunden akzeptiert haben und die keine mobilen Arbeitnehmer, Arbeitnehmer in der Handelsmarine oder Arbeitnehmer im Eisenbahnsektor sind?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point30">30.</a>      Insoweit weise ich darauf hin, dass vor dem Gerichtshof zwei entgegengesetzte grundsätzliche Auffassungen, wenn auch mit verschiedenen Nuancen, vertreten wurden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point31">31.</a>      Die erste, die vom vorlegenden Gericht, der Kommission und den klagenden Gewerkschaftsverbänden vertreten wird, geht davon aus, dass das Unionsrecht ohne Weiteres eine praktische Verpflichtung zur Messung der Arbeitszeit zulasten des Arbeitgebers impliziert, mit der Folge, dass dieses Recht einer nationalen Regelung wie der spanischen entgegenstünde, die nach der Auslegung durch das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) das Bestehen einer solchen Verpflichtung ausschließt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point32">32.</a>      Nach der zweiten Auffassung, die von der im Ausgangsverfahren beklagten Bank, vom Königreich Spanien und von den anderen Mitgliedstaaten, die Beteiligte im Verfahren vor dem Gerichtshof sind, nämlich vom Vereinigten Königreich und von der Tschechischen Republik, vertreten wird, kann in Ermangelung einer spezifischen Regelung in der Richtlinie 2003/88 den Unternehmen keine allgemeine Verpflichtung zur Messung der Arbeitszeit auferlegt werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point33">33.</a>      Zur Beantwortung der Fragen des vorlegenden Gerichts halte ich es für erforderlich, zunächst die Tragweite der Richtlinie 2003/88 im System des Sozialrechts der Union im Licht der vom Gerichtshof in dem Bereich entwickelten Rechtsprechungsgrundsätze klarzustellen, um sodann auf der Grundlage dieser Analyse zu bestimmen, ob das Unionsrecht und insbesondere diese Richtlinie das Bestehen einer allgemeinen Verpflichtung zur Messung der Arbeitszeit vorsehen. </p>
<p class="C22Titrenumerote2">B.      <b>Ziele und Inhalt der Richtlinie 2003/88</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point34">34.</a>       Ziel der Richtlinie 2003/88 ist es, Mindestvorschriften festzulegen, die dazu bestimmt sind, den Schutz der Gesundheit und der Sicherheit am Arbeitsplatz zu verbessern, wobei dieses Ziel u. a. durch eine Angleichung der innerstaatlichen Arbeitszeitvorschriften erreicht wird(<a href="#Footnote6" name="Footref6">6</a>). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point35">35.</a>      Für die Erreichung dieser Ziele legt die Richtlinie 2003/88 tägliche Mindestruhezeiten (nach Art. 3 elf zusammenhängende Stunden pro 24-Stunden-Zeitraum) und wöchentliche Mindestruhezeiten (nach Art. 5 24 Stunden pro Siebentageszeitraum), sowie eine durchschnittliche wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden einschließlich der Überstunden (nach Art. 6 Buchst. b) fest.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point36">36.</a>      Über diese Bestimmungen wird Art. 31 der Charta der Grundrechte umgesetzt, der, nachdem er in Abs. 1 anerkennt, dass „[j]ede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer … das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen [hat]“, in Abs. 2 bestimmt, dass „[j]ede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer … das Recht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub [hat]“. Dieses Recht steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Achtung der Menschenwürde, die in Titel I der Charta allgemein geschützt ist(<a href="#Footnote7" name="Footref7">7</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point37">37.</a>      Das Recht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und das Recht auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten stellen außerdem einen Ausdruck der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten dar, wie sich aus zahlreichen nationalen Verfassungen ergibt(<a href="#Footnote8" name="Footref8">8</a>). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point38">38.</a>      In diesem systematischen Rahmen hat der Gerichtshof bestätigt, dass die Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 besonders wichtige Regeln des Sozialrechts der Union sind, die jedem Arbeitnehmer als ein zum Schutz seiner Sicherheit und seiner Gesundheit bestimmter Mindestanspruch zugutekommen müssen(<a href="#Footnote9" name="Footref9">9</a>), wobei dieser Schutz nicht nur im individuellen Interesse des Arbeitnehmers, sondern auch im Interesse seines Arbeitgebers sowie der Allgemeinheit liegt(<a href="#Footnote10" name="Footref10">10</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point39">39.</a>      Eine erste Folgerung, die meines Erachtens aus dem instrumentalen Zusammenhang zwischen der Richtlinie 2003/88 und den von der Charta anerkannten sozialen Grundrechten gezogen werden kann, ist, dass die Auslegung der Richtlinie 2003/88 und die Bestimmung ihres Anwendungsbereichs die umfassende und tatsächliche Inanspruchnahme der von ihr den Arbeitnehmern zuerkannten subjektiven Rechte ermöglichen müssen, wobei jedes Hindernis zu beseitigen ist, das diese Inanspruchnahme tatsächlich begrenzen oder beeinträchtigen kann. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point40">40.</a>      Zu diesem Zweck ist bei der Auslegung und Umsetzung der Richtlinie 2003/88 zu berücksichtigen, dass wie der Gerichtshof mehrmals festgestellt hat, der Arbeitnehmer als die schwächere Partei des Arbeitsvertrags anzusehen ist, so dass verhindert werden muss, dass der Arbeitgeber ihm eine Beschränkung seiner Rechte auferlegen kann(<a href="#Footnote11" name="Footref11">11</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point41">41.</a>      Daher verstößt jede Praxis oder Unterlassung eines Arbeitgebers, die den Arbeitnehmer davon abhalten kann, seine Rechte auszuüben, gegen das mit der Richtlinie verfolgte Ziel(<a href="#Footnote12" name="Footref12">12</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point42">42.</a>      Außerdem ist nach dem Gerichtshof aufgrund dieser schwächeren Position zu bedenken, dass der Arbeitnehmer davon abgeschreckt werden kann, seine Rechte gegenüber seinem Arbeitgeber ausdrücklich geltend zu machen, da die Einforderung dieser Rechte ihn Maßnahmen des Arbeitgebers aussetzen könnte, die sich zu seinem Nachteil auf das Arbeitsverhältnis auswirken können(<a href="#Footnote13" name="Footref13">13</a>). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point43">43.</a>      Vor diesem Hintergrund müsste eine Auslegung der Richtlinie 2003/88, die die kohärente Erreichung ihrer Ziele und den umfassenden und wirksamen Schutz der den Arbeitnehmern durch sie gewährten Rechte gestattet, die Bestimmung von spezifischen Verpflichtungen der an ihrer Umsetzung beteiligten Personen umfassen, die vermeiden können, dass das strukturelle Ungleichgewicht in der wirtschaftlichen Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer die tatsächliche Inanspruchnahme der von der Richtlinie zuerkannten Rechte beeinträchtigt. </p>
<p class="C22Titrenumerote2">C.      <b>Zum Erfordernis der Sicherstellung der praktischen Wirksamkeit der Richtlinie 2003/88</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point44">44.</a>      Der oben beschriebene systematische Rahmen erlaubt es, den Inhalt der Verpflichtungen genauer festzulegen, die die Richtlinie 2003/88 den verschiedenen Personen, auf die sie anwendbar ist, auferlegt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point45">45.</a>      Zunächst sind die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie gehalten, „die erforderlichen Maßnahmen [zu treffen]“, damit dem Arbeitnehmer die von der Richtlinie gewährleisteten Rechte (tägliche Ruhezeit, wöchentliche Ruhezeit, wöchentliche Arbeitszeit usw.) gewährt werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point46">46.</a>      Die Wendung „[d]ie Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit …“, mit der alle Artikel beginnen, die die Mindestvorschriften im Bereich der Grenzen der Arbeitszeiten enthalten (Art. 3, 4, 5 und 6, soweit es den vorliegenden Fall betrifft), hat meines Erachtens eine zweifache Bedeutung.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point47">47.</a>      Zum einen bestätigt sie die Wichtigkeit der Umsetzung in das nationale Recht mit weiten, aber funktionalisierten Möglichkeiten der Abweichung. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point48">48.</a>      Zum anderen verstärkt diese Wendung, im Licht des im vorstehenden Abschnitt beschriebenen systematischen Rahmens, die Verantwortung der Mitgliedstaaten, das Ergebnis des wirksamen Schutzes der Gesundheit und Sicherheit des Arbeitnehmers sicherzustellen, deren Schutz zu den grundlegenden Zielen der Richtlinie 2003/88 gehört, wie sich ausdrücklich u. a. aus dem vierten Erwägungsgrund der Richtlinie ergibt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point49">49.</a>      Die wiederholt verwendete Formulierung scheint deshalb zu bedeuten, dass die Mitgliedstaaten zwar die Mittel und Wege, mit denen sie die Richtlinie 2003/88 umsetzen, frei wählen können, sie jedoch jedenfalls Maßnahmen zu erlassen haben, die die tatsächliche Inanspruchnahme der von der Richtlinie gewährleisteten Rechte sicherstellen können, durch eine nationale Regelung, die konkret geeignet ist, das Ziel des Schutzes der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer mittels der effektiven Einhaltung der Grenzen der Arbeitszeiten zu erreichen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point50">50.</a>      Außerdem muss das Recht eines Mitgliedstaats, mit dem eine Richtlinie umgesetzt wird, nach ständiger Rechtsprechung tatsächlich die vollständige Anwendung der Richtlinie gewährleisten, die Rechtslage hinreichend klar bestimmen und die Begünstigten in die Lage versetzen, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen(<a href="#Footnote14" name="Footref14">14</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point51">51.</a>      Insbesondere sollte die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die „erforderlichen Maßnahmen“ zu erlassen, neben der Umsetzung der Vorschriften über die Arbeitszeiten in das nationale Recht die Einführung von allem umfassen, was für die Verwirklichung der in Art. 31 der Charta verankerten Grundrechte erforderlich ist, wobei jedes Hindernis zu beseitigen ist, das die Inanspruchnahme der zu diesem Zweck von der Richtlinie 2003/88 – die, wie in der vorstehenden Nr. 36 dargelegt, eine Umsetzung von Art. 31 der Charta darstellt –zuerkannten subjektiven Rechte tatsächlich beeinträchtigt oder beschränkt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point52">52.</a>      Nach der Rechtsprechung wird im Übrigen den Mitgliedstaaten jedenfalls unmissverständlich eine Verpflichtung zur Erreichung eines bestimmten Ergebnisses auferlegt, die im Hinblick auf die Anwendung der in der Richtlinie 2003/88 aufgestellten Regeln durch keinerlei Bedingungen eingeschränkt ist(<a href="#Footnote15" name="Footref15">15</a>), wobei alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen sind(<a href="#Footnote16" name="Footref16">16</a>) und zu vermeiden ist, dass, auch durch Unterlassungen des nationalen Gesetzgebers(<a href="#Footnote17" name="Footref17">17</a>), die praktische Wirksamkeit der Richtlinie beeinträchtigt wird.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point53">53.</a>      Insbesondere in Bezug auf die unionsrechtliche Regelung im Bereich der Arbeitszeit hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Wirksamkeit der Rechte, die den Arbeitnehmern verliehen werden, in vollem Umfang gewährleistet werden muss, was notwendig die Verpflichtung für die Mitgliedstaaten impliziert, die Einhaltung jeder der in dieser Richtlinie aufgestellten Mindestvorschriften zu gewährleisten. Diese Auslegung entspricht nämlich als einzige dem Ziel dieser Richtlinie, einen wirksamen Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten.(<a href="#Footnote18" name="Footref18">18</a>)</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point54">54.</a>      Die Regelung eines Mitgliedstaats muss daher uneingeschränkt die praktische Wirksamkeit der den Arbeitnehmern durch die Richtlinie 2003/88 gewährten Rechte im Hinblick auf einen wirksamen Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer gewährleisten(<a href="#Footnote19" name="Footref19">19</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point55">55.</a>      Diesen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie entspricht, um die praktische Wirksamkeit zu gewährleisten, eine besondere Verantwortung des Arbeitgebers(<a href="#Footnote20" name="Footref20">20</a>), der seinerseits die Verpflichtung hat, angemessene Maßnahmen zu treffen, um den Arbeitnehmern die Ausübung ihrer von der Richtlinie 2003/88 gewährleisteten Rechte ohne Hindernisse zu ermöglichen. </p>
<p class="C22Titrenumerote2">D.      <b>Messung der Arbeitszeit und Wirksamkeit des Schutzes der Rechte des Arbeitnehmers</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point56">56.</a>      Im Rahmen des bisher dargestellten rechtlichen Kontextes ist zur Beantwortung der Fragen des vorlegenden Gerichts zu prüfen, ob durch das Fehlen eines Systems zur Messung der Dauer und Lage der Arbeitszeit des Arbeitnehmers die durch die Richtlinie 2003/88 eingeräumten Rechte ihres Inhalts beraubt und die praktische Wirksamkeit ihrer Bestimmungen und der Schutz der Rechte, die diese Bestimmungen den Arbeitnehmern in der Union gewähren, beseitigt würden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point57">57.</a>      Insoweit ist erstens darauf hinzuweisen, dass es ohne ein solches System keine Garantie gibt, dass die von der Richtlinie 2003/88 festgelegten zeitlichen Beschränkungen tatsächlich beachtet werden, und daher dafür, dass die Rechte, die die Richtlinie den Arbeitnehmern gewährt, ohne Hindernisse ausgeübt werden können.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point58">58.</a>      Ohne ein System zur Messung der Arbeitszeiten können nämlich das Ausmaß tatsächlich geleisteter Arbeit und ihre Lage nicht objektiv und sicher festgestellt werden. Es ist ohne ein solches System außerdem nicht möglich, zwischen Stunden zu unterscheiden, die als Regelarbeitszeit oder als Überstunden geleistet wurden, und daher einfach und sicher zu prüfen, ob die von der Richtlinie 2003/88 eingeführten Grenzen konkret beachtet wurden oder nicht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point59">59.</a>      Um das Fehlen der Garantien für den wirksamen Schutz der Rechte im Zusammenhang mit der Einhaltung der Arbeitszeiten auszugleichen, können außerdem die den Kontrollorganen, wie den Arbeitsinspektoren, übertragenen Befugnisse nicht ausreichen. Auch die für die Kontrolle der Einhaltung des Systems für die Sicherheit am Arbeitsplatz zuständige Behörde hat nämlich ohne ein System zur Messung der Arbeitszeit keine konkrete Möglichkeit, eine etwaige Nichterfüllung der Verpflichtungen festzustellen und zu beanstanden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point60">60.</a>      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Schwierigkeiten der Feststellung der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden ohne ein zuverlässiges System zur Messung der Arbeitszeit im Übrigen beim vorlegenden Gericht in den zwei oben in Nr. 23 angeführten Berichten der Generaldirektion Beschäftigung des Ministeriums für Beschäftigung und Soziale Sicherheit, der Behörde, der das spanische Recht die Aufgaben der Kontrolle im Bereich Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz überträgt, dargelegt wurden(<a href="#Footnote21" name="Footref21">21</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point61">61.</a>      Außerdem hat der Gerichtshof insoweit bereits auf die Bedeutung des Bestehens eines Systems zur Messung der Arbeitszeit für die Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Unionsregelung über die Beschränkung der Arbeitszeit hingewiesen. Im Urteil Worten (Urteil vom 30. Mai 2013, C‑342/12, EU:C:2013:355) hat der Gerichtshof nämlich festgestellt, dass die Verpflichtung des Arbeitgebers, den zuständigen Behörden unverzüglich Zugang zu den Aufzeichnungen über die Arbeitszeiten zu gewähren, erforderlich sein kann, wenn sie zu einer effizienteren Anwendung der Regelungen über die Arbeitsbedingungen führt(<a href="#Footnote22" name="Footref22">22</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point62">62.</a>      Wenn jedoch die unverzügliche Vorlage der Aufzeichnungen über die Anwesenheiten erforderlich sein kann, um die Wirksamkeit der Bestimmungen über die Arbeitszeit zum Schutz des Arbeitnehmers zu gewährleisten, entzieht erst recht das Fehlen jedes Instruments zur Messung der Arbeitszeit den für die Kontrollen zuständigen Personen ein für die Prüfung der Einhaltung der Regeln wesentliches Element.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point63">63.</a>      Zweitens lässt das Fehlen eines wirksamen Arbeitszeiterfassungssystems nicht nur keine tatsächliche Feststellung der geleisteten Arbeit zu, sondern macht es auch viel schwieriger für den Arbeitnehmer, die Rechte, die ihm die Richtlinie 2003/88 gewährt, in einem Gerichtsverfahren zu wahren. Ohne ein solches System wäre es nämlich, wenn der Arbeitgeber Arbeitsleistungen unter Verstoß gegen die von dieser Richtlinie vorgesehenen Beschränkungen der Arbeitszeit vorschriebe, sehr schwierig, eine wirksame Abhilfe gegen diese rechtswidrigen Verhaltensweisen zu schaffen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point64">64.</a>      Insoweit scheint es nicht hinreichend, wie das Königreich Spanien in der mündlichen Verhandlung zu behaupten, dass der Arbeitnehmer seine Rechte gerichtlich geltend machen könnte. Ohne ein geeignetes System zur Messung der Regelarbeitszeit wird dem Arbeitnehmer nämlich eine viel schwerere Beweislast für den Fall auferlegt, dass er gegen den Arbeitgeber wegen Verstoßes gegen die Verpflichtungen nach der Richtlinie 2003/88 eine Klage erhebt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point65">65.</a>      Der Arbeitnehmer kann nämlich zwar auf andere Mittel zurückgreifen, um vor Gericht Verstöße des Arbeitgebers gegen Verpflichtungen aus der Regelung der Arbeitszeit nachzuweisen, wie z. B. Zeugen oder andere Anhaltspunkte, wie E‑Mails oder erhaltene oder verschickte Nachrichten, doch entzieht ihm das Fehlen von objektiven Belegen zur Dauer seines Arbeitstags eine erste wesentliche Nachweismöglichkeit. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point66">66.</a>      Außerdem wird die Wirksamkeit des Zeugenbeweises vor Gericht durch die schwächere Position des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis und daher durch die mögliche Zurückhaltung – aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen – von Kollegen, gegen den Arbeitgeber als Zeuge auszusagen, verringert.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point67">67.</a>      Insoweit ist auf die in den vorstehenden Nrn. 40 bis 42 angeführte Rechtsprechung hinzuweisen, nach der die schwächere Position des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis den Arbeitnehmer tatsächlich davon abschrecken könnte, seine Rechte gegenüber seinem Arbeitgeber ausdrücklich geltend zu machen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point68">68.</a>      Diese Abschreckungswirkung, die eng mit der vertraglichen Stellung des Arbeitgebers verbunden ist, erhöht sich erheblich, wenn das System über keine Instrumente zur Messung der Arbeitszeit verfügt und daher den etwaigen Beweis vor Gericht besonders schwierig macht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point69">69.</a>      Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass das Fehlen eines Mechanismus zur Erfassung der Arbeitszeit die Wirksamkeit der Rechte, die die Richtlinie 2003/88 den Arbeitnehmern gewährt, erheblich schwächt, die im Wesentlichen dem Ermessen des Arbeitgebers überlassen werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point70">70.</a>      Außerdem folgt aus diesen Erwägungen, dass, auch wenn eine solche Verpflichtung nicht ausdrücklich in der Richtlinie 2003/88 vorgesehen ist, sie für die Erreichung der von dieser vorgesehenen Ziele und zur Inanspruchnahme der von ihr zuerkannten subjektiven Rechte zweckdienlich und wesentlich ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point71">71.</a>      Überdies schwächt das Fehlen eines Systems zur Messung der Arbeitszeit auch die Rechte auf Unterrichtung und die damit verbundene Kontrollfunktion der Gewerkschaftsvertreter der Arbeitnehmer, die ihnen im Bereich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer von Art. 4 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 3 der Richtlinie 89/391 im Einklang mit Art. 27 der Charta der Grundrechte ausdrücklich eingeräumt werden, erheblich(<a href="#Footnote23" name="Footref23">23</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point72">72.</a>      Zusammengefasst zeigen die vorstehenden Erwägungen, dass die Verpflichtung zur Messung der täglichen Arbeitszeit eine wesentliche Funktion im Hinblick auf die Einhaltung aller anderen Verpflichtungen nach der Richtlinie 2003/88, wie die Grenzen der täglichen Arbeitszeit, die tägliche Ruhezeit, die Grenzen der wöchentlichen Arbeitszeit, die wöchentliche Ruhezeit und die etwaige Leistung von Überstunden, erfüllt. Diese Verpflichtungen sind nicht nur mit dem Recht des Arbeitnehmers und seiner Vertreter, in regelmäßigen Abständen das Ausmaß geleisteter Arbeit für die Zwecke der Vergütung überprüfen zu können, sondern insbesondere mit dem Ziel des Schutzes der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz verbunden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point73">73.</a>      Die Auslegung in den vorstehenden Absätzen kann meines Erachtens nicht durch die verschiedenen Argumente der Beteiligten im Verfahren vor dem Gerichtshof zur Stützung der gegenteiligen Ansicht in Frage gestellt werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point74">74.</a>      Insoweit halte ich erstens das Vorbringen, das den Ausschluss des Bestehens einer allgemeinen Verpflichtung zur Einführung eines Mechanismus zur Messung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit darauf stützt, dass die ausdrückliche Regelung eines Systems zur Messung der Arbeitszeiten im Unionsrecht fehle, während in speziellen Fällen hingegen unionsrechtlich die Verpflichtung zur Erfassung der Arbeitszeit vorgesehen sei(<a href="#Footnote24" name="Footref24">24</a>), für nicht entscheidend.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point75">75.</a>      Dieses Argument, das auf das bekannte juristische Auslegungsargument zurückzuführen ist, das im Grundsatz <i>ubi lex voluit dixit, ubi noluit tacuit </i>zum Ausdruck kommt, wird jedoch durch die Ergebnisse der systematischen und teleologischen Auslegung der Richtlinie 2003/88 in den vorstehenden Absätzen widerlegt, die die Notwendigkeit des Bestehens eines Systems zur Messung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten für die Zwecke der Sicherstellung der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts betreffend die Begrenzung der Höchstarbeitszeit gezeigt haben.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point76">76.</a>      Zum anderen steht das Bestehen einer ausdrücklichen Verpflichtung zur Erfassung der Arbeitszeit in einigen speziellen Fällen in keiner Weise im Widerspruch zu der von mir vorgeschlagenen Auslegung. Einige Kategorien von Arbeitnehmern und die Arbeitnehmer einiger spezifischer Branchen benötigen nämlich einen besonderen Schutz – aufgrund der der Leistung innewohnenden Merkmale, wie z. B. die Teilzeitbeschäftigten oder die mobilen Arbeitnehmer –, und für sie sieht das Unionsrecht besonders strenge und umfassende Kontrollsysteme vor.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point77">77.</a>      Für die „gewöhnlichen“ Arbeitnehmer, die nicht in diese spezifischen Kategorien fallen, setzt die Richtlinie 2003/88 hingegen das Bestehen eines Mittels zur Erfassung der Arbeitszeit, das eine einfache Aufzeichnung in Papierform, in elektronischer Form oder ein anderes Instrument, sofern es für das Ziel geeignet ist, sein kann, voraus.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point78">78.</a>      Was zweitens die angebliche Verletzung von gegen die Verarbeitung personenbezogener Daten betreffenden Grundrechten durch die Einführung von Systemen zur Messung der Arbeitszeit anbelangt, hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass, auch wenn der Inhalt von Aufzeichnungen über die Arbeitszeiten unter den Begriff „personenbezogene Daten“ im Sinne des Unionsrechts fallen kann, dieses einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der die Verpflichtung besteht, der für die Überwachung der Arbeitsbedingungen zuständigen nationalen Behörde die Aufzeichnungen über die Arbeitszeiten so zur Verfügung zu stellen, dass sie unverzüglich eingesehen werden können(<a href="#Footnote25" name="Footref25">25</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point79">79.</a>      Natürlich wird der Arbeitgeber die in den Aufzeichnungen enthaltenen Daten rechtmäßig nutzen müssen, indem er nur den Personen den Zugang gewährt, die ein qualifiziertes Interesse haben.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point80">80.</a>      Was drittens das Vorbringen betrifft, wonach das spanische Recht die Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 für den Arbeitnehmer sogar günstiger umgesetzt habe (z. B. indem es die wöchentliche Höchstarbeitszeit herabgesetzt habe), so beruht dieses auf dem Missverständnis, die unterschiedliche Bedeutung der materiell-rechtlichen Verpflichtungen (die Mindestvorschriften der Richtlinie) einerseits und der instrumentalen Verpflichtungen (Kontrollsysteme für die tatsächliche Einhaltung der Ersteren) andererseits zu verwechseln. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point81">81.</a>      Im vorliegenden Verfahren geht es nicht um die korrekte Umsetzung der von der Richtlinie 2003/88 den Mitgliedstaaten ausdrücklich auferlegten Verpflichtungen (tägliche und wöchentliche Mindestruhezeiten, wöchentliche Höchstarbeitszeit usw.), sondern um die Frage, ob es für die korrekte Einhaltung dieser Verpflichtungen erforderlich ist oder nicht, auch ein geeignetes Kontrollinstrument vorzusehen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point82">82.</a>      Viertens scheint es mir auch nicht möglich, sich auf den Schutz zu beziehen, den die Unionsrechtsordnung der unternehmerischen Freiheit gewährt, die das Recht umfasst, Organisationsmodelle zu wählen, die für die spezifische Tätigkeit am geeignetsten angesehen werden, um die Auffassung zu widerlegen, dass eine rechtliche Verpflichtung besteht, ein System zur Messung der Arbeitszeiten vorzusehen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point83">83.</a>      Insoweit ist daran zu erinnern, dass der vierte Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/88 klar darlegt, dass „[d]ie Verbesserung von Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeit … Zielsetzungen dar[stellen], die keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden dürfen“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point84">84.</a>      Im Übrigen haben die Vertreter der Beklagten im Ausgangsverfahren in der mündlichen Verhandlung nicht angegeben, welche die tatsächlichen praktischen Hindernisse für die Schaffung eines Systems zur Messung der Arbeitszeit im Unternehmen wären. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point85">85.</a>      Außerdem verfügen zwar, wie im folgenden Kapitel dargelegt wird, die Mitgliedstaaten über ein weites Ermessen beim Erlass der nationalen Regelungen über die Arbeitszeit, jedoch müsste auch die Regelung von unterschiedlichen Systemen je nach der organisatorischen Komplexität und den Merkmalen des jeweiligen Unternehmens in ihren Ermessensspielraum fallen.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">E.      <b>Autonomie der Mitgliedstaaten bei der Bestimmung des Messsystems</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point86">86.</a>      Aus der von mir in den vorstehenden Absätzen dargelegten Auslegung ergibt sich zwar das Bestehen einer Verpflichtung zur Einführung eines Arbeitszeiterfassungssystems aufgrund des Mindestharmonisierungszwecks der Richtlinie 2003/88, und entsprechend den Ausführungen in der vorstehenden Nr. 49 bin ich außerdem der Meinung, dass die Bestimmung der Formen und Wege der Umsetzung dieser Verpflichtung(<a href="#Footnote26" name="Footref26">26</a>) sowie die Definition der konkreten Modalitäten, die eine einfache Kontrolle der Einhaltung der Regeln über die Arbeitszeiten gestatten, dem Ermessen der Mitgliedstaaten überlassen sind.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point87">87.</a>      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die derzeitige Technologie die verschiedensten Systeme zur Erfassung der Arbeitszeit ermöglicht(<a href="#Footnote27" name="Footref27">27</a>) (Aufzeichnungen in Papierform, Computerprogramme, elektronische Zutrittsausweise), wobei diese Systeme auch nach den Besonderheiten und Erfordernissen der einzelnen Unternehmen unterschiedlich sein könnten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point88">88.</a>      Auch wenn die Mitgliedstaaten über einen weiten Ermessensspielraum bei der Wahl der Formen und Wege zur Umsetzung der Verpflichtung, ein Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen, verfügen, ergibt sich aus den vorstehenden Erwägungen und insbesondere aus der oben in den Nrn. 45 ff. dargelegten Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die praktische Wirksamkeit der Richtlinie und die Wirksamkeit der den Arbeitnehmern von ihr verliehenen Rechte zu gewährleisten, dass ein solches Erfassungssystem geeignet sein muss, diese Ziele zu erreichen(<a href="#Footnote28" name="Footref28">28</a>).</p>
<p class="C22Titrenumerote2">F.      <b>Zu den Vorlagefragen </b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point89">89.</a>      Nach alledem ist meines Erachtens eine nationale Regelung, nach der keine Verpflichtung der Unternehmen zur Einführung eines Systems zur Erfassung der von allen Arbeitnehmern geleisteten täglichen Arbeitszeit besteht, nicht mit dem Unionsrecht vereinbar. Es ist jedenfalls Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung im Einklang mit den angeführten Artikeln der Richtlinie 2003/88 und Art. 31 Abs. 2 der Charta ausgelegt werden kann.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point90">90.</a>      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs haben nämlich die nationalen Gerichte bei der Anwendung des innerstaatlichen Rechts dieses so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der fraglichen Richtlinie auszulegen, um das in der Richtlinie festgelegte Ziel zu erreichen und damit Art. 288 AEUV nachzukommen(<a href="#Footnote29" name="Footref29">29</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point91">91.</a>      Für die Entscheidung des im Ausgangsverfahren geprüften Falls ist darauf hinzuweisen, dass diese Verpflichtung einer unionsrechtskonformen Auslegung die Verpflichtung der nationalen Gerichte umfasst, eine gefestigte Rechtsprechung gegebenenfalls abzuändern, wenn sie auf einer Auslegung des nationalen Rechts beruht, die mit den Zielen einer Richtlinie unvereinbar ist. Folglich darf ein nationales Gericht nicht davon ausgehen, dass es eine nationale Vorschrift nicht im Einklang mit dem Unionsrecht auslegen könne, nur weil sie in ständiger Rechtsprechung in einem nicht mit dem Unionsrecht vereinbaren Sinne ausgelegt worden ist(<a href="#Footnote30" name="Footref30">30</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point92">92.</a>      Daher ist es Sache des vorlegenden Gerichts zu prüfen, ob es unter Verwendung der dem spanischen Recht bekannten Auslegungsinstrumente möglich ist, das Arbeitnehmerstatut dahin auszulegen, dass es die Verpflichtung des Unternehmens vorsieht, ein System zur Messung der täglichen Anwesenheiten der Vollzeitarbeitnehmer einzuführen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point93">93.</a>      Sofern die unionsrechtskonforme Auslegung nicht möglich sein sollte, wäre, da die unmittelbare Anwendung der Richtlinie 2003/88 in den horizontalen Beziehungen zwischen Privatpersonen unzulässig ist, zu prüfen, ob Art. 31 Abs. 2 der Charta angewendet werden kann, um die Unternehmen zu einem System zur Messung der täglichen Anwesenheiten zu verpflichten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point94">94.</a>      Der Gerichtshof hat die unmittelbare Wirkung von Art. 31 Abs. 2 der Charta in den horizontalen Beziehungen zwischen Privatpersonen in Bezug auf das Recht auf bezahlten Jahresurlaub bereits anerkannt(<a href="#Footnote31" name="Footref31">31</a>). Da das Recht auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf (tägliche und wöchentliche) Ruhezeiten dieselbe Struktur aufweist wie das Recht auf bezahlten Jahresurlaub und es sich um eng verbundene Rechte handelt, die beide die Gewährleistung gesunder, sicherer und würdiger Arbeitsbedingungen zum Ziel haben und in derselben Bestimmung der Charta verankert sind, ist meines Erachtens die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur unmittelbaren Wirkung von Art. 31 Abs. 2 der Charta in den horizontalen Beziehungen auch in Bezug auf die Rechte auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf Ruhezeiten des Arbeitnehmers anwendbar.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point95">95.</a>      Diese Rechte können daher unmittelbar gegenüber dem Arbeitgeber geltend gemacht werden, vorausgesetzt, es handelt sich um eine Situation, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt(<a href="#Footnote32" name="Footref32">32</a>), was hier der Fall ist, da die nationale Regelung die Umsetzung der Richtlinie 2003/88 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung darstellt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point96">96.</a>      Insoweit meine ich, dass die durch Art. 31 Abs. 2 der Charta gewährleisteten Rechte auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf Ruhezeiten des Arbeitnehmers und die entsprechenden Verpflichtungen des Arbeitgebers inhaltlich auch die Einführung eines Systems zur Messung der Arbeitszeiten umfassen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point97">97.</a>      Zur Stützung dieser weiten Auslegung der Rechte auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf Arbeitsruhe ist vorab darauf hinzuweisen, dass, da es sich um ein „soziales Recht“ handelt, der Anspruch des Inhabers auf positive Leistungen von Seiten des Staates oder anderer Verpflichteter in der Natur dieser Art von Rechten liegt. Diese Art von Rechten kann nur über positive Leistungen von Seiten des Verpflichteten gewährleistet werden, deren Fehlen und Unzulänglichkeit dem Recht seine Wirksamkeit nimmt. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point98">98.</a>      Die vorstehenden Erwägungen zur Auslegung der Richtlinie 2003/88, die gezeigt haben, wie die Wirksamkeit des Rechts auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf Ruhezeiten von der Möglichkeit abhängt, dass es eine sichere und objektive Methode gibt, die es erlaubt, die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden zu überprüfen, sprechen im Übrigen für eine Auslegung von Art. 31 Abs. 2 der Charta, aus der das Bestehen einer Verpflichtung des Unternehmens abgeleitet wird, einen solchen Kontrollmechanismus einzuführen, wobei es diesem jedoch freisteht, die Techniken zu wählen, die es im Zusammenhang mit den eigenen, mit der Unternehmensorganisation verbundenen spezifischen Anforderungen als angemessener ansieht.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">IV.    <b>Ergebnisse</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point99">99.</a>      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, das Vorabentscheidungsersuchen der Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof, Spanien) wie folgt zu beantworten: </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie die Art. 3, 5, 6, 16 und 22 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung sind dahin auszulegen, dass sie den Unternehmen die Verpflichtung auferlegen, ein System zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit für Vollzeitarbeitnehmer einzuführen, die sich nicht ausdrücklich individuell oder kollektiv zur Ableistung von Überstunden verpflichtet haben und die keine mobilen Arbeitnehmer, Arbeitnehmer in der Handelsmarine oder Arbeitnehmer im Eisenbahnsektor sind, und dass sie innerstaatlichen Rechtsvorschriften entgegenstehen, aus denen eine solche Verpflichtung nicht abzuleiten ist.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Den Mitgliedstaaten steht es frei, die für die Erreichung der praktischen Wirksamkeit der vorstehend angeführten Bestimmungen des Unionsrechts geeignetste Form der Erhebung der effektiven täglichen Arbeitszeit vorzusehen.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">3.      Das vorlegende Gericht hat jedoch zu prüfen, ob es ihm unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der von diesem anerkannten Auslegungsmethoden möglich ist, zu einer Auslegung dieses Rechts zu gelangen, die in der Lage ist, die volle Wirksamkeit des Unionsrechts sicherzustellen. Sollte es unmöglich sein, innerstaatliche Rechtsvorschriften wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden in einer Weise auszulegen, die ihre Konformität mit der Richtlinie 2003/88 und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte gewährleistet, folgt aus der letzteren Bestimmung, dass das vorlegende Gericht diese nationalen Rechtsvorschriften unangewendet zu lassen und sich zu vergewissern hat, dass die Verpflichtung des Unternehmens, sich mit einem zur Messung der effektiven Arbeitszeit geeigneten System auszustatten, eingehalten wird.</p>
<hr/>
<p class="C40FootnoteLangue">
<a href="#Footref1" name="Footnote1">1</a>      Originalsprache: Italienisch.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref2" name="Footnote2">2</a><sup/>      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 2003, L 299, S. 9).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref3" name="Footnote3">3</a><sup/>      ABl. 1989, L 183, S. 1.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref4" name="Footnote4">4</a><sup/>      BOE Nr. 255 vom 24. Oktober 2015.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref5" name="Footnote5">5</a><sup/>      BOE Nr. 230 vom 26. September 1995.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref6" name="Footnote6">6</a><sup/>      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. November 2017, Maio Marques da Rosa (C‑306/16, EU:C:2017:844, Rn. 45), vom 10. September 2015, Federación de Servicios Privados del sindicato Comisiones Obreras (C‑266/14, EU:C:2015:578, Rn. 23). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref7" name="Footnote7">7</a><sup/>      Vgl. in diesem Sinne auch die Schlussanträge des Generalanwalts Tanchev in der Rechtssache King (C‑214/16, EU:C:2017:439, Nr. 36).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref8" name="Footnote8">8</a><sup/>      Vgl. insoweit die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak in der Rechtssache Schultz-Hoff (C‑520/06, EU:C:2008:38, Nr. 53 und Fn. 22), in denen zwar Erwägungen zum Anspruch auf Urlaub angestellt, aber auch verschiedene Verfassungen der Mitgliedstaaten erörtert werden und der Schluss gezogen wird, dass Art. 31 Abs. 2 der Charta Vorbilder in den Verfassungen zahlreicher Mitgliedstaaten hat.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref9" name="Footnote9">9</a><sup/>      Urteile vom 10. September 2015, Federación de Servicios Privados del sindicato Comisiones Obreras (C‑266/14, EU:C:2015:578, Rn. 24), vom 1. Dezember 2005, Dellas u. a. (C‑14/04, EU:C:2005:728, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung); Beschluss vom 4. März 2011, Grigore (C‑258/10, nicht veröffentlicht, EU:C:2011:122, Rn. 41). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref10" name="Footnote10">10</a><sup/>      Vgl. die Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (C‑684/16, EU:C:2018:338, Nr. 52).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref11" name="Footnote11">11</a><sup/>      Vgl. Urteil vom 25. November 2010, Fuß (C‑429/09, EU:C:2010:717, Rn. 80 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Urteil vom 6. November 2018, Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (C‑684/16, EU:C:2018:874, Rn. 41).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref12" name="Footnote12">12</a><sup/>      In Bezug auf den Anspruch auf Urlaub nach Art. 7 der Richtlinie 2003/88 vgl. Urteil vom 6. November 2018, Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (C‑684/16, EU:C:2018:874, Rn. 42).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref13" name="Footnote13">13</a><sup/>      In Bezug auf den Anspruch auf Urlaub nach Art. 7 der Richtlinie 2003/88 vgl. Urteil vom 6. November 2018, Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (C‑684/16, EU:C:2018:874, Rn. 41 und 42).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref14" name="Footnote14">14</a><sup/>      Urteil vom 12. Juni 2003, Kommission/Luxemburg (C‑97/01, EU:C:2003:336, Rn. 32).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref15" name="Footnote15">15</a><sup/>      Urteil vom 5. Oktober 2004, Pfeiffer u. a. (C‑397/01 bis C‑403/01, EU:C:2004:584, Rn. 104).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref16" name="Footnote16">16</a><sup/>      Vgl. Urteile vom 26. Juni 2001, BECTU (C‑173/99, EU:C:2001:356, Rn. 55), vom 25. November 2010, Fuß (C‑429/09, EU:C:2010:717, Rn. 39); Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer in den verbundenen Rechtssachen Pfeiffer u. a. (C‑397/01 bis C‑403/01, EU:C:2003:245, Nr. 23).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref17" name="Footnote17">17</a><sup/>      Vgl. in diesem Sinne die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak in der Rechtssache Schultz-Hoff (C‑350/06, EU:C:2008:37, Nr. 45 und die in Fn. 31 angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref18" name="Footnote18">18</a><sup/>      Urteil vom 7. September 2006, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑484/04, EU:C:2006:526, Rn. 40); Urteil vom 1. Dezember 2005, Dellas u. a. (C‑14/04, EU:C:2005:728, Rn. 45 und 53); Urteil vom 14. Oktober 2010, Fuß (C‑243/09, EU:C:2010:609, Rn. 64).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref19" name="Footnote19">19</a><sup/>      Beschluss vom 11. Januar 2007, Vorel (C‑437/05, EU:C:2007:23, Rn. 36); vgl. insoweit auch die Schlussanträge des Generalanwalts Wathelet in der Rechtssache Hälvä u. a. (C‑175/16, EU:C:2017:285, Nr. 44).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref20" name="Footnote20">20</a><sup/>      Von besonderer Verantwortung wird in den Schlussanträgen des Generalanwalts Bot in der Rechtssache Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (C‑684/16, EU:C:2018:338, Nr. 35) in Bezug auf den Anspruch auf Urlaub gesprochen.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref21" name="Footnote21">21</a><sup/>      Aus diesen Berichten geht hervor, dass ein System zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit als einziges Mittel zur Prüfung angesehen wird, ob die Höchstarbeitszeiten im Referenzzeitraum überschritten wurden.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref22" name="Footnote22">22</a><sup/>      Vgl. Rn. 37 des Urteils. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref23" name="Footnote23">23</a><sup/>      Diese Bestimmung räumt den Arbeitnehmern und ihren Vertretern das Recht auf Unterrichtung und Anhörung im Unternehmen ein.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref24" name="Footnote24">24</a><sup/>      Wie z. B. im Fall der Teilzeitbeschäftigten oder der mobilen Arbeitnehmer. Vgl. insoweit Art. 9 Buchst. b der Richtlinie 2002/15/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Regelung der Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben (ABl. 2002, L 80, S. 35), Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 1999/63/EG des Rates vom 21. Juni 1999 zu der Vereinbarung über die Regelung der Arbeitszeit von Seeleuten (ABl. 1999, L 167, S. 33), und Paragraf 12 des Anhangs der Richtlinie 2014/112/EU des Rates vom 19. Dezember 2014 zur Durchführung der Europäischen Vereinbarung über die Regelung bestimmter Aspekte der Arbeitszeitgestaltung in der Binnenschifffahrt (ABl. 2014, L 367, S. 86).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref25" name="Footnote25">25</a><sup/>      Urteil vom 30. Mai 2013, Worten (C‑342/12, EU:C:2013:355, Rn. 27 und 28).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref26" name="Footnote26">26</a><sup/>      Vgl. insoweit Urteil vom 20. Januar 2009, Schultz-Hoff u. a. (C‑350/06 und C‑520/06, EU:C:2009:18, Rn. 47); in Bezug auf den Anspruch auf Urlaub vgl. zuletzt auch die Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (C‑684/16, EU:C:2018:338, Nr. 25), in Bezug auf die Pflicht der Mitgliedstaaten zur Festlegung der Voraussetzungen für die Ausübung und die Umsetzung des Anspruchs aber bereits die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak in der Rechtssache Schultz-Hoff (C‑520/06, EU:C:2008:38, Nrn. 45, 55 und 56).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref27" name="Footnote27">27</a><sup/>      Die Kommission hat diesen Gesichtspunkt in ihren Erklärungen vor dem Gerichtshof hervorgehoben.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref28" name="Footnote28">28</a><sup/>      Auf der Grundlage der dem Gerichtshof zur Verfügung stehenden Informationen aus der Akte und dem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung scheint insoweit das von der Beklagten im Ausgangsverfahren eingeführte, oben in Nr. 19 beschriebene System auf den ersten Blick die vorstehend dargelegten Eignungsvoraussetzungen nicht zu erfüllen. Es ist jedenfalls Sache des vorlegenden Gerichts zu bestimmen, ob das der Fall ist.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref29" name="Footnote29">29</a><sup/>      Vgl. Urteile vom 24. Januar 2012, Dominguez (C‑282/10, EU:C:2012:33, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 6. November 2018, Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (C‑684/16, EU:C:2018:874, Rn. 58).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref30" name="Footnote30">30</a><sup/>      Vgl. Urteile vom 24. Januar 2012, Dominguez (C‑282/10, EU:C:2012:33, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung), sowie vom 6. November 2018, Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (C‑684/16, EU:C:2018:874, Rn. 60).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref31" name="Footnote31">31</a><sup/>      Urteil vom 6. November 2018, Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (C‑684/16, EU:C:2018:874, Rn. 49 bis 51 und 69 bis 79).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref32" name="Footnote32">32</a><sup/>      Vgl. Art. 51 Abs. 1 der Charta.</p>
|
175,008 | eugh-2019-01-31-c-2518 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-25/18 | 2019-01-31T00:00:00 | 2019-01-31T19:20:40 | 2019-01-31T19:20:40 | Schlussantrag des Generalanwalts | ECLI:EU:C:2019:86 | <p>Vorläufige Fassung</p>
<p class="C36Centre">SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN</p>
<p class="C36Centre">JULIANE KOKOTT</p>
<p class="C36Centre">vom 31. Januar 2019(<a href="#Footnote1" name="Footref1">1</a>)</p>
<p class="C38Centregrasgrandespacement">
<b>Rechtssache C</b>‑<b>25/18</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Brian Andrew Kerr</b>
</p>
<p class="C37Centregras">gegen</p>
<p class="C37Centregras">Pavlo Postnov,</p>
<p class="C37Centregras">Natalia Postnova</p>
<p class="C39Centreespacement">(Vorabentscheidungsersuchen des Okrazhen sad – Blagoevgrad [Regionalgericht Blagoevgrad, Bulgarien])</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 – Gerichtliche Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Art. 24 Nr. 1 Unterabs. 1 – Ausschließliche Zuständigkeit für Verfahren, die dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben – Art. 24 Nr. 2 – Ausschließliche Zuständigkeit für Verfahren, die die Gültigkeit von Beschlüssen der Organe von Gesellschaften oder juristischen Personen zum Gegenstand haben – Art. 7 Nr. 1 Buchst. a – Besondere Zuständigkeit, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden – Klage auf Zahlung eines Beitrags für die Instandhaltung einer Liegenschaft aufgrund eines Beschlusses einer Wohnungseigentümergemeinschaft ohne eigene Rechtspersönlichkeit – Anwendbares Recht – Anwendbarkeit der Verordnung (EG) Nr. 593/2008“</p>
<br/>
<br/>
<br/>
<br/>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C21Titrenumerote1">I.      <b>Einleitung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point1">1.</a>        Welches nationale Gericht ist nach der Brüssel-Ia-Verordnung(<a href="#Footnote2" name="Footref2">2</a>) international zuständig, wenn eine Wohnungseigentümergemeinschaft die Zahlung von Beiträgen zur Instandhaltung einer Liegenschaft durch Klage erzwingen möchte, die säumigen Wohnungseigentümer ihren Wohnsitz aber in einem anderen Mitgliedstaat haben? Diese Frage stellt sich vorliegend anlässlich einer Zahlungsverpflichtung, der Beschlüsse einer Wohnungseigentümergemeinschaft zugrunde liegen, die nach nationalem Recht keine eigene Rechtspersönlichkeit hat.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point2">2.</a>        Das vorlegende Gericht fragt sich in diesem Zusammenhang, ob statt des allgemeinen Gerichtsstands des Wohnsitzes des Beklagten der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsorts der in Rede stehenden Verpflichtung herangezogen werden kann, insoweit es sich bei den in Rede stehenden Zahlungsansprüchen um „Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Brüssel‑Ia-Verordnung handelt. Ferner möchte das vorlegende Gericht erfahren, ob die Rom‑I-Verordnung(<a href="#Footnote3" name="Footref3">3</a>) auf Beschlüsse einer Wohnungseigentümergemeinschaft wie die vorliegend streitgegenständlichen anwendbar ist und nach welchem Statut die Ansprüche aus diesen Beschlüssen materiell-rechtlich zu beurteilen sind.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">II.    <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C22Titrenumerote2">A.      <b>Unionsrecht</b>
</p>
<p class="C23Titrenumerote3">1.      <b>Die Brüssel</b>‑<b>Ia-Verordnung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point3">3.</a>        Die Erwägungsgründe 15 und 16 der Brüssel Ia-Verordnung lauten auszugsweise wie folgt: </p>
<p class="C02AlineaAltA">„(15) Die Zuständigkeitsvorschriften sollten in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten. Diese Zuständigkeit sollte stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(16) Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten sollte durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind. Das Erfordernis der engen Verbindung soll Rechtssicherheit schaffen und verhindern, dass die Gegenpartei vor einem Gericht eines Mitgliedstaats verklagt werden kann, mit dem sie vernünftigerweise nicht rechnen konnte. …“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point4">4.</a>        Art. 4 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point5">5.</a>        Art. 7 Nr. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:</p>
<p class="C29Marge0doubleretrait">1.       a)       wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre;</p>
<p class="C11Marge1avecretrait">b)       im Sinne dieser Vorschrift – und sofern nichts anderes vereinbart worden ist – ist der Erfüllungsort der Verpflichtung</p>
<p class="C14Marge2avecretrait">-      für den Verkauf beweglicher Sachen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen;</p>
<p class="C14Marge2avecretrait">-      für die Erbringung von Dienstleistungen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen;</p>
<p class="C10Marge1">c)      ist Buchstabe b nicht anwendbar, so gilt Buchstabe a“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point6">6.</a>        Art. 24 der Brüssel‑Ia-Verordnung sieht u. a. folgende ausschließliche Zuständigkeiten vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Ohne Rücksicht auf den Wohnsitz der Parteien sind folgende Gerichte eines Mitgliedstaats ausschließlich zuständig:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      für Verfahren, welche dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen sowie die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem die unbewegliche Sache belegen ist.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      für Verfahren, welche die Gültigkeit, die Nichtigkeit oder die Auflösung einer Gesellschaft oder juristischen Person oder die Gültigkeit der Beschlüsse ihrer Organe zum Gegenstand haben, die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Gesellschaft oder juristische Person ihren Sitz hat. Bei der Entscheidung darüber, wo der Sitz sich befindet, wendet das Gericht die Vorschriften seines Internationalen Privatrechts an;</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point7">7.</a>        Gemäß Art. 27 der Brüssel‑Ia-Verordnung hat das Gericht eines Mitgliedstaats „sich von Amts wegen für unzuständig zu erklären, wenn es wegen einer Streitigkeit angerufen wird, für die das Gericht eines anderen Mitgliedstaats aufgrund des Artikels 24 ausschließlich zuständig ist“. Nach Art. 28 Abs. 1 derselben Verordnung hat sich das Gericht ebenfalls von Amts wegen für unzuständig zu erklären, wenn seine Zuständigkeit nicht nach der Verordnung begründet ist, soweit der Beklagte mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat sich nicht rügelos auf das Verfahren eingelassen hat.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">2.      <b>Die Rom</b>‑<b>I-Verordnung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point8">8.</a>        Nach dem siebten Erwägungsgrund zur Rom-I-Verordnung sollten „der materielle Anwendungsbereich und die Bestimmungen dieser Verordnung … mit der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (‚Brüssel I‘) … im Einklang stehen“. Dementsprechend führt der 17. Erwägungsgrund zur Rom-I-Verordnung aus, dass „die Begriffe ‚Erbringung von Dienstleistungen‘ und ‚Verkauf beweglicher Sachen‘ so ausgelegt werden [sollten] wie bei der Anwendung von Artikel 5 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001, soweit der Verkauf beweglicher Sachen und die Erbringung von Dienstleistungen unter jene Verordnung fallen“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point9">9.</a>        Nach Art. 1 Abs. 2 Buchst. f der Rom‑I-Verordnung sind von ihrem Anwendungsbereich „Fragen betreffend das Gesellschaftsrecht, das Vereinsrecht und das Recht der juristischen Personen, wie die Errichtung durch Eintragung oder auf andere Weise, die Rechts- und Handlungsfähigkeit, die innere Verfassung und die Auflösung von Gesellschaften, Vereinen und juristischen Personen sowie die persönliche Haftung der Gesellschafter und der Organe für die Verbindlichkeiten einer Gesellschaft, eines Vereins oder einer juristischen Person“, ausgenommen.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">B.      <b>Nationales Recht</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point10">10.</a>      Die Rechtsverhältnisse aus Wohnungseigentum regelt in Bulgarien das Zakon za sobstvenostta (Eigentumsgesetz). Dessen Art. 38 stellt klar, an welchen Teilen eines Wohngebäudes Gemeinschaftseigentum bestehen kann. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point11">11.</a>      Das Zakon za upravlenie na etazhnata sobstvenost (Gesetz über die Verwaltung von Wohnungseigentum, ZUES) legt die jeweiligen Rechte und Pflichten der Eigentümer, Nutzer und Bewohner im Rahmen der Verwaltung von Gemeinschaftseigentum fest. Als Verwaltungsorgane bestimmt dessen Art. 10 die Hauptversammlung und den Verwaltungsrat (Verwalter). Nach Art. 11 Abs. 1 Nr. 5 ZUES bestimmt die Hauptversammlung die Höhe der Beiträge für die Ausgaben für Verwaltung und Instandhaltung der gemeinschaftlichen Bereiche des Gebäudes. Entsprechende Beschlüsse der Hauptversammlung sind gemäß Art. 38 Abs. 2 ZUES nach Maßgabe der bulgarischen Zivilprozessordnung vollstreckbar, wobei eine Rechtsschutzmöglichkeit zwecks Aufhebung des betreffenden Beschlusses nach Art. 40 ZUES besteht. Art. 6 Abs. 1 Nr. 8 ZUES stellt klar, dass Entscheidungen der Verwaltungsorgane der Eigentümergemeinschaft für die Eigentümer bindend sind. Es obliegt ihnen ferner nach Nr. 9 dieser Vorschrift, sich entsprechend den von ihnen gehaltenen ideellen Eigentumsanteilen an Renovierungskosten und an der Bildung entsprechender Rücklagen sowie nach Nr. 10 an den Ausgaben für Verwaltung und Instandhaltung der gemeinschaftlichen Teile des Gebäudes zu beteiligen.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">III. <b>Sachverhalt und Ausgangsverfahren</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point12">12.</a>      Der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren und nunmehr Beschwerdeführer im Verfahren vor dem vorlegenden Gericht, Herr Kerr, ist Verwalter einer Wohnungseigentümergemeinschaft einer in der Stadt Bansko (Bulgarien) belegenen Liegenschaft. Er leitete vor dem Rayonen sad Razlog (Kreisgericht Razlog, Bulgarien) ein Verfahren gegen zwei Wohnungseigentümer, Herrn Postnov und Frau Postnova, ein. Dabei ging es um die Zahlung von Beiträgen, die diese aufgrund von Beschlüssen der Hauptversammlung der Wohnungseigentümer in den Jahren 2013 bis 2017 für die Instandhaltung der gemeinschaftlichen Teile des Gebäudes ganz oder teilweise schuldeten. Nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Ausgangsverfahren sei mit dem Klageantrag ein Antrag auf Sicherung der Zwangsvollstreckung des eingeklagten Anspruchs gestellt worden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point13">13.</a>      Angaben zu eventuellen Anträgen der Beklagten oder sonstiger Miteigentümer auf Aufhebung der betreffenden Beschlüsse nach Art. 40 ZUES sind den Ausführungen des vorlegenden Gerichts nicht zu entnehmen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point14">14.</a>      Die vom erstinstanzlichen Gericht zugrunde gelegte Anschrift der Beklagten befindet sich in der Republik Irland. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point15">15.</a>      Nachdem Mängel der Klageschrift auf Hinweis des in erster Instanz angerufenen Rayonen sad Razlog (Kreisgericht Razlog) behoben worden waren, erklärte sich dieses Gericht für die Entscheidung über die Klage für unzuständig. Gegen diese erstinstanzliche Entscheidung wendet sich nun der Verwalter mit seiner Beschwerde. </p>
<p class="C21Titrenumerote1">IV.    <b>Vorabentscheidungsersuchen und Verfahren vor dem Gerichtshof</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point16">16.</a>      Mit Beschluss vom 19. Dezember 2017, eingegangen am 16. Januar 2018, hat das Okrazhen sad – Blagoevgrad (Regionalgericht Blagoevgrad, Bulgarien) dem Gerichtshof nach Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Sind die Entscheidungen von nicht personifizierten Rechtsgemeinschaften, die kraft Gesetzes aufgrund der besonderen Inhaberschaft eines Rechts entstehen, die mit Mehrheit ihrer Mitglieder getroffen werden, aber alle, auch diejenigen, die nicht abgestimmt haben, binden, Grundlage einer „vertraglichen Verpflichtung“ im Hinblick auf die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit nach Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung (ЕU) Nr. 1215/2012? </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Für den Fall, dass die erste Frage verneint wird: Sind auf solche Entscheidungen die Regeln über die Bestimmung des anzuwendenden Rechts bei Vertragsverhältnissen der Verordnung Nr. 593/2008 anzuwenden? </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">3.      Für den Fall, dass die erste und die zweite Frage verneint werden: Sind auf solche Entscheidungen die Vorschriften der Verordnung (ЕG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II) anzuwenden, und welche der in der Verordnung genannten außervertraglichen Anspruchsgrundlagen ist hier einschlägig? </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">4.      Für den Fall, dass die erste oder die zweite Frage bejaht wird: Sind die Entscheidungen nicht personifizierter Gemeinschaften über die Ausgaben für Gebäudeinstandhaltung als „Dienstleistungsvertrag“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 593/2008 oder als solche über ein „dingliches Recht“ oder „Miete oder Pacht“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. c dieser Verordnung anzusehen?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point17">17.</a>      Im Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof haben die Republik Lettland und die Europäische Kommission schriftlich Stellung genommen.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">V.      <b>Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens </b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point18">18.</a>      Nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts wurde das Ausgangsverfahren durch die Beschwerde des erstinstanzlichen Klägers gegen einen Beschluss des Rayonen sad Razlog (Kreisgericht Razlog) eingeleitet, mit dem dieses Gericht sich für die Entscheidung über die erhobene Klage für unzuständig erklärt hat.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point19">19.</a>      Ob das verfahrenseinleitende Schriftstück den Beklagten in erster Instanz nach Maßgabe der geltenden Rechtsvorschriften – hier wohl in Anwendung der Bestimmungen der Zustell-Verordnung(<a href="#Footnote4" name="Footref4">4</a>) – übermittelt worden ist, ist der Vorlageentscheidung nicht ausdrücklich zu entnehmen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point20">20.</a>      Unter diesen Umständen mag man bei vordergründiger Betrachtung die Frage der Entscheidungserheblichkeit des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens aufwerfen. Denn wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück den Beklagten in erster Instanz nicht zugestellt worden wäre, hätte das in erster Instanz angerufene nationale Gericht seine internationale Zuständigkeit unter Umständen nicht prüfen dürfen. In diesem Fall müsste das Beschwerdegericht dem Rechtsmittel des Verwalters bereits aus diesem Grund stattgeben, ohne dass es auf die Beantwortung der Vorlagefragen ankäme.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point21">21.</a>      Auch wenn die Zulässigkeit eines Vorabentscheidungsersuchens grundsätzlich nicht von der kontradiktorischen Natur des Ausgangsverfahrens – hier des Rechtsmittelverfahrens – abhängt(<a href="#Footnote5" name="Footref5">5</a>), ist in diesem Zusammenhang dennoch hervorzuheben, dass die ordnungsgemäße Übermittlung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks sowohl bei der Prüfung der internationalen Zuständigkeit durch ein nationales Gericht(<a href="#Footnote6" name="Footref6">6</a>) nach den Bestimmungen der Brüssel‑Ia-Verordnung als auch bei der Anerkennung einer späteren Sachentscheidung(<a href="#Footnote7" name="Footref7">7</a>) von erheblicher Bedeutung ist. Als Ausfluss des Anspruchs des Beklagten auf rechtliches Gehör(<a href="#Footnote8" name="Footref8">8</a>) und auf Wahrung seiner Verteidigungsrechte(<a href="#Footnote9" name="Footref9">9</a>) kommt dem Übermittlungserfordernis besondere Bedeutung zu.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point22">22.</a>      Vorliegend vermag jedoch der Umstand, dass der Vorlageentscheidung nicht explizit zu entnehmen ist, ob und gegebenenfalls wie das verfahrenseinleitende Schriftstück den Beklagten übermittelt worden ist, für sich genommen keine Zweifel an der Entscheidungserheblichkeit des Vorabentscheidungsersuchens aufkommen zu lassen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point23">23.</a>      Für Vorabentscheidungsersuchen, welche die Auslegung des Unionsrechts betreffen, gilt nämlich nach ständiger Rechtsprechung eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit(<a href="#Footnote10" name="Footref10">10</a>). Hinzu kommt, dass der Gerichtshof die fehlende Entscheidungserheblichkeit der ihm gestellten Fragen nur höchst ausnahmsweise feststellt, und zwar dann, wenn sie offensichtlich ist(<a href="#Footnote11" name="Footref11">11</a>). Davon ist hier nicht auszugehen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point24">24.</a>      Das vorlegende Gericht führt im Übrigen aus, dass die Beschwerde des Klägers sich darauf beziehe, dass die Beklagten bis zum Zeitpunkt des angefochtenen Beschlusses keine Einwände betreffend die Zuständigkeit des Gerichts erhoben hätten. Darüber hinaus betont das vorlegende Gericht, dass seine Feststellungen „in tatsächlicher und rechtlicher Sicht“ auf einer „Prüfung der von den Parteien vorgetragenen Argumente, unter Berücksichtigung der Entscheidung, deren Aufhebung beantragt wird“, getroffen wurden. Dies deutet darauf hin, dass eine Übermittlung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks tatsächlich erfolgt ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point25">25.</a>      Jedenfalls ist es Sache des nationalen Gerichts, vor Erlass einer Sachentscheidung, und damit gegebenenfalls nach Erhalt der Antwort des Gerichtshofs zu den vorgelegten Auslegungsfragen, für die ordnungsgemäße Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks, zu sorgen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point26">26.</a>      Aus alledem ergibt sich, dass faktische Unsicherheiten zum Zeitpunkt und zur Art der Übermittlung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks – sowohl in erster Instanz als auch im anhängigen Beschwerdeverfahren – keine Zweifel an der Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens entstehen lassen können.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">VI.    <b>Inhaltliche Würdigung der Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point27">27.</a>      Das vorlegende Gericht hat dem Gerichtshof vier Vorlagefragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Die erste Vorlagefrage betrifft den besonderen Gerichtsstand für Verträge bzw. für Ansprüche aus einem Vertrag nach Art. 7 Nr. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung. Für den Fall, dass dieser Gerichtsstand nicht greifen sollte, wird eine zweite Frage zur Anwendbarkeit der Rom‑I-Verordnung gestellt. Für den Fall, dass die Rom‑I-Verordnung auf eine solche Fallkonstellation nicht anwendbar sein sollte, wird in einer dritten Frage um Klärung der Anwendbarkeit der Rom‑II-Verordnung(<a href="#Footnote12" name="Footref12">12</a>) ersucht. In seiner vierten Frage bittet das vorlegende Gericht schließlich um Auskunft darüber, ob – aus kollisionsrechtlicher Sicht – die in Rede stehenden Beschlüsse als „Dienstleistungsvertrag“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Rom‑I-Verordnung oder als Vertrag über ein „dingliches Recht“ (Buchst. c) bzw. als „Miete oder Pacht“ (Buchst. c) im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Rom‑I-Verordnung anzusehen sind. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point28">28.</a>      Nachfolgend ist dementsprechend zunächst auf die Auslegung der Brüssel‑Ia-Verordnung einzugehen. Es wird sich dabei zeigen, dass die kollisionsrechtlichen Fragestellungen, welche Gegenstand der zweiten bis vierten Vorlagefragen sind, einer Prüfung anhand weiterer Instrumente nicht bedürfen.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">A.      <b>Zur Auslegung der Brüssel</b>‑<b>Ia-Verordnung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point29">29.</a>      Die erste Vorlagefrage, betreffend die Auslegung von Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Brüssel‑Ia-Verordnung, bezieht sich auf „Entscheidungen von nicht personifizierten Rechtsgemeinschaften, die kraft Gesetzes aufgrund der besonderen Inhaberschaft eines Rechts entstehen, die mit Mehrheit ihrer Mitglieder getroffen werden, aber alle, auch diejenigen, die nicht abgestimmt haben, binden“. Nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts zum Sachverhalt sind jedoch nicht etwa die jeweiligen Entscheidungen der Wohnungseigentümergemeinschaft Gegenstand des Ausgangsverfahrens, sondern hierauf gestützte Zahlungsansprüche. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point30">30.</a>      Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Brüssel‑Ia-Verordnung(<a href="#Footnote13" name="Footref13">13</a>) sieht einen besonderen Gerichtsstand am Erfüllungsort der jeweiligen Verpflichtung vor, „wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden“(<a href="#Footnote14" name="Footref14">14</a>). Aus systematischer Sicht ist jedoch zunächst hervorzuheben, dass der Rückgriff auf diesen besonderen Gerichtsstand bei Vorliegen einer ausschließlichen Zuständigkeit nach Art. 24 ausgeschlossen ist(<a href="#Footnote15" name="Footref15">15</a>). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point31">31.</a>      Zu diesen ausschließlichen Zuständigkeiten gehören einerseits die in Art. 24 Nr. 1 normierte Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats, in dem eine unbewegliche Sache belegen ist, für Verfahren, welche dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen(<a href="#Footnote16" name="Footref16">16</a>) zum Gegenstand haben. Andererseits gehört dazu auch die in Art. 24 Nr. 2 vorgesehene Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet eine Gesellschaft oder juristische Person ihren Sitz hat, für bestimmte gesellschaftsrechtliche Verfahren(<a href="#Footnote17" name="Footref17">17</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point32">32.</a>      Vor diesem Hintergrund erfordert eine zweckmäßige Beantwortung der ersten Vorlagefrage eine Vorabprüfung der ausschließlichen Zuständigkeiten nach Art. 24 Nrn. 1 und 2 der Brüssel‑Ia-Verordnung. Nur für den Fall, dass keine ausschließliche Zuständigkeit nach diesen Bestimmungen in Frage käme, wäre eine Auslegung des Art. 7 Nr. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung erforderlich. </p>
<p class="C23Titrenumerote3">1.      <b>Zu den ausschließlichen Zuständigkeiten nach Art. 24 der Brüssel</b>‑<b>Ia-Verordnung</b>
</p>
<p class="C24Titrenumerote4">a)      <b>Zum ausschließlichen Gerichtsstand bezüglich unbeweglicher Sachen (Art. 24 Nr. 1)</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point33">33.</a>      Fraglich ist zunächst, ob Verfahren über Zahlungsansprüche aus Beschlüssen einer Wohnungseigentümergemeinschaft ohne eigene Rechtspersönlichkeit im Zusammenhang mit der Verwaltung der betreffenden Liegenschaft als Verfahren anzusehen sind, „welche dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen“ oder „die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point34">34.</a>      Gerade die vierte Vorlagefrage macht deutlich, dass das vorlegende Gericht – allerdings mit Blick auf die Anwendung der Rom-I-Verordnung und ihre eventuelle Bedeutung für die auf die Bestimmung des Erfüllungsorts anzuwendenden materiell-rechtlichen Vorschriften – Zweifel daran hegt, ob das im Ausgangsfall anhängige Verfahren als Verfahren, welches „dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen“ oder „die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen“ zum Gegenstand hat, anzusehen ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point35">35.</a>      Der siebte Erwägungsgrund der Rom-I-Verordnung stellt klar, dass die Bestimmungen dieser Verordnung u. a. mit der Brüssel‑I-Verordnung(<a href="#Footnote18" name="Footref18">18</a>) im Einklang stehen sollten. Das vorlegende Gericht geht zudem zu Recht davon aus, dass dieses sogenannte Konkordanzgebot auch für das Verhältnis zwischen Brüssel‑Ia-Verordnung und Rom‑I-Verordnung gilt(<a href="#Footnote19" name="Footref19">19</a>). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point36">36.</a>      Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, dass die Auslegungszweifel des vorlegenden Gerichts in Bezug auf die Frage, ob es vorliegend um dingliche Rechte an einer unbeweglichen Sache geht, sich insoweit auch auf Art. 24 Nr. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung beziehen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point37">37.</a>      Wie bereits ausgeführt ist die Zahlung von ausstehenden Beiträgen, die zwei Miteigentümer für die Verwaltung und Instandhaltung der betreffenden Liegenschaft angeblich schulden, Gegenstand des Ausgangsverfahrens. Damit geht es um Pflichten – um es mit den Worten des vorlegenden Gerichts auszudrücken – aus der Inhaberschaft von Miteigentumsanteilen als dingliche Rechte an einer unbeweglichen Sache. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point38">38.</a>      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist der Begriff des „dinglichen Rechts“ an einer unbeweglichen Sache im Sinne von Art. 24 Nr. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung dahin gehend autonom und eng(<a href="#Footnote20" name="Footref20">20</a>) auszulegen, dass das fragliche Recht gegenüber jedermann <i>(erga omnes)</i> wirken muss(<a href="#Footnote21" name="Footref21">21</a>). Zudem fordert die Rechtsprechung, dass der Bestand oder Umfang dieses Rechts Gegenstand des Verfahrens ist(<a href="#Footnote22" name="Footref22">22</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point39">39.</a>      Im Ausgangsverfahren stützt sich die Klage des Verwalters jedoch auf schuldrechtliche Ansprüche der Eigentümergemeinschaft auf Zahlung von Beiträgen für die Instandhaltung der gemeinschaftlichen Bereiche der Liegenschaft. Die dinglichen Rechte der beklagten Miteigentümer am Gemeinschaftseigentum – in Gestalt von ideellen Miteigentumsanteilen – bleiben hiervon zunächst unberührt, so dass eine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 24 Nr. 1 in Anwendung der zitierten Rechtsprechung ausscheiden muss.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point40">40.</a>      Eine andere Beurteilung könnte sich hier jedoch daraus ergeben, dass nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Ausgangsverfahren mit dem Klageantrag ein Antrag auf Sicherung der Zwangsvollstreckung(<a href="#Footnote23" name="Footref23">23</a>) gestellt worden sei, worüber jedoch das erste Gericht nicht entschieden hätte. Ein solcher Antrag könnte sich aber auf die dinglichen Rechte der Beklagten aus ihren Miteigentumsanteilen auswirken, etwa durch Einschränkung ihrer Verfügungsbefugnisse(<a href="#Footnote24" name="Footref24">24</a>). Eine internationale Zuständigkeit aus Art. 24 Nr. 1 Unterabs. 1, 1. Alt. der Brüssel‑Ia-Verordnung wäre damit begründet. Es obliegt demnach dem vorlegenden Gericht, zu ermitteln, welche dinglichen Auswirkungen sich im Ausgangsfall aus dem Antrag auf Sicherung der Zwangsvollstreckung auf die Miteigentumsanteile der Beklagten ergeben könnten(<a href="#Footnote25" name="Footref25">25</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point41">41.</a>      Lediglich der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass die Verwaltung einer Wohnungseigentümergemeinschaft nicht mit der Nutzung einer Liegenschaft gleichgestellt werden kann, weswegen auszuschließen ist, dass „die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen“ Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist.</p>
<p class="C24Titrenumerote4">b)      <b>Zum ausschließlichen Gerichtsstand bezüglich Gesellschaften und juristischer Personen (Art. 24 Nr. 2)</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point42">42.</a>      Art. 24 Nr. 2 der Brüssel‑Ia-Verordnung begründet eine ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet eine Gesellschaft oder juristische Person(<a href="#Footnote26" name="Footref26">26</a>) ihren Sitz hat, u. a. für Verfahren, welche die Gültigkeit der Beschlüsse ihrer Organe zum Gegenstand haben (4. Alt.).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point43">43.</a>      Aus der Unterscheidung zwischen Gesellschaften und juristischen Personen kann zunächst geschlossen werden, dass „nicht personifizierte Gemeinschaften“, d. h. Personenvereinigungen ohne eigene Rechtspersönlichkeit, wie wohl die im Ausgangsfall in Rede stehende Wohnungseigentümergemeinschaft nach bulgarischem Recht, von Art. 24 Nr. 2 grundsätzlich erfasst werden, ohne dass hier auf den Begriff der Gesellschaft näher einzugehen wäre.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point44">44.</a>      Allerdings ist anzumerken, dass Art. 24 Nr. 2, 4. Alt. der Brüssel- Ia-Verordnung nur solche Verfahren erfasst, welche die Rechtswirksamkeit eines Beschlusses zum Gegenstand haben.(<a href="#Footnote27" name="Footref27">27</a>) Davon zu unterscheiden sind Verfahren, welche die Durchführung entsprechender Beschlüsse zum Gegenstand haben, wie etwa die in Rede stehende Klage auf Zahlung von Beiträgen aus einem entsprechenden Beschluss.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point45">45.</a>      Festzuhalten ist demnach, dass eine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 24 Nr. 2, 4. Alt. der Brüssel- Ia-Verordnung für ein Verfahren der in Rede stehenden Art nicht greift.</p>
<p class="C24Titrenumerote4">c)      <b>Zwischenergebnis</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point46">46.</a>      Für den Fall, dass angesichts des Klagegegenstands im Ausgangsverfahren auch keine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 24 Nr. 1 Unterabs. 1, 1. Alt. der Brüssel‑Ia-Verordnung begründet werden kann(<a href="#Footnote28" name="Footref28">28</a>), ist nun auf die Auslegung des Art. 7 Nr. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung einzugehen.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">2.      <b>Zur besonderen Zuständigkeit nach Art. 7 Nr. 1 der Brüssel</b>‑<b>Ia-Verordnung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point47">47.</a>      Mit der ersten Vorlagefrage zur Auslegung des Art. 7 Nr. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung soll im Wesentlichen geklärt werden, ob die in Rede stehenden Zahlungsansprüche als Ansprüche aus einem Vertrag im Sinne dieser Vorschrift anzusehen sind. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point48">48.</a>      Da die Brüssel‑Ia-Verordnung an die Stelle der Brüssel‑I-Verordnung getreten ist, nimmt der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung(<a href="#Footnote29" name="Footref29">29</a>) an, dass die Auslegung der Bestimmungen der letztgenannten Verordnung durch den Gerichtshof auch für die Brüssel‑Ia-Verordnung gilt, soweit die Bestimmungen dieser beiden Rechtsakte der Union als gleichwertig angesehen werden können. Soweit Art. 7 Nr. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung den Vorgängerbestimmungen in Art. 5 Nr. 1 der Brüssel‑I-Verordnung sowie in Art. 5 Nr. 1 des Brüsseler Übereinkommens (in der Folge: EuGVÜ)(<a href="#Footnote30" name="Footref30">30</a>) entspricht, bleibt die Auslegung dieser Vorgängerbestimmungen durch den Gerichtshof auch für Art. 7 Nr. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung maßgeblich(<a href="#Footnote31" name="Footref31">31</a>). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point49">49.</a>      Zu Art. 5 Nr. 1 Buchst. a der Brüssel‑I-Verordnung hat der Gerichtshof entschieden, dass der Abschluss eines Vertrags kein Tatbestandsmerkmal darstellt(<a href="#Footnote32" name="Footref32">32</a>). Dennoch ist für seine Anwendung die Feststellung einer Verpflichtung unerlässlich, da sich die gerichtliche Zuständigkeit nach dieser Vorschrift nach dem Ort bestimmt, an dem die der Klage zugrunde liegende Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre. Die Wendung „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne dieser Bestimmung kann somit nicht so verstanden werden, dass sie eine Situation erfasst, in der es an einer von einer Partei gegenüber einer anderen freiwillig eingegangenen Verpflichtung fehlt(<a href="#Footnote33" name="Footref33">33</a>). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point50">50.</a>      Daraus zieht der Gerichtshof den Schluss, dass die Anwendung der besonderen Zuständigkeitsregel für Verträge oder Ansprüche aus einem Vertrag voraussetzt, dass eine von einer Person gegenüber einer anderen freiwillig eingegangene rechtliche Verpflichtung bestimmt werden kann, auf die sich die betreffende Klage stützt(<a href="#Footnote34" name="Footref34">34</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point51">51.</a>      Dabei hat der Gerichtshof die erforderliche Freiwilligkeit auch in solchen Fällen angenommen, in denen die streitige Verpflichtung ihre Rechtsgrundlage in Vereinsstatuten bzw. in Beschlüssen von Vereinsorganen(<a href="#Footnote35" name="Footref35">35</a>), in der Ausübung einer Geschäftsführungstätigkeit nach Maßgabe des Gesellschaftsrechts(<a href="#Footnote36" name="Footref36">36</a>), in Rechtsvorschriften(<a href="#Footnote37" name="Footref37">37</a>) aus der Fluggastrechte-Verordnung(<a href="#Footnote38" name="Footref38">38</a>) oder in einer einseitigen Erklärung(<a href="#Footnote39" name="Footref39">39</a>) fand. Diese Fälle zeigen, dass der Gerichtshof das Tatbestandsmerkmal „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ nicht eng auslegt(<a href="#Footnote40" name="Footref40">40</a>), wenngleich in der Rechtsprechung häufig ein formaler Hinweis auf das Regel-Ausnahmeverhältnis zwischen allgemeinem Gerichtsstand nach Art. 4 der Brüssel‑Ia-Verordnung und besonderen Gerichtsständen zu finden ist(<a href="#Footnote41" name="Footref41">41</a>). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point52">52.</a>      Für die Beantwortung der ersten Vorlagefrage ist daher entscheidend, ob im Ausgangsfall „eine von einer Person gegenüber einer anderen freiwillig eingegangene rechtliche Verpflichtung“ auszumachen ist. In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, inwieweit die vom Gerichtshof in der Rechtssache Peters Bauunternehmung(<a href="#Footnote42" name="Footref42">42</a>) zugrunde gelegten Überlegungen für den vorliegenden Fall Geltung beanspruchen könnten. In dieser Rechtssache ging es um die Einordnung einer Zahlungsverpflichtung, die auf der freiwilligen Mitgliedschaft in einer Unternehmensvereinigung fußte. Hierzu stellte der Gerichtshof fest, dass „der Beitritt zu einem Verein zwischen den Vereinsmitgliedern enge Bindungen gleicher Art schafft, wie sie zwischen Vertragsparteien bestehen“(<a href="#Footnote43" name="Footref43">43</a>), so dass es gerechtfertigt sei, für die Anwendung des Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ die in Frage stehenden Ansprüche als vertragliche Ansprüche anzusehen(<a href="#Footnote44" name="Footref44">44</a>). Unerheblich sei in diesem Zusammenhang, „ob dieser Anspruch sich unmittelbar aus dem Beitritt oder aber aus diesem Beitritt in Verbindung mit einem Beschluss eines Vereinsorgans ergibt“(<a href="#Footnote45" name="Footref45">45</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point53">53.</a>      Mit Blick auf den Ausgangsfall ist daher zunächst festzuhalten, dass die Modalitäten der Beschlussfassung der Entscheidung, auf welche die Zahlungsforderung gestützt wird(<a href="#Footnote46" name="Footref46">46</a>), oder der Umstand, dass die Aufhebung der betreffenden Entscheidung von den säumigen Miteigentümern nicht beantragt wurde, für die Beurteilung der Freiwilligkeit der Verpflichtung der Miteigentümer aus dieser Entscheidung unerheblich sind.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point54">54.</a>      Hinsichtlich der Mitgliedschaft in der Wohnungseigentümergemeinschaft ist zwar hervorzuheben, dass sie einerseits gesetzlich vorgeschrieben ist, da das hier maßgebliche bulgarische Recht die Verwaltung von Gemeinschaftseigentum durch eine Eigentümergemeinschaft zwingend vorschreibt. Andererseits werden die Einzelheiten der Verwaltung gegebenenfalls durch Vertrag geregelt, und der Eintritt in die Gemeinschaft erfolgt durch freiwilligen Erwerb einer Eigentumswohnung samt Miteigentumsanteilen an den gemeinschaftlichen Bereichen der Liegenschaft. Diese Aspekte rechtfertigen daher die Annahme, dass es sich bei der in Rede stehenden Verpflichtung der Miteigentümer gegenüber der Eigentümergemeinschaft im Ergebnis um eine freiwillig eingegangene rechtliche Verpflichtung handelt(<a href="#Footnote47" name="Footref47">47</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point55">55.</a>      Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit den Zielen, die die Brüssel‑Ia-Verordnung verfolgt. Ausweislich ihrer Erwägungsgründe 15 und 16 sollten „die Zuständigkeitsvorschriften … in hohem Maße vorhersehbar sein“ und „der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten … durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind“. Bereits im Urteil Peters Bauunternehmung(<a href="#Footnote48" name="Footref48">48</a>) hob der Gerichtshof insoweit hervor, dass, „da nach den innerstaatlichen Rechtsordnungen meistens der Ort des Vereinssitzes auch Erfüllungsort für die Verpflichtungen aus der Mitgliedschaft ist, … die Anwendung [des vertraglichen Gerichtsstands] … praktische Vorteile [hat]: Das Gericht des Ortes, an dem sich der Sitz des Vereins befindet, kann nämlich in der Regel die Vereinssatzung, ‑bestimmungen und ‑beschlüsse sowie die Umstände, die mit der Entstehung des Rechtsstreits zusammenhängen, am besten verstehen.“ </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point56">56.</a>      Diese Überlegungen erscheinen auf die vorliegende Konstellation übertragbar. Wie die lettische Regierung in ihrer schriftlichen Stellungnahme zu Recht betont, steht die Eröffnung eines Gerichtsstands für Ansprüche aus der Verwaltung von Wohnungseigentum am Ort der Beschlussfassung(<a href="#Footnote49" name="Footref49">49</a>), soweit er dem Erfüllungsort der in Rede stehenden Verpflichtung entspricht(<a href="#Footnote50" name="Footref50">50</a>), im Einklang mit der Zielsetzung der besonderen Zuständigkeiten nach Art. 7 Nr. 1, wie sie im 16. Erwägungsgrund zur Brüssel‑Ia-Verordnung zum Ausdruck kommt. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point57">57.</a>      Insbesondere wird dadurch vermieden, dass Zahlungsansprüche gegen Miteigentümer, die gegebenenfalls ihren Wohnsitz in unterschiedlichen Staaten haben, und Fragen zur Gültigkeit der zugrunde liegenden Beschlüsse vor unterschiedlichen Gerichten verhandelt werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point58">58.</a>      Auf der Grundlage der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof daher vor, die erste Vorlagefrage dahin gehend zu beantworten, dass unbeschadet einer etwaigen ausschließlichen Zuständigkeit nach Art. 24 Nr. 1 Unterabs.1, 1. Alt. in Verbindung mit Art. 8 Nr. 4 der Brüssel‑Ia-Verordnung Verfahren über Ansprüche aus Entscheidungen, die durch die Mehrheit der Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft ohne eigene Rechtspersönlichkeit getroffen werden, aber alle Mitglieder, auch diejenigen, die nicht abgestimmt haben, binden, als Ansprüche aus einem Vertrag im Sinne von Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Brüssel‑Ia-Verordnung anzusehen sind.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">B.      <b>Schlussfolgerungen im Hinblick auf die weiteren Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C23Titrenumerote3">1.      <b>Zur zweiten Vorlagefrage</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point59">59.</a>      Die zweite Vorlagefrage betreffend die Anwendbarkeit der Rom‑I-Verordnung wurde für den Fall gestellt, dass die erste Frage verneint wird. Da ich dem Gerichtshof vorschlage, die erste Frage zu bejahen, könnte sich dementsprechend die Beantwortung der zweiten Vorlagefrage erübrigen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point60">60.</a>      Hinsichtlich der Anwendbarkeit der Rom‑I-Verordnung ist jedenfalls zu bedenken, dass diese sich nicht bereits daraus ergibt, dass eine Klage unter den besonderen Gerichtsstand für Verträge oder Ansprüche aus Verträgen nach Art. 7 Nr. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung fällt.(<a href="#Footnote51" name="Footref51">51</a>) Zu beachten sind nämlich die Ausnahmen zum sachlichen Anwendungsbereich der Rom‑I-Verordnung. Nach ihrem Art. 1 Abs. 2 Buchst. f findet die Rom‑I-Verordnung insbesondere keine Anwendung auf „Fragen betreffend das Gesellschaftsrecht, das Vereinsrecht und das Recht der juristischen Personen …“. Aus diesem Ausnahmetatbestand folgt, dass Zahlungsansprüche einer Rechtsgemeinschaft gegen ihre Mitglieder kollisionsrechtlich nicht nach der Rom‑I-Verordnung zu beurteilen sind, obwohl solche Ansprüche als „Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne von Art. 7 Nr. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung, die keinen entsprechenden Ausnahmetatbestand enthält, anzusehen sind(<a href="#Footnote52" name="Footref52">52</a>). </p>
<p class="C23Titrenumerote3">2.      <b>Zur dritten Vorlagefrage </b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point61">61.</a>      Die dritte Vorlagefrage zur Anwendbarkeit der Rom‑II-Verordnung wird auch nur für den Fall einer negativen Antwort sowohl auf die erste als auch auf die zweite Vorlagefrage gestellt. Mithin erübrigt sich angesichts meines Antwortvorschlags zur ersten Vorlagefrage ihre Beantwortung.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">3.      <b>Zur vierten Vorlagefrage</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point62">62.</a>      Die vierte Vorlagefrage zur Auslegung von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b bzw. c der Rom‑I-Verordnung wird hingegen für den Fall einer positiven Antwort zur ersten oder zur zweiten Frage gestellt, wenn also aus der Anwendbarkeit des besonderen Gerichtsstands des Erfüllungsorts einer vertraglichen Verpflichtung die Anwendbarkeit der Kollisionsregeln für vertragliche Schuldverhältnisse folgen würde. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point63">63.</a>      Meinen vorangegangenen Erwägungen zur Anwendbarkeit der Rom‑I-Verordnung(<a href="#Footnote53" name="Footref53">53</a>) ist allerdings zu entnehmen, dass diese Verordnung auf das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Rechtsverhältnis ausweislich ihres Art. 1 Abs. 2 Buchst. f grundsätzlich nicht anwendbar ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point64">64.</a>      Wie bereits angedeutet(<a href="#Footnote54" name="Footref54">54</a>) ist dennoch erkennbar, dass mit der vierten Vorlagefrage das vorlegende Gericht im Wesentlichen erfahren möchte, inwieweit die Einordnung des Rechtsverhältnisses, welchem im Ausgangsverfahren der streitgegenständliche Zahlungsanspruch zugrunde liegt, sich auf die Rechtsvorschriften auswirkt, die zur Bestimmung des Erfüllungsorts der betreffenden Leistung anzuwenden sind. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point65">65.</a>      Da es nach ständiger Rechtsprechung Aufgabe des Gerichtshofs ist, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben, hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren. Außerdem kann der Gerichtshof veranlasst sein, unionsrechtliche Vorschriften zu berücksichtigen, die das nationale Gericht in seiner Frage nicht angeführt hat(<a href="#Footnote55" name="Footref55">55</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point66">66.</a>      Vor diesem Hintergrund könnten die vom vorlegenden Gericht in der vierten Vorlagefrage zum Ausdruck gebrachten Auslegungszweifel hinsichtlich der Einordnung des Rechtsverhältnisses, das der Zahlungsklage zugrunde liegt, als „Dienstleistungsvertrag“(<a href="#Footnote56" name="Footref56">56</a>) oder als Vertrag über ein „dingliches Recht“(<a href="#Footnote57" name="Footref57">57</a>) bzw. als Miete oder Pacht(<a href="#Footnote58" name="Footref58">58</a>) auch als Fortführung der Auslegungszweifel hinsichtlich Art. 7 Nr. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung verstanden werden. Dafür spricht insbesondere, dass das vorlegende Gericht sich in seiner Vorlageentscheidung auf Art. 68 des Zakon za zadalzheniata i dogovorite (Gesetz über Schuldverhältnisse und Verträge) betreffend die Bestimmung des Leistungsorts einer Forderung bezieht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point67">67.</a>      Die vierte Vorlagefrage sollte daher umformuliert werden und dahin gehend gedeutet werden, dass sie darauf abzielt, zu bestimmen, ob der Erfüllungsort der in Rede stehenden Verpflichtung nach Art. 7 Nr. 1 Buchst. b zweiter. Spiegelstrich der Brüssel‑Ia-Verordnung zu bestimmen ist. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point68">68.</a>      Für Dienstleistungsverträge enthält Art. 7 Nr. 1 Buchst. b zweiter Spiegelstrich der Brüssel‑Ia-Verordnung nämlich eine Regel zur unionsautonomen Bestimmung des Erfüllungsorts der Verpflichtung, sofern der in Rede stehende Vertrag eine entsprechende Vereinbarung nicht enthält. Maßgeblich ist hiernach der Ort, an dem die vertragscharakteristische Leistung – mithin die Dienstleistungen – nach dem Vertrag erbracht worden ist oder hätte erbracht werden müssen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point69">69.</a>      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 5 Nr. 1 Buchst. b der Brüssel‑I-Verordnung, dessen Wortlaut mit demjenigen von Art. 7 Nr. 1 Buchst. b der Brüssel‑Ia-Verordnung übereinstimmt, „bedeutet … der Begriff ‚Dienstleistungen‘ zumindest, dass die Partei, die sie erbringt, eine bestimmte Tätigkeit gegen Entgelt durchführt“(<a href="#Footnote59" name="Footref59">59</a>)(<a href="#Footnote60" name="Footref60">60</a>). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point70">70.</a>      Fraglich ist also, in welchem Verhältnis die von den Miteigentümern zu leistenden Beiträge, um deren Zahlung es im Ausgangsverfahren geht, zur Verwaltungstätigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft stehen. Die Tätigkeit besteht im Wesentlichen in der Instandhaltung der Liegenschaft und damit einhergehend im Abschluss von Verträgen unterschiedlicher Nature mit Dritten in Ausführung dieser Geschäftsbesorgungstätigkeit, etwa zur Reinigung und zur Pflege der gemeinschaftlichen Bereiche der Liegenschaft, zur Ausführung von Reparaturen oder zur Energieversorgung.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point71">71.</a>      Zu bedenken ist allerdings, dass diese Geschäftsbesorgungstätigkeit selbst nicht zwingend entgeltlich erfolgt. Dies ist etwa nur dann der Fall, wenn die Verwaltung einer aus Eigentumswohnungen bestehenden Liegenschaft an einen spezialisierten Dienstleister übertragen – und nicht etwa ehrenamtlich durch einen der Miteigentümer durchgeführt – wird. Hinzu kommt, dass die von den Miteigentümern an die Gemeinschaft zu leistenden Beiträge zu einem nicht unwesentlichen Teil der Deckung von Steuern und Abgaben und damit nicht der Erfüllung von vertraglichen Verpflichtungen gegenüber Dritten dienen, die im Namen und für Rechnung der Eigentümergemeinschaft eingegangen wurden. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point72">72.</a>      Angesichts dieser Überlegungen zur gemischten oder jedenfalls uneinheitlichen Natur der in Rede stehenden Beiträge gebieten es meines Erachtens die Prinzipien der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit(<a href="#Footnote61" name="Footref61">61</a>), Art. 7 Nr. 1 Buchst. b zweiter Spiegelstrich der Brüssel‑Ia-Verordnung auf eine Konstellation wie die des Ausgangsverfahrens nicht anzuwenden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point73">73.</a>      Dementsprechend wäre der Erfüllungsort nach der – gemäß Art. 7 Nr. 1 Buchst. c der Brüssel‑Ia-Verordnung – subsidiären Regel des Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Brüssel‑Ia-Verordnung zu bestimmen, wonach der Gerichtsstand für Verträge oder Ansprüche aus Verträgen im Sinne dieser Bestimmung an dem Ort eröffnet ist, „an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre“. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point74">74.</a>      Für die entsprechende Bestimmung des Erfüllungsorts ist nach der sog. Tessili-Regel(<a href="#Footnote62" name="Footref62">62</a>) die vom anwendbaren Kollisionsrecht des Forumsstaats jeweils zur Anwendung berufene <i>lex causae</i> maßgeblich.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point75">75.</a>      Dabei wäre zu beachten, dass der Erfüllungsort im Sinne des Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Brüssel‑Ia-Verordnung mit Blick auf die konkret streitige Verpflichtung – im Ausgangsfall also die Zahlungsverpflichtung und nicht die vertragscharakteristische Leistung wie nach Buchst. b – zu bestimmen wäre(<a href="#Footnote63" name="Footref63">63</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point76">76.</a>      Daher schlage ich dem Gerichtshof vor, die vierte Vorlagefrage, umzuformulieren, um ihren Bezug zu Art. 7 Nr. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung zu verdeutlichen, und wie folgt zu beantworten: </p>
<p class="C02AlineaAltA">Art. 7 Nr. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung ist dahin gehend auszulegen, dass</p>
<p class="C03Tiretlong">–        die Ausführung einer Verwaltungstätigkeit durch eine Eigentümergemeinschaft, in deren Rahmen Entscheidungen über die Ausgaben für Gebäudeinstandhaltung getroffen werden, nicht den „Dienstleistungen“ im Sinne von Buchst. b zweiter Spiegelstrich zuzurechnen ist;</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Ort, an dem eine sich aus solchen Entscheidungen ergebende Zahlungsverpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre, nach dem auf das betreffende Rechtsverhältnis nach den Kollisionsregeln des Forumsstaats anwendbaren Statut in Anwendung von Buchst. a zu bestimmen ist. </p>
<p class="C21Titrenumerote1">VII. <b>Ergebnis</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point77">77.</a>      Aufgrund der vorstehenden Ausführungen schlage ich dem Gerichtshof vor, das Vorabentscheidungsersuchen des Okrazhen sad – Blagoevgrad (Regionalgericht Blagoevgrad, Bulgarien) wie folgt zu beantworten:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1      Unbeschadet einer ausschließlichen Zuständigkeit nach Art. 24 Nr. 1 Unterabs. 1, 1. Alt. in Verbindung mit Art. 8 Nr. 4, Satz 1 1. Alt. der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (Brüssel Ia) sind Verfahren über Ansprüche aus Entscheidungen, die durch die Mehrheit der Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft ohne eigene Rechtspersönlichkeit getroffen werden, aber alle Mitglieder, auch diejenigen, die nicht abgestimmt haben, binden, als Ansprüche aus einem Vertrag im Sinne von Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (Brüssel Ia) anzusehen.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2      Art. 7 Nr. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (Brüssel Ia) ist dahin gehend auszulegen, dass</p>
<p class="C11Marge1avecretrait">–      die Ausführung einer Verwaltungstätigkeit durch die Organe einer Eigentümergemeinschaft, in deren Rahmen Entscheidungen über die Ausgaben für Gebäudeinstandhaltung getroffen werden, nicht den „Dienstleistungen“ im Sinne von Buchst. b 2. Spiegelstrich zuzurechnen ist;</p>
<p class="C11Marge1avecretrait">–      der Ort, an dem eine sich aus solchen Entscheidungen ergebende Zahlungsverpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre, nach dem auf das betreffende Rechtsverhältnis nach den Kollisionsregeln des Forumsstaats anwendbaren Statut in Anwendung von Buchst. a zu bestimmen ist.</p>
<hr/>
<p class="C40FootnoteLangue">
<a href="#Footref1" name="Footnote1">1</a>      Originalsprache: Deutsch.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref2" name="Footnote2">2</a>      Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1, im Folgenden: Brüssel‑Ia-Verordnung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref3" name="Footnote3">3</a>      Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. 2008, L 177, S. 6, im Folgenden: Rom‑I-Verordnung). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref4" name="Footnote4">4</a>      Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (Zustellung von Schriftstücken) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates (ABl. 2007, L 324, S. 79, im Folgenden: Zustell-Verordnung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref5" name="Footnote5">5</a>      Vgl. in diesem Sinne insbesondere Urteil vom 3. März 1994, Eurico Italia u. a. (C‑332/92, C‑333/92 und C‑335/92, EU:C:1994:79, Rn. 11 und 13). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref6" name="Footnote6">6</a>      Vgl. etwa die Verpflichtung zur Aussetzung des Verfahrens nach Art. 19 der Zustell-Verordnung in Verbindung mit Art. 28 Abs. 3 der Brüssel‑Ia-Verordnung, bis die ordnungsgemäße Übermittlung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks festgestellt werden kann.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref7" name="Footnote7">7</a>      Zur Rechtsfolge einer fehlenden, fehlerhaften oder nicht rechtzeitigen Zustellung im Rahmen der Anerkennung, vgl. Art. 45 Abs. 1 Buchst. b der Brüssel‑Ia-Verordnung.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref8" name="Footnote8">8</a>      Peiffer E. / Peiffer M., in Paulus D. / Peiffer E. / Peiffer M., Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung (Brüssel Ia), Kommentar, Art. 28, Rn. 18 und 29.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref9" name="Footnote9">9</a>      Queirolo I., in Magnus/Mankowski, ECPIL Commentary of Brussels Ibis Regulation, Art. 28, Rn. 20. Siehe hierzu bereits Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache A (C‑112/13, EU:C:2014:207, Nrn. 53 ff.) und Urteil vom 11. September 2014 (C‑112/13, EU:C:2014:2195, Rn. 51 ff.).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref10" name="Footnote10">10</a>      Urteile vom 7. September 1999, Beck und Bergdorf (C‑355/97, EU:C:1999:391, Rn. 22), vom 23. Januar 2018, F. Hoffmann-La Roche u. a. (C‑179/16, EU:C:2018:25, Rn. 45), vom 29. Mai 2018, Liga van Moskeeën en Islamitische Organisaties Provincie Antwerpen u. a. (C‑426/16, EU:C:2018:335, Rn. 31), und vom 25. Juli 2018, Confédération paysanne u. a. (C‑528/16, EU:C:2018:583, Rn. 73).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref11" name="Footnote11">11</a>      Aus der in Fn. 10 angeführten ständigen Rechtsprechung ergibt sich, dass der Gerichtshof die Entscheidung über ein Ersuchen eines nationalen Gerichts nur dann verweigern darf, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref12" name="Footnote12">12</a>      Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) (ABl. 2007, L 199, S. 73).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref13" name="Footnote13">13</a>      Vgl. Nr. 5 der vorliegenden Schlussanträge.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref14" name="Footnote14">14</a>      Die deutsche Fassung dieser Bestimmung weicht insoweit von anderen Sprachfassungen ab, die teils unspezifischer abgefasst sind (englische Fassung „matters relating to a contract“, spanische Fassung: „materia contractual“, französische Fassung: „en matière contractuelle“, ungarische Fassung: „egy szerződés“, italienische Fassung: „materia contrattuale“, rumänische Fassung: „materie contractuală“).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref15" name="Footnote15">15</a>      Siehe hierzu auch Art. 27 der Brüssel‑Ia-Verordnung. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref16" name="Footnote16">16</a>      Sowie für die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref17" name="Footnote17">17</a>      Vgl. Nr. 6 der vorliegenden Schlussanträge.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref18" name="Footnote18">18</a>      Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1, im Folgenden: Brüssel‑I-Verordnung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref19" name="Footnote19">19</a>      Siehe in diesem Sinne schon Urteil vom 15. Juni 2017, Kareda (C‑249/16, EU:C:2017:472, Rn. 32), unter Verweis auf das Urteil vom 21. Januar 2016, ERGO Insurance und Gjensidige Baltic (C‑359/14 und C‑475/14, EU:C:2016:40, Rn. 43).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref20" name="Footnote20">20</a>      Zu den systematischen und teleologischen Gründen dieses Grundsatzes, siehe bereits meine Schlussanträge in der Rechtssache Schmidt (C‑417/15, EU:C:2016:535, Nrn. 35 und 37) und das Urteil vom 16. November 2016 in derselben Sache (EU:C:2016:881, Rn. 28 ff.).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref21" name="Footnote21">21</a>      Urteil Schmidt (C‑417/15, EU:C:2016:881, Rn. 31) unter Verweis auf das Urteil vom 17. Dezember 2015, Komu u. a. (C‑605/14, EU:C:2015:833, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref22" name="Footnote22">22</a>      Urteil Schmidt (C‑417/15, EU:C:2016:881, Rn. 30) ebenfalls unter Verweis auf das Urteil Komu u. a. (C‑605/14, EU:C:2015:833, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref23" name="Footnote23">23</a>      Nach Art. 397 Abs. 1 der bulgarischen ZPO kann der Schuldner in diesem Rahmen offenbar mit einem gerichtlichen Verbot belegt werden, über ein Grundstück zu verfügen. Siehe https://e-justice.europa.eu/content_interim_and_precautionary_measures-78-bg-de.do?member=1 (Stand: 26.11.2018).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref24" name="Footnote24">24</a>      Damit übereinstimmend hat der Gerichtshof im Urteil Komu u. a. (C‑605/14, EU:C:2015:833) entschieden, dass ein Antrag auf Auflösung der Miteigentümergemeinschaft an einer unbeweglichen Sache durch Verkauf, mit dessen Durchführung ein Treuhänder betraut wird, unter den dinglichen Gerichtsstand falle. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref25" name="Footnote25">25</a>      Sollte sich im vorliegenden Fall die Zuständigkeit der bulgarischen Gerichte aus Art. 24 Nr. 1 Unterabs.1, 1. Alt. der Brüssel‑Ia-Verordnung aus dem Antrag auf Sicherung der Zwangsvollstreckung ergeben, könnte gegebenenfalls die Zuständigkeit dieser Gerichte hinsichtlich der eingeklagten gesicherten Geldforderung nach Art. 8 Nr. 4 derselben Verordnung begründet werden.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref26" name="Footnote26">26</a>      Auch hier weichen allerdings die einzelnen Sprachfassungen dieser Bestimmung voneinander ab: Die englische Sprachfassung bezieht sich etwa auf „companies or other legal persons or associations of natural or legal persons“. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref27" name="Footnote27">27</a>      Urteil vom 2. Oktober 2008, Hassett und Doherty (C‑372/07, EU:C:2008:534, Rn. 26).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref28" name="Footnote28">28</a>      Vgl. hierzu oben, Nr. 40.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref29" name="Footnote29">29</a>      Urteile vom 16. November 2016, Schmidt (C‑‑417/15, EU:C:2016:881, Rn. 26), und vom 9. März 2017, Pula Parking (C‑551/15, EU:C:2017:193, Rn. 31).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref30" name="Footnote30">30</a>      Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref31" name="Footnote31">31</a>      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juni 2017, Kareda (C‑249/16, EU:C:2017:472, Rn. 27). Siehe zuletzt auch Urteil vom 15. November 2018, Kuhn (C‑308/17, EU:C:2018:911, Rn. 31).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref32" name="Footnote32">32</a>      Urteile vom 28. Januar 2015, Kolassa (C‑375/13, EU:C:2015:37, Rn. 38), und vom 21. April 2016, Austro-Mechana (C‑572/14, EU:C:2016:286, Rn. 34).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref33" name="Footnote33">33</a>      Urteile vom 14. März 2013, Česká spořitelna (C‑419/11, EU:C:2013:165, Rn. 46), vom 28. Januar 2015, Kolassa (C‑375/13, EU:C:2015:37, Rn. 39), und vom 21. April 2016, Austro-Mechana (C‑572/14, EU:C:2016:286, Rn. 35). Siehe auch schon zum EuGVÜ, Urteil vom 17. Juni 1992, Handte (C‑26/91, EU:C:1992:268, Rn. 15).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref34" name="Footnote34">34</a>      Urteile vom 15. Juni 2017, Kareda (C‑249/16, EU:C:2017:472, Rn. 28), vom 14. März 2013, Česká spořitelna (C‑419/11, EU:C:2013:165, Rn. 47), vom 28. Januar 2015, Kolassa (C‑375/13, EU:C:2015:37, Rn. 39), und vom 21. April 2016, Austro-Mechana (C‑572/14, EU:C:2016:286, Rn.36).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref35" name="Footnote35">35</a>      Urteil vom 22. März 1983, Peters Bauunternehmung (34/82, EU:C:1983:87, Rn. 13).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref36" name="Footnote36">36</a>      Urteil vom 10. September 2015, Holterman Ferho Exploitatie u. a. (C‑47/14, EU:C:2015:574, Rn. 54).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref37" name="Footnote37">37</a>      Urteil vom 7. März 2018, Flightright u. a. (C‑274/16, C‑447/16 und C‑448/16, EU:C:2018:160, Rn. 64). Siehe davor schon Urteil vom 9. Juli 2009, Rehder (C‑204/08, EU:C:2009:439, Rn. 28).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref38" name="Footnote38">38</a>      Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref39" name="Footnote39">39</a>      Urteil vom 20. Januar 2005, Engler (C‑27/02, EU:C:2005:33, Rn. 53) (Gewinnzusage).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref40" name="Footnote40">40</a>      Vgl. in diesem Sinne schon Urteil vom 20. Januar 2005, Engler (C‑27/02, EU:C:2005:33, Rn. 48).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref41" name="Footnote41">41</a>      Urteil vom 14. Juli 2016, Granarolo (C‑196/15, EU:C:2016:559, Rn. 18 und19) unter Verweis auf das Urteil vom 18. Juli 2013, ÖFAB (C147/12C147/12, EU:C:2013:490, Rn. 30 und 31).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref42" name="Footnote42">42</a>      Urteil vom 22. März 1983, Peters Bauunternehmung (34/82, EU:C:1983:87, Rn. 13).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref43" name="Footnote43">43</a>      Urteil vom 22. März 1983, Peters Bauunternehmung (34/82, EU:C:1983:87, Rn. 13). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref44" name="Footnote44">44</a>      Bestätigt wurde dieser Ansatz im Urteil vom 10. März 1992, Powell Duffryn (C‑214/89, EU:C:1992:115), hinsichtlich der Geltung gegenüber Anteilseignern einer Gerichtsstandvereinbarung, die in Gesellschaftsstatuten vorgesehen war, sowie im bereits zitierten Urteil vom 20. Januar 2005, Engler (C‑27/02, EU:C:2005:33, Rn. 45). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref45" name="Footnote45">45</a>      Urteil vom 22. März 1983, Peters Bauunternehmung (34/82, EU:C:1983:87, Rn. 18).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref46" name="Footnote46">46</a>      Nach den zitierten Rechtsvorschriften des nationalen Rechts werden die Instandhaltungskosten, an denen sich alle Miteigentümer entsprechend der von ihnen gehaltenen ideellen Anteile zu beteiligen haben, durch Mehrheitsbeschluss der Eigentümerversammlung beschlossen. Der bindende Charakter des entsprechenden Beschlusses knüpft damit nicht daran, ob ein Miteigentümer den Beschluss mitgetragen hat oder nicht.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref47" name="Footnote47">47</a>      In der Rechtssache C‑421/18 wird der Gerichtshof zu klären haben, ob diese Erwägungen auch auf einen Fall übertragen werden können, in dem eine Rechtsanwaltskammer Beitragszahlungsansprüche gegen eines seiner Mitglieder gerichtlich geltend macht. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref48" name="Footnote48">48</a>      Urteil vom 22. März 1983, Peters Bauunternehmung (34/82, EU:C:1983:87, Rn. 14).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref49" name="Footnote49">49</a>      Dieser stimmt darüber hinaus mit der Belegenheit der Liegenschaft überein.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref50" name="Footnote50">50</a>      Zur Bestimmung des Erfüllungsorts, siehe allerdings meine Ausführungen zur vierten Vorlagefrage unten, Nrn. 62 ff.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref51" name="Footnote51">51</a>      Die Bezugnahme der Kommission auf das Konkordanzgebot greift insofern zu kurz.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref52" name="Footnote52">52</a>      Vgl. in diesem Sinne auch: Von Hein in Rauscher, Großkommentar EuZPR/EuIPR, Bd. III Rom I-VO, Rom II-VO, 4. Aufl. 2015, Art. 1 Rom I-VO, Nr. 47. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref53" name="Footnote53">53</a>      Vgl. oben, Nr. 60.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref54" name="Footnote54">54</a>      Vgl. oben, Nr. 34.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref55" name="Footnote55">55</a>      Siehe zuletzt Urteil vom 7. August 2018, Smith (C‑122/17, EU:C:2018:631, Rn. 34). S. auch, statt vieler, Urteil vom 22. Juni 2017, E.ON Biofor Sverige (C‑549/15, EU:C:2017:490, Rn. 72).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref56" name="Footnote56">56</a>      Vorauszuschicken ist, dass der Begriff der Dienstleistung nach Art. 7 Nr. 1 Buchst. b zweiter Spiegelstrich der Brüssel-Ia-Verordnung dem gleichen Begriff nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Rom-I-Verordnung entspricht. Siehe in diesem Sinne Paulus, in Paulus/Peiffer/Peiffer, Kommentar zur VO (EU) Nr. 1215/2012, Art. 7 Rn. 97 m.w.N.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref57" name="Footnote57">57</a>      Vgl. hierzu oben, hinsichtlich Art. 24 Nr. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung, Nrn. 33 ff.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref58" name="Footnote58">58</a>      Vgl. oben, Nr. 41.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref59" name="Footnote59">59</a>      Vgl. Urteil vom 23. April 2009, Falco Privatstiftung und Rabitsch (C‑533/07, EU:C:2009:257, Rn. 29). Vgl. auch Urteil vom 14. Juli 2016, Granarolo (C‑196/15, EU:C:2016:559, Rn. 37).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref60" name="Footnote60">60</a>      Bei der Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals lässt der Gerichtshof allerdings die Verschaffung eines „wirtschaftlichen Werts“ als Gegenleistung genügen, wenn eine Zahlungsverpflichtung nicht auszumachen ist. Vgl. etwa Urteil vom 19. Dezember 2013, Corman-Collins (C‑9/12, EU:C:2013:860, Rn. 40).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref61" name="Footnote61">61</a>      Vgl. Erwägungsgründe 15 und 16 der Brüssel‑Ia-Verordnung.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref62" name="Footnote62">62</a>      Urteil vom 6. Oktober 1976, Industrie tessili italiana Como (12/76, EU:C:1976:133).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref63" name="Footnote63">63</a>      Ständige Rechtsprechung seit dem Urteil vom 6. Oktober 1976, De Bloos (14/76, EU:C:1976:134).</p>
|
175,007 | eugh-2019-01-31-c-14918 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-149/18 | 2019-01-31T00:00:00 | 2019-01-31T19:20:39 | 2019-01-31T19:20:39 | Urteil | ECLI:EU:C:2019:84 | <p>Vorläufige Fassung</p>
<p class="C19Centre">URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)</p>
<p class="C19Centre">31. Januar 2019(<a href="#Footnote*" name="Footref*">*</a>)</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendendes Recht – Verordnung (EG) Nr. 864/2007 (Rom II) – Art. 16 und 27 – Eingriffsnormen – Richtlinie 2009/103/EG – Kraftfahrzeug‑Haftpflichtversicherung – Art. 28“</p>
<p class="C02AlineaAltA">In der Rechtssache C‑149/18</p>
<p class="C02AlineaAltA">betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal da Relação de Lisboa (Berufungsgericht Lissabon, Portugal) mit Entscheidung vom 20. Dezember 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Februar 2018, in dem Verfahren</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Agostinho da Silva Martins</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">gegen</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Dekra Claims Services Portugal SA</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">erlässt</p>
<p class="C19Centre">DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin C. Toader sowie der Richter A. Rosas und M. Safjan (Berichterstatter),</p>
<p class="C02AlineaAltA">Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Kanzler: A. Calot Escobar,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund des schriftlichen Verfahrens,</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Berücksichtigung der Erklärungen</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, M. Figueiredo, P. Lacerda, L. Medeiros und P. Barros da Costa als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der spanischen Regierung, vertreten durch L. Aguilera Ruiz und V. Ester Casas als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin und P. Costa de Oliveira als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,</p>
<p class="C02AlineaAltA">folgendes</p>
<p class="C75Debutdesmotifs">Urteil</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point1">1</a>        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 16 und 27 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) (ABl. 2007, L 199, S. 40, im Folgenden: Rom‑II-Verordnung) sowie von Art. 28 der Richtlinie 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Kraftfahrzeug‑Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht (ABl. 2009, L 263, S. 11). </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point2">2</a>        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Agostinho da Silva Martins und der Versicherungsgesellschaft Dekra Claims Services Portugal SA über die Bestimmung des auf eine Schadenersatzverpflichtung aus einem Autounfall in Spanien anwendbaren Rechts.</p>
<p class="C04Titre1"> Rechtlicher Rahmen</p>
<p class="C05Titre2"> Unionsrecht</p>
<p class="C06Titre3"> Rom‑II-Verordnung</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point3">3</a>        Der siebte Erwägungsgrund der Rom‑II-Verordnung lautet: </p>
<p class="C02AlineaAltA">„Der materielle Anwendungsbereich und die Bestimmungen dieser Verordnung sollten mit der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen … (Brüssel I) und den Instrumenten, die das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht zum Gegenstand haben, in Einklang stehen.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point4">4</a>        Art. 4 („Allgemeine Kollisionsnorm“) der Rom‑II-Verordnung bestimmt: </p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)       Soweit in dieser Verordnung nichts anderes vorgesehen ist, ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)       Haben jedoch die Person, deren Haftung geltend gemacht wird, und die Person, die geschädigt wurde, zum Zeitpunkt des Schadenseintritts ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat, so unterliegt die unerlaubte Handlung dem Recht dieses Staates.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)       Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass die unerlaubte Handlung eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen als dem in den Absätzen 1 oder 2 bezeichneten Staat aufweist, so ist das Recht dieses anderen Staates anzuwenden. Eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen Staat könnte sich insbesondere aus einem bereits bestehenden Rechtsverhältnis zwischen den Parteien – wie einem Vertrag – ergeben, das mit der betreffenden unerlaubten Handlung in enger Verbindung steht.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point5">5</a>        Art. 15 („Geltungsbereich des anzuwendenden Rechts“) dieser Verordnung sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Das nach dieser Verordnung auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht ist insbesondere maßgebend für</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">h)      die Bedingungen für das Erlöschen von Verpflichtungen und die Vorschriften über die Verjährung und die Rechtsverluste, einschließlich der Vorschriften über den Beginn, die Unterbrechung und die Hemmung der Verjährungsfristen und der Fristen für den Rechtsverlust.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point6">6</a>        Art. 16 („Eingriffsnormen“) der Verordnung lautet: </p>
<p class="C02AlineaAltA">„Diese Verordnung berührt nicht die Anwendung der nach dem Recht des Staates des angerufenen Gerichts geltenden Vorschriften, die ohne Rücksicht auf das für das außervertragliche Schuldverhältnis maßgebende Recht den Sachverhalt zwingend regeln.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point7">7</a>        Art. 27 („Verhältnis zu anderen Gemeinschaftsrechtsakten“) der Verordnung bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Diese Verordnung berührt nicht die Anwendung von Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, die für besondere Gegenstände Kollisionsnormen für außervertragliche Schuldverhältnisse enthalten.“</p>
<p class="C06Titre3"> Übereinkommen von Rom</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point8">8</a>        Art. 7 („Zwingende Vorschriften“) des am 19. Juni 1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegten Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (ABl. 1980, L 266, S. 1, im Folgenden: Übereinkommen von Rom) sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)       Bei Anwendung des Rechts eines bestimmten Staates aufgrund dieses Übereinkommens kann den zwingenden Bestimmungen des Rechts eines anderen Staates, mit dem der Sachverhalt eine enge Verbindung aufweist, Wirkung verliehen werden, soweit diese Bestimmungen nach dem Recht des letztgenannten Staates ohne Rücksicht darauf anzuwenden sind, welchem Recht der Vertrag unterliegt. Bei der Entscheidung, ob diesen zwingenden Bestimmungen Wirkung zu verleihen ist, sind ihre Natur und ihr Gegenstand sowie die Folgen zu berücksichtigen, die sich aus ihrer Anwendung oder ihrer Nichtanwendung ergeben würden.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)       Dieses Übereinkommen berührt nicht die Anwendung der nach dem Recht des Staates des angerufenen Gerichtes geltenden Bestimmungen, die ohne Rücksicht auf das auf den Vertrag anzuwendende Recht den Sachverhalt zwingend regeln.“</p>
<p class="C06Titre3"> Rom‑I-Verordnung</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point9">9</a>        Die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. 2008, L 177, S. 6, im Folgenden: Rom‑I-Verordnung) ersetzte das Übereinkommen von Rom. Art. 9 („Eingriffsnormen“) Abs. 1 und 2 dieser Verordnung lautet wie folgt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)       Eine Eingriffsnorm ist eine zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)       Diese Verordnung berührt nicht die Anwendung der Eingriffsnormen des Rechts des angerufenen Gerichts.“</p>
<p class="C06Titre3"> Richtlinie 2009/103</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point10">10</a>      Art. 28 („Innerstaatliche Rechtsvorschriften“) der Richtlinie 2009/103 sieht vor: </p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)       Die Mitgliedstaaten können im Einklang mit dem Vertrag Bestimmungen beibehalten oder einführen, die für den Geschädigten günstiger sind als die Bestimmungen, die zur Umsetzung dieser Richtlinie erforderlich sind.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)       Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission den Wortlaut der wichtigsten innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit, die sie auf dem unter diese Richtlinie fallenden Gebiet erlassen.“</p>
<p class="C05Titre2"> Portugiesisches Recht</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point11">11</a>      Art. 11 des Decreto-Lei Nr. 291/2007 (gesetzesvertretende Verordnung Nr. 291/2007) vom 21. August 2007 bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„1.       Die in Art. 4 vorgesehene Haftpflichtversicherung deckt:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      die zivilrechtliche Schadenersatzpflicht bei Unfällen auf portugiesischem Hoheitsgebiet;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      die Schadenersatzpflicht bei Unfällen auf dem Hoheitsgebiet anderer Staaten, deren nationale Versicherungsbüros dem Übereinkommen zwischen den nationalen Versicherungsbüros beigetreten sind, nach dem auf den Unfall anzuwendenden Recht, an dessen Stelle bei Unfällen im räumlichen Geltungsbereich des Vertrags über den Europäischen Wirtschaftsraum [vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3)] das portugiesische Recht tritt, sofern es eine höhere Deckung vorsieht;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">c)      bei Unfällen auf einer Strecke im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchst. b nur Schäden von in Mitgliedstaaten sowie in Staaten, deren nationale Versicherungsbüros dem Übereinkommen zwischen den nationalen Versicherungsbüros beigetreten sind, ansässigen Personen, und zwar nach portugiesischem Recht.</p>
<p class="C02AlineaAltA">2.      Die in Art. 4 vorgesehene Haftpflichtversicherung deckt die Schäden von Fußgängern, Radfahrern und anderen nicht motorisierten Verkehrsteilnehmern, wenn und soweit das Gesetz, das auf die aus dem Autounfall resultierende Haftpflicht anwendbar ist, den Ersatz dieser Schäden vorsieht.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point12">12</a>      Art. 498 („Verjährung“) des Código Civil (Bürgerliches Gesetzbuch) sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„1.      Der Anspruch auf Schadenersatz verjährt nach einer Frist von drei Jahren ab dem Zeitpunkt, zu dem der Geschädigte von dem ihm zustehenden Anspruch Kenntnis erlangt, auch wenn ihm die haftende Person und das gesamte Ausmaß der Schäden nicht bekannt sind, unbeschadet der allgemeinen Verjährung im Fall des Ablaufs der betreffenden Frist seit dem schädigenden Ereignis.</p>
<p class="C02AlineaAltA">2.      Der Rückgriffsanspruch zwischen den Haftenden verjährt ebenfalls nach einer Frist von drei Jahren ab dem Zeitpunkt der Erfüllung.</p>
<p class="C02AlineaAltA">3.      Stellt die rechtswidrige Handlung eine Straftat dar, für die gesetzlich eine längere Verjährungsfrist vorgesehen ist, so findet diese Frist Anwendung.</p>
<p class="C02AlineaAltA">4.      Die Verjährung des Schadenersatzanspruchs bewirkt nicht die Verjährung einer etwaigen Eigentumsklage oder Klage auf Herausgabe wegen ungerechtfertigter Bereicherung.“</p>
<p class="C04Titre1"> Ausgangsverfahren und Vorlagefragen</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point13">13</a>      Am 20. August 2015 ereignete sich in Spanien ein Verkehrsunfall zwischen zwei Fahrzeugen, von denen das eine in Portugal zugelassen war und von seinem Eigentümer Herrn da Silva Martins gelenkt wurde und das andere in Spanien zugelassen und bei der Versicherungsgesellschaft Segur Caixa versichert war, die in Portugal von der Dekra Claims Services Portugal vertreten wird.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point14">14</a>      Das Fahrzeug von Herrn da Silva Martins wurde von hinten durch die Vorderseite des in Spanien zugelassenen Fahrzeugs gerammt und konnte aufgrund der Beschädigungen nicht mehr fahren. Somit musste dieses Fahrzeug nach Portugal abgeschleppt werden, wo es repariert wurde.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point15">15</a>      Die Reparaturkosten für das Fahrzeug von Herrn da Silva Martins wurden zunächst von der Versicherungsgesellschaft Axa Portugal, nunmehr Ageas Portugal, im Rahmen der Deckung eigener Fahrzeugschäden übernommen. Da der Lenker des in Spanien zugelassenen Fahrzeugs allein für den Unfall verantwortlich war, ersetzte sein Versicherer, die Segur Caixa, der Axa Portugal diese Kosten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point16">16</a>      Im Ausgangsverfahren begehrt Herr da Silva Martins den Ersatz der mittelbaren Schäden aus dem Unfall.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point17">17</a>      Seiner Ansicht nach ist auf den Ausgangsrechtsstreit portugiesisches Recht anwendbar, insbesondere Art. 498 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der eine dreijährige Verjährungsfrist für die Klage auf Ersatz der Schäden aus einem Schadensereignis vorsehe. Da sich der Unfall am 20. August 2015 ereignet habe, sei die am 11. November 2016 vorgenommene Einleitung des Verfahrens somit fristgerecht erfolgt. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point18">18</a>      Die Segur Caixa macht hingegen geltend, dass auf das Schadenersatzbegehren des Klägers im Ausgangsverfahren spanisches Recht anwendbar sei, das für die Klage auf Ersatz der Schäden aus einem Schadensereignis eine einjährige Verjährungsfrist vorsehe. Diese Klage sei somit außerhalb der Frist erhoben worden. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point19">19</a>      Das erstinstanzliche Gericht gab der von der Segur Caixa erhobenen Einrede der Verjährung statt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point20">20</a>      Herr da Silva Martins legte gegen das Urteil dieses Gerichts Berufung ein, in der er beantragt, das Urteil aufzuheben und die Verjährungsfrist nach portugiesischem Recht anzuwenden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point21">21</a>      Nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts gelangt im Lichte der Rom‑II-Verordnung das spanische Recht mit seiner einjährigen Verjährungsfrist zur Anwendung. Da allerdings auch die Anwendung der Richtlinie 2009/103 und der in Portugal geltenden Regelung über das Kraftfahrzeug‑Haftpflichtversicherungssystem, die eine dreijährige Verjährungsfrist vorsehe, nicht ausgeschlossen sei, stelle sich insbesondere die Frage, ob den portugiesischen Rechtsvorschriften, die diese Richtlinie in innerstaatliches Recht umsetzten und bestimmten, dass das portugiesische Recht an die Stelle des Rechts des Vertragsstaats des Vertrags über den Europäischen Wirtschaftsraum, in dem sich der Unfall ereignet habe, trete, „sofern es eine höhere Deckung vorsieht“, zwingender Charakter im Sinne von Art. 16 der Rom‑II-Verordnung zukomme.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point22">22</a>      Unter diesen Umständen hat das Tribunal da Relação de Lisboa (Berufungsgericht Lissabon, Portugal) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Ist der in Portugal geltenden Regelung als zwingender abweichender Regelung im Sinne von Art. 16 der Rom‑II‑Verordnung Vorrang einzuräumen?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Kann diese Regelung als Bestimmung des Gemeinschaftsrechts verstanden werden, die eine Kollisionsnorm im Sinne des Art. 27 der Rom‑II‑Verordnung enthält?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">3.      Kann davon ausgegangen werden, dass auf einen portugiesischen Staatsangehörigen, der in Spanien einen Verkehrsunfall erlitten hat, im Sinne von Art. 28 der Richtlinie 2009/103 die Verjährungsregelung des Art. 498 Abs. 3 des portugiesischen Bürgerlichen Gesetzbuchs anzuwenden ist?</p>
<p class="C04Titre1"> Zu den Vorlagefragen</p>
<p class="C05Titre2"> Zur ersten Frage</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point23">23</a>      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 16 der Rom‑II-Verordnung dahin auszulegen ist, dass eine nationale Rechtsvorschrift wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die eine dreijährige Verjährungsfrist für die Klage auf Ersatz der aus einem Schadensereignis resultierenden Schäden vorsieht, als Eingriffsnorm im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point24">24</a>      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass zum einen aus Art. 4 Abs. 1 der Rom‑II-Verordnung hervorgeht, dass auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden ist, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point25">25</a>      Zum anderen bestimmt Art. 15 Buchst. h dieser Verordnung, dass das nach dieser Verordnung auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht insbesondere für die Vorschriften über die Verjährung und die Rechtsverluste maßgebend ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point26">26</a>      Allerdings erlaubt Art. 16 der Rom‑II-Verordnung die Anwendung der nach dem Recht des Staates des angerufenen Gerichts geltenden Vorschriften, die ohne Rücksicht auf das für das außervertragliche Schuldverhältnis maßgebende Recht den Sachverhalt zwingend regeln.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point27">27</a>      Während der in dieser Bestimmung verwendete Begriff „Eingriffsnormen“ im Kontext dieser Verordnung nicht definiert wird, definiert Art. 9 Abs. 1 der Rom‑I-Verordnung die Eingriffsnorm als zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point28">28</a>      Da das Erfordernis der Kohärenz bei der Anwendung der Verordnungen Rom I und Rom II (Urteil vom 21. Januar 2016, ERGO Insurance und Gjensidige Baltic, C‑359/14 und C‑475/14, EU:C:2016:40, Rn. 43) für eine möglichst weitgehende Harmonisierung der Auslegung der funktional identischen Begriffe in diesen beiden Verordnungen spricht, ist davon auszugehen, dass ungeachtet des Umstands, dass die Rom‑II-Verordnung in bestimmten Sprachfassungen eine andere Terminologie als die Rom‑I-Verordnung verwendet, die „Eingriffsnormen“ im Sinne des Art. 16 der Rom‑II-Verordnung der Definition der „Eingriffsnormen“ nach Art. 9 der Rom‑I-Verordnung entsprechen, so dass die vom Gerichtshof vorgenommene Auslegung des letzteren Begriffs auch für die „Eingriffsnormen“ des Art. 16 der Rom‑II-Verordnung gilt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point29">29</a>      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Zusammenhang mit dem Übereinkommen von Rom festgestellt hat, dass die Ausnahme aufgrund des Bestehens einer „zwingenden Vorschrift“ im Sinne des Rechts des betroffenen Mitgliedstaats eng auszulegen ist (Urteil vom 17. Oktober 2013, Unamar, C‑184/12, EU:C:2013:663, Rn. 49).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point30">30</a>      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs muss das nationale Gericht in diesem Zusammenhang im Rahmen seiner Prüfung des „zwingenden“ Charakters der nationalen Vorschriften, die es anstelle des ausdrücklich von den Vertragsparteien gewählten Rechts anzuwenden gedenkt, nicht nur den genauen Wortlaut dieser Vorschriften, sondern auch deren allgemeine Systematik sowie sämtliche Umstände, unter denen diese Vorschriften erlassen wurden, berücksichtigen, um zu dem Schluss gelangen zu können, dass es sich insoweit um zwingende Vorschriften handelt, als der nationale Gesetzgeber sie offenbar erlassen hat, um ein von dem betroffenen Mitgliedstaat als wesentlich angesehenes Interesse zu schützen (Urteil vom 17. Oktober 2013, Unamar, C‑184/12, EU:C:2013:663, Rn. 50). </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point31">31</a>      Entsprechend ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht bei der Bestimmung, ob eine „Eingriffsnorm“ im Sinne von Art. 16 der Rom‑II-Verordnung vorliegt, auf der Grundlage einer ausführlichen Analyse des Wortlauts, der allgemeinen Systematik, des Telos sowie des Entstehungszusammenhangs dieser Vorschrift festzustellen hat, ob ihr in der innerstaatlichen Rechtsordnung eine derartige Bedeutung zukommt, dass ein Abweichen von dem gemäß Art. 4 dieser Verordnung anwendbaren Recht als gerechtfertigt erscheint.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point32">32</a>      Der Vorlageentscheidung lässt sich entnehmen, dass Art. 11 Abs. 1 Buchst. b des Decreto-Lei Nr. 291/2007 bestimmt, dass bei Unfällen auf dem Hoheitsgebiet von Vertragsstaaten des Vertrags über den Europäischen Wirtschaftsraum das portugiesische Recht an die Stelle der Schadenersatzpflicht nach dem auf den Unfall anzuwendenden Recht tritt, sofern es eine höhere Deckung vorsieht. Gemäß Art. 498 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs beträgt die Verjährungsfrist für die Klage auf Ersatz der Schäden aus einem Schadensereignis drei Jahre, während das nach Ansicht des vorlegenden Gerichts gemäß Art. 4 der Rom‑II-Verordnung in diesem Fall anwendbare spanische Recht eine einjährige Verjährungsfrist vorsieht.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point33">33</a>      Obwohl es dem Gerichtshof nicht obliegt, die in der vorstehenden Randnummer angeführten Bestimmungen im Lichte der in Rn. 31 des vorliegenden Urteils genannten Kriterien zu beurteilen, ist darauf hinzuweisen, dass die innerstaatlichen Verjährungsvorschriften trotz ihrer Unterschiedlichkeit durch Art. 15 Buchst. h der Rom‑II-Verordnung ausdrücklich der allgemeinen Regelung zur Bestimmung des anwendbaren Rechts unterworfen werden und keine andere unionsrechtliche Norm spezifische Anforderungen in Bezug auf die Verjährung einer Klage wie der im Ausgangsverfahren aufstellt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point34">34</a>      Unter diesen Umständen würde, wie die Europäische Kommission ausführt, die Anwendung einer anderen Verjährungsfrist als der des als anwendbar bestimmten Rechts auf die Klage auf Ersatz der Schäden aus einem Schadensereignis das Vorliegen von besonders wichtigen Gründen wie etwa einer offensichtlichen Beeinträchtigung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf und auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz bei Anwendung des nach Art. 4 der Rom‑II-Verordnung als anwendbar bestimmten Rechts erfordern.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point35">35</a>      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 16 der Rom‑II-Verordnung dahin auszulegen ist, dass eine nationale Rechtsvorschrift wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die eine dreijährige Verjährungsfrist für die Klage auf Ersatz der aus einem Schadensereignis resultierenden Schäden vorsieht, nicht als Eingriffsnorm im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann, es sei denn, das angerufene Gericht stellt auf der Grundlage einer ausführlichen Analyse des Wortlauts, der allgemeinen Systematik, des Telos sowie des Entstehungszusammenhangs dieser Vorschrift fest, dass ihr in der innerstaatlichen Rechtsordnung eine derartige Bedeutung zukommt, dass ein Abweichen von dem gemäß Art. 4 dieser Verordnung anwendbaren Recht als gerechtfertigt erscheint.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur zweiten und zur dritten Frage</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point36">36</a>      Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage, die zusammen zu behandeln sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 27 der Rom‑II-Verordnung dahin auszulegen ist, dass Art. 28 der Richtlinie 2009/103 in der in innerstaatliches Recht umgesetzten Form eine Vorschrift des Unionsrechts im Sinne dieses Art. 27 darstellt, die Kollisionsnormen für außervertragliche Schuldverhältnisse enthält.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point37">37</a>      Gemäß diesem Art. 27 berührt die Rom‑II-Verordnung nicht die Anwendung von Vorschriften des Unionsrechts, die für besondere Gegenstände Kollisionsnormen für außervertragliche Schuldverhältnisse enthalten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point38">38</a>      Hierzu ist zum einen darauf hinzuweisen, dass sich weder dem Wortlaut noch den Zielen der Richtlinie 2009/103 entnehmen lässt, dass mit dieser Richtlinie Kollisionsnormen festgelegt werden sollen (Urteil vom 21. Januar 2016, ERGO Insurance und Gjensidige Baltic, C‑359/14 und C‑475/14, EU:C:2016:40, Rn. 40).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point39">39</a>      Diese Richtlinie beschränkt sich nämlich darauf, die Mitgliedstaaten zum Erlass von Maßnahmen zum Schutz des Geschädigten eines Verkehrsunfalls und des Halters des an diesem Unfall beteiligten Kraftfahrzeugs zu verpflichten (Urteil vom 21. Januar 2016, ERGO Insurance und Gjensidige Baltic, C‑359/14 und C‑475/14, EU:C:2016:40, Rn. 39). </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point40">40</a>      Zum anderen ist festzustellen, dass Art. 28 der Richtlinie 2009/103 zwar im Einklang mit seinem Ziel des Schutzes von Geschädigten von durch Kraftfahrzeuge verursachten Unfällen tatsächlich den Erlass von für diese Geschädigten günstigeren Regelungen als den durch diese Richtlinie vorgeschriebenen ermöglicht, diese Bestimmung jedoch ausschließlich die Umsetzungsgesetzgebung eines Mitgliedstaats betrifft und sich nicht auf die Frage bezieht, ob diese günstigeren Regelungen in einem bestimmten Fall gegenüber den Regelungen anderer Mitgliedstaaten vorrangig zur Anwendung gelangen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point41">41</a>      Somit erfolgt in einem solchen Fall die Beurteilung der innerstaatlichen Umsetzungsvorschriften erst, nachdem in einem ersten Schritt nach den Vorschriften der Rom‑II-Verordnung das anwendbare Recht bestimmt wurde.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point42">42</a>      Somit ist auf die zweite und die dritte Frage zu antworten, dass Art. 27 der Rom‑II-Verordnung dahin auszulegen ist, dass Art. 28 der Richtlinie 2009/103 in der in innerstaatliches Recht umgesetzten Form keine Vorschrift des Unionsrechts im Sinne dieses Art. 27 darstellt, die Kollisionsnormen für außervertragliche Schuldverhältnisse enthält.</p>
<p class="C04Titre1"> Kosten</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point43">43</a>      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.</p>
<p class="C41DispositifIntroduction">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:</p>
<p class="C08Dispositif">1.      <b>Art. 16 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) ist dahin auszulegen, dass eine nationale Rechtsvorschrift wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die eine dreijährige Verjährungsfrist für die Klage auf Ersatz der aus einem Schadensereignis resultierenden Schäden vorsieht, nicht als Eingriffsnorm im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann, es sei denn, das angerufene Gericht stellt auf der Grundlage einer ausführlichen Analyse des Wortlauts, der allgemeinen Systematik, des Telos sowie des Entstehungszusammenhangs dieser Vorschrift fest, dass ihr in der innerstaatlichen Rechtsordnung eine derartige Bedeutung zukommt, dass ein Abweichen von dem gemäß Art. 4 dieser Verordnung anwendbaren Recht als gerechtfertigt erscheint.</b>
</p>
<p class="C08Dispositif">2.      <b>Art. 27 der Verordnung Nr. 864/2007 ist dahin auszulegen, dass Art. 28 der Richtlinie 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht in der in innerstaatliches Recht umgesetzten Form keine Vorschrift des Unionsrechts im Sinne dieses Art. 27 darstellt, die Kollisionsnormen für außervertragliche Schuldverhältnisse enthält. </b>
</p>
<p class="C77Signatures">Unterschriften</p>
<hr/>
<p class="C42FootnoteLangue">
<a href="#Footref*" name="Footnote*">*</a>      Verfahrenssprache: Portugiesisch.</p>
|
188,465 | vg-dusseldorf-2019-01-30-2-l-231518 | {
"id": 842,
"name": "Verwaltungsgericht Düsseldorf",
"slug": "vg-dusseldorf",
"city": 413,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 2 L 2315/18 | 2019-01-30T00:00:00 | 2019-02-11T11:03:59 | 2019-02-13T12:21:04 | Beschluss | ECLI:DE:VGD:2019:0130.2L2315.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p><strong>Die aufschiebende Wirkung der Klage 2 K 2976/18 gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entlassungsverfügung der Bezirksregierung Düsseldorf vom 22. Februar 2018 wird wiederhergestellt.</strong></p>
<p><strong>Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.</strong></p>
<p><strong>Der Streitwert wird auf die Wertstufe bis 16.000,-- Euro festgesetzt.</strong></p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe:</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der am 2. August 2018 bei Gericht sinngemäß gestellte Antrag,</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks"><strong>die aufschiebende Wirkung der Klage 2 K 2976/18 gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entlassungsverfügung der Bezirksregierung Düsseldorf vom 22. Februar 2018 wiederherzustellen,</strong></p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">hat Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Der gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO statthafte Antrag ist begründet.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die zusammen mit der Entlassungsverfügung vom 22. Februar 2018 ergangene Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Aus der Begründung ergibt sich, dass der Antragsgegner die Interessen des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung einer Klage und das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung gegeneinander abgewogen und aus welchen Gründen er ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Durchsetzung der Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe angenommen hat. Er hat zum einen darauf verwiesen, dass das öffentliche Interesse der Schüler an einer geordneten Unterrichtsversorgung durch den Leistungs- und Eignungsanforderungen des Lehrerberufs entsprechende Lehrkräfte höher zu bewerten sei als das Interesse des Antragstellers an seiner Weiterbeschäftigung. Damit hebt der Antragsgegner einen wichtigen Belang der Allgemeinheit für den Sofortvollzug hervor, der mit dem weiteren Einsatz des Antragstellers einer konkreten Gefährdung ausgesetzt wäre. Zum anderen hat der Antragsgegner darauf abgestellt, dass mit einem Absehen von der Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fortzahlung der Besoldung an den Antragsteller und folglich die Gefahr nicht realisierbarer Rückforderungsansprüche verbunden wäre.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Vgl. insoweit: OVG NRW, Beschluss vom 15. Dezember 2011 – 6 B 1287/11 –, juris, Rnrn. 33 f.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Inwieweit diese in formeller Hinsicht nicht zu beanstandende Begründung inhaltlich tragfähig ist, bleibt im Rahmen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO unerheblich.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Allerdings geht die dem Gericht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO obliegende eigene Prüfung, ob das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Verfügung überwiegt, zu dessen Gunsten aus. Hierbei ist zunächst zu prüfen, ob die angegriffene Verwaltungsentscheidung offensichtlich rechtmäßig oder offensichtlich rechtswidrig ist. Denn an der sofortigen Vollziehung offensichtlich rechtmäßiger Entscheidungen besteht regelmäßig, an der sofortigen Vollziehung offensichtlich rechtswidriger Entscheidungen hingegen niemals ein öffentliches Interesse. Führt diese im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 VwGO notwendig summarische Prüfung zu keinem eindeutigen Ergebnis, ist auf Grund sonstiger, nicht nur an den Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens orientierter Gesichtspunkte abzuwägen, welches Interesse schwerer wiegt.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Vorliegend erweist sich die angegriffene Entlassungsverfügung als offensichtlich materiell rechtswidrig.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die Bezirksregierung Düsseldorf hat den streitgegenständlichen Entlassungsbescheid auf eine Nichtbewährung in der Probezeit und damit auf § 21 Nr. 1, § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG i.V.m. § 28 Abs. 2 LBG NRW und § 5 Abs. 8 Satz 4 LVO NRW gestützt. Die Nichtbewährung hat sie dabei primär der aus Anlass des bevorstehenden Ablaufs der bis zum 31. Januar 2018 verlängerten laufbahnrechtlichen Probezeit erstellten dienstlichen Beurteilung entnommen, die dem Antragsteller am 18. Januar 2018 bekanntgegeben worden ist (im Folgenden dienstliche Beurteilung a.F.). Zwar ist es in erster Linie Sache einer solchen aktuellen dienstlichen Beurteilung, über die in § 9 BeamtStG genannten Auswahlkriterien der Ernennung (hier: Umwandlung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit) verlässlich Auskunft zu geben.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2002 – 2 C 31.01 –, juris, Rn. 15.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Auch heißt es im Gesamturteil: „Herr T.       hat sich in der Probezeit nicht bewährt.“</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die dienstliche Beurteilung a.F. ist aber entweder durch den Schriftsatz der Bezirksregierung Düsseldorf vom 16. Januar 2019 aufgehoben worden (dazu Gliederungspunkt I.) oder rechtswidrig (dazu Gliederungspunkt III.) und vermag deshalb in keinem Fall, das Urteil der Nichtbewährung und in der Folge die Entlassungsverfügung als solche zu tragen. Überdies kann dahinstehen, ob eine nachträgliche Auswechslung der die Entlassungsverfügung tragenden dienstlichen Beurteilung möglich ist, weil auch die am 16. Januar 2019 übersendete dienstliche Beurteilung – wollte man dem im Anhang des Schriftsatzes der Bezirksregierung vom selben Tag befindlichen und mit „Dienstliche Beurteilung während der laufbahnrechtlichen/arbeitsvertraglichen Probezeit“ überschriebenen Dokument (im Folgenden dienstliche Beurteilung n.F.) eine solche Bedeutung zumessen – rechtswidrig ist (dazu Gliederungspunkt II.).</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">I. Wollte man in der dienstlichen Beurteilung n.F. eine vollständig neue dienstliche Beurteilung des Antragstellers erblicken – dafür spricht die Tatsache der Bekanntgabe an den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers –, so läge hierin die konkludente Aufhebung der dienstlichen Beurteilung a.F., weil jedenfalls die dienstliche Beurteilung n.F. unter anderem auch den gesamten Beurteilungszeitraum der dienstlichen Beurteilung a.F. abdeckt. In Folge der Aufhebung wäre die dienstliche Beurteilung a.F. nicht länger wirksam und könnte folglich nicht tragende Grundlage der angegriffenen Entlassungsverfügung sein.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">II. Eine solche zu bilden vermag auch die dienstliche Beurteilung n.F. nicht. Sie ist rechtswidrig.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Das ergibt sich bereits daraus, dass entgegen Nr. 10.1 Satz 1 der Richtlinien für die dienstliche Beurteilung der Lehrerinnen und Lehrer sowie der Leiterinnen und Leiter an öffentlichen Schulen und Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung des für Schule zuständigen Ministeriums – RdErl. d. Ministeriums für Schule und Bildung v. 19.07.2017 – 213-1.18.07.03-6214 – BASS 21-02 Nr. 2 (im Folgenden BRL n.F.) kein Beurteilungsgespräch stattgefunden hat. Insoweit genügt das Beurteilungsgespräch vom 17. Januar 2018 nicht. Es hat sich nur auf die dienstliche Beurteilung a.F. bezogen, welche nach den Richtlinien für die dienstliche Beurteilung der Lehrkräfte sowie der Leiterinnen und Leiter an öffentlichen Schulen und Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung, Runderlass des Ministeriums für Schule, Jugend und Kinder vom 2. Januar 2003, BASS 21-02 Nr. 2 (im Folgenden: BRL a.F.) ergangen ist, nicht aber auf die dienstliche Beurteilung n.F., welcher die BRL n.F. zugrunde gelegt worden sind. Ein Beurteilungsgespräch zu einer Beurteilung nach den BRL a.F. vermag aber den Zweck eines Beurteilungsgesprächs zu einer Beurteilung gemäß den BRL n.F. nicht zu erreichen. Zweck des Beurteilungsgesprächs ist gemäß Nr. 10.1 Sätze 2 und 3 BRL n.F. der Vergleich des Leistungs-, Befähigungs- und Eignungsbildes, das die Beurteilerin beziehungsweise der Beurteiler innerhalb des Beurteilungszeitraumes gewonnen hat, mit der Einschätzung der oder des zu Beurteilenden, der zudem die Möglichkeit erhalten soll, die Sachverhalte darzulegen, die ihr oder ihm für die Beurteilung wichtig erscheinen. Dieser Zweck kann durch ein Beurteilungsgespräch zu einer dienstlichen Beurteilung nach den BRL a.F. nicht erreicht werden, weil die BRL n.F. gegenüber den BRL a.F. erhebliche Veränderungen normieren, die sich nicht lediglich in Formalien erschöpfen, sondern auch Einfluss auf den Inhalt sowie das Ergebnis einer dienstlichen Beurteilung und damit zugleich auf den Verlauf sowie den Inhalt des zugehörigen Beurteilungsgesprächs haben können. So modifiziert die BRL n.F. durch ihre Nr. 6.1 die zu bewertenden Einzelmerkmale, führt diesbezüglich mit Nrn. 7.3 und 7.4 ein Punktesystem ein und gibt durch Nr. 11.3 in der laufbahnrechtlichen Probezeit eine bestimmte Gewichtung der Einzelnoten vor.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Außerdem weist die dienstliche Beurteilung n.F. weitere, ihre Rechtswidrigkeit begründende Mängel auf. Zum einen datiert die dienstliche Beurteilung n.F. ausweislich ihres letzten Blattes (Seite 5) auf den 18. Januar 2018. Damit wird suggeriert, der ihr zugrunde liegende Bewertungsvorgang habe ebenfalls bereits zu diesem Zeitpunkt statt- respektive seinen Abschluss gefunden. Das kann aber gänzlich ausgeschlossen werden, weil die Bezirksregierung Düsseldorf bis in das Jahr 2019 hinein vorgetragen hat, die dienstliche Beurteilung a.F. sei zurecht nach den BRL a.F. erfolgt. Allein plausibel erscheint damit eine Durchführung des Bewertungsvorgangs frühestens im Januar 2019. Damit ist jedenfalls das Datum der dienstlichen Beurteilung n.F. unrichtig, wobei durch diese unrichtige Datierung Zweifel daran entstehen, ob überhaupt ein erneuter Bewertungsvorgang durch den zuständigen Schulleiter stattgefunden hat. Zum anderen ist der dienstlichen Beurteilung n.F. mit der Zeitspanne vom 12. September 2011 bis zum 18. Januar 2018 ein falscher Beurteilungszeitraum zugrunde gelegt worden, weil die Zeitspanne vom 12. September 2011 bis zum 5. November 2013 bereits von den dienstlichen Beurteilungen vom 29. März 2012, 18. Juni 2012, 18. Juli 2013 und vom 5. November 2013 abgedeckt und daher verbraucht ist.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">III. Wenn man demgegenüber davon ausginge, dass die dienstliche Beurteilung a.F. nicht aufgehoben worden und daher nach wie vor wirksam ist (dazu Gliederungspunkt 1.), verbliebe es bei der offensichtlichen Rechtswidrigkeit der Entlassungsverfügung, weil die dienstliche Beurteilung a.F. nicht unter Zugrundelegung der einschlägigen Beurteilungsrichtlinien zustande gekommen ist und hierin ein die Rechtswidrigkeit der dienstlichen Beurteilung a.F. begründender Fehler liegt (dazu Gliederungspunkt 2.).</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">1. Dafür, dass die dienstliche Beurteilung a.F. nicht aufgehoben worden und noch wirksam ist, spricht immerhin, dass die Bezirksregierung Düsseldorf in ihrem Schriftsatz vom 16. Januar 2019 andeutet, ein vollumfänglicher Ersatz der dienstlichen Beurteilung a.F. durch die dienstliche Beurteilung n.F. solle gerade nicht erfolgen. Dort heißt es: „Als Anlage übermittle ich die Beurteilung des Antragstellers vom 18. Januar 2018 in der Form gemäß der neuen Beurteilungsrichtlinien […]. Diese ersetzt der Form nach die dienstliche Beurteilung, wie sie sich bisher im Verwaltungsvorgang befindet.“ Daraus und aus der Datierung der dienstlichen Beurteilung n.F. auf den 18. Januar 2018 könnte geschlossen werden, dass der dienstlichen Beurteilung n.F. nicht die Bedeutung einer neuen dienstlichen Beurteilung zukommen soll, mit der die konkludente Aufhebung der ursprünglichen dienstlichen Beurteilung a.F. einherginge. Die dienstliche Beurteilung n.F. würde dann lediglich veranschaulichen sollen, dass die Unterschiede zwischen der BRL a.F. und der BRL n.F. rein förmlicher Natur und damit für das Ergebnis der Nichtbewährung ohne Bedeutung sind. Dies ist, wie bereits unter Gliederungspunkt II. dargestellt, allerdings nicht der Fall.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">2. Mit der dienstlichen Beurteilung a.F. ist der Antragsteller nicht unter Zugrundelegung der einschlägigen Beurteilungsrichtlinien beurteilt worden. Anstelle der BRL n.F. sind bei der dienstlichen Beurteilung a.F., welche vom 18. Januar 2018 stammt, die BRL a.F. angewendet worden. Die BRL n.F. ist ausweislich ihrer Nr. 16 mit Wirkung vom 01.01.2018 in Kraft getreten. Zugleich werden die BRL a.F. aufgehoben.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Die Beurteilung anhand der nicht einschlägigen BRL a.F. verletzt das Gebot der Einheitlichkeit des Beurteilungsmaßstabs und führt zur Rechtswidrigkeit der dienstlichen Beurteilung. Zwar handelt es sich bei den BRL n.F. lediglich um Verwaltungsvorschriften. Eine landeseinheitliche, vom Wortlaut des Nr. 16 BRL n.F. abweichende Verwaltungspraxis wäre dementsprechend nicht zu beanstanden, weil Verwaltungsvorschriften grundsätzlich keine Außenwirkung entfaltenden Rechtsnormen darstellen, sondern ihrerseits nur eine einheitliche Verwaltungspraxis sicherstellen sollen.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">BVerwG, Urteile vom 2. März 2000 – 2 C 7/99, 2 C 8/99, 2 C 9/99, 2 C 10/99 –, juris, Rnrn. 18 f.; OVG NRW, Beschluss vom 5. Februar 2014 – 6 B 10/14 –, juris, Rn. 6 f. m.w.N.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Eine entsprechende landeseinheitliche Verwaltungspraxis ist jedoch nicht, jedenfalls aber nicht substantiiert genug vorgetragen. Die Bezirksregierung Düsseldorf hat lediglich auf von ihr so bezeichnete Übergangsvorschriften in einem durch Schriftsatz vom 10. Januar 2019 beigebrachten Dokument mit der Überschrift „FAQ – Richtlinien für die dienstliche Beurteilung der Lehrerinnen und Lehrer sowie der Leiterinnen und Leiter an öffentlichen Schulen und Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung des für Schule zuständigen Ministeriums“ (im Folgenden FAQ) verwiesen. Dazu hat sie vorgetragen, die von ihr herangezogenen FAQ hätten für sie bindenden Erlasscharakter. Zur Genese der FAQ hat sie unter Beibringung einer vom Ministerium für Schule und Bildung (im Folgenden MSB) stammenden E-Mail dargelegt, die Arbeitsgruppe, welche die BRL n.F. erstellt habe, habe angesichts vieler offener Detailfragen den Beschluss zur Erstellung der FAQ gefasst, selbige vor Veröffentlichung im Bildungsportal mit den Bezirksregierungen abgestimmt und sie den Beschäftigtenvertretungen zur Kenntnis gebracht. Mithin würden die FAQ beziehungsweise die von ihnen beinhalteten Übergangsvorschriften vom Richtliniengeber der BRL n.F. stammen und seien von dort aus landeseinheitlich vorgegeben. Ihr Ziel sei die Schaffung einer einheitlichen Verwaltungspraxis. Damit hat die Bezirksregierung Düsseldorf letztlich nur zur Rechtsqualität der FAQ vorgetragen, aber nicht behauptet, die von ihr herangezogene Passage auf Seite 10 der FAQ habe zu einer landeseinheitlichen Verwaltungspraxis geführt, nach der Beurteilungen zum Ablauf der laufbahnrechtlichen Probezeit bei Ablauf ebendieser mit oder vor dem 31. März 2018 auch bei Erstellung der dienstlichen Beurteilung am oder nach dem 1. Januar 2018 entgegen Nr. 16 BRL n.F. nach den BRL a.F. erfolgt seien. Allein der geltend gemachte Umstand, sie habe die Regelung als entsprechende Übergangsvorschrift aufgefasst, lässt keinen hinreichend sicheren Schluss auf eine entsprechende landesweite Handhabung zu, zumal eine solche landeseinheitliche Verwaltungspraxis auch deshalb fernliegt, weil dem von der Bezirksregierung Düsseldorf herangezogenen Abschnitt auf Seite 10 der FAQ bei objektivem Verständnis gar nicht die Bedeutung einer entsprechenden Übergangsvorschrift beigemessen werden kann.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Zunächst verbietet es sich bereits mit Blick auf den Inhalt der von der Bezirksregierung Düsseldorf herangezogenen Passage auf Seite 10 der FAQ, diese als Übergangsvorschrift zu betrachten, die bei einem Ende der Probezeit bis zum 31. März 2018 noch die BRL a.F. für anwendbar erklärt. Aus ihrem Kontext ergibt sich, dass sie nicht als ein Nr. 16 BRL n.F. entgegenstehender Anwendungsbefehl anzusehen ist. Das entsprechende Antwortfeld der FAQ zur Frage: „Ab wann sind die neuen Richtlinien anzuwenden?“ beginnt, indem in Kongruenz mit Nr. 16 BRL n.F. angegeben wird: „Die neuen Richtlinien treten zum 01.01.2018 in Kraft.“ Sodann folgt der Satz, den die Bezirksregierung Düsseldorf offenbar als Übergangsvorschrift interpretiert hat: „Für die Anwendung bedeutet das: […] Für die abschließende Beurteilung während der laufbahnrechtlichen Probezeit sind die neuen Richtlinien dann anzuwenden, wenn die Probezeit nach dem 31. März 2018 endet.“ Damit hat es aber nicht sein Bewenden. Vielmehr folgt mit Blick auf Nr. 3.2 Satz 1 BRL a.F, wonach eine Beurteilung gemäß Nr. 3.1.1 [eine solche in der laufbahnrechtlichen Probezeit; Anmerkung der Kammer] spätestens drei Monate vor Ablauf der allgemeinen oder im Einzelfall festgesetzten Probezeit abzugeben ist, der folgende Passus: „Da die Beurteilung in der Regel drei Monate vor Ablauf abzugeben ist, fällt dies dann in die Zeit nach Inkrafttreten der neuen Richtlinien.“ Dadurch und durch den vorangehenden Bezug zu Nr. 16 BRL n.F. wird deutlich, dass der von der Bezirksregierung Düsseldorf herangezogene Satz, die Anwendung der BRL n.F. nicht an ein Probezeitende nach dem 31. März 2018 knüpft. Stattdessen hat er rein deskriptiven Charakter, indem er korrekt vorrechnet, dass bei Einhaltung der Dreimonatsfrist von Nr. 3.2. Satz 1 BRL a.F. und Ablauf der Probezeit bis zum 31. März 2018 noch die BRL a.F. anzuwenden sind, weil die dienstliche Beurteilung in diesem Fall noch vor dem Inkrafttreten der BRL n.F. am 1. Januar 2018 erfolgt sein würde. In dieser Aussage erschöpft sich der Satz jedoch. Ihm kann aus den genannten Gründen insbesondere nicht entnommen werden, dass auch bei Nichteinhaltung der Dreimonatsfrist beziehungsweise Abweichung von Nr. 3.2 Satz 1 BRL a.F. – so liegt es in Bezug auf die streitbefangene dienstliche Beurteilung a.F. – eine Anwendung der BRL a.F. entgegen Nr. 16 BRL n.F. erfolgen sollte, zumal dafür kein sachlicher Grund ersichtlich ist.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Auch der gesamte Charakter der FAQ streitet dagegen, dass durch einen ihrer Bestandteile ohne erkennbaren und nachvollziehbaren Grund von einer im Wortlaut so deutlichen Vorschrift, wie sie Nr. 16 BRL n.F. darstellt, abgewichen werden soll. Zu beachten ist bereits der Name. FAQ ist die übliche Abkürzung für den englischsprachigen Begriff „Frequently asked questions“; zu Deutsch: häufig gestellte Fragen. Die Überschrift zielt also auf häufig gestellte Fragen zu der BRL n.F. ab. Damit weckt sie hinsichtlich des Inhalts der FAQ von vorneherein die Erwartung, dass dieser zwar Beschreibungen, eventuell auch Konkretisierungen, nicht aber Abweichungen von der BRL n.F. umfasst. Denn bei derogierenden Elementen würde es sich semantisch nicht mehr um die Beantwortung von Fragen zur BRL n.F., sondern um höherrangig danebenstehende Regelungen handeln. Auch der erläuternde Stil und der Frage-Antwort-Aufbau suggerieren, dass der untergeordneten Behörde nicht ohne weiteres die Weisung zur Abweichung von den BRL n.F. erteilt, sondern ihr lediglich durch Beschreibungen und Konkretisierungen beim Verständnis und der Anwendung geholfen werden soll. Damit verträgt sich ein ohne sachlichen Grund vom klaren Wortlaut der BRL n.F. abweichender Inhalt der Antwortfelder nicht.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Schließlich unterstreichen auch die sonstigen Umstände, dass ein objektiver Betrachter nicht von einer Verdrängung von Nr. 16 BRL n.F. ausgehen kann. Die FAQ sind auf einem frei im Internet abrufbaren Portal für jedermann einzusehen, weshalb es fernliegt, dass sie ohne Darlegung eines nachvollziehbaren Grundes eine Weisung gegenüber nachgeordneten Behörden zur Abweichung von den BRL n.F. enthalten. Als Primärziel drängt sich vielmehr die bloße Information der nachgeordneten Behörden und der Allgemeinheit auf. Dafür spricht ebenfalls, dass ihre Herkunft nicht ohne weiteres zu erkennen ist, weil ausschließlich eine – allerdings dem MSB zuzuordnende – E-Mail-Adresse als Kontaktoption, nicht aber eine erlassende Behörde oder dergleichen angegeben ist. Zudem wird – anders als in der BRL n.F. – keine Rechtsgrundlage angegeben und auf eine irgendwie geartete Zuschreibung einer Rechtsqualität, etwa durch Bezeichnung als Runderlass, verzichtet. Ebenfalls ist kein Erlassdatum, sondern nur ein Stand genannt, wobei der insoweit angegebene Zeitpunkt, Februar 2018, die Frage aufwirft, ob die von der Bezirksregierung Düsseldorf herangezogene Passage überhaupt bereits vor Inkrafttreten der BRL n.F. Bestandteil der FAQ war, was für ein Verständnis als Übergangsvorschrift mindestens vorauszusetzen wäre. Zuletzt ist zu beachten, dass der BRL a.F. und der BRL n.F. jeweils noch Anlagen, der BRL a.F. auch ein ergänzender Runderlass (RdErl. des Ministeriums für Schule und Weiterbildung vom 3. Juni 2011 [Beurteilungsrichtlinien; Anpassungsbedarf aufgrund beamtenrechtlicher Neuregelungen dienstliche Beurteilung während der Probezeit]; BASS 21 – 02 Nr. 2.1.) zur Seite gestellt waren. Hätte das MSB mit den FAQ von der im Wortlaut sehr eindeutigen Regelung der Nr. 16 BRL n.F. abweichen wollen, so hätte es nahegelegenen, die FAQ oder nur die von der Bezirksregierung Düsseldorf herangezogene Passage – wenn schon nicht als Bestandteil der BRL n.F. – wenigstens als Anlage oder ergänzenden Runderlass auszugestalten und zu bezeichnen.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Wert des Streitgegenstandes beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG und Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit sowie § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 und Sätzen 2 sowie 3 GKG. Wegen des vorläufigen Charakters des vorliegenden Eilverfahrens ist demgemäß lediglich die Hälfte des sich aus § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 und Sätzen 2 sowie 3 GKG ergebenden Betrags anzusetzen.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung:</strong></p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">(1)       Gegen die Entscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) eingeht.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sind durch einen Prozessbevollmächtigten einzureichen. Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –).</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sollen möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">(2)       Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift soll möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.</p>
|
180,272 | olgmuen-2019-01-30-34-wx-18118 | {
"id": 277,
"name": "Oberlandesgericht München",
"slug": "olgmuen",
"city": null,
"state": 4,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": "Oberlandesgericht"
} | 34 Wx 181/18 | 2019-01-30T00:00:00 | 2019-02-07T14:19:19 | 2019-02-13T12:21:04 | Beschluss | <h2>Tenor</h2>
<div>
<p>I. Die Beschwerde des Beteiligten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim - Grundbuchamt - vom 8. Mai 2018 wird zurückgewiesen.</p>
<p>II. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.</p>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
<p>I.</p>
<p><rd nr="1"/>In Abteilung I des Wohnungseigentumsgrundbuchs ist unter lfd. Nr. …b und …c jeweils Frau … … als Inhaberin eines Hälfte-Bruchteils am Miteigentumsanteil, verbunden mit dem Sondereigentum an einem Hotelappartement mit Tiefgaragenstellplatz, eingetragen. Die Eintragung unter lfd. Nr. …b beruht auf dem rechtsgeschäftlichen Erwerb eines Hälfte-Anteils vom vormaligen Alleineigentümer. Die Eintragung unter lfd. Nr. ..c beruht auf Erbfolge gemäß Erbvertrag vom 2.8.1988 sowie Nachtrag vom 13.4.2005, beides eröffnet vom Nachlassgericht am 29.10.2007, eingetragen im Grundbuch am 28.7.2008. Im Erbvertrag, geschlossen zwischen dem Voreigentümer des zweiten Hälfe-Bruchteils und … …, hatten sich die Vertragsparteien gegenseitig zu alleinigen Erben eingesetzt. Im notariellen Nachtrag wurde ergänzend bestimmt, dass Schlusserben des Längstlebenden vier namentlich bezeichnete Personen sein sollen. Außerdem wurde Testamentsvollstreckung angeordnet, und zwar sowohl nach dem Erstversterbenden als auch nach dem Längerlebenden. Gemäß ausdrücklicher Bestimmung besteht die Aufgabe des Testamentsvollstreckers jeweils lediglich darin,</p>
<p>die im Zusammenhang des Erbfalls anfallenden Aufgaben zu erledigen, insbesondere die Zahlung der Beerdigungskosten und aller sonstigen mit dem Erbfall im Zusammenhang stehenden Kosten vorzunehmen. Mit Erledigung dieser Aufgabe endet das Amt des Testamentsvollstreckers.</p>
<p><rd nr="2"/>Zum Testamentsvollstrecker ernannt wurde der Beteiligte.</p>
<p><rd nr="3"/>In Abteilung II des Grundbuchs wurde zugleich mit der Eintragung der Erbin … … ein Testamentsvollstreckervermerk am Anteil Abt. I / …c eingetragen.</p>
<p><rd nr="4"/>Mit Anwaltsschriftsatz vom 12.4.2018 beantragte der Beteiligte in seiner Eigenschaft als Testamentsvollstrecker nach dem Tode des zuerst Verstorbenen, den Testamentsvollstreckervermerk im Grundbuch wegen Unrichtigkeit zu löschen. Er behauptet, die Testamentsvollstreckung sei beendet. Zur Begründung verweist er auf das Sterbedatum des Erstverstorbenen (am 14.9.2007) und die Dauer des seither verstrichenen Zeitraums von mehr als zehn Jahren. Er trägt vor, an der Löschung des Vermerks bestehe ein erhebliches und dringendes Interesse, weil die Wohnungseigentümergemeinschaft gegen ihn in seiner Eigenschaft als Testamentsvollstrecker einen Titel erwirkt und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen eingeleitet habe. Er meint, die Löschung sei wegen offensichtlicher Unrichtigkeit von Amts wegen durchzuführen.</p>
<p><rd nr="5"/>Nachdem das Grundbuchamt zunächst unter Hinweis darauf, dass zur Herbeiführung der Löschung die Unrichtigkeit des Grundbuchs nachzuweisen sei, Gelegenheit gegeben hatte, tatsächliche Gründe für die Beendigung der Testamentsvollstreckung vorzutragen, hat es den Antrag mit Beschluss vom 8.5.2018 zurückgewiesen. Die ausstehende Äußerung lasse ebenso wie der Umstand, dass gegen den Testamentsvollstrecker Forderungen tituliert worden seien und vollstreckt würden, darauf schließen, dass die Testamentsvollstreckung nicht beendet sei. Auch zu der an den Testamentsvollstrecker im Jahr 2016 anlässlich eines Gläubigerantrags gerichteten Anfrage nach der Aufgabenerledigung habe sich dieser nicht geäußert. Der im Erbvertrag umrissene Aufgabenkreis sei für sich genommen nicht aussagekräftig.</p>
<p><rd nr="6"/>Gegen diese Entscheidung wendet sich der Beteiligte mit der Beschwerde. Er beanstandet, dass sein (nach Beschlusserlass) eingegangenes Gesuch um Fristverlängerung unbeachtet geblieben ist. Weiter trägt er vor, die im Grundbuch eingetragene Eigentümerin sei bereits am 1.2.2018 verstorben; Kopien der Sterbeurkunde sind beigefügt. Der Rechtsstreit, in dem er - der Beteiligte - von der Wohnungseigentümergemeinschaft auf Zahlung in Anspruch genommen werde, sei noch nicht abgeschlossen.</p>
<p><rd nr="7"/>Das Grundbuchamt hat nicht abgeholfen.</p>
<p><rd nr="8"/>Gegenüber dem Beschwerdegericht hat der Beteiligte ergänzend vorgetragen, die Testamentsvollstreckung sei bereits kurz nach dem Tode des erstverstorbenen Erblassers beendet gewesen, und zwar spätestens mit der Eintragung dessen Alleinerbin als Eigentümerin im Grundbuch. Dies ergebe sich schon aus dem beschränkten Aufgabenkreis. Zahlungsansprüche der Wohnungseigentümergemeinschaft bestünden daher nur im Verhältnis zur Erbin, nicht zum Testamentsvollstrecker. Der im Grundbuch noch eingetragene Testamentsvollstreckervermerk diene der Wohnungseigentümergemeinschaft im Streitverfahren zu Unrecht als Indiz für das Fortbestehen des Amtes. Der Vermerk sei auch deshalb unrichtig, weil aus ihm nicht hervorgehe, dass Testamentsvollstreckung „für Vor- und Schlusserbschaft“ angeordnet sei. Die im Grundbuch eingetragene Eigentümerin sei am 1.2.2018 verstorben. Die Testamentsvollstreckung nach dem zweiten Erbfall habe erst mit deren Tod begonnen. Deshalb könne eine Erklärung dahingehend, dass die Testamentsvollstreckung insgesamt beendet sei, nicht abgegeben werden.</p>
<p>II.</p>
<p><rd nr="9"/>Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.</p>
<p><rd nr="10"/>1. Zunächst bedarf der eingelegte Rechtsbehelf der Auslegung.</p>
<p><rd nr="11"/>Weil der Beteiligte mit seinem an das Grundbuchamt gerichteten und mit der Beschwerde weiterverfolgten Begehren geltend gemacht hat, die Löschung sei wegen offensichtlicher Unrichtigkeit von Amts wegen durchzuführen, kommt in Betracht, dass seine Eingaben lediglich als Anregung auszulegen sind, ein Verfahren nach <verweis.norm>§§ 84 ff. <v.abk ersatz="GBO">GBO</v.abk></verweis.norm> (Löschung gegenstandsloser Eintragungen) einzuleiten.</p>
<p><rd nr="12"/>Bei interessengerechter Auslegung scheidet ein solches Verständnis jedoch hier aus.</p>
<p><rd nr="13"/>Zwar ist mit dem angegriffenen Beschluss des Grundbuchamts, die letztlich erstrebte Löschung abzulehnen, jedenfalls faktisch die Entscheidung verbunden, ein Amtsverfahren nicht einzuleiten. Eine solche Entscheidung kann aber selbst dann, wenn sie konkludent in der Antragszurückweisung enthalten wäre, nicht mit der Beschwerde zur Überprüfung des im Instanzenzug übergeordneten Gerichts gestellt werden, § 85 Abs. 2 Halbs. 2 GBO. Insoweit kommt vielmehr nur die befristete Erinnerung gemäß <verweis.norm>§ 11 Abs. 2 Satz 1 <v.abk ersatz="RPflG">RPflG</v.abk></verweis.norm> als statthafter Rechtsbehelf in Betracht (Senat vom 22.12.2016, 34 Wx 455/16 = Rpfleger 2017, 258; Demharter GBO 31. Aufl. § 85 Rn. 7). Weil der anwaltlich vertretene Beteiligte sein Rechtsmittel jedoch ausdrücklich als Beschwerde bezeichnet und zudem unmittelbar beim übergeordneten Gericht eingelegt hat, entspricht eine Behandlung als Erinnerung ersichtlich nicht dem Erklärten.</p>
<p><rd nr="14"/>Das Begehren des Beteiligten, der im Rechtsmittelzug ebenso wie bereits erstinstanzlich eine konkrete Antragstellung vermeidet, ist vielmehr dahingehend auszulegen, dass er die - aus seiner Sicht berichtigende - Löschung der im Grundbuch eingetragenen Verfügungsbeschränkung zumindest auch oder hilfsweise auf dem Weg der Grundbuchberichtigung nach <verweis.norm>§ 13 Abs. 1, § 22 Abs. 1 <v.abk ersatz="GBO">GBO</v.abk></verweis.norm> zu erreichen sucht. Immerhin bezeichnet er sich selbst durchgängig als Antragsteller. Das angegebene wirtschaftliche Eigeninteresse spricht ebenfalls dafür, dass vorrangig das Ziel der Löschung im Fokus steht. Mit der Beschwerde behauptet er zudem selbst nicht, sein Begehren sei vom Grundbuchamt zu Unrecht als Berichtigungsantrag behandelt worden. Er erstrebt ausweislich der Beschwerdebegründung eine inhaltliche Überprüfung der Entscheidung und der ihr zugrunde liegenden Wertung, dass der Nachweis der Grundbuchunrichtigkeit erforderlich und nicht geführt sei. Da für die Auslegung von Verfahrenserklärungen der erklärte Wille entscheidend ist, wie er auch aus Begleitumständen und nicht zuletzt der Interessenlage hervorgehen kann (vgl. BGH, IV ZR 527/15, juris Rn. 16 m. w. N.), ist der eingelegte Rechtsbehelf dahingehend auszulegen, dass der Beteiligte den erstinstanzlich gestellten Berichtigungsantrag nach <verweis.norm>§ 22 Abs. 1 <v.abk ersatz="GBO">GBO</v.abk></verweis.norm> mit der Beschwerde weiterverfolgt. Denn im Zweifel gilt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht.</p>
<p><rd nr="15"/>2. Die gegen die Zurückweisung des Berichtigungsantrags gemäß <verweis.norm>§ 11 Abs. 1 <v.abk ersatz="RPflG">RPflG</v.abk></verweis.norm>, <verweis.norm>§ 71 Abs. 1 <v.abk ersatz="GBO">GBO</v.abk></verweis.norm> statthafte Beschwerde ist zulässig (<verweis.norm>§ 73 <v.abk ersatz="GBO">GBO</v.abk></verweis.norm>, <verweis.norm>§ 10 Abs. 2 Satz 1 <v.abk ersatz="FamFG">FamFG</v.abk></verweis.norm>) eingelegt.</p>
<p><rd nr="16"/>Der Beteiligte gehört als Testamentsvollstrecker zum Kreis der Beschwerdeberechtigten.</p>
<p><rd nr="17"/>Im grundbuchrechtlichen Antragsverfahren folgt die Beschwerdeberechtigung allerdings nicht allein aus der erstinstanzlichen Zurückweisung eines Antrags. Hinzukommen muss vielmehr, dass der Beschwerdeführer gemäß <verweis.norm>§ 13 Abs. 1 Satz 2 <v.abk ersatz="GBO">GBO</v.abk></verweis.norm> antragsberechtigt ist. Geht es - wie hier - um eine Berichtigung des Grundbuchs gemäß <verweis.norm>§ 22 <v.abk ersatz="GBO">GBO</v.abk></verweis.norm>, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs antragsberechtigt derjenige, dessen Recht nicht oder nicht richtig eingetragen ist, also der unmittelbar gewinnende Teil, dem der Berichtigungsanspruch nach <verweis.norm>§ 894 <v.abk ersatz="BGB">BGB</v.abk></verweis.norm> zusteht, und derjenige, der zu Unrecht eingetragen ist, also der Buchberechtigte, der sein Buchrecht letztlich unmittelbar durch die berichtigende Eintragung verliert (BGH NJW 2014, 1593; NJW 1994, 1158). Dabei reicht es für die Frage der Antrags- und Beschwerdeberechtigung wohl aus, dass diese Umstände schlüssig behauptet werden (Hügel/Holzer GBO 3. Aufl. § 22 Rn. 13 f. m. w. N.). Lediglich mittelbare Vor- oder Nachteile, insbesondere die vorgetragenen wirtschaftlichen Interessen des Beteiligten, begründen hingegen kein Antrags- und daher auch kein Beschwerderecht (Demharter § 71 Rn. 63 mit § 13 Rn. 42 f.).</p>
<p><rd nr="18"/>Die hier beantragte Löschung des Vermerks berührt unmittelbar die Rechtsstellung des Testamentsvollstreckers. Aus dem Vermerk ergibt sich zwar nur die Verfügungsbeschränkung des als Eigentümer eingetragenen Erben (<verweis.norm>§ 2211 <v.abk ersatz="BGB">BGB</v.abk></verweis.norm>) und nicht auch positiv die Verfügungsbefugnis des Testamentsvollstreckers. Dessen Verfügungsbefugnis beurteilt sich vielmehr ausschließlich nach materiellem Recht gemäß <verweis.norm>§§ 2205 bis 2209 <v.abk ersatz="BGB (Keller/Munzig GBO 7">BGB (Keller/Munzig GBO 7</v.abk></verweis.norm>. Aufl. § 52 Rn. 18). Allerdings schützt der gemäß <verweis.norm>§ 52 <v.abk ersatz="GBO">GBO</v.abk></verweis.norm> eingetragene Vermerk aufgrund der hierdurch bewirkten Grundbuchsperre auch den Testamentsvollstrecker vor einer Verfügung des Erben (Hügel/Zeiser § 52 Rn. 41; Schaub in Bauer/Schaub GBO 4. Aufl. § 52 Rn. 36). Dies begründet die Antragsberechtigung des Testamentsvollstreckers.</p>
<p><rd nr="19"/>Hinzu kommt, dass sich die Herbeiführung der Löschung als letzter Akt der Vollstreckungstätigkeit darstellen kann, so dass sich in diesem Fall die Antragsberechtigung des Testamentsvollstreckers bereits aus dessen Amtsstellung ergibt.</p>
<p><rd nr="20"/>3. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.</p>
<p><rd nr="21"/>Die Voraussetzungen für eine Löschung des Testamentsvollstreckervermerks aufgrund Unrichtigkeitsnachweises, <verweis.norm>§ 22 Abs. 1 <v.abk ersatz="GBO">GBO</v.abk></verweis.norm>, liegen nicht vor.</p>
<p><rd nr="22"/>a) Unrichtig ist das Grundbuch, wenn die durch den Grundbuchinhalt dargestellte Rechtslage nicht der materiellen Rechtslage entspricht (Palandt/Herrler BGB 78. Aufl. § 894 Rn. 2). Hinsichtlich des nach <verweis.norm>§ 52 <v.abk ersatz="GBO">GBO</v.abk></verweis.norm> eingetragenen Vermerks wird das Grundbuch daher unrichtig, wenn die eingetragene Verfügungsbeschränkung nach materiellem Recht nicht mehr besteht.</p>
<p><rd nr="23"/>Bei der hier angeordneten Abwicklungsvollstreckung (<verweis.norm>§ 2203 <v.abk ersatz="BGB">BGB</v.abk></verweis.norm>) endet das Amt des Testamentsvollstreckers durch vollständige Erledigung sämtlicher ihm zugewiesener Aufgaben (Palandt/Weidlich § 2225 Rn. 3; Hügel/Zeiser § 52 Rn. 51).</p>
<p><rd nr="24"/>b) Der zur Löschung des Vermerks erforderliche Unrichtigkeitsnachweis ist gemäß <verweis.norm>§ 29 Abs. 1 <v.abk ersatz="GBO">GBO</v.abk></verweis.norm> in der Regel durch öffentliche Urkunden zu führen, soweit die Umstände nicht beim Grundbuchamt offenkundig sind. Nur in besonderen Ausnahmefällen, nämlich dann, wenn ein formgerechter Nachweis unmöglich ist und der Zivilrechtsweg nicht offensteht, um eine Berichtigungsbewilligung nach <verweis.norm>§ 19 <v.abk ersatz="GBO">GBO</v.abk></verweis.norm> zu erstreiten, können Erleichterungen greifen (Hügel/Holzer § 22 Rn. 65 f.; Schaub in Bauer/Schaub § 52 Rn. 98 f.).</p>
<p><rd nr="25"/>Der Unrichtigkeitsnachweis ist hier nicht geführt.</p>
<p><rd nr="26"/>Beim Grundbuchamt sind zwar das Todesdatum des Erstverstorbenen sowie aus dem der Erbeneintragung zugrundeliegenden Erbvertrag nebst Nachtrag der beschränkte Aufgabenkreis des Testamentsvollstreckers offenkundig. Dies rechtfertigt jedoch auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Alleinerbin als Gesamtrechtsnachfolgerin des Erstverstorbenen im Grundbuch eingetragen wurde, nicht zwingend die Annahme, die Testamentsvollstreckung sei durch Aufgabenerledigung beendet. Vielmehr bestehen diesbezüglich tatsächliche Zweifel, die sich aus dem Testamentsvollstreckerhandeln gegenüber dem Grundbuchamt ergeben. Diese Zweifel bestehen selbst dann, wenn das Grundbuchamt über den Berichtigungsantrag vor Ablauf der Stellungnahmefrist entschieden hat und die ausgebliebene Reaktion somit zu Unrecht zum Nachteil des Beteiligten gewertet hat. Ernsthafte Zweifel an der behaupteten vollständigen Erledigung sind jedenfalls deshalb berechtigt, weil der Testamentsvollstrecker die an ihn im Jahr 2016 anlässlich eines Gläubigerantrags gerichtete Anfrage nach der Aufgabenerledigung lediglich dahingehend beantwortet hatte, dass die Anfrage der Überprüfung bedürfe und nicht kurzfristig erledigt werden könne. Selbst wenn dieser Auskunft lediglich taktische Gründe zugrunde gelegen haben sollten - was nicht beurteilt werden kann -, ist sie doch geeignet, massive Zweifel an der nun zur Begründung des Berichtigungsbegehrens aufgestellten Behauptung hervorzurufen, wonach spätestens seit Eintragung der Erbin im Grundbuch die dem Testamentsvollstrecker zugewiesenen Aufgaben vollständig erledigt gewesen seien. Denn diese Behauptung steht in unvereinbarem Widerspruch zu der noch mit Anwaltsschriftsatz vom 14.6.2016 behaupteten Notwendigkeit einer nicht kurzfristig zu erledigenden Überprüfung.</p>
<p><rd nr="27"/>Eine Beendigung der Testamentsvollstreckung jedenfalls in Bezug auf das gegenständliche Eigentum folgt auch bei einer reinen Abwicklungsvollstreckung nicht schon aus der berichtigenden Erbeneintragung. Ein anderes Verständnis wäre mit <verweis.norm>§ 52 <v.abk ersatz="GBO">GBO</v.abk></verweis.norm> unvereinbar, denn nach dieser Vorschrift ist von Amts wegen mit der Berichtigung der Eigentümereintragung durch Eintragung des Erben ein Testamentsvollstreckervermerk miteinzutragen. Davon darf nur abgesehen werden, wenn nachgewiesen ist, dass der Nachlassgegenstand (das Grundstück) nicht der Verwaltung des Testamentsvollstreckers unterliegt. Dieser Ausnahmefall liegt aber nicht ohne weiteres deshalb vor, weil Testamentsvollstreckung in Form der Abwicklungsvollstreckung, also in der vom Gesetz als Regelfall erachteten Form der Testamentsvollstreckung (vgl. Palandt/Weidlich § 2203 Rn. 1), angeordnet ist. Hinzu kommen müssen vielmehr weitere Umstände, etwa eine Freigabe des Grundstücks aus der Verwaltung durch Erklärung des Testamentsvollstreckers gegenüber den Erben gemäß <verweis.norm>§ 2217 <v.abk ersatz="BGB">BGB</v.abk></verweis.norm>, sofern dies dem Grundbuchamt in der Form des <verweis.norm>§ 29 <v.abk ersatz="GBO nachgewiesen ist (KEHE/Munzig GBO 7">GBO nachgewiesen ist (KEHE/Munzig GBO 7</v.abk></verweis.norm>. Aufl. § 52 Rn. 14).</p>
<p><rd nr="28"/>Sonstige Urkunden, die die Behauptung der Aufgabenerledigung stützen würden, sind nicht vorgelegt. Der Umfang der Abwicklungstätigkeit ist dem Grundbuchamt bzw. dem Beschwerdesenat nicht bekannt. Konkreter Vortrag zur Abwicklungstätigkeit fehlt. Für Nachweiserleichterungen ist in dieser Situation, zumal angesichts der widersprüchlichen Einlassungen des Beteiligten, kein Raum.</p>
<p><rd nr="29"/>Im Grundbuchverfahren unerheblich ist die Frage, ob der Testamentsvollstrecker kraft seines Amtes auch für die Befriedigung der Wohngeldforderungen zuständig ist. Denn unabhängig davon, ob diese Frage positiv oder negativ beantwortet wird, bestehen aus den genannten Gründen nicht behobene Zweifel an der behaupteten Aufgabenerledigung.</p>
<p><rd nr="30"/>c) Der Löschungsantrag kann außerdem deshalb keinen Erfolg haben, weil nach dem eigenen Beschwerdevorbringen des Beteiligten eine Berichtigung des Grundbuchs durch Löschung des Testamentsvollstreckervermerks selbst dann nicht bewirkt wird, wenn die Testamentsvollstreckung nach dem Erstverstorbenen materiellrechtlich erloschen sein sollte.</p>
<p><rd nr="31"/>Das unrichtig gewordene Grundbuch darf nur in der Weise berichtigt werden, dass es den geänderten Rechtszustand insgesamt richtig wiedergibt, denn Sinn und Zweck des Berichtigungsverfahrens besteht darin, die Grundbuchlage mit der materiellen Rechtslage in Übereinstimmung zu bringen (Senat vom 11.1.2018, 34 Wx 201/17 = FGPrax 2018, 109 m. w. N.). Dieses Ziel kann nach dem Vorbringen des Beteiligten schon deshalb nicht auf die beantragte Weise erreicht werden, weil bereits vor Antragstellung die eingetragene Eigentümerin verstorben war. Auch insoweit ist Testamentsvollstreckung angeordnet.</p>
<p><rd nr="32"/>Unabhängig davon, dass der Beteiligte die Sterbeurkunde hinsichtlich dieses zweiten Todesfalles lediglich in Kopie vorgelegt hat, so dass sein Vorbringen insoweit nicht urkundenmäßig belegt ist, rechtfertigt dieses Vorbringen erhebliche Zweifel daran, dass das Grundbuch nach Löschung des Vermerks die materielle Rechtslage zutreffend beschreiben würde.</p>
<p>III.</p>
<p><rd nr="33"/>Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil der Beteiligte die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens bereits nach dem Gesetz, <verweis.norm>§ 22 Abs. 1 <v.abk ersatz="GNotKG">GNotKG</v.abk></verweis.norm>, zu tragen hat.</p>
<p><rd nr="34"/>Der Geschäftswert wird mangels hinreichender Anhaltspunkte für eine Schätzung des wirtschaftlichen Interesses des Beschwerdeführers mit dem Auffangwert des <verweis.norm>§ 36 Abs. 3 <v.abk ersatz="GNotKG">GNotKG</v.abk></verweis.norm> bestimmt.</p>
<p><rd nr="35"/>Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde, <verweis.norm>§ 78 Ab. 2 <v.abk ersatz="GBO">GBO</v.abk></verweis.norm>, liegen nicht vor.</p>
</div>
|
|
180,271 | olgmuen-2019-01-30-24-u-321317 | {
"id": 277,
"name": "Oberlandesgericht München",
"slug": "olgmuen",
"city": null,
"state": 4,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": "Oberlandesgericht"
} | 24 U 3213/17 | 2019-01-30T00:00:00 | 2019-02-07T14:19:18 | 2019-02-13T12:21:04 | Beschluss | <h2>Tenor</h2>
<div>
<p>1. Bei dem Streitwertbeschluss des Senats vom 20.12.2018, Az. 24 U 3213/17, hat es sein Bewenden.</p>
<p>2. Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.</p>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
<p><rd nr="1"/>1. Die Streitwertbeschwerde ist mangels Statthaftigkeit unzulässig. Zwar wäre die Streitwertbeschwerde allein nach dem Wortlaut des § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG statthaft. Gemäß § 66 Abs. 3 Satz 2 GKG i. V. m. § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG wäre Beschwerdegericht jedoch als nächsthöheres Gericht der Bundesgerichtshof, dessen Anrufung durch eine Streitwertbeschwerde aber ausgeschlossen ist (<verweis.norm>§ 66 Abs. 3 Satz 3 <v.abk ersatz="GKG">GKG</v.abk></verweis.norm> i. V. m. § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG). Daraus folgt, dass sich eine Streitwertbeschwerde nicht gegen Entscheidungen der Oberlandesgerichte richten kann (vgl. BGH vom 10.07.2007 - VIII ZB 27/07 - juris; Hartmann, Kostengesetze, 48. Aufl. 2018, § 68 GKG Rn. 4; Meyer, GKG/FamGKG, 16. Aufl. 2018, § 68 GKG Rn. 8 [der allerdings irrtümlich auf die Verweisung des § 68 Abs. 1 Satz 3 GKG abstellt]).</p>
<p><rd nr="2"/>2. Im Interesse des Anliegens der Klägervertreter wird die Streitwertbeschwerde daher als Gegenvorstellung aufgefasst. Diese veranlasst keine Änderung des angegriffenen Beschlusses. Der Senat hält an seiner Auffassung fest, dass es den Gebührenstreitwert (<verweis.norm>§ 48 Abs. 1 Satz 1 <v.abk ersatz="GKG">GKG</v.abk></verweis.norm>, § 9 Satz 1 ZPO) nicht erhöht, wenn der Kläger seinen Antrag auf Zahlung einer Rente zum Ersatz eines Haushaltsführungsschadens wegen deren teilweise angenommener Beschränkung bis zur Vollendung des 75. Lebensjahres mit einem diesbezüglichen Feststellungsantrag für die Zeit nach Vollendung des 75. Lebensjahres verbindet.</p>
<p><rd nr="3"/>a) Zur Begründung verweist der Senat zunächst auf seine Beschlüsse vom 25.06.2018 und vom 27.08.2018 im Verfahren 24 W 725/18 (juris Rn. 1 bzw. Rn. 3 f.).</p>
<p><rd nr="4"/>b) Der mit der Gegenvorstellung erhobene Einwand, bei Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung könne der Kläger, der eine Haushaltsführungsrente bis zur Vollendung des 75. Lebensjahres zugesprochen erhält, mit seinem die Zeit nach Vollendung des 75. Lebensjahres betreffenden Feststellungsantrag aber abgewiesen wird, mangels (wertmäßiger) Beschwer niemals ein Rechtsmittel einlegen, überzeugt nicht.</p>
<p><rd nr="5"/>Dieser Auffassung liegt die Annahme zugrunde, dass jedwede zur Einlegung eines Rechtsmittels erforderliche Beschwer (<verweis.norm>§ 511 Abs. 2 Nr. 1 <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm>, § 26 Nr. 8 EGZPO) stets einen betragsmäßig äquivalenten Niederschlag im Gebührenstreitwert gefunden haben müsse. Diese Prämisse trifft aber nicht zu, wie eine Betrachtung der wertmäßigen Behandlung von Nebenforderungen zeigt. Diese erhöhen gemäß § 4 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO i. V. m. § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG den Gebührenstreitwert nicht. Nach der Logik der Gegenvorstellung müsste daraus folgen, dass ein Kläger mangels (wertmäßiger) Beschwer in keinem Fall Berufung einlegen kann, wenn ihm die eingeklagte Hauptforderung voll zugesprochen wird, er hinsichtlich der auf diese geltend gemachten Zinsen aber abgewiesen wird. Dies ist jedoch nicht der Fall. Verfolgt der Kläger seine Ansprüche (allein) wegen der Zinsen weiter, so werden diese zur Hauptsache und die Berufung zulässig, sofern die geltend gemachte Zinsforderung die Berufungssumme des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erreicht (Noethen in Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 14. Aufl. 2016, Rn. 4766 m. w. N.).</p>
<p><rd nr="6"/>Nicht anders läge es hier. Der Grund dafür, dass der Senat in der oben wiedergegebenen Fallkonstellation eine Erhöhung des Gebührenstreitwerts ablehnt, liegt darin, dass der Feststellungsantrag für die Zeit nach Vollendung des 75. Lebensjahres funktional an die Stelle des Antrags auf Zahlung einer Haushaltsführungsrente bis zur Vollendung des 75. Lebensjahres tritt und sich der gemäß § 9 Satz 1 ZPO i. V. m. § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG anzusetzende Gebührenstreitwert auch nicht erhöhte, wenn die Haushaltsführungsrente über die Vollendung des 75. Lebensjahres hinaus zu gewähren wäre. Diese funktionale Einheit würde aufgelöst, wenn der Kläger zwar mit seinem Antrag auf Haushaltsführungsrente obsiegte, mit seinem Feststellungsantrag aber abgewiesen würde und er sich hiergegen wenden möchte. In diesem Fall wäre mit Blick auf die Berufungssumme ein eigener Wert des Feststellungsantrags nach Maßgabe der <verweis.norm>§§ 3 ff. <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm> i. V. m. <verweis.norm>§ 48 Abs. 1 Satz 1 <v.abk ersatz="GKG">GKG</v.abk></verweis.norm> zu bestimmen. Dass ein Feststellungsantrag für die Zeit nach Vollendung des 75. Lebensjahres von vornherein auch hinsichtlich des Gebührenstreitwerts zu berücksichtigen wäre, wenn er isoliert, also ohne eine Haushaltsführungsrente für die Zeit bis zur Vollendung des 75. Lebensjahres, geltend gemacht würde, versteht sich von selbst; hierbei dürfte es sich aber um eine theoretische Fallgestaltung handeln.</p>
<p><rd nr="7"/>3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (<verweis.norm>§ 68 Abs. 3 <v.abk ersatz="GKG">GKG</v.abk></verweis.norm>).</p>
</div>
|
|
180,234 | ovgnrw-2019-01-30-6-a-272017 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 6 A 2720/17 | 2019-01-30T00:00:00 | 2019-02-07T14:18:35 | 2019-02-13T12:21:04 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0130.6A2720.17.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag wird abgelehnt.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf die Wertstufe bis 25.000,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO nur zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO fristgerecht dargelegt ist und vorliegt. Das ist nicht der Fall.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">1. Aus den im Zulassungsverfahren vorgetragenen Gründen ergeben sich die behaupteten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils nicht.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Stützt der Rechtsmittelführer seinen Zulassungsantrag auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen. Dabei muss er den tragenden Rechtssatz oder die Feststellungen tatsächlicher Art bezeichnen, die er mit seinem Antrag angreifen will, und mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellen. Es genügt hingegen nicht, wenn er pauschal die Unrichtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts behauptet oder wenn er lediglich sein Vorbringen erster Instanz wiederholt, ohne im Einzelnen auf die Gründe des angefochtenen Urteils einzugehen. Diesen Anforderungen entspricht das Zulassungsvorbringen nicht.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat die auf die Verpflichtung des beklagten Landes gerichtete Klage, den Eintritt des Klägers in den Ruhestand bis zum Ablauf des Monats Februar 2018 hinauszuschieben, durch Urteil vom 25. September 2017 abgewiesen. Der</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Kläger sei mit Ablauf des 29. Februar 2016 wegen Erreichens der Altersgrenze (vgl. § 31 LBG NRW) in den Ruhestand getreten. Damit sei ein Hinausschieben des Eintritts in den Ruhestand rechtlich nicht mehr möglich. Art. 19 Abs. 4 GG stehe dem nicht entgegen. Dem Gebot effektiver Rechtsschutzgewährung sei dadurch Genüge getan, dass der Beamte vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze im Wege einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutzes ein vorläufiges Hinausschieben des Eintritts in den Ruhestand erreichen könne, wenn er meine, der Dienstherr habe seinen Antrag auf Hinausschieben der Altersgrenze zu Unrecht abgelehnt. Vorliegend seien dem Kläger nahezu zwei Monate nach der ablehnenden Entscheidung des beklagten Landes verblieben, um um einstweiligen Rechtsschutz nachzusuchen. Innerhalb dieses Zeitraums wäre eine vorläufige Regelung bzw. Sicherung seines Status zu erlangen gewesen.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Diesen näher begründeten Erwägungen setzt das Zulassungsvorbringen nichts Durchgreifendes entgegen.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass nach dem Eintritt des Klägers in den Ruhestand wegen Erreichens der Altersgrenze mit Ablauf des 29. Februar 2016 ein Hinausschieben des Eintritts in den Ruhestand (vgl. § 32 LBG NRW) nicht mehr in Betracht kommt. Bereits begrifflich ist ein Hinausschieben des Eintritts in den Ruhestand nur möglich, solange der Ruhestand noch nicht begonnen hat.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2011</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">- 2 B 94.11 -, juris Rn. 14; OVG NRW, Beschluss vom 29. Mai 2013 - 6 B 201/13 -, DÖD 2013, 272 = juris Rn. 6; VGH BW, Urteil vom 11. Juni 2013</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">- 4 S 83/13 -, juris Rn. 21; OVG Hamburg, Beschluss vom 5. Juni 2012 - 1 Bs 98/12 -, IÖD 2012, 244 = juris Rn. 6.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Im Übrigen würde ein nachträgliches Hinausschieben des Eintritts in den Ruhestand einer rückwirkenden (statusändernden) Wiederbegründung des aktiven Beamtenverhältnisses gleichkommen, die aber im Hinblick auf die Regelung in § 8 Abs. 4       BeamtStG unzulässig und insoweit unwirksam wäre; einer erneuten Berufung in das Beamtenverhältnis mit Wirkung ex nunc stünde § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BeamtStG entgegen.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Vgl. auch VGH BW, Urteil vom 11. Juni 2013 - 4 S 83/13 -, a. a. O. Rn. 21.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Der Einwand des Klägers, in Anbetracht der üblichen Dauer eines verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens hätte er vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze keine vorläufige Regelung bzw. Sicherung seines Status erreichen können, greift nicht durch. Ihm verblieb nach Erhalt des Ablehnungsbescheides am 5. Januar 2016 genügend Zeit, um beim Verwaltungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. § 123 VwGO) zu beantragen. Die Verwaltungsgerichte, die bei der Auslegung und Anwendung des § 123 VwGO gehalten sind, den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) Rechnung zu tragen,</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1988</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">- 2 BvR 745/88 -, BVerfGE 79, 69 = juris Rn. 17,</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">gewähren im Verfahren nach § 123 VwGO auch sehr kurzfristig den erforderlichen Rechtsschutz. Nötigenfalls nutzen sie die Möglichkeit, durch eine Zwischenentscheidung (sog. Hängebeschluss) Zeit für eine den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG genügende Prüfung der Sach- und Rechtslage zu gewinnen.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">2. Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine im Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Dabei ist zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes die Frage auszuformulieren und substantiiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird. Die Begründung des Zulassungsantrags verfehlt diese Anforderungen. Der Kläger formuliert bereits keine konkrete Rechtsfrage, sondern macht geltend, den Ausführungen des BVerwG im oben genannten Beschluss vom 21. Dezember 2011 - 2 B 94.11 -, a. a. O. Rn. 14, sei nicht zu folgen bzw. sie seien nicht nachzuvollziehen.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">3. Die sinngemäß erhobene Verfahrensrüge (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) greift ebenfalls nicht durch.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Eine mangelnde Sachaufklärung kann dem Verwaltungsgericht schon deshalb nicht vorgeworfen werden, weil von einem anwaltlich vertretenen Beteiligten im Allgemeinen - so auch hier - erwartet werden kann, dass er eine von ihm für notwendig erachtete Beweisaufnahme bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der gemäß § 86 Abs. 2 VwGO vorgesehenen Form beantragt. Ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung hat der Kläger keinen Beweisantrag gestellt. Die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung musste sich dem Verwaltungsgericht auch sonst nicht aufdrängen; insoweit wird auf die Ausführungen unter 1. Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">4. Soweit der Kläger schließlich auf sein erstinstanzliches Vorbringen verweist, verkennt er, dass (auch) dies den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht genügt.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Nach alledem kommt es im vorliegenden Verfahren auf die Frage, ob die Klage mit Ablauf des Monats Februar 2018 unzulässig geworden ist, nicht mehr an.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. Satz 4 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).</p>
|
180,222 | ovgni-2019-01-30-10-la-2119 | {
"id": 601,
"name": "Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht",
"slug": "ovgni",
"city": null,
"state": 11,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | 10 LA 21/19 | 2019-01-30T00:00:00 | 2019-02-07T14:18:23 | 2019-02-13T12:21:04 | Beschluss | <div id="dokument" class="documentscroll">
<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - Einzelrichterin der 1. Kammer - vom 20. Dezember 2018 wird abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der Antrag der Beklagten, die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zuzulassen, hat keinen Erfolg. Denn der von ihr allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Eine Rechtssache ist nur dann im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfrage oder eine obergerichtlich bislang noch nicht beantwortete Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf (GK-AsylG, Stand: November 2018, § 78 AsylG Rn. 88 ff. m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: November 2018, § 78 AsylG Rn. 21 ff. m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG verlangt daher nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (u. a. Senatsbeschluss vom 13.09.2018 - 10 LA 349/18 -, juris Rn. 2 ff.):</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">1. dass eine bestimmte Tatsachen- oder Rechtsfrage konkret und eindeutig bezeichnet,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">2. ferner erläutert wird, warum sie im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">3. schließlich dargetan wird, aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte hat zur Begründung dieses Zulassungsgrunds die folgenden Fragen aufgeworfen:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">„ob die der Gefahrrealisierung entgegenstehende Einholung der Zusage bezüglich Zugangs zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Anlagen durch die Behörden des Mitgliedstaates dem Aufgabenbereich des Bundesamtes oder dem Aufgabenbereich der für die Durchführung der Überstellung zuständigen Ausländerbehörde unterfällt und<br>ob das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bei der Prognose einer zielstaatsbezogenen Gefährdung das Vorhandensein einer solchen Zusicherung einzubeziehen hat.“</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Diese Fragen verleihen der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Denn sie können ohne Weiteres bereits im Zulassungsverfahren beantwortet werden bzw. sind, soweit sie hier überhaupt entscheidungserheblich sind, auch bereits höchstrichterlich geklärt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Zum einen besteht in Dublin-Verfahren eine “Gesamtzuständigkeit“ des Bundesamts zur Prüfung inlandsbezogener und zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse (Senatsurteil vom 29.05.2018 - 10 LB 160/18 -, nicht veröffentlicht; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 20.06.2017 - 13 PA 104/17 -, juris Rn. 16 m.w.N; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 04.01.2017 - 11 S 2301/16 -, juris Rn. 19 m.w.N.; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.07.2016 - 13 A 1859/14.A -, juris Rn. 125), wenn das Bundesamt eine Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG verfügt hat. Soweit die Beklagte zur Begründung des Zulassungsantrags auf die “neue Rechtslage“ abstellt, wonach eine Abschiebungsandrohung gemäß § 35 AsylG zu erfolgen habe, übersieht sie, dass das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid vom 8. Mai 2018 zu Recht eine Abschiebungsanordnung verfügt hat, weil der Asylantrag des Klägers gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG abgelehnt worden ist. Die Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG darf - als Festsetzung eines Zwangsmittels - jedoch erst dann ergehen, wenn nach dem Wortlaut dieser Vorschrift „feststeht“, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Das Bundesamt hat damit sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse und somit auch zu prüfen, ob besonders schutzbedürftige Personen im Zielstaat einen gesicherten Zugang zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Anlagen haben und falls nicht, ob das sich daraus ergebende Abschiebungsverbot durch eine entsprechende Zusicherung der Behörde des Zielstaats entfällt. Insoweit besteht eine von der gewöhnlichen Rollenverteilung zwischen Bundesamt und Ausländerbehörde abweichende “Gesamtzuständigkeit“ des Bundesamts, die eine Entscheidung aus “einer Hand“ sichern soll.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Zum anderen bezieht sich die Frage, ob für besonders schutzbedürftige Personen im Zielstaat ein gesicherter Zugang zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Anlagen besteht, ohnehin auf zielstaatsbezogene Tatsachen, die das Bundesamt in jedem Fall, also etwa auch bei anerkannten Schutzberechtigten und dem Ergehen einer Abschiebungsandrohung nach § 35 AsylG, zu klären hat. Kommt das Bundesamt zu der Feststellung, dass es zur Beseitigung eines ansonsten bestehenden Abschiebungsverbots einer Zusicherung bedarf, so obliegt es ihm, diese Zusicherung einzuholen. Etwas Anderes gilt nur für Umstände, die Gefahren betreffen, die sich im Einzelfall im Zusammenhang mit der Durchführung einer Abschiebung ergeben. Hierzu zählt jedoch nicht die Frage, ob besonders schutzbedürftige Flüchtlinge im Zielstaat Obdach, Nahrungsmittel und sanitäre Anlagen vorfinden (vgl. hierzu ausführlich BVerwG, Beschluss vom 08.08.2018 - 1 B 25.18 -, juris Rn. 17).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylG.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).</p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText">
<p style="margin-top:24px"> </p>
<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
<p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE190000469&psml=bsndprod.psml&max=true</p>
</div>
</div>
|
|
180,214 | lsgsh-2019-01-30-l-9-ay-319-b-er | {
"id": 1068,
"name": "Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht",
"slug": "lsgsh",
"city": null,
"state": 17,
"jurisdiction": "Sozialgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | L 9 AY 3/19 B ER | 2019-01-30T00:00:00 | 2019-02-07T14:18:07 | 2019-02-13T12:21:05 | Beschluss | <div class="docLayoutText">
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Itzehoe vom 10. Dezember 2018 wird zurückgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Beteiligten haben einander auch für das Beschwerdeverfahren außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Sie ist form- und fristgerecht erhoben worden (§ 173 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist angesichts der offenen Antragstellung – begehrt werden unspezifisch die weitere Gewährung von Leistungen und die Zahlung dieser Leistungen durch Kontoüberweisung – angesichts des prozessualen Meistbegünstigungsgrundsatzes von der Statthaftigkeit der Beschwerde (vgl. § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG) auszugehen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Die Beschwerde ist aber nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Soweit es dem Antragsteller insbesondere um die Auszahlung für den Monat Oktober 2018 bewilligter Leistungen geht, die der Antragsgegner verweigert, weil er – der Antragsteller – sich in diesem Zeitraum durchgehend außerhalb seines Gebiets und damit der Wohnsitzauflage zuwider aufgehalten habe, fehlt es bereits an der für den Anordnungsgrund erforderlichen Eilbedürftigkeit. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes scheidet die Verpflichtung zur Gewährung von Leistungen für in der Vergangenheit liegende Zeiträume grundsätzlich aus. Der Antragsteller hat nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass eine durch die Vorenthaltung dieser Leistungen in der Vergangenheit möglicherweise entstandene Notlage bis heute fortwirkt. Ihm ist deshalb ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung zuzumuten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Soweit der Antragsteller aktuell die Zahlung von Leistungen begehrt, fehlt es ebenfalls an einem Anordnungsgrund. Dabei berücksichtigt der Senat, dass der Antragsgegner dem Antragsteller mit Bescheid vom 10. August 2018 Leistungen nach § 2 Abs. 1 und 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für den Zeitraum bis 31. Januar 2019 in Höhe von monatlich 597,77 EUR – auszuzahlen an den Antragsteller in Höhe von monatlich 382,69 EUR per Scheck – bewilligt und diese Bewilligungsentscheidung bisher augenscheinlich nicht aufgehoben hat.  Der Antragsteller müsste nur in den Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners zurückkehren und dort entsprechend der Wohnsitzauflage seinen Wohnsitz nehmen, um existenzsichernde Leistungen in gesetzlicher Höhe auch tatsächlich in Anspruch nehmen zu können. Dies ist dem Antragsteller nach Lage der Dinge auch ohne Weiteres zuzumuten. Die Frage, inwieweit eine Umverteilung des Antragstellers bzw. die Aufhebung der Wohnsitzauflage aus persönlichen Gründen (Herstellung einer Lebensgemeinschaft mit seiner Lebensgefährtin) beansprucht werden kann, ist eine asyl- bzw. aufenthaltsrechtliche Frage, die der gerichtlichen Überprüfung durch die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit vorbehalten ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Soweit der Antragsteller die Auszahlung der ihm bewilligten Leistungen durch Kontoüberweisung begehrt, fehlt es an einem Anordnungsanspruch. Dies gilt schon deshalb, weil sein Leistungsanspruch durch Wohnsitznahme außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Antragsgegners nach § 11 Abs. 2 AsylbLG auf – hier nicht begehrte – Reisebeihilfen beschränkt ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AsylbLG darf Leistungsberechtigten in den Teilen der Bundesrepublik Deutschland, in denen sie sich einer asyl- oder ausländerrechtlichen räumlichen Beschränkung zuwider aufhalten, von der für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständigen Behörde regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des unabweisbaren Bedarfs für die Reise zu ihrem rechtmäßigen Aufenthaltsort gewährt werden. Diese Vorschrift ist auch auf Personen anwendbar, die entgegen einer Wohnsitzauflage ihren Wohnsitz an einem anderen Ort genommen haben (so Groth in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014 § 11 Rn. 29.1; Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl. 2018, § 11 Rn. 3; Deibel, ZFSH/SGB 2015, S. 117, 127; a.A. Siefert in: dies., AsylbLG, 1. Aufl. 2018, § 11 Rn. 25). Zwar ist – im Sinne der asyl- und aufenthaltsrechtlichen Begrifflichkeiten – die Wohnsitzauflage kein Unterfall der räumlichen Beschränkungen; darauf deutet insbesondere die Systematik des § 61 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) hin.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Es entspricht jedoch dem klaren gesetzgeberischen Willen und dem Sinn und Zweck der Regelung, dass § 11 Abs. 2 AsylbLG auch für denjenigen Personenkreis gelten soll, der das Gebiet, für das eine Wohnsitzauflage erteilt ist, nicht nur vorübergehend verlässt, sondern sich gewöhnlich außerhalb dieses Gebiets aufhält oder gar dauerhaft außerhalb dieses Gebiets seinen Wohnsitz nimmt. So heißt es in der Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern (vom 23. Dezember 2014 [BGBl. I S. 2439]) ausdrücklich:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">„Nach der Systematik der gesetzlichen Regelungen soll eine gerechte Verteilung der Sozialkosten zwischen den Ländern dadurch gewährleistet werden, dass Sozialleistungen lediglich an dem Wohnort erbracht werden, auf den sich die Wohnsitzauflage bezieht. Insbesondere sollen Asylbewerber und geduldete Ausländer, die unter Verstoß gegen eine Wohnsitzauflage in ein anderes Bundesland umzuziehen, dort keine Ansprüche nach dem Asylbewerberleistungsgesetz geltend machen können.“ (BT-Drucks. 18/3144, S. 10).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Dieser Gedanke ist in der Begründung zum Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz (vom 20. Oktober 2015 [BGBl. I S. 1722]), mit dem der Gesetzgeber die Änderungen in §§ 10a, 11 Abs. 2 AsylbLG vorgenommen hat, nochmals aufgegriffen worden (BT-Drs. 18/6185, S. 47).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Die klare Zielsetzung der gesetzlichen Regelung würde konterkariert werden, würde man die Wohnsitzauflage nicht den räumlichen Beschränkungen i.S. des § 11 Abs. 2 Satz 1 AsylbLG zurechnen. Dann nämlich bliebe der für den Ort der Wohnsitzauflage zuständige Leistungsträger auch bei einer tatsächlich abweichenden Wohnsitznahme nach § 10a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG für die Leistungsgewährung zuständig und müsste, weil die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 AsylbLG nicht erfüllt wären, dort dauerhaft ungekürzte Leistungen erbringen. Das auch aus Gründen der gerechten Verteilung der Sozialkosten eingeführte Instrumentarium der Wohnsitzauflage könnte so keine Steuerungswirkung entfalten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Ist die Regelung des § 11 Abs. 2 Satz 1 AsylbLG auf den Antragsteller anwendbar, steht sie dem geltend gemachten Anspruch entgegen, auch wenn der Antragsgegner seine Bewilligungsentscheidung vom 10. August 2018 bisher nicht nach § 48 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben hat. Denn der Antragsteller begehrt mit der Überweisung der Leistungen anstelle der Auszahlung mittels Scheck einen anderen als den bisher gewährten Zahlungsweg. Er macht einen weitergehenden Anspruch geltend, für den die formellen und materiellen Leistungsvoraussetzungen ungeachtet der fortwirkenden Bewilligungsentscheidung erneut zu überprüfen sind.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>An einem Anordnungsanspruch würde es aber selbst dann fehlen, wenn § 11 Abs. 2 AsylbLG auf den Antragsteller nicht anwendbar wäre. Auch dann hätte der Antragsteller keinen spruchreifen Anspruch auf Auszahlung der Leistungen durch Kontoüberweisung. Allerdings ist die Vorschrift des § 3 Abs. 6 Satz 1 AsylbLG, nach der Leistungen in Geld dem Leistungsberechtigten persönlich ausgehändigt werden sollen, auf den Antragsteller nicht anwendbar. Der Antragsteller erhält und beansprucht Leistungen nach § 2 AsylbLG, so dass sich Art und Umfang der Leistungsgewährung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) richten. Dort gibt es – anders als etwa in § 42 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) – keine spezifische Regelung dazu, in welcher Form Geldleistungen zu erbringen sind (vgl. § 10 SGB XII), so dass der zuständige Träger darüber nach pflichtgemäßem Ermessen zu bestimmen hat (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SGB XII). Eine Ermessensreduzierung auf Null zugunsten einer Kontoüberweisung vermag der Senat allerdings nicht zu erkennen, zumal die Zahlung der Leistungen durch Scheck die Einhaltung der Wohnsitzauflage, die auch leistungsspezifischen Zwecken dient, zumindest zu fördern vermag.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG. Sie orientiert sich am Ausgang des Verfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).</p></dd>
</dl>
</div></div>
<br>
</div>
|
|
175,015 | eugh-2019-01-30-c-58717 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-587/17 | 2019-01-30T00:00:00 | 2019-01-31T19:20:44 | 2019-01-31T19:20:44 | Urteil | ECLI:EU:C:2019:75 | <p>Vorläufige Fassung</p>
<p class="C19Centre">URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)</p>
<p class="C19Centre">30. Januar 2019(<a href="#Footnote*" name="Footref*">*</a>)</p>
<p class="C71Indicateur">„Rechtsmittel – Europäischer Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL) – Verordnung (EG) Nr. 1290/2005 – Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 – Von der Finanzierung durch die Europäische Union ausgeschlossene Ausgaben – Zu Unrecht geleistete Ausfuhrerstattungen – Wiedereinziehung – Fehlende Ausschöpfung sämtlicher Rechtsbehelfe – Keine Kassationsbeschwerde im Anschluss an das negative Gutachten eines bei der Cour de cassation (Kassationshof, Belgien) zugelassenen Anwalts – Art. 267 AEUV – Keine Vorlage zur Vorabentscheidung an den Gerichtshof – Versäumnis des Mitgliedstaats“</p>
<p class="C02AlineaAltA">In der Rechtssache C‑587/17 P</p>
<p class="C02AlineaAltA">betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 256 Abs. 1 AEUV und Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 5. Oktober 2017,</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Königreich Belgien,</b> vertreten durch J.‑C. Halleux, M. Jacobs und C. Pochet als Bevollmächtigte im Beistand von E. Grégoire und J. Mariani, avocats,</p>
<p class="C72Alineadroite">Kläger,</p>
<p class="C02AlineaAltA">andere Partei des Verfahrens:</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Europäische Kommission,</b> vertreten durch A. Bouquet und B. Hofstötter als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C72Alineadroite">Beklagte im ersten Rechtszug,</p>
<p class="C02AlineaAltA">erlässt</p>
<p class="C19Centre">DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Mitwirkung des Präsidenten der Siebten Kammer T. von Danwitz in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, der Richterin K. Jürimäe sowie der Richter C. Lycourgos (Berichterstatter), E. Juhász und C. Vajda,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Generalanwalt: N. Wahl,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Kanzler: V. Giacobbo-Peyronnel, Verwaltungsrätin,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. Juni 2018,</p>
<p class="C02AlineaAltA">nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. Oktober 2018</p>
<p class="C02AlineaAltA">folgendes</p>
<p class="C75Debutdesmotifs">
<b>Urteil</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point1">1</a>        Mit seinem Rechtsmittel begehrt das Königreich Belgien die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 20. Juli 2017, Belgien/Kommission (T‑287/16, EU:T:2017:531, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht seine Klage auf Nichtigerklärung des Durchführungsbeschlusses (EU) 2016/417 der Kommission vom 17. März 2016 über den Ausschluss bestimmter von den Mitgliedstaaten zu Lasten des Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL) und des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) getätigter Ausgaben von der Finanzierung durch die Europäische Union (ABl. 2016, L 75, S. 16) (im Folgenden: streitiger Beschluss), soweit hinsichtlich des Königreichs Belgien ein Betrag von 9 601 619 Euro von dieser Finanzierung ausgeschlossen wurde, abgewiesen hat.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point2">2</a>        Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1290/2005 des Rates vom 21. Juni 2005 über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik (ABl. 2005, L 209, S. 1) sah vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Aus dem [Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL)] werden in einer zwischen den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft geteilten Mittelverwaltung folgende gemäß dem Gemeinschaftsrecht getätigte Ausgaben finanziert:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      die Erstattungen bei der Ausfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse in Drittländer,</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point3">3</a>        Art. 9 Abs. 1 Buchst. a dieser Verordnung bestimmte: </p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Mitgliedstaaten</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      erlassen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften sowie alle sonstigen Maßnahmen, um einen wirksamen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft zu gewährleisten, insbesondere um</p>
<p class="C11Marge1avecretrait">i)      sich zu vergewissern, dass die durch den EGFL und [den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER)] finanzierten Maßnahmen tatsächlich und ordnungsgemäß durchgeführt worden sind;</p>
<p class="C11Marge1avecretrait">ii)      Unregelmäßigkeiten zu verhindern und zu verfolgen;</p>
<p class="C11Marge1avecretrait">iii)      die infolge von Unregelmäßigkeiten oder Versäumnissen abgeflossenen Beträge wieder einzuziehen“.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point4">4</a>        Art. 32 Abs. 5 Unterabs. 4 und Abs. 8 Buchst. a dieser Verordnung lautete:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">„(5)      …</p>
<p class="C02AlineaAltA">Wird im Rahmen des Wiedereinziehungsverfahrens amtlich oder gerichtlich endgültig festgestellt, dass keine Unregelmäßigkeit vorliegt, so meldet der betreffende Mitgliedstaat die nach Unterabsatz 1 von ihm zu tragende finanzielle Belastung dem EGFL als Ausgabe.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(8)      Nach Durchführung des Verfahrens nach Artikel 31 Absatz 3 kann die Kommission beschließen, die zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts verbuchten Beträge in folgenden Fällen von der Finanzierung durch die Gemeinschaft auszuschließen:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      in Anwendung der Absätze 5 und 6 dieses Artikels, wenn sie feststellt, dass die Unregelmäßigkeiten oder die Nichtwiedereinziehung auf Unregelmäßigkeiten oder Versäumnisse zurückzuführen sind, für die die Verwaltung oder eine Dienststelle des betreffenden Mitgliedstaats verantwortlich ist;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point5">5</a>        Die Verordnung Nr. 1290/2005 wurde durch die Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über die Finanzierung, die Verwaltung und das Kontrollsystem der Gemeinsamen Agrarpolitik und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 352/78, (EG) Nr. 165/94, (EG) Nr. 2799/98, (EG) Nr. 814/2000, (EG) Nr. 1290/2005 und (EG) Nr. 485/2008 des Rates (ABl. 2013, L 347, S. 549, berichtigt in ABl. 2016, L 130, S. 13) aufgehoben und ersetzt. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1290/2005 wurde durch die im Wesentlichen inhaltsgleiche Bestimmung des Art. 58 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 1306/2013 ersetzt, die den Vorschriften der erstgenannten Bestimmung insbesondere hinzugefügt hat, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zur Einleitung der notwendigen rechtlichen Schritte erlassen, um wenn notwendig zu Unrecht gezahlte Beträge wiedereinzuziehen. Die Bestimmungen von Art. 32 Abs. 5 Unterabs. 4 und Abs. 8 Buchst. a der Verordnung Nr. 1290/2005 wurden im Wesentlichen in Art. 54 Abs. 2 Unterabs. 2 und Abs. 5 Buchst. c der Verordnung Nr. 1306/2013 übernommen.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Vorgeschichte des Rechtsstreits</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <i>Zu den geleisteten Ausfuhrerstattungen und den betrügerischen Wiedereinfuhren </i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point6">6</a>        Im Lauf des Jahres 1992 veräußerte die Gesellschaft Générale Sucrière, deren Rechtsnachfolgerin die Gesellschaft Saint-Louis Sucre ist, insgesamt 24 000 Tonnen Zucker an die Gesellschaften Metelmann & CO und Sucre Export. Gemäß den Kaufverträgen war dieser Zucker für die Ausfuhr aus der Europäischen Union bestimmt. Die beiden letztgenannten Gesellschaften verkauften 6 000 Tonnen dieses Zuckers über zwei Vermittler an die Gesellschaften Proud Trading und Shawline Offshore weiter. Auch in diesen Kaufverträgen war vorgesehen, dass der Zucker für einen Drittstaat bestimmt sei und das Hoheitsgebiet der Union nach seiner Verladung unverzüglich zu verlassen habe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point7">7</a>        Die Beladung der Schiffe für die Überfahrt vom Hafen von Antwerpen (Belgien) nach Usbekistan wurde zwischen dem 20. Januar und dem 29. März 1993 durchgeführt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point8">8</a>        Die Gesellschaft Manuport Services, die zusammen mit der Gesellschaft Belgian Bunkering and Stevedoring von Saint-Louis Sucre mit der Entgegennahme und Verladung des Zuckers an Bord der Schiffe sowie der dazugehörigen Dokumentation beauftragt wurde, führte für Rechnung der Letztgenannten diese Dokumentation durch und übermittelte die Ausfuhrbescheinigungen der zuständigen Zahlstelle, nämlich dem Bureau d’intervention et de restitution belge (Belgische Interventions- und Erstattungsstelle, im Folgenden: BIRB), das damals die Bezeichnung Office central des contingents et licences (Belgique) (Zentralstelle für Kontingente und Lizenzen [Belgien]) trug. Auf der Grundlage dieser Bescheinigungen erhielt Saint-Louis Sucre vom BIRB Vorschüsse auf ihre zu erwartenden Ausfuhrerstattungen ausbezahlt. Diese Vorschüsse wurden von Saint-Louis Sucre endgültig als Ausfuhrerstattungen vereinnahmt, als der Nachweis erbracht wurde, dass der Zucker das Zollgebiet der Union tatsächlich verlassen hatte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point9">9</a>        In weiterer Folge stellte sich heraus, dass die von Metelmann & CO und Sucre Export an Proud Trading und Shawline Offshore weiterveräußerten 6 000 Tonnen Zucker, nachdem sie Belgien über den Hafen von Antwerpen verlassen hatten, in Wahrheit von ihrem ursprünglichen Bestimmungsziel abgebracht wurden und auf der Grundlage gefälschter Dokumente (T2L-Formulare) in betrügerischer Weise über den Hafen von Guernica in Spanien in das Hoheitsgebiet der Union wiedereingeführt wurden. Saint-Louis Sucre informierte das BIRB von sich aus über die Entdeckung dieser betrügerischen Wiedereinfuhren.</p>
<p class="C05Titre2"> <i>Strafverfahren</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point10">10</a>      Mit Urteil des Hof van beroep te Antwerpen (Berufungsgericht Antwerpen, Belgien) vom 22. Oktober 2003, das ein Urteil der Rechtbank van eerste aanleg te Antwerpen (Gericht erster Instanz Antwerpen, Belgien) vom 21. Juni 2001 bestätigte, wurden zwei Personen, die als Vermittler zwischen Metelmann & CO und Sucre Export auf der einen sowie Proud Trading und Shawline Offshore auf der anderen Seite aufgetreten waren, wegen betrügerischer Wiedereinfuhren mit gefälschten Dokumenten, Verwendung gefälschter Dokumente und Betrugs strafgerichtlich verurteilt. Namentlich das BIRB hatte sich dem Verfahren gegen diese Personen als Nebenkläger angeschlossen und ihre Verurteilung dem Grunde nach zu vorläufig mit einem Cent festgesetztem Schadensersatz erwirkt, wobei diese Verurteilung mit Urteil der Cour de cassation (Kassationshof, Belgien) vom 22. Juni 2004 Rechtskraft erlangt hat.</p>
<p class="C05Titre2"> <i>Zivilrechtliches Wiedereinziehungsverfahren </i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point11">11</a>      Nachdem das BIRB Kenntnis von dem begangenen Betrug erlangt hatte, forderte es am 16. März 1994 von Saint-Louis Sucre die Rückerstattung eines Betrags von 167 020 445 Belgischen Franken (BEF), das entspricht 4 140 328,68 Euro, da die von dieser Gesellschaft in Antwerpen zur Ausfuhr angemeldeten Zuckerchargen, für die der Nachweis des Verlassens des Zollgebiets der Union durch die T5‑Formulare als Kontrolldokumente erbracht worden sei, mit Hilfe gefälschter Dokumente in Form von T2L‑Formularen in dieses Zollgebiet wiedereingeführt worden seien.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point12">12</a>      Saint-Louis Sucre erklärte sich mit der Wiedereinziehungsforderung des BIRB nicht einverstanden, da sie sich für diesen Betrug nicht verantwortlich fühlte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point13">13</a>      Mit Schreiben vom 19. November 1996 sowie vom 13. Februar 1997 erhielt das BIRB seine Forderung aufrecht und vertrat die Auffassung, der in Rede stehende Zucker sei niemals ausgeführt worden. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point14">14</a>      Nachdem das BIRB seine Aufforderung zur Zahlung der Hauptsumme samt der seit dem 16. April 1994 angefallenen Zinsen wiederholt hatte, entschloss sich Saint-Louis Sucre am 16. Mai 1997, diesen Betrag samt den für den Zeitraum vom 16. April 1994 bis zum 16. Mai 1997 angefallenen Zinsen, mithin insgesamt 5 133 087,54 Euro, unter Vorbehalt und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht an das BIRB zu entrichten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point15">15</a>      Nach Eingang dieser Zahlung leistete das Königreich Belgien an den EGFL einen Betrag von 4 106 470,28 Euro, der 80 % des von Saint-Louis Sucre entrichteten Betrags entspricht. Die restlichen 20 %, also 1 026 617,52 Euro, behielt es gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 595/91 des Rates vom 4. März 1991 betreffend Unregelmäßigkeiten und die Wiedereinziehung zu Unrecht gezahlter Beträge im Rahmen der Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik sowie die Einrichtung eines einschlägigen Informationssystems und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 283/72 (ABl. 1991, L 67, S. 11) ein.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point16">16</a>      Am 18. Juni 1997 erhob Saint-Louis Sucre beim Tribunal de première instance de Bruxelles (Gericht erster Instanz Brüssel, Belgien) Klage auf Rückerstattung des Betrags von 5 133 087,54 Euro zuzüglich Verzugszinsen, Prozesszinsen und Kosten durch das BIRB.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point17">17</a>      Mit Urteil vom 20. März 2008 gab dieses Gericht, nachdem es den Ausgang des Strafverfahrens abgewartet hatte, dieser Klage statt und verurteilte das BIRB zur Rückerstattung dieser Beträge.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point18">18</a>      Das BIRB legte gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel bei der Cour d’appel de Bruxelles (Berufungsgericht Brüssel, Belgien) ein und beantragte, das Urteil abzuändern und das ursprüngliche Begehren von Saint-Louis Sucre zurückzuweisen. Hilfsweise beantragte das BIRB, dem Gerichtshof drei Fragen zur Vorabentscheidung über die Auslegung der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 der Kommission vom 27. November 1987 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen (ABl. 1987, L 351, S. 1, berichtigt in ABl. 1988, L 337, S. 29) vorzulegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point19">19</a>      Mit Urteil vom 3. Mai 2012, zugestellt am 29. Juni 2012, bestätigte die Cour d’appel de Bruxelles (Berufungsgericht, Brüssel) das Urteil des Tribunal de première instance de Bruxelles (Gericht erster Instanz, Brüssel). Darüber hinaus entschied sie, dass dem Gerichtshof keine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen sei. Folglich verurteilte sie das BIRB zur Zahlung des Betrags von 10 114 003,39 Euro an Saint-Louis Sucre, was 5 133 087,54 Euro entspricht, nebst Zinsen ab dem 1. Juni 1997, zuzüglich Verzugszinsen seit dem 7. März 2011, Prozesszinsen und Kosten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point20">20</a>      Im Anschluss an dieses Urteil ersuchte das BIRB einen bei der Cour de cassation (Kassationshof) zugelassenen Anwalt um ein Gutachten im Hinblick auf die Erhebung einer Kassationsbeschwerde, wie es das belgische Verfahrensrecht vorsieht.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point21">21</a>      Dieser Anwalt erstattete am 25. September 2012 sein Gutachten, in dem er auf der Grundlage des Studiums der Akten sowie der unionsrechtlichen Rechtsprechung zu dem Schluss gelangte, dass es „unmöglich [sei] das Urteil der [Cour d’appel de Bruxelles (Berufungsgericht Brüssel) vom 3. Mai 2012] vor der Cour de cassation (Kassationshof) mit ausreichender Erfolgsaussicht anzufechten, soweit das BIRB zur Zahlung des Betrags von 10 114 003,39 Euro verpflichtet wird“. Infolge dieses negativen Gutachtens entschied das BIRB, die Sache nicht weiter zu verfolgen und nahm von der Einlegung einer Kassationsbeschwerde Abstand. Das BIRB zahlte den ihm auferlegten Gesamtbetrag von 10 659 055,85 Euro, d. h. 10 114 003,39 Euro nebst den einschlägigen Zinsen, an Saint-Louis Sucre.</p>
<p class="C05Titre2"> <i>Belastung des EGFL mit dem Betrag von 9 601 619,85 Euro</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point22">22</a>      Am 4. Juli 2012 teilte das BIRB der Kommission mit, dass aufgrund des auch im Fall der Einlegung einer Kassationsbeschwerde sofort vollstreckbaren Urteils der Cour d’appel de Bruxelles (Berufungsgericht, Brüssel) vom 3. Mai 2012 der ihm auferlegte Betrag dem EGFL in Rechnung gestellt werde.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point23">23</a>      Mit Schreiben vom 13. November 2012 teilte das BIRB der Kommission mit, dass es gemäß Art. 32 Abs. 5 Unterabs. 4 der Verordnung Nr. 1290/2005 den Betrag, den es an Saint-Louis Sucre habe zahlen müssen, nämlich 10 659 055,85 Euro dem EGFL in Rechnung stelle, von dem zum einen 1 026 617,52 Euro für die vom Königreich Belgien nach der Verordnung Nr. 595/91 von den 5 133 087,54 Euro einbehaltenen 20 % und zum anderen die Gerichtskosten in Höhe von 30 818,48 Euro abzuziehen seien. Folglich wurden im Zuge des Rechnungsabschlusses für das Jahr 2012 Ausgaben in Höhe von 9 601 619,85 Euro dem EGFL als negative Einnahmen angelastet.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point24">24</a>      In seiner Jahreserklärung für dieses Jahr wies das BIRB daher einen positiven Berichtigungsposten in Höhe von 9 601 619,85 Euro aus.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point25">25</a>      Mit dem Durchführungsbeschluss C(2016) 1543 final der Kommission vom 17. März 2016 über den Rechnungsabschluss bestimmter Zahlstellen in Belgien und in Deutschland für die vom EGFL für das Haushaltsjahr 2012 finanzierten Ausgaben wurde dieser angepasste Betrag nach den Rechnungsprüfungen seitens der Union für das Haushaltsjahr 2012 berücksichtigt und daher an das Königreich Belgien gezahlt.</p>
<p class="C05Titre2"> <i>Administratives Finanzkorrekturverfahren</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point26">26</a>      Infolge der Belastung des EGFL mit dem Betrag von 9 601 619,85 Euro leitete die Kommission mit Schreiben vom 27. März 2013 ein Konformitätsabschlussverfahren ein. Sie wandte sich gegen die Anmeldung als Ausgabe zulasten des EGFL in zwei Punkten, nämlich erstens gegen die Entscheidung, nicht alle möglichen Rechtsmittel, hier konkret in Form einer Kassationsbeschwerde, auszuschöpfen, um die betreffende Summe von Saint-Louis Sucre wiedereinzuziehen, und zweitens gegen die Belastung mit den Zinsen nach dem Jahr 1997.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point27">27</a>      Mit Schreiben vom 23. Mai 2013 beanstandete das BIRB diese beiden Punkte auf der Grundlage des Art. 32 Abs. 5 Unterabs. 4 der Verordnung Nr. 1290/2005. Es brachte dazu vor, dass nicht jede Kassationsbeschwerde automatisch zu einer Vorlage zur Vorabentscheidung an den Gerichtshof geführt hätte, da dessen Rechtsprechung das Unterlassen einer solchen Vorlage insbesondere im Rahmen der sogenannten „acte clair“-Doktrin zulasse. Im Übrigen verwies das BIRB auf das negative Gutachten des bei der Cour de cassation (Kassationshof) zugelassenen Anwalts und erläuterte die diesen Anwälten im belgischen System zukommende besondere Rolle. Folglich sei die Einlegung einer Kassationsbeschwerde keine Frage der Opportunität gewesen, sondern die Einlegung eines solchen Rechtsmittels sei schlichtweg unmöglich gewesen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point28">28</a>      Nach einem bilateralen Treffen mit dem BIRB am 13. Oktober 2014 und mehreren Schriftwechseln erhielt die Kommission in einer Mitteilung vom 12. Juni 2015 nach den Art. 10 und 11 der Verordnung (EG) Nr. 885/2006 der Kommission vom 21. Juni 2006 mit Durchführungsvorschriften zur Verordnung (EG) Nr. 1290/2005 hinsichtlich der Zulassung der Zahlstellen und anderen Einrichtungen sowie des Rechnungsabschlusses für den EGFL und den ELER (ABl. 2006, L 171, S. 90) ihren Standpunkt aufrecht, dass das Königreich Belgien den unionsrechtlichen Anforderungen für das Haushaltsjahr 2012 nicht entsprochen habe, weil die belgischen Behörden nicht alle möglichen Rechtsmittel ausgeschöpft hätten, um den in Rede stehenden Betrag wiedereinzuziehen, was eine Prüfung der Saint-Louis Sucre betreffenden Vorabentscheidungsfrage durch den Gerichtshof hätte ermöglichen können, weshalb das BIRB nicht das Recht habe, vom EGFL den Ersatz der als Ausfuhrerstattungen geleisteten Zahlungen nach Art. 32 Abs. 8 Buchst. a der Verordnung Nr. 1290/2005 zu fordern. Folglich werde vorgeschlagen, den Betrag von 9 601 619 Euro von der Finanzierung durch die Union auszuschließen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point29">29</a>      Auf der Grundlage eines zusammenfassenden Berichts vom 22. Februar 2016 erließ die Kommission am 17. März 2016 den streitigen Beschluss, mit dem sie gegenüber dem Königreich Belgien diesen Betrag von der Finanzierung durch die Union ausgeschlossen hat.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Klage vor dem Gericht und angefochtenes Urteil</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point30">30</a>      Mit am 30. Mai 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift erhob das Königreich Belgien Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point31">31</a>      Zur Stützung dieser Klage machte das Königreich Belgien zwei Klagegründe geltend. Erstens habe die Kommission gegen Art. 31 Abs. 1 und Art. 32 Abs. 8 der Verordnung Nr. 1290/2005 verstoßen, indem sie nicht nachgewiesen habe, dass die vom BIRB getätigte Ausgabe unionsrechtswidrig gewesen sei und dass die mangelnde Wiedereinziehung bzw. die Unregelmäßigkeit auf eine dem BIRB zurechenbare Unregelmäßigkeit oder ein ihm zurechenbares Versäumnis zurückzuführen sei. Hilfsweise machte sie als zweiten Klagegrund einen Verstoß gegen Art. 31 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1290/2005 sowie gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geltend, da der durch den streitigen Beschluss von der Finanzierung durch die Union ausgeschlossene Betrag nicht der Bedeutung der festgestellten Unionsrechtswidrigkeit entspreche und dem der Union entstandenen finanziellen Schaden nicht Rechnung getragen worden sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point32">32</a>      Mit dem angefochtenen Urteil hat das Gericht diese beiden Klagegründe zurückgewiesen und infolgedessen die Klage zur Gänze abgewiesen.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Anträge der Parteien</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point33">33</a>      Mit seinem Rechtsmittel beantragt das Königreich Belgien,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        das angefochtene Urteil aufzuheben,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        den streitigen Beschluss insoweit für nichtig zu erklären, als er den Betrag von 9 601 619 Euro von der Finanzierung durch die Union ausschließt, und </p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point34">34</a>      Die Kommission beantragt,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        das Rechtsmittel zurückzuweisen und</p>
<p class="C03Tiretlong">–        dem Königreich Belgien die Kosten aufzuerlegen. </p>
<p class="C04Titre1"> <b>Zum Rechtsmittel</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point35">35</a>      Das Königreich Belgien stützt sein Rechtsmittel als einzigen Rechtsmittelgrund auf eine unrichtige Auslegung der Bestimmung von Art. 32 Abs. 8 Buchst. a der Verordnung Nr. 1290/2005, die sich nunmehr im Wesentlichen in Art. 54 Abs. 5 Buchst. c der Verordnung Nr. 1306/2013 wiederfinde, durch das Gericht. Dieser Rechtsmittelgrund ist in sechs Teile gegliedert.</p>
<p class="C05Titre2"> <i>Zum ersten Teil des einzigen Rechtsmittelgrundes</i>
</p>
<p class="C06Titre3"> Vorbringen der Parteien</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point36">36</a>      Mit dem ersten Teil seines einzigen Rechtsmittelgrundes macht das Königreich Belgien geltend, das Gericht sei in Rn. 56 des angefochtenen Urteils zu Unrecht davon ausgegangen, dass die belgischen Behörden dadurch, dass sie gegen das Urteil der Cour d’appel de Bruxelles (Berufungsgericht, Brüssel) vom 3. Mai 2012 keine Kassationsbeschwerde eingelegt hätten, nicht alle innerstaatlichen Rechtsmittel ausgeschöpft hätten. Das Gericht habe den außerordentlichen Charakter der Kassationsbeschwerde sowie die besondere Rolle der bei der Cour de cassation (Kassationshof) zugelassenen Anwälte nach dem belgischen Verfahrensrecht nicht berücksichtigt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point37">37</a>      Diese Auslegung durch das Gericht stehe derjenigen durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in den Entscheidungen vom 5. Dezember 2002, Vogl/Deutschland (CE:ECHR:2002:1205DEC006586301, Rn. 2), sowie vom 5. März 2013, Chapman/Belgien (CE:ECHR:2013:0305DEC003961906, Rn. 33), entgegen. Dieser Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe nämlich wiederholt die Besonderheit der Rolle des bei der Cour de cassation (Kassationshof) zugelassenen Anwalts im belgischen Gerichtssystem und dessen zwingende Befassung anerkannt. So habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der letztgenannten Entscheidung nach der Feststellung, dass „der Beschwerdeführer sich an einen bei der Cour de cassation (Kassationshof) zugelassenen Anwalt gewandt hat, um dem belgischen Prozessrecht über die Anrufung der Cour de cassation (Kassationshof) zu entsprechen“, dass „der bei der Cour de cassation (Kassationshof) zugelassene Anwalt der Auffassung war, dass keine vernünftige Erfolgsaussicht bestehe“, und dass „der Beschwerdeführer auf der Grundlage dieses negativen Gutachtens auf seine Kassationsbeschwerde verzichtet hat“, ausgeführt, dass „angesichts der präventiven Rolle des bei der Cour de cassation (Kassationshof) zugelassenen Anwalts im Interesse sowohl der Cour de cassation (Kassationshof) als auch der Rechtsunterworfenen … der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall alles getan hat, was von ihm zu erwarten war, um die innerstaatlichen Rechtsmittel auszuschöpfen“.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point38">38</a>      Die Kommission macht geltend, dass der erste Teil des einzigen Rechtsmittelgrundes unzulässig sei, da damit ein Argument vorgetragen werde, das vor dem Gericht nicht geltend gemacht worden sei, und er darüber hinaus jedenfalls unbegründet sei.</p>
<p class="C06Titre3"> Würdigung durch den Gerichtshof</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point39">39</a>      Hinsichtlich der Zulässigkeit des ersten Teils des einzigen Rechtsmittelgrundes ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs dessen Befugnisse im Rahmen eines Rechtsmittels auf die Beurteilung der rechtlichen Entscheidung über das im ersten Rechtszug erörterte Vorbringen beschränkt sind. Eine Partei kann daher vor dem Gerichtshof nicht erstmals ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel vorbringen, das sie vor dem Gericht nicht vorgebracht hat, da ihr damit letztlich gestattet würde, den Gerichtshof, dessen Befugnisse bei Rechtsmitteln begrenzt sind, mit einem weiter reichenden Rechtsstreit zu befassen, als ihn das Gericht zu entscheiden hatte (Urteil vom 13. Juli 2017, Saint-Gobain Glass Deutschland/Kommission, C‑60/15 P, EU:C:2017:540, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point40">40</a>      Ein Argument, das im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurde, kann jedoch dann nicht als ein neues, im Rechtsmittelverfahren unzulässiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel angesehen werden, wenn es lediglich eine Erweiterung eines bereits vor dem Gericht geltend gemachten Arguments darstellt (Urteil vom 13. Juli 2017, Saint-Gobain Glass Deutschland/Kommission, C‑60/15 P, EU:C:2017:540, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung). </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point41">41</a>      Wie das Gericht in Rn. 54 des angefochtenen Urteils festgehalten hat, hat das Königreich Belgien nun entgegen der Ansicht der Kommission mit dem ersten in seiner Klageschrift im ersten Rechtszug vorgebrachten Klagegrund im Wesentlichen bestritten, dadurch eine Unregelmäßigkeit oder ein Versäumnis begangen zu haben, dass die belgischen Behörden nicht alle möglichen Rechtsmittel ausgeschöpft hätten. Insoweit machte dieser Mitgliedstaat geltend, dass es infolge des negativen Gutachtens des vom BIRB im Hinblick auf die Einlegung einer Kassationsbeschwerde konsultierten bei der Cour de cassation (Kassationshof) zugelassenen Anwalts tatsächlich keine Möglichkeit zur Einlegung eines solchen Rechtsmittels gegen das Urteil der Cour d’appel de Bruxelles (Berufungsgericht, Brüssel) vom 3. Mai 2012 gegeben habe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point42">42</a>      Zwar trifft es zu, dass das Königreich Belgien, wie die Kommission betont, vor dem Gericht keine Missachtung der in seiner Rechtsmittelschrift zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte geltend gemacht hat, doch zielt dieses Argument darauf ab, aufzuzeigen, dass das Gericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, dieser Mitgliedstaat habe nicht alle innerstaatlichen Rechtsmittel ausgeschöpft. Somit handelt es sich bloß um die Erweiterung der im Rahmen des ersten Klagegrundes in der Klageschrift im ersten Rechtszug entwickelten Argumentation.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point43">43</a>      Daher ist die von der Kommission erhobene Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen und der erste Teil des einzigen Rechtsmittelgrundes für zulässig zu erklären.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point44">44</a>      In der Sache ist zum einen auszuführen, dass es, wie das Gericht in Rn. 56 des angefochtenen Urteils festgehalten und das Königreich Belgien in seiner Rechtsmittelschrift eingeräumt hat, den belgischen Behörden im vorliegenden Fall nicht unmöglich war, gegen das Urteil der Cour d’appel de Bruxelles (Berufungsgericht, Brüssel) vom 3. Mai 2012 eine Kassationsbeschwerde einzulegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point45">45</a>      Unter diesen Umständen kann dieser Mitgliedstaat dem Gericht nicht vorwerfen, in dieser Rn. 56 festgestellt zu haben, dass diese Behörden nicht alle im belgischen Recht vorgesehenen Rechtsmittel ausgeschöpft hätten, um die streitigen Beträge wiedereinzuziehen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point46">46</a>      Zum anderen ist auf das Vorbringen des Königreichs Belgien, das Gericht habe die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 5. Dezember 2002, Vogl/Deutschland (CE:ECHR:2002:1205DEC006586301, Rn. 2), missachtet, festzustellen, dass dieses Vorbringen in keiner Weise untermauert wurde und somit nicht durchdringen kann.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point47">47</a>      Soweit dieser Mitgliedstaat vermeint, das Gericht habe eine gegenteilige Auslegung vertreten wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der Entscheidung vom 5. März 2013, Chapman/Belgien (CE:ECHR:2013:0305DEC003961906, Rn. 33), ist darauf hinzuweisen, dass es in dieser Entscheidung um die Voraussetzung nach Art. 35 Abs. 1 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ging, wonach der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erst nach Ausschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe angerufen werden kann.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point48">48</a>      Wie der Generalanwalt in den Nrn. 75 und 76 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, hat diese Voraussetzung den Zweck, den Vertragsstaaten dieser Konvention die Gelegenheit zu geben, die behaupteten Verstöße gegen diese zu verhindern oder zu beseitigen, bevor der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte damit befasst wird (EGMR, 28. Juli 1999, Selmouni/Frankreich, CE:ECHR:1999:0728JUD002580394, § 74, und EGMR, 6. Januar 2011, Paksas/Litauen, CE:ECHR:2011:0106JUD003493204, § 75), während die in Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1290/2005 normierte und im Wesentlichen in Art. 58 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1306/2013 übernommene Verpflichtung der Mitgliedstaaten, alle erforderlichen Maßnahmen zur Wiedereinziehung der infolge von Unregelmäßigkeiten oder Versäumnissen abgeflossenen Beträge zu treffen, den Schutz der finanziellen Interessen der Union sicherstellen soll. Somit beziehen sich diese Erfordernisse auf unterschiedliche rechtliche Regelungsbereiche, so dass die vorgenannte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für die Auslegung der Anwendungsvoraussetzungen des Art. 32 Abs. 8 Buchst. a der Verordnung Nr. 1290/2005, nunmehr im Wesentlichen übernommen in Art. 54 Abs. 5 Buchst. c der Verordnung Nr. 1306/2013, ohne Relevanz ist, insbesondere was die Auslegung des Begriffs des Versäumnisses in diesen beiden Bestimmungen betrifft.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point49">49</a>      Daher sind die Argumente des Königreichs Belgien hinsichtlich der Missachtung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht geeignet, einen Rechtsfehler des Gerichts bei der Auslegung und Anwendung dieser unionsrechtlichen Bestimmungen aufzuzeigen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point50">50</a>      Somit ist der erste Teil des einzigen Rechtsmittelgrundes als unbegründet zurückzuweisen.</p>
<p class="C05Titre2"> Zum zweiten Teil des einzigen Rechtsmittelgrundes</p>
<p class="C06Titre3"> Vorbringen der Parteien</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point51">51</a>      Mit dem zweiten Teil seines einzigen Rechtsmittelgrundes macht das Königreich Belgien im Wesentlichen geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es in den Rn. 55 bis 62 des angefochtenen Urteils entschieden habe, dass dieser Mitgliedstaat nicht mit der erforderlichen Sorgfalt gehandelt habe, um die streitigen Beträge wiedereinzuziehen, und somit ein Versäumnis begangen habe, da er es durch die unterlassene Einlegung eines – ihm möglich gewesenen – Rechtsmittels gegen das Urteil der Cour d’appel de Bruxelles (Berufungsgericht, Brüssel) vom 3. Mai 2012 absolut unmöglich gemacht habe, dass dem Gerichtshof von der Cour de cassation (Kassationshof) Fragen nach der Auslegung der Verordnung Nr. 3665/87 zur Vorabentscheidung vorgelegt würden, und er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel für die Wiedereinziehung ausgeschöpft habe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point52">52</a>      Das Königreich Belgien bringt zunächst vor, dass das Gericht dadurch die Handlungsweise der belgischen Behörden unrichtig beurteilt habe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point53">53</a>      Diesen wäre es nämlich zwar theoretisch nicht unmöglich gewesen, ein Rechtsmittel gegen das Urteil der Cour d’appel de Bruxelles (Berufungsgericht, Brüssel) vom 3. Mai 2012 zu erheben, doch habe infolge des negativen Gutachtens des vom BIRB konsultierten bei der Cour de cassation (Kassationshof) zugelassenen Anwalts keine Chance bestanden, dass diese einem solchen Rechtsmittel stattgegeben hätte, und zwar aufgrund der besonderen diesen Anwälten vom belgischen Gesetzgeber zuerkannten Rolle als Filter für Kassationsbeschwerden, die ihren Mandanten von der Einlegung einer Beschwerde ohne vernünftige Erfolgsaussichten abraten müssten, um eine Überlastung dieses Gerichts durch offensichtlich unbegründete oder unzulässige Rechtsmittel zu vermeiden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point54">54</a>      In der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof hat das Königreich Belgien im Wesentlichen darauf verwiesen, dass eine Kassationsbeschwerdeschrift nach den belgischen Verfahrensvorschriften von einem bei der Cour de cassation (Kassationshof) zugelassenen Anwalt unterzeichnet sein müsse und ein Rechtsunterworfener, der eine solche Beschwerde erheben wolle, zuvor das Gutachten eines solchen Anwalts zu den Erfolgsaussichten der Beschwerde einholen müsse. Obwohl er nicht an ein negatives Gutachten des konsultierten Anwalts gebunden sei und diesen mit der Einlegung einer gegebenenfalls von ihm selbst verfassten Beschwerdeschrift in seinem Namen beauftragen könne, komme eine solche Vorgehensweise faktisch kaum vor. In einem solchen Fall müsste der Anwalt nämlich in der Beschwerdeschrift angeben, dass diese „auf Verlangen und über Entwurf“ eingereicht worden sei, wodurch für die Cour de cassation (Kassationshof) erkennbar wäre, dass er deren Inhalt nicht befürworte. Darüber hinaus würde der Beschwerdeführer bei einem solchen Vorgehen eine Verurteilung zur Zahlung einer Entschädigung wegen missbräuchlicher Beschwerdeeinlegung riskieren. Auch wenn im Übrigen im Fall eines negativen Gutachtens des konsultierten bei der Cour de cassation (Kassationshof) zugelassenen Anwalts nichts den betreffenden Beschwerdewilligen daran hindere, ein zweites Gutachten bei einem anderen bei der Cour de cassation (Kassationshof) zugelassenen Anwalt einzuholen, sei es in der Praxis doch sehr selten, dass dieser ein Gutachten mit gegenteiligem Ergebnis wie der erste abgebe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point55">55</a>      Im vorliegenden Fall habe der vom BIRB konsultierte Anwalt nach eingehender und sorgfältiger Analyse insbesondere der Rechtsprechung des Gerichtshofs ein negatives Gutachten abgegeben. Indem sie nach diesem Gutachten von der Erhebung einer Kassationsbeschwerde abgesehen hätten, hätten die belgischen Behörden so gehandelt, wie es jeder vernünftige und umsichtige Rechtsunterworfene getan hätte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point56">56</a>      Ferner repliziert das Königreich Belgien auf den Vorhalt des Gerichts in Rn. 57 des angefochtenen Urteils, dieser Mitgliedstaat habe durch die unterlassene Einlegung einer Kassationsbeschwerde gegen das Urteil der Cour d’appel de Bruxelles (Berufungsgericht, Brüssel) vom 3. Mai 2012 die Vorlage von Fragen zur Vorabentscheidung über die Auslegung der Verordnung Nr. 3665/87 an den Gerichtshof durch die Cour de cassation (Kassationshof) absolut unmöglich gemacht, zum einen, dass die besondere Filterfunktion der bei der Cour de cassation (Kassationshof) zugelassenen Anwälte zur Funktionsfähigkeit der Justiz beitrage. Diese Funktion übertrage allerdings nicht die Zuständigkeit der Cour de cassation (Kassationshof) zur Vorlage von Vorabentscheidungsfragen an den Gerichtshof auf diese Anwälte, da der Mandant im Zweifelsfall immer noch die Cour de cassation (Kassationshof) anrufen könne. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point57">57</a>      Zum anderen verweist das Königreich Belgien darauf, dass nicht jedes Rechtsmittel automatisch eine Vorlage zur Vorabentscheidung an den Gerichtshof ausgelöst hätte, da in manchen Fällen ein Absehen von einer Vorlage nach den Grundsätzen des Urteils vom 6. Oktober 1982, Cilfit u. a. (283/81, EU:C:1982:335, Rn. 21), gerechtfertigt sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point58">58</a>      Nun habe vorliegend der vom BIRB konsultierte bei der Cour de cassation (Kassationshof) zugelassene Anwalt die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs analysiert und erläutert, warum die im Urteil vom 11. Januar 2007, Vonk Dairy Products (C‑279/05, EU:C:2007:18), getroffene Lösung auch auf den vorliegenden Fall zu übertragen sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point59">59</a>      Schließlich bezweifelt das Königreich Belgien, dass die systematische Einlegung eines im Hinblick auf das fundierte negative Gutachten eines bei der Cour de cassation (Kassationshof) zugelassenen Anwalts, eines mit diesem besonderen Verfahren vertrauten Spezialisten, offensichtlich chancenlosen Rechtsmittels ein zufriedenstellendes Beispiel für die nach Art. 32 Abs. 8 Buchst. a der Verordnung Nr. 1290/2005 geforderte Sorgfalt darstelle. Eine solche Vorgehensweise erscheine vielmehr unverhältnismäßig und würde das Wiedereinziehungsverfahren unnötig in die Länge ziehen, ohne dass eine Erfolgsgarantie bestünde.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point60">60</a>      Die Kommission verweist in ihrer Rechtsmittelbeantwortung zunächst darauf, dass die Ausfuhrerstattungen unbestreitbar zu Unrecht an Saint-Louis Sucre geleistet worden seien. Den belgischen Behörden sei ein Versäumnis vorzuwerfen, indem sie gegen das Urteil der Cour d’appel de Bruxelles (Berufungsgericht, Brüssel) vom 3. Mai 2012 keine Kassationsbeschwerde eingelegt hätten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point61">61</a>      Erstens hätten die nationalen Behörden die Möglichkeit gehabt, trotz des negativen Gutachtens des vom BIRB konsultierten bei der Cour de cassation (Kassationshof) zugelassenen Anwalts eine solche Beschwerde einzulegen oder ein zweites Gutachten eines anderen Anwalts einzuholen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point62">62</a>      Zweitens müsse die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten bei der Regelung des Zugangs zu ihren obersten Gerichten, insbesondere in Form der Zwischenschaltung von Vorabgutachten spezialisierter Anwälte mit den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität in Einklang gebracht werden. So könne diese Autonomie nicht geltend gemacht werden, um insbesondere der Verpflichtung der obersten Gerichte zur Anrufung des Gerichtshofs im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV zu entgehen. In diesem Zusammenhang stehe es den bei der Cour de cassation (Kassationshof) zugelassenen Anwälten nicht zu, zu entscheiden, ob die durch eine Rechtssache aufgeworfenen unionsrechtlichen Fragen vom Gerichtshof im Sinne der Rechtsprechung nach dem Urteil vom 6. Oktober 1982, Cilfit u. a. (283/81, EU:C:1982:335), bereits entschieden worden seien oder ob die Cour de cassation (Kassationshof) eine Vorlage zur Vorabentscheidung vornehmen müsse, und so den Zugang zu diesem Rechtsweg durch Blockierung der Einlegung von Kassationsbeschwerden zu filtern. Nun würde allerdings die vom Königreich Belgien vertretene Position darauf hinauslaufen, den bei der Cour de cassation (Kassationshof) zugelassenen Anwälten eine solche Rolle zuzuerkennen, die aber nur der Cour de cassation (Kassationshof) selbst zukomme.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point63">63</a>      Zwar treffe es zu, dass nicht jedes Rechtsmittel die Cour de cassation (Kassationshof) zwangsläufig veranlasst hätte, eine Vorlage zur Vorabentscheidung an den Gerichtshof vorzunehmen, doch hätten die belgischen Behörden durch die unterlassene Einlegung einer Kassationsbeschwerde gegen das Urteil der Cour d’appel de Bruxelles (Berufungsgericht, Brüssel) vom 3. Mai 2012 der Cour de cassation (Kassationshof) endgültig die Möglichkeit genommen, eine solche Vorlage vorzunehmen. Da im vorliegenden Fall die Ausfuhrerstattungen unbestrittenermaßen zu Unrecht gezahlt worden seien und dieser Fall Rechtsfragen aufwerfe, die eine Auslegung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 3665/87 erforderten, sei das Königreich Belgien verpflichtet gewesen, gegen das besagte Urteil ein Rechtsmittel einzulegen, um der Cour de cassation (Kassationshof) die Vorlage an den Gerichtshof zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang lasse sich der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs entnehmen, dass den Mitgliedstaaten kein Ermessen hinsichtlich der Opportunität einer Wiedereinziehung zu Unrecht gezahlter Beihilfen zustehe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point64">64</a>      Drittens sei die Stellungnahme des vom BIRB konsultierten bei der Cour de cassation (Kassationshof) zugelassenen Anwalts, wie die Kommission bereits vor dem Gericht geltend gemacht habe, unrichtig und lückenhaft, und zwar sowohl hinsichtlich der vorgenommenen Auslegung der Rechtsprechung des Gerichtshofs als auch in Bezug auf die Notwendigkeit der Vorlage von Vorabentscheidungsfragen an diesen. Somit handle es sich nicht um ein „fundiertes Vorabgutachten“ eines mit diesem Verfahren „vertrauten“ Spezialisten auf der Grundlage einer „eingehenden Analyse“, wie das Königreich Belgien behaupte.</p>
<p class="C06Titre3"> Würdigung durch den Gerichtshof</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point65">65</a>      Zur Entscheidung über den zweiten Teil des einzigen Rechtsmittelgrundes ist als Erstes darauf hinzuweisen, dass die Kommission gemäß Art. 32 Abs. 8 Buchst. a der Verordnung Nr. 1290/2005, der nunmehr im Wesentlichen in Art. 54 Abs. 5 Buchst. c der Verordnung Nr. 1306/2013 übernommen wurde, beschließen kann, die zulasten des Unionshaushalts verbuchten Beträge von der Finanzierung durch die Union auszuschließen, wenn sie feststellt, dass die Nichtwiedereinziehung auf Versäumnisse zurückzuführen ist, für die die Behörden eines Mitgliedstaats verantwortlich sind.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point66">66</a>      Was die diesen Behörden in diesem Zusammenhang obliegenden Pflichten betrifft, bestimmt Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1290/2005, dass die Mitgliedstaaten alle Maßnahmen erlassen, um einen wirksamen Schutz der finanziellen Interessen der Union zu gewährleisten, insbesondere um die infolge von Unregelmäßigkeiten oder Versäumnissen abgeflossenen Beträge wiedereinzuziehen. Art. 58 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 1306/2013 übernimmt im Wesentlichen diese Bestimmung und ergänzt, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen erlassen, um wenn notwendig die notwendigen rechtlichen Schritte zu einer solchen Wiedereinziehung einzuleiten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point67">67</a>      Indem besagter im Wesentlichen in diesem Art. 58 Abs. 1 übernommene Art. 9 Abs. 1 die Mitgliedstaaten zur Wahrung des Schutzes der finanziellen Interessen der Union sowie zur Wiedereinziehung der zu Unrecht gezahlten Beträge verpflichtet, ist er im Hinblick auf die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik Ausdruck der allgemeinen Sorgfaltspflicht nach Art. 4 Abs. 3 EUV (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Februar 1991, Deutschland/Kommission, C‑28/89, EU:C:1991:67, Rn. 31, vom 21. Januar 1999, Deutschland/Kommission, C‑54/95, EU:C:1999:11, Rn. 66 und 177, sowie vom 13. November 2001, Frankreich/Kommission, C‑277/98, EU:C:2001:603, Rn. 40). Diese während des gesamten Verfahrens zur Wiedereinziehung dieser Beträge bestehende Verpflichtung bedeutet, dass die innerstaatlichen Behörden diese Wiedereinziehung rasch und zeitnah betreiben und auf die ihnen zur Verfügung stehenden Überprüfungs- und Eintreibungsmittel zurückgreifen müssen, um den Schutz dieser Interessen zu gewährleisten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point68">68</a>      Allerdings besagen diese Bestimmungen nicht, welche spezifischen Maßnahmen zu diesem Zweck zu ergreifen sind, insbesondere, welche gerichtlichen Verfahren zur Wiedereinziehung dieser Beträge eingeleitet werden müssen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point69">69</a>      Da die Verwaltung der EGFL-Finanzierung in erster Linie Sache der nationalen Behörden ist, die für die strikte Einhaltung der Unionsvorschriften zu sorgen haben und über die dazu erforderliche geografische Nähe verfügen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 24. Januar 2002, Frankreich/Kommission, C‑118/99, EU:C:2002:39, Rn. 37, und vom 7. Juli 2005, Griechenland/Kommission, C‑5/03, EU:C:2005:426, Rn. 40), sind die Mitgliedstaaten, wie der Generalanwalt in Nr. 93 seiner Schlussanträge festgehalten hat, am besten in der Lage, die zu Unrecht gezahlten bzw. infolge von Unregelmäßigkeiten oder Versäumnissen abgeflossenen Beträge wiedereinzuziehen und die zu diesem Zweck geeignetsten Maßnahmen zu bestimmen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point70">70</a>      Somit obliegt es konkret den innerstaatlichen Behörden, vorbehaltlich der Einhaltung der in Rn. 67 des vorliegenden Urteils angesprochenen Sorgfaltspflicht, die Rechtsbehelfe auszuwählen, die sie für die Wiedereinziehung der betreffenden Beträge unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls für am geeignetsten halten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Juli 2005, Griechenland/Kommission, C‑370/03, nicht veröffentlicht, EU:C:2005:489, Rn. 44).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point71">71</a>      Nun kann, wie der Generalanwalt in den Nrn. 101 und 102 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die Entscheidung eines Mitgliedstaats, nicht alle diese Rechtebehelfe einschließlich der außerordentlichen auszuschöpfen, in einer Vielzahl von Konstellationen und aus ganz unterschiedlichen Gründen erfolgen. Somit kann nicht ohne Berücksichtigung dieser Umstände davon ausgegangen werden, dass die Ausschöpfung dieser Rechtsbehelfe in jedem Fall notwendig wäre, um die finanziellen Interessen der Union zu schützen, und dass das Unterbleiben ihrer Ausschöpfung stets ein Versäumnis darstelle.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point72">72</a>      Unter diesen Umständen ist dem Königreich Belgien im Wesentlichen dahin beizupflichten, dass die in Rn. 67 des vorliegenden Urteils angesprochene Sorgfaltspflicht nicht notwendigerweise bedeutet, dass die Mitgliedstaaten systematisch und unabhängig von den besonderen Umständen des Einzelfalls sämtliche nach ihrem innerstaatlichen Recht zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe ausschöpfen müssen, um die zu Unrecht gezahlten Beträge wiedereinzuziehen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point73">73</a>      Als Zweites ist das Gericht in den Rn. 57 bis 60 des angefochtenen Urteils davon ausgegangen, dass dem Königreich Belgien insofern ein solches Versäumnis vorzuwerfen sei, als es durch die unterlassene Einlegung eines Rechtsmittels gegen das Urteil der Cour d’appel de Bruxelles (Berufungsgericht, Brüssel) vom 3. Mai 2012, die die Vorlage von Fragen zur Vorabentscheidung über die Auslegung der Verordnung Nr. 3665/87 an den Gerichtshof abgelehnt habe, die Vorlage dieser Fragen durch die Cour de cassation (Kassationshof) an den Gerichtshof absolut unmöglich gemacht habe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point74">74</a>      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Cour de cassation (Kassationshof) als Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV grundsätzlich verpflichtet ist, den Gerichtshof im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens anzurufen, wenn sich ihr eine unionsrechtliche Frage stellt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point75">75</a>      Wie der Generalanwalt im Wesentlichen in den Nrn. 111 bis 113 seiner Schlussanträge festgehalten hat, kann das Vorliegen eines Versäumnisses seitens des Königreichs Belgien nicht auf den alleinigen Umstand gestützt werden, dass es durch die unterlassene Einlegung eines Rechtsmittels gegen das Urteil der Cour d’appel de Bruxelles (Berufungsgericht, Brüssel) vom 3. Mai 2012 der Cour de cassation (Kassationshof) die Möglichkeit genommen hat, dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung der Verordnung Nr. 3665/87 zur Vorabentscheidung vorzulegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point76">76</a>      Erstens ist nämlich für die Feststellung eines solchen Versäumnisses entscheidend, ob die belgischen Behörden sämtliche zum Schutz der finanziellen Interessen der Union erforderlichen Maßnahmen ergriffen haben, und konkret, ob sie durch die unterlassene Einlegung besagten Rechtsmittels von der Nutzung eines Rechtsbehelfs Abstand genommen haben, der es ihnen mit angemessener Wahrscheinlichkeit ermöglicht hätte, die streitigen Beträge wiedereinzuziehen. Im Rahmen dieser Prüfung, die, wie aus den Erwägungen in den Rn. 71 und 72 des vorliegenden Urteils folgt, im Licht aller besonderen Umstände des Einzelfalls durchzuführen ist, ist der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die Einlegung eines Rechtsmittels gegen das Urteil der Cour d’appel de Bruxelles (Berufungsgericht, Brüssel) vom 3. Mai 2012 die Cour de cassation (Kassationshof) dazu hätte veranlassen können, dieses Urteil aufgrund der Antwort des Gerichtshofs auf etwaige Vorabentscheidungsfragen nach der Auslegung der relevanten unionsrechtlichen Bestimmungen aufzuheben.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point77">77</a>      Zweitens lässt sich der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs entnehmen, dass die in Rn. 74 des vorliegenden Urteils genannte Verpflichtung der Cour de cassation (Kassationshof) zur Anrufung des Gerichtshofs im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens, wenn sich ihr eine unionsrechtliche Frage stellt, nicht besteht, wenn sie feststellt, dass die gestellte Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende unionsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder dass die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt; ob ein solcher Fall gegeben ist, ist unter Berücksichtigung der Eigenheiten des Unionsrechts, der besonderen Schwierigkeiten seiner Auslegung und der Gefahr voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen innerhalb der Union zu beurteilen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. Oktober 1982, Cilfit u. a., 283/81, EU:C:1982:335, Rn. 21, vom 9. September 2015, Ferreira da Silva e Brito u. a., C‑160/14, EU:C:2015:565, Rn. 38 und 39, sowie vom 4. Oktober 2018, Kommission/Frankreich [Steuervorauszahlung für ausgeschüttete Dividenden], C‑416/17, EU:C:2018:811, Rn. 110).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point78">78</a>      Angesichts dieser Rechtsprechung kann weder davon ausgegangen werden, dass die Cour de cassation (Kassationshof) unabhängig von den Umständen des Einzelfalls automatisch den Gerichtshof um Vorabentscheidung ersucht hätte, wenn gegen das Urteil der Cour d’appel de Bruxelles (Berufungsgericht, Brüssel) vom 3. Mai 2012 Kassationsbeschwerde eingelegt worden wäre, noch, dass eine Vorlage zur Vorabentscheidung den Gerichtshof zwangsläufig dazu veranlasst hätte, das Unionsrecht dahin auszulegen, dass die Cour de cassation (Kassationshof) in weiterer Folge das Urteil der Cour d’appel de Bruxelles (Berufungsgericht, Brüssel) vom 3. Mai 2012 aufgehoben hätte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point79">79</a>      Somit folgt aus den Erwägungen in den Rn. 71 bis 78 des vorliegenden Urteils, dass das Vorliegen eines dem Königreich Belgien zuzurechnenden Versäumnisses im Sinne von Art. 32 Abs. 8 Buchst. a der Verordnung Nr. 1290/2005, im Wesentlichen in Art. 54 Abs. 5 Buchst. c der Verordnung Nr. 1306/2013 übernommen, im Licht sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu beurteilen war.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point80">80</a>      Zu diesen insoweit zu berücksichtigenden Umständen zählen, wie der Generalanwalt in den Nrn. 105 und 109 seiner Schlussanträge festgehalten hat, als Erstes die nach innerstaatlichem Recht zur Verfügung stehenden Maßnahmen zur Wiedereinziehung der streitigen Beträge, die in den Rn. 10 bis 13 des angefochtenen Urteils und in den Rn. 11 bis 14 des vorliegenden Urteils aufgeführten vom betreffenden Mitgliedstaat tatsächlich erlassenen Wiedereinziehungsmaßnahmen sowie die von diesem Mitgliedstaat diesbezüglich bereits ergriffenen Rechtsbehelfe und deren Ergebnis.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point81">81</a>      Im vorliegenden Fall ist insbesondere der Umstand zu berücksichtigen, dass das Königreich Belgien gegen Saint-Louis Sucre sämtliche vom innerstaatlichen Recht vorgesehenen ordentlichen Rechtsmittel eingelegt hat, dass sowohl das Tribunal de première instance de Bruxelles (Gericht erster Instanz, Brüssel) als auch die Cour d’appel de Bruxelles (Berufungsgericht, Brüssel), diese in ihrem Urteil vom 3. Mai 2012, diesen Mitgliedstaat zur Rückerstattung der Beträge samt Verzugszinsen, Prozesszinsen und Kosten an diese Gesellschaft verurteilt haben und dass die Cour d’appel de Bruxelles (Berufungsgericht, Brüssel) entschieden hat, dass dem Gerichtshof keine Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen seien.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point82">82</a>      Als Zweites sind die vom Königreich Belgien infolge dieses Urteils unternommenen prozessualen Schritte in Richtung einer etwaigen Kassationsbeschwerde zu berücksichtigen, nämlich die in Rn. 19 des angefochtenen Urteils festgestellte und in Rn. 20 des vorliegenden Urteils in Erinnerung gerufene Tatsache, dass das BIRB im Einklang mit den belgischen Verfahrensvorschriften das Gutachten eines bei der Cour de cassation (Kassationshof) zugelassenen Anwalts zu den Erfolgsaussichten dieser Beschwerde eingeholt hat.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point83">83</a>      Als Drittes muss das Vorliegen eines etwaigen Versäumnisses seitens des Königreichs Belgien aufgrund seiner Entscheidung, keine solche Beschwerde einzulegen, gemäß den Erwägungen in den Rn. 76 und 78 des vorliegenden Urteils im Hinblick darauf geprüft werden, wie dieser Mitgliedstaat unter den in den beiden vorstehenden Randnummern angeführten Umständen die Erfolgsaussichten des möglichen Rechtsmittels nach dem negativen Gutachten des konsultierten bei der Cour de cassation (Kassationshof) zugelassenen Anwalts sowie in diesem Rahmen die Wahrscheinlichkeit beurteilt hat, dass das Urteil der Cour d’appel de Bruxelles (Berufungsgericht, Brüssel) von der Cour de cassation (Kassationshof) im Licht einer Antwort des Gerichtshofs auf etwaige Vorabentscheidungsfragen nach der Auslegung der relevanten unionsrechtlichen Bestimmungen aufgehoben wird.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point84">84</a>      Als Viertes sind bei der Prüfung des Vorliegens eines etwaigen Versäumnisses des Königreichs Belgien die Kosten des Wiedereinziehungsverfahrens und der Einlegung einer Kassationsbeschwerde im Verhältnis zu den wiedereinzuziehenden Beträgen zu berücksichtigen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point85">85</a>      Obwohl das Gericht in Rn. 55 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat, dass das Vorliegen eines dem Königreich Belgien zuzurechnenden Versäumnisses im Sinne von Art. 32 Abs. 8 der Verordnung Nr. 1290/2005, nunmehr im Wesentlichen in Art. 54 Abs. 5 Buchst. c der Verordnung Nr. 1306/2013 übernommen, im Hinblick auf die Umstände des Einzelfalls zu prüfen sei, hat es diese, insbesondere die in den Rn. 83 und 84 des vorliegenden Urteils angeführten Umstände, nicht ordnungsgemäß geprüft.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point86">86</a>      So hat es in den Rn. 56 bis 62 des angefochtenen Urteils das Vorliegen eines solchen Versäumnisses allein aus der Tatsache abgeleitet, dass dieser Mitgliedstaat kein Rechtsmittel gegen das Urteil der Cour d’appel de Bruxelles (Berufungsgericht, Brüssel) vom 3. Mai 2012 eingelegt habe, obwohl ihm das möglich gewesen sei, und dadurch die Vorlage von Vorabentscheidungsfragen nach der Auslegung der Verordnung Nr. 3665/87 an den Gerichtshof durch die Cour de cassation (Kassationshof) unmöglich gemacht habe, woraus es den Schluss gezogen hat, dass dieser Mitgliedstaat nicht alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel ausgeschöpft habe, um die streitigen Beträge wiedereinzuziehen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point87">87</a>      Somit ist dem Gericht ein Rechtsfehler unterlaufen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point88">88</a>      Daher greift der zweite Teil des einzigen Rechtsmittelgrundes durch und ist das angefochtene Urteil aufzuheben.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Zu den Folgen der Aufhebung des angefochtenen Urteils</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point89">89</a>      Nach Art. 61 Abs. 1 seiner Satzung kann der Gerichtshof der Europäischen Union im Fall der Aufhebung der Entscheidung des Gerichts die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen oder den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point90">90</a>      Im vorliegenden Fall erfordert die Entscheidung des Rechtsstreits eine Neubeurteilung der Umstände des Falles im Licht der Erwägungen in den Rn. 80 bis 84 des vorliegenden Urteils, die das Gericht effizienter vornehmen kann, nachdem es den Parteien Gelegenheit gegeben hat, ihren entsprechenden Standpunkt zu erläutern.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point91">91</a>      Deshalb ist die Sache an das Gericht zurückzuverweisen.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Kosten</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point92">92</a>      Da die Sache an das Gericht zurückverwiesen wird, ist die Entscheidung über die Kosten des vorliegenden Rechtsmittelverfahrens vorzubehalten.</p>
<p class="C41DispositifIntroduction">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:</p>
<p class="C08Dispositif">1.      <b>Das Urteil des Gerichts des Europäischen Union vom 20. Juli 2017, Belgien/Kommission (T</b>‑<b>287/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:531), wird aufgehoben.</b>
</p>
<p class="C08Dispositif">2.      <b>Die Rechtssache T</b>‑<b>287/16 wird an das Gericht der Europäischen Union zurückverwiesen.</b>
</p>
<p class="C08Dispositif">3.      <b>Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.</b>
</p>
<p class="C77Signatures">Unterschriften</p>
<hr/>
<p class="C42FootnoteLangue">
<a href="#Footref*" name="Footnote*">*</a>      Verfahrenssprache: Französisch.</p>
|
175,014 | eugh-2019-01-30-c-22017 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-220/17 | 2019-01-30T00:00:00 | 2019-01-31T19:20:43 | 2019-01-31T19:20:43 | Urteil | ECLI:EU:C:2019:76 | <p class="sum-title-1">
<a id="judgment"/>URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)</p>
<p class="sum-title-1">30. Januar 2019 (<span class="note">
<a id="c-ECR_62017CJ0220_DE_01-E0001" href="#t-ECR_62017CJ0220_DE_01-E0001">*1</a>
</span>)</p>
<p class="index">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Rechtsangleichung – Gültigkeit der Richtlinie 2014/40/EU – Herstellung, Aufmachung und Verkauf von Tabakerzeugnissen – Regelung der ‚Inhaltsstoffe‘ – Verbot aromatisierter Tabakerzeugnisse“</p>
<p class="normal">In der Rechtssache C‑220/17</p>
<p class="normal">betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgericht Berlin (Deutschland) mit Entscheidung vom 21. April 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 27. April 2017, in dem Verfahren</p>
<p class="normal">
<span class="bold">Planta Tabak-Manufaktur Dr. Manfred Obermann GmbH & Co. KG</span>
</p>
<p class="pnormal">gegen</p>
<p class="normal">
<span class="bold">Land Berlin</span>
</p>
<p class="normal">erlässt</p>
<p class="normal">DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)</p>
<p class="normal">unter Mitwirkung der Vizepräsidentin des Gerichtshofs R. Silva de Lapuerta in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer sowie der Richter A. Arabadjiev, E. Regan, C. G. Fernlund und S. Rodin (Berichterstatter),</p>
<p class="normal">Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,</p>
<p class="normal">Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,</p>
<p class="normal">aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 21. März 2018,</p>
<p class="normal">unter Berücksichtigung der Erklärungen</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der Planta Tabak-Manufaktur Dr. Manfred Obermann GmbH & Co. KG, vertreten durch die Rechtsanwälte T. Masing und C. Eckart,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der spanischen Regierung, vertreten durch S. Jiménez García als Bevollmächtigten,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der französischen Regierung, vertreten durch R. Coesme und D. Colas als Bevollmächtigte,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der ungarischen Regierung, vertreten durch G. Koós und Z. Fehér als Bevollmächtigte,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Brandon, I. Rogers und Z. Lavery als Bevollmächtigte,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der norwegischen Regierung, vertreten durch P. Wennerås, M. Schei und M. Reinertsen Norum als Bevollmächtigte,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">des Europäischen Parlaments, vertreten durch L. Visaggio, U. Rösslein und J. Rodrigues als Bevollmächtigte,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">des Rates der Europäischen Union, vertreten durch P. Plaza García, E. Karlsson und R. Wiemann als Bevollmächtigte,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Kellerbauer und J. Tomkin als Bevollmächtigte,</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. Juli 2018</p>
<p class="normal">folgendes</p>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Urteil</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point1">1</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Gültigkeit von Art. 7 Abs. 1, 7 und 14, der Art. 8 bis 11 – insbesondere von Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2, Abs. 4 Buchst. a Satz 2 und Abs. 6, Art. 10 Abs. 1 Buchst. b, e und f sowie Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 – und von Art. 13 Abs. 1 Buchst. c sowie die Auslegung von Art. 7 Abs. 14 und von Art. 13 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 3 der Richtlinie 2014/40/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/37/EG (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2014:127:TOC" hreflang="de" target="CourtTab">ABl. 2014, L 127, S. 1</a>, berichtigt im <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2015:150:TOC" hreflang="de" target="CourtTab">ABl. 2015, L 150, S. 24</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point2">2</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen der Planta Tabak-Manufaktur Dr. Manfred Obermann GmbH & Co. KG (im Folgenden: Planta Tabak) und dem Land Berlin (Deutschland) wegen des Verbots des Inverkehrbringens bestimmter Tabakerzeugnisse und der Vorschriften über die Kennzeichnung und Verpackung von Tabakerzeugnissen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Rechtlicher Rahmen</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point3">3</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Der neunte Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/40 lautet:</p>
<p class="normal">„Um die einheitliche Anwendung dieser Richtlinie in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten, sind eine Reihe von Begriffsbestimmungen erforderlich. Wenn für verschiedene Erzeugniskategorien unterschiedliche Anforderungen gelten und ein Erzeugnis unter mehr als eine dieser Kategorien fällt (z. B. Pfeifentabak, Tabak zum Selbstdrehen), so sollten die strengeren Anforderungen gelten.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point4">4</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Der 16. Erwägungsgrund der Richtlinie lautet:</p>
<p class="normal">„Die Wahrscheinlichkeit unterschiedlicher Vorschriften wird noch durch die Bedenken im Zusammenhang mit Tabakerzeugnissen erhöht, die ein charakteristisches Aroma außer Tabakaroma haben, welches möglicherweise den Einstieg in den Tabakkonsum erleichtert oder die Konsumgewohnheiten beeinflusst. Maßnahmen, mit denen ungerechtfertigte Unterschiede bei der Behandlung verschiedener Arten aromatisierter Zigaretten eingeführt würden, sollten vermieden werden. Jedoch sollte der Verkauf von Erzeugnissen mit charakteristischen Aromen mit höheren Verkaufsmengen über einen längeren Zeitraum hinweg eingestellt werden, um den Verbrauchern ausreichend Zeit zu geben, zu anderen Erzeugnissen zu wechseln.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point5">5</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 1 der Richtlinie bestimmt:</p>
<p class="normal">„Ziel dieser Richtlinie ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten …</p>
<p class="normal">…,</p>
<p class="normal">damit – ausgehend von einem hohen Schutz der menschlichen Gesundheit, besonders für junge Menschen – das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts für Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse erleichtert wird und die Verpflichtungen der Union im Rahmen des [Rahmenübereinkommens der Weltgesundheitsorganisation (WHO)] zur Eindämmung des [Tabakkonsums] (Framework Convention on Tobacco Control, im Folgenden ‚FCTC‘) [genehmigt durch den Beschluss 2004/513/EG des Rates vom 2. Juni 2004 über den Abschluss des WHO-Rahmenübereinkommens zur Eindämmung des Tabakkonsums (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2004:213:TOC" hreflang="de" target="CourtTab">ABl. 2004, L 213, S. 8</a>)] eingehalten werden.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point6">6</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 2 der Richtlinie sieht vor:</p>
<p class="normal">„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck</p>
<p class="normal">…</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">14.</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">‚neuartiges Tabakerzeugnis‘ ein Tabakerzeugnis, das</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">a)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">nicht in eine der nachstehenden Kategorien fällt: Zigaretten, Tabak zum Selbstdrehen, Pfeifentabak, Wasserpfeifentabak, Zigarren, Zigarillos, Kautabak, Schnupftabak und Tabak zum oralen Gebrauch; …</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">…“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point7">7</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 7 der Richtlinie bestimmt:</p>
<p class="normal">„(1)   Die Mitgliedstaaten verbieten das Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen mit einem charakteristischen Aroma.</p>
<p class="normal">…</p>
<p class="normal">(7)   Die Mitgliedstaaten verbieten das Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen, die in irgendwelchen ihrer Bestandteile Aromastoffe enthalten, etwa in Filtern, Papieren, Packungen, Kapseln, oder die sonstige technische Merkmale enthalten, mit denen sich der Geruch oder Geschmack der betreffenden Tabakprodukte oder deren Rauchintensität verändern lassen. Filter, Papier und Kapseln dürfen weder Tabak noch Nikotin enthalten.</p>
<p class="normal">…</p>
<p class="normal">(12)   Tabakerzeugnisse mit Ausnahme von Zigaretten und von Tabak zum Selbstdrehen sind von den Verboten in den Absätzen 1 und 7 ausgenommen. …</p>
<p class="normal">…</p>
<p class="normal">(14)   Im Fall von Tabakerzeugnissen mit einem charakteristischen Aroma, deren unionsweite Verkaufsmengen 3 % oder mehr einer bestimmten Erzeugniskategorie darstellen, gilt dieser Artikel ab 20. Mai 2020.</p>
<p class="normal">…“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point8">8</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die Art. 8 bis 11 der Richtlinie, die zu Kapitel II („Kennzeichnung und Verpackung“) ihres Titels II gehören, enthalten allgemeine Bestimmungen, Bestimmungen über allgemeine Warnhinweise und die Informationsbotschaft für Rauchtabakerzeugnisse, Bestimmungen über kombinierte gesundheitsbezogene Warnhinweise für Rauchtabakerzeugnisse sowie Bestimmungen über die Kennzeichnung von Rauchtabakerzeugnissen mit Ausnahme von Zigaretten, von Tabak zum Selbstdrehen und von Tabak für Wasserpfeifen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point9">9</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In Art. 9 der Richtlinie heißt es:</p>
<p class="normal">„(1)   Jede Packung und jede Außenverpackung von Rauchtabakerzeugnissen trägt einen der folgenden allgemeinen Warnhinweise:</p>
<p class="normal">‚Rauchen ist tödlich – hören Sie jetzt auf.‘</p>
<p class="normal">oder</p>
<p class="normal">‚Rauchen ist tödlich‘.</p>
<p class="normal">Die Mitgliedstaaten bestimmen, welcher dieser in Unterabsatz 1 genannten allgemeinen Warnhinweise verwendet wird.</p>
<p class="normal">…</p>
<p class="normal">(4)   Der allgemeine Warnhinweis und die Informationsbotschaft nach den Absätzen 1 und 2 sind</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">a)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">in Helvetika fett schwarz auf weißem Hintergrund zu drucken. Um sprachlichen Erfordernissen gerecht zu werden, dürfen die Mitgliedstaaten die Schriftgröße selbst bestimmen, sofern die im nationalen Recht festgelegte Schriftgröße gewährleistet, dass der entsprechende Text den größtmöglichen Anteil der für diese gesundheitsbezogenen Warnhinweise reservierten Fläche einnimmt, …</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">…</p>
<p class="normal">(6)   Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten die genaue Anordnung des allgemeinen Warnhinweises und der Informationsbotschaft auf in Beuteln verkauftem Tabak zum Selbstdrehen fest, wobei sie den verschiedenen Formen von Beuteln Rechnung trägt.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point10">10</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In Art. 10 der Richtlinie 2014/40 heißt es:</p>
<p class="normal">„(1)   Jede Packung und jede Außenverpackung von Rauchtabakerzeugnissen trägt kombinierte gesundheitsbezogene Warnhinweise. Die kombinierten gesundheitsbezogenen Warnhinweise</p>
<p class="normal">…</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">b)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">umfassen Informationen über Raucherentwöhnung, darunter Telefonnummern, E‑Mail-Adressen oder Websites, die dazu bestimmt sind, über Hilfsprogramme für Personen zu informieren, die das Rauchen aufgeben wollen;</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">…</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">e)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">werden an der Oberkante einer Packung und jeder Außenverpackung angebracht und werden in derselben Richtung wie die übrigen Informationen auf dieser Fläche der Packung ausgerichtet. Übergangsweise geltende Ausnahmen von dieser Verpflichtung bezüglich der Positionierung der kombinierten gesundheitlichen Warnhinweise können in Mitgliedstaaten mit weiterhin obligatorischen Steuerzeichen oder nationalen Kennzeichnungen für Steuerzwecke wie folgt eingeräumt werden:</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">i)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In Fällen, in denen das Steuerzeichen oder die nationalen Kennzeichnungen für Steuerzwecke an der Oberkante einer Packung aus Karton angebracht sind, kann der auf der Rückseite anzubringende kombinierte gesundheitsbezogene Warnhinweis direkt unter das an der Oberkante einer Kartonverpackung angebrachte Steuerzeichen oder die nationale Kennzeichnung platziert werden.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">ii)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Besteht die Packung aus weichem Material, können die Mitgliedstaaten für das Steuerzeichen oder die nationale Kennzeichnung für Steuerzwecke eine rechteckige Fläche mit einer Höhe von nicht mehr als 13 mm zwischen der Oberkante der Packung und dem oberen Ende des kombinierten gesundheitsbezogenen Warnhinweises vorsehen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">Die in den Ziffern i und ii genannten Ausnahmen gelten für einen Zeitraum von drei Jahren ab dem 20. Mai 2016. Markennamen oder Logos dürfen nicht oberhalb der gesundheitsbezogenen Warnhinweise angebracht werden;</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">…</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">f)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">werden hinsichtlich Format, Layout, Gestaltung und Proportionen entsprechend den Vorgaben reproduziert, die die Kommission gemäß Absatz 4 macht;</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">…“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point11">11</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 der Richtlinie sieht vor:</p>
<p class="normal">„Die Mitgliedstaaten können Rauchtabakerzeugnisse mit Ausnahme von Zigaretten, Tabak zum Selbstdrehen und Tabak für Wasserpfeifen von der Verpflichtung ausnehmen, die Informationsbotschaft gemäß Artikel 9 Absatz 2 und den kombinierten gesundheitsbezogenen Warnhinweis gemäß Artikel 10 zu tragen.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point12">12</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 13 der Richtlinie bestimmt:</p>
<p class="normal">„(1)   Die Kennzeichnung der Packung und der Außenverpackung sowie das Tabakerzeugnis selbst dürfen weder Elemente noch Merkmale aufweisen, die</p>
<p class="normal">…</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">c)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">sich auf den Geschmack, Geruch, eventuelle Aromastoffe oder sonstige Zusatzstoffe oder auf deren Fehlen beziehen;</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">…</p>
<p class="normal">(3)   Die nach den Absätzen 1 und 2 verbotenen Elemente und Merkmale können unter anderem sein: Texte, Symbole, Namen, Markennamen, figurative und sonstige Zeichen.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point13">13</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 29 Abs. 1 der Richtlinie lautet:</p>
<p class="normal">„Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie bis zum 20. Mai 2016 nachzukommen. Sie teilen der Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser Vorschriften mit.</p>
<p class="normal">Sie wenden diese Maßnahmen ab dem 20. Mai 2016 an; Artikel 7 Absatz 14, Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe e, Artikel 15 Absatz 13 und Artikel 16 Absatz 3 bleiben davon unberührt.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point14">14</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In Art. 30 der Richtlinie heißt es:</p>
<p class="normal">„Die Mitgliedstaaten dürfen das Inverkehrbringen folgender Erzeugnisse, die dieser Richtlinie nicht genügen, bis zum 20. Mai 2017 zulassen:</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">a)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Tabakerzeugnisse, die gemäß der Richtlinie 2001/37/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2001 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2001:194:TOC" hreflang="de" target="CourtTab">ABl. 2001, L 194, S. 26</a>)] vor dem 20. Mai 2016 hergestellt oder in den freien Verkehr gebracht und gekennzeichnet wurden;</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">…“</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point15">15</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Planta Tabak stellt Tabakerzeugnisse her und vertreibt sie, insbesondere aromatisierten Tabak zum Selbstdrehen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point16">16</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit dem Gesetz über Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse vom 4. April 2016 (BGBl. 2016 I S. 569, im Folgenden: TabakerzG) wurde die Richtlinie 2014/40 umgesetzt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point17">17</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Am 25. April 2016 erhob Planta Tabak beim Verwaltungsgericht Berlin (Deutschland) Klage auf Feststellung, dass bestimmte, das Verbot von Aromen, die Schockfotos und das Verbot der Werbung für Aromen betreffende Vorschriften des TabakerzG auf ihre Erzeugnisse nicht anwendbar seien. Ferner macht sie geltend, dass Art. 7 Abs. 1 und 7, die Art. 8 bis 11 und Art. 13 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2014/40 das Primärrecht der Union verletzten, insbesondere die Grundsätze der Rechtssicherheit, der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point18">18</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Erstens hat das vorlegende Gericht Zweifel an der Gültigkeit und der Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie 2014/40 über das Verbot von Aromen in Tabakerzeugnissen, über die Kennzeichnung und Verpackung dieser Erzeugnisse und über das Verbot der Werbung für Aromen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point19">19</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Es fragt zunächst nach der Auslegung von Art. 7 Abs. 1, 7 und 14 der Richtlinie 2014/40 und nach der Vereinbarkeit dieser Bestimmung mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit im Hinblick auf das Verbot des Inverkehrbringens von Tabakerzeugnissen mit einem charakteristischen Aroma, das seit dem 20. Mai 2016 für Erzeugnisse besteht, deren unionsweite Verkaufsmengen weniger als 3 % einer bestimmten Erzeugniskategorie darstellen, und in den übrigen Fällen ab dem 20. Mai 2020 gilt. Es führt aus, die betroffenen Hersteller von Tabakerzeugnissen seien nicht in der Lage, Informationen über die unionsweiten Verkaufsmengen zu erlangen, obwohl die Kommission mit ihrem Durchführungsbeschluss (EU) 2015/2186 vom 25. November 2015 zur Festlegung eines Formats für die Bereitstellung und Verfügbarmachung von Informationen über Tabakerzeugnisse (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2015:312:TOC" hreflang="de" target="CourtTab">ABl. 2015, L 312, S. 5</a>) ein Melde- und Informationssystem geschaffen habe, das darauf abziele, mittelfristig diese Informationen zu sammeln und den Betroffenen zugänglich zu machen. Weder die Internetseiten der Kommission noch diejenigen der zuständigen bundesdeutschen Behörden enthielten entsprechende Angaben oder weiterführende Hinweise. Das bei der Anwendung der Ausnahme in Art. 7 Abs. 14 der Richtlinie 2014/40 anzuwendende Verfahren sei daher nicht eindeutig festgelegt worden.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point20">20</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Auch der in dieser Bestimmung verwendete Begriff „Erzeugniskategorie“ werde in der Richtlinie 2014/40 nicht definiert und sei durch Auslegung nicht sicher bestimmbar. Insbesondere sei fraglich, ob die Einteilung in Erzeugniskategorien allein anhand der Art des Tabakerzeugnisses oder der Art des Aromas vorzunehmen sei oder ob die beiden Kriterien miteinander zu kombinieren seien (Mentholzigaretten, Mentholfeinschnitt usw.).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point21">21</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Außerdem verstoße Art. 7 der Richtlinie in Bezug auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verbote des Inverkehrbringens von Tabakerzeugnissen gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, da bei aromatisierten Tabakerzeugnissen anhand ihrer Verkaufsmengen unterschieden werde, obwohl die Situation angesichts der mit der Richtlinie verfolgten Ziele – Schutz der Gesundheit der Verbraucher und Beseitigung von Handelshemmnissen – bei diesen Erzeugnissen vergleichbar sei.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point22">22</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Überdies bedürfe der Klärung, ob die in der Richtlinie 2014/40 festgelegten Fristen für das Verbot von Aromen mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und mit Art. 34 AEUV im Einklang stünden, wenn man die negativen wirtschaftlichen und sozialen Folgen für kleine und mittlere Unternehmen berücksichtige, die sich auf „Nischenprodukte“ mit einem unionsweiten Marktanteil von weniger als 3 % spezialisiert hätten, deren Inverkehrbringen seit dem 20. Mai 2016 untersagt sei.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point23">23</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Zweitens sei angesichts der Zeitpunkte, zu denen der Durchführungsbeschluss (EU) 2015/1735 der Kommission vom 24. September 2015 zur genauen Anordnung des allgemeinen Warnhinweises und der Informationsbotschaft auf in Beuteln verkauftem Tabak zum Selbstdrehen (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2015:252:TOC" hreflang="de" target="CourtTab">ABl. 2015, L 252, S. 49</a>) und der Durchführungsbeschluss (EU) 2015/1842 der Kommission vom 9. Oktober 2015 über die technischen Spezifikationen für das Layout, die Gestaltung und die Form der kombinierten gesundheitsbezogenen Warnhinweise für Rauchtabakerzeugnisse (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2015:267:TOC" hreflang="de" target="CourtTab">ABl. 2015, L 267, S. 5</a>) erlassen worden seien, auf die Kürze der in Art. 29 Abs. 1 der Richtlinie 2014/40 vorgesehenen Frist für die Umsetzung der Richtlinie und den Beginn der Anwendung der nationalen Vorschriften hinzuweisen, die am 20. Mai 2016 geendet habe.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point24">24</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Insoweit sei zunächst fraglich, ob der nationale Gesetzgeber unionsrechtlich überhaupt zum Erlass eigener Übergangsregelungen befugt sei. Sollte dies zu verneinen sein, sei ferner fraglich, ob es nicht gegen den in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit in Verbindung mit dem Prinzip der einheitlichen und effektiven Anwendung des Unionsrechts verstoße, wenn von den Mitgliedstaaten verlangt werde, die Richtlinie 2014/40 deutlich vor dem Ablauf der in ihrem Art. 29 Abs. 1 festgelegten Frist umzusetzen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point25">25</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Außerdem lasse sich das zeitliche Zusammentreffen des Ablaufs der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2014/40 und der Anwendung der nationalen Vorschriften schwer mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbaren. Ohne die näheren Angaben in den Durchführungsbeschlüssen 2015/1735 und 2015/1842, u. a. in Bezug auf die genaue Anordnung des allgemeinen Warnhinweises und der Informationsbotschaft auf in Beuteln verkauftem Tabak zum Selbstdrehen, seien die Hersteller nicht in der Lage gewesen, Verpackungs- und Druckvorlagen zu planen und in Auftrag zu geben sowie gegebenenfalls den Umbau entsprechender Abfüll- und Verpackungsmaschinen vorzusehen. Zwischen dem Erlass dieser Beschlüsse und dem Ablauf der in Art. 29 Abs. 1 der Richtlinie 2014/40 vorgesehenen Frist am 20. Mai 2016 hätten aber nur etwa sieben Monate gelegen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point26">26</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Drittens sei im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit fraglich, ob die bloße Nennung eines zulässigerweise in Tabakerzeugnissen enthaltenen Aromas, Geruchs- oder Geschmacksstoffs auf der Verpackung oder der Außenverpackung in neutraler, nicht werbender Form nach Art. 13 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2014/40 erlaubt sei.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point27">27</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Schließlich müsse geklärt werden, ob das in Art. 13 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2014/40 aufgestellte Verbot der Verwendung bestimmter Marken eine unverhältnismäßige Enteignung im Sinne von Art. 17 Abs. 1 Satz 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) darstelle. Die von dieser Bestimmung betroffenen Markeninhaber seien von jeder sinnvollen oder relevanten Nutzung der Marken ausgeschlossen, und dieser Ausschluss treffe sie wirtschaftlich ebenso wie eine förmliche Enteignung. Die Kennzeichnungsvorgaben aus Art. 13 Abs. 1 Buchst c der Richtlinie hätten zur Folge, dass für die Markeninhaber wesentliche Nutzungsmöglichkeiten im Sinne von Art. 10 der Richtlinie (EU) 2015/2436 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2015:336:TOC" hreflang="de" target="CourtTab">ABl. 2015, L 336, S. 1</a>) dauerhaft entfielen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point28">28</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Unter diesen Umständen hat das Verwaltungsgericht Berlin beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">1.</p>
</td>
<td valign="top">
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">a)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Sind die Abs. 1 und 7 des Art. 7 der Richtlinie 2014/40 in Verbindung mit Abs. 14 des Art. 7 der Richtlinie 2014/40 wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit ungültig, weil sie den Mitgliedstaaten aufgeben, das Inverkehrbringen von bestimmten Tabakerzeugnissen zu verbieten, ohne dass klar und deutlich ist, welche dieser Tabakerzeugnisse genau bereits ab 20. Mai 2016 und welche erst ab 20. Mai 2020 verboten werden sollen?</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">b)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Sind die Abs. 1 und 7 des Art. 7 der Richtlinie 2014/40 in Verbindung mit Abs. 14 des Art. 7 der Richtlinie 2014/40 wegen Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz ungültig, weil sie hinsichtlich der durch die Mitgliedstaaten zu erlassenden Verbote nach Verkaufsmengen unterscheiden, ohne dass es dafür einen rechtfertigenden Grund gibt?</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">c)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Sind die Abs. 1 und 7 des Art. 7 der Richtlinie 2014/40 wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und/oder gegen Art. 34 AEUV ungültig, weil sie den Mitgliedstaaten aufgeben, das Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen mit einem charakteristischen Aroma, deren unionsweite Verkaufsmengen weniger als 3 % einer bestimmten Erzeugniskategorie darstellen, bereits ab 20. Mai 2016 zu verbieten?</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">d)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Im Fall der Verneinung der Fragen 1. a bis 1. c: Wie ist der Begriff „Erzeugniskategorie“ in Art. 7 Abs. 14 der Richtlinie 2014/40 zu verstehen? Hat die Einteilung in „Erzeugniskategorien“ nach der Art des charakteristischen Aromas zu erfolgen oder nach der Art des (aromatisierten) Tabakerzeugnisses oder aufgrund einer Kombination beider Kriterien?</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">e)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Im Fall der Verneinung der Fragen 1. a bis 1. c: Wie ist festzustellen, ob hinsichtlich eines bestimmen Tabakerzeugnisses die 3%-Grenze gemäß Art. 7 Abs. 14 der Richtlinie 2014/40 erreicht ist, solange es keine offiziellen und öffentlich zugänglichen Zahlen und Statistiken dazu gibt?</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">2.</p>
</td>
<td valign="top">
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">a)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Dürfen die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Art. 8 bis 11 der Richtlinie 2014/40 in nationales Recht ergänzende Übergangsregelungen treffen?</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">b)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Im Fall der Verneinung von Vorlagefrage 2. a:</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Sind Art. 9 Abs. 6 und Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Buchst. f der Richtlinie 2014/40 wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und/oder gegen Art. 34 AEUV ungültig, weil sie die Festlegung bestimmter Kennzeichnungs- und Verpackungsvorgaben an die Kommission delegieren, ohne dieser dafür eine Frist zu setzen und ohne weiter gehende Übergangsregelungen oder ‑fristen vorzusehen, welche sicherstellen, dass betroffenen Unternehmen ausreichend Zeit zur Anpassung an die Richtlinienvorgaben bleibt?</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Sind Art. 9 Abs. 1 Satz 2 (Text des Warnhinweises) und Abs. 4 Satz 2 (Schriftgröße), Art. 10 Abs. 2 Satz 2 Buchst. b (Informationen über Raucherentwöhnung) und Buchst. e (Positionierung der Warnhinweise) sowie Art 11 Abs. 1 Satz 1 (Etikettierung) der Richtlinie 2014/40 wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und/oder gegen Art. 34 AEUV ungültig, weil sie den Mitgliedstaaten diverse Wahl- und Gestaltungsrechte einräumen, ohne ihnen dafür eine Frist zu setzen und ohne weiter gehende Übergangsregelungen oder ‑fristen vorzusehen, welche sicherstellen, dass betroffenen Unternehmen ausreichend Zeit zur Anpassung an die Richtlinienvorgaben bleibt?</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">3.</p>
</td>
<td valign="top">
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">a)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Ist Art. 13 Abs. 1 Buchst. c in Verbindung mit Abs. 3 der Richtlinie 2014/40 so auszulegen, dass er den Mitgliedstaaten aufgibt, die Verwendung von auf den Geschmack, Geruch, Aroma- oder sonstige Zusatzstoffe bezogenen Informationen auch dann zu verbieten, wenn es sich um nicht werbliche Informationen handelt und die Verwendung der Inhaltsstoffe weiterhin erlaubt ist?</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">b)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Ist Art. 13 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2014/40 ungültig, weil er gegen Art. 17 der Charta verstößt?</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Zu den Vorlagefragen</span>
</p>
<p class="title-grseq-2">
<span class="bold">
<span class="italic">Zu den Buchst. a bis c der ersten Frage</span>
</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point29">29</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit den Buchst. a bis c der ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 7 Abs. 1 und 7 der Richtlinie 2014/40 und deren Art. 7 Abs. 14 ungültig sind, weil sie gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit, der Gleichbehandlung oder der Verhältnismäßigkeit oder gegen Art. 34 AEUV verstoßen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="title-grseq-3">
<span class="italic">Zur Vereinbarkeit von Art. 7 Abs. 1, 7 und 14 der Richtlinie 2014/40 mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point30">30</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Das vorlegende Gericht wirft die Frage auf, ob Art. 7 Abs. 1, 7 und 14 der Richtlinie 2014/40, der den Mitgliedstaaten aufgibt, das Inverkehrbringen bestimmter Tabakerzeugnisse zu verbieten, ohne dass klar und deutlich ist, welche dieser Erzeugnisse bereits ab 20. Mai 2016 verboten werden sollen und welche erst ab 20. Mai 2020, gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstößt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point31">31</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Der Grundsatz der Rechtssicherheit verlangt zwar nach ständiger Rechtsprechung, dass eine Unionsregelung es den Betroffenen ermöglicht, den Umfang der ihnen damit auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen, und dass sie ihre Rechte und Pflichten eindeutig erkennen und sich darauf einstellen können (Urteil vom 25. Juli 2018, Teglgaard und Fløjstrupgård, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A597&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑239/17</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A597&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2018:597</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A597&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point52" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">52</a> und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point32">32</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Es ist jedoch nicht erforderlich, dass ein Gesetzgebungsakt selbst Angaben technischer Natur enthält, und es steht dem Unionsgesetzgeber frei, einen allgemeinen Rechtsrahmen zu schaffen, der gegebenenfalls später konkretisiert wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Mai 2016, Pillbox 38, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A324&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑477/14</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A324&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2016:324</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A324&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point78" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">78</a> und <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A324&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point139" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">139</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point33">33</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Der Umstand, dass Art. 7 Abs. 1, 7 und 14 der Richtlinie 2014/40 keine näheren Angaben dazu enthält, bei welchen Erzeugnissen mit einem charakteristischen Aroma die unionsweiten Verkaufsmengen 3 % oder mehr einer bestimmten Erzeugniskategorie darstellen, und keine konkrete Verfahrensweise vorsieht, um zu bestimmen, welche Erzeugnisse von Art. 7 Abs. 14 der Richtlinie erfasst werden, bedeutet nicht, dass Art. 7 Abs. 1, 7 und 14 der Richtlinie gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstößt. Sofern es an einer Regelung auf Unionsebene fehlt, ist es nämlich Sache der Mitgliedstaaten oder gegebenenfalls der Hersteller selbst, eine zuverlässige Methode festzulegen, mit der die Einhaltung der Anforderung, die sich aus dieser Vorschrift ergibt, sichergestellt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Mai 2016, Pillbox 38, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A324&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑477/14</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A324&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2016:324</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A324&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point101" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">101</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point34">34</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In Anbetracht dessen ist nicht ersichtlich, dass Art. 7 Abs. 1, 7 und 14 der Richtlinie 2014/40 gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstößt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="title-grseq-3">
<span class="italic">Zur Vereinbarkeit von Art. 7 Abs. 1, 7 und 14 der Richtlinie 2014/40 mit den Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit sowie mit Art. 34 AEUV</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point35">35</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Das vorlegende Gericht wirft zunächst die Frage auf, ob die in Art. 7 Abs. 14 der Richtlinie 2014/40 vorgenommene Unterscheidung der Tabakerzeugnisse nach Verkaufsmengen gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstößt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point36">36</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der allgemeine unionsrechtliche Grundsatz der Gleichbehandlung verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist (Urteil vom 4. Mai 2016, Pillbox 38, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A324&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑477/14</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A324&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2016:324</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A324&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point35" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">35</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point37">37</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die Vergleichbarkeit verschiedener Sachverhalte ist in Anbetracht aller Merkmale zu beurteilen, die sie kennzeichnen. Diese Merkmale sind u. a. im Licht des Gegenstands und des Ziels der Unionshandlung, mit der die fragliche Unterscheidung eingeführt wird, zu bestimmen und zu beurteilen. Außerdem sind die Grundsätze und Ziele des Regelungsbereichs zu berücksichtigen, in den die Handlung fällt (Urteil vom 12. Mai 2011, Luxemburg/Parlament und Rat, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2011%3A290&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑176/09</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2011%3A290&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2011:290</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2011%3A290&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point32" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">32</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point38">38</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit der Richtlinie 2014/40 wird nach ihrem Art. 1 ein zweifaches Ziel verfolgt, und zwar soll sie – ausgehend von einem hohen Schutz der menschlichen Gesundheit, besonders für junge Menschen – das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts für Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse erleichtern (Urteil vom 4. Mai 2016, Polen/Parlament und Rat, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A323&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑358/14</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A323&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2016:323</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A323&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point80" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">80</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point39">39</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Damit das Ziel, das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts für Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse zu erleichtern, verwirklicht wird, sollten nach dem 16. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/40 Maßnahmen vermieden werden, mit denen ungerechtfertigte Unterschiede bei der Behandlung verschiedener Arten aromatisierter Zigaretten eingeführt würden.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point40">40</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Überdies hat der Gerichtshof im Urteil vom 4. Mai 2016, Philip Morris Brands u. a. (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A325&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑547/14</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A325&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2016:325</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A325&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point114" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">114</a>), festgestellt, dass Tabakerzeugnisse mit einem charakteristischen Aroma zum einen ähnliche objektive Eigenschaften aufweisen und zum anderen ähnliche Auswirkungen auf den erstmaligen Tabakkonsum und die Aufrechterhaltung des Tabakgebrauchs haben.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point41">41</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Somit unterscheiden sich Tabakerzeugnisse mit einem charakteristischen Aroma, deren unionsweite Verkaufsmengen weniger als 3 % einer bestimmten Erzeugniskategorie darstellen, von Tabakerzeugnissen mit einem charakteristischen Aroma, deren unionsweite Verkaufsmengen 3 % oder mehr einer bestimmten Erzeugniskategorie darstellen, weder hinsichtlich des Ziels, das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts für Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse zu erleichtern, noch hinsichtlich des Ziels, für einen hohen Schutz der menschlichen Gesundheit zu sorgen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point42">42</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Folglich ist für die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung davon auszugehen, dass bei den von den Verboten charakteristischer Aromen in Art. 7 Abs. 1 und 7 der Richtlinie 2014/40 betroffenen aromatisierten Erzeugnissen vergleichbare Sachverhalte vorliegen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point43">43</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach der in Rn. 36 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ist eine unterschiedliche Behandlung vergleichbarer Sachverhalte gerechtfertigt, wenn sie auf einem objektiven und angemessenen Kriterium beruht, d. h., wenn sie im Zusammenhang mit einem rechtlich zulässigen Ziel steht, das mit der in Rede stehenden Regelung verfolgt wird, und wenn diese unterschiedliche Behandlung in angemessenem Verhältnis zu dem mit der betreffenden Behandlung verfolgten Ziel steht (Urteil vom 16. Dezember 2008, Arcelor Atlantique et Lorraine u. a., <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2008%3A728&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑127/07</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2008%3A728&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2008:728</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2008%3A728&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point47" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">47</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point44">44</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Insoweit hat der Gerichtshof dem Unionsgesetzgeber ein weites Ermessen im Rahmen der Ausübung der ihm übertragenen Zuständigkeiten zugebilligt, wenn seine Tätigkeit politische, wirtschaftliche und soziale Entscheidungen erfordert und wenn er komplexe Beurteilungen und Prüfungen vornehmen muss (Urteil vom 16. Dezember 2008, Arcelor Atlantique et Lorraine u. a., <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2008%3A728&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑127/07</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2008%3A728&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2008:728</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2008%3A728&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point57" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">57</a>). Der Unionsgesetzgeber könnte daher in Ausübung seines weiten Ermessens eine Harmonisierung nur in Etappen vornehmen und nur einen schrittweisen Abbau der einseitig von den Mitgliedstaaten getroffenen Maßnahmen verlangen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Mai 2016, Philip Morris Brands u. a., <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A325&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑547/14</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A325&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2016:325</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A325&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point63" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">63</a> und <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A325&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point134" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">134</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point45">45</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In Bezug auf die mit Art. 7 Abs. 14 der Richtlinie 2014/40 verfolgten Ziele geht aus ihrem 16. Erwägungsgrund hervor, dass der Verkauf von Erzeugnissen mit charakteristischen Aromen, die höhere Verkaufsmengen aufweisen, über einen längeren Zeitraum hinweg eingestellt werden sollte, um den Verbrauchern ausreichend Zeit zu geben, zu anderen Erzeugnissen zu wechseln.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point46">46</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Wie der Generalanwalt in Nr. 48 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, zielt das Kriterium der Verkaufsmengen von Tabakerzeugnissen einer bestimmten Erzeugniskategorie mit einem charakteristischen Aroma nicht auf Tabakerzeugnisse mit einem speziellen Aroma ab und ist in Bezug auf die Hersteller neutral. Aus den Akten, über die der Gerichtshof verfügt, ergibt sich nämlich nicht, dass Tabakerzeugnisse mit einem charakteristischen Aroma, deren unionsweite Verkaufsmengen weniger als 3 % einer bestimmten Erzeugniskategorie darstellen, hauptsächlich von kleinen und mittleren Unternehmen hergestellt werden. Infolgedessen ist dieses Kriterium als objektiv gerechtfertigt anzusehen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point47">47</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Überdies ist es als angemessen anzusehen, den Verbrauchern ausreichend Zeit zu geben, zu anderen Erzeugnissen zu wechseln, was es ermöglicht, die wirtschaftlichen Folgen des Verbots in Art. 7 der Richtlinie 2014/40 mit dem Gebot der Gewährleistung eines hohen Schutzes der menschlichen Gesundheit in Einklang zu bringen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point48">48</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Ein Kriterium, das wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende auf den Verkaufsmengen von Erzeugnissen beruht, spiegelt nämlich, wie der Generalanwalt in Nr. 50 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die Konsumgewohnheiten sowie die wirtschaftliche Bedeutung der Herstellung der erfassten Erzeugnisse wider.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point49">49</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Unter diesen Umständen verstößt Art. 7 Abs. 1, 7 und 14 der Richtlinie 2014/40 nicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point50">50</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Sodann wirft das vorlegende Gericht die Frage auf, ob das in Art. 7 Abs. 1 und 7 der Richtlinie 2014/40 aufgestellte Verbot des Inverkehrbringens von Tabakerzeugnissen mit einem charakteristischen Aroma, deren unionsweiter Marktanteil weniger als 3 % einer bestimmten Erzeugniskategorie beträgt, mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point51">51</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach ständiger Rechtsprechung verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass die Handlungen der Unionsorgane zur Erreichung der mit der betreffenden Regelung verfolgten legitimen Ziele geeignet sind und nicht über die Grenzen dessen hinausgehen, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist, wobei, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen ist und die dadurch bedingten Nachteile in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen müssen (Urteil vom 4. Mai 2016, Polen/Parlament und Rat, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A323&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑358/14</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A323&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2016:323</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A323&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point78" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">78</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point52">52</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In Bezug auf die gerichtliche Nachprüfung der in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen geht aus der in Rn. 44 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung hervor, dass der Unionsgesetzgeber in einem Bereich wie dem hier betroffenen, in dem von ihm politische, wirtschaftliche und soziale Entscheidungen verlangt werden und in dem er komplexe Beurteilungen vornehmen muss, über ein weites Ermessen verfügt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point53">53</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Angesichts des mit dem Verbot des Inverkehrbringens von Tabakerzeugnissen mit einem charakteristischen Aroma verfolgten Ziels ist festzustellen, dass dieses Verbot auch geeignet ist, einen hohen Schutz der menschlichen Gesundheit, besonders für junge Menschen, sicherzustellen. Es wird nämlich nicht bestritten, dass bestimmte Aromen insbesondere für junge Menschen attraktiv sind und den Einstieg in den Tabakkonsum erleichtern (Urteil vom 4. Mai 2016, Polen/Parlament und Rat, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A323&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑358/14</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A323&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2016:323</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A323&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point81" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">81</a> und <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A323&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point82" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">82</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point54">54</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Hierzu hat der Gerichtshof in den Urteilen vom 4. Mai 2016, Polen/Parlament und Rat (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A323&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑358/14</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A323&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2016:323</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A323&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point102" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">102</a>), und vom 4. Mai 2016, Philip Morris Brands u. a. (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A325&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑547/14</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A325&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2016:325</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A325&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point190" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">190</a>), ausgeführt, dass der Unionsgesetzgeber durch Art. 7 Abs. 14 der Richtlinie 2014/40 die wirtschaftlichen Folgen des Verbots in Art. 7 der Richtlinie und das Erfordernis, bei einem durch gesundheitsschädliche Eigenschaften gekennzeichneten Erzeugnis einen hohen Schutz der menschlichen Gesundheit zu gewährleisten, miteinander in Ausgleich gebracht hat.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point55">55</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Somit ist festzustellen, dass das Verbot des Inverkehrbringens von Tabakerzeugnissen mit einem charakteristischen Aroma nicht offensichtlich über das zur Erreichung des angestrebten Ziels erforderliche Maß hinausgeht.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point56">56</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Unter diesen Umständen verstößt Art. 7 Abs. 1, 7 und 14 der Richtlinie 2014/40 nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point57">57</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Zudem ist zu den Zweifeln des vorlegenden Gerichts an der Vereinbarkeit von Art. 7 Abs. 1, 7 und 14 der Richtlinie 2014/40 mit Art. 34 AEUV festzustellen, dass Art. 7 Abs. 1, 7 und 14 der Richtlinie zwar eine Beschränkung im Sinne von Art. 34 AEUV darstellt; sie ist jedoch nach den Ausführungen in Rn. 54 des vorliegenden Urteils durch die Abwägung der wirtschaftlichen Folgen des Verbots in Art. 7 der Richtlinie gegen das Erfordernis, einen hohen Schutz der menschlichen Gesundheit zu gewährleisten, gerechtfertigt und verstößt nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Folglich verstößt Art. 7 Abs. 1, 7 und 14 der Richtlinie 2014/40 auch nicht gegen Art. 34 AEUV.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point58">58</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach alledem ist auf die Buchst. a bis c der ersten Frage zu antworten, dass die Prüfung dieser Frage nichts ergeben hat, was die Gültigkeit von Art. 7 Abs. 1, 7 und 14 der Richtlinie 2014/40 berühren könnte.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="title-grseq-2">
<span class="bold">
<span class="italic">Zu den Buchst. d und e der ersten Frage</span>
</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point59">59</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit den Buchst. d und e der ersten Frage ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof um die Auslegung des Begriffs „Erzeugniskategorie“ in Art. 7 Abs. 14 der Richtlinie 2014/40 und um nähere Angaben dazu, wie festzustellen ist, ob bei einem bestimmten Tabakerzeugnis die in diesem Artikel vorgesehene 3%-Grenze erreicht ist.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point60">60</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts sind nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 26. September 2018, Baumgartner, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A772&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑513/17</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A772&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2018:772</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A772&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point23" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">23</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point61">61</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der in Art. 7 Abs. 14 der Richtlinie 2014/40 verwendete Begriff „Erzeugniskategorie“ in ihrem Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) nicht definiert wird.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point62">62</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Sodann ist zum Zusammenhang von Art. 7 Abs. 14 der Richtlinie 2014/40 festzustellen, dass nach ihrem Art. 7 Abs. 12 Zigaretten und Tabak zum Selbstdrehen die einzigen von den Verboten in Art. 7 Abs. 1 und 7 erfassten Tabakerzeugnisse sind.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point63">63</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Außerdem sind bei der Definition des Begriffs „neuartiges Tabakerzeugnis“ in Art. 2 Nr. 14 der Richtlinie 2014/40 Zigaretten und Tabak zum Selbstdrehen als gesonderte Kategorien von Tabakerzeugnissen aufgeführt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point64">64</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Überdies wird Tabak zum Selbstdrehen im neunten Erwägungsgrund der Richtlinie als Beispiel für eine „Erzeugniskategorie“ genannt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point65">65</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Daher stellen Zigaretten ebenso wie Tabak zum Selbstdrehen eine „Erzeugniskategorie“ im Sinne von Art. 7 Abs. 14 der Richtlinie 2014/40 dar.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point66">66</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Zu den mit Art. 7 Abs. 14 der Richtlinie verfolgten Zielen geht aus ihrem 16. Erwägungsgrund hervor, dass der Verkauf von Erzeugnissen mit charakteristischen Aromen, die höhere Verkaufsmengen aufweisen, über einen längeren Zeitraum hinweg eingestellt werden sollte, um den Verbrauchern ausreichend Zeit zu geben, zu anderen Erzeugnissen zu wechseln.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point67">67</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Da die Auslegung, wonach Zigaretten ebenso wie Tabak zum Selbstdrehen eine „Erzeugniskategorie“ im Sinne von Art. 7 Abs. 14 der Richtlinie 2014/40 darstellen, zu diesen Zielen nicht im Widerspruch steht und da eine Vermutung dafür spricht, dass gleiche Begriffe in der gleichen Handlung der Union die gleiche Bedeutung haben, ist der Begriff „Erzeugniskategorie“ im Sinne dieser Bestimmung nicht anders auszulegen als der gleiche Begriff in anderen Bestimmungen der Richtlinie.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point68">68</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Überdies geht in Bezug auf die Methode, anhand deren sich feststellen lässt, ob ein bestimmtes Tabakerzeugnis unionsweit die 3%-Grenze erreicht, ab der die in Art. 7 Abs. 14 der Richtlinie 2014/40 vorgesehene Ausnahme zur Anwendung kommt, aus der in Rn. 33 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung hervor, dass es mangels einer Unionsregelung Sache der Mitgliedstaaten ist, eine zuverlässige Methode festzulegen, mit der die Einhaltung der Anforderung, die sich aus der genannten Vorschrift ergibt, sichergestellt werden kann.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point69">69</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Aus den Akten, über die der Gerichtshof verfügt, ergibt sich, dass die Bundesrepublik Deutschland im Einklang mit dieser Rechtsprechung Art. 7 Abs. 14 der Richtlinie 2014/40 dadurch umgesetzt hat, dass sie in § 34 Abs. 3 der Verordnung über Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse vom 27. April 2016 (BGBl. 2016 I S. 980) vorgeschrieben hat, welche Aromen Tabakerzeugnisse enthalten müssen, damit das Verbot ihres Inverkehrbringens erst ab dem 20. Mai 2020 anzuwenden ist.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point70">70</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Angesichts dieser Erwägungen ist auf die Buchst. d und e der ersten Frage zu antworten, dass Art. 7 Abs. 14 der Richtlinie 2014/40 dahin auszulegen ist, dass der Begriff „Erzeugniskategorie“ im Sinne dieser Bestimmung Zigaretten und Tabak zum Selbstdrehen erfasst und dass das Verfahren, um festzustellen, ob ein bestimmtes Tabakerzeugnis die in dieser Bestimmung vorgesehene 3%-Grenze erreicht, im nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaats zu regeln ist.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="title-grseq-2">
<span class="bold">
<span class="italic">Zur zweiten Frage</span>
</span>
</p>
<p class="title-grseq-3">
<span class="italic">Zu Buchst. a der zweiten Frage</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point71">71</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit Buchst. a der zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 8 bis 11 der Richtlinie 2014/40 dahin auszulegen sind, dass sie es den Mitgliedstaaten gestatten, ergänzende Übergangsfristen neben den in Art. 29 Abs. 1 und in Art. 30 Buchst. a der Richtlinie vorgesehenen Fristen festzulegen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point72">72</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 29 Abs. 1 der Richtlinie 2014/40 sieht vor, dass die Mitgliedstaaten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft setzen, die erforderlich sind, um der Richtlinie bis zum 20. Mai 2016 nachzukommen, und dass sie diese Maßnahmen ab dem 20. Mai 2016 anwenden, wobei u. a. Art. 7 Abs. 14 der Richtlinie davon unberührt bleibt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point73">73</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 30 („Übergangsbestimmung“) der Richtlinie sieht jedoch in Buchst. a vor, dass die Mitgliedstaaten das Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen, die gemäß der Richtlinie 2001/37 vor dem 20. Mai 2016 hergestellt oder in den freien Verkehr gebracht und gekennzeichnet wurden, bis zum 20. Mai 2017 zulassen dürfen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point74">74</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Dagegen sehen die Art. 8 bis 11 der Richtlinie 2014/40 keine Übergangsfristen vor, die an die Stelle der in den Art. 29 und 30 der Richtlinie vorgesehenen Fristen treten.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point75">75</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Angesichts dieser Erwägungen ist auf Buchst. a der zweiten Frage zu antworten, dass die Art. 8 bis 11 der Richtlinie 2014/40 dahin auszulegen sind, dass sie es den Mitgliedstaaten nicht gestatten, ergänzende Übergangsfristen neben den in den Art. 29 und 30 der Richtlinie vorgesehenen Fristen festzulegen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="title-grseq-3">
<span class="italic">Zu Buchst. b der zweiten Frage</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point76">76</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit Buchst. b der zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob im Fall der Verneinung von Buchst. a der zweiten Frage Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2, Abs. 4 Buchst. a Satz 2 und Abs. 6, Art. 10 Abs. 1 Buchst. b, e und f sowie Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2014/40 gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und gegen Art. 34 AEUV verstoßen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point77">77</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Insoweit weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass Art. 9 Abs. 6 und Art. 10 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2014/40 die Festlegung bestimmter Kennzeichnungs- und Verpackungsvorgaben für Tabakerzeugnisse an die Kommission delegierten, ohne ihr dafür eine Frist zu setzen und ohne weiter gehende Übergangsregelungen oder ‑fristen vorzusehen, um sicherzustellen, dass den betroffenen Unternehmen ausreichend Zeit zur Anpassung an die Vorgaben der Richtlinie bleibe.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point78">78</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist festzustellen, dass die allgemeinen Rechtsgrundsätze, zu denen dieser Grundsatz zählt, Teil der Unionsrechtsordnung sind und daher von den Unionsorganen, aber auch von den Mitgliedstaaten bei der Ausübung der Befugnisse, die ihnen die Unionsrichtlinien übertragen, beachtet werden müssen (Urteil vom 2. Juni 2016, ROZ-ŚWIT, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A400&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑418/14</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A400&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2016:400</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A400&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point20" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">20</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point79">79</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die Richtlinie 2014/40 ist nach ihrem Art. 32 am 19. Mai 2014 in Kraft getreten, während die Mitgliedstaaten verpflichtet waren, die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um der Richtlinie nachzukommen, spätestens ab dem 20. Mai 2016 anzuwenden, wobei u. a. Art. 7 Abs. 14 der Richtlinie davon unberührt blieb.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point80">80</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die Frist von zwei Jahren, über die die Mitgliedstaaten verfügten, um die Bestimmungen zur Umsetzung der Richtlinie 2014/40 zu erlassen und sicherzustellen, dass den betroffenen Wirtschaftsteilnehmern ausreichend Zeit zur Anpassung an die Vorgaben der Richtlinie bleibt, reicht im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aus.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point81">81</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Überdies dürfen die Mitgliedstaaten nach Art. 30 der Richtlinie 2014/40 bis zum 20. Mai 2017 das Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen zulassen, die gemäß der Richtlinie 2001/37 vor dem 20. Mai 2016 hergestellt oder in den freien Verkehr gebracht und gekennzeichnet wurden.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point82">82</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Zur Frage, ob Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2, Abs. 4 Buchst. a Satz 2 und Abs. 6, Art. 10 Abs. 1 Buchst. b, e und f sowie Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2014/40 gegen Art. 34 AEUV verstoßen, ist festzustellen, dass der Grundsatz des freien Warenverkehrs Einfuhr‑, Ausfuhr- und Durchfuhrverboten oder ‑beschränkungen nicht entgegensteht, die u. a. zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gerechtfertigt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Dezember 2004, Swedish Match, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2004%3A802&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑210/03</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2004%3A802&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2004:802</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2004%3A802&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point60" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">60</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point83">83</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Folglich stehen die Bestimmungen von Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2, Abs. 4 Buchst. a Satz 2 und Abs. 6, von Art. 10 Abs. 1 Buchst. b, e und f sowie von Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2014/40 mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und mit Art. 34 AEUV im Einklang.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point84">84</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Unter diesen Umständen ist auf Buchst. b der zweiten Frage zu antworten, dass die Prüfung dieser Frage nichts ergeben hat, was die Gültigkeit von Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2, Abs. 4 Buchst. a Satz 2 und Abs. 6, von Art. 10 Abs. 1 Buchst. b, e und f sowie von Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2014/40 berühren könnte.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="title-grseq-2">
<span class="bold">
<span class="italic">Zur dritten Frage</span>
</span>
</p>
<p class="title-grseq-3">
<span class="italic">Zu Buchst. a der dritten Frage</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point85">85</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit Buchst. a der dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 13 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 3 der Richtlinie 2014/40 dahin auszulegen ist, dass er den Mitgliedstaaten aufgibt, die Verwendung auf den Geschmack, Geruch, Aroma- oder sonstige Zusatzstoffe bezogener Informationen auch dann zu verbieten, wenn es sich um nicht werbliche Informationen handelt und die Verwendung der betreffenden Inhaltsstoffe weiterhin erlaubt ist.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point86">86</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach Art. 13 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 3 der Richtlinie 2014/40 dürfen die Kennzeichnung der Packung und der Außenverpackung sowie das Tabakerzeugnis selbst weder Elemente noch Merkmale aufweisen, die sich auf den Geschmack, Geruch, eventuelle Aromastoffe oder sonstige Zusatzstoffe oder auf deren Fehlen beziehen. Diese Elemente und Merkmale können u. a. durch Texte, Symbole, Namen, Markennamen, figurative und sonstige Zeichen repräsentiert werden.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point87">87</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Da nach dem Wortlaut von Art. 13 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2014/40 Tabakerzeugnisse „weder Elemente noch Merkmale“ aufweisen dürfen, die sich auf „Aromastoffe“„beziehen“, und da nach dem Wortlaut von Art. 13 Abs. 3 der Richtlinie diese Elemente und Merkmale u. a. Texte, Symbole, Namen, Markennamen, figurative und sonstige Zeichen sein können, die nicht werblicher Art sind, ist davon auszugehen, dass der Unionsgesetzgeber nicht zwischen werblichen Informationen und nicht werblichen Informationen unterscheiden wollte. Diese Auslegung wird dadurch bestätigt, dass der Unionsgesetzgeber in Art. 20 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie, anders als in deren Art. 13, ausdrücklich vorgeschrieben hat, dass die Packungen und die Außenverpackung von elektronischen Zigaretten und Nachfüllbehältern keine der in Art. 13 der Richtlinie 2014/40 genannten Elemente oder Merkmale enthalten; davon ausgenommen sind nach Art. 13 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie Informationen, die sich auf Aromastoffe oder auf deren Fehlen beziehen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point88">88</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Überdies lassen sich, wie der Generalanwalt in Nr. 78 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, Tabakerzeugnisse mit einem charakteristischen Aroma nach wie vor von anderen Tabakerzeugnissen unterscheiden, sofern sie nicht eines der in Art. 13 Abs. 1 Buchst. a bis e der Richtlinie genannten Elemente verwenden.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point89">89</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Außerdem ist angesichts der Feststellung des Gerichtshofs im Urteil vom 4. Mai 2016, Philip Morris Brands u. a. (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A325&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑547/14</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A325&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2016:325</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A325&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point141" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">141</a>), dass das Verbot von Elementen oder Merkmalen, die sich auf eventuelle Aromastoffe beziehen, unabhängig davon gilt, ob die fraglichen Informationen inhaltlich zutreffen, davon auszugehen, dass sich dieses Verbot auch auf nicht werbliche Informationen unter Angabe der Inhaltsstoffe bezieht, deren Verwendung die Richtlinie 2014/40 erlaubt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point90">90</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Folglich ist Art. 13 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 3 der Richtlinie 2014/40 dahin auszulegen, dass er den Mitgliedstaaten aufgibt, die Verwendung auf den Geschmack, Geruch, Aroma- oder sonstige Zusatzstoffe bezogener Informationen auch dann zu verbieten, wenn es sich um nicht werbliche Informationen handelt und die Verwendung der betreffenden Inhaltsstoffe weiterhin erlaubt ist.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="title-grseq-3">
<span class="italic">Zu Buchst. b der dritten Frage</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point91">91</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit Buchst. b der dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 13 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2014/40 aufgrund der darin vorgesehenen erheblichen Beschränkungen der Verwendung von Markennamen gegen Art. 17 der Charta verstößt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point92">92</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Das in Art. 17 der Charta verankerte Eigentumsrecht erstreckt sich nach Art. 17 Abs. 2 auch auf das geistige Eigentum.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point93">93</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Durch das Verbot, auf der Kennzeichnung der Packung und der Außenverpackung sowie dem Tabakerzeugnis selbst Markennamen anzugeben, die sich auf eventuelle Aromastoffe beziehen, beschränkt Art. 13 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2014/40 in Verbindung mit deren Art. 13 Abs. 3 die Verwendung dieser Marken.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point94">94</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Das Eigentumsrecht ist jedoch nicht schrankenlos gewährleistet, sondern muss im Hinblick auf seine gesellschaftliche Funktion gesehen werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Januar 2013, Križan u. a., <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A8&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑416/10</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A8&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2013:8</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A8&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point113" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">113</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point95">95</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Diese Erwägung spiegelt sich vor allem darin wider, auf welche Weise nach Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu handhaben ist (Urteil vom 22. Januar 2013, Sky Österreich, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A28&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑283/11</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A28&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2013:28</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A28&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point47" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">47</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point96">96</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach der letztgenannten Bestimmung muss jede Einschränkung der Ausübung der in der Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein, deren Wesensgehalt achten, unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sein und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen (Urteil vom 4. Mai 2016, Pillbox 38, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A324&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑477/14</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A324&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2016:324</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2016%3A324&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point160" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">160</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point97">97</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Beschränkung der Verwendung von Markennamen in der Richtlinie 2014/40 festgelegt worden ist und dass sie nur die Verwendung der Marken durch die Hersteller auf der Kennzeichnung der Packung und der Außenverpackung sowie dem Tabakerzeugnis selbst betrifft und ihr Markenrecht somit nicht in seinem Wesensgehalt antastet. Dies soll einen erhöhten Schutz der Gesundheit bei der Beseitigung der Hemmnisse gewährleisten, die sich aus den nationalen Etikettierungsvorschriften ergeben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Dezember 2002, British American Tobacco [Investments] und Imperial Tobacco, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2002%3A741&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑491/01</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2002%3A741&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2002:741</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2002%3A741&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point150" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">150</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point98">98</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die Richtlinie 2014/40 lässt nämlich die Freiheit der Inhaber der unter ihren Art. 13 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 3 fallenden Markennamen unberührt, sie in jeder anderen als der von diesen Bestimmungen erfassten Weise zu nutzen, etwa beim Großhandelsverkauf. Folglich kommt die in Rn. 93 des vorliegenden Urteils angesprochene Beschränkung der Verwendung von Markennamen nicht einem Entzug des Eigentums gleich.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point99">99</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Außerdem ist, da Tabakerzeugnisse, die ein charakteristisches Aroma haben, nach den Angaben im 16. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/40 den Einstieg in den Tabakkonsum erleichtern oder die Konsumgewohnheiten beeinflussen, das Verbot, auf der Kennzeichnung der Packung und der Außenverpackung sowie dem Tabakerzeugnis selbst Marken anzubringen, die sich auf einen Aromastoff beziehen, geeignet, ihre Anziehungskraft zu verringern, und entspricht den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen, indem es dazu beiträgt, einen hohen Schutz der öffentlichen Gesundheit zu gewährleisten.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point100">100</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Folglich hat die Prüfung der dritten Frage nichts ergeben, was die Gültigkeit von Art. 13 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 3 der Richtlinie 2014/40 berühren könnte.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Kosten</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point101">101</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top"> </td>
<td valign="top">
<p class="normal">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top"> </td>
<td valign="top">
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count bold">
<span class="bold">1.</span>
</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">
<span class="bold">Die Prüfung der ersten Vorlagefrage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit von Art. 7 Abs. 1, 7 und 14 der Richtlinie 2014/40/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/37/EG berühren könnte.</span>
</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top"> </td>
<td valign="top">
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count bold">
<span class="bold">2.</span>
</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">
<span class="bold">Art. 7 Abs. 14 der Richtlinie 2014/40 ist dahin auszulegen, dass der Begriff „Erzeugniskategorie“ im Sinne dieser Bestimmung Zigaretten und Tabak zum Selbstdrehen erfasst und dass das Verfahren, um festzustellen, ob ein bestimmtes Tabakerzeugnis die in dieser Bestimmung vorgesehene 3%-Grenze erreicht, im nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaats zu regeln ist.</span>
</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top"> </td>
<td valign="top">
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count bold">
<span class="bold">3.</span>
</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">
<span class="bold">Die Art. 8 bis 11 der Richtlinie 2014/40 sind dahin auszulegen, dass sie es den Mitgliedstaaten nicht gestatten, ergänzende Übergangsfristen neben den in den Art. 29 und 30 der Richtlinie vorgesehenen Fristen festzulegen.</span>
</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top"> </td>
<td valign="top">
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count bold">
<span class="bold">4.</span>
</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">
<span class="bold">Die Prüfung der zweiten Vorlagefrage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit von Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2, Abs. 4 Buchst. a Satz 2 und Abs. 6, von Art. 10 Abs. 1 Buchst. b, e und f sowie von Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2014/40 berühren könnte.</span>
</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top"> </td>
<td valign="top">
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count bold">
<span class="bold">5.</span>
</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">
<span class="bold">Art. 13 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 3 der Richtlinie 2014/40 ist dahin auszulegen, dass er den Mitgliedstaaten aufgibt, die Verwendung auf den Geschmack, Geruch, Aroma- oder sonstige Zusatzstoffe bezogener Informationen auch dann zu verbieten, wenn es sich um nicht werbliche Informationen handelt und die Verwendung der betreffenden Inhaltsstoffe weiterhin erlaubt ist.</span>
</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top"> </td>
<td valign="top">
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count bold">
<span class="bold">6.</span>
</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">
<span class="bold">Die Prüfung der dritten Vorlagefrage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit von Art. 13 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 3 der Richtlinie 2014/40 berühren könnte.</span>
</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tbody>
<tr>
<td> </td>
<td>
<div class="signaturecase">
<div class="signaturecaserow">
<div class="signatory3left">
<p class="normal">Silva de Lapuerta</p>
</div>
<div class="signatorycenter">
<p class="normal">Arabadjiev</p>
</div>
<div class="signatory3right">
<p class="normal">Regan</p>
</div>
</div>
<div class="signaturecaserow">
<div class="signatory2left">
<p class="normal">Fernlund</p>
</div>
<div class="signatory2right">
<p class="normal">Rodin</p>
</div>
</div>
<p class="normal">Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 30. Januar 2019.</p>
<div class="signaturecaserow">
<div class="signatory2left">
<p class="normal">Der Kanzler</p>
<p class="normal">A. Calot Escobar</p>
</div>
<div class="signatory2right">
<p class="normal">Der Präsident</p>
<p class="normal">K. Lenaerts</p>
</div>
</div>
</div>
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<hr class="note"/>
<p class="note">(<span class="note">
<a id="t-ECR_62017CJ0220_DE_01-E0001" href="#c-ECR_62017CJ0220_DE_01-E0001">*1</a>
</span>) Verfahrenssprache: Deutsch.</p>
|
175,013 | eugh-2019-01-30-t-29017 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | T-290/17 | 2019-01-30T00:00:00 | 2019-01-31T19:20:42 | 2019-01-31T19:20:42 | Urteil | ECLI:EU:T:2019:37 | <p>Vorläufige Fassung</p>
<p class="C19Centre">URTEIL DES GERICHTS (Sechste Kammer)</p>
<p class="C19Centre">30. Januar 2019(<a href="#Footnote*" name="Footref*">*</a>)</p>
<p class="C71Indicateur">„Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in der Ukraine – Einfrieren von Geldern – Liste der Personen, Organisationen und Einrichtungen, deren Gelder und wirtschaftliche Ressourcen eingefroren werden – Beibehaltung des Namens des Klägers auf der Liste – Begründungspflicht – Einrede der Rechtswidrigkeit – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – Rechtsgrundlage – Offensichtlicher Beurteilungsfehler – Grundsatz ne bis in idem“</p>
<p class="C02AlineaAltA">In der Rechtssache T‑290/17</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Edward Stavytskyi,</b> wohnhaft in Brüssel (Belgien), Prozessbevollmächtigte: J. Grayston, Solicitor, sowie Rechtsanwälte P. Gjørtler, G. Pandey und D. Rovetta,</p>
<p class="C72Alineadroite">Kläger,</p>
<p class="C19Centre">gegen</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Rat der Europäischen Union,</b> vertreten durch V. Piessevaux und J.‑P. Hix als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C72Alineadroite">Beklagter,</p>
<p class="C02AlineaAltA">unterstützt durch</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Europäische Kommission,</b> vertreten durch E. Paasivirta und L. Baumgart als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C72Alineadroite">Streithelferin,</p>
<p class="C02AlineaAltA">betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Beschlusses (GASP) 2017/381 des Rates vom 3. März 2017 zur Änderung des Beschlusses 2014/119/GASP über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine (ABl. 2017, L 58, S. 34) und der Durchführungsverordnung (EU) 2017/374 des Rates vom 3. März 2017 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 208/2014 über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine (ABl. 2017, L 58, S. 1), soweit der Name des Klägers auf der Liste der Personen, Organisationen und Einrichtungen belassen wurde, gegen die sich diese restriktiven Maßnahmen richten,</p>
<p class="C02AlineaAltA">erlässt</p>
<p class="C19Centre">DAS GERICHT (Sechste Kammer)</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Mitwirkung des Präsidenten G. Berardis (Berichterstatter) sowie der Richter D. Spielmann und Z. Csehi,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Kanzler: P. Cullen, Verwaltungsrat,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. September 2018</p>
<p class="C02AlineaAltA">folgendes</p>
<p class="C75Debutdesmotifs">
<b>Urteil</b>
</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Dem Rechtsstreit zugrunde liegender Sachverhalt</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point1">1</a>        Der Kläger, Herr Edward Stavytskyi, ist ein ehemaliger Minister für Energie und Kohleindustrie der Ukraine.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point2">2</a>        Am 5. März 2014 erließ der Rat der Europäischen Union auf der Grundlage von Art. 29 EUV den Beschluss 2014/119/GASP über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine (ABl. 2014, L 66, S. 26).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point3">3</a>        In den Erwägungsgründen 1 und 2 des Beschlusses 2014/119 heißt es:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">„(1)      Der Rat hat am 20. Februar 2014 jede Gewaltanwendung in der Ukraine auf das Schärfste verurteilt. Er forderte die sofortige Beendigung der Gewalt in der Ukraine und die uneingeschränkte Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten. Er rief die Regierung der Ukraine zu größter Zurückhaltung auf und appellierte an die Oppositionsführer, sich von denjenigen zu distanzieren, die zu radikalen Handlungen, einschließlich Gewaltanwendung, übergehen.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">„(2) Der Rat hat am 3. März 2014 beschlossen, im Hinblick auf die Stärkung und Unterstützung der Rechtsstaatlichkeit sowie die Achtung der Menschenrechte in der Ukraine restriktive Maßnahmen für das Einfrieren und die Einziehung von Vermögenswerten auf Personen, die als für die Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte der Ukraine verantwortlich identifiziert wurden, sowie auf für Menschenrechtsverletzungen verantwortliche Personen zu konzentrieren.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point4">4</a>        Art. 1 Abs. 1 und 2 des Beschlusses 2014/119 bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die im Besitz oder im Eigentum der Personen, die als für die Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte der Ukraine verantwortlich identifiziert wurden, sowie der für Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine verantwortlichen Personen und der mit ihnen verbundenen, in der Liste im Anhang aufgeführten, natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen stehen oder von diesen gehalten oder kontrolliert werden, werden eingefroren.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Den im Anhang aufgeführten natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen dürfen weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugutekommen.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point5">5</a>        Die Modalitäten dieser restriktiven Maßnahmen werden in den weiteren Absätzen dieses Artikels festgelegt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point6">6</a>        Am 5. März 2014 erließ der Rat außerdem auf der Grundlage von Art. 215 Abs. 2 AEUV die Verordnung (EU) Nr. 208/2014 über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine (ABl. 2014, L 66, S. 1).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point7">7</a>        Dem Beschluss 2014/119 entsprechend schreibt die Verordnung Nr. 208/2014 den Erlass der betreffenden restriktiven Maßnahmen vor und legt deren Modalitäten mit im Wesentlichen demselben Wortlaut wie der Beschluss 2014/119 fest.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point8">8</a>        Die Namen der von dem Beschluss 2014/119 und der Verordnung Nr. 208/2014 betroffenen Personen sind in einer Liste im Anhang des Beschlusses und in Anhang I der Verordnung (im Folgenden: streitige Liste) u. a. mit der Begründung für ihre Aufnahme verzeichnet. Der Name des Klägers stand nicht auf der streitigen Liste.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point9">9</a>        Der Beschluss 2014/119 und die Verordnung Nr. 208/2014 wurden mit dem Durchführungsbeschluss 2014/216/GASP des Rates vom 14. April 2014 zur Durchführung des Beschlusses 2014/119 (ABl. 2014, L 111, S. 91) bzw. mit der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 381/2014 des Rates vom 14. April 2014 zur Durchführung der Verordnung Nr. 208/2014 (ABl. 2014, L 111, S. 33) (im Folgenden: Rechtsakte vom April 2014) geändert.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point10">10</a>      Mit den Rechtsakten vom April 2014 wurde der Name des Klägers mit den Identifizierungsinformationen „ehemaliger Minister für Energie und Kohleindustrie der Ukraine“ und mit folgender Begründung in die Liste aufgenommen:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Person ist in der Ukraine Gegenstand von Ermittlungen wegen der Beteiligung an Straftaten im Zusammenhang mit der Veruntreuung öffentlicher Gelder der Ukraine und des illegalen Transfers dieser Gelder in das Ausland.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point11">11</a>      Mit Klageschrift, die am 25. Juni 2014 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob der Kläger Klage auf Nichtigerklärung der Rechtsakte vom April 2014, soweit sie ihn betrafen. Diese Klage wurde unter dem Aktenzeichen T‑486/14 in das Register eingetragen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point12">12</a>      Der Beschluss 2014/119 wurde außerdem durch den am 31. Januar 2015 in Kraft getretenen Beschluss (GASP) 2015/143 des Rates vom 29. Januar 2015 (ABl. 2015, L 24, S. 16) geändert. Was die Benennungskriterien für die von den in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen erfassten Personen angeht, ergibt sich aus Art. 1 des Beschlusses 2015/143, dass Art. 1 Abs. 1 des Beschlusses 2014/119 folgende Fassung erhielt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die im Besitz oder im Eigentum der Personen, die als für die Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte der Ukraine verantwortlich identifiziert wurden, sowie der für Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine verantwortlichen Personen und der mit ihnen verbundenen, in der Liste im Anhang aufgeführten, natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen stehen oder von diesen gehalten oder kontrolliert werden, werden eingefroren.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Für die Zwecke dieses Beschlusses zählen zu Personen, die als für die Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte der Ukraine verantwortlich erklärt wurden, Personen, die Gegenstand von Untersuchungen der ukrainischen Behörden sind </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder oder Vermögenswerte der Ukraine oder wegen Beihilfe hierzu oder </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      wegen Amtsmissbrauchs als Inhaber eines öffentlichen Amtes, um sich selbst oder einer dritten Partei einen ungerechtfertigten Vorteil zu verschaffen und wodurch ein Verlust staatlicher Gelder oder Vermögenswerte der Ukraine verursacht wird, oder wegen Beihilfe hierzu.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point13">13</a>      Mit der Verordnung (EU) 2015/138 des Rates vom 29. Januar 2015 zur Änderung der Verordnung Nr. 208/2014 (ABl. 2015, L 24, S. 1) wurde diese entsprechend dem Beschluss 2015/143 geändert.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point14">14</a>      Der Beschluss 2014/119 und die Verordnung Nr. 208/2014 wurden später mit dem Beschluss (GASP) 2015/364 des Rates vom 5. März 2015 zur Änderung des Beschlusses 2014/119 (ABl. 2015, L 62, S. 25) und der Durchführungsverordnung (EU) 2015/357 des Rates vom 5. März 2015 zur Durchführung der Verordnung Nr. 208/2014 (ABl. 2015, L 62, S. 1) überarbeitet. Durch den Beschluss 2015/364 erhielt Art. 5 des Beschlusses 2014/119 eine neue Fassung, mit der die in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen bis zum 6. März 2016 verlängert wurden. Mit der Durchführungsverordnung 2015/357 erhielt Anhang I der Verordnung Nr. 208/2014 eine neue Fassung, mit der die Einträge zu 18 Personen geändert wurden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point15">15</a>      Mit dem Beschluss 2015/364 und der Durchführungsverordnung 2015/357 wurde der Name des Klägers mit den Identifizierungsinformationen „ehemaliger Minister für Energie und Kohleindustrie der Ukraine“ und mit folgender Begründung auf der streitigen Liste belassen:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Person ist Gegenstand strafrechtlicher Verfolgung seitens der ukrainischen Behörden wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder oder Vermögenswerte.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point16">16</a>      Der Kläger erhob gegen den Beschluss 2015/364 und die Durchführungsverordnung 2015/357 keine Klage.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point17">17</a>      Mit Urteil vom 28. Januar 2016, Stavytskyi/Rat (T‑486/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:45), erklärte das Gericht die Rechtsakte vom April 2014 für nichtig und stellte insoweit im Wesentlichen fest, dass der Name des Klägers in die streitige Liste aufgenommen worden sei, ohne dass der Rat über hinreichende Beweise verfügt habe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point18">18</a>      Am 4. März 2016 erließ der Rat den Beschluss (GASP) 2016/318 zur Änderung des Beschlusses 2014/119 (ABl. 2016, L 60, S. 76) und die Durchführungsverordnung (EU) 2016/311 zur Durchführung der Verordnung Nr. 208/2014 (ABl. 2016, L 60, S. 1), mit denen er die Anwendung der betreffenden restriktiven Maßnahmen bis zum 6. März 2017 verlängerte, ohne die in der vorstehenden Rn. 15 wiedergegebene Begründung in Bezug auf den Kläger zu ändern.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point19">19</a>      Mit Klageschrift, die am 17. Mai 2016 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob der Kläger Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses 2016/318 und der Durchführungsverordnung 2016/311, soweit sie ihn betrafen. Diese Klage wurde unter dem Aktenzeichen T‑242/16 in das Register eingetragen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point20">20</a>      Mit Schreiben vom 21. Oktober 2016 machte der Kläger den Rat darauf aufmerksam, dass dieser durch angeblich falsche Angaben der Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine (im Folgenden: Generalstaatsanwaltschaft) irregeleitet worden sei, und beantragte Zugang zu bestimmten Dokumenten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point21">21</a>      Als Antwort darauf teilte der Rat dem Kläger mit Schreiben vom 12. Dezember 2016 erstens mit, dass er beabsichtige, die restriktiven Maßnahmen gegen ihn aufrechtzuerhalten. Zweitens bemerkte der Rat, dass die Generalstaatsanwaltschaft mit Schreiben vom 25. Juli und 16. November 2016 bestätigt habe, dass gegen den Kläger ein Strafverfahren wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder anhängig sei. Drittens legte der Rat seinem Schreiben diese Dokumente bei sowie ein weiteres Dokument vom 18. November 2016, das Fragen des Rates an die Generalstaatsanwaltschaft und deren Antworten enthält (im Folgenden: Antworten der Generalstaatsanwaltschaft). Viertens forderte der Rat den Kläger auf, seine eventuelle Stellungnahme bis zum 13. Januar 2017 einzureichen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point22">22</a>      Mit Schreiben vom 13. Januar 2017 machte der Kläger beim Rat u. a. geltend, dass die Generalstaatsanwaltschaft das betreffende Strafverfahren allein zu dem Zweck, damit es weiter anhängig bleibe, manipuliert habe und der von diesem Verfahren betroffene Sachverhalt bereits von anderen ukrainischen Behörden, einschließlich der Justiz, untersucht worden sei, die dabei keine Rechtsverstöße festgestellt hätten. Der Kläger wies außerdem darauf hin, dass er bei der Kommission für die Kontrolle der Dateien der Internationalen kriminalpolizeilichen Organisation (Interpol) beantragt habe, seinen Namen von der Liste der international gesuchten Personen zu streichen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point23">23</a>      Mit Schreiben vom 6. Februar 2017 übermittelte der Rat dem Kläger einige Dokumente, die er von den ukrainischen Behörden erhalten hatte, nämlich ein Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft vom 27. Januar 2017 und mehrere Entscheidungen ukrainischer Gerichte, und ersuchte den Kläger, hierzu bis zum 13. Februar 2017 Stellung zu nehmen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point24">24</a>      Mit Schreiben vom 13. Februar 2017 antwortete der Kläger auf dieses Ersuchen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point25">25</a>      Am 3. März 2017 erließ der Rat den Beschluss (GASP) 2017/381 zur Änderung des Beschlusses 2014/119 (ABl. 2017, L 58, S. 34) und die Durchführungsverordnung (EU) 2017/374 zur Durchführung der Verordnung Nr. 208/2014 (ABl. 2017, L 58, S. 1) (im Folgenden: angefochtene Rechtsakte), mit denen er die Anwendung der in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen bis zum 6. März 2018 verlängerte, ohne die oben in Rn. 15 wiedergegebene Begründung in Bezug auf den Kläger zu ändern.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point26">26</a>      Mit Schreiben vom 6. März 2017 übermittelte der Rat dem Kläger die angefochtenen Rechtsakte und beantwortete gleichzeitig dessen Schreiben vom 13. Januar und 13. Februar 2017.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point27">27</a>      Mit Urteil vom 22. März 2018, Stavytskyi/Rat (T‑242/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:166), wies das Gericht die oben in Rn. 19 erwähnte Klage des Klägers ab.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Verfahren und Anträge der Parteien</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point28">28</a>      Mit Klageschrift, die am 16. Mai 2017 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point29">29</a>      Am 28. Juli 2017 hat der Rat die Klagebeantwortung eingereicht und anschließend am 3. August 2017 einen begründeten Antrag nach Art. 66 der Verfahrensordnung des Gerichts, den Inhalt bestimmter Anlagen zur Klageschrift und zur Klagebeantwortung in den öffentlich zugänglichen Unterlagen der vorliegenden Rechtssache nicht zu zitieren.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point30">30</a>      Am 5. September 2017 hat die Europäische Kommission beantragt, im vorliegenden Verfahren als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge des Rates zugelassen zu werden. Mit Entscheidung vom 21. September 2017 hat der Präsident der Sechsten Kammer des Gerichts diesem Antrag nach Art. 144 Abs. 4 der Verfahrensordnung stattgegeben, nachdem die Hauptparteien keine Vertraulichkeitsgesichtspunkte geltend gemacht hatten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point31">31</a>      Das schriftliche Verfahren ist nach der Einreichung der Erwiderung, der Gegenerwiderung, des Streithilfeschriftsatzes und der Stellungnahmen der Hauptparteien hierzu am 19. Dezember 2017 abgeschlossen worden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point32">32</a>      Mit am 17. Januar 2018 bei der Kanzlei eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger nach Art. 106 Abs. 1 und 2 der Verfahrensordnung die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point33">33</a>      Auf Vorschlag des Berichterstatters hat das Gericht (Sechste Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point34">34</a>      In der Sitzung vom 12. September 2018 haben die Hauptparteien mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet; die Kommission hat an dieser Sitzung nicht teilgenommen, worüber sie das Gericht mit Schreiben vom 16. August 2018 unterrichtet hatte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point35">35</a>      Der Kläger beantragt, </p>
<p class="C03Tiretlong">–        die angefochtenen Rechtsakte für nichtig zu erklären, soweit mit ihnen sein Name auf der streitigen Liste belassen wurde;</p>
<p class="C03Tiretlong">–        dem Rat die Kosten aufzuerlegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point36">36</a>      Der Rat beantragt,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        die Klage abzuweisen;</p>
<p class="C03Tiretlong">–        hilfsweise, für den Fall der Nichtigerklärung der angefochtenen Rechtsakte, gemäß Art. 60 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union die Wirkungen des Beschlusses 2017/381 bis zum Wirksamwerden der Nichtigerklärung der Durchführungsverordnung 2017/374 aufrechtzuerhalten;</p>
<p class="C03Tiretlong">–        dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point37">37</a>      Die Kommission beantragt, die Klage abzuweisen.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Rechtliche Würdigung</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point38">38</a>      Der Kläger macht vier Klagegründe geltend: erstens die Rechtswidrigkeit des in Art. 1 Abs. 1 des Beschlusses 2014/119 in der durch den Beschluss 2015/143 geänderten Fassung und in Art. 3 Abs. 1a der Verordnung Nr. 208/2014 in der durch die Verordnung 2015/138 geänderten Fassung vorgesehenen Benennungskriteriums (im Folgenden: maßgebliches Kriterium), zweitens einen offensichtlichen Beurteilungsfehler, da der Umstand, dass gegen ihn ein Strafverfahren vor den ukrainischen Behörden anhängig sei, keine hinreichende Tatsachengrundlage darstelle, drittens einen Verstoß gegen die Begründungspflicht und viertens einen Irrtum über die Rechtsgrundlage, da die ihn betreffenden restriktiven Maßnahmen nicht der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), sondern der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen zuzurechnen seien.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point39">39</a>      Da einige Argumente, die bei verschiedenen Klagegründen vorgebracht werden, miteinander zusammenhängen, ist davon auszugehen, dass der Kläger sinngemäß erstens einen Verstoß gegen die Begründungspflicht, zweitens die Rechtswidrigkeit des maßgeblichen Kriteriums, dessen Unverhältnismäßigkeit und das Fehlen einer Rechtsgrundlage für dieses und drittens offensichtliche Beurteilungsfehler bei der Anwendung dieses Kriteriums auf seinen Fall geltend macht.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zum Verstoß gegen die Begründungspflicht</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point40">40</a>      Der Kläger macht zum einen geltend, dass die Begründung dafür, dass sein Namen durch die angefochtenen Rechtsakte auf der Liste belassen worden sei, die mit der oben in Rn. 15 wiedergegebenen übereinstimmt, allgemein und stereotyp sei, da sie sich auf eine Wiederholung der bei der Definition des maßgeblichen Kriteriums verwendeten Formulierung beschränke.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point41">41</a>      Zum anderen vertritt der Kläger die Auffassung, dass der Rat diese Begründung nicht durch die Angaben vervollständigen dürfe, die in den Schreiben enthalten seien, die er ihm im Lauf des Verfahrens übermittelt habe, das zum Erlass der angefochtenen Rechtsakte geführt habe (siehe oben, Rn. 21, 23 und 26), da ein Rechtsakt selbst eine hinreichende Begründung enthalten müsse. Jedenfalls stellten die sich aus den betreffenden Schreiben ergebenden ergänzenden Angaben keine hinreichende Begründung dar.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point42">42</a>      Der Rat tritt, unterstützt von der Kommission, dem Vorbringen des Klägers entgegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point43">43</a>      Nach Art. 296 Abs. 2 AEUV sind „[d]ie Rechtsakte … mit einer Begründung zu versehen“.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point44">44</a>      Gemäß Art. 41 Abs. 2 Buchst. c der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), der Art. 6 Abs. 1 EUV den gleichen rechtlichen Rang wie den Verträgen zuerkennt, umfasst das Recht auf eine gute Verwaltung insbesondere „die Verpflichtung der Verwaltung, ihre Entscheidungen zu begründen“.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point45">45</a>      Nach ständiger Rechtsprechung muss die nach Art. 296 AEUV und Art. 41 Abs. 2 Buchst. c der Charta vorgeschriebene Begründung der Natur des angefochtenen Rechtsakts und dem Kontext, in dem er erlassen worden ist, angepasst sein. Sie muss die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass der Betroffene ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen kann und das zuständige Gericht seine Kontrolle durchführen kann. Das Begründungserfordernis ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. Urteil vom 15. September 2016, Yanukovych/Rat, T‑346/14, EU:T:2016:497, Rn. 77 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point46">46</a>      In der Begründung eines Rechtsakts brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung den Erfordernissen von Art. 296 Abs. 2 AEUV und Art. 41 Abs. 2 Buchst. c der Charta genügt, nicht nur im Hinblick auf den Wortlaut des Rechtsakts zu beurteilen ist, sondern auch im Hinblick auf dessen Kontext und sämtliche Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet. Somit ist ein beschwerender Rechtsakt hinreichend begründet, wenn er in einem Zusammenhang ergangen ist, der dem Betroffenen bekannt war und ihm gestattet, die Tragweite der ihm gegenüber getroffenen Maßnahme zu verstehen. Ferner müssen die Anforderungen an die Genauigkeit, die an die Begründung eines Rechtsakts zu stellen sind, den tatsächlichen Möglichkeiten sowie den technischen und zeitlichen Bedingungen angepasst werden, unter denen der Rechtsakt ergeht (vgl. Urteil vom 15. September 2016, Yanukovych/Rat, T‑346/14, EU:T:2016:497, Rn. 78 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point47">47</a>      Insbesondere darf die Begründung für das Einfrieren von Geldern grundsätzlich nicht nur aus einer allgemeinen und stereotypen Formulierung bestehen. Sie muss vielmehr unter den in der vorstehenden Rn. 46 gemachten Einschränkungen die spezifischen und konkreten Gründe enthalten, die den Rat zu der Annahme veranlasst haben, dass die einschlägigen Bestimmungen auf den Betroffenen anwendbar sind (vgl. Urteil vom 15. September 2016, Yanukovych/Rat, T‑346/14, EU:T:2016:497, Rn. 79 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point48">48</a>      Vorliegend ist festzustellen, dass die Begründung für die Beibehaltung des Namens des Klägers auf der streitigen Liste (siehe oben, Rn. 15) spezifisch und konkret ist und die Anhaltspunkte genannt werden, die der Beibehaltung zugrunde liegen, nämlich der Umstand, dass der Kläger Gegenstand strafrechtlicher Verfolgung seitens der ukrainischen Behörden wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder oder Vermögenswerte ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point49">49</a>      Zudem fand die Aufrechterhaltung der restriktiven Maßnahmen gegenüber dem Kläger in einem Kontext statt, der diesem bekannt war; der Kläger war im Laufe des Schriftwechsels mit dem Rat u. a. über die Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft vom 25. Juli 2016, 16. November 2016 und 27. Januar 2017 sowie deren Antworten informiert worden (siehe oben, Rn. 21 und 23), auf die der Rat die Aufrechterhaltung dieser Maßnahmen gestützt hat (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteile vom 15. November 2012, Rat/Bamba, C‑417/11 P, EU:C:2012:718, Rn. 53 und 54 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 6. September 2013, Bank Melli Iran/Rat, T‑35/10 und T‑7/11, EU:T:2013:397, Rn. 88). In diesen Schreiben sind der Name der mit den Ermittlungen betrauten Behörde, das Aktenzeichen der u. a. gegen den Kläger eingeleiteten Strafverfahren und das Datum ihrer Eröffnung, der dem Kläger zur Last gelegte Sachverhalt, die Namen der anderen betroffenen Personen und Einrichtungen, die Höhe der mutmaßlich veruntreuten öffentlichen Gelder, die einschlägigen Artikel des ukrainischen Strafgesetzbuchs sowie der Umstand erwähnt, dass der Kläger schriftlich darüber informiert worden sei, dass er verdächtigt werde. Insbesondere im Schreiben vom 25. Juli 2016 wird klargestellt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">[<i>vertraulich</i>](<a href="#Footnote1" name="Footref1">1</a>).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point50">50</a>      Im Schreiben vom 12. Dezember 2016 hat der Rat klar darauf hingewiesen, dass das Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft vom 25. Juli 2016, wie es durch das Schreiben vom 25. November 2016 bestätigt worden sei, einschlägige Informationen enthalte, aus denen sich ableiten lasse, dass gegen den Kläger weiterhin ein Strafverfahren wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder oder Vermögenswerte anhängig sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point51">51</a>      Im Übrigen sind die angefochtenen Rechtsakte in einem Kontext ergangen, zu dem auch der Schriftwechsel zwischen dem Kläger und dem Rat im Rahmen der Rechtssachen gehört, in denen die Urteile vom 28. Januar 2016 Stavytskyi/Rat (T‑486/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:45), und vom 22. März 2018, Stavytskyi/Rat (T‑242/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:166), ergangen sind.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point52">52</a>      Der Kläger hat all diese Informationen vor dem Erlass der angefochtenen Rechtsakte erhalten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point53">53</a>      Das Schreiben vom 6. März 2017 datiert zwar nach dem Erlass der angefochtenen Rechtsakte; es beschränkt sich aber im Wesentlichen darauf, Gesichtspunkte, die in dem Schriftwechsel enthalten waren, den der Kläger und der Rat vor ihrem Erlass geführt hatten, sowie die Rechtsprechung des Gerichts anzuführen. Dieses Schreiben kann somit bei der Prüfung dieser Rechtsakte berücksichtigt werden (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil vom 15. Juni 2017, Kiselev/Rat, EU:T:2017:392, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung). Jedenfalls stimmt der Inhalt des Schreibens vom 6. März 2017 weitgehend mit dem der angefochtenen Rechtsakte und des vorherigen Schriftwechsels zwischen dem Rat und dem Kläger überein (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil vom 15. Juni 2017, Kiselev/Rat, EU:T:2017:392, Rn. 48 und 49).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point54">54</a>      In Anbetracht dessen ist festzustellen, dass in den angefochtenen Rechtsakten in ihrem Kontext betrachtet die tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte, auf die sie sich ihrem Urheber zufolge gründen, rechtlich hinreichend angegeben sind.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point55">55</a>      Diese Feststellung lässt sich nicht durch das Argument des Klägers in Zweifel ziehen, die ihn betreffende Begründung sei stereotyp.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point56">56</a>      Hierzu ist zu bemerken, dass in dieser Begründung zwar die gleichen Erwägungen angeführt werden wie die, auf die die restriktiven Maßnahmen gegen andere in die Liste aufgenommene natürliche Personen gestützt wurden, doch sollen diese Erwägungen die konkrete Situation des Klägers umreißen, gegen den, wie gegen andere, nach den Angaben des Rates gerichtliche Verfahren im Zusammenhang mit Ermittlungen wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder in der Ukraine anhängig waren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2016, Yanukovych/Rat, T‑256/14, EU:T:2016:497, Rn. 82 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point57">57</a>      Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Begründungspflicht um ein wesentliches Formerfordernis handelt, das von der Stichhaltigkeit der Gründe zu unterscheiden ist, die zur materiellen Rechtmäßigkeit des streitigen Rechtsakts gehört. Denn die Begründung eines Rechtsakts soll förmlich die Gründe zum Ausdruck bringen, auf denen dieser Rechtsakt beruht. Weisen die Gründe Fehler auf, so beeinträchtigen diese die materielle Rechtmäßigkeit des Rechtsakts, nicht aber dessen Begründung, die, obwohl sie fehlerhafte Gründe enthält, zureichend sein kann (vgl. Urteil vom 5. November 2014, Mayaleh/Rat, T‑307/12 und T‑408/13, EU:T:2014:926, Rn. 96 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point58">58</a>      Selbst wenn also der Rat – wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat – einer Pflicht zu gesteigerter Sorgfalt unterläge, wenn er nach mehreren Jahren restriktive Maßnahmen gegen ein und dieselbe Person aufrechterhält, hätte dieser Umstand keine Auswirkungen auf die Kontrolle, die das Gericht hinsichtlich der Begründung der angefochtenen Rechtsakte ausübt, während diese Pflicht eine strengere Kontrolle rechtfertigen könnte, was das Vorliegen eines offensichtlichen Beurteilungsfehlers betrifft.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point59">59</a>      In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen sind die auf einen Verstoß gegen die Begründungspflicht gerichteten Rügen des Klägers zurückzuweisen.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zum Klagegrund, das maßgebliche Kriterium sei rechtswidrig, unverhältnismäßig und es gebe keine Rechtsgrundlage hierfür </b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point60">60</a>      Der Kläger hält das maßgebliche Kriterium, wie es im Beschluss 2015/143 und in der Verordnung 2015/138 vorgesehen sei, für rechtswidrig, weil es gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoße und es im Rahmen der GASP an einer Rechtsgrundlage fehle, soweit es dahin ausgelegt werden könnte, dass es den Erlass restriktiver Maßnahmen gegen jede Person ermögliche, gegen die die ukrainischen Behörden wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder ermittelten, unabhängig davon, ob der der betreffenden Person zur Last gelegte Sachverhalt geeignet sei, die Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine und damit die rechtlichen und institutionellen Grundlagen dieses Landes zu beeinträchtigen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point61">61</a>      Sollte das maßgebliche Kriterium ermöglichen, allein auf Personen abzustellen, bei denen es um einen solchen Sachverhalt gehe, müsste der Rat selbst eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vornehmen. Nach der Rechtsprechung dürfe sich der Rat zwar grundsätzlich auf die Informationen stützen, die die Generalstaatsanwaltschaft ihm übermittle. Er werde dadurch jedoch nicht von der Pflicht entbunden, die Frage zu prüfen, ob diese Informationen für die Annahme ausreichten, dass der Sachverhalt, der der Person zur Last gelegt werde, gegen die ermittelt werde, geeignet sei, die Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine zu beeinträchtigen. Der Rat würde nur dann den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten, wenn er sich vergewissere, dass diese Frage bejaht werden könne. Anderenfalls könnten eventuelle Eingriffe der Unionsorgane im Zusammenhang mit in einem Drittstaat anhängigen Strafverfahren nicht mehr der GASP unterfallen, sondern der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen und der polizeilichen Zusammenarbeit. Um einen Verstoß gegen Art. 40 AEUV zu vermeiden, müssten sie daher auf anderen Rechtsgrundlagen erlassen werden als Art. 29 AEUV und Art. 215 AEUV, wobei ein Rückgriff auf den letztgenannten Artikel den vorherigen Erlass eines der GASP zuzuordnenden Beschlusses voraussetze.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point62">62</a>      Der Rat und die Kommission treten dem Vorbringen des Klägers entgegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point63">63</a>      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass sich die Parteien darüber einig sind, dass die Rechtsprechung anerkannt hat, dass es zulässig ist, restriktive Maßnahmen, die in Anwendung des maßgeblichen Kriteriums getroffen werden, auf der Grundlage von Art. 29 AEUV und Art. 215 AEUV zu erlassen, sofern der Sachverhalt der Veruntreuung öffentlicher Gelder oder Vermögenswerte, dessen die ins Auge gefassten Personen verdächtigt werden, in Anbetracht der Beträge, um die es geht, der Natur der veruntreuten Gelder oder Vermögenswerte oder der Tatumstände geeignet ist, die institutionellen und rechtlichen Grundlagen des betreffenden Landes zu beeinträchtigen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point64">64</a>      Die die GASP betreffenden Ziele des EU-Vertrags werden namentlich in Art. 21 Abs. 2 Buchst. b EUV wie folgt beschrieben:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Union legt die gemeinsame Politik sowie Maßnahmen fest, führt diese durch und setzt sich für ein hohes Maß an Zusammenarbeit auf allen Gebieten der internationalen Beziehungen ein, um … Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, die Menschenrechte und die Grundsätze des Völkerrechts zu festigen und zu fördern“.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point65">65</a>      Dieses Ziel wird in dem oben in Rn. 3 zitierten zweiten Erwägungsgrund des Beschlusses 2014/119 erwähnt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point66">66</a>      Insoweit können der Rechtsprechung zufolge Ziele wie das in Art. 21 Abs. 2 Buchst. b EUV genannte durch das Einfrieren von Vermögenswerten erreicht werden, dessen Anwendungsbereich – wie hier – auf Personen beschränkt wird, die als für die Veruntreuung öffentlicher Vermögenswerte verantwortlich identifiziert wurden, sowie auf mit ihnen verbundene Personen, Organisationen und Einrichtungen, d. h. auf Personen, deren Handlungen das ordnungsgemäße Funktionieren der öffentlichen Einrichtungen und der zu ihnen gehörenden Stellen beeinträchtigt haben können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2016, Yanukovych/Rat, T‑346/14, EU:T:2016:497, Rn. 95 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point67">67</a>      Die Achtung der Rechtsstaatlichkeit ist zudem, wie sich aus Art. 2 EUV und aus den Präambeln des EU-Vertrags und der Charta ergibt, einer der grundlegenden Werte, auf denen die Union beruht. Sie ist darüber hinaus nach Art. 49 EUV eine Voraussetzung für den Beitritt zur Union. Der Begriff der Rechtsstaatlichkeit findet sich im Übrigen auch in der Präambel der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Urteil vom 15. September 2016, Yanukovych/Rat, T‑346/14, EU:T:2016:497, Rn. 97).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point68">68</a>      In der Rechtsprechung des Gerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie in den Arbeiten der Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht, einer Einrichtung des Europarats, findet sich eine nicht erschöpfende Aufzählung der Grundsätze und Normen, die die Rechtsstaatlichkeit ausmachen. Dazu gehören die Grundsätze der Rechtmäßigkeit, der Rechtssicherheit und des Verbots der Willkür der Exekutive; unabhängige und unparteiische Gerichte, eine wirksame gerichtliche Kontrolle einschließlich der Wahrung der Grundrechte sowie die Gleichheit vor dem Gesetz (vgl. dazu die Liste der Kriterien der Rechtsstaatlichkeit, die die Europäische Kommission für Demokratie durch Recht in ihrer 106. Vollsitzung am 11./12. März 2016 in Venedig verabschiedet hat). Ferner wird in bestimmten Rechtsakten im Zusammenhang mit dem auswärtigen Handeln der Union u. a. die Bekämpfung der Korruption als ein der Rechtsstaatlichkeit innewohnender Grundsatz genannt (vgl. z. B. die Verordnung [EG] Nr. 1638/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 2006 zur Festlegung allgemeiner Bestimmungen zur Schaffung eines Europäischen Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstruments [ABl. 2006, L 310, S. 1]) (Urteil vom 15. September 2016, Yanukovych/Rat, T‑346/14, EU:T:2016:497, Rn. 98).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point69">69</a>      Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die Verfolgung von Wirtschaftsverbrechen wie der Veruntreuung öffentlicher Gelder ein wesentliches Mittel zur Bekämpfung der Korruption ist und dass die Bekämpfung der Korruption im Zusammenhang mit dem auswärtigen Handeln der Union einen der Rechtsstaatlichkeit innewohnenden Grundsatz darstellt (Urteil vom 15. September 2016, Yanukovych/Rat, T‑346/14, EU:T:2016:497, Rn. 141).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point70">70</a>      Allerdings lässt sich zwar nicht ausschließen, dass bestimmte Handlungen, die die Veruntreuung öffentlicher Gelder betreffen, geeignet sind, die Rechtsstaatlichkeit zu beeinträchtigen; es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass jede in einem Drittland begangene Veruntreuung öffentlicher Gelder ein Eingreifen der Union im Rahmen ihrer Zuständigkeiten im Bereich der GASP mit dem Ziel einer Stärkung und Unterstützung der Rechtsstaatlichkeit in diesem Land rechtfertigt. Eine Veruntreuung öffentlicher Gelder kann ein Tätigwerden der Union im Rahmen der GASP mit dem Ziel der Stärkung und Unterstützung der Rechtsstaatlichkeit in diesem Land nur dann rechtfertigen, wenn die beanstandeten Handlungen geeignet sind, die institutionellen und rechtlichen Grundlagen des betreffenden Landes zu beeinträchtigen (Urteil vom 15. September 2016, Yanukovych/Rat, T‑346/14, EU:T:2016:497, Rn. 99).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point71">71</a>      Demzufolge ist das maßgebliche Kriterium nur insoweit als mit der Rechtsordnung der Union vereinbar anzusehen, als es so ausgelegt werden kann, dass es mit den Erfordernissen der von ihm zu beachtenden höherrangigen Normen, genauer mit dem Ziel der Stärkung und Unterstützung der Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine, in Einklang steht. Diese Auslegung ermöglicht es im Übrigen, dem weiten Ermessensspielraum Rechnung zu tragen, über den der Rat bei der Aufstellung der allgemeinen Aufnahmekriterien verfügt, und gewährleistet zugleich eine grundsätzlich umfassende Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Union im Hinblick auf die Grundrechte (vgl. Urteil vom 15. September 2016, Yanukovych/Rat, T‑346/14, EU:T:2016:497, Rn. 100 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point72">72</a>      Folglich ist das maßgebliche Kriterium dahin auszulegen, dass es nicht abstrakt jede Veruntreuung öffentlicher Gelder erfasst, sondern nur solche Veruntreuungen öffentlicher Gelder oder Vermögenswerte, die angesichts der Höhe oder der Natur der veruntreuten Gelder oder Vermögenswerte oder in Anbetracht der Tatumstände zumindest geeignet sind, die institutionellen und rechtlichen Grundlagen der Ukraine, namentlich die Grundsätze der Rechtmäßigkeit, des Verbots der Willkür der Exekutive, der wirksamen gerichtlichen Kontrolle und der Gleichheit vor dem Gesetz und letzten Endes die Achtung der Rechtsstaatlichkeit in diesem Land zu beeinträchtigen. So ausgelegt steht dieses Kriterium mit den einschlägigen Zielen des EU-Vertrags in Einklang und in einem angemessenen Verhältnis zu ihnen (Urteil vom 15. September 2016, Yanukovych/Rat, T‑346/14, EU:T:2016:497, Rn. 101).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point73">73</a>      In Anbetracht dieser Rechtsprechung, die von den Parteien nicht in Frage gestellt wird, ist festzustellen, dass das so ausgelegte maßgebliche Kriterium nicht rechtswidrig ist und mit den Rechtsakten, die sich auf Art. 29 AEUV und Art. 215 AEUV stützen, die somit geeignete Rechtsgrundlagen darstellen, eingeführt werden durfte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point74">74</a>      Daraus ergibt sich auch, dass der Rat dadurch, dass er das maßgebliche Kriterium eingeführt hat, nicht gegen Art. 40 Abs. 1 EUV verstoßen hat, wonach die Durchführung der GASP die Anwendung der Verfahren und den jeweiligen Umfang der Befugnisse der Organe, die in den Verträgen für die Ausübung der in den Art. 3 bis 6 AEUV aufgeführten Zuständigkeiten der Union vorgesehen sind, unberührt lässt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point75">75</a>      Schließlich ist die Generalstaatsanwaltschaft der Rechtsprechung zufolge eine der obersten Justizbehörden in der Ukraine, da sie in diesem Staat als öffentliche Anklagebehörde in Strafsachen fungiert und Voruntersuchungen im Rahmen von Strafverfahren durchführt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Oktober 2017, Yanukovych/Rat, C‑598/16 P, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:786, Rn. 53). Es ist außerdem bereits entschieden worden, dass von der Generalstaatsanwaltschaft stammende Beweise, sofern sie inhaltlich hinreichend konkret sind, den Erlass restriktiver Maßnahmen gegen Personen rechtfertigen können, gegen die Strafverfahren wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder anhängig sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2016, Yanukovych/Rat, T‑346/14, EU:T:2016:497, Rn. 139), was im Übrigen auch der Kläger einräumt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point76">76</a>      In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen sind sämtliche Rügen, mit denen der Kläger beanstandet, das maßgebliche Kriterium sei rechtswidrig, unverhältnismäßig und es gebe keine Rechtsgrundlage hierfür, zurückzuweisen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point77">77</a>      Zu prüfen ist allerdings, ob der Rat bei der Anwendung des insbesondere in dem oben in Rn. 72 angegebenen Sinne ausgelegten maßgeblichen Kriteriums auf den Kläger offensichtliche Beurteilungsfehler begangen hat.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zum Vorliegen offensichtlicher Beurteilungsfehler bei der Anwendung des maßgeblichen Kriteriums auf den Fall des Klägers</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point78">78</a>      Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, der Rat habe beim Erlass der angefochtenen Rechtsakte nicht über eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage verfügt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point79">79</a>      Der Rat tritt, unterstützt von der Kommission, dem Vorbringen des Klägers entgegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point80">80</a>      Bevor auf das Vorbringen des Klägers im Einzelnen eingegangen wird, sind Vorbemerkungen zur gerichtlichen Kontrolle und zu den Pflichten des Rates angezeigt.</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Zur gerichtlichen Kontrolle und zu den Pflichten des Rates</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point81">81</a>      Nach der Rechtsprechung hat der Unionsrichter im Rahmen der von ihm vorgenommenen gerichtlichen Kontrolle restriktiver Maßnahmen dem Rat ein weites Ermessen bei der Festlegung der allgemeinem Kriterien zuzugestehen, mit denen der Kreis der Personen bestimmt wird, gegen die solche Maßnahmen verhängt werden können (vgl. Urteil vom 22. März 2018, Stavytskyi/Rat, T‑242/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:166, Rn. 81 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point82">82</a>      Allerdings erfordert die durch Art. 47 der Charta garantierte Effektivität der gerichtlichen Kontrolle, dass sich der Unionsrichter, wenn er die Rechtmäßigkeit der Begründung prüft, die der Entscheidung, den Namen einer Person in eine Liste von restriktiven Maßnahmen unterliegenden Personen aufzunehmen oder dort zu belassen, zugrunde liegt, vergewissert, dass diese Entscheidung, die eine individuelle Betroffenheit dieser Person begründet, auf einer hinreichend gesicherten Tatsachengrundlage beruht. Dies setzt eine Überprüfung der in der Begründung dieser Entscheidung angeführten Tatsachen voraus, so dass sich die gerichtliche Kontrolle nicht nur auf die Beurteilung der abstrakten Wahrscheinlichkeit der angeführten Gründe, sondern auch auf die Frage erstreckt, ob diese Gründe – oder zumindest einer von ihnen, der für sich genommen als ausreichend angesehen wird, um die betreffende Entscheidung zu stützen – hinreichend genau und konkret belegt sind (vgl. Urteil vom 22. März 2018, Stavytskyi/Rat, T‑242/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:166, Rn. 82 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point83">83</a>      Nach der Rechtsprechung ist der Rat nicht verpflichtet, von Amts wegen und systematisch eigene Untersuchungen oder Nachprüfungen zur Erlangung ergänzender Informationen durchzuführen, wenn er für den Erlass restriktiver Maßnahmen gegen Personen, die aus einem Drittstaat stammen und gegen die dort gerichtliche Verfahren anhängig sind, bereits über von den Behörden dieses Drittstaats vorgelegte Beweise verfügt (vgl. Urteil vom 22. März 2018, Stavytskyi/Rat, T‑242/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:166, Rn. 83 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point84">84</a>      Insoweit ist daran zu erinnern, dass die Generalstaatsanwaltschaft, wie oben in Rn. 75 bemerkt, eine der obersten ukrainischen Justizbehörden ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point85">85</a>      Zwar musste der Rat im vorliegenden Fall die Beweise, die ihm die ukrainischen Behörden übermittelt hatten, im Licht insbesondere der Stellungnahme des Klägers und der von ihm gegebenenfalls genannten entlastenden Gesichtspunkte sorgfältig und unparteiisch prüfen. Im Übrigen trifft den Rat beim Erlass restriktiver Maßnahmen die Verpflichtung, den in Art. 41 der Charta verankerten Grundsatz der guten Verwaltung zu beachten, aus dem nach ständiger Rechtsprechung die Verpflichtung des zuständigen Organs folgt, sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. März 2018, Stavytskyi/Rat, T‑242/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:166, Rn. 85 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point86">86</a>      Aus der Rechtsprechung ergibt sich aber auch, dass bei der Beurteilung der Natur, der Art und der Intensität des Beweises, der vom Rat verlangt werden kann, die Natur und der konkrete Umfang der restriktiven Maßnahmen sowie ihr Zweck zu berücksichtigen sind (vgl. Urteil vom 22. März 2018, Stavytskyi/Rat, T‑242/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:166, Rn. 86 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point87">87</a>      Der Beschluss 2014/119 fügt sich insoweit, wie sich aus seinen Erwägungsgründen 1 und 2 ergibt (siehe oben, Rn. 3), in den allgemeineren Rahmen einer Politik der Union zur Unterstützung der ukrainischen Behörden ein, die die politische Stabilisierung der Ukraine begünstigen soll. Er entspricht somit den Zielen der GASP, die insbesondere in Art. 21 Abs. 2 Buchst. b EUV definiert werden, wonach sich die Union für eine internationale Zusammenarbeit einsetzt, um Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, die Menschenrechte und die Grundsätze des Völkerrechts zu festigen und zu fördern (vgl. Urteil vom 22. März 2018, Stavytskyi/Rat, T‑242/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:166, Rn. 87 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point88">88</a>      In diesem Rahmen sehen die in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen das Einfrieren der Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen insbesondere der Personen vor, die als für die Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte der Ukraine verantwortlich identifiziert wurden. Denn dadurch, dass die Wiedereinziehung dieser Vermögenswerte erleichtert wird, wird die Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine gestärkt und unterstützt (siehe oben, Rn. 68 bis 72).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point89">89</a>      Folglich sollen diese restriktiven Maßnahmen weder Fehlverhalten der betroffenen Personen ahnden noch diese durch Zwang von Fehlverhalten abbringen. Diese Maßnahmen bezwecken allein, den ukrainischen Behörden die Feststellung der begangenen Veruntreuungen öffentlicher Vermögenswerte zu erleichtern und ihnen die Möglichkeit zu erhalten, das infolge der Veruntreuung Erlangte einzuziehen. Sie haben somit reinen Sicherungscharakter (vgl. Urteil vom 22. März 2018, Stavytskyi/Rat, T‑242/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:166, Rn. 89 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point90">90</a>      Die vom Rat aufgrund der ihm durch die Art. 21 und 29 EUV verliehenen Befugnisse verhängten in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen haben somit keine strafrechtliche Konnotation. Sie können daher nicht einer Entscheidung über das Einfrieren von Vermögenswerten gleichgesetzt werden, die eine nationale Justizbehörde eines Mitgliedstaats im Rahmen des einschlägigen Strafverfahrens und unter Beachtung der entsprechenden Verfahrensgarantien erlässt. Die für den Rat geltenden Anforderungen hinsichtlich der Beweise, auf die die Aufnahme einer Person in die Liste der Personen, deren Vermögenswerte eingefroren werden, gestützt ist, können daher nicht genau dieselben sein wie die, die für die nationale Justizbehörde in dem vorgenannten Fall gelten (vgl. Urteil vom 22. März 2018, Stavytskyi/Rat, T‑242/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:166, Rn. 90 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point91">91</a>      Was der Rat im vorliegenden Fall prüfen muss, ist zum einen, inwieweit sich mit den von der Generalstaatsanwaltschaft übermittelten Informationen, auf die er sich gestützt hat, nachweisen lässt, dass der Kläger, wie in der Begründung für die Aufnahme seines Namens in die betreffende Liste ausgeführt wird, Gegenstand strafrechtlicher Verfolgung seitens der ukrainischen Behörden wegen Tatsachen ist, die möglicherweise eine Veruntreuung öffentlicher Gelder darstellen, und zum anderen, ob diese strafrechtliche Verfolgung ermöglicht, die Handlungen des Klägers gemäß dem maßgeblichen Kriterium einzustufen. Nur wenn der Rat dabei nicht zu diesem Ergebnis gelangte, müsste er gemäß der oben in Rn. 85 angeführten Rechtsprechung zusätzliche Überprüfungen vornehmen (vgl. Urteil vom 22. März 2018, Stavytskyi/Rat, T‑242/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:166, Rn. 91 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point92">92</a>      Im Übrigen ist es im Rahmen der durch die angefochtenen Rechtsakte geregelten Zusammenarbeit (siehe oben, Rn. 87) grundsätzlich nicht Aufgabe des Rates, selbst zu prüfen und zu beurteilen, ob die Anhaltspunkte, auf die sich die ukrainischen Behörden stützen, um den Kläger wegen Tatsachen strafrechtlich zu verfolgen, die sich als Veruntreuung öffentlicher Gelder einstufen lassen, zutreffend und einschlägig sind. Wie oben in Rn. 89 ausgeführt, will der Rat mit dem Erlass der angefochtenen Rechtsakte die Veruntreuung öffentlicher Gelder, derentwegen die ukrainischen Behörden ermitteln, nämlich nicht selbst ahnden, sondern den ukrainischen Behörden die Möglichkeit erhalten, diese Veruntreuungen festzustellen und das infolgedessen Erlangte einzuziehen. Es obliegt daher den ukrainischen Behörden, im Rahmen der Strafverfolgungsmaßnahmen die Anhaltspunkte, auf die sie sich stützen, zu überprüfen und gegebenenfalls daraus die Konsequenzen für den Ausgang der Strafverfahren zu ziehen. Ferner können die Pflichten des Rates im Rahmen der angefochtenen Rechtsakte, wie sich oben aus Rn. 90 ergibt, nicht denen gleichgesetzt werden, die eine nationale Justizbehörde eines Mitgliedstaats im Rahmen eines namentlich im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen eingeleiteten Strafverfahrens zum Einfrieren von Vermögenswerten hat (vgl. Urteil vom 22. März 2018, Stavytskyi/Rat, T‑242/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:166, Rn. 92 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point93">93</a>      Diese Auslegung wird durch Rn. 77 des Urteils vom 5. März 2015, Ezz u. a./Rat (C‑220/14 P, EU:C:2015:147), bestätigt, in der der Gerichtshof unter ähnlichen Umständen wie den in der vorliegenden Rechtssache gegebenen entschieden hat, dass der Rat oder das Gericht nicht die Begründetheit der gegen die Kläger eingeleiteten Ermittlungen, sondern nur die Begründetheit des Beschlusses über das Einfrieren von Geldern im Hinblick auf das Rechtshilfeersuchen der ägyptischen Behörden zu überprüfen hatte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point94">94</a>      Zwar darf der Rat nicht unter allen Umständen von den Feststellungen der ukrainischen Justizbehörden ausgehen, die in den von diesen übermittelten Dokumenten enthalten sind. Ein solches Vorgehen stünde weder mit dem Grundsatz der guten Verwaltung noch allgemein mit der den Unionsorganen nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 EUV in Verbindung mit Art. 51 Abs. 1 der Charta obliegenden Pflicht im Einklang, bei der Anwendung des Unionsrechts die Grundrechte zu beachten (vgl. Urteil vom 22. März 2018, Stavytskyi/Rat, T‑242/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:166, Rn. 94 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point95">95</a>      Es ist jedoch Aufgabe des Rates, je nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen, ob es notwendig ist, zusätzliche Überprüfungen durchzuführen, insbesondere die ukrainischen Behörden um die Übermittlung ergänzender Beweise zu ersuchen, wenn sich die bereits vorgelegten als unzureichend erweisen. Es lässt sich nämlich nicht ausschließen, dass Anhaltspunkte, die dem Rat entweder durch die ukrainischen Behörden selbst oder auf andere Weise zur Kenntnis gebracht worden sind, den Rat dazu veranlassen, daran zu zweifeln, dass die von den ukrainischen Behörden bislang vorgelegten Beweise hinreichend sind. Im Übrigen können die betroffenen Personen im Rahmen der ihnen einzuräumenden Möglichkeit, zu den Gründen Stellung zu nehmen, die der Rat der Beibehaltung ihrer Namen auf der betreffenden Liste zugrunde zu legen beabsichtigt, solche Anhaltspunkte und sogar entlastende Gesichtspunkte nennen, die es erforderlich machen, dass der Rat zusätzliche Überprüfungen durchführt. Insbesondere lässt sich – auch wenn es nicht Sache des Rates ist, seine Beurteilung an die Stelle der Beurteilung der ukrainischen Justizbehörden zu setzen, was die Begründetheit der in den Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft erwähnten Strafverfahren betrifft – nicht ausschließen, dass der Rat vor allem in Anbetracht der Stellungnahme des Klägers gehalten ist, die ukrainischen Behörden um nähere Informationen zu den Anhaltspunkten zu ersuchen, auf die diese Verfahren gestützt werden (vgl. Urteil vom 22. März 2018, Stavytskyi/Rat, T‑242/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:166, Rn. 95 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point96">96</a>      Anhand dieser Erwägungen ist das konkrete Vorbringen des Klägers zu würdigen.</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Zur Frage, ob die von der Generalstaatsanwaltschaft übermittelten Informationen ausreichend sind</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point97">97</a>      Der Kläger macht als Erstes geltend, dass der Rat die Beweislast trage, wenn er restriktive Maßnahmen gegen eine Person erlasse, und dass jede in diesem Zusammenhang getroffene Entscheidung auf einer Tatsachengrundlage beruhen müsse, die hinreichend gesichert sei und das Vorliegen eines diese Person betreffenden Strafverfahrens wegen konkret bezeichneter Handlungen der Veruntreuung von Geldern belegen könnte, die geeignet seien, die institutionellen und rechtlichen Grundlagen der Ukraine zu beeinträchtigen. Insoweit weist er darauf hin, dass die Veruntreuung von Geldern, die ihm in den Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft, auf die sich der Rat gestützt habe, insbesondere im Schreiben vom 25. Juli 2016, zur Last gelegt würden, auf Immobilien bezögen, die sich ihrer Natur entsprechend immer noch in der Ukraine befänden und nicht ins Ausland gebracht werden könnten. In diesem Schreiben würden nicht genügend Einzelheiten genannt, und es werde nicht erläutert, wie der Kläger den dort erwähnten Betrag von [<i>vertraulich</i>] ukrainischen Hrywnja (UAH) habe erlangen können. Dieser angeblichen Veruntreuung könnte daher nur durch Handlungen der ukrainischen Behörden entgegengetreten werden, so dass das vom Rat beschlossene Einfrieren von Geldern des Klägers keinerlei Auswirkungen auf diese angebliche Veruntreuung habe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point98">98</a>      Der Rat könne sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass im Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft vom 25. Juli 2016 erwähnt werde, dass im Verlauf der Ermittlungen auf Antrag des Ermittlers mit in den Jahren 2014 und 2015 erlassenen Entscheidungen des Bezirksgerichts [<i>vertraulich</i>] (im Folgenden: Bezirksgericht) Gegenstände [<i>vertraulich</i>] beschlagnahmt worden seien. Die einzige Angabe, die sich unmittelbar auf den Kläger beziehe, betreffe nämlich die Beschlagnahme [<i>vertraulich</i>], was kein überzeugender Beleg für ein Strafverfahren wegen angeblicher Veruntreuung von Immobilien im Wert von [<i>vertraulich</i>] UAH sein könne.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point99">99</a>      Der Rat macht, unterstützt von der Kommission, geltend, dass die dem Kläger vorgeworfene Veruntreuung von Geldern dem ukrainischen Staat Geld- oder Vermögensverluste verursacht habe. Diesem würden nämlich die Eigentums‑, Gebrauchs- und Nutzungsrechte an den veruntreuten Geldern oder Vermögenswerten, einschließlich eventueller Einnahmen aus diesen, vorenthalten, solange diese Veruntreuung, beispielsweise durch ein rechtskräftiges Gerichtsurteil, nicht rückgängig gemacht worden sei. Im Übrigen habe das Bezirksgericht mit Beschluss vom 3. Oktober 2014 die Beschlagnahme [<i>vertraulich</i>] angeordnet.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point100">100</a>    Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass sich der Rat beim Erlass der angefochtenen Rechtsakte im Wesentlichen auf die Informationen im Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft vom 25. Juli 2016 und auf deren Antworten gestützt hat.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point101">101</a>    Dieses Schreiben enthält die oben in Rn. 49 wiedergegebenen Informationen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point102">102</a>    Die Generalstaatsanwaltschaft hat außerdem angegeben, dass der in dem betreffenden Schreiben geschilderte Sachverhalt den Straftatbestand des Art. 191 Abs. 5 des ukrainischen Strafgesetzbuchs verwirkliche, der die Veruntreuung fremder Gegenstände von besonders großem Wert durch kollusives Zusammenwirken einer Gruppe von Personen unter Strafe stelle.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point103">103</a>    Außerdem hat die Generalstaatsanwaltschaft darauf hingewiesen, dass im Lauf der Ermittlungen auf Antrag des Ermittlers mit Entscheidungen des Bezirksgerichts aus den Jahren 2014 und 2015 Gegenstände [<i>vertraulich</i>] beschlagnahmt worden seien.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point104">104</a>    Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass der Rat beim Erlass der angefochtenen Rechtsakte zu der Straftat, deren der Kläger verdächtigt wurde, und zum Stand des diesbezüglichen Verfahrens über hinreichend genaue Informationen verfügte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point105">105</a>    Zum Vorbringen des Klägers, dass es im vorliegenden Fall um die Veruntreuung von Immobilien gehe, die ihrer Natur entsprechend nicht aus der Ukraine gebracht werden könnten, ist zu bemerken, dass das maßgebliche Kriterium für die Benennung einer Person nicht darauf abstellt, dass die Gefahr bestehen muss, dass die öffentlichen Gelder, deren Veruntreuung die betreffende Person verdächtigt wird, ins Ausland gebracht werden. Daher reicht der Hinweis auf die Veruntreuung öffentlicher Gelder, sofern er begründet ist, für sich allein aus, um die restriktiven Maßnahmen gegen den Kläger zu rechtfertigen (vgl. Urteil vom 22. März 2018, Stavytskyi/Rat, T‑242/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:166, Rn. 106 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point106">106</a>    Nach der Rechtsprechung erfasst der Begriff der Veruntreuung öffentlicher Gelder jede Handlung, die eine unrechtmäßige Verwendung von Mitteln, die einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft gehören oder deren Kontrolle unterstellt sind, zu bestimmungswidrigen, insbesondere privaten Zwecken darstellt. Um unter diesen Begriff zu fallen, muss diese Verwendung also zu einer Beeinträchtigung der finanziellen Interessen der betroffenen Körperschaft geführt und mithin einen in Geld zu bemessenden Schaden verursacht haben (vgl. Urteil vom 22. März 2018, Stavytskyi/Rat, T‑242/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:166, Rn. 107 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point107">107</a>    Eine solche – weite – Auslegung des in Rede stehenden Begriffs ist geboten, um die volle Wirksamkeit des Beschlusses 2014/119 im Hinblick auf die Verwirklichung seines Ziels, die Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine zu stärken, zu gewährleisten. In Anbetracht des reinen Sicherungscharakters der streitigen Maßnahme sind im Übrigen die allgemeinen Unionsrechtsgrundsätze der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen sowie der Unschuldsvermutung, die in Art. 49 Abs. 1 Satz 1 bzw. Art. 48 Abs. 1 der Charta verankert sind, im vorliegenden Fall nicht anwendbar und können daher einer solchen weiten Auslegung nicht entgegenstehen (vgl. Urteil vom 22. März 2018, Stavytskyi/Rat, T‑242/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:166, Rn. 109 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point108">108</a>    Wie der Rat zutreffend bemerkt hat, verursacht im vorliegenden Fall die im Schreiben vom 25. Juli 2016 beschriebene Veruntreuung öffentlicher Gelder oder Vermögenswerte, solange sie andauert und nicht – beispielsweise durch eine in Rechtskraft erwachsene Gerichtsentscheidung – rückgängig gemacht wird, einen Verlust für den ukrainischen Staat, dem die Eigentums‑, Gebrauchs- und Nutzungsrechte an den veruntreuten Geldern oder Vermögenswerten, einschließlich eventueller Einnahmen aus diesen, vorenthalten werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. März 2018, Stavytskyi/Rat, T‑242/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:166, Rn. 110 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point109">109</a>    Der Umstand, dass die Gelder des Klägers in der Union infolge der in den angefochtenen Rechtsakten vorgesehenen restriktiven Maßnahmen vorläufig eingefroren werden, trägt dazu bei, den ukrainischen Behörden für den Fall, dass der Kläger verurteilt wird, ihre Aufgabe, die veruntreuten Gelder oder Vermögenswerte einzuziehen, zu erleichtern, und vervollständigt die auf nationaler Ebene erlassenen Maßnahmen, wie die vom Bezirksgericht angeordnete Beschlagnahme von Gegenständen (siehe oben, Rn. 103) (vgl. Urteil vom 22. März 2018, Stavytskyi/Rat, T‑242/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:166, Rn. 111 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point110">110</a>    Falls nämlich die Vorwürfe gegen den Kläger von den ukrainischen Gerichten als begründet erachtet werden und diese die Einziehung der veruntreuten Gelder anordnen, kann die Einziehung u. a. unter Verwendung der Vermögenswerte erfolgen, die der Kläger möglicherweise in der Union angelegt hat. Insoweit ist unerheblich, ob diese etwa aus der Transaktion stammen, die Gegenstand der Ermittlungen gegen den Kläger ist, da es darum geht, dem ukrainischen Staat die Wiedererlangung von Geldern zu erleichtern, die ihm niemals hätten entzogen werden dürfen (vgl. Urteil vom 22. März 2018, Stavytskyi/Rat, T‑242/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:166, Rn. 112 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point111">111</a>    In Anbetracht dessen ist das Vorbringen des Klägers zurückzuweisen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point112">112</a>    Als Zweites macht der Kläger geltend, dass er den Rat darauf hingewiesen habe, dass sich der ihm im Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft vom 25. Juli 2016 zur Last gelegte Sachverhalt in den Jahren 2006 und 2007 zugetragen habe und im Jahr 2008 bereits von den ukrainischen Gerichten geprüft worden sei, die dabei keine Rechtswidrigkeit hätten feststellen können. Zwar habe der Rat auf diesen Hinweis reagiert, indem er der Generalstaatsanwaltschaft Fragen hierzu gestellt habe; deren Antworten seien jedoch nicht zufriedenstellend gewesen, insbesondere was die Beachtung des Grundsatzes <i>ne bis in idem</i> betreffe, so dass der Rat nicht davon habe ausgehen können, dass er über hinreichende Anhaltspunkte verfügt habe, um die Belassung des Namens des Klägers auf der Liste zu rechtfertigen. Im Übrigen könne der Rat dem Kläger nicht vorwerfen, keine Unterlagen zur Stützung seines Vorbringens beigebracht zu haben, da es Sache des Rates sei, sicherzustellen, dass er über eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage verfüge.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point113">113</a>    Der Rat weist, unterstützt von der Kommission, darauf hin, dass der Kläger, als er vorgetragen habe, dass der ihm zur Last gelegte Sachverhalt bereits von ukrainischen Gerichten geprüft worden sei, die einschlägigen Gerichtsentscheidungen nicht vorgelegt habe. Der Rat meint, proaktiv gehandelt zu haben, da er zusätzliche Informationen von der Generalstaatsanwaltschaft verlangt habe, die in ihren Antworten auf die Fragen des Rates die erforderlichen Klarstellungen vorgenommen und insbesondere angegeben habe, dass der betreffende Sachverhalt nicht strafrechtlich gewürdigt worden sei. Die Anwendung des Grundsatzes <i>ne bis in idem</i> sei daher ausgeschlossen. Somit habe der Rat über eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage verfügt, um die Aufrechterhaltung der restriktiven Maßnahmen gegen den Kläger zu rechtfertigen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point114">114</a>    Es ist daran zu erinnern, dass der Rat infolge des Vorbringens des Klägers im Rahmen der Rechtssache, in der das Urteil vom 22. März 2018, Stavytskyi/Rat (T‑242/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:166), ergangen ist, der Generalstaatsanwaltschaft einige Fragen gestellt hat, insbesondere um herauszufinden, ob sich, wie der Kläger behauptet hat, der Sachverhalt, der dem Kläger im Rahmen des Strafverfahrens zur Last gelegt worden war, auf das sich ein Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft vom 30. November 2015 bezieht und das mit dem zusammenfällt, auf das im Schreiben vom 25. Juli 2016 Bezug genommen wird, in den Jahren 2006 und 2007 zugetragen hatte und von ukrainischen Gerichten bereits geprüft worden war.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point115">115</a>    Die Antworten der Generalstaatsanwaltschaft auf die Fragen des Rates finden sich in einem Arbeitsdokument des Rates vom 16. November 2016. Diesem Dokument zufolge fand die Immobilientransaktion, die mit der dem Kläger vorgeworfenen Veruntreuung öffentlicher Gelder zusammenhängt, in den Jahren 2006 und 2007 statt und konkretisierte sich in einer Tauschvereinbarung [<i>vertraulich</i>]:</p>
<p class="C02AlineaAltA">[<i>vertraulich</i>].</p>
<p class="C02AlineaAltA">[<i>vertraulich</i>].</p>
<p class="C02AlineaAltA">[<i>vertraulich</i>].</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point116">116</a>    Nachdem ihm die Antworten der Generalstaatsanwaltschaft vom Rat übermittelt worden waren, entgegnete der Kläger mit Schreiben vom 13. Januar 2017 u. a., dass die Tauschvereinbarung [<i>vertraulich</i>] durch mehrere Entscheidungen ukrainischer Gerichte in den Jahren 2008 und 2009 [<i>vertraulich</i>] und durch das Bezirksgericht, die alle keine Rechtswidrigkeit festgestellt hätten, als rechtmäßig anerkannt worden sei. Außerdem wies der Kläger darauf hin, dass die Generalstaatsanwaltschaft im Jahr 2009 die Rechtmäßigkeit der u. a. von ihm beim Abschluss dieser Vereinbarung vorgenommenen Handlungen geprüft und eingeräumt habe, dass keine Rechtswidrigkeit vorliege.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point117">117</a>    Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Rat, nachdem er das Schreiben des Klägers vom 13. Januar 2017 zur Kenntnis genommen hatte, die Generalstaatsanwaltschaft nicht um zusätzliche Informationen ersucht hat. Der Rat macht insoweit geltend, er habe sich darauf beschränken dürfen, sich auf die seiner Ansicht nach detaillierten Informationen zu stützen, die ihm die Generalstaatsanwaltschaft bereits übermittelt gehabt habe, da der Kläger seinem Schreiben die von ihm dort genannten Gerichtsentscheidungen nicht beigefügt gehabt habe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point118">118</a>    Der Kläger hingegen hält die Antworten der Generalstaatsanwaltschaft für sehr allgemein und wenig informativ. Die Generalstaatsanwaltschaft habe nämlich, obwohl sie bestätigt habe, dass die dem Kläger zur Last gelegten Handlungen, die in den Jahren 2006 und 2007 stattgefunden hätten, anschließend für rechtmäßig erklärt worden seien, behauptet, dass die derzeit laufenden Ermittlungen Schuldbeweise erbracht hätten, ohne im Zusammenhang mit diesen Ermittlungen Tatsachen zu nennen. Die Generalstaatsanwaltschaft nenne zudem nicht die Gründe, aus denen die neuen Ermittlungen mit dem Grundsatz <i>ne bis in idem</i> vereinbar seien.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point119">119</a>    Hierzu ist festzustellen, dass sich der Rat in Anbetracht der vom Kläger geltend gemachten Gesichtspunkte gemäß den oben in den Rn. 94 und 95 dargestellten Grundsätzen erneut an die Generalstaatsanwaltschaft wenden musste.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point120">120</a>    Die Anhaltspunkte, über die der Rat verfügte, ermöglichten nämlich – entgegen der von diesem vertretenen Ansicht – nicht, auszuschließen, dass dem Strafverfahren, auf das er sich für die Aufrechterhaltung der den Kläger betreffenden restriktiven Maßnahmen stützt, der Grundsatz <i>ne bis in idem</i> entgegenstand.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point121">121</a>    In diesem Zusammenhang ist erstens festzustellen, dass der Kläger im Schreiben vom 13. Januar 2017 nicht nur auf Entscheidungen von Wirtschafts- oder Verwaltungsgerichten Bezug nimmt, sondern auch auf eine Entscheidung des Bezirksgerichts, also des gleichen Gerichts wie des im Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft vom 25. Juli 2016 genannten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point122">122</a>    [<i>vertraulich</i>].</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point123">123</a>    Drittens ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem Grundsatz <i>ne bis in idem</i> um einen allgemeinen Unionsrechtsgrundsatz handelt, der unabhängig von jeder Vorschrift gilt (Urteil vom 18. Oktober 2001, X/EZB, T‑333/99, EU:T:2001:251, Rn. 149).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point124">124</a>    In Bezug auf die Gerichte der Mitgliedstaaten wird dieser Grundsatz in Art. 50 der Charta anerkannt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point125">125</a>    Darüber hinaus ist auf Art. 4 („Recht, wegen derselben Sache nicht zweimal vor Gericht gestellt oder bestraft zu werden“) des Protokolls Nr. 7 zur am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten hinzuweisen, in dem es heißt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Niemand darf wegen einer Straftat, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut verfolgt oder bestraft werden.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Absatz 1 schließt die Wiederaufnahme des Verfahrens nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht des betreffenden Staates nicht aus, falls neue oder neu bekannt gewordene Tatsachen vorliegen oder das vorausgegangene Verfahren schwere, den Ausgang des Verfahrens berührende Mängel aufweist.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point126">126</a>    Dieses Protokoll gilt für die Ukraine.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point127">127</a>    Nach der Rechtsprechung kann eine Entscheidung einer in der betreffenden nationalen Rechtsordnung zur Mitwirkung bei der Strafrechtspflege berufenen Behörde, die Strafverfolgung gegen einen Beschuldigten einzustellen, unter bestimmten Voraussetzungen den endgültigen Strafklageverbrauch zur Folge haben. In einem solchen Fall ist davon auszugehen, dass die Situation der betroffenen Person in den Anwendungsbereich des Grundsatzes <i>ne bis in idem</i> fällt – auch wenn im Rahmen eines solchen Verfahrens kein Gericht tätig wird und die in diesem Verfahren getroffene Entscheidung nicht in Form eines Urteils ergeht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Februar 2003, Gözütok und Brügge, C‑187/01 und C‑385/01, EU:C:2003:87, Rn. 27 bis 31). Hingegen ist der Grundsatz <i>ne bis in idem</i> nicht auf eine Entscheidung anwendbar, mit der eine Behörde eines Staates nach sachlicher Prüfung des ihr unterbreiteten Sachverhalts in einem Stadium, zu dem gegen einen Tatverdächtigen noch keine Beschuldigung erhoben worden ist, die Strafverfolgung einstellt, wenn diese Einstellungsentscheidung nach dem nationalen Recht dieses Staates die Strafklage nicht endgültig verbraucht und damit in diesem Staat kein Hindernis für eine erneute Strafverfolgung wegen derselben Tat bildet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Dezember 2008, Turanský, C‑491/07, EU:C:2008:768, Rn. 45).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point128">128</a>    In Anbetracht dessen ist festzustellen, dass es dem Rat anhand der Informationen, über die er aufgrund der Antworten der Generalstaatsanwaltschaft beim Erlass der angefochtenen Rechtsakte verfügte, nicht möglich war, festzustellen, ob der Grundsatz <i>ne bis in idem</i> dem Strafverfahren gegen den Kläger entgegenstand, dessen Existenz die Grundlage für die Aufrechterhaltung der restriktiven Maßnahmen gegen den Kläger war, da der Rat den Inhalt der Entscheidung des Bezirksgerichts und der Entscheidungen der Generalstaatsanwaltschaft, die der Kläger in seinem Schreiben vom 13. Februar 2017 genannt hatte, nicht kannte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point129">129</a>    Auch wenn der Rat nicht die Begründetheit der in der Ukraine anhängigen Strafverfahren zu überprüfen (siehe oben, Rn. 91 bis 93) und ebenso wenig zu würdigen hat, ob diese Verfahren mit den einschlägigen Verfahrensregeln des ukrainischen Rechts im Einklang stehen (Urteil vom 22. März 2018, Stavytskyi/Rat, T‑242/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:166, Rn. 134), ist er gleichwohl verpflichtet, sich zu vergewissern, dass dem Strafverfahren, auf das er sich für die Aufrechterhaltung restriktiver Maßnahmen gegen eine Person stützt, nicht der Grundsatz <i>ne bis in idem</i> entgegensteht, sofern ihm die betroffene Person Anhaltspunkte mitteilt, die geeignet sind, insoweit Zweifel bestehen zu lassen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point130">130</a>    Zwar hat der Kläger in seinem Schreiben vom 13. Januar 2017 weder den Grundsatz <i>ne bis in idem</i> ausdrücklich genannt noch die Entscheidungen der ukrainischen Behörden vorgelegt, die belegen könnten, dass dem gegen ihn anhängigen Verfahren dieser Grundsatz entgegensteht; unbeschadet dessen waren die von ihm genannten Informationen ausreichend, um für den Rat – auch in Anbetracht des Inhalts der von der Generalstaatsanwaltschaft bereits gegebenen Antworten, in denen u. a. der Umstand erwähnt wurde, dass die Verfolgungsorgane beschlossen hatten, keine strafrechtlichen Ermittlungen einzuleiten (siehe oben, Rn. 115) – die Pflicht zu begründen, von der Generalstaatsanwaltschaft zusätzliche Auskünfte zu verlangen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point131">131</a>    In diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass es nicht um die Frage geht, ob der Rat aufgrund der ihm zur Kenntnis gebrachten Anhaltspunkte deshalb verpflichtet war, den Namen des Klägers von der Liste zu nehmen, weil das den Kläger betreffende Strafverfahren gegen den Grundsatz <i>ne bis in idem</i> verstieß, sondern lediglich darum, ob der Rat verpflichtet war, diese Anhaltspunkte zu berücksichtigen und zusätzliche Überprüfungen vorzunehmen oder die ukrainischen Behörden um Aufklärung zu ersuchen. Daher reicht es, dass diese Anhaltspunkte geeignet sind, gerechtfertigte Zweifel am Ablauf der Ermittlungen und daran zu wecken, dass die von der Generalstaatsanwaltschaft übermittelten Informationen ausreichend sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Februar 2018, Klyuyev/Rat, T‑731/15, EU:T:2018:90, Rn. 242).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point132">132</a>    Zudem unterlag der Kläger beim Erlass der angefochtenen Rechtsakte seit mehreren Jahren den in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen, und zwar durchgehend wegen der Existenz ein und desselben von der Generalstaatsanwaltschaft geführten Strafverfahrens. In einem solchen Kontext musste zum einen die Generalstaatsanwaltschaft grundsätzlich in der Lage sein, dem Rat alle zusätzlichen Informationen zu übermitteln, die dieser benötigen konnte, und sich zum anderen der Rat umso mehr verpflichtet sehen, sich eingehender mit der Frage eines möglichen, von den ukrainischen Behörden zulasten des Klägers begangenen Verstoßes gegen ein grundlegendes Prinzip wie den Grundsatz <i>ne bis in idem</i> auseinanderzusetzen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point133">133</a>    In Anbetracht dessen ist festzustellen, dass der Rat einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen hat, indem er die angefochtenen Rechtsakte erlassen hat, ohne die ukrainischen Behörden um ergänzende Informationen zu ersuchen, was für die Nichtigerklärung der angefochtenen Rechtsakte, soweit der Kläger betroffen ist, ausreicht, ohne dass es erforderlich wäre, sein übriges Vorbringen zu prüfen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point134">134</a>    Hinsichtlich des vom Rat hilfsweise gestellten Antrags (siehe oben, Rn. 36 zweiter Gedankenstrich), mit dem er sinngemäß begehrt, die Wirkungen des Beschlusses 2017/381 bis zum Ablauf der Frist für die Einlegung eines Rechtsmittels bzw., falls Rechtsmittel eingelegt wird, bis zur Entscheidung über das Rechtsmittel aufrechtzuerhalten, genügt der Hinweis, dass der Beschluss 2017/381 nur bis zum 6. März 2018 Wirkungen entfaltet hat. Seine Nichtigerklärung durch das vorliegende Urteil hat daher keine Auswirkungen auf den Zeitraum nach diesem Datum, so dass eine Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Wirkungen dieses Beschlusses nicht erforderlich ist (vgl. Urteil vom 6. Juni 2018, Arbuzov/Rat, T‑258/17, EU:T:2018:331, Rn. 107 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Kosten</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point135">135</a>    Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Rat unterlegen ist, sind ihm gemäß dem Antrag des Klägers dessen Kosten aufzuerlegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point136">136</a>    Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Demzufolge trägt die Kommission ihre eigenen Kosten.</p>
<p class="C41DispositifIntroduction">Aus diesen Gründen hat</p>
<p class="C19Centre">DAS GERICHT (Sechste Kammer)</p>
<p class="C02AlineaAltA">für Recht erkannt und entschieden:</p>
<p class="C08Dispositif">1.      Der Beschluss (GASP) 2017/381 des Rates vom 3. März 2017 zur Änderung des Beschlusses 2014/119/GASP über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine und die Durchführungsverordnung (EU) 2017/374 des Rates vom 3. März 2017 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 208/2014 über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine werden für nichtig erklärt, soweit der Name von Herrn Edward Stavytskyi auf der Liste der Personen, Organisationen und Einrichtungen, auf die diese restriktiven Maßnahmen Anwendung finden, belassen wird.</p>
<p class="C08Dispositif">2.      Der Rat der Europäischen Union trägt seine eigenen Kosten sowie die Herrn Stavytskyi entstandenen Kosten.</p>
<p class="C08Dispositif">3.      <b>Die Europäische Kommission trägt ihre eigenen Kosten.</b>
</p>
<table width="100%">
<tr>
<td width="33%">
<p class="C77SignaturesComposition" style="text-align:left">Berardis</p>
</td><td width="33%">
<p class="C77SignaturesComposition" style="text-align:center">Spielmann</p>
</td><td width="33%">
<p class="C77SignaturesComposition" style="text-align:right">Csehi</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="C77SignaturesAlinea">Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 30. Januar 2019.</p>
<p class="C77Signatures">Unterschriften</p>
<hr/>
<p class="C49FootnoteLangue">
<a href="#Footref*" name="Footnote*">*</a>      Verfahrenssprache: Englisch.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref1" name="Footnote1">1</a>      Nicht wiedergegebene vertrauliche Daten.</p>
|
188,466 | vg-koln-2019-01-29-17-l-229618 | {
"id": 844,
"name": "Verwaltungsgericht Köln",
"slug": "vg-koln",
"city": 446,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 17 L 2296/18 | 2019-01-29T00:00:00 | 2019-02-11T11:04:00 | 2019-02-13T12:21:05 | Beschluss | ECLI:DE:VGK:2019:0129.17L2296.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>1.</p>
<p>Der Antrag wird abgelehnt.</p>
<p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.</p>
<p>2.</p>
<p>Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 1.080,59 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">die aufschiebende Wirkung seiner Klage 17 K 6829/18 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. September 2018 in der Form des Widerspruchsbescheids vom 24. September 2018 anzuordnen,</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">ist unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise anordnen, wenn eine behördliche Maßnahme kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist, wie hier nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO die Heranziehung zu einem Straßenbaubeitrag. Nach § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO, der für das gerichtliche Aussetzungsverfahren entsprechend anwendbar ist, soll bei der Anforderung öffentlicher Abgaben und Kosten die Aussetzung der Vollziehung nur bei Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts erfolgen oder wenn die Vollziehung für den Abgabenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Anhaltspunkte dafür, dass die Zahlung des geforderten Betrags in Höhe von 4.322,37 Euro für den Antragsteller eine unbillige Härte im Sinne des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO bedeuten würde, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Es bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts sind nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen nur dann anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ein Obsiegen des Antragstellers im Hauptsacheverfahren überwiegend wahrscheinlich ist. Im summarischen Verfahren können vordringlich nur die Einwände berücksichtigt werden, die der Rechtsschutzsuchende selbst gegen die Rechtmäßigkeit der Veranlagung vorbringt, es sei denn, es drängen sich andere, offensichtliche Fehler auf. Ferner können weder aufwendige Tatsachenfeststellungen getroffen werden noch sind schwierige Rechtsfragen abschließend zu klären.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">St. Rspr., zuletzt etwa OVG NRW, Beschluss vom 15. Januar 2018 – 15 B 1489/17 –, juris Rn. 8. Vgl. auch OVG NRW, Beschlüsse vom 30. Juni 2004 –15 B 576/04 –, juris Rn. 7, und vom 17. März 1994 – 15 B 3022/93 –, juris Rn. 2 ff.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">In Anwendung dieser Maßstäbe ist ein Erfolg des Antragstellers in der Hauptsache nicht überwiegend wahrscheinlich.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">1. Rechtsgrundlage des angegriffenen Bescheids ist § 8 Abs. 2 KAG NRW i. V. m. der Satzung der Stadtwerke Hürth über die Erhebung von Beiträgen nach § 8 KAG für straßenbaurechtliche Maßnahmen vom 25. August 2015 (im Folgenden: SBS).</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die vom Antragsteller vorgebrachten Einwendungen gegen die Wirksamkeit der SBS greifen voraussichtlich nicht durch.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Rechtsgrundlage der SBS ist § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG NRW i. V. m. § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Unternehmenssatzung für die Anstalt des öffentlichen Rechts „Stadtwerke Hürth, Technische Betriebe und Einrichtungen, Anstalt des öffentlichen Rechts” vom 4. Februar 2015 (im Folgenden: Unternehmenssatzung). Danach ist die Anstalt berechtigt, anstelle der Stadt Satzungen über die Abgaben und Entgelte für die Benutzung der Einrichtungen für die gemäß § 2 Abs. 1 übertragenen Aufgaben, einschließlich der Erhebung von Erschließungsbeiträgen und Beiträgen nach dem KAG NRW, zu erlassen. Zu den nach § 2 Abs. 1 der Unternehmenssatzung übertragenen Aufgaben gehören laut Nr. 6 u. a. die Unterhaltung, der Betrieb und der Bau von Gemeindestraßen.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die Unternehmenssatzung begegnet bei summarischer Prüfung keinen Bedenken.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Sie beruht auf § 114a Abs. 2 Satz 1 GO NRW, wonach die Gemeinde die Rechtsverhältnisse einer Anstalt öffentlichen Rechts (im Folgenden: AöR) durch eine Satzung regelt, und wurde von dem nach § 41 Abs. 1 Satz 2 Buchst. l GO NRW zuständigen Rat der Stadt Hürth erlassen.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Auch materiell erweist sich die Unternehmenssatzung hinsichtlich der Übertragung der Aufgaben der Unterhaltung, des Betriebs und des Baus von Gemeindestraßen und der Satzungsbefugnis zur Erhebung von Beiträgen nach dem KAG NRW als voraussichtlich rechtmäßig.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 114a Abs. 1 Satz 1 GO NRW kann die Gemeinde Unternehmen und Einrichtungen in der Rechtsform einer AöR errichten oder bestehende Regie- und Eigenbetriebe sowie eigenbetriebsähnliche Einrichtungen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge in rechtsfähige AöR umwandeln. Dabei kann sie der Anstalt einzelne oder alle mit einem bestimmten Zweck zusammenhängende Aufgaben ganz oder teilweise übertragen und ihr das Recht einräumen, an ihrer Stelle Satzungen für das übertragene Aufgabengebiet zu erlassen, § 114a Abs. 3 GO NRW.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Anhaltspunkte dafür, dass die Möglichkeit der Gemeinde, Aufgaben auf eine AöR zu übertragen, beschränkt wäre, gibt es nicht. Vielmehr sollte durch die Einführung dieser Rechtsform eine zusätzliche Organisationsstruktur für die Erfüllung kommunaler Aufgaben geschaffen werden.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Vgl. Gesetzesentwurf der Landesregierung zum Ersten Gesetz zur Modernisierung von Regierung und Verwaltung in Nordrhein-Westfalen, LT-Drs. 12/3730 vom 25. Februar 1999, S. 109; Held / Winkel, Kommunalverfassungsrecht NRW, § 114a GO, S. 3, 8; Rehn u. a., GO NRW, § 114a, S. 4 f.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Im Einzelfall können sich aus der Natur der Sache zwar möglicherweise Beschränkungen ergeben, wenn etwa die Aufgabe zum Kern der gemeindlichen Selbstverwaltung gehört oder die Behördenfunktion für die Aufgabe prägend ist.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Held / Winkel zählen dazu beispielhaft das Ordnungs- und Standesamt auf, vgl. Kommunalverfassungsrecht NRW, § 114a GO, S. 9.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Dies gilt aber nicht für die hier in Frage stehenden Aufgaben der Unterhaltung, des Betriebs und des Baus von Gemeindestraßen. Diese Aufgaben gehören weder zum Kern der gemeindlichen Selbstverwaltung noch ist für sie die Behördenfunktion prägend. Vielmehr stehen bei ihnen technisch-betriebliche Strukturen im Vordergrund, die eine Aufgabenwahrnehmung durch eine AöR zulassen. Sie sind in dieser Hinsicht mit der Straßenreinigungspflicht der Gemeinde vergleichbar, deren Übertragung auf eine AöR möglich ist.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Vgl. VG Arnsberg, Urteil vom 10. Mai 2012 – 7 K 966/11 –, juris Rn. 17 ff. So auch Held / Winkel, Kommunalverfassungsrecht NRW, § 114a GO, S. 9 f.; Rehn u. a., GO NRW, § 114a, S. 14 f.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Der Übertragung der Unterhaltung, des Betriebs und des Baus von Gemeindestraßen auf eine AöR kann auch nicht entgegen gehalten werden, dass die Gemeinde nach § 47 Abs. 1 StrWG NRW Trägerin der Straßenbaulast ist. Während die Übertragung der Straßenbaulast als solche in der Literatur wegen der damit zusammenhängenden Planungsaufgaben kritisch gesehen wird,</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Held / Winkel, Kommunalverfassungsrecht NRW, § 114a GO, S. 9 f.; Rehn u. a., GO NRW, § 114a, S. 14 f.,</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">geht es vorliegend allein um die Übertragung einzelner, aus der Straßenbaulast folgender Aufgaben (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 1 StrWG NRW).</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Auch die durch die Unternehmenssatzung statuierte Übertragung der Befugnis zum Erlass von Beitragssatzungen und damit zugleich zur Erhebung von Straßenbaubeiträgen begegnet keinen Bedenken. Der nordrhein-westfälische Gesetzgeber ging bei der Einführung von § 114a GO NRW ausdrücklich davon aus, dass einer AöR die Befugnis zur Erhebung von Kommunalabgaben übertragen werden kann.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Gesetzesentwurf der Landesregierung zum Ersten Gesetz zur Modernisierung von Regierung und Verwaltung in Nordrhein-Westfalen, LT-Drs. 12/3730 vom 25. Februar 1999, S. 107.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Dem entspricht die gesetzliche Regelung in § 1 Abs. 1 KAG NRW. Während nach Satz 1 Gemeinden berechtigt sind, nach Maßgabe dieses Gesetzes Abgaben, d. h. Steuern, Gebühren und Beiträge zu erheben, erstreckt Satz 2 diese Befugnis – mit Ausnahme der Erhebung von Steuern – ausdrücklich auf AöR im Sinne des § 114a GO NRW. Satz 2 wurde 2007 durch das Gesetz zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung eingefügt und sollte lediglich klarstellen, dass AöR ermächtigt sind, auf der Grundlage eigener Abgabensatzungen Gebühren und Beiträge zu erheben.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kommunalpolitik und Verwaltungsstrukturreform zu dem Gesetzentwurf der Landesregierung (LT-Drs. 14/3979) zum Gesetz zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung, LT-Drs. 14/4981 vom 11. September 2007, S. 73. Vgl. auch Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 1 Rn. 31; Rehn u. a., GO NRW, § 114a, S. 16.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Dies ist für die Erhebung von Abwassergebühren nach § 4 Abs. 2, § 6 KAG NRW in der Rechtsprechung auch bereits bejaht worden.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">VG Minden, Urteil vom 23. August 2007 – 9 K 3062/06 –, juris Rn. 23 ff.; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 1. Juni 2006 – 13 K 3017/04 –, juris Rn. 26 ff., und Beschluss vom 10. Februar 2005 – 13 L 1963/04 –, juris Rn. 24 ff. Das OVG NRW geht inzident ebenfalls von der Möglichkeit aus, dass eine AöR aufgrund eigener Satzung Abwassergebühren erheben kann, vgl. Beschluss vom 7. September 2004 – 9 B 1551/04 –, juris Rn. 4.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Für die Erhebung von Straßenbaubeiträgen nach § 8 Abs. 2 KAG NRW gilt nichts anderes. Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass § 8 Abs. 1 Satz 1 KAG NRW der „Gemeinde“ das Recht zur Beitragserhebung zuweist. Damit wird die Zuständigkeit für die Erhebung von Straßenbaubeiträgen lediglich der kommunalen Verwaltungsebene zugeordnet, während die Gemeinde im Rahmen ihres Selbstverwaltungsrechts bestimmt, welche organisatorische Einheit die Erfüllung der Aufgabe wahrnimmt. Diese nimmt an der die Gemeinde ermächtigenden gesetzlichen Grundlage teil,</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 1. Juni 2006 – 13 K 3017/04 –, juris Rn. 35,</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">wie § 1 Abs. 1 Satz 2 KAG NRW als allgemeine Vorschrift für AöR ausdrücklich klarstellt.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Mit der Übertragung der Unterhaltung, des Betriebs und des Baus von Gemeindestraßen auf eine AöR fallen diese Aufgaben auch nicht aus dem kommunalen Einflussbereich heraus. Die AöR unterliegt trotz ihrer rechtlichen Eigenständigkeit bei der Erfüllung ihrer Aufgaben der Kontrolle der Gemeinde, wie die zahlreichen Verflechtungen in § 114a GO NRW zeigen. So unterliegt der Verwaltungsrat der AöR den Weisungen des Rats der Gemeinde (Abs. 7) und wird vom Bürgermeister als Vorsitzendem geführt (Abs. 8 Satz 2). Daneben behält der Rat der Gemeinde durch seine Satzungsbefugnis Kontrolle über die AöR, er bleibt „Herr über Inhalt und Reichweite der Aufgabenübertragung“.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Held / Winkel, Kommunalverfassungsrecht NRW, § 114a GO, S. 10. Vgl. auch Rehn u. a., GO NRW, § 114a S. 5, 15 f.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Demnach konnte die Stadt Hürth der Antragsgegnerin in der Unternehmenssatzung wirksam die Aufgaben der Unterhaltung, des Betriebs und des Baus von Gemeindestraßen sowie die Befugnis zum Erlass von Satzungen über die Erhebung von Beiträgen nach dem KAG NRW übertragen.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Die SBS begegnet auch im Übrigen keinen Bedenken. Sie wurde von dem nach § 114a Abs. 7 Satz 3 Nr. 1 GO NRW zuständigen Verwaltungsrat der Antragsgegnerin erlassen. Formelle oder materielle Fehler drängen sich nicht auf.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">2. Die weiteren Voraussetzungen für eine Heranziehung des Antragstellers zu einem Straßenbaubeitrag liegen nach summarischer Prüfung ebenfalls vor.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Nach § 1 SBS erhebt die Antragsgegnerin zum teilweisen Ersatz des Aufwandes für die nachmalige Herstellung (Erneuerung), Erweiterung und Verbesserung von Anlagen im Bereich von öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen und als Gegenleistung für die durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme den Eigentümern und Erbbauberechtigten der erschlossenen Grundstücke erwachsenden wirtschaftlichen Vorteile Beiträge nach Maßgabe der Satzung.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">a) Die Beitragserhebung ist dem Grunde nach voraussichtlich rechtmäßig.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Die von der Antragsgegnerin vorgenommene Anlagenabgrenzung nach § 1 SBS sowie die Beitragsfähigkeit der Kanalbaumaßnahme nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. f SBS sind vom Antragsteller weder gerügt noch offensichtlich fehlerhaft.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Des Weiteren begründet die Maßnahme für die von der Anlage erschlossenen Grundstücke wirtschaftliche Vorteile im Sinne des § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG NRW. Zu diesem Kreis der begünstigten Grundstücke gehört nach summarischer Prüfung auch das Grundstück des Antragstellers mit der heutigen Katasterbezeichnung Gemarkung I.     , Flur 00, Flurstück 0000.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Ein der Beitragspflicht unterliegendes Grundstück im Sinne des § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG NRW ist die „wirtschaftliche Einheit“, d. h. jeder demselben Eigentümer gehörende Teil der Grundfläche, der selbständig baulich oder gewerblich genutzt werden kann. Ausgangspunkt für die Bestimmung der wirtschaftlichen Einheit ist das Buchgrundstück. Davon ausgehend ist festzustellen, ob das Buchgrundstück zur Bildung einer wirtschaftlichen Einheit um Flächen vergrößert oder verkleinert werden muss. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung dieser Frage ist der Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten.</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">St. Rspr, vgl. etwa OVG NRW, Urteile vom 24. Juni 2008 – 15 A 285/06 –, juris Rn. 23, und vom 15. März 2005 – 15 A 636/03 –, juris Rn. 43.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Die sachlichen Beitragspflichten sind vorliegend mit der bautechnischen Abnahme am 19. November 2015 entstanden (vgl. § 11 Abs. 1 Buchst. a SBS). Zu diesem Zeitpunkt bestand das Grundstück des Antragstellers zwar noch aus den beiden Flurstücken 0000 und 0000. Diese bildeten aber ein einziges Buchgrundstück, da sie im Grundbuch unter einer gemeinsamen laufenden Grundstücksnummer geführt wurden.</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 16. Februar 2010 – 15 A 2613/09 –, juris Rn. 5, und vom 11. April 2007 – 15 A 4358/06 –, juris Rn. 3.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Die Bildung kleiner wirtschaftlicher Einheiten drängt sich nicht auf. Hierfür sprechen bei summarischer Prüfung weder die Bebauung des Buchgrundstücks mit zwei Wohngebäuden noch seine Gesamtfläche von 952 m².</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Vgl. ablehnend für ein 900 m² großes Buchgrundstücks OVG NRW, Urteil vom 24. Juni 2008 – 15 A 4328/05 –, juris Rn. 24.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Demnach entspricht die beitragspflichtige wirtschaftliche Einheit vollständig dem heutigen Flurstück 0000. Vor diesem Hintergrund begegnet es – auch mit Blick auf die formelle Bestimmtheit des angegriffenen Bescheids (§ 12 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b, Nr. 4 Buchst. b KAG NRW i. V. m. § 119 Abs. 1, § 157 Abs. 1 Satz 2 AO) – keinen durchgreifenden Bedenken, dass im Bescheid das Flurstück 0000 als beitragspflichtiges Grundstück genannt ist. Es handelt sich lediglich um die im Grundbuch fortgeschriebene Bezeichnung desselben beitragspflichtigen Buchgrundstücks. Eine Differenzierung des Straßenbaubeitrags nach den beiden früheren Flurstücken 0000 und 0000 ist nicht erforderlich.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Das Grundstück des Antragstellers erfährt durch die abgerechnete Kanalbaumaßnahme auch einen wirtschaftlichen Vorteil im Sinne des § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG NRW. Die vorteilhafte Inanspruchnahme begründet sich darin, dass es unmittelbar an die Anlage angrenzt. Von welcher Straße aus der Zugang auf das Grundstück erfolgt, ist beitragsrechtlich nicht relevant.</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa OVG NRW, Urteil vom 19. Februar 2008 – 15 A 2568/05 –, juris Rn. 26.</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">b) Auch der Höhe nach ist die Beitragserhebung bei summarischer Prüfung nicht zu beanstanden. Einwendungen gegen die Aufwandsermittlung und -verteilung hat der Antragsteller nicht geltend gemacht. Offenkundige Fehler zu seinen Lasten drängen sich ebenfalls nicht auf.</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Die Kammer hat entsprechend ihrer ständigen Rechtsprechung ein Viertel der streitigen Beitragssumme angesetzt.</p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.</p>
<span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der  Frist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO  und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.</p>
<span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.</p>
<span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Die Beteiligten müssen sich bei der Einlegung und der Begründung der Beschwerde durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.</p>
<span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist schriftlich, zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO  und der ERVV bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.</p>
<span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.</p>
<span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p>
|
180,236 | ovgnrw-2019-01-29-6-b-167318 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 6 B 1673/18 | 2019-01-29T00:00:00 | 2019-02-07T14:18:35 | 2019-02-13T12:21:05 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0129.6B1673.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beschwerde wird zurückgewiesen.</p>
<p>Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, die der Senat gemäß § 146 Abs. 6 Satz 4 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen nicht die Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Beschlusses.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat es abgelehnt, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, aus der dienstlichen Weisung vom 11. Oktober 2018 eine Pflicht der Antragstellerin herzuleiten, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Lediglich zur Klarstellung hat es in die Beschlussformel aufgenommen, dass einer orthopädischen Zusatzbegutachtung ausschließlich hinsichtlich der linken Schulter Folge zu leisten sei. Die Antragstellerin habe die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Die Untersuchungsaufforderung, die ihre Rechtsgrundlage in § 33 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW finde, werde sich im Hauptsacheverfahren voraussichtlich als rechtmäßig erweisen. Die in verfahrensrechtlicher Hinsicht zu beachtenden Beteiligungsrechte von Personalrat, Gleichstellungsbeauftragter und Schwerbehindertenvertretung seien gewahrt. Die Aufforderung sei auch materiell rechtmäßig. Sie enthalte hinreichende Angaben zum Anlass der amtsärztlichen Untersuchung. Sie stütze sich auf die Fehlzeiten der seit dem 2. Mai 2018 dienstunfähig erkrankten Antragstellerin (§ 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG). Ferner gehe aus dem von der Antragstellerin der Antragsgegnerin zugänglich gemachten Bericht des Facharztes für Chirurgie T.      M.         vom 4. Mai 2018 hervor, dass sie unter einer Schultererkrankung leide, die sich nach ihren eigenen, auf eine Untersuchung im St. Sixtus-Hospital gestützten Angaben auch erst nach drei bis fünf Jahren bessern könne. Trotz der vorgelegten Unterlagen sei eine amtsärztliche Untersuchung erforderlich;  denn im Arztbericht vom 4. Mai 2018 fehlten eine Prognose über die voraussichtliche Dauer der Dienstunfähigkeit und hinreichende Angaben über Art und Ausmaß der Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit. Auch mit Blick auf die weitere Verwendungsmöglichkeit bedürfe es einer erneuten und amtsärztlichen Ermittlung. Art und Umfang der Untersuchung seien ebenfalls hinreichend angegeben. Dahinstehen könne, ob bei einer auf die Vermutensregelung des § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG gestützten Aufforderung keine nähere Eingrenzung erforderlich sei. Denn diese ergebe sich aus den in der Aufforderung zitierten, von der Antragstellerin vorgelegten Unterlagen. Im Übrigen finde eine Konkretisierung auf eine allgemeinmedizinische Untersuchung sowie eine orthopädische Zusatzuntersuchung - letztere durch Anknüpfung an die Diagnose des behandelnden Arztes auf eine Begutachtung der linken Schulter beschränkt - statt. Schließlich seien die Untersuchungen mit der Ankündigung  als „voraussichtlich“ nicht ins Belieben des Amtsarztes gestellt, da die Antragsgegnerin sie - unter dem Vorbehalt der Erforderlichkeit - in ihren Willen aufgenommen habe.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die mit der Beschwerde gegen diese weiter begründeten Feststellungen des Verwaltungsgerichts erhobenen Einwendungen führen zu keiner abweichenden Entscheidung.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde macht ohne Erfolg geltend, die streitgegenständliche Untersuchungsaufforderung könne nicht auf die sogenannte Vermutensregelung des § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG gestützt werden, da die Antragsgegnerin umfassende Kenntnis vom Grund der Dienstunfähigkeit habe. Zweifel an der Dienstfähigkeit sind nach dieser Regelung begründet, wenn der Beamte - wie hier die Antragstellerin - innerhalb von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat. Dieser vom Gesetzgeber eröffnete alternative, einfachere und an weitere Voraussetzungen nicht gebundene Weg für das Zurruhesetzungsverfahren ist dem Dienstherrn nicht verschlossen, wenn er - wie im Fall der Antragstellerin - über die reinen Fehlzeiten hinausgehende Kenntnis über die Erkrankung/en hat; dies beseitigt das berechtigte Interesse des Dienstherrn an einer weiteren und umfassenden Klärung des Gesundheitszustandes des Beamten durch mit den Anforderungen der Dienstausübung vertraute Amtsärzte nicht. Außerdem ist es nicht fernliegend, dass neben den bekannten Erkrankungen auch noch weitere gesundheitliche Einschränkungen vorliegen. Deren - amtsärztlicher - Ermittlung und Feststellung bedarf es nicht zuletzt auch mit Blick auf die Suche nach einer weiteren Verwendungsmöglichkeit für den Beamten, zu der der Dienstherr im Fall der Dienstunfähigkeit grundsätzlich verpflichtet ist. Stützt der Dienstherr sich auf die wegen erheblicher Fehlzeiten vermutete Dienstunfähigkeit, weiß der Adressat auch, warum die Untersuchungsanordnung ergeht. Die amtsärztliche Untersuchung dient dann dem Zweck festzustellen, ob im Sinne des § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG keine Aussicht besteht, dass innerhalb von sechs Monaten (§ 33 Abs. 1 Satz 3 LBG NRW) die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist, was regelmäßig medizinische Sachkunde erfordert.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Vgl. zum Ganzen bereits OVG NRW, Beschlüsse vom 20. Dezember 2018 - 6 B 1716/18 -, juris Rn. 25 ff., vom 17. Dezember 2018 - 6 B 1612/18 -, juris Rn. 25, vom 7. September 2018 - 6 B 1113/18 -, juris Rn. 19, und vom 26. April 2018 - 6 B 68/18 -, NWVBl 2018, 370 = juris 9 ff.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Aus Vorstehendem folgt zugleich, dass der Antragstellerin auch nicht - wie die Beschwerde meint - zuvor „die Möglichkeit eingeräumt werden (muss), die Vermutung der dauernden Dienstfähigkeit zu widerlegen“. Denn es ist gerade Zweck der mit der Aufforderung aufgegebenen Unterziehung der amtsärztlichen Untersuchung zu überprüfen, ob sich die Zweifel an der Dienstfähigkeit erhärten.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Unabhängig von den danach aufgrund der Vermutensregelung begründeten Zweifeln an der Dienstfähigkeit hat das Verwaltungsgericht feststellt, dass die Untersuchungsaufforderung auch den weitergehenden Anforderungen genügt, die das Bundesverwaltungsgericht für diejenigen Fälle entwickelt hat, in denen der Dienstherr seine Zweifel auf § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG stützt. Danach muss der Beamte anhand dieser Begründung die Auffassung der Behörde nachvollziehen und prüfen können, ob die angeführten Gründe tragfähig sind. Er muss erkennen können, welcher Vorfall oder welches Ereignis zur Begründung der Aufforderung herangezogen wird. Die Behörde darf insbesondere nicht nach der Überlegung vorgehen, der Adressat werde schon wissen, worum es geht.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. April 2014 - 2 B 80.13 -, ZBR 2014, 254 = juris Rn. 8 ff., Urteile vom 30. Mai 2013 - 2 C 68.11 -, BVerwGE 146, 347 = juris Rn. 19 f., und vom 26. April 2012 - 2 C 17.10 -, NVwZ 2012, 1483 = juris Rn. 16 ff.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Mit der Beschwerde wird nichts Substantiiertes dafür vorgetragen, dass diesen Anforderungen entgegen den erstinstanzlichen Annahmen nicht hinreichend Genüge getan sein könnte. Vielmehr verweist das Verwaltungsgericht zutreffend darauf, dass die Antragsgegnerin in der Untersuchungsaufforderung ausdrücklich auf die ihr von der Antragstellerin zugänglich gemachten Unterlagen Bezug genommen hat, u.a. auf den Bericht des behandelnden Facharztes für Chirurgie, T.      M.         , vom 4. Mai 2018 und die von der Antragstellerin persönlich verfasste Stellungnahme vom 14. September 2018. Danach leidet die Antragstellerin unter einer Schultererkrankung („Adhäsive Kapsulitis glenohumeral li.“), die sie zu Krankmeldung veranlasst hat und deren Besserung drei bis fünf Jahre in Anspruch nehmen kann.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Dass bei entsprechender Therapie - wie die Beschwerde geltend macht - die Heilung oder Besserung beschleunigt werden kann und infolge dessen letztlich möglicherweise gar keine dauernde Dienstunfähigkeit vorliegt, ist hier ohne Belang. Denn die für eine Untersuchungsaufforderung allein erforderlichen „Zweifel“ an der Dienstfähigkeit werden damit nicht in Frage gestellt.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Entgegen dem Vorbringen der Beschwerde hat das Verwaltungsgericht ferner beanstandungsfrei angenommen, dass Art und Umfang der Untersuchung in der Untersuchungsaufforderung auch dann hinreichend festgelegt sind, wenn nicht die im Rahmen der Vermutensregel des § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG herabgesetzten Anforderungen an diese Angaben,</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 3. September 2018 - 6 B 860/18 -, juris Rn. 30 ff., mit weiteren Nachweisen,</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">zugrunde zu legen sein sollten. Der Dienstherr muss sich grundsätzlich bereits im Vorfeld des Erlasses zumindest in den Grundzügen darüber klar werden, in welcher Hinsicht Zweifel am körperlichen Zustand oder der Gesundheit des Beamten bestehen und welche ärztlichen Untersuchungen zur endgültigen Klärung geboten sind. Das ist insbesondere der Fall, wenn sich der Beamte einer fachpsychiatrischen Untersuchung unterziehen soll.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 10. April 2014 - 2 B 80.13 -, a. a. O. Rn. 10, und Urteil vom 30. Mai 2013 - 2 C 68.11 -, a. a. O. Rn. 22 f.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Diesen Anforderungen genügt die Angabe, es solle eine „allgemeinmedizinische Untersuchung“ und eine „orthopädische Zusatzbegutachtung“ durchgeführt werden. Soweit die Beschwerde möglicherweise meint, es bedürfe darüber hinaus einer Angabe der im einzelnen anzuwendenden Untersuchungsmethoden, überspannt sie die Anforderungen an den Inhalt einer Untersuchungsaufforderung.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Im Übrigen folgt - wie vom Verwaltungsgericht festgestellt - aus der Bezugnahme auf den Bericht des behandelnden Facharztes M.         eine weitere Konkretisierung des Untersuchungsgegenstandes der orthopädischen Zusatzuntersuchung, nämlich auf eine Begutachtung der linken Schulter.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Gegen eine solche Bezugnahme bestehen auch keine grundsätzlichen Bedenken. Die erforderliche Information des Beamten kann durch eine (ausdrückliche) Bezugnahme auf ein anderweitiges, dem Beamten bekanntes Schreiben ebenso gut bewirkt werden wie durch die Angabe der maßgeblichen Umstände in der Anordnung selbst. Die gegenteilige Annahme liefe auf einen zweckfreien Formalismus hinaus, der weder rechtlich geboten noch sachgerecht wäre.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. Juli 2018 - 6 B 859/18 -, juris Rn. 5.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Konkrete Einwände, weshalb die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Auslegung rechtlich zu beanstanden sein soll, benennt die Beschwerde nicht. Soweit sie meint, mit der „Beschränkung“ der Untersuchungsanordnung auf die linke Schulter in der Beschlussformel greife das Verwaltungsgericht unzulässig in die behördliche Entscheidungskompetenz ein, verkennt sie, dass damit keine Einschränkung oder Modifikation der Untersuchungsaufforderung erfolgt, sondern diese lediglich ausgelegt wird. Die entsprechende Beschlussformel dient ausdrücklich nur der Klarstellung.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Schließlich trifft es auf keine durchgreifenden Bedenken, dass die Antragsgegnerin die Benennung der amtsärztlichen Untersuchung mit der Formulierung „voraussichtlich“ einleitet. Insbesondere stellt sie damit Art und Umfang der Untersuchung nicht entgegen den Anforderungen der Rechtsprechung,</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. April 2014 - 2 B 80.13 -, a. a. O. Rn. 10, Urteil vom 30. Mai 2013 - 2 C 68.11 -, a. a. O. Rn. 19; vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 27. November 2013 - 6 B 975/13 -, ZBR 2014, 141 = juris Rn. 21,</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">„ins Belieben des Amtsarztes“. Ebenso wenig hat diese Formulierung zur Folge, dass die Zusatzbegutachtung als von der streitgegenständlichen Untersuchungsaufforderung noch nicht umfasst anzusehen wäre. Vielmehr bringt die Antragsgegnerin damit zum Ausdruck, dass sie - unter dem Vorbehalt der Erforderlichkeit - die Durchführung einer solchen Untersuchung bereits in ihren Willen aufgenommen bzw. angeordnet hat.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Vgl. dazu auch OVG NRW, Beschlüsse vom 20. Dezember 2018 - 6 B 1716/18 -, a. a. O. Rn. 12, und vom 10. September 2018 - 6 B 1087/18 -, juris Rn. 12.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Wegen der Eingriffe in die grundrechtsbewehrte persönliche Sphäre des Beamten und der weitreichenden dienstrechtlichen Konsequenzen, die mit ärztlichen Untersuchungen verbunden sind, berechtigt eine solche, nicht auf konkrete Erkenntnisse zu den Erkrankungen gestützte Untersuchungsanordnung allerdings nicht zur Durchführung besonders eingriffsintensiver Untersuchungen, wie etwa fachpsychiatrische Untersuchungen, die ggf. einer eigenen Untersuchungsanordnung bedürfen.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Vgl. ausführlich dazu OVG NRW, Beschlüsse vom 4. September 2018 - 6 B 1124/18 -, juris Rn. 21, und vom 3. September 2018 - 6 B 860/18 -, a. a. O. Rn. 35, jeweils mit weiteren Nachweisen.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p>
|
180,235 | ovgnrw-2019-01-29-11-a-252517 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 11 A 2525/17 | 2019-01-29T00:00:00 | 2019-02-07T14:18:35 | 2019-02-13T12:21:05 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0129.11A2525.17.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag wird abgelehnt.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Rechtssache weist weder die vom Kläger geltend gemachten besonderen rechtlichen Schwierigkeiten i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. VwGO auf noch rechtfertigt das Zulassungsvorbringen die Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">I. Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dem Kläger stehe ein Anspruch auf Einbeziehung seiner Adoptivtochter und seiner Adoptivenkel in seinen Aufnahmebescheid nicht zu, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Besondere rechtliche Schwierigkeiten i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. VwGO ergeben sich insoweit nicht.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Eine nachträgliche Einbeziehung der Angehörigen des Klägers in seinen Aufnahmebescheid nach § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG scheidet aus. Nach dieser Vorschrift kann abweichend von § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG der im Aussiedlungsgebiet verbliebene Ehegatte oder Abkömmling eines Spätaussiedlers, der seinen ständigen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes hat, nachträglich nach Satz 1 in den Aufnahmebescheid des Spätaussiedlers einbezogen werden, wenn die sonstigen Voraussetzungen vorliegen.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die Adoptivtochter des Klägers und seine Adoptivenkel sind nicht i. S. d. § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG im Aussiedlungsgebiet verbliebene Abkömmlinge eines Spätaussiedlers. Ihre nachträgliche Einbeziehung in den Aufnahmebescheid des Klägers scheitert bereits daran, dass die Adoptivtochter, von der auch die Adoptivenkel ihren Status ableiten, erst mit Beschluss des Amtsgerichts T.         vom 3. Juni 2015 und damit nach der im Jahr 2002 erfolgten Übersiedlung des Klägers ins Bundesgebiet von diesem adoptiert worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">1. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass Abkömmlinge, die erst nach Ausreise der Bezugsperson geboren worden sind, nicht in den Aufnahmebescheid der Bezugsperson einbezogen werden können, weil ihre Eintragung nicht „nachgeholt“ werden kann.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteile vom 27. September 2016 - 1 C 17.15 -, BVerwGE 156, 164 = juris, Rn. 16 ff., und vom 2. Juni 2005 - 5 C 14.04 -, BVerwGE 123, 378 = juris, Rn. 9 ff.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die in § 27 Abs. 2 Satz 2 BVFG geregelte Ausnahme für die Einbeziehung von während des Aussiedlungsvorgangs geborenen Abkömmlingen betrifft einen Sonderfall und lässt den Grundsatz unberührt, dass die Einbeziehung von nach der Ausreise der Bezugsperson geborenen Abkömmlingen nicht „nachgeholt“ werden kann. Dementsprechend setzt auch eine nachträgliche Einbeziehung nach § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG voraus, dass der Abkömmling zum Zeitpunkt der Aussiedlung der Bezugsperson bereits geboren war. Die Vorschrift ermöglicht eine „nachträgliche“ Einbeziehung „abweichend von Satz 1“. Nach § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG wird „der im Aussiedlungsgebiet lebende Abkömmling ... zum Zweck der gemeinsamen Aussiedlung“ einbezogen. Ein Abkömmling, der zum Zeitpunkt der Aussiedlung der Bezugsperson noch nicht lebte, kann daher nicht gemäß § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG „abweichend von Satz 1 ... nachträglich“ einbezogen werden.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 16. September 2015 - 11 A 1838/14 -, juris, Rn. 23; nachfolgend BVerwG, Urteil vom 27. September 2016 - 1 C 17.15 -, BVerwGE 156, 164 = juris.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Diese Auslegung entspricht der Absicht des Gesetzgebers. Die nunmehr in § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG geregelte nachträgliche Einbeziehungsmöglichkeit ist durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes vom 4. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2426 - 9. BVFG-Änderungsgesetz -) als § 27 Abs. 3 BVFG in das Bundesvertriebenengesetz eingefügt worden. In der Gesetzesbegründung zum 9. BVFG-Änderungsgesetz ist ausdrücklich ausgeführt, dass der einzubeziehende Ehegatte oder Abkömmling im Aussiedlungsgebiet verblieben sein müsse. Eine nachträgliche Einbeziehung sei damit nur möglich, wenn zum Zeitpunkt der Aussiedlung des Spätaussiedlers die Ehe bereits bestanden habe „bzw. der Abkömmling bereits geboren war“.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Vgl. BR-Drs. 57/11 vom 4. Februar 2011, S. 6; wortgleich BT-Drs. 17/5515 vom 13. April 2011, S. 7; vgl. OVG NRW, Urteil vom 16. September 2015 - 11 A 1838/14 -, juris, Rn. 24; nachfolgend BVerwG, Urteil vom 27. September 2016 - 1 C 17.15 -, BVerwGE 156, 164 = juris.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Durch das Zehnte Gesetz zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes vom 6. September 2013 (BGBl. I S. 3554 - 10. BVFG-Änderungsgesetz -) ist diese Regelung als § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG übernommen worden. Das Erfordernis einer Härte ist entfallen, ansonsten ist die Regelung unverändert geblieben. Die Vorschrift eröffnet damit - nach wie vor - keine nachträgliche Einbeziehungsmöglichkeit für Abkömmlinge, die erst nach der Übersiedlung der Bezugsperson nach Deutschland geboren wurden.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. September 2016 - 1 C 17.15 -, BVerwGE 156, 164 = juris, Rn. 18; OVG NRW, Urteil vom 16. September 2015 - 11 A 1838/14 -, juris, Rn. 26.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">2. Gleiches gilt auch für Abkömmlinge, die erst nach der Aussiedlung der Bezugsperson nach Deutschland - hier des Klägers - die Abkömmlingseigenschaft erlangt haben. § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG eröffnet - wie oben dargelegt - nach der Intention des Gesetzgebers keine Einbeziehungsmöglichkeit für Abkömmlinge, die es zum Zeitpunkt der Übersiedlung der Bezugsperson nach Deutschland noch nicht gab.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. September 2016 - 1 C 17.15 -, BVerwGE 156, 164 = juris, Rn. 16 ff., 18.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die Adoptivtochter des Klägers ist zwar bereits am 18. Mai 1978 und damit vor der Übersiedlung des Klägers nach Deutschland geboren. Sie war aber zu diesem Zeitpunkt im Rechtssinn (noch) kein „Abkömmling“ des Klägers, der „nachträglich“ in den Aufnahmebescheid des Klägers einbezogen werden könnte.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">a. Abkömmlinge im Sinne der Einbeziehungsvorschriften des Bundesvertriebenengesetzes sind - neben leiblichen Kindern und Enkeln - auch als minderjährige Kinder Adoptierte.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. September 2016 - 1 C 17.15 -, BVerwGE 156, 164 = juris, Rn. 16 ff., 18; OVG NRW, Urteile vom 16. September 2015 - 11 A 1838/14 -, juris, Rn. 27, und vom 27. Januar 2004 - 2 A 3304/02 -, juris, Rn. 32 f.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Vorliegend ist die Adoptivtochter des Klägers als Volljährige adoptiert worden. Die Adoption eines Volljährigen ist in der Regel keine Volladoption, allerdings erwirbt auch der volljährige Adoptierte gemäß den §§ 1754 Abs. 1, 1767 Abs. 2 Satz 1 BGB die Stellung als Kind des Annehmenden.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. November 2006 - 5 C 19.05 -, BVerwGE 127, 177 = juris, Rn. 12.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Ob der volljährige Adoptierte damit regelmäßig auch zum Abkömmling i. S. d. Einbeziehungsvorschriften des Bundesvertriebenengesetzes wird</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">- dies für den Anwendungsbereich des Art. 116   Abs. 1 GG bezweifelnd: BVerwG, Urteil vom 21. November 2006 - 5 C 19.05 -, BVerwGE 127, 177 =   juris, Rn. 13 f. -,</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">muss der Senat hier ebenso wenig entscheiden wie die Frage, ob vorliegend die Eigenschaft als Abkömmling jedenfalls deshalb begründet worden ist, weil das Amtsgericht T.         mit Beschluss vom 3. Juni 2015 (002 F 445/14) ausgesprochen hat, dass sich die Wirkungen der Annahme gemäß § 1772 Abs. 1 Satz 1 lit. b) BGB nach den Vorschriften über die Annahme eines Minderjährigen richten, weshalb es sich hier - wie bei der Adoption minderjähriger Kinder - um eine Volladoption mit den Wirkungen gemäß den §§ 1754 bis 1756 BGB handelt. Ob daraus aber folgt, dass die volljährige Adoptivtochter auch Abkömmling des Klägers im vertriebenenrechtlichen Sinn geworden ist, kann der Senat offenlassen. Denn die Angehörigen des Klägers sind aus den nachfolgenden Gründen nicht im Aussiedlungsgebiet verbliebene Abkömmlinge i. S. d. § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">b. Die Eigenschaft eines „Abkömmlings“ hätten die Adoptivtochter des Klägers und ihre beiden am 15. März 2004 geborenen Kinder jedenfalls erst durch die Adoption im Jahr 2015 erworben. In dieser Hinsicht weist die Beklagte zutreffend darauf hin, dass bei Adoptivkindern nicht der Zeitpunkt ihrer Geburt, sondern der Zeitpunkt der Adoption maßgebend ist. Die Adoption wirkt nach den §§ 1754 ff. BGB nicht zurück, sondern begründet das neue Eltern-Kind-Verhältnis unter Lösung des Kindes aus dem Verwandtschaftsverhältnis zur Herkunftsfamilie nur für die Zukunft. Erst mit der Wirksamkeit der Annahme erlangt ein Kind die rechtliche Stellung eines Kindes des Annehmenden (vgl. § 1754 BGB).</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. September 2016 - 1 C 17.15 -, BVerwGE 156, 164 = juris, Rn. 16 ff., 18; OVG NRW, Urteil vom 16. September 2015 - 11 A 1838/14 -, juris, Rn. 29; BGH, Urteil vom 8. Juli 1981 - IVb ZR 597/80 -, juris, Rn. 18.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Die Gründe, die dazu geführt haben, dass die Adoption (erst) im Jahr 2015 und nicht bereits vor der Übersiedlung des Klägers durchgeführt worden ist, sind rechtlich nicht von Bedeutung.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">c. Der Kläger beruft sich in diesem Zusammenhang auch ohne Erfolg darauf, dass durch das Amtsgericht T.         bindend ausgesprochen worden sei, dass die Annahme seiner Adoptivtochter mit den Wirkungen einer Minderjährigenannahme erfolgt sei. Dieses habe bindend festgestellt, dass die Adoptivtochter bereits als Minderjährige in die Familie aufgenommen worden sei.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Dem Kläger ist zwar darin zu folgen, dass der Beschluss des Amtsgerichts T.         (auch) für die Behörden und Gerichte bindend ist. An diese familiengerichtliche Entscheidung über das Adoptionsbegehren sind sie aber nur insoweit gebunden, als es die Tatsache einer nach deutschem Recht wirksamen Annahme als Kind, und zwar zu den Bedingungen einer Minderjährigenadoption, betrifft.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Vgl. zum Umfang der Bindungswirkung einer familiengerichtlichen Entscheidung über ein Adoptionsbegehren für den Staatsangehörigkeitserwerb BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2015 - 1 C 17.14 -, BVerwGE 151, 245 = juris, Rn. 17.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Eine weitergehende Bindungswirkung für die Frage, ob mit der Adoption die Eigenschaft als Abkömmling i. S. d. § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG erworben wurde, kommt der familiengerichtlichen Entscheidung nicht zu.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Unabhängig davon entfaltet die bindende Feststellung der Annahme als Kind mit den Wirkungen der Minderjährigenannahme - wie bereits aufgezeigt - keine Rückwirkung und führt daher nicht dazu, dass von einer durch Adoption begründeten Abkömmlingseigenschaft bereits vor der Übersiedlung der Bezugsperson auszugehen ist.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">3. Soweit der Kläger anführt, das Vater-Tochter-Verhältnis, das er zu seiner leiblichen Tochter pflege, unterscheide sich nicht von seinem Verhältnis zu seiner Adoptivtochter, die bereits mit vier Jahren in die Familie aufgenommen worden sei und keinen anderen Vater als ihn kenne, weswegen schon vor seiner Übersiedlung die gleiche familiäre Bindung wie zu seinem leiblichen Kind bestanden habe, führt auch dies nicht zur Annahme der Begründung der Abkömmlingseigenschaft im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes vor der Übersiedlung des Klägers.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Der Kläger macht mit seinem Einwand im Ergebnis geltend, auch Stiefkinder, die in einer mit leiblichen Kindern vergleichbaren familiären Nähebeziehung zu ihrer Bezugsperson stehen, seien - ungeachtet einer möglichen späteren Adoption - deren Abkömmlinge. Das trifft nicht zu.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Der Kläger beruft sich zur Begründung seiner Auffassung auf die Entstehungsgeschichte sowie den Sinn und Zweck der Einbeziehungsregelung des § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG. Mit dieser Regelung in der hier maßgeblichen Fassung des 10. BVFG-Änderungsgesetzes sollte zwar die nachträgliche Einbeziehung von Ehegatten und Abkömmlingen in den Aufnahmebescheid des Spätaussiedlers weiter erleichtert werden, indem eine Einbeziehung unabhängig von einem - in § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG i. d. F. des 9. BVFG-Änderungsgesetzes noch vorgesehenen - Nachweis eines Härtefalls und ohne zeitliche Einschränkung ermöglicht wurde. Sie stellt eine „weitere Option“ dar, die neben die Möglichkeit der Einbeziehung zum Zwecke der gemeinsamen Aussiedlung nach § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG tritt.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Vgl. BT-Drs. 17/13937 S. 6 f.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 27. September 2016 - 1 C 17.15 -, BVerwGE 156, 164 = juris, Rn. 18.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Wie unter 1. bereits dargelegt, wollte der Gesetzgeber aber ausdrücklich nicht darauf verzichten, dass die Eigenschaft als Abkömmling bereits im Zeitpunkt der Übersiedlung der Bezugsperson besteht. Für die vom Kläger vorgenommene Auslegung, dass es für die Anwendbarkeit des § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG ausreichen soll, wenn im Zeitpunkt der Übersiedlung der Bezugsperson - wenn auch nicht rechtlich, so doch jedenfalls tatsächlich - die Voraussetzungen der Eigenschaft als „Abkömmling“ erfüllt werden, fehlt es sowohl nach dem Wortlaut als auch nach der Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck der zugrunde zu legenden gesetzlichen Bestimmung an Anhaltspunkten. Die vom Kläger im Ergebnis gewünschte Ausdehnung des Begriffs des „Abkömmlings“ auf Stiefkinder findet im Gesetz daher keine Stütze.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Wollte der Gesetzgeber die Einbeziehung von Abkömmlingen über die biologische Abstammung oder rechtlich begründete Kindschaftsverhältnisse, wie sie durch die Adoption Minderjähriger entstehen, hinaus - insbesondere auch auf Stiefkinder - ausdehnen, bedürfte es hierfür einer Änderung der bisherigen gesetzlichen Regelung.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">II. Die Zulassung der Berufung rechtfertigt sich auch nicht wegen des weiter geltend gemachten Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Die vom Kläger im Rahmen dieses Zulassungsgrundes sinngemäß aufgeworfenen Fragen,</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">ob in der Bundesrepublik Deutschland als Kind der Bezugsperson im Erwachsenenalter mit den Wirkungen der Minderjährigenannahme Adoptierte nachträglich gemäß § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG in den Aufnahmebescheid des vorher bereits Ausgesiedelten einbezogen werden müssen,</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">ob das Bundesverwaltungsamt an den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des deutschen Familiengerichts im Adoptionsverfahren dahingehend gebunden ist, dass es sowohl in tatsächlicher als auch rechtlicher Hinsicht an dessen Feststellungen, nämlich das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Annahme des Volljährigen mit den Wirkungen der Minderjährigenannahme, gebunden ist,</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">lassen sich - wie sich aus den Darlegungen unter I. ergibt - auf der Grundlage des Gesetzes und einer sachgerechten Gesetzesinterpretation sowie anhand der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung ohne weiteres auch ohne die Durchführung eines Berufungsverfahrens beantworten.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Für die vom Kläger überdies angeregte Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG oder den Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV sieht der Senat vor diesem Hintergrund keine Veranlassung.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist nunmehr rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p>
|
175,016 | eugh-2019-01-29-117 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | 1/17 | 2019-01-29T00:00:00 | 2019-01-31T19:20:44 | 2019-01-31T19:20:44 | Schlussantrag des Generalanwalts | ECLI:EU:C:2019:72 | <p>Vorläufige Fassung</p>
<p class="C36Centre">SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS</p>
<p class="C36Centre">YVES BOT</p>
<p class="C36Centre">vom 29. Januar 2019(<a href="#Footnote1" name="Footref1">1</a>)</p>
<p class="C38Centregrasgrandespacement">
<b>Gutachten 1/17</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Gutachtenantrag des Königreichs Belgien</b>
</p>
<p class="C71Indicateur">„Gutachten nach Art. 218 Abs. 11 AEUV – Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits (CETA) – Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten (ISDS) – Errichtung eines Gerichts und einer Rechtsbehelfsinstanz – Vereinbarkeit mit dem Primärrecht der Union – Erfordernis der Autonomie der Unionsrechtsordnung und des Gerichtssystems der Union – Anwendbarkeit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auf die von der Union vorgenommene Ausübung ihrer Zuständigkeit für den Abschluss eines völkerrechtlichen Abkommens – Art. 20 und 21 der Charta – Grundsatz der Gleichbehandlung – Art. 47 der Charta – Recht auf Zugang zu einem unabhängigen und unparteiischen Gericht“</p>
<br/>
<br/>
<br/>
<br/>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C19Centre">Inhaltsverzeichnis</p>
<p class="C19Centre">
<br/>
</p>
<p class="CTOC1">I. Einleitung</p>
<p class="CTOC1">II. Kontext des Antrags auf Gutachten</p>
<p class="CTOC1">III. Gutachtenantrag des Königreichs Belgien</p>
<p class="CTOC2">A. Zur Vereinbarkeit des CETA mit der ausschließlichen Zuständigkeit des Gerichtshofs für die verbindliche Auslegung des Unionsrechts</p>
<p class="CTOC3">1. Das Gerichtssystem der Union als Garantie für die Autonomie der Unionsrechtsordnung</p>
<p class="CTOC3">2. Die Voraussetzungen für die Schaffung eines spezifischen Streitbeilegungsmechanismus durch die von der Union geschlossenen internationalen Übereinkünfte</p>
<p class="CTOC3">3. Das Erfordernis der Gegenseitigkeit beim Schutz der Investoren jeder Vertragspartei</p>
<p class="CTOC3">4. Ein Mechanismus im Einklang mit der fehlenden unmittelbaren Wirkung des CETA</p>
<p class="CTOC3">5. Das Urteil Achmea präjudiziert nicht die Beurteilung der Vereinbarkeit des ICS mit dem Erfordernis der Autonomie der Unionsrechtsordnung</p>
<p class="CTOC3">6. Die von den Vertragsparteien vorgesehenen Garantien zur Wahrung der ausschließlichen Zuständigkeit des Gerichtshofs für die verbindliche Auslegung des Unionsrechts</p>
<p class="CTOC3">7. Der ICS berührt nicht die Aufgabe der nationalen Gerichte, eine effektive Anwendung des Unionsrechts zu gewährleisten</p>
<p class="CTOC3">8. Die Kohärenz mit den Zielen des auswärtigen Handelns der Union</p>
<p class="CTOC3">9. Die Einrichtung eines Mechanismus der vorherigen Befassung des Gerichtshofs und die Möglichkeit einer vollständigen Überprüfung der Urteilssprüche durch die Gerichte der Mitgliedstaaten sind nicht notwendig</p>
<p class="CTOC2">B. Zum allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung und zum Gebot der Effektivität des Unionsrechts</p>
<p class="CTOC2">C. Zur Vereinbarkeit von Kapitel 8 Abschnitt F CETA mit dem Recht auf Zugang zu einem unabhängigen und unparteiischen Gericht</p>
<p class="CTOC3">1. Allgemeine Erwägungen</p>
<p class="CTOC3">2. Zum Zugang kleiner und mittlerer Unternehmen zu dem CETA-Gericht</p>
<p class="CTOC3">3. Zu den Vergütungsbedingungen für die Mitglieder des Gerichts und der Rechtsbehelfsinstanz</p>
<p class="CTOC3">4. Zu den Voraussetzungen für die Ernennung und die etwaige Abberufung der Mitglieder des Gerichts und der Rechtsbehelfsinstanz</p>
<p class="CTOC3">5. Zu den für die Mitglieder des Gerichts und der Rechtsbehelfsinstanz geltenden Ethikregeln</p>
<p class="CTOC1">IV. Ergebnis</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C21Titrenumerote1">I.      <b>Einleitung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point1">1.</a>        Am 30. Oktober 2016 haben Kanada einerseits und die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten andererseits in Brüssel ein umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen, besser bekannt unter der Abkürzung „CETA“ <i>(Comprehensive Economic and Trade Agreement)</i> (im Folgenden: CETA), unterzeichnet(<a href="#Footnote2" name="Footref2">2</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point2">2.</a>        Ebenso wie u. a. das Abkommen, das Gegenstand des Gutachtens 2/15 (Freihandelsabkommen mit Singapur) vom 16. Mai 2017(<a href="#Footnote3" name="Footref3">3</a>) war, ist das CETA insoweit ein Freihandelsabkommen der sogenannten „neuen Generation“, als es zusätzlich zu den traditionellen Bestimmungen zum Abbau von Zöllen und nichttarifären Hemmnissen für den Handel mit Waren und Dienstleistungen Vorschriften u. a. über die Investitionen, das öffentliche Auftragswesen, den Schutz des geistigen Eigentums und die nachhaltige Entwicklung enthält.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point3">3.</a>        Obwohl das CETA bereits unterzeichnet ist, wurde es noch nicht im Sinne von Art. 218 Abs. 6 AEUV abgeschlossen. Es wird jedoch teilweise vorläufig angewendet(<a href="#Footnote4" name="Footref4">4</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point4">4.</a>        Gegenstand der vorliegenden Rechtssache ist ein Antrag auf Gutachten, den das Königreich Belgien am 7. September 2017 beim Gerichtshof gemäß Art. 218 Abs. 11 AEUV eingereicht hat.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point5">5.</a>        Der Gutachtenantrag des Königreichs Belgien lautet wie folgt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">Ist das am 30. Oktober 2016 in Brüssel unterzeichnete CETA zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits in seinem Kapitel 8 („Investitionen“) Abschnitt F („Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Investoren und Staaten“) mit den Verträgen – einschließlich der Grundrechte – vereinbar?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point6">6.</a>        Durch Kapitel 8 Abschnitt F CETA, in dem die Art. 8.18 bis 8.45 dieses Abkommens enthalten sind, soll ein auch unter der Abkürzung „ISDS“ (<i>Investor State Dispute Settlement System</i>) bekannter Mechanismus zur Beilegung von Investor-Staat-Streitigkeiten eingeführt werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point7">7.</a>        Hierfür ist in diesem Abschnitt die Errichtung eines Gerichts (im Folgenden: Gericht bzw. CETA-Gericht) und einer Rechtsbehelfsinstanz (im Folgenden: Rechtsbehelfsinstanz bzw. CETA-Rechtsbehelfsinstanz) sowie auf längere Sicht eines multilateralen Investitionsgerichtshofs mit Rechtsbehelfsinstanz vorgesehen, wodurch die Tätigkeit der ersten Gerichte beendet würde. Es ist somit geplant, ein – unter seiner englischen Bezeichnung <i>Investment Court System</i> (ICS) besser bekanntes – „Investitionsgerichtssystem“ (im Folgenden: ICS) zu schaffen, wobei das CETA-Gericht nur eine erste Phase dieses Systems darstellen würde. Dieses Gericht wäre demnach die erste konkrete Anwendung der Reform des ISDS-Mechanismus, die von der Europäischen Kommission 2015(<a href="#Footnote5" name="Footref5">5</a>) als Reaktion auf die öffentliche Befragung zum Schutz von Investitionen und zum ISDS(<a href="#Footnote6" name="Footref6">6</a>) skizziert worden war. Kapitel 8 Abschnitt F CETA sieht mithin einen institutionalisierten verfahrensrechtlichen Rahmen zur Beilegung etwaiger Streitigkeiten zwischen dem Investor einer Vertragspartei und der anderen Vertragspartei über die Auslegung und die Anwendung des CETA vor, durch den die dem klassischen ISDS-Mechanismus nachgesagten Mängel abgestellt werden sollen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point8">8.</a>        Mit der Aufnahme dieses reformierten Mechanismus in das CETA sieht sich die Union als Initiatorin einer umfassenden Reform des Modells der Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten durch die Entwicklung des aktuellen auf den Prinzipien der Schiedsgerichtsbarkeit beruhenden <i>Ad-hoc-</i>ISDS-Mechanismus hin zu einem ICS, das in der Errichtung eines ständigen multilateralen Gerichtshofs seine Vollendung fände(<a href="#Footnote7" name="Footref7">7</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point9">9.</a>        In seinem Antrag auf Gutachten legt das Königreich Belgien dem Gerichtshof seine Zweifel an der Vereinbarkeit von Kapitel 8 Abschnitt F CETA mit den Verträgen dar. Diese Zweifel betreffen im Wesentlichen die Auswirkungen dieses Teils des Abkommens auf die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichtshofs für die verbindliche Auslegung des Unionsrechts, den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz und das Gebot der Effektivität des Unionsrechts sowie das Recht auf Zugang zu einem unabhängigen und unparteiischen Gericht.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">II.    <b>Kontext des Antrags auf Gutachten</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point10">10.</a>      Das Recht der internationalen Investitionen hat zwei verschiedene Komponenten: ein aus Normen zum Schutz ausländischer Investitionen bestehendes materielles Recht und ein der transnationalen Schiedsgerichtsbarkeit zuzurechnendes Verfahrensrecht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point11">11.</a>      In diesem Zusammenhang ermöglicht der ISDS-Mechanismus die Beilegung von Streitigkeiten, wenn ein Investor meint, ein Staat habe seine Verpflichtungen aus einem völkerrechtlichen Investitionsabkommen verletzt. Durch die Aufnahme von Bestimmungen über einen ISDS-Mechanismus in ein völkerrechtliches Investitionsabkommen erhalten ausländische Investoren somit die Möglichkeit, einen Rechtsstreit mit dem Staat, in dem die Investition getätigt wurde, nicht vor die Gerichte dieses Staates, sondern nach den in diesem Abkommen angeführten Bestimmungen vor ein <i>Ad-hoc-</i>Schiedsgericht zu bringen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point12">12.</a>      Der Boom des Investor-Staat-Schiedsverfahrens ist ein relativ neues Phänomen; es hat sich als eine Reaktion auf die mutmaßlichen Unzulänglichkeiten des Justizwesens in manchen Gastländern herausgebildet, die den Investoren das Vertrauen in die Justiz genommen haben. Mit dieser Form der Streitbeilegung soll den Investoren deshalb ein neutrales und wirksames Mittel zur Regelung eines Rechtsstreits an die Hand gegeben werden, was sich dadurch investitionsfördernd auswirken soll, dass den Wirtschaftsteilnehmern, die im Ausland investieren wollen, Sicherheit vermittelt wird.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point13">13.</a>      Der Streitbeilegungsmechanismus in Gestalt der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit wurde somit seit seinen Anfängen von dem Willen der Vertragsparteien geleitet, die Regelung von Streitfällen zwischen ausländischen Investoren und dem Gaststaat auszulagern(<a href="#Footnote8" name="Footref8">8</a>). Dieser Streitbeilegungsmechanismus soll auch an die Stelle des diplomatischen Schutzes treten, bei dem der Staat, dem der Investor angehört, dessen Ansprüche gegenüber dem Gaststaat der Investition vertritt(<a href="#Footnote9" name="Footref9">9</a>). Er ist folglich eine Fortsetzung der Entwicklung, Investitionsstreitigkeiten aus dem politischen und diplomatischen Bereich herauszulösen. Die Investor-Staat-Streitbeilegung ist auch eine Alternative für den anderen Mechanismus der Beilegung von Investitionsstreitigkeiten, nämlich das zwischenstaatliche Schiedsverfahren, das dieselben Nachteile aufweist wie der diplomatische Schutz, d. h. aus der Sicht des Investors ein Abhängigkeitsverhältnis gegenüber seinem Heimatstaat und aus der Sicht dieses Staates das Risiko, dass die ergriffene Maßnahme seine Beziehungen zu anderen Staaten belasten kann.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point14">14.</a>      Als die Union eine Außenkompetenz für Direktinvestitionen erhielt, musste sie ein Modell für die Beilegung von Streitfällen im Zusammenhang mit der Einhaltung der Schutznormen in Freihandelsabkommen entwickeln, die sie mit Drittstaaten geschlossen hatte(<a href="#Footnote10" name="Footref10">10</a>). Die in bilateralen Investitionsabkommen enthaltenen Schiedsklauseln werden nämlich im internationalen Investitionsrecht als ein Kernstück des Schutzes ausländischer Investitionen im Gaststaat angesehen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point15">15.</a>      Die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit in ihrer klassischen Form stößt jedoch auf Kritik, vor allem wegen der mangelnden Legitimität und der fehlenden Garantien für die Unabhängigkeit der Schiedsrichter, wegen des Mangels an Kohärenz und an Berechenbarkeit der Schiedssprüche, wegen der Unmöglichkeit, den ergangenen Schiedsspruch überprüfen zu lassen, wegen der Gefahr eines „Regelungsstillstands“(<a href="#Footnote11" name="Footref11">11</a>) und wegen der hohen Verfahrenskosten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point16">16.</a>      In Anbetracht der an der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit geübten Kritik bringt die Beschleunigung der Verhandlungen zwischen der Union und Drittstaaten zur Entwicklung bilateraler Freihandelsbeziehungen mit einer Investitionskomponente zahlreiche politische wie auch rechtliche Herausforderungen mit sich.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point17">17.</a>      Eine der wichtigsten dieser Herausforderungen besteht in der Definition eines Modells, das es der Union und ihren Mitgliedstaaten erlaubt, sich an eine Schiedsgerichtspraxis anzupassen, die bei der Beilegung von Streitigkeiten über den Schutz ausländischer Investitionen die Regel darstellt, und gleichzeitig das klassische Modell zu verbessern, um zum einen auf die Kritik an der Funktionsweise der Schiedsgerichte und der Legitimität einer Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit zu reagieren und zum anderen die Kohärenz mit den wesentlichen Grundsätzen der Streitbeilegungsmechanismen in der Unionsrechtsordnung zu wahren.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point18">18.</a>      Das gewählte Modell ist in mehrfacher Hinsicht durch gewisse originelle Merkmale gekennzeichnet, die ihm einen hybriden Charakter – eine Art Kompromiss zwischen einem Schiedsgericht und einem internationalen Gerichtshof – verleihen. Die Union hat somit im Rahmen des CETA den Weg einer Institutionalisierung und eines Prozesses der „Verrichterlichung“ des Mechanismus der Beilegung von Investitionsstreitigkeiten eingeschlagen, der ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Tradition und Innovation bei der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit erkennen lässt. Es muss betont werden, dass es sich hier um ein Experiment handelt: Die Union setzt sich an die Spitze einer Bewegung, bei der sich erst noch erweisen wird, ob sie rechtlich fortbesteht(<a href="#Footnote12" name="Footref12">12</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point19">19.</a>      Die Union musste die Verhandlungen mit Drittstaaten zu diesem Punkt pragmatisch führen und dem Umstand Rechnung tragen, dass die Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit von ihren Partnern sowie von den Investoren selbst als unverzichtbares Element für deren Schutz angesehen wird(<a href="#Footnote13" name="Footref13">13</a>). Für die Union bestand die vordringliche Aufgabe deshalb darin, diesem Streitbeilegungsmechanismus zuzustimmen, ihn zugleich aber auch zu verbessern und den Blick längerfristig auf substanziellere Entwicklungen wie das Projekt eines multilateralen Investitionsgerichtshofs zu richten(<a href="#Footnote14" name="Footref14">14</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point20">20.</a>      Das CETA enthält daher einen Streitbeilegungsmechanismus, dessen Gestalt sich im Lauf der Verhandlungen gewandelt hat, damit u. a. die Ergebnisse einer von der Kommission dazu unternommenen öffentlichen Befragung berücksichtigt werden konnten(<a href="#Footnote15" name="Footref15">15</a>). Die Lebhaftigkeit der Debatte über die Zweckmäßigkeit und die Merkmale eines solchen Mechanismus ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass sich im Rahmen der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit private Interessen und öffentliche Interessen gegenüberstehen. Diese Schiedsgerichtsbarkeit wirft somit zwangsläufig Probleme auf, die die staatliche Politik beeinflussen können.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point21">21.</a>      Die von der Union angestoßene Reform, wie sie im CETA zum Ausdruck kommt, beruht momentan auf zwei Hauptaspekten: dem ausdrücklichen Verweis auf das Recht der Vertragsparteien, im öffentlichen Interesse regelnd tätig zu werden, verbunden mit präziser gefassten Investitionsschutzbestimmungen, um gewisse übertriebene Auslegungen der Normen abzustellen(<a href="#Footnote16" name="Footref16">16</a>), und dem Willen, ein u. a. durch die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit seiner Mitglieder sowie durch die Transparenz seiner Verfahren gekennzeichnetes Gerichtssystem anzustreben.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point22">22.</a>      Dieses System in seinem derzeitigen Entwicklungsstand, das sich von der klassischen Schiedsgerichtsbarkeit entfernt, um sich einem Gerichtssystem anzunähern, ist Gegenstand des vorliegenden Gutachtenverfahrens. Die dieses System betreffenden CETA-Vorschriften gehören nicht zu den Bestimmungen, die vorläufig angewendet werden(<a href="#Footnote17" name="Footref17">17</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point23">23.</a>      Obwohl dieses System die Überschrift „Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Investoren und Staaten“ trägt, erfasst es nicht nur Fälle, in denen ein Investor eines Mitgliedstaats Klage gegen Kanada und in denen ein kanadischer Investor Klage gegen einen Mitgliedstaat erhebt, sondern auch Fälle, in denen ein kanadischer Investor die Union verklagt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point24">24.</a>      Die wesentlichen Vorschriften über die Organisation und die Errichtung des ICS finden sich in Kapitel 8 Abschnitt F CETA. Zu bestimmten Aspekten wird jedoch auf von dem in Art. 26.1 CETA genannten Gemischten CETA-Ausschuss zu fassende Beschlüsse verwiesen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point25">25.</a>      Das Hauptmerkmal dieses Streitbeilegungsmechanismus besteht in der Einsetzung eines ständigen Gerichts, das über Klagen von Investoren gegen eine Vertragspartei entscheiden soll(<a href="#Footnote18" name="Footref18">18</a>). Das Gericht setzt sich aus 15 Mitgliedern zusammen, die vom Gemischten CETA-Ausschuss ernannt werden(<a href="#Footnote19" name="Footref19">19</a>), und zwar für eine Amtszeit von fünf Jahren, die einmal verlängert werden kann(<a href="#Footnote20" name="Footref20">20</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point26">26.</a>      Die Mitglieder des Gerichts müssen die in ihren jeweiligen Ländern zur Ausübung des Richteramts erforderlichen Qualifikationen besitzen oder Juristen von anerkannt hervorragender Befähigung sein und über nachweisliches Fachwissen auf dem Gebiet des Völkerrechts verfügen(<a href="#Footnote21" name="Footref21">21</a>). Die Mitglieder des Gerichts müssen unabhängig sein und Regeln zur Vermeidung von Interessenkonflikten einhalten(<a href="#Footnote22" name="Footref22">22</a>). Zur Verhandlung der Fälle werden innerhalb des Gerichts Kammern gebildet, denen jeweils drei Mitglieder des Gerichts angehören, die alle vom Präsidenten des Gerichts nach einem Rotationsverfahren ernannt werden, durch das sichergestellt wird, dass die Zusammensetzung der Kammern nach dem Zufallsprinzip erfolgt und nicht vorhersehbar ist(<a href="#Footnote23" name="Footref23">23</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point27">27.</a>      Gegen die Urteilssprüche des Gerichts kann Rechtsbehelf bei einer ständigen Rechtsbehelfsinstanz eingelegt werden(<a href="#Footnote24" name="Footref24">24</a>). Der Rechtsbehelf kann insbesondere auf Rechtsfehler oder auf offenkundige Fehler bei der Würdigung des Sachverhalts, u. a. bei der Beurteilung relevanter Vorschriften des innerstaatlichen Rechts, gestützt werden(<a href="#Footnote25" name="Footref25">25</a>). Die Mitglieder der Rechtsbehelfsinstanz werden vom Gemischten CETA-Ausschuss ernannt(<a href="#Footnote26" name="Footref26">26</a>). Sie müssen über dieselben Qualifikationen wie die Mitglieder des Gerichts verfügen und unterliegen denselben Ethikregeln(<a href="#Footnote27" name="Footref27">27</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point28">28.</a>      Gemäß Art. 8.41 Abs. 1 CETA ist „[e]in nach diesem Abschnitt verkündeter Urteilsspruch ... für die Streitparteien und für den betreffenden Fall bindend“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point29">29.</a>      Bei den materiell-rechtlichen Bestimmungen verbindet der neue Ansatz die Bekräftigung des Rechts der Vertragsparteien zum Erlass von Regelungen(<a href="#Footnote28" name="Footref28">28</a>) mit dem Bemühen um eine präzise Festlegung der grundlegenden Schutzvorschriften(<a href="#Footnote29" name="Footref29">29</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point30">30.</a>      So sollen durch das CETA die grenzüberschreitenden Investitionen zwischen der Union und Kanada gefördert werden, indem den Investoren der Vertragsparteien ein hohes Maß an Schutz für ihre Investitionen geboten wird, während gleichzeitig die Regelungsbefugnis jeder Vertragspartei geschützt wird(<a href="#Footnote30" name="Footref30">30</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point31">31.</a>      Darüber hinaus wurde zum Zeitpunkt der Unterzeichnung von CETA ein Gemeinsames Auslegungsinstrument festgelegt(<a href="#Footnote31" name="Footref31">31</a>), das in Nr. 6 spezifische Auslegungsleitlinien für den ICS enthält. Zudem haben die Kommission und der Rat bei der Unterzeichnung dieses Abkommens die Erklärung Nr. 36 abgegeben, in der sie die für die Errichtung des ICS zu treffenden Maßnahmen benennen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point32">32.</a>      Im Anschluss an diesen deskriptiven Teil meiner Ausführungen möchte ich sogleich darauf hinweisen, dass ich bei meiner Stellungnahme zum Gutachtenantrag des Königreichs Belgien die politischen und wirtschaftlichen Aspekte der unterbreiteten Problematik trotz ihrer Bedeutung beiseitelassen werde, halte ich es doch für notwendig, zu betonen, dass es im vollen Ermessen der Unionsorgane steht, bei der Durchführung der gemeinsamen Handelspolitik auf eine bewährte Praxis der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit zurückzugreifen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point33">33.</a>      Es ist deshalb nicht meine Aufgabe, zur Zweckmäßigkeit der Aufnahme eines derartigen Streitbeilegungsmechanismus in die von der Union mit Drittstaaten ausgehandelten Abkommen und zu den wirtschaftlichen Auswirkungen, die der ISDS-Mechanismus auf den Anreiz ausländischer Investoren und die Entwicklung ihrer Geschäftstätigkeit möglicherweise hat, aus politischer Sicht Stellung zu nehmen. Dies fällt in den weiten Beurteilungsspielraum der Unionsorgane(<a href="#Footnote32" name="Footref32">32</a>). Im Übrigen ist es das Ergebnis der demokratischen Debatte, die innerhalb der Union und in den Mitgliedstaaten geführt wurde. Ich habe nur zu prüfen, ob das geplante Abkommen insoweit, als es die Praxis der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit übernimmt, diese jedoch anpasst, um sie zu einem gerichtlichen Modell zu entwickeln, unter rein rechtlichen Gesichtspunkten mit dem Primärrecht der Union vereinbar ist.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">III. <b>Gutachtenantrag des Königreichs Belgien</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point34">34.</a>      Das Königreich Belgien möchte mit seinem Antrag auf Gutachten zur Klärung des rechtlichen Rahmens beitragen, in den sich das CETA einfügen muss, nimmt aber nicht selbst dazu Stellung, wie seines Erachtens die dem Gerichtshof vorgelegten Fragen beantwortet werden sollten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point35">35.</a>      Das Königreich Belgien erklärt auch, es sei sich dessen bewusst, dass bestimmte Maßnahmen zur Durchführung des CETA und der Erklärung Nr. 36 ergriffen werden müssten, was das Gutachten des Gerichtshofs beeinflussen könne.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point36">36.</a>      Der Antrag auf Gutachten betrifft die drei folgenden Probleme: die Zuständigkeit des Gerichtshofs, den Grundsatz der Gleichbehandlung und das Gebot der Effektivität des Unionsrechts sowie das Recht auf Zugang zu einem unabhängigen und unparteiischen Gericht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point37">37.</a>      Was zunächst die Zulässigkeit des Antrags des Königreichs Belgien betrifft, so ist der Präventionscharakter des Gutachtenverfahrens zu unterstreichen. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass „nach Art. 218 Abs. 11 AEUV das Parlament, der Rat, die Kommission oder ein Mitgliedstaat ein Gutachten des Gerichtshofs über die Vereinbarkeit einer geplanten Übereinkunft mit den Verträgen einholen kann. Diese Bestimmung zielt darauf ab, Komplikationen zu vermeiden, die entstehen könnten, wenn die Vereinbarkeit völkerrechtlicher Übereinkünfte, die die Union verpflichten, mit den Verträgen vor Gericht bestritten würde“(<a href="#Footnote33" name="Footref33">33</a>). „Eine gerichtliche Entscheidung, mit der eine die Union verpflichtende völkerrechtliche Übereinkunft nach ihrem Abschluss wegen ihres Inhalts oder des Verfahrens ihres Zustandekommens für mit den Verträgen unvereinbar erklären würde, würde nämlich nicht nur unionsintern, sondern auch auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen zu ernsten Schwierigkeiten führen und könnte für alle Beteiligten einschließlich der Drittstaaten Nachteile mit sich bringen“(<a href="#Footnote34" name="Footref34">34</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point38">38.</a>      Wie bereits erwähnt, ist das CETA zwar schon unterzeichnet, jedoch noch nicht im Sinne von Art. 218 Abs. 6 AEUV abgeschlossen worden. Es handelt sich also weiterhin um eine „geplante“ Übereinkunft im Sinne von Art. 218 Abs. 11 AEUV.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">A.      <b>Zur Vereinbarkeit des CETA mit der ausschließlichen Zuständigkeit des Gerichtshofs für die verbindliche Auslegung des Unionsrechts</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point39">39.</a>      Das Königreich Belgien weist darauf hin, dass der Gerichtshof in Rn. 246 seines Gutachtens 2/13 den „Grundsatz der ausschließlichen Zuständigkeit des Gerichtshofs für die verbindliche Auslegung des Unionsrechts“ aufgestellt hat.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point40">40.</a>      Dieser Mitgliedstaat verweist auch auf die Gründe, aus denen der Gerichtshof in seinem Gutachten 1/09 vom 8. März 2011(<a href="#Footnote35" name="Footref35">35</a>) den Entwurf eines internationalen Übereinkommens zur Schaffung eines Gerichts für europäische Patente und Gemeinschaftspatente für mit dem Unionsrecht unvereinbar erklärt hat.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point41">41.</a>      Unter Hinweis darauf, dass das Gericht nach Art. 8.18 Abs. 1 CETA die Vereinbarkeit einer Maßnahme des abgeleiteten Unionsrechts mit den Bestimmungen von Kapitel 8 Abschnitte C und D CETA prüfen dürfe, bemerkt das Königreich Belgien, im Rahmen dieser Prüfung könne das Gericht regelmäßig mit Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts konfrontiert werden. Unter Bezugnahme auf Art. 8.31 Abs. 2 CETA führt das Königreich Belgien aus, das Gericht müsse das Unionsrecht selbst auslegen, wenn es an einer herrschenden Auslegung fehle.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point42">42.</a>      Zwar unterscheide sich das CETA von dem im Gutachten 1/09 geprüften Mechanismus insoweit, als das Gericht einen bei ihm anhängigen Rechtsstreit nicht unmittelbar nach Unionsrecht als dem anwendbaren Recht zu entscheiden und auch nicht die Gültigkeit eines Unionsrechtsakts zu prüfen habe; ebenso wie die in den Gutachten 1/09 und 2/13 geprüften Mechanismen ermächtige der ICS das Gericht jedoch, die Vereinbarkeit von Bestimmungen des abgeleiteten Unionsrechts mit den einschlägigen CETA-Bestimmungen zu prüfen und zu diesem Zweck das Unionsrecht auszulegen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point43">43.</a>      Da der im CETA vorgesehene ISDS-Mechanismus nicht die Verpflichtung oder auch nur die Möglichkeit für das Gericht vorsehe, dem Gerichtshof eine Frage nach der Auslegung des Unionsrechts zur Vorabentscheidung vorzulegen (kein Mechanismus der Vorabbefassung), fragt sich das Königreich Belgien, ob diese Regelung, die nach Art. 8.41 Abs. 1 CETA bindende rechtskräftige Urteilssprüche zur Folge haben kann, mit dem Grundsatz der ausschließlichen Zuständigkeit des Gerichtshofs für die verbindliche Auslegung des Unionsrechts vereinbar ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point44">44.</a>      Das Königreich Belgien möchte kurz gesagt wissen, ob der Grundsatz der ausschließlichen Zuständigkeit des Gerichtshofs für die verbindliche Auslegung des Unionsrechts durch das CETA verletzt wird. Der Gerichtshof soll insbesondere klarstellen, ob Art. 8.31 Abs. 2 CETA eine ausreichende Garantie für die einheitliche Auslegung des Unionsrechts bietet oder ob im Gegenteil wegen der Bindungswirkung des Urteilsspruchs gemäß Art. 8.41 Abs. 1 CETA das Erfordernis der vom Gerichtshof zu gewährleistenden einheitlichen Auslegung beeinträchtigt wird.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point45">45.</a>      Zur Beantwortung dieses Teils des Antrags auf Gutachten werde ich meine Prüfung dort beginnen, wo der Gerichtshof im Gutachten 2/15 die seinige beendet hat. Denn in diesem Gutachten hat der Gerichtshof seine Prüfung darauf beschränkt, wie die Zuständigkeiten für die materiell- und verfahrensrechtlichen Aspekte der Außenpolitik der Union im Bereich der Investitionen zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten verteilt sind.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point46">46.</a>      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Union mit dem Vertrag von Lissabon, wie sich aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. e und Art. 207 Abs. 1 AEUV ergibt, eine ausschließliche Zuständigkeit für Direktinvestitionen übertragen wurde, indem diese in den Bereich der gemeinsamen Handelspolitik eingegliedert wurden. Die Union verfügt zudem über eine geteilte Zuständigkeit im Bereich anderer Investitionen als Direktinvestitionen(<a href="#Footnote36" name="Footref36">36</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point47">47.</a>      Der Gerichtshof hat ausgeführt, dass die der Union nach Art. 207 AEUV zustehende ausschließliche Zuständigkeit für ausländische Direktinvestitionen sich auf alle materiell-rechtlichen Bestimmungen erstreckt, die normalerweise in einem bilateralen Investitionsschutzabkommen zu finden sind(<a href="#Footnote37" name="Footref37">37</a>). Hingegen teilt die Union mit den Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeit für Bestimmungen über die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten(<a href="#Footnote38" name="Footref38">38</a>). Dazu hat der Gerichtshof in seinem Gutachten 2/15 erklärt, dass es sich um eine Regelung handelt, „die Streitigkeiten der gerichtlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten entzieht“, so dass sie nur mit deren Einverständnis eingeführt werden kann(<a href="#Footnote39" name="Footref39">39</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point48">48.</a>      Der Gerichtshof hat in seinem Gutachten 2/15 jedoch nicht geprüft, ob der in einem Abkommen über internationale Investitionen vorgesehene Streitbeilegungsmechanismus mit dem Unionsrecht im Hinblick auf die Wahrung der Unionszuständigkeiten vereinbar ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point49">49.</a>      Jetzt muss sich der Gerichtshof in Bezug auf ein derartiges Abkommen mit Kanada zur Möglichkeit und den Modalitäten einer Koexistenz eines solchen Streitbeilegungsmechanismus und des Gerichtssystems der Union äußern.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">1.      <b>Das Gerichtssystem der Union als Garantie für die Autonomie der Unionsrechtsordnung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point50">50.</a>      In seinem Gutachten 2/13 hat der Gerichtshof ausgeführt: „Um sicherzustellen, dass die besonderen Merkmale und die Autonomie der Rechtsordnung der Union erhalten bleiben, haben die Verträge ein Gerichtssystem geschaffen, das zur Gewährleistung der Kohärenz und der Einheitlichkeit bei der Auslegung des Unionsrechts dient.“(<a href="#Footnote40" name="Footref40">40</a>)</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point51">51.</a>      In diesem Rahmen „ist es Sache der nationalen Gerichte und des Gerichtshofs, die volle Anwendung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten und den Schutz der Rechte zu gewährleisten, die den Einzelnen aus ihm erwachsen“(<a href="#Footnote41" name="Footref41">41</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point52">52.</a>      Die Aufgabe des Gerichtshofs besteht gemäß Art. 19 Abs. 1 EUV in der „Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge“. Dies bedeutet, dass der Gerichtshof dafür verantwortlich ist, „die Autonomie der damit durch die Verträge geschaffenen Unionsrechtsordnung zu wahren“(<a href="#Footnote42" name="Footref42">42</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point53">53.</a>      In seinem Gutachten 1/09 hat der Gerichtshof bekräftigt, dass er diese Verantwortung mit den nationalen Gerichten teilt. Er hat nämlich erklärt, dass „nach Art. 19 Abs. 1 EUV ... der Gerichtshof und die Gerichte der Mitgliedstaaten über die Wahrung dieser Rechtsordnung und des Gerichtssystems der Union [wachen]“(<a href="#Footnote43" name="Footref43">43</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point54">54.</a>      Der Gerichtshof stützt sich auch auf Art. 4 Abs. 3 EUV, und zwar mit folgenden Worten: Es „obliegt ... den Mitgliedstaaten nach dem in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV niedergelegten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet insbesondere für die Anwendung und Wahrung des Unionsrechts zu sorgen“(<a href="#Footnote44" name="Footref44">44</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point55">55.</a>      Der Gerichtshof hat ferner betont, dass „[d]as nationale Gericht ... in Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof eine Aufgabe [erfüllt], die beiden gemeinsam übertragen ist, um die Wahrung des Rechts bei der Anwendung und Auslegung der Verträge zu sichern“(<a href="#Footnote45" name="Footref45">45</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point56">56.</a>      Insbesondere „besteht das Schlüsselelement des so gestalteten Gerichtssystems in dem in Art. 267 AEUV vorgesehenen Vorabentscheidungsverfahren, das durch die Einführung eines Dialogs von Gericht zu Gericht gerade zwischen dem Gerichtshof und den Gerichten der Mitgliedstaaten die einheitliche Auslegung des Unionsrechts gewährleisten soll … und damit die Sicherstellung seiner Kohärenz, seiner vollen Geltung und seiner Autonomie sowie letztlich des eigenen Charakters des durch die Verträge geschaffenen Rechts ermöglicht“(<a href="#Footnote46" name="Footref46">46</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point57">57.</a>      Der Gerichtshof unterstreicht damit nachdrücklich „die Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen Unionsgericht und nationalen Gerichten der Mitgliedstaaten für die Gewährleistung der Verfassungsstruktur des [Unionsrechts]systems“(<a href="#Footnote47" name="Footref47">47</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point58">58.</a>      Dieses besondere, durch einen ständigen Dialog gekennzeichnete Verhältnis zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten ist Ausdruck der in der Union bestehenden spezifischen Rechtsordnung und dient zugleich zu deren Schutz. Daher will der Gerichtshof dieses Verhältnis vor jeglicher Beeinträchtigung bewahren.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point59">59.</a>      Allerdings weise ich sogleich darauf hin, dass die Wahrung der Autonomie der Unionsrechtsordnung keine Autarkie bedeutet(<a href="#Footnote48" name="Footref48">48</a>). Sie verlangt nur, dass die Integrität dieser Rechtsordnung unangetastet bleibt, die weitgehend auf der Zuständigkeit des Gerichtshofs zur letztverbindlichen Auslegung des Unionsrechts und auf der Zusammenarbeit beruht, die er zu diesem Zweck mit den Gerichten der Mitgliedstaaten pflegt.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">2.      <b>Die Voraussetzungen für die Schaffung eines spezifischen Streitbeilegungsmechanismus durch die von der Union geschlossenen internationalen Übereinkünfte</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point60">60.</a>      Nach ständiger Rechtsprechung stellt für die Union eine von ihr gemäß den Vorschriften der Verträge geschlossene internationale Übereinkunft eine Handlung eines Unionsorgans dar(<a href="#Footnote49" name="Footref49">49</a>). Solche internationalen Übereinkünfte sind ab ihrem Inkrafttreten fester Bestandteil der Rechtsordnung der Union(<a href="#Footnote50" name="Footref50">50</a>). In Art. 216 Abs. 2 AEUV heißt es, dass „[d]ie von der Union geschlossenen internationalen Übereinkünfte ... die Organe der Union und die Mitgliedstaaten [binden]“. Daher haben nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs „diese Übereinkünfte Vorrang vor den Bestimmungen des abgeleiteten [Unions]rechts(<a href="#Footnote51" name="Footref51">51</a>). Das CETA wird somit, sobald es in Kraft tritt, automatisch in die Unionsrechtsordnung integriert werden, der es ebenso wie andere Rechtsquellen der Union angehören wird(<a href="#Footnote52" name="Footref52">52</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point61">61.</a>      Außerdem ergibt sich aus Art. 19 Abs. 3 Buchst. b EUV und Art. 267 Abs. 1 Buchst. b AEUV, dass „der Gerichtshof befugt [ist], im Wege der Vorabentscheidung über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Unionsorgane zu entscheiden, und zwar ohne jede Ausnahme“(<a href="#Footnote53" name="Footref53">53</a>), was die von der Union geschlossenen internationalen Übereinkünfte einschließt. Der Gerichtshof ist auch befugt, „über die Auslegung von Beschlüssen des durch das Abkommen geschaffenen und mit dessen Durchführung beauftragten Organs zu entscheiden“(<a href="#Footnote54" name="Footref54">54</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point62">62.</a>      Gleichwohl ist von vornherein darauf hinzuweisen, dass die Anwendbarkeit der von der Union geschlossenen Abkommen vor dem Unionsrichter oder den nationalen Gerichten an bestimmte Grenzen stoßen kann, vor allem dann, wenn diese Abkommen den Einzelnen nach Auffassung des Gerichtshofs keine Rechte verleihen, auf die sie sich vor Gericht berufen könnten. In diesem Zusammenhang untersucht der Gerichtshof Art und Struktur des betreffenden internationalen Abkommens und prüft, ob seine Bestimmungen inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind(<a href="#Footnote55" name="Footref55">55</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point63">63.</a>      Beim CETA braucht der Gerichtshof nicht zu prüfen, ob dieses Abkommen geeignet ist, unmittelbare Wirkung zu entfalten, denn in Art. 30.6 CETA kommt der explizite Wille der Vertragsparteien zum Ausdruck, eine solche Wirkung abzulehnen. Art. 30.6 Abs. 1 bestimmt nämlich, dass das CETA „in den innerstaatlichen Rechtsordnungen der Vertragsparteien [nicht] unmittelbar geltend gemacht werden kann(<a href="#Footnote56" name="Footref56">56</a>). Das geplante Abkommen wird daher, obwohl es nach seinem Inkrafttreten fester Bestandteil der Unionsrechtsordnung sein wird, innerhalb dieser Rechtsordnung nicht unmittelbar geltend gemacht werden können. Folglich werden weder die Gerichte der Union noch die mitgliedstaatlichen Gerichte dieses Abkommen in den bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten unmittelbar anwenden können. Wir haben es also mit zwei Rechtssystemen zu tun, die nebeneinander bestehen und deren Überschneidungen bewusst begrenzt worden sind.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point64">64.</a>      Ein von der Union geschlossenes Abkommen wird nur dann fester Bestandteil der Unionsrechtsordnung, wenn seine Bestimmungen mit den Verträgen und den aus ihnen abzuleitenden Verfassungsgrundsätzen im Einklang stehen(<a href="#Footnote57" name="Footref57">57</a>). Damit die Verfassungsautonomie der Unionsrechtsordnung gewahrt wird, dürfen die von der Union mit Drittstaaten geschlossenen internationalen Abkommen daher das empfindliche Gleichgewicht zwischen „der völkerrechtlichen Herkunft und der Besonderheit des Unionsrechts“ nicht stören(<a href="#Footnote58" name="Footref58">58</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point65">65.</a>      Insoweit hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass „eine internationale Übereinkunft, die die Schaffung eines mit der Auslegung ihrer Bestimmungen betrauten Gerichts vorsieht, dessen Entscheidungen für die Organe, einschließlich des Gerichtshofs, bindend sind, grundsätzlich nicht mit dem Unionsrecht unvereinbar ist“(<a href="#Footnote59" name="Footref59">59</a>). „Die Zuständigkeit der Union im Bereich der internationalen Beziehungen und ihre Fähigkeit zum Abschluss internationaler Übereinkünfte“ – so der Gerichtshof – „umfasst nämlich notwendigerweise die Möglichkeit, sich den Entscheidungen eines durch solche Übereinkünfte geschaffenen oder bestimmten Gerichts in Bezug auf die Auslegung und Anwendung ihrer Bestimmungen zu unterwerfen“(<a href="#Footnote60" name="Footref60">60</a>). In seinem Gutachten 2/15 hat der Gerichtshof dargelegt, dass die Zuständigkeit der Union für den Abschluss internationaler Übereinkünfte ebenso notwendigerweise die Möglichkeit umfasst, sich den Entscheidungen „eines Gremiums zu unterwerfen, das, ohne formell ein Gericht zu sein, im Wesentlichen gerichtliche Funktionen ausübt“(<a href="#Footnote61" name="Footref61">61</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point66">66.</a>      Der Gerichtshof hat jedoch klargestellt, dass „eine internationale Übereinkunft nur dann Auswirkungen auf seine eigenen Zuständigkeiten haben kann, wenn die wesentlichen Voraussetzungen für die Wahrung des Wesens dieser Zuständigkeiten erfüllt sind und folglich die Autonomie der Unionsrechtsordnung nicht beeinträchtigt wird“(<a href="#Footnote62" name="Footref62">62</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point67">67.</a>      Wie der Gerichtshof ausgeführt hat, setzt „[d]ie Wahrung der Autonomie der [Unions]rechtsordnung ... zum einen voraus, dass die Zuständigkeiten der [Union] und ihrer Organe, wie sie im Vertrag ausgestaltet sind, nicht verfälscht werden(<a href="#Footnote63" name="Footref63">63</a>). Sie erfordert zum anderen, dass der fragliche Streitbeilegungsmechanismus nicht dazu führt, „dass der [Union] und ihren Organen bei der Ausübung ihrer internen Zuständigkeiten eine bestimmte Auslegung der durch das Übereinkommen übernommenen [Unions]vorschriften verbindlich vorgegeben wird“(<a href="#Footnote64" name="Footref64">64</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point68">68.</a>      Der Gerichtshof hat in seinem Gutachten 2/13 insbesondere hervorgehoben, dass „das in der geplanten Übereinkunft vorgesehene Tätigwerden der durch die [Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten(<a href="#Footnote65" name="Footref65">65</a>)] mit Entscheidungsbefugnissen ausgestatteten Organe nicht dazu führen [darf], dass der Union und ihren Organen bei der Ausübung ihrer internen Zuständigkeiten eine bestimmte Auslegung der Regeln des Unionsrechts verbindlich vorgegeben wird“(<a href="#Footnote66" name="Footref66">66</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point69">69.</a>      Der Gerichtshof konnte, wie er in seinem Gutachten 1/09 ausgeführt hat, die Schaffung von Gerichtssystemen durch internationale Übereinkommen billigen, wenn diese Systeme im Wesentlichen die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten über die Auslegung oder Anwendung dieser Übereinkommen selbst zum Gegenstand hatten und weder die Zuständigkeiten der Gerichte der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit der Auslegung und Anwendung des Unionsrechts noch deren Befugnis oder Verpflichtung, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen, und dessen Zuständigkeit, darauf zu antworten, berührten(<a href="#Footnote67" name="Footref67">67</a>). Dagegen widersetzte sich der Gerichtshof der Gründung eines internationalen Gerichts, das nicht nur die Bestimmungen des Übereinkommens, durch das es errichtet wurde, sondern auch andere Instrumente des Unionsrechts auslegen und anwenden sollte, und das möglicherweise über einen bei ihm anhängigen Rechtsstreit im Licht der Grundrechte und der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts zu entscheiden oder sogar die Gültigkeit eines Rechtsakts der Union zu überprüfen hatte(<a href="#Footnote68" name="Footref68">68</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point70">70.</a>      Es ist daher zu prüfen, ob die dem CETA-Gericht in Kapitel 8 Abschnitt F CETA übertragene Zuständigkeit für die Auslegung und Anwendung der CETA-Bestimmungen dazu führen könnte, dass den Organen der Union, vor allem dem Gerichtshof, eine bestimmte Auslegung des Unionsrechts bei der Ausübung der ihnen durch die Verträge übertragenen Zuständigkeiten vorgeschrieben würde. Verletzt Kapitel 8 Abschnitt F CETA insbesondere den „Grundsatz der ausschließlichen Zuständigkeit des Gerichtshofs für die verbindliche Auslegung des Unionsrechts“(<a href="#Footnote69" name="Footref69">69</a>)?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point71">71.</a>      Bevor ich mich dem Kern dieser Problematik zuwende, muss meines Erachtens zunächst dargelegt werden, weshalb bei der Prüfung, ob Kapitel 8 Abschnitt F CETA die Autonomie der Unionsrechtsordnung beeinträchtigt, das Erfordernis der Gegenseitigkeit beim Schutz der Investoren jeder Vertragspartei zu berücksichtigen ist.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">3.      <b>Das Erfordernis der Gegenseitigkeit beim Schutz der Investoren jeder Vertragspartei</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point72">72.</a>      Investiert eine natürliche oder juristische Person in einem Mitgliedstaat der Union, gilt für diese Investition das Recht dieses Staates, zu dem das Unionsrecht als fester Bestandteil gehört. Kommt es zu einer Auseinandersetzung über die Anwendung dieses Rechts, werden die Gerichte dieses Staates den Rechtsstreit aufgrund des Rechts zu entscheiden haben, für dessen Beachtung sie sorgen müssen, gegebenenfalls nach der Befassung des Gerichtshofs im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens. Wenn der Investor sich an ein nationales Gericht wendet, kann er die Aufhebung einer nationalen Maßnahme und/oder die Zuerkennung von Schadensersatz beantragen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point73">73.</a>      Jedes kanadische Unternehmen, das in einem Mitgliedstaat der Union investiert, unterliegt somit in Bezug auf diese Investition dem Recht dieses Mitgliedstaats, wozu auch das Unionsrecht gehört. Es ist klar, dass ein Investor aus einem Drittstaat, der in einem Mitgliedstaat investieren will, über ein Regelwerk zum Schutz dieser Investition und über Rechtswege zur Geltendmachung seiner Ansprüche verfügen wird. Ohne die Handelspartner der Union belehren oder ihnen böswillige Absicht unterstellen zu wollen, erscheint es aber nicht als selbstverständlich, dass es für die Investoren aus der Union in den Drittstaaten, mit denen die Union Investitionsbeziehungen entwickeln möchte, ein gleichwertiges materiell- und verfahrensrechtliches Schutzniveau gibt. Deshalb muss die Union bei der Durchführung ihrer Handelspolitik mit diesen Staaten auf gegenseitiger Basis materiell- und verfahrensrechtliche Bestimmungen zum Schutz der zwischen beiden Vertragspartnern vorgenommenen Investitionen aushandeln.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point74">74.</a>      Die Existenz unterschiedlicher Schutzstandards in den internen Rechtsordnungen der Vertragsstaaten macht somit den Abschluss eines bilateralen Abkommens erforderlich, aufgrund dessen die Investoren jeder Vertragspartei, wenn sie im Hoheitsgebiet der anderen Partei investieren, den gleichen Schutz erhalten können.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point75">75.</a>      Das CETA wurde zwischen den Vertragsparteien auf der Basis der Gegenseitigkeit ausgehandelt. Mit diesem Abkommen soll also den Investoren jeder Vertragspartei ein gleichwertiger materiell- und verfahrensrechtlicher Schutz gewährt werden. Derartige Abkommen sollen damit sicherstellen, dass Unternehmen aus der Union bei ihren Investitionen in Drittstaaten und Unternehmen aus Drittstaaten bei ihren Investitionen in der Union unter den gleichen Bedingungen agieren. Unter diesem Blickwinkel müssen die materiell- und verfahrensrechtlichen Schutzstandards, die für Unternehmen aus der Union bei einer Investition in Drittstaaten gelten, den Schutzstandards gleichwertig sein, die für Unternehmen aus Drittstaaten bei einer Investition in der Union gelten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point76">76.</a>      Genauer gesagt ist es die Befürchtung ausländischer Investoren, sie würden bei Anrufung der nationalen Gerichte schlechter behandelt als einheimische Investoren, die somit zur gegenseitigen Einräumung der Möglichkeit des Zugangs zu einem spezifischen Streitbeilegungsmechanismus führt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point77">77.</a>      In diesem Zusammenhang muss die Gegenseitigkeit als eines der Leitprinzipien für die auswärtigen Beziehungen der Union betrachtet werden(<a href="#Footnote70" name="Footref70">70</a>). Die Anwendung der Gegenseitigkeit auf die auswärtigen Vertragsbeziehungen der Union ist deshalb gerechtfertigt, weil die Union als Völkerrechtssubjekt den völkerrechtlichen Regeln unterliegt, an die sie sich freiwillig gebunden hat, wobei die Verpflichtung auf Gegenseitigkeit ein fester Bestandteil dieser Regeln ist(<a href="#Footnote71" name="Footref71">71</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point78">78.</a>      Da das CETA auf einem Gebot des gegenseitigen Schutzes der Investoren jeder Vertragspartei beruht, hielten es die CETA-Verhandlungsführer für erforderlich, in dieses Abkommen Bestimmungen, wie sie sich in Kapitel 8 Abschnitte C und D CETA finden, aufzunehmen, wonach jede der Vertragsparteien verpflichtet ist, den Investoren der anderen Vertragspartei einen angemessenen und gleichwertigen Schutz zu gewähren. Ein solches Streben nach Gegenseitigkeit hat der Gerichtshof in seinem Gutachten 2/15 mit folgenden Worten berücksichtigt: „[I]n Anbetracht des Umstands, dass der in Art. 63 AEUV verankerte freie Kapital- und Zahlungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten und Drittstaaten den Drittstaaten nicht formell entgegengehalten werden kann, kann der Abschluss internationaler Übereinkünfte, die zur Errichtung dieses freien Kapital- und Zahlungsverkehrs auf gegenseitiger Basis beitragen, als zur vollständigen Verwirklichung dieses freien Verkehrs erforderlich angesehen werden, der eines der Ziele des Dritten Teils (‚Die internen Politiken und Maßnahmen der Union‘) Titel IV (‚Die Freizügigkeit, der freie Dienstleistungs- und Kapitalverkehr‘) des AEU-Vertrags ist“(<a href="#Footnote72" name="Footref72">72</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point79">79.</a>      Wie im Konzeptpapier der Kommission vom 5. Mai 2015(<a href="#Footnote73" name="Footref73">73</a>) zu lesen ist, hat die Union, „[d]a im Hoheitsgebiet der EU hohe Standards für die Förderung und den Schutz von Investitionen gelten, ... ein natürliches Interesse daran, dass auch in Drittländern ähnlich glaubwürdige und durchsetzbare Garantien für Investoren und Investitionen aus der EU etabliert werden“(<a href="#Footnote74" name="Footref74">74</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point80">80.</a>      Die Fähigkeit der Union, die Tätigkeit von Investoren aus der Union in Drittstaaten zu fördern und zu unterstützen sowie das Unionsgebiet für ausländische Investoren attraktiv zu machen, hängt folglich weitgehend davon ab, dass Abkommen mit Drittstaaten geschlossen werden, die einen angemessenen und gegenseitigen Schutz dieser Investitionen vorsehen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point81">81.</a>      Wenn im Rahmen eines internationalen Abkommens zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und einem Drittstaat andererseits auf gegenseitiger Basis materiell- und verfahrensrechtliche Bestimmungen zum Schutz von Investitionen vereinbart werden, findet dies seine Erklärung in dem Umstand, dass die Beziehungen zwischen diesen Vertragsparteien, anders als dies bei den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten der Fall ist, nicht von gegenseitigem Vertrauen geprägt sind.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point82">82.</a>      Wie der Gerichtshof unlängst in seinem Urteil vom 6. März 2018, Achmea(<a href="#Footnote75" name="Footref75">75</a>), dargelegt hat, beruht „[d]as Unionsrecht ... somit auf der grundlegenden Prämisse, dass jeder Mitgliedstaat mit allen anderen Mitgliedstaaten eine Reihe gemeinsamer Werte teilt – und anerkennt, dass sie sie mit ihm teilen –, auf die sich, wie es in Art. 2 EUV heißt, die Union gründet. Diese Prämisse impliziert und rechtfertigt die Existenz gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten bei der Anerkennung dieser Werte und damit bei der Beachtung des Unionsrechts, mit dem sie umgesetzt werden“(<a href="#Footnote76" name="Footref76">76</a>). Die Beziehungen, die die Union zu Drittstaaten aufnimmt, beruhen jedoch nicht auf einer solchen Prämisse. Die Organe der Union versuchen daher, wenn sie ein Abkommen wie das CETA aushandeln, dafür zu sorgen, dass den Investoren aus der Union in den Drittstaaten dasselbe Schutzniveau zur Verfügung steht, wie es die Union und ihre Mitgliedstaaten den ausländischen Investoren bieten. In diesem Sinne wird auf der Grundlage eines zwischen den Vertragsparteien frei vereinbarten Schutzniveaus versucht, Gegenseitigkeit herzustellen, wobei die Vertragsparteien sich bemühen, eine Einigung über die Schutzvorschriften zu erzielen, die sie bereit sind, den Investoren aus dem Gebiet jeder dieser beiden Parteien wechselseitig zugutekommen zu lassen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point83">83.</a>      Die Festlegung solcher Vorschriften zum Schutz ausländischer Investitionen macht es auch erforderlich, Art und Modalitäten des Streitbeilegungsmechanismus zu bestimmen, der die Beachtung dieser Vorschriften gewährleisten soll.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point84">84.</a>      Denn nicht jede der Vertragsparteien hat notwendigerweise das Vertrauen, dass das Gerichtssystem der anderen Partei die Beachtung der Vorschriften des Abkommens sicherstellen wird. Die beiden Vertragsparteien müssen sich deshalb über einen neutralen Streitbeilegungsmechanismus verständigen, in den sie wie auch die Investoren aufgrund seiner Merkmale Vertrauen fassen. Indem er den ausländischen Investoren hinsichtlich des Schutzes ihrer Investitionen Sicherheit bietet, wird der Gaststaat neue Investitionen anziehen können. Genau dies ist das Hauptziel der Investitionsabkommen. Unter diesem Aspekt kann die Schaffung eines Streitbeilegungsmechanismus als der Grundpfeiler des eingeführten Schutzsystems erscheinen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point85">85.</a>      Die Frage, ob die Autonomie des Unionsrechts durch das CETA hinreichend gewahrt wird, kann mithin nicht ohne Berücksichtigung dieses Aspekts der Gegenseitigkeit bei dem angestrebten materiell- und verfahrensrechtlichen Schutz erörtert werden(<a href="#Footnote77" name="Footref77">77</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point86">86.</a>      Im Rahmen dieser Erörterung erscheint mir der Umstand, dass es sich bei der anderen Vertragspartei des geplanten Abkommens um Kanada handelt, dessen Gerichtssystem ausreichende Garantien bieten dürfte, nicht entscheidend, da wir es in Wirklichkeit mit einem Mechanismus zu tun haben, der dazu bestimmt ist, als Modell in internationale Abkommen mit Drittstaaten, die möglicherweise nicht die gleichen Garantien bieten, Eingang zu finden. Die Bewertung sollte daher nicht je nach betroffenem Drittstaat unterschiedlich ausfallen, da es um die Definition eines Modells geht, das den die Unionsrechtsordnung gestaltenden Grundsätzen entspricht und zugleich in allen Handelsabkommen zwischen der Union und Drittstaaten angewandt werden kann. Auf jeden Fall hat sich im vorliegenden Verfahren herausgestellt, dass es Unterschiede bei dem materiell-rechtlichen Schutz gibt, der ausländischen Investoren im Gebiet der einzelnen Vertragsparteien gewährt wird(<a href="#Footnote78" name="Footref78">78</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point87">87.</a>      Daraus folgt: Selbst wenn es aus Sicht der Union überflüssig erscheinen mag, in einem internationalen Investitionsabkommen Bestimmungen zum Schutz der Investoren vorzusehen, die sich in mancherlei Hinsicht mit im Unionsrecht geltenden Bestimmungen überschneiden und somit die Errichtung eines spezifischen Streitbeilegungsmechanismus in Frage stellen könnten, lässt eine solche Argumentation doch außer Acht, dass nicht zwangsläufig eine Symmetrie zwischen dem materiell- und verfahrensrechtlichen Schutzniveau innerhalb der Union und innerhalb der Drittstaaten besteht, mit denen die Union ihre Beziehungen im Bereich der Investitionen entwickeln will. Genau wegen dieser potenziellen Asymmetrie muss ein gemeinsamer materiell- und verfahrensrechtlicher Schutzstandard ausgehandelt werden, der allein die Gegenseitigkeit bei der Anwendung des jeweiligen Abkommens garantieren und den Investoren aus der Union einen wirksamen und einheitlichen Schutz gewährleisten kann, wenn sie in Drittstaaten investieren.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point88">88.</a>      Anders als bisweilen geltend gemacht wird, stellt die Errichtung eines Streitbeilegungsmechanismus der hier in Rede stehenden Art meines Erachtens weder das Gerichtssystem der Union und ihrer Mitgliedstaaten noch die Eignung dieses Systems in Frage, mit Klagen ausländischer Investoren effizient, unabhängig und unparteiisch umzugehen. Mit der Übernahme eines solchen Mechanismus in ihre bilateralen Investitionsbeziehungen will die Union einem Wunsch nach Neutralität und Spezialisierung im Rahmen der Investor-Staat-Streitbeilegung entsprechen, bei dem nicht übersehen werden darf, dass er auch den europäischen Investoren bei ihrer Geschäftstätigkeit in einem Drittstaat zugutekommen wird.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point89">89.</a>      Bei der Entscheidung über die Vereinbarkeit des in Kapitel 8 Abschnitt F CETA vorgesehenen Streitbeilegungsmechanismus mit dem Primärrecht der Union müssen wir daher den Blickwinkel erweitern und berücksichtigen, dass die Investoren aus der Union zu schützen sind, wenn sie in Drittstaaten geschäftlich tätig werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point90">90.</a>      Dieser Aspekt entkräftet auch weitgehend das Argument, es gebe großenteils Überschneidungen zwischen den Investitionsschutznormen des Unionsrechts und denen des CETA, was die Schaffung eines Streitbeilegungsmechanismus zusätzlich zu den Rechtsschutzmöglichkeiten vor den Gerichten der Union und der Mitgliedstaaten überflüssig mache.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">4.      <b>Ein Mechanismus im Einklang mit der fehlenden unmittelbaren Wirkung des CETA</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point91">91.</a>      Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass „es den Unionsorganen, die für das Aushandeln und den Abschluss eines [Abkommens zwischen der Union und Drittstaaten] zuständig sind, unbenommen [bleibt], mit den betroffenen Drittstaaten zu vereinbaren, welche Wirkungen die Bestimmungen dieses Abkommens in der internen Rechtsordnung der Vertragsparteien haben sollen“(<a href="#Footnote79" name="Footref79">79</a>). Wie die Kommission in ihrer Stellungnahme bemerkt, wird in praktisch allen Freihandelsabkommen, die die Union jüngst geschlossen hat, eine unmittelbare Wirkung dieser Abkommen ausdrücklich ausgeschlossen. Der Hauptgrund für den Ausschluss einer unmittelbaren Wirkung der Abkommen besteht darin, dass im Einklang mit den Zielen der gemeinsamen Handelspolitik eine effektive Gegenseitigkeit zwischen den Vertragsparteien sichergestellt werden soll.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point92">92.</a>      Was die Frage betrifft, ob das am 15. April 1994 in Marrakesch unterzeichnete Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation (World Trade Organisation, WTO) sowie die Übereinkünfte in den Anhängen 1 bis 3 dieses Übereinkommens (im Folgenden zusammen: WTO-Übereinkommen)(<a href="#Footnote80" name="Footref80">80</a>) vor dem Unionsrichter geltend gemacht werden kann, um die Vereinbarkeit dieser Übereinkommen mit dem Unionsrecht überprüfen zu lassen, so hat der Gerichtshof eine solche Möglichkeit der Geltendmachung grundsätzlich ausgeschlossen(<a href="#Footnote81" name="Footref81">81</a>), und zwar um unter Berücksichtigung des Erfordernisses der „Gegenseitigkeit“ zu verhindern, dass „den Legislativ- und Exekutivorganen der Union der Spielraum genommen würde, über den die entsprechenden Organe der Handelspartner der Union verfügen“(<a href="#Footnote82" name="Footref82">82</a>). Der Gerichtshof berücksichtigt insoweit bei der Festlegung seines eigenen Standpunkts, welchen Standpunkt diese Handelspartner zu der Frage, ob die WTO-Übereinkommen unmittelbar geltend gemacht werden können, einnehmen, wobei er darauf hinweist, dass „manche der Vertragsparteien, darunter die wichtigsten Handelspartner der Union, aus Inhalt und Zweck der WTO-Übereinkommen gerade gefolgert [haben], dass diese nicht zu den Normen gehören, an denen ihre Gerichte die Rechtmäßigkeit ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften messen“(<a href="#Footnote83" name="Footref83">83</a>). „Würde ein solches Fehlen von Gegenseitigkeit hingenommen, bestünde“ – so der Gerichtshof – „die Gefahr, dass es hierdurch zu einem Ungleichgewicht bei der Anwendung der WTO-Übereinkommen kommt“(<a href="#Footnote84" name="Footref84">84</a>). Diese Lösung bezeugt den Willen des Gerichtshofs, zur Wahrung der Gegenseitigkeit bei der Anwendung des Übereinkommens eine Benachteiligung der Union gegenüber ihren wichtigsten Handelspartnern zu verhindern und so die Stellung der Union auf internationaler Ebene zu schützen(<a href="#Footnote85" name="Footref85">85</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point93">93.</a>      Wie bereits dargelegt, haben die Vertragsparteien beschlossen, dem CETA ausdrücklich keine unmittelbare Wirkung zuzuerkennen(<a href="#Footnote86" name="Footref86">86</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point94">94.</a>      Die Vertragsparteien haben zur Wahrung des Gleichgewichts zwischen ihnen bei der Anwendung dieses Abkommens und somit zur Aufrechterhaltung der Gegenseitigkeit bei der Umsetzung ihrer vertraglichen Verpflichtungen beschlossen, einen spezifischen Mechanismus zur Beilegung der Investor-Staat-Streitigkeiten einzurichten. Der Ausschluss einer unmittelbaren Wirkung dieses Abkommens bekräftigt daher die Nützlichkeit eines solchen Mechanismus. Da es nicht zu den Aufgaben der innerstaatlichen Gerichte der Vertragsparteien gehört, die im CETA festgelegten Schutzstandards anzuwenden, ist es folgerichtig, wenn ein Streitbeilegungsmechanismus vorgesehen wird, der außerhalb des innerstaatlichen Gerichtssystems der Vertragsparteien angesiedelt ist.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">5.      <b>Das Urteil Achmea präjudiziert nicht die Beurteilung der Vereinbarkeit des ICS mit dem Erfordernis der Autonomie der Unionsrechtsordnung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point95">95.</a>      In der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, hatte der Gerichtshof darüber zu befinden, ob die Art. 267 und 344 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer Bestimmung in einer internationalen Übereinkunft zwischen den Mitgliedstaaten wie Art. 8 des Abkommens zwischen dem Königreich der Niederlande und der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Investitionen (im Folgenden: BIT) entgegenstehen, nach der ein Investor eines dieser Mitgliedstaaten im Fall einer Streitigkeit über Investitionen in dem anderen Mitgliedstaat gegen diesen ein Verfahren vor einem Schiedsgericht einleiten darf, dessen Gerichtsbarkeit sich dieser Mitgliedstaat unterworfen hat.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point96">96.</a>      Im Urteil Achmea hat der Gerichtshof diese Frage bejaht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point97">97.</a>      Zu diesem Ergebnis gelangte der Gerichtshof wie folgt: Er erinnerte zunächst daran, dass nach ständiger Rechtsprechung „eine internationale Übereinkunft die in den Verträgen festgelegte Zuständigkeitsordnung und damit die Autonomie des Rechtssystems der Union, deren Wahrung der Gerichtshof sichert, nicht beeinträchtigen darf. Dieser Grundsatz ist insbesondere in Art. 344 AEUV verankert; danach verpflichten sich die Mitgliedstaaten, Streitigkeiten über die Auslegung oder Anwendung der Verträge nicht anders als hierin vorgesehen zu regeln“(<a href="#Footnote87" name="Footref87">87</a>). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point98">98.</a>      Der Gerichtshof wies sodann darauf hin, dass die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten auf dem Grundsatz gegenseitigen Vertrauens bei der Beachtung des Unionsrechts beruhen und dass es in eben diesem Zusammenhang „den Mitgliedstaaten nach dem in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV niedergelegten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit [obliegt], in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet insbesondere für die Anwendung und Wahrung des Unionsrechts zu sorgen und zu diesem Zweck alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Unionsorgane ergeben, zu ergreifen“(<a href="#Footnote88" name="Footref88">88</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point99">99.</a>      Unter Hinweis auf die gemäß Art. 19 EUV grundlegende Funktion der nationalen Gerichte und des Gerichtshofs, „die volle Anwendung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten und den Schutz der Rechte zu gewährleisten, die den Einzelnen aus ihm erwachsen“(<a href="#Footnote89" name="Footref89">89</a>), sowie darauf, dass „das Schlüsselelement des so gestalteten Gerichtssystems in dem in Art. 267 AEUV vorgesehenen Vorabentscheidungsverfahren [besteht]“(<a href="#Footnote90" name="Footref90">90</a>), prüfte der Gerichtshof anschließend die Merkmale des durch das BIT geschaffenen Streitbeilegungsmechanismus.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point100">100.</a> In diesem Zusammenhang stellte er erstens fest, dass das in Art. 8 des BIT vorgesehene Schiedsgericht gegebenenfalls „das Unionsrecht und insbesondere die Bestimmungen über die Grundfreiheiten, darunter die Niederlassungsfreiheit und die Kapitalverkehrsfreiheit, auszulegen oder sogar anzuwenden [hatte]“(<a href="#Footnote91" name="Footref91">91</a>). Zweitens kann ein derartiges Gericht laut Gerichtshof „nicht als ein ‚Gericht eines Mitgliedstaats‘ im Sinne von Art. 267 AEUV angesehen werden und ist folglich nicht befugt, den Gerichtshof mit einem Vorabentscheidungsersuchen anzurufen“(<a href="#Footnote92" name="Footref92">92</a>). Drittens berücksichtigte der Gerichtshof den Umstand, dass der Schiedsspruch eines solchen Gerichts nicht der systematischen und vollständigen Kontrolle durch ein Gericht eines Mitgliedstaats unterliegt(<a href="#Footnote93" name="Footref93">93</a>), weshalb nicht gewährleistet ist, „dass die unionsrechtlichen Fragen, die das Schiedsgericht zu behandeln haben könnte, eventuell im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens dem Gerichtshof vorgelegt werden könnten“(<a href="#Footnote94" name="Footref94">94</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point101">101.</a> Was den letzteren Punkt betrifft, so hat der Gerichtshof zwischen dem auf der Parteiautonomie beruhenden Handelsschiedsverfahren und dem Schiedsverfahren zwischen einem Investor und einem Mitgliedstaat differenziert, das sich aus einem zwischen Mitgliedstaaten geschlossenen Vertrag herleitet.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point102">102.</a> Hinsichtlich der auf dem ausdrücklichen Willen der Parteien beruhenden Handelsschiedsverfahren hat der Gerichtshof in seinen Urteilen vom 1. Juni 1999, Eco Swiss(<a href="#Footnote95" name="Footref95">95</a>), und vom 26. Oktober 2006, Mostaza Claro(<a href="#Footnote96" name="Footref96">96</a>), entschieden, dass „die Erfordernisse der Wirksamkeit des Schiedsverfahrens es rechtfertigen, Schiedssprüche durch die Gerichte der Mitgliedstaaten nur in beschränktem Umfang zu überprüfen, soweit die grundlegenden Bestimmungen des Unionsrechts im Rahmen dieser Kontrolle geprüft werden können und gegebenenfalls Gegenstand einer Vorlage zur Vorabentscheidung an den Gerichtshof sein können“(<a href="#Footnote97" name="Footref97">97</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point103">103.</a> Dies gilt dem Gerichtshof zufolge jedoch nicht für ein Schiedsverfahren wie das in Art. 8 des BIT vorgesehene, da dieses sich „aus einem Vertrag her[leitet], in dem Mitgliedstaaten übereingekommen sind, der Zuständigkeit ihrer eigenen Gerichte und damit dem System von gerichtlichen Rechtsbehelfen, dessen Schaffung ihnen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen vorschreibt ..., Rechtsstreitigkeiten zu entziehen, die die Anwendung und Auslegung des Unionsrechts betreffen können“(<a href="#Footnote98" name="Footref98">98</a>). Dies kann es nach Ansicht des Gerichtshofs „ausschließen ..., dass über diese Streitigkeiten, obwohl sie die Auslegung oder Anwendung des Unionsrechts betreffen könnten, in einer Weise entschieden wird, die die volle Wirksamkeit des Unionsrechts gewährleistet“(<a href="#Footnote99" name="Footref99">99</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point104">104.</a> Der Gerichtshof war deshalb der Auffassung, dass die Schiedsklausel in dem BIT die Autonomie des Unionsrechts beeinträchtigte(<a href="#Footnote100" name="Footref100">100</a>). Zwei Mitgliedstaaten waren nämlich übereingekommen, durch ein bilaterales Investitionsschutzabkommen das Unionsrecht der Zuständigkeit ihrer eigenen Gerichte und damit dem justiziellen Dialog zwischen diesen Gerichten und dem Gerichtshof zu entziehen, wodurch die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts gefährdet werden konnten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point105">105.</a> Anscheinend ließ sich der Gerichtshof bei dieser Lösung hauptsächlich von dem Gedanken leiten, dass das Gerichtssystem der Union insoweit, als es auf dem gegenseitigen Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten und deren loyaler Zusammenarbeit beruht, von Grund auf damit unvereinbar ist, den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu geben, in ihren bilateralen Beziehungen einen parallelen Streitbeilegungsmechanismus einzuführen, der die Auslegung und Anwendung des Unionsrechts zum Gegenstand haben könnte. Insofern hat der Gerichtshof Art. 344 AEUV dahin ausgelegt, dass er einem solchen Mechanismus entgegensteht, wobei der Umstand, dass es sich um Investor-Staat-Streitigkeiten handelte, daran nichts änderte. Außerdem wurde auf Art. 267 AEUV abgestellt, da das Vorabentscheidungsverfahren durch die Wirkungsweise eines solchen Mechanismus zwangsläufig beeinträchtigt wurde.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point106">106.</a> Die vom Gerichtshof im Urteil Achmea entwickelte Lösung lässt sich meines Erachtens nicht auf die Prüfung des ICS übertragen, da die für die Argumentation maßgeblichen Prämissen sich voneinander unterscheiden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point107">107.</a> Ich habe nämlich bereits erwähnt, dass die Beziehungen zwischen Vertragsparteien wie der Union und ihren Mitgliedstaaten auf der einen und Kanada auf der anderen Seite nicht auf gegenseitigem Vertrauen beruhen(<a href="#Footnote101" name="Footref101">101</a>), und gerade aus diesem Grund wollen diese Parteien in dem geplanten Abkommen auf gegenseitiger Basis einen materiell- und verfahrensrechtlichen Schutzstandard festlegen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point108">108.</a> Insofern kann dieses Abkommen weder dem Grundsatz gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten(<a href="#Footnote102" name="Footref102">102</a>) noch dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, die von diesen Staaten zu beachten sind, Abbruch tun.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point109">109.</a> Da Kapitel 8 Abschnitt F CETA somit Teil eines Abkommens mit einem Drittstaat ist, das von der Union und ihren Mitgliedstaaten geschlossen werden soll und die Beziehungen zwischen diesen Vertragsparteien, nicht aber die gegenseitigen Beziehungen unter Mitgliedstaaten regelt, kann die vom Gerichtshof im Urteil Achmea zu den Art. 267 und 344 AEUV entwickelte Argumentation meines Erachtens nicht für den ICS gelten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point110">110.</a> In diesem Zusammenhang weise ich weiter darauf hin, dass anders als bei dem BIT in der Rechtssache Achmea, dessen Klausel über das anwendbare Recht den Eindruck erwecken konnte, als sei das betreffende Schiedsgericht zuständig für Rechtsstreitigkeiten über die Auslegung und die Anwendung des Unionsrechts, wird im CETA ausdrücklich klargestellt, worauf ich später noch zurückkommen werde, dass das vor dem CETA-Gericht anwendbare Recht ausschließlich aus den einschlägigen CETA-Bestimmungen in ihrer Auslegung nach dem Völkerrecht besteht. Das innerstaatliche Recht jeder Vertragspartei, wozu bei den Mitgliedstaaten das Unionsrecht gehört(<a href="#Footnote103" name="Footref103">103</a>), kann von diesem Gericht nur als Tatsache herangezogen werden, wobei eine etwaige Auslegung innerstaatlichen Rechts für die Gerichte und Behörden der beklagten Vertragspartei nicht bindend ist. Zudem ist das Unionsrecht anders als bei den bilateralen Investitionsschutzabkommen zwischen Mitgliedstaaten wie dem Abkommen in der Rechtssache Achmea nicht Teil des zwischen den Vertragsparteien geltenden Völkerrechts.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point111">111.</a> Um den Fall der bilateralen Investitionsschutzvereinbarungen zwischen Mitgliedstaaten deutlich vom Fall der Investitionsabkommen wie des CETA zu unterscheiden, hat der Gerichtshof im Übrigen in seinem Urteil Achmea auf seine ständige Rechtsprechung verwiesen, wonach „eine internationale Übereinkunft, die die Schaffung eines mit der Auslegung ihrer Bestimmungen betrauten Gerichts vorsieht, dessen Entscheidungen für die Organe, einschließlich des Gerichtshofs, bindend sind, grundsätzlich nicht mit dem Unionsrecht unvereinbar [ist]. Die Zuständigkeit der Union im Bereich der internationalen Beziehungen und ihre Fähigkeit zum Abschluss internationaler Übereinkünfte umfassen nämlich notwendigerweise die Möglichkeit, sich den Entscheidungen eines durch solche Übereinkünfte geschaffenen oder bestimmten Gerichts in Bezug auf die Auslegung und Anwendung ihrer Bestimmungen zu unterwerfen, sofern die Autonomie der Union und ihrer Rechtsordnung gewahrt bleibt“(<a href="#Footnote104" name="Footref104">104</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point112">112.</a> Im Zusammenhang mit dieser Rechtsprechung und um zu verdeutlichen, warum der in dem fraglichen BIT vorgesehene Streitbeilegungsmechanismus die Autonomie der Unionsrechtsordnung beeinträchtigte, hat der Gerichtshof erklärt: „[I]m vorliegenden Fall [ist] außer dem Umstand, dass die Streitigkeiten, die unter die Gerichtsbarkeit des in Art. 8 des BIT vorgesehenen Schiedsgerichts fallen, die Auslegung sowohl dieser Übereinkunft als auch des Unionsrechts betreffen können, die Möglichkeit der Zuweisung dieser Streitigkeiten zu einer Einrichtung, die nicht Teil des Gerichtssystems der Union ist, in einer Übereinkunft vorgesehen, die nicht von der Union, sondern von den Mitgliedstaaten geschlossen wurde. Art. 8 des BIT ist jedoch geeignet, neben dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten die Erhaltung des eigenen Charakters des durch die Verträge geschaffenen Rechts, die durch das in Art. 267 AEUV vorgesehene Vorabentscheidungsverfahren gewährleistet wird, in Frage zu stellen, und ist daher nicht mit der ... Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit vereinbar“(<a href="#Footnote105" name="Footref105">105</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point113">113.</a> Nach diesen Ausführungen – und obwohl das Prüfungsschema nicht mit demjenigen identisch sein kann, das der Gerichtshof auf ein bilaterales Investitionsschutzübereinkommen zwischen Mitgliedstaaten angewandt hat – ist gleichwohl festzustellen, dass bei der Errichtung eines Mechanismus zur Beilegung von Investor-Staat-Streitigkeiten durch ein Abkommen zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten auf der einen und einem Drittstaat auf der anderen Seite die Autonomie der Unionsrechtsordnung beachtet werden muss.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point114">114.</a> In diesem Sinne und unter Berücksichtigung der soeben dargelegten Gesichtspunkte ist nunmehr entsprechend dem Ersuchen im Gutachtenantrag des Königreichs Belgien zu prüfen, ob der in Kapitel 8 Abschnitt F CETA vorgesehene ICS geeignet ist, die Autonomie der Unionsrechtsordnung insbesondere dadurch zu gefährden, dass er die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichtshofs für die verbindliche Auslegung des Unionsrechts beeinträchtigt.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">6.      <b>Die von den Vertragsparteien vorgesehenen Garantien zur Wahrung der ausschließlichen Zuständigkeit des Gerichtshofs für die verbindliche Auslegung des Unionsrechts</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point115">115.</a> Die dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten durch Art. 19 Abs. 1 EUV übertragene Aufgabe, die Wahrung des Unionsrechts innerhalb der Unionsrechtsordnung zu sichern, wird durch die Einrichtung eines Mechanismus zur Beilegung von Investor-Staat-Streitigkeiten, wie er in Kapitel 8 Abschnitt F CETA vorgesehen ist, meines Erachtens nicht beeinträchtigt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point116">116.</a> Das CETA enthält nämlich hinreichende Garantien zur Wahrung der Rolle des Gerichtshofs bei der letztverbindlichen Auslegung des Unionsrechts sowie des Mechanismus der Zusammenarbeit zwischen nationalen Gerichten und Gerichtshof in Form des Vorabentscheidungsverfahrens.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point117">117.</a> Die CETA-Verhandlungsführer haben somit bewusst dafür gesorgt, dass die Bestimmungen des CETA möglichst wenig mit den Bestimmungen des Unionsrechts in Konflikt geraten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point118">118.</a> Ich meine daher, dass es in Kapitel 8 Abschnitt F CETA gelungen ist, eine Balance zwischen der Akzeptanz einer externen Kontrolle der Tätigkeit der Union und ihrer Mitgliedstaaten anhand der in diesem Kapitel enthaltenen Investitionsschutzbestimmungen einerseits und der Wahrung der Autonomie des Unionsrechts andererseits zu gewährleisten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point119">119.</a> In diesem Zusammenhang ist es besonders wichtig, zu prüfen, für welche Rechtsvorschriften das CETA-Gericht genau zuständig ist und wie dieses Gericht mit dem innerstaatlichen Recht der Vertragsparteien, wozu das Unionsrecht gehört, umgehen soll.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point120">120.</a> Die Zuständigkeit des CETA-Gerichts ist eng begrenzt. Gemäß Art. 8.18 Abs. 1 CETA kann dieses Gericht nämlich nur über die Verletzung einer Pflicht nach Abschnitt C („Diskriminierungsfreie Behandlung“)(<a href="#Footnote106" name="Footref106">106</a>) oder nach Abschnitt D („Investitionsschutz“) von Kapitel 8 CETA entscheiden. Diese Zuständigkeitsbegrenzung wird in Art. 8.18 Abs. 5 CETA bekräftigt, wonach das CETA-Gericht „nicht über Klagen [entscheidet], die außerhalb des Geltungsbereichs dieses Artikels liegen“. Im Übrigen ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 8.18 Abs. 1 CETA, dass ein Investor wegen einer Maßnahme der Union oder eines Mitgliedstaats nur dann Klage erheben darf, wenn er nachweisen kann, dass diese Maßnahme ihm einen Schaden verursacht hat. Er darf eine solche Maßnahme nicht abstrakt anfechten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point121">121.</a> Außerdem bestimmt Art. 8.31 Abs. 1 CETA zum anwendbaren Recht und dessen Auslegung, dass das „Gericht ... bei seinen Entscheidungen dieses Abkommen so an[wendet], wie es nach dem [in Wien am 23. Mai 1969 abgeschlossenen] Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge und anderen zwischen den Vertragsparteien geltenden völkerrechtlichen Regeln und Grundsätzen auszulegen ist“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point122">122.</a> Aus dieser Bestimmung geht hervor, dass das CETA-Gericht, wenn es seine Entscheidung erlässt, nur das CETA und die anderen zwischen den Vertragsparteien geltenden völkerrechtlichen Regeln und Grundsätze anwendet, so dass es nicht für die Anwendung der Bestimmungen des Unionsrechts zuständig ist(<a href="#Footnote107" name="Footref107">107</a>). Das innerstaatliche Recht der Vertragsparteien gehört somit nicht zu den Rechtsvorschriften, die für die vom CETA-Gericht zu entscheidenden Streitfälle gelten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point123">123.</a> Im Übrigen fällt es nach Art. 8.31 Abs. 2 CETA „nicht in die Zuständigkeit des Gerichts, die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme, die vorgeblich einen Verstoß gegen dieses Abkommen darstellt, nach dem innerstaatlichen Recht einer Vertragspartei zu beurteilen“. Das bedeutet mit anderen Worten, dass das Gericht unter keinen Umständen befugt ist, über die Rechtmäßigkeit eines Rechtsakts eines Mitgliedstaats oder der Union im Hinblick auf das nationale Recht dieses Staates bzw. das Unionsrecht zu entscheiden. Wegen dieses Zuständigkeitsausschlusses kann festgestellt werden, dass das Gericht nicht in die Zuständigkeit der nationalen Gerichte und des Unionsrichters im Bereich der Rechtmäßigkeitskontrolle von Rechtsakten eingreift, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten und der Unionsrechtsordnung angehören(<a href="#Footnote108" name="Footref108">108</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point124">124.</a> Obwohl der Gerichtshof also hervorgehoben hat, dass das Gerichtssystem der Union ein „vollständiges System von Rechtsbehelfen und Verfahren [ist], das die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe gewährleisten soll“(<a href="#Footnote109" name="Footref109">109</a>), lässt der durch das CETA geschaffene Streitbeilegungsmechanismus dieses System doch unberührt, da mit ihm nicht die Rechtmäßigkeit von Rechtsakten der Union überprüft werden soll. Dieser Mechanismus dient allein der Überprüfung, ob Maßnahmen der Vertragsparteien mit den einschlägigen CETA-Bestimmungen vereinbar sind, und zwar zwecks Zuerkennung einer Entschädigung an die geschädigten Investoren, falls eine Unvereinbarkeit festgestellt werden sollte. Das den Rechtsprechungsorganen der Union von den Verträgen verliehene Monopol der Rechtmäßigkeitskontrolle von Rechtsakten der Union wird daher nicht in Frage gestellt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point125">125.</a> Entscheidet das CETA-Gericht in Ausübung seiner Zuständigkeit über die Vereinbarkeit einer Maßnahme einer der Vertragsparteien mit dem CETA, so ist es nicht befugt, wie aus Art. 8.39 Abs. 1 CETA hervorgeht, eine Maßnahme, die es für mit Kapitel 8 CETA unvereinbar halten sollte, aufzuheben oder die Anpassung dieser Maßnahme anzuordnen(<a href="#Footnote110" name="Footref110">110</a>). Nach dieser Bestimmung kann das CETA-Gericht nur Schadensersatz in Geld oder mit Zustimmung des Beklagten die Rückerstattung von Vermögenswerten zusprechen, die einem Investor durch Enteignung entzogen wurden(<a href="#Footnote111" name="Footref111">111</a>). Der ICS steht daher in der Tradition der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, vor der insbesondere entschädigungsrechtliche Streitfälle verhandelt werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point126">126.</a> Wie die französische Regierung zu Recht bemerkt, ist es nicht Sache des CETA-Gerichts, Rechtsstreitigkeiten zwischen zwei Parteien zu entscheiden, die unterschiedlicher Auffassung hinsichtlich der Gültigkeit oder der Auslegung eines Rechtsakts der Union sind, oder gar einen solchen Akt aufzuheben oder dessen Anpassung zu empfehlen. Das CETA-Gericht wird im Gegenteil nur für die Überprüfung zuständig sein, ob eine bestimmte Anwendung des Unionsrechts im Einklang mit dem CETA steht, wie auch das DSB nur prüft, ob eine bestimmte Anwendung des Unionsrechts im Einklang mit den WTO-Übereinkommen steht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point127">127.</a> Es gehört somit zu den Garantien, mittels deren eine Beeinträchtigung des Grundsatzes der Autonomie der Unionsrechtsordnung ausgeschlossen werden kann, dass die Urteilssprüche des CETA-Gerichts begrenzte Auswirkungen haben. In diesem Zusammenhang ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass diese Urteilssprüche nach Art. 8.41 Abs. 1 CETA „für die Streitparteien und für den betreffenden Fall bindend“ sein müssen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point128">128.</a> Im Rahmen der Ausübung dieser so begrenzten Zuständigkeit ist auch der dem CETA-Gericht zustehende Auslegungsspielraum eingeschränkt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point129">129.</a> In Bezug auf das innerstaatliche Recht jeder Vertragspartei bestimmt Art. 8.31 Abs. 2 CETA nämlich „[z]ur Klarstellung: Bei seiner Beurteilung, ob eine Maßnahme im Einklang mit diesem Abkommen steht, kann das Gericht das innerstaatliche Recht einer Vertragspartei, soweit angezeigt, als Tatsache heranziehen“. Diese Bestimmung verdeutlicht den von den Vertragsparteien gewählten Ansatz, wonach das CETA-Gericht das innerstaatliche Recht jeder Vertragspartei so wenig wie möglich auslegen und stattdessen so berücksichtigen soll, wie es ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point130">130.</a> Insoweit ist es meines Erachtens unbedingt erforderlich, dass das CETA-Gericht die Befugnis hat, das innerstaatliche Recht jeder Vertragspartei „zu berücksichtigen“. Denn es liegt in der Logik der von der Union ausgehandelten neuen Freihandelsabkommen und insbesondere ihrer Vorschriften über internationale Investitionen, das Gleichgewicht zwischen den privaten Interessen der Investoren und den von den Vertragsparteien vertretenen öffentlichen Interessen wiederherzustellen. Das bedeutet, dass es den Vertragsparteien möglich sein muss, sich vor dem Gericht auf ihre innerstaatlichen Regelungen zu berufen, wenn diese den Schutz eines öffentlichen Interesses vorsehen, um die ihnen vorgeworfene Maßnahme oder Verhaltensweise zu rechtfertigen. Könnte das Gericht die Regelungen im innerstaatlichen Recht der Vertragsparteien nicht berücksichtigen, wäre es ihm unmöglich, im öffentlichen Interesse liegenden legitimen Zielen Rechnung zu tragen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point131">131.</a> Zu dem im CETA so angelegten Gleichgewicht heißt es in Nr. 6 Buchst. a des Gemeinsamen Auslegungsinstruments: „Das CETA enthält moderne Investitionsvorschriften, nach denen die Regierungen weiterhin das Recht haben, im öffentlichen Interesse regelnd tätig zu werden, auch wenn sich diese Regelungen auf eine ausländische Investition auswirken, wobei es gleichzeitig ein hohes Maß an Schutz für Investitionen und eine faire und transparente Streitbeilegung garantiert.“ Weiter heißt es in Nr. 6 Buchst. b des Gemeinsamen Auslegungsinstruments: „Im CETA wird klargestellt, dass die Regierungen ihre Gesetze ändern dürfen, und zwar auch, wenn sich dies negativ auf eine Investition oder die Gewinnerwartungen eines Investors auswirkt“(<a href="#Footnote112" name="Footref112">112</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point132">132.</a> Als Konkretisierung dieses Gedankens bestimmt Art. 8.9 („Investitionen und Regulierungsmaßnahmen“) Abs. 1 CETA: „Für die Zwecke dieses Kapitels bekräftigen die Vertragsparteien ihr Recht, zur Erreichung legitimer politischer Ziele wie des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, Sicherheit, des Schutzes der Umwelt oder der öffentlichen Sittlichkeit, des Sozial- oder Verbraucherschutzes oder der Förderung und des Schutzes der kulturellen Vielfalt in ihrem jeweiligen Gebiet Regelungen zu erlassen.“ Art. 8.9 Abs. 2 CETA sieht vor: „Zur Klarstellung: Die bloße Tatsache, dass eine Vertragspartei – auch durch Änderung ihrer Gesetze – Regelungen in einer Art und Weise trifft, die sich auf eine Investition negativ auswirkt oder die Erwartungen eines Investors, einschließlich seiner Gewinnerwartungen, beeinträchtigt, stellt keinen Verstoß gegen eine Verpflichtung aus diesem Abschnitt dar.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point133">133.</a> Diese Bestimmungen machen deutlich, dass ein Gleichgewicht zwischen den wirtschaftlichen Interessen der Investoren und dem souveränen Recht der Staaten besteht, im öffentlichen Interesse Regelungen zu erlassen. Das wirtschaftliche Gebot, Investitionen zu fördern und zu schützen, wird somit gegen den Schutz von im öffentlichen Interesse liegenden Zielen abgewogen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point134">134.</a> Eine Berücksichtigung des innerstaatlichen Rechts der Vertragsparteien darf für das CETA-Gericht jedoch kein Anlass sein, dieses Recht zu ändern. Es hat das Recht so zu berücksichtigen, wie es ist. Das ist die Bedeutung der Regel, wonach das Gericht, wenn es das innerstaatliche Recht einer Vertragspartei berücksichtigt, dieses Recht nur „als eine Tatsache“ heranziehen kann. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die internationalen Gerichte, die zu kontrollieren haben, ob ein Staat die Verpflichtungen aus einem völkerrechtlichen Vertrag erfüllt hat, und die zu diesem Zweck das Recht dieses Staates überprüfen müssen, seit jeher die Frage nach dem Sinngehalt dieses nationalen Rechts als eine Tatfrage behandeln(<a href="#Footnote113" name="Footref113">113</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point135">135.</a> Das CETA-Gericht kann bei seiner Entscheidung, ob die streitgegenständliche Verhaltensweise oder Maßnahme mit dem CETA vereinbar ist, die Bestimmungen im innerstaatlichen Recht der Vertragsparteien somit als Tatsachen in Betracht ziehen(<a href="#Footnote114" name="Footref114">114</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point136">136.</a> Es gibt noch eine weitere Beschränkung in Art. 8.31 Abs. 2 des geplanten Abkommens, durch die verhindert werden soll, dass das CETA-Gericht in Bezug auf das innerstaatliche Recht rechtsschöpferisch tätig wird. Wenn das Gericht das innerstaatliche Recht einer Vertragspartei als Tatsache heranzieht, hat es nämlich „der herrschenden Auslegung des innerstaatlichen Rechts durch die Gerichte und Behörden der betreffenden Vertragspartei [zu folgen], wobei eine etwaige vom Gericht vorgenommene Auslegung innerstaatlichen Rechts für die Gerichte und Behörden dieser Vertragspartei nicht bindend ist“. Das CETA-Gericht kann mithin das Unionsrecht nicht verbindlich auslegen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point137">137.</a> So ist es zwar denkbar, dass das Gericht bei seiner Kontrolle, wenn es z. B. die Tragweite des beanstandeten Verhaltens ermitteln muss, eine bestimmte Auslegung des Unionsrechts vornimmt; das Gericht ist jedoch gemäß Art. 8.31 Abs. 2 CETA verpflichtet, der Auslegung des Unionsrechts zu folgen, die der Gerichtshof gegebenenfalls vorgenommen hat, wobei Letzterer unter keinen Umständen daran gebunden ist, wie das CETA-Gericht das Unionsrecht auslegen könnte. Eine etwaige Auslegung des innerstaatlichen Rechts durch das CETA-Gericht hätte daher keine Bindungswirkung für die Behörden und Gerichte der beklagten Vertragspartei.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point138">138.</a> Infolgedessen ist das CETA-Gericht an die Auslegung des Unionsrechts durch den Gerichtshof gebunden und hat nach Art. 8.31 Abs. 2 CETA dieser Auslegung zu folgen, wohingegen weder der Gerichtshof noch die Organe der Union, noch die nationalen Gerichte oder Behörden an die vom CETA-Gericht eventuell vorgenommene Auslegung des Unionsrechts gebunden sind.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point139">139.</a> Art. 8.31 Abs. 2 CETA stellt somit sicher, dass eine Auslegung des Unionsrechts durch das CETA-Gericht nur stattfinden kann, wenn die Unionsrechtsordnung keinen entsprechenden Hinweis enthält, und dass dieses Gericht eine solche Auslegung nur vornimmt, um über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit zu entscheiden, wobei diese Auslegung weder die Behörden noch die Gerichte der Union bindet.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point140">140.</a> Art. 8.31 Abs. 2 CETA enthält also hinreichende Garantien, um zu verhindern, dass das CETA-Gericht eine Auslegung des Unionsrechts innerhalb der Unionsrechtsordnung durchsetzen kann. Insoweit sind die wesentlichen Funktionen des Gerichtshofs nicht beeinträchtigt. Vor allem lässt der in Kapitel 8 Abschnitt F CETA geschaffene Streitbeilegungsmechanismus die Funktion des Gerichtshofs unberührt, das Unionsrecht letztverbindlich auszulegen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point141">141.</a> Diese Bestimmung trägt der Rechtsprechung des Gerichtshofs Rechnung, wonach mit Entscheidungsbefugnissen ausgestattete Organe im Rahmen einer von der Union geschlossenen Übereinkunft nicht „der Union und ihren Organen bei der Ausübung ihrer internen Zuständigkeiten eine bestimmte Auslegung der Regeln des Unionsrechts verbindlich [vorgeben dürfen]“(<a href="#Footnote115" name="Footref115">115</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point142">142.</a> Zwar hat der Gerichtshof in seinem Gutachten 2/13 ausgeführt, dass „[d]ie Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts, unter Einschluss des abgeleiteten Rechts, ... grundsätzlich einer Entscheidung des Gerichtshofs [bedarf], wenn es mehrere plausible Auslegungen dieser Bestimmung gibt“(<a href="#Footnote116" name="Footref116">116</a>). „Wenn es dem Gerichtshof“ – so heißt es dort weiter – „nicht gestattet wäre, <i>die verbindliche Auslegung</i> des abgeleiteten Rechts vorzunehmen, und wenn sich der [Europäische Gerichtshof für Menschenrechte] bei seiner Prüfung der Vereinbarkeit dieses Rechts mit der EMRK selbst für eine der plausiblen Auslegungen entscheiden müsste, würde <i>der Grundsatz der ausschließlichen Zuständigkeit des Gerichtshofs für die verbindliche Auslegung des Unionsrechts</i> fraglos verletzt“(<a href="#Footnote117" name="Footref117">117</a>). Dieser Grundsatz wird hier jedoch nicht verletzt, da die Auslegung des Unionsrechts durch das CETA-Gericht, soweit sie möglich sein und tatsächlich erfolgen sollte, keine Bindungswirkung gegenüber den Behörden und Gerichten der Union hätte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point143">143.</a> Daran ändert auch der Umstand nichts, dass, wie bereits erwähnt, ein Urteilsspruch des CETA-Gerichts nach Art. 8.41 Abs. 1 CETA für die Streitparteien und für den betreffenden Fall bindend sein wird. Sollte das CETA-Gericht gezwungen sein, das Unionsrecht selbst auszulegen, und es an einer Auslegung fehlen, die von ihm zu berücksichtigen wäre, behielte der Gerichtshof weiterhin die Zuständigkeit für eine verbindliche Auslegung des Unionsrechts. Der Urteilsspruch des CETA-Gerichts wird nur für die Streitparteien und für den betreffenden Fall bindend sein. Der Gerichtshof wird also, wenn er eine Auslegung des Unionsrechts durch das CETA-Gericht für unzutreffend hält, diese Auslegung verwerfen und eine Auslegung vornehmen können, die ihm als die treffendste erscheint, ohne dass die Union deshalb ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen verletzen würde.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point144">144.</a> Der Auslegungsspielraum des Gerichts ist zudem dadurch begrenzt, dass die Vertragsparteien „bindende Auslegungen festlegen können ... um eine etwaige Fehlinterpretation des CETA durch die Gerichte zu verhindern oder zu korrigieren“(<a href="#Footnote118" name="Footref118">118</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point145">145.</a> So bestimmt Art. 8.31 Abs. 3 CETA: „Bei ernsthaften Bedenken in Bezug auf Auslegungsfragen, die sich auf Investitionen auswirken können, kann der Ausschuss für Dienstleistungen und Investitionen dem Gemischten CETA-Ausschuss nach Artikel 8.44 Absatz 3 Buchstabe a die Annahme von Auslegungen dieses Abkommens empfehlen. Eine vom Gemischten CETA-Ausschuss angenommene Auslegung ist für das nach diesem Abschnitt eingesetzte Gericht bindend. Der Gemischte CETA-Ausschuss kann beschließen, dass eine Auslegung ab einem bestimmten Zeitpunkt bindende Wirkung hat“(<a href="#Footnote119" name="Footref119">119</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point146">146.</a> Außerdem trifft bzw. formuliert gemäß Art. 26.3 Abs. 3 CETA „[d]er Gemischte CETA-Ausschuss ... seine Beschlüsse und ... seine Empfehlungen einvernehmlich“. In Analogie zu den Ausführungen des Gerichtshofs im Gutachten 1/00 stellt eine solche Beschlussfassung eine Garantie für die Union dar, dass ihr in ihren Beziehungen zu den Mitgliedstaaten oder deren Staatsangehörigen keine Auslegung verbindlich vorgegeben wird, die der Rechtsprechung des Gerichtshofs zuwiderläuft(<a href="#Footnote120" name="Footref120">120</a>). Der Text des CETA hindert auch nicht daran, die von der Union im Rahmen des Gemischten Ausschusses vertretene Auffassung gegebenenfalls dem Gerichtshof im Wege der im AEU-Vertrag vorgesehenen Rechtsbehelfe vorzulegen(<a href="#Footnote121" name="Footref121">121</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point147">147.</a> Weiter ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 8.28 Abs. 1 CETA „eine Rechtsbehelfsinstanz eingesetzt [wird], der die Überprüfung von nach diesem Abschnitt ergangenen Urteilssprüchen obliegt“. Gemäß Art. 8.28 Abs. 7 CETA hat der Gemischte CETA-Ausschuss „umgehend einen Beschluss [zu fassen], in dem ... administrative und organisatorische Aspekte der Arbeitsweise der Rechtsbehelfsinstanz geregelt werden“, die in dieser Bestimmung im Einzelnen aufgeführt sind.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point148">148.</a> Die bloße Existenz der Rechtsbehelfsinstanz ist eine zusätzliche Garantie dafür, dass es beim Erlass einer Entscheidung im Rahmen des Streitbeilegungsmechanismus gemäß Kapitel 8 Abschnitt F CETA zu keinem falschen Verständnis des als Tatsache herangezogenen Unionsrechts kommt. Denn die Rechtsbehelfsinstanz wird nach Art. 8.28 Abs. 2 Buchst. b CETA einen Urteilsspruch des CETA-Gerichts auch „aufgrund von offenkundigen Fehlern bei der Würdigung des Sachverhalts, unter anderem bei der Beurteilung relevanter Vorschriften des innerstaatlichen Rechts“, abändern oder aufheben können. Das bedeutet, dass es möglich sein wird, einen etwaigen Fehler des CETA-Gerichts bei der Auslegung des Unionsrechts im Rahmen der Überprüfung seiner Urteilssprüche durch die Rechtsbehelfsinstanz noch zu korrigieren.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point149">149.</a> Nach Art. 8.28 Abs. 2 Buchst. b CETA muss deshalb ein Rechtsmittelführer, der die Würdigung des einschlägigen innerstaatlichen Rechts durch das Gericht beanstandet, entsprechend dem Erfordernis des Nachweises eines offenkundigen Fehlers dartun, dass das Gericht Erwägungen angestellt hat, die dem Inhalt des in Rede stehenden innerstaatlichen Rechts offensichtlich zuwiderlaufen, oder diesen eine Tragweite beigemessen hat, die ihm offensichtlich nicht zukommt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point150">150.</a> Die Beschränkung der Überprüfung im Rechtsbehelfsverfahren auf offenkundige Fehler bei der Würdigung des Sachverhalts steht im Einklang mit dem Grundgedanken, wonach das Gericht das innerstaatliche Recht der Vertragsparteien möglichst wenig auslegen soll. Es gilt daher zu verhindern, dass sich der Rechtsstreit in der ersten wie auch in der Rechtsbehelfsinstanz auf die Bedeutung dieses innerstaatlichen Rechts konzentriert.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point151">151.</a> Es ist festzuhalten, dass diese in Art. 8.28 Abs. 2 Buchst. b CETA vorgesehene Überprüfung im Rechtsbehelfsverfahren der Zuständigkeit des Gerichtshofs im Rechtsmittelverfahren entspricht. Insoweit ist der Gerichtshof nach ständiger Rechtsprechung „im Rahmen eines Rechtsmittels ausschließlich zu der Nachprüfung befugt, ob eine Verfälschung des nationalen Rechts stattgefunden hat, die sich in offensichtlicher Weise aus den Akten ergeben muss“(<a href="#Footnote122" name="Footref122">122</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point152">152.</a> Die auf einen offenkundigen Fehler begrenzte Überprüfung durch die Rechtsbehelfsinstanz dürfte freilich nur für den wohl relativ seltenen Fall eine Rolle spielen, dass es in der Unionsrechtsordnung keinen einzigen Anhaltspunkt dafür gibt, wie eine Bestimmung des Unionsrechts verstanden werden sollte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point153">153.</a> Ist das CETA-Gericht dagegen nachweislich von einer bestehenden Auslegung des Unionsrechts abgewichen, dann könnte seine Würdigung meines Erachtens als einfacher Rechtsfehler gemäß Art. 8.28 Abs. 2 Buchst. a CETA beanstandet werden, weil dann davon auszugehen wäre, dass dieses Gericht Art. 8.31 Abs. 2 CETA verletzt hat, der seine Zuständigkeit begrenzt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point154">154.</a> Wie bereits erwähnt, geht aus Art. 8.31 Abs. 2 CETA nämlich hervor, dass das Gericht, wenn es das innerstaatliche Recht einer Vertragspartei als Tatsache heranzieht, der herrschenden Auslegung dieses Rechts durch die Gerichte und Behörden der betreffenden Vertragspartei folgen muss. Daher wäre der Verstoß gegen Art. 8.31 Abs. 2 CETA nach meinem Dafürhalten ein Fehler bei der Anwendung des anwendbaren Rechts im Sinne von Art. 8.28 Abs. 2 Buchst. a CETA, wobei dieser Verstoß festgestellt werden könnte, wenn das Gericht eine eigenständige Auslegung des Unionsrechts ohne Rücksicht auf die Auslegung dieses Rechts seitens der Organe oder der Gerichte der Union vornähme, obwohl es nach Art. 8.31 Abs. 2 CETA verpflichtet wäre, sich auf die herrschende Auslegung des Unionsrechts zu stützen. Die Verletzung dieser Verpflichtung würde mit anderen Worten einen Rechtsfehler darstellen, dessen Nachweis nicht die Feststellung einer Offenkundigkeit im Sinne von Art. 8.28 Abs. 2 Buchst. b CETA verlangen würde.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point155">155.</a> Daraus folgt, dass das CETA-Gericht für die Auslegung und Anwendung des CETA zuständig ist und dass es wegen dieser genau begrenzten Zuständigkeit das Ziel einer einheitlichen Auslegung des Unionsrechts oder die den Unionsgerichten übertragene Aufgabe, die Rechtmäßigkeit der Rechtsakte der Organe zu überprüfen, nicht gefährden kann.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point156">156.</a> Angesichts der Garantien, mit denen die Einrichtung des Streitbeilegungsmechanismus gemäß Kapitel 8 Abschnitt F CETA versehen ist, bin ich der Meinung, dass die Union sich einer externen Kontrolle unterwerfen darf, die auf die Beachtung der im CETA aufgeführten Standards im Bereich des Investitionsschutzes gerichtet ist, ohne dass die Autonomie der Unionsrechtsordnung beeinträchtigt würde.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point157">157.</a> Außerdem ist das CETA, wie mehrere Verfahrensbeteiligte dargelegt haben, weder mit dem Entwurf eines Abkommens über die Schaffung des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) in der im Gutachten 1/91 (EWR-Abkommen – I) vom 14. Dezember 1991(<a href="#Footnote123" name="Footref123">123</a>) behandelten Fassung noch mit dem im Gutachten 1/00(<a href="#Footnote124" name="Footref124">124</a>) behandelten Entwurf eines Übereinkommens über die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Luftverkehrsraums (GELR-Übereinkommen) vergleichbar. Mit Kapitel 8 Abschnitte C und D CETA wird nämlich eine Erweiterung des Besitzstands der Gemeinschaft auf Kanada durch eine Übertragung des Unionsrechts weder bezweckt noch bewirkt. Wenngleich es materiell-rechtliche Überschneidungen mit dem im unionsinternen Recht vorgesehenen Investitionsschutz gibt, lässt sich doch nicht sagen, dass die Bestimmungen in Kapitel 8 Abschnitte C und D CETA damit identisch wären. Diese Bestimmungen verweisen auf die üblichen Standards im Bereich des internationalen Investitionsschutzes, wobei sie diese verdeutlichen und verstärken. Im Übrigen enthält das CETA auch nicht die Verpflichtung, eine einheitliche Auslegung der im CETA und im innerstaatlichen Recht der Vertragsparteien enthaltenen Schutznormen zu gewährleisten(<a href="#Footnote125" name="Footref125">125</a>). Unter diesem Aspekt besteht nicht die Gefahr, dass die Auslegung von Kapitel 8 Abschnitte C und D CETA durch das Gericht Auswirkungen auf die Auslegung des unionsinternen Rechts haben könnte, die der Gerichtshof in seinem Gutachten 1/91 für mit dem Grundsatz der Autonomie der Unionsrechtsordnung unvereinbar erklärt hat(<a href="#Footnote126" name="Footref126">126</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point158">158.</a> Jedenfalls kommt es entscheidend darauf an, dass der durch das CETA geschaffene Mechanismus aufgrund der vorstehend aufgeführten Garantien auch hinsichtlich im Kern gleichlautender Schutznormen nicht dazu führt, dass der Union und ihren Organen bei der Ausübung ihrer internen Zuständigkeit eine bestimmte Auslegung von Regeln des Unionsrechts vorgeschrieben wird, die möglicherweise im CETA ähnlich formuliert wären, wobei jede Kategorie von Normen formal getrennt bliebe und ihre eigene Auslegung behalten könnte(<a href="#Footnote127" name="Footref127">127</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point159">159.</a> Die Vorschriften des CETA über das CETA-Gericht sind auch von denjenigen des Entwurfs einer Übereinkunft über den Beitritt der Europäischen Union zur EMRK zu unterscheiden, der Gegenstand des Gutachtens 2/13 war. In diesem Gutachten hat der Gerichtshof mehrere Gründe hervorgehoben, aus denen sich eine Beeinträchtigung der Autonomie des Unionsrechts ergab, wozu u. a. der Umstand gehörte, dass die geplante Übereinkunft die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Union und den Mitgliedstaaten sowie die Zuständigkeitsverteilung zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten stören konnte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point160">160.</a> Das CETA-Gericht hat jedoch keinerlei Befugnis, sich zu den gegenseitigen Beziehungen zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten, zwischen den Mitgliedstaaten selbst oder zwischen den Investoren aus einem Mitgliedstaat und den anderen Mitgliedstaaten zu äußern. Das CETA-Gericht unterscheidet sich insoweit von den in den Gutachten 1/09 und 2/13 behandelten Rechtsprechungsorganen, als das in jedem dieser Gutachten geprüfte Übereinkommen zwar von der Union geschlossen worden war, sowohl das Gericht für europäische Patente und Gemeinschaftspatente als auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte jedoch befugt gewesen wären, über unionsinterne Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden. So verhält es sich beim CETA-Gericht nicht, das nur über Rechtsstreitigkeiten entscheiden darf, bei denen sich Investoren einer Vertragspartei und die andere Vertragspartei gegenüberstehen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point161">161.</a> Im Übrigen entscheidet das CETA-Gericht nicht über die Zuständigkeitsverteilung zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten. Das CETA sieht nämlich in seinem Art. 8.21 Modalitäten vor, nach denen der Beklagte im Rahmen eines von einem kanadischen Investor eingeleiteten Verfahrens automatisch bestimmt wird, und zwar unbeschadet der Verordnung (EU) Nr. 912/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 zur Schaffung der Rahmenbedingungen für die Regelung der finanziellen Verantwortung bei Investor-Staat-Streitigkeiten vor Schiedsgerichten, welche durch internationale Übereinkünfte eingesetzt wurden, bei denen die Europäische Union Vertragspartei ist(<a href="#Footnote128" name="Footref128">128</a>). So sieht Art. 8.21 Abs. 1 CETA bei einem vorgeblichen Verstoß gegen dieses Abkommen seitens der Union oder eines Mitgliedstaats vor, dass ein Investor, der beabsichtigt, eine Klage nach Art. 8.23 CETA einzureichen, „der ... Union ein Ersuchen um Feststellung des Beklagten“ übermitteln muss. Die Union stellt sodann fest, ob es sich bei dem Beklagten um sie selbst oder um einen ihrer Mitgliedstaaten handelt, und teilt dies dem Investor mit(<a href="#Footnote129" name="Footref129">129</a>). Wird dem Investor nicht innerhalb von 50 Tagen nach seinem Ersuchen um Feststellung des Beklagten mitgeteilt, wer als Beklagter ermittelt wurde, und handelt es sich bei den im Ersuchen genannten Maßnahmen ausschließlich um Maßnahmen eines Mitgliedstaats, so ist Letzterer der Beklagte. Umfassen die in dem Ersuchen genannten Maßnahmen auch solche der Union, so ist die Union der Beklagte(<a href="#Footnote130" name="Footref130">130</a>). Das CETA-Gericht ist an diese Feststellung nach Art. 8.21 Abs. 3 oder 4 CETA gebunden(<a href="#Footnote131" name="Footref131">131</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point162">162.</a> Die Regeln, anhand deren festgestellt werden kann, ob die Union oder der betroffene Mitgliedstaat als Beklagter aufzutreten hat, finden sich in der Verordnung Nr. 912/2014. Die von der Kommission erlassenen Beschlüsse sind Durchführungsrechtsakte. Es handelt sich somit um Rechtsakte, die zur Kontrolle ihrer Rechtmäßigkeit den Unionsgerichten vorgelegt werden können. Wie der Rat zu Recht hervorhebt, entscheidet also letztlich der Gerichtshof darüber, wer als Beklagter aufzutreten hat.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point163">163.</a> Die vorliegende Rechtssache unterscheidet sich infolgedessen vom Gutachten 2/13, in dem der Gerichtshof festgestellt hat, dass die in der geplanten Übereinkunft vorgesehenen Modalitäten des Mitbeschwerdegegner-Mechanismus nicht gewährleisteten, dass die besonderen Merkmale der Union und des Unionsrechts erhalten blieben. Diese Modalitäten beeinträchtigten nämlich die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Entscheidung über die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten(<a href="#Footnote132" name="Footref132">132</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point164">164.</a> Da das CETA-Gericht somit gemäß Art. 8.21 CETA nicht befugt ist, über die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten zu entscheiden, kann nicht festgestellt werden, dass das CETA in dieser Hinsicht die Autonomie der Unionsrechtsordnung beeinträchtigen würde.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">7.      <b>Der ICS berührt nicht die Aufgabe der nationalen Gerichte, eine effektive Anwendung des Unionsrechts zu gewährleisten</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point165">165.</a> Durch Kapitel 8 Abschnitt F CETA wird ein Mechanismus geschaffen, den man als „gerichtsähnlich“ bezeichnen könnte, der in mancherlei Hinsicht noch von den Regeln der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit geprägt ist und der im Wesentlichen die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten über die Auslegung oder Anwendung des betreffenden internationalen Abkommens selbst zum Gegenstand hat. Außerdem berührt dieser Mechanismus, da er eine alternative Form der Beilegung von Streitigkeiten im Bereich des Investitionsschutzes darstellt, bei denen es um die Anwendung des CETA geht, weder die Zuständigkeiten der Gerichte der Mitgliedstaaten für die Auslegung und Anwendung des Unionsrechts noch deren Befugnis oder Verpflichtung, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen, und dessen Zuständigkeit, die Fragen dieser Gerichte zu beantworten(<a href="#Footnote133" name="Footref133">133</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point166">166.</a> Obwohl das Gericht ebenso wie das im Gutachten 1/09 behandelte Gericht für europäische Patente und Gemeinschaftspatente außerhalb des institutionellen und gerichtlichen Rahmens der Union verortet ist, wird ihm doch, anders als dies bei dem Patentgericht hinsichtlich einer beträchtlichen Zahl von Klagen Einzelner im Zusammenhang mit dem Gemeinschaftspatent der Fall war(<a href="#Footnote134" name="Footref134">134</a>), keine ausschließliche Zuständigkeit für die Entscheidung über Klagen ausländischer Investoren im Bereich des Investitionsschutzes oder für die Auslegung und Anwendung des Unionsrechts in diesem Bereich übertragen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point167">167.</a> Wie die Kommission in ihrer Stellungnahme zu Recht bemerkt, soll das CETA-Gericht nicht das unionsinterne Recht, sondern allein die Bestimmungen des CETA anwenden. Das CETA trifft zusätzliche völkerrechtliche Schutzmaßnahmen und sieht einen spezifischen Mechanismus vor, der es den Investoren der jeweils anderen Vertragspartei erlaubt, sich auf diese Schutzmaßnahmen zu berufen. Jedoch beschränkt das CETA nicht die den ausländischen Investoren nach dem unionsinternen Recht zustehenden materiellen Rechte. Es führt auch nicht zu einer Beschränkung der Zuständigkeit des Gerichtshofs oder der mitgliedstaatlichen Gerichte, über Klagen zu entscheiden, mit deren Erhebung sichergestellt werden soll, dass solche durch das unionsinterne Recht verliehenen Rechte beachtet werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point168">168.</a> So hindert die Errichtung des ICS die ausländischen Investoren nicht daran, wegen des Schutzes ihrer Investitionen die Gerichte der Vertragsparteien zwecks Anwendung des innerstaatlichen Rechts dieser Parteien anzurufen(<a href="#Footnote135" name="Footref135">135</a>). In diesem Fall werden sich die ausländischen Investoren wegen der fehlenden Direktwirkung des CETA vor den Gerichten der Vertragsparteien nicht unmittelbar auf eine Verletzung dieses Abkommens, sondern nur auf das innerstaatliche Recht dieser Parteien berufen können, vorausgesetzt natürlich, dass es geeignete Schutzvorschriften enthält. Abgesehen davon, dass beide Klagearten somit auf unterschiedlichen Referenznormen beruhen, haben sie nicht zwangsläufig denselben Streitgegenstand. Im Gegensatz zu einer Klage vor dem CETA-Gericht wird mit einer Klage vor den innerstaatlichen Gerichten der Vertragsparteien nämlich nicht nur eine Entschädigung, sondern auch die Aufhebung eines innerstaatlichen Rechtsakts dieser Parteien beantragt werden können. Es handelt sich also um zwei Rechtsschutzmöglichkeiten, die sich ergänzen, nicht aber gegeneinander austauschbar sind.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point169">169.</a> Die Vertragsparteien haben Regeln für das Wahlrecht der ausländischen Investoren aufgestellt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point170">170.</a> In Art. 8.22 („Verfahrens- und sonstige Vorschriften für die Einreichung einer Klage beim Gericht“) CETA heißt es:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Ein Investor kann nur dann eine Klage nach Artikel 8.23 einreichen, wenn er</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">...</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">f)      etwaige bereits nach innerstaatlichem oder internationalem Recht angestrengte Klagen oder Gerichtsverfahren in Bezug auf eine Maßnahme, die vorgeblich einen Verstoß gegen das Abkommen darstellt und die in seiner Klage angeführt wird, zurücknimmt beziehungsweise einstellt, und</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">g)      auf sein Recht verzichtet, in Bezug auf eine Maßnahme, die vorgeblich einen Verstoß gegen das Abkommen darstellt und die in seiner Klage angeführt wird, eine Klage oder ein Gerichtsverfahren nach innerstaatlichem oder internationalem Recht anzustrengen.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point171">171.</a> Diese Bestimmungen zeigen, dass dem CETA-Gericht nur eine alternative Zuständigkeit übertragen wird. So privilegiert laut Nr. 6 Buchst. a des Gemeinsamen Auslegungsinstruments „[d]as CETA ... nicht die Anrufung [des] mit dem Abkommen eingerichteten [ICS]. Die Investoren können sich stattdessen dafür entscheiden, die verfügbaren Rechtsbehelfe vor inländischen Gerichten einzulegen“. Im Übrigen könnten die Investoren, wenn es für sie unmöglich wäre, parallel zu einer Klage vor dem CETA-Gericht oder im Anschluss an eine solche Klage die Gerichte der Vertragsparteien anzurufen, dazu verleitet werden, sich zunächst an diese Gerichte zu wenden. Diese Bestimmungen fördern somit die Erschöpfung der innerstaatlichen Rechtswege, selbst wenn eine solche nicht als Vorbedingung für den Zugang zum CETA-Gericht vorgeschrieben ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point172">172.</a> Es ist also festzustellen, dass die mitgliedstaatlichen Gerichte, auch wenn sie wegen der fehlenden Direktwirkung des CETA nicht die Aufgabe haben, dieses Abkommen anzuwenden, dennoch ihren Status als „ordentliche“ Gerichte der Unionsrechtsordnung, einschließlich ihrer Rolle bei eventuellen Ersuchen um Vorabentscheidung, nicht verlieren. Im Übrigen wird dem Gerichtshof seine Zuständigkeit, die von diesen Gerichten zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen zu beantworten, nicht genommen. Es kann daher keine Verfälschung der Zuständigkeiten festgestellt werden, die die Verträge den Unionsorganen und den Mitgliedstaaten zuweisen und die für die Wahrung der Natur des Unionsrechts wesentlich sind(<a href="#Footnote136" name="Footref136">136</a>).</p>
<p class="C23Titrenumerote3">8.      <b>Die Kohärenz mit den Zielen des auswärtigen Handelns der Union</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point173">173.</a> Bei der Prüfung der Vereinbarkeit von Kapitel 8 Abschnitt F CETA mit dem Grundsatz der Autonomie des Unionsrechts ist meines Erachtens gebührend zu berücksichtigen, dass die Union in der Lage sein muss, zur Verwirklichung der Grundsätze und Ziele ihres auswärtigen Handelns beizutragen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point174">174.</a> Wie die slowakische Regierung in der mündlichen Verhandlung zu Recht bemerkt hat, sollte der Gerichtshof den Grundsatz der Autonomie des Unionsrechts inhaltlich so bestimmen, dass nicht nur die spezifischen Merkmale des Unionsrechts gewahrt bleiben, sondern die Union sich auch an der Entwicklung des Völkerrechts und einer regelbasierten Völkerrechtsordnung beteiligen kann.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point175">175.</a> Mit den Bestimmungen in Kapitel 8 CETA lässt sich nach meiner Meinung eine Balance zwischen der Wahrung des spezifischen Verfassungsgefüges der Union und deren auswärtigem Handeln erreichen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point176">176.</a> Nach Art. 3 Abs. 5 EUV schützt und fördert die Union „[i]n ihren Beziehungen zur übrigen Welt ... ihre Werte und Interessen und trägt zum Schutz ihrer Bürgerinnen und Bürger bei. Sie leistet einen Beitrag zu ... globaler nachhaltiger Entwicklung, ... zu freiem und gerechtem Handel ... sowie zur strikten Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts ...“. Dieses letztere Ziel setzt logischerweise voraus, dass die Union die Initiativen und Kontrollmechanismen fördern sollte, mit denen die Effektivität der völkerrechtlichen Verträge, an denen sie beteiligt ist, gestärkt wird(<a href="#Footnote137" name="Footref137">137</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point177">177.</a> Bei ihrem Handeln auf internationaler Ebene muss sich die Union gemäß Art. 21 Abs. 2 EUV „für ein hohes Maß an Zusammenarbeit auf allen Gebieten der internationalen Beziehungen ein[setzen]“, indem sie insbesondere die „Rechtsstaatlichkeit ... und die Grundsätze des Völkerrechts“(<a href="#Footnote138" name="Footref138">138</a>) durch „die Integration aller Länder in die Weltwirtschaft ..., unter anderem auch durch den schrittweisen Abbau internationaler Handelshemmnisse“(<a href="#Footnote139" name="Footref139">139</a>), festigt und fördert, indem sie „zur Entwicklung von internationalen Maßnahmen [beiträgt] ..., um eine nachhaltige Entwicklung sicherzustellen“(<a href="#Footnote140" name="Footref140">140</a>), und indem sie „eine Weltordnung [fördert], die auf einer verstärkten multilateralen Zusammenarbeit und einer verantwortungsvollen Weltordnungspolitik beruht“(<a href="#Footnote141" name="Footref141">141</a>). Nach Art. 207 Abs. 1 AEUV wird „[d]ie gemeinsame Handelspolitik ... im Rahmen der Grundsätze und Ziele des auswärtigen Handelns der Union gestaltet“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point178">178.</a> Kapitel 8 CETA entspricht meines Erachtens in vollem Umfang diesen Zielen, da die darin enthaltenen Vorschriften über den Investitionsschutz, die zur Rechtssicherheit für die Investoren sowie zur Ausweitung des Handelsverkehrs zwischen der Union und Kanada beitragen(<a href="#Footnote142" name="Footref142">142</a>), und ein spezifischer Streitbeilegungsmechanismus mit der ausdrücklichen Bekräftigung des Rechts der Vertragsparteien einhergehen, die notwendigen Regelungen zu erlassen, um legitime Ziele des Allgemeinwohls etwa im Bereich der öffentlichen Gesundheit, der Sicherheit, des Umwelt- oder des sozialen Schutzes zu erreichen.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">9.      <b>Die Einrichtung eines Mechanismus der vorherigen Befassung des Gerichtshofs und die Möglichkeit einer vollständigen Überprüfung der Urteilssprüche durch die Gerichte der Mitgliedstaaten sind nicht notwendig</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point179">179.</a> Wie gesagt besteht der Daseinszweck eines Streitbeilegungsmechanismus, wie er in Kapitel 8 Abschnitt F CETA vorgesehen ist, darin, die Neutralität und die Autonomie der Beilegung von Investor-Staat-Streitigkeiten im Verhältnis zu den Gerichtssystemen der Vertragsparteien zu gewährleisten. Nach dieser Logik ist es verständlich, dass die Vertragsparteien kein Verfahren der vorherigen Befassung des Gerichtshofs und auch keine Regelung vorgesehen haben, wonach die Urteilssprüche des Gerichts systematisch einer vollständigen Überprüfung durch ihre Gerichte sollten unterworfen werden können. Eine solche Anknüpfung an das Gerichtssystem der Vertragsparteien hätte im Widerspruch zu ihrem Willen gestanden, einen Streitbeilegungsmechanismus einzuführen, der gerade außerhalb ihrer Gerichtssysteme angesiedelt sein sollte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point180">180.</a> Da Kapitel 8 Abschnitt F CETA anerkanntermaßen hinreichende Garantien enthält, um zu verhindern, dass dieser Mechanismus die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichtshofs für die verbindliche Auslegung des Unionsrechts beeinträchtigt, kann diese Entscheidung der Vertragsparteien nach meiner Meinung nicht in Frage gestellt werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point181">181.</a> Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass je nach der Wahl der Schiedsordnung, aufgrund deren eine Klage erhoben wird(<a href="#Footnote143" name="Footref143">143</a>), eine Überprüfung durch die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem die Vollstreckung beantragt wird, vor allem bei einem Konflikt mit der öffentlichen Ordnung dieses Staates(<a href="#Footnote144" name="Footref144">144</a>) nicht ausgeschlossen ist(<a href="#Footnote145" name="Footref145">145</a>). Die Vereinbarkeit des in Kapitel 8 Abschnitt F CETA vorgesehenen Mechanismus zur Beilegung von Investor-Staat-Streitigkeiten mit dem Grundsatz der Autonomie des Unionsrechts hängt meines Erachtens aber nicht von der Existenz einer solchen Überprüfung ab.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point182">182.</a> Was im Übrigen den mitunter geäußerten Vorschlag betrifft, in einem derartigen Abkommen ein Verfahren zur vorherigen Befassung des Gerichtshofs bei Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts vorzusehen, so ist, wie die deutsche Regierung und die Kommission zu Recht darlegen, das Erfordernis der Gegenseitigkeit zu berücksichtigen. Denn abgesehen davon, dass es schwierig, wenn nicht unmöglich wäre, ein solches Verfahren mit Drittstaaten zu vereinbaren(<a href="#Footnote146" name="Footref146">146</a>), müsste die Union, falls ihre Partner damit einverstanden wären, auch diesen wegen der für ihre beiderseitigen Beziehungen maßgeblichen Gegenseitigkeit die Möglichkeit einräumen, ihren innerstaatlichen Gerichten eine Zuständigkeit für Vorabentscheidungen über die Auslegung des innerstaatlichen Rechts vorzusehen. Für die Investoren aus der Union liefe dies dem Daseinszweck des Streitbeilegungsmechanismus zuwider, der darin besteht, neutral und von den innerstaatlichen Gerichten der anderen Vertragspartei unabhängig zu sein. Das würde das Interesse an diesem Mechanismus und dessen Attraktivität erheblich verringern, insbesondere wenn die Union Beziehungen zu Drittstaaten aufnehmen sollte, deren innerstaatliche Gerichte den Anforderungen an Unparteilichkeit und Unabhängigkeit sowie dem Beschleunigungsgebot nicht oder nur unvollkommen entsprechen, und könnte letztlich das Schutzniveau für die von Investoren aus der Union in diesen Staaten getätigten Investitionen beeinträchtigen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point183">183.</a> Ich begrüße deshalb das Vorgehen der CETA-Verhandlungsführer, die bei den Bestimmungen dieses Abkommens besonders sorgfältig darauf geachtet haben, dass der vorgesehene Streitbeilegungsmechanismus möglichst wenig in die Gerichtssysteme der Vertragsparteien eingreift.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point184">184.</a> Nach alledem bin ich der Meinung, dass der in Kapitel 8 Abschnitt F CETA vorgesehene Mechanismus zur Beilegung von Investor-Staat-Streitigkeiten die Autonomie des Unionsrechts nicht beeinträchtigt und insbesondere den Grundsatz der ausschließlichen Zuständigkeit des Gerichtshofs für die verbindliche Auslegung des Unionsrechts unberührt lässt.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">B.      <b>Zum allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung und zum Gebot der Effektivität des Unionsrechts</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point185">185.</a> In diesem Teil seines Antrags auf Gutachten trägt das Königreich Belgien zunächst vor, das CETA sehe für kanadische Investoren einen privilegierten Rechtsweg vor. Kanadische Unternehmen, die in der Union investierten, könnten nämlich einen Rechtsstreit entweder vor ein unionsinternes Gericht oder vor das CETA-Gericht bringen, während Unternehmen aus der Union, die in der Union investierten, diese Wahlmöglichkeit nicht hätten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point186">186.</a> Es sei zu prüfen, ob eine solche Situation mit Art. 20 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union(<a href="#Footnote147" name="Footref147">147</a>), wonach „alle Personen ... vor dem Gesetz gleich [sind]“, sowie mit Art. 21 Abs. 2 der Charta, wonach „unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge ... in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten [ist]“, vereinbart werden könne.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point187">187.</a> Das Königreich Belgien macht sodann geltend, nach Art. 8.39 Abs. 2 Buchst. a CETA sei, wenn ein kanadischer Investor Klage beim CETA-Gericht im Namen eines „gebietsansässigen Unternehmens“ (d. h. eines in der Union ansässigen Unternehmens, das direkt oder indirekt im Eigentum oder unter der Kontrolle dieses kanadischen Investors stehe)(<a href="#Footnote148" name="Footref148">148</a>) erhebe, der von diesem Gericht gegebenenfalls zuerkannte Schadensersatz an dieses gebietsansässige Unternehmen zu zahlen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point188">188.</a> Diese Bestimmung könne zwar durch die für internationale Investitionsschutzabkommen typische Zielsetzung gerechtfertigt werden, die Wirtschaft der Vertragspartei zu fördern, in deren Gebiet das betreffende Unternehmen ansässig sei. Gleichwohl müsse geprüft werden, ob diese Bestimmung mit den Art. 20 und 21 der Charta vereinbar sei.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point189">189.</a> Das Königreich Belgien wirft schließlich die Frage auf, ob dann, wenn das CETA-Gericht feststellen sollte, dass eine von der Kommission oder einer mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörde gegen einen kanadischen Investor (oder ein gebietsansässiges Unternehmen) verhängte Geldbuße eine Bestimmung in Kapitel 8 Abschnitt C oder D CETA verletze, und wenn es eine Entschädigung in Höhe dieser Geldbuße zusprechen sollte, der Wegfall der Wirkungen dieser Geldbuße mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung und mit dem Gebot der Effektivität des Unionsrechts zu vereinbaren wäre.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point190">190.</a> Nach Art. 8.9 Abs. 3 und 4 CETA dürfe das CETA-Gericht, wenn die Union eine staatliche Beihilfe für mit Art. 108 AEUV unvereinbar erklärt und deren Rückerstattung angeordnet habe, diese Entscheidung nicht als einen Verstoß gegen das CETA werten und daher auch keine Entschädigung in Höhe dieser staatlichen Beihilfe zusprechen. Das CETA enthalte jedoch keine entsprechende Bestimmung zum Schutz der Entscheidungen, die von der Kommission oder von den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten im Rahmen der Art. 101 und 102 AEUV erlassen würden. Es könne daher nicht ausgeschlossen werden, dass ein kanadischer Investor im Gegensatz zu Investoren aus der Union den finanziellen Konsequenzen eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht der Union entgehe.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point191">191.</a> Das Königreich Belgien möchte kurz gesagt wissen, ob es unter bestimmten Umständen möglich ist, dass die Urteilssprüche des Gerichts gegen die Art. 20 und 21 der Charta sowie gegen das Gebot der Effektivität des Unionsrechts verstoßen. Dies kann dem Königreich Belgien zufolge in zwei Situationen der Fall sein: erstens, wenn einem gebietsansässigen Unternehmen nach Art. 8.39 Abs. 2 Buchst. a CETA Schadensersatz zugesprochen wird, und zweitens, wenn das Gericht wegen einer in Anwendung des Wettbewerbsrechts der Union verhängten Geldbuße Schadensersatz zusprechen könnte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point192">192.</a> Der erste vom Königreich Belgien angesprochene Problembereich ist darauf zurückzuführen, dass eine Klage nach Art. 8.23 Abs. 1 CETA entweder vom Investor einer Vertragspartei in eigenem Namen oder vom Investor einer Vertragspartei im Namen eines gebietsansässigen Unternehmens, das direkt oder indirekt in seinem Eigentum oder unter seiner Kontrolle steht, erhoben werden kann. Im letzteren Fall wäre die durch den Urteilsspruch festgesetzte Entschädigung gemäß Art. 8.39 Abs. 2 Buchst. a CETA an das gebietsansässige Unternehmen zu zahlen. Dieser Befund ist meines Erachtens nicht geeignet, Investoren aus der Union, die innerhalb der Union investieren, zu diskriminieren.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point193">193.</a> Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das in diesen beiden Bestimmungen genannte gebietsansässige Unternehmen selbst eine Form der Investition darstellt. Denn nach Art. 8.1 CETA bezeichnet der Ausdruck „erfasste Investition“ in Bezug auf eine Vertragspartei eine Investition, die u. a. „direkt oder indirekt im Eigentum oder unter der Kontrolle eines Investors der anderen Vertragspartei steht“, und unter dem Ausdruck „Investition“ sind „Vermögenswerte jeder Art, die direkt oder indirekt im Eigentum oder unter der Kontrolle eines Investors stehen“, zu verstehen, wozu u. a. ein Unternehmen zählen kann. Angesichts der Kontrolle, die der Investor einer Vertragspartei somit über das im Hoheitsbereich der anderen Vertragspartei gebietsansässige Unternehmen ausübt, käme eine vom CETA-Gericht zugesprochene Entschädigung, auch wenn sie an das gebietsansässige Unternehmen gezahlt würde, letztlich dem Investor der ersteren Vertragspartei zugute, der im Übrigen nach Art. 8.23 Abs. 1 CETA als einziger berechtigt ist, Klage beim Gericht zu erheben.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point194">194.</a> Da der Investor einer Vertragspartei und das im Hoheitsbereich der anderen Vertragspartei gebietsansässige Unternehmen in Wirklichkeit einander gleichgestellt werden müssen(<a href="#Footnote149" name="Footref149">149</a>), geht die Frage des Königreichs Belgien dahin, ob ausländische Investoren, die über einen spezifischen materiell- und verfahrensrechtlichen Schutz verfügen, und einheimische Investoren, für die es einen solchen Schutz nicht gibt, ungleich behandelt werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point195">195.</a> Dazu ergibt sich aus Art. 207 Abs. 1 Satz 2 AEUV in Verbindung mit Art. 21 EUV, dass die Union bei der Ausübung der ihr durch den EU- und den AEU-Vertrag u. a. auch für die gemeinsame Handelspolitik übertragenen Zuständigkeiten die Grundrechte achten muss, zu denen der Grundsatz der Gleichbehandlung gehört(<a href="#Footnote150" name="Footref150">150</a>). Die Union ist eine Rechtsunion, in der alle Handlungen ihrer Organe der Kontrolle daraufhin unterliegen, ob sie insbesondere mit den Verträgen, den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und den Grundrechten im Einklang stehen(<a href="#Footnote151" name="Footref151">151</a>). Das gilt auch für das auswärtige Handeln der Union(<a href="#Footnote152" name="Footref152">152</a>). In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die von der Union geschlossenen internationalen Übereinkünfte nach ständiger Rechtsprechung „ab ihrem Inkrafttreten fester Bestandteil der Rechtsordnung der Union [sind] ... Ihre Bestimmungen müssen deshalb mit den Verträgen und den aus ihnen abzuleitenden Verfassungsgrundsätzen im Einklang stehen“(<a href="#Footnote153" name="Footref153">153</a>). Dazu gehört ausweislich ihres Art. 51 natürlich auch die Charta, die gemäß Art. 6 Abs. 1 EUV „rechtlich gleichrangig“ mit den Verträgen ist. Auch vor dem formellen Inkrafttreten der Charta hatte der Gerichtshof schon den Grundsatz aufgestellt, dass die Gestaltung der auswärtigen Beziehungen der Union im Einklang mit den Grundrechten der Union stehen muss(<a href="#Footnote154" name="Footref154">154</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point196">196.</a> Nach den Erläuterungen zur Charta(<a href="#Footnote155" name="Footref155">155</a>) entspricht zwar „Artikel 18 Absatz 1 [AEUV Art. 21 Abs. 2 der Charta] und findet entsprechend Anwendung“. Zudem erfolgt nach Art. 52 Abs. 2 der Charta die Ausübung der durch diese anerkannten Rechte, die in den Verträgen geregelt sind, im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Bedingungen und Grenzen. Folglich ist Art. 21 Abs. 2 der Charta so zu verstehen, dass er die gleiche Tragweite wie Art. 18 Abs. 1 AEUV hat.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point197">197.</a> Gemäß Art. 18 Abs. 1 AEUV ist „[u]nbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge … in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten“. Diese Bestimmung steht im zweiten Teil („Nichtdiskriminierung und Unionsbürgerschaft“) dieses Vertrags. Sie betrifft in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallende Situationen, in denen ein Angehöriger eines Mitgliedstaats nur aufgrund seiner Staatsangehörigkeit gegenüber den Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats diskriminiert wird. Diese Bestimmung findet nach Ansicht des Gerichtshofs daher keine Anwendung im Fall einer etwaigen Ungleichbehandlung zwischen Angehörigen der Mitgliedstaaten und Drittstaatsangehörigen(<a href="#Footnote156" name="Footref156">156</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point198">198.</a> Dies ändert meines Erachtens jedoch nichts daran, dass ein internationales Abkommen wie das CETA den Grundsatz der Gleichbehandlung einhalten muss, der ein in Art. 20 der Charta niedergelegter allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts ist(<a href="#Footnote157" name="Footref157">157</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point199">199.</a> Ich möchte in dieser Hinsicht hinzufügen, dass die Rechtsprechung, die darauf gerichtet ist, die politische Handlungsfähigkeit der Organe und Einrichtungen der Union auf internationaler Ebene dadurch zu wahren, dass sie diesen eine unterschiedliche Behandlung von Drittländern erlaubt, hier nicht in Frage gestellt wird(<a href="#Footnote158" name="Footref158">158</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point200">200.</a> Zum Investitionsschutz heißt es in Nr. 6 Buchst. a des Gemeinsamen Auslegungsinstruments, dass „[d]as CETA ... nicht dazu führen [wird], dass ausländische gegenüber einheimischen Investoren begünstigt werden“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point201">201.</a> Was die Prüfung der Frage anbelangt, ob der allgemeine Grundsatz der Gleichbehandlung bei der Einrichtung des ICS beachtet wird, so ist darauf hinzuweisen, dass dieser Grundsatz nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangt, vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich zu behandeln, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist(<a href="#Footnote159" name="Footref159">159</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point202">202.</a> Die meisten Regierungen, die Stellungnahmen abgegeben haben, sowie der Rat und die Kommission sind der Meinung, das Königreich Belgien gehe zu Unrecht von der Prämisse aus, dass die in der Union investierenden kanadischen Unternehmen und die in der Union investierenden EU-Unternehmen sich in ein und derselben Lage befänden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point203">203.</a> Dies sei gerade nicht der Fall, da die eine Kategorie der vorerwähnten Unternehmen internationale Investitionen, die andere Kategorie aber unionsinterne Investitionen vornehme, was nicht vergleichbar sei. Die unionsinternen Investitionen unterlägen zwangsläufig in gewissem Umfang anderen Regeln als die internationalen Investitionen. Miteinander vergleichbar seien allein die Lage der in der Union investierenden kanadischen Unternehmen und die Lage der in Kanada investierenden EU-Unternehmen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point204">204.</a> Der Unterschied, der darin bestehe, dass die in der Union investierenden kanadischen Unternehmen Rechtsstreitigkeiten vor das CETA-Gericht bringen könnten, während die in der Union investierenden EU-Unternehmen diese Möglichkeit nicht hätten, könne daher nicht als „Diskriminierung“ gewertet werden. Insoweit berufen sich diese Verfahrensbeteiligten auf eine analoge Anwendung der Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach die Ungleichbehandlung zwischen Bürgern, denen die Vorschriften eines Abkommens zwischen den Mitgliedstaaten zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zugutekämen, und Bürgern, denen derartige Vorschriften nicht zugutekämen, keine Diskriminierung darstelle, da die Situationen, in denen sich diese beiden Personengruppen befänden, nicht miteinander vergleichbar seien(<a href="#Footnote160" name="Footref160">160</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point205">205.</a> Jedenfalls sei es falsch, davon auszugehen, dass die in der Union investierenden kanadischen Unternehmen wegen der Möglichkeit, das CETA-Gericht anzurufen, gegenüber den in der Union investierenden EU-Unternehmen privilegiert würden. Diese Möglichkeit sei nur ein Ausgleich dafür, dass das CETA vor den innerstaatlichen Gerichten der Vertragsparteien nicht unmittelbar geltend gemacht werden könne.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point206">206.</a> Wie die meisten Verfahrensbeteiligten, die Stellung genommen haben, bin ich der Auffassung, dass sich allein die Investoren einer Vertragspartei, die im Hoheitsgebiet der jeweils anderen Vertragspartei investieren, in vergleichbaren Situationen befinden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point207">207.</a> Wie die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung zu Recht hervorgehoben hat, ist die Lage der kanadischen Investoren, die in der Union investieren, nicht mit der Lage der europäischen Investoren vergleichbar, die in ihrem eigenen Wirtschaftsraum investieren. Man kann die kanadischen bzw. europäischen Investoren nur hinsichtlich der Investitionen miteinander vergleichen, die sie im Hoheitsgebiet der jeweils anderen Vertragspartei vornehmen. Bei diesem Vergleich werden alle Investoren, die sich in einer vergleichbaren Lage befinden, gleichbehandelt. Zwar haben die Investoren aller Vertragsparteien keinen Zugang zum CETA-Gericht im Hinblick auf Investitionen, die sie im Hoheitsgebiet der Vertragspartei vornehmen, der sie angehören. Wie die deutsche Regierung ausgeführt hat, liegt dies daran, dass diese Investoren nicht die mit einer Investition in einem fremden Wirtschaftsraum verbundenen Risiken und Kosten getragen haben und in einem rechtlichen Umfeld agieren, das ihnen vertraut ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point208">208.</a> Im Übrigen erinnere ich daran, dass die Beziehungen zwischen Vertragsparteien wie der Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Kanada andererseits nicht auf gegenseitigem Vertrauen beruhen, weshalb diese Parteien in dem geplanten Abkommen auf einer Basis der Gegenseitigkeit ein materiell- und verfahrensrechtliches Schutzniveau festlegen wollen. Der Umstand, dass die durch das CETA geschaffenen gegenseitigen Rechte und Pflichten nur auf Investoren einer der beiden Vertragsparteien anwendbar sind, ist somit eine Folge des bilateralen Charakters des CETA(<a href="#Footnote161" name="Footref161">161</a>), das die Investoren jeder Vertragspartei vor den Nachteilen bewahren soll, die sie bei Investitionen im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei erleiden könnten. Folglich befindet sich ein EU-Investor bezüglich einer im Hoheitsgebiet der Union vorgenommenen Investition nicht in der gleichen Lage wie ein kanadischer Investor.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point209">209.</a> Selbst wenn aber angenommen werden sollte, dass sich die in der Union investierenden kanadischen Investoren und die ebenfalls dort investierenden EU-Investoren in einer vergleichbaren Lage befänden, wäre der Umstand, dass nur die erstere Investorengruppe den durch das CETA eingeführten Mechanismus zur Beilegung von Investor-Staat-Streitigkeiten in Anspruch nehmen kann, jedenfalls durch das Ziel, ausländische Investitionen im Hoheitsgebiet jeder Vertragspartei zu fördern, objektiv gerechtfertigt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point210">210.</a> In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof nämlich entschieden: „Wird eine unterschiedliche Behandlung zweier vergleichbarer Sachverhalte festgestellt, liegt kein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung vor, sofern es für die unterschiedliche Behandlung eine gebührende Rechtfertigung gibt“(<a href="#Footnote162" name="Footref162">162</a>). Dies ist nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Fall, „wenn die unterschiedliche Behandlung im Zusammenhang mit einem rechtlich zulässigen Ziel steht, das mit der Maßnahme, die zu einer solchen unterschiedlichen Behandlung führt, verfolgt wird, und wenn die unterschiedliche Behandlung in angemessenem Verhältnis zu diesem Ziel steht“(<a href="#Footnote163" name="Footref163">163</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point211">211.</a> Wie bereits erwähnt, hat der Gerichtshof entschieden, dass „[d]ie Organe und Einrichtungen der Union ... bei der Gestaltung der auswärtigen Beziehungen über eine große Bandbreite politischer Entscheidungsbefugnisse [verfügen]“ und dass „[d]ie Gestaltung der auswärtigen Beziehungen ... zwangsläufig Entscheidungen politischer Natur [impliziert]“(<a href="#Footnote164" name="Footref164">164</a>). Deshalb ist den Organen der Union in diesem Rahmen ein weites Ermessen zuzuerkennen, so dass sich die gerichtliche Kontrolle der Frage, ob eine unterschiedliche Behandlung im Zusammenhang mit einem rechtlich zulässigen Ziel steht, das mit der Maßnahme, die zu dieser Ungleichbehandlung führt, verfolgt wird, und ob eine solche Ungleichbehandlung in angemessenem Verhältnis zu diesem Ziel steht, auf offensichtliche Fehler beschränken muss(<a href="#Footnote165" name="Footref165">165</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point212">212.</a> Es kann aber kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass mit der Einrichtung des ICS ein rechtlich zulässiges Ziel verfolgt wird. Ich verweise insoweit auf die Nrn. 173 bis 178 der vorliegenden Schlussanträge, in denen ich dargelegt habe, dass die Einrichtung des ICS mit den Zielen im Einklang steht, die die Union nach den Verträgen im Rahmen ihres auswärtigen Handelns und insbesondere bei der Durchführung der gemeinsamen Handelspolitik erreichen soll, wozu das Ziel gehört, ausländische Investitionen auf der Grundlage der Gegenseitigkeit zu fördern. Der durch das CETA geschaffene Mechanismus zur Beilegung von Investor-Staat-Streitigkeiten ist fester Bestandteil des in diesem Abkommen vorgesehenen Schutzrahmens, so dass die CETA-Verhandlungsführer im Rahmen des ihnen zustehenden Ermessens davon ausgehen durften, dass das mit dem CETA verfolgte Ziel, ausländische Investitionen zu fördern und attraktiv zu machen, ohne einen solchen Mechanismus nicht so effizient erreicht würde.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point213">213.</a> Infolgedessen verstoßen die Bestimmungen in Kapitel 8 CETA meines Erachtens nicht gegen den allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung(<a href="#Footnote166" name="Footref166">166</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point214">214.</a> Was den zweiten Aspekt des vom Königreich Belgien angesprochenen Problembereichs anbelangt, bei dem es im Kern darum geht, ob das CETA-Gericht die Wirkungen einer von der Kommission oder einer mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörde verhängten Geldbuße dadurch neutralisieren kann, dass es einem kanadischen Investor Schadensersatz in gleicher Höhe zuspricht, so bin ich ebenso wie die meisten Verfahrensbeteiligten, die Stellungnahmen abgegeben haben, der Auffassung, dass mehrere Regelungen das Risiko begrenzen, dass das CETA-Gericht ohne Überschreitung seiner Zuständigkeit die gegen einen kanadischen Investor aufgrund des Wettbewerbsrechts der Union verhängte Geldbuße als einen Verstoß gegen eine in Kapitel 8 CETA vorgesehene Investitionsschutzvorschrift werten könnte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point215">215.</a> So wird in Art. 8.9 Abs. 1 und 2 CETA das Recht der Vertragsparteien anerkannt, in ihrem jeweiligen Gebiet Regelungen zur Erreichung legitimer Ziele im öffentlichen Interesse zu erlassen. Wie der Rat in seiner Stellungnahme zu Recht hervorhebt, beinhaltet dieses Recht die Befugnis, eine Politik zur Bekämpfung wettbewerbswidriger Verhaltensweisen im Binnenmarkt der Union beizubehalten und umzusetzen(<a href="#Footnote167" name="Footref167">167</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point216">216.</a> Im Übrigen bestimmt Art. 17.2 Abs. 1 in Kapitel 17 („Wettbewerbspolitik“) CETA: „Die Vertragsparteien erkennen die Bedeutung eines freien und unverfälschten Wettbewerbs im Rahmen ihrer Handelsbeziehungen an. Die Vertragsparteien räumen ein, dass wettbewerbswidriges Geschäftsgebaren das reibungslose Funktionieren der Märkte stören und die Vorteile der Handelsliberalisierung zunichtemachen kann.“ Außerdem lautet Art. 17.2 Abs. 2 CETA: „Die Vertragsparteien treffen geeignete Maßnahmen zum Verbot wettbewerbswidrigen Geschäftsgebarens und erkennen an, dass solche Maßnahmen der Verwirklichung der Ziele dieses Abkommens förderlich sind.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point217">217.</a> Angesichts dieser Bestimmungen in Art. 8.9 Abs. 1 und 2 CETA sowie in Kapitel 17 CETA scheint mir das Risiko einer Neutralisierung der Entscheidungen, die von den Vertragsparteien ergriffen werden, um ein wettbewerbswidriges Verhalten zu ahnden, eng begrenzt zu sein.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point218">218.</a> Zu diesen materiell-rechtlichen Garantien kommen noch die von mir bereits erwähnten verfahrensrechtlichen Garantien hinzu, die in der Verpflichtung des CETA-Gerichts, gemäß Art. 8.31 Abs. 2 CETA der Auslegung des innerstaatlichen Rechts durch die Gerichte und Behörden der betreffenden Vertragspartei zu folgen, sowie darin bestehen, dass eine unzutreffende Auslegung seitens des CETA-Gerichts erforderlichenfalls korrigiert wird, da es ein Rechtsbehelfsverfahren gibt bzw. der Gemischte Ausschuss das CETA mit Bindungswirkung auslegen kann.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point219">219.</a> Das Gebot der Effektivität des Wettbewerbsrechts der Union wird daher meines Erachtens durch die Errichtung des ICS nicht berührt.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">C.      <b>Zur Vereinbarkeit von Kapitel 8 Abschnitt F CETA mit dem Recht auf Zugang zu einem unabhängigen und unparteiischen Gericht</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point220">220.</a> Das Königreich Belgien möchte wissen, ob Kapitel 8 Abschnitt F CETA mit Art. 47 der Charta allein betrachtet oder in Verbindung mit dem in den Art. 20 und 21 der Charta niedergelegten Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar ist. In diesem Teil seines Antrags auf Gutachten verweist dieser Mitgliedstaat auch auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 EMRK.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point221">221.</a> In diesem Zusammenhang trägt das Königreich Belgien erstens vor, die in diesem Abschnitt F vorgesehene Regelung könne kleinen und mittleren Unternehmen den Zugang zum CETA-Gericht übermäßig erschweren, da gemäß Art. 8.27 Abs. 14 CETA die Vergütungen und Auslagen der mit dem Rechtsstreit befassten Mitglieder des Gerichts von den Streitparteien zu zahlen seien und gemäß Art. 8.39 Abs. 5 CETA sowohl die Kosten des Verfahrens – zu denen die Kosten des ICSID-Sekretariats gehörten – als auch die Kosten für Rechtsvertretung und Rechtsbeistand – außer in Ausnahmefällen – von der unterliegenden Streitpartei zu tragen seien.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point222">222.</a> Zudem sei im CETA gegenwärtig nicht die Möglichkeit der Gewährung von Prozesskostenhilfe vorgesehen, während Art. 47 Abs. 3 der Charta das Recht auf eine solche Hilfe ausdrücklich vorsehe, soweit diese erforderlich sei, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten, und der Gerichtshof in Rn. 59 seines Urteils vom 22. Dezember 2010, DEB(<a href="#Footnote168" name="Footref168">168</a>), entschieden habe, dass dieses Recht auch Unternehmen zustehe.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point223">223.</a> Das Risiko, die gesamten Kosten in von Natur aus teuren Verfahren tragen zu müssen, könne einen Investor, der nur über begrenzte Finanzmittel verfüge, von einer Klageerhebung abhalten. Daraus könnte der Schluss gezogen werden, dass das CETA das Recht auf Zugang zu einem Gericht beeinträchtige.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point224">224.</a> Das Königreich Belgien wirft zweitens die Frage nach der Vereinbarkeit der in Art. 8.27 Abs. 12 bis 15 und in Art. 8.28 Abs. 7 Buchst. d CETA vorgesehenen Vergütungsbedingungen für die Mitglieder der geplanten Gerichte mit dem in Art. 47 Abs. 2 der Charta verankerten Recht auf Zugang zu „einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht“ auf.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point225">225.</a> Da die wesentlichen Merkmale dieser Vergütungsbedingungen nicht im Text des CETA selbst festgehalten seien, sondern weitgehend ins Ermessen des Gemischten CETA-Ausschusses gestellt würden, seien Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Bedingungen mit den Grundsätzen der Gewaltenteilung angebracht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point226">226.</a> Die Vergütungsbedingungen für die Richter müssten vom Gesetzgeber zuvor festgelegt werden und könnten nicht von der Exekutive bestimmt werden. Das Königreich Belgien verweist insoweit auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und auf die am 17. November 2010 vom Beirat der europäischen Richter (CCJE) verabschiedete Magna Carta der Richter.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point227">227.</a> Auch der Umstand, dass die Vergütung der Mitglieder der geplanten Gerichte nach dem CETA nicht (oder zumindest noch nicht) in einem festen und regulären Gehalt, sondern in einer monatlichen Grundvergütung zuzüglich tageweiser Vergütungen für die Arbeit an einem Streitfall bestehen solle, könne sich als mit dem Recht auf Zugang zu einem unabhängigen und unparteiischen Gericht unvereinbar erweisen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point228">228.</a> In diesem Zusammenhang bezieht sich das Königreich Belgien auf Art. 6.1 der vom 8. bis 10. Juli 1998 vom Europarat angenommenen Europäischen Charta über das Richterstatut, wonach die Vergütung der Richter so festgesetzt werden solle, „dass sie vor Druck geschützt werden, der die Richtung ihrer Entscheidungen und ganz allgemein ihr richterliches Verhalten beeinflussen soll, so dass ihre Unabhängigkeit und Unparteilichkeit beeinträchtigt werden“. Das Königreich Belgien zitiert auch verschiedene im Rahmen des Europarats angenommene Empfehlungen, denen zufolge die Besoldung von Richtern anhand einer allgemeinen Gehaltstabelle und nicht nach ihren Leistungen festgelegt werden sollte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point229">229.</a> Aus den im CETA aktuell vorgesehenen Vergütungsbedingungen gehe hervor, dass die Vergütung teilweise von der Anzahl der von den Investoren anhängig gemachten Rechtsstreitigkeiten abhänge. Daher könnte sich die Entwicklung einer für die Investoren günstigen Rechtsprechung positiv auf die Vergütung auswirken.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point230">230.</a> Das Königreich Belgien fragt drittens, ob das in Art. 8.27 Abs. 2 und 3 sowie in Art. 8.28 Abs. 3 und Abs. 7 Buchst. c CETA vorgesehene Verfahren zur Ernennung der Mitglieder der geplanten Gerichte mit Art. 47 Abs. 2 der Charta vereinbar ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point231">231.</a> Es trägt vor, diese Mitglieder würden vom Gemischten Ausschuss ernannt, d. h. vom Exekutivorgan des CETA, dessen Vorsitz gemeinsam vom kanadischen Minister for International Trade und von dem für Handel zuständigen Mitglied der Kommission (oder ihren jeweiligen Vertretern) geführt werde(<a href="#Footnote169" name="Footref169">169</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point232">232.</a> Aus der Europäischen Charta über das Richterstatut, auf die sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bereits gestützt habe und auf die auch in den Empfehlungen des CCJE verwiesen werde, gehe aber hervor, dass die Ernennung von Richtern, wenn sie von der Exekutive vorgenommen werde, zwingend aufgrund der Empfehlung einer im Wesentlichen aus Angehörigen der Judikative bestehenden unabhängigen Stelle erfolgen müsse.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point233">233.</a> Das Königreich Belgien fragt viertens nach der Vereinbarkeit der in Art. 8.28 Abs. 4 und in Art. 8.30 Abs. 4 CETA vorgesehenen Voraussetzungen für die Abberufung von Mitgliedern der geplanten Gerichte mit Art. 47 Abs. 2 der Charta.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point234">234.</a> Es macht geltend, nach diesen Bestimmungen könne ein Mitglied auf gemeinsame Initiative der Vertragsparteien im Wege eines Beschlusses des Gemischten Ausschusses ohne die Möglichkeit eines Rechtsbehelfs abberufen werden. Aus der Europäischen Charta über das Richterstatut und den Empfehlungen des CCJE ergebe sich jedoch, dass eine Entscheidung, mit der ein Richter abberufen werde, unter Beteiligung einer unabhängigen Stelle und im Rahmen eines fairen Verfahrens unter Beachtung der Rechte der Verteidigung erfolgen sowie vor einer höheren gerichtlichen Instanz anfechtbar sein müsse. Jedenfalls dürften die Richter, wenn ihre Unabhängigkeit gewährleistet werden solle, nicht von der Exekutive abberufen werden können.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point235">235.</a> Fünftens möchte das Königreich Belgien schließlich wissen, ob die Ethikregeln, die die Mitglieder der geplanten Gerichte nach Art. 8.28 Abs. 4, Art. 8.30 Abs. 1 und Art. 8.44 Abs. 2 CETA beachten müssen, mit Art. 47 Abs. 2 der Charta vereinbar sind.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point236">236.</a> In diesen Bestimmungen sei im Wesentlichen vorgesehen, dass diese Mitglieder die Leitlinien des internationalen Anwaltsverbands (<i>International Bar Association</i>, im Folgenden: IBA) zu Interessenkonflikten in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit (im Folgenden: IBA-Leitlinien), die der Rat der IBA am 22. Mai 2004 angenommen habe, bis zur Vorlage eines Verhaltenskodexes durch den Ausschuss für Dienstleistungen und Investitionen einhalten müssten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point237">237.</a> Aus den Empfehlungen des CCJE und der Magna Carta der Richter ergebe sich aber, dass die für die Richter geltenden Standesregeln von den Richtern selbst ausgehen müssten. Zumindest müssten die Richter eine wesentliche Rolle beim Erlass dieser Regeln spielen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point238">238.</a> Die IBA-Leitlinien richteten sich an Schiedsrichter und nicht an Richter. Für Schiedsrichter einerseits und für Richter andererseits könnten aber unterschiedliche Anforderungen an Unabhängigkeit und Unparteilichkeit gelten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point239">239.</a> Zwar dürften die Mitglieder nach Art. 8.30 Abs. 1 CETA „weder als Rechtsberater noch als von einer Partei benannter Sachverständiger oder Zeuge bei anhängigen oder neuen Investitionsstreitigkeiten im Rahmen dieses Abkommens oder anderer internationaler Übereinkünfte tätig werden“; diese Vorschrift verlange jedoch nicht, dass sie ihre zusätzlichen Aktivitäten anzeigten, geschweige denn, dass diese Tätigkeiten vorab genehmigt werden müssten. Nach den einschlägigen internationalen Instrumenten wie der Europäischen Charta über das Richterstatut müsse die Ausübung einer entgeltlichen Nebentätigkeit hingegen angezeigt und vorab genehmigt werden.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">1.      <b>Allgemeine Erwägungen</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point240">240.</a> Zur Beantwortung der Fragen des Königreichs Belgien weise ich darauf hin, dass die Union, wenn sie im Rahmen ihrer Zuständigkeiten beabsichtigt, ein internationales Abkommen zu schließen, die Grundrechte zu achten hat(<a href="#Footnote170" name="Footref170">170</a>), zu denen auch die in Art. 47 der Charta verankerten Rechte gehören. Will der Rat also ein internationales Abkommen schließen, durch das ein Streitbeilegungsmechanismus wie in Kapitel 8 Abschnitt F CETA vorgesehen errichtet wird, so muss er gewährleisten, dass die Voraussetzungen für den Zugang zu diesem Mechanismus und dessen Funktionsweise im Einklang mit den von der Union garantierten Grundrechten stehen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point241">241.</a> Der Gerichtshof hat zu Einrichtungen, die als „Gericht“ im Sinne des Unionsrechts Bestandteile des Rechtsbehelfssystems jedes Mitgliedstaats in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen sind, ausgeführt, dass „die Wahrung der Unabhängigkeit dieser Einrichtungen von grundlegender Bedeutung [ist], wie Art. 47 Abs. 2 der Charta bestätigt, wonach zu den Anforderungen im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf der Zugang zu einem ‚unabhängigen‘ Gericht gehört“(<a href="#Footnote171" name="Footref171">171</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point242">242.</a> Dennoch möchte ich sogleich darauf hinweisen, dass bei der vom Gerichtshof auf Ersuchen des Königreichs Belgien vorzunehmenden Beurteilung verschiedener Aspekte der Organisation und Funktionsweise des ICS meines Erachtens nicht außer Acht gelassen werden kann, dass das von den CETA-Verhandlungsführern in Betracht gezogene Modell mehrere originelle Merkmale aufweist, die ihm einen hybriden Charakter als eine Art Kompromiss zwischen einem Schiedsgericht und einem internationalen Gerichtshof verleihen. In diesem Sinne enthält der durch das CETA eingesetzte Streitbeilegungsmechanismus nicht nur die Wesensmerkmale eines Gerichts, sondern auch Elemente, die aus der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit herrühren. Wenngleich in dem geplanten Abkommen von einem „Gericht“ die Rede ist, was auf ein echtes Rechtsprechungsorgan hindeuten könnte, handelt es sich doch um einen stark an die Regeln der Schiedsgerichtsbarkeit angelehnten Mechanismus. So ist Kapitel 8 Abschnitt F CETA von den für die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit geltenden Regeln geprägt, was u. a. in Art. 8.23 (Einreichung einer Klage beim Gericht), in Art. 8.25 (Zustimmung zur Streitbeilegung durch das Gericht), in Art. 8.36 (Transparenz der Verfahren) und in Art. 8.41 (Vollstreckung von Urteilssprüchen) zum Ausdruck kommt. Außerdem wird in Art. 8.27 Abs. 14 bzw. Art. 8.30 Abs. 1 CETA zur Vergütung der Mitglieder des Gerichts und zu den Ethikregeln auf die für die Schiedsgerichtsbarkeit geltenden Regeln verwiesen. Schließlich ist bemerkenswert, dass das CETA-Gericht keine Urteile, sondern Urteilssprüche erlässt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point243">243.</a> Zwar haben die Vertragsparteien den Willen geäußert, sich einem neuen System zuzuwenden, das an die innerhalb ihrer Rechtsordnungen geltenden Justizsysteme angelehnt ist(<a href="#Footnote172" name="Footref172">172</a>). Wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung zu Recht dargelegt hat, macht eine Anlehnung an die Justizsysteme aus dieser Einrichtung aber noch kein Gericht im vollen und eigentlichen Sinn des Wortes, reduziert sie freilich auch nicht auf eine herkömmliche Schiedsstelle.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point244">244.</a> Nun beruhen die Fragen des Königreichs Belgien auf der Prämisse, dass der in Kapitel 8 Abschnitt F CETA vorgesehene Mechanismus zur Beilegung von Investor-Staat-Streitigkeiten einem echten Gericht gleichzustellen ist. Unter dieser Prämisse beanstandet dieser Mitgliedstaat mehrere Aspekte der Organisation und Funktionsweise dieses Mechanismus im Hinblick auf die für Gerichte aufgestellten Standards. Angesichts des hybriden Charakters dieses Mechanismus scheint mir diese Prämisse jedoch falsch zu sein. Die für eine derartige Einrichtung gebotenen Anforderungen an Unabhängigkeit und Unparteilichkeit müssen vielmehr im Einklang mit den oben erwähnten Besonderheiten stehen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point245">245.</a> In diesem Rahmen sollte sich der Gerichtshof bei seiner Beurteilung meines Erachtens von der Feststellung leiten lassen, dass es den CETA-Verhandlungsführern gelungen ist, sich auf ein Modell zu einigen, mit dem in zahlreichen Punkten Verbesserungen gegenüber den für die klassische Investitionsschiedsgerichtsbarkeit geltenden Regeln eingeführt werden, sei es in Bezug auf die Transparenz der Verfahren oder die Unabhängigkeit bei der Behandlung der Klagen. Wenngleich ein solches Modell stets verbessert werden kann, sollte der Gerichtshof nach meinem Dafürhalten dennoch berücksichtigen, dass es ein auf der Grundlage der Gegenseitigkeit bilateral ausgehandeltes Modell ist, und unter diesem Blickwinkel prüfen, ob es ausreichende Garantien enthält.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point246">246.</a> Hieran anknüpfend sollte bei der vom Königreich Belgien erbetenen Prüfung auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass das in Kapitel 8 Abschnitt F CETA vorgesehene Modell nur ein Schritt auf dem Weg zur Errichtung eines multilateralen Investitionsgerichtshofs mit einer Rechtsbehelfsinstanz ist, wie der von den Vertragsparteien hierzu in Art. 8.29 CETA erklärte Wille erkennen lässt(<a href="#Footnote173" name="Footref173">173</a>). Daher muss nach meiner Meinung sowohl der experimentelle als auch der evolutionäre Charakter des zu prüfenden Mechanismus berücksichtigt werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point247">247.</a> Im Übrigen erfordern die Verfahrensvorschriften in Kapitel 8 Abschnitt F CETA in mehrfacher Hinsicht den Erlass von Durchführungsbestimmungen durch den Gemischten Ausschuss oder den Ausschuss für Dienstleistungen und Investitionen. Die Kommission hat dem Gerichtshof im vorliegenden Gutachtenverfahren mitgeteilt, dass sie Arbeiten in Angriff genommen habe, die erstens die Organisation und Funktionsweise der Rechtsbehelfsinstanz, zweitens einen verbindlichen Verhaltenskodex zur Stärkung der Garantien für die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Mitglieder der Gerichte und der Mediatoren sowie drittens Mediationsregeln für die Streitparteien zum Gegenstand hätten. Der Gerichtshof sollte meines Erachtens berücksichtigen, dass sich die Vertragsparteien verpflichtet haben, die in Kapitel 8 Abschnitt F CETA vorgesehenen Verfahrensgarantien klarzustellen, da dieser Abschnitt nicht alle Einzelheiten zur Organisation und zur Funktionsweise des ICS enthalten kann.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point248">248.</a> In Beantwortung einer Frage, die das Königreich Belgien in seinem Antrag auf Gutachten mehrfach aufwirft, halte ich es zudem im Hinblick auf die in Art. 47 der Charta niedergelegten Rechte nicht <i>per se</i> für kritikwürdig, dass im Rahmen eines internationalen Abkommens wie des CETA ein mit Vertretern der Union und Vertretern Kanadas paritätisch besetztes Gremium, das seine Beschlüsse einvernehmlich trifft(<a href="#Footnote174" name="Footref174">174</a>), wie es bei dem in Art. 26 CETA vorgesehenen Gemischten CETA-Ausschuss der Fall ist(<a href="#Footnote175" name="Footref175">175</a>), die Aufgabe hat, mehrere Vorschriften über die Organisation und Funktionsweise des ICS durchzuführen; der allgemeine Rahmen und die wesentlichen Merkmale des betreffenden Mechanismus sind nämlich in Kapitel 8 Abschnitt F CETA selbst festgelegt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point249">249.</a> Wie mehrere Verfahrensbeteiligte hervorgehoben haben, tragen die bilaterale und paritätische Zusammensetzung des Gemischten Ausschusses sowie der Umstand, dass seine Beschlüsse einvernehmlich getroffen werden, dazu bei, dass die Beschlüsse dieses Ausschusses im Einklang mit den Bestimmungen von Kapitel 8 Abschnitt F CETA stehen. Ein Beschluss kann von diesem Ausschuss nämlich nur erlassen werden, wenn er von der Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und von Kanada andererseits mitgetragen wird, wobei jede Vertragspartei sich einem Beschluss widersetzen kann, der ihres Erachtens von den Grundsätzen der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit oder vom Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf abweichen würde. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass jede Vertragspartei sich gerade wegen der Gegenseitigkeit, einem Kernstück des geplanten Abkommens, veranlasst sehen wird, für Beschlüsse einzutreten, die ihren Investoren, wenn diese im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei agieren, eine dem Beschleunigungsgebot sowie den Anforderungen an Sachverstand, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit entsprechende Streitbeilegung garantieren können. Das liegt auch im Interesse jeder Vertragspartei, wenn sie im Rahmen eines Rechtsstreits als Beklagte auftreten wird.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point250">250.</a> Hinzu kommt, dass die Festlegung der Standpunkte, die die Union innerhalb des Gemischten CETA-Ausschusses vertreten wird, in Übereinstimmung mit Art. 218 Abs. 9 AEUV wird erfolgen müssen, was bedeutet, dass sie den Anforderungen des Unionsrechts, einschließlich der Grundrechte, unter der Kontrolle durch den Gerichtshof werden entsprechen müssen(<a href="#Footnote176" name="Footref176">176</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point251">251.</a> Gestützt auf diese Erwägungen werde ich im Folgenden in Bezug auf jeden der vom Königreich Belgien hervorgehobenen Aspekte aufzeigen, welche Verfahrensgarantien meines Erachtens sicherstellen können, dass das in Art. 47 der Charta verankerte Recht auf Zugang zu einem unabhängigen und unparteiischen Gericht hinreichend gewahrt wird.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">2.      <b>Zum Zugang kleiner und mittlerer Unternehmen zu dem CETA-Gericht</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point252">252.</a> Wie gesagt verfügt das CETA-Gericht über keine ausschließliche Zuständigkeit für Klagen ausländischer Investoren im Bereich des Investitionsschutzes. Das Gericht ist nur ein alternativer Mechanismus zur Beilegung der in diesem Bereich die Anwendung des CETA betreffenden Streitfälle, der die von den Vertragsparteien eröffneten Rechtsschutzmöglichkeiten ergänzt. Sofern das innerstaatliche Recht der Vertragsparteien angemessene Schutzbestimmungen enthält(<a href="#Footnote177" name="Footref177">177</a>), hindert die Errichtung des ICS ausländische Investoren somit nicht daran, zum Schutz ihrer Investitionen die Gerichte dieser Parteien anzurufen, damit deren innerstaatliches Recht auf ihren Fall angewandt wird. Diese Investoren werden dann die vor den Gerichten der Vertragsparteien bestehenden verfahrensrechtlichen Garantien u. a. hinsichtlich der Prozesskostenhilfe in Anspruch nehmen können.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point253">253.</a> Im Übrigen verzichten ausländische Investoren, wenn sie stattdessen beschließen, sich an das CETA-Gericht zu wenden, freiwillig(<a href="#Footnote178" name="Footref178">178</a>) auf die Anrufung der Gerichte der Vertragsparteien und somit auf die vor diesen bestehenden verfahrensrechtlichen Garantien.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point254">254.</a> Jedenfalls haben die Vertragsparteien dem Anliegen des Königreichs Belgien hinsichtlich der Berücksichtigung der finanziellen Lage von Investoren, die vor dem CETA-Gericht eine Klage erheben wollen, vor allem wenn es sich um kleine und mittlere Unternehmen handelt, Rechnung getragen, um Lösungen anzubieten, die einen effektiven Zugang zu diesem Streitbeilegungsmechanismus garantieren können.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point255">255.</a> So wird mit Art. 8.39 Abs. 5 CETA zwar insoweit, als die Kosten des Verfahrens und andere vertretbare Kosten, einschließlich der Kosten für Rechtsvertretung und Rechtsbeistand, von der unterliegenden Streitpartei zu tragen sind, ein legitimes Ziel verfolgt, nämlich die Verhinderung missbräuchlicher Verfahren; das Gericht kann jedoch nach derselben Bestimmung von dieser Regel abweichen, wenn dies „nach der Sachlage des Falles“ gerechtfertigt ist, wozu meines Erachtens im Wege der Auslegung auch die finanzielle Lage des Klägers gerechnet werden könnte(<a href="#Footnote179" name="Footref179">179</a>). Das Gericht verfügt also über einen gewissen Spielraum, um eine mechanische, in bestimmten Einzelfällen möglicherweise zu strenge Anwendung des Grundsatzes, wonach die unterliegende Streitpartei die Verfahrenskosten und die anderen vertretbaren Kosten tragen muss, zu entschärfen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point256">256.</a> Eine weitere Maßnahme zur Reduzierung der Verfahrenskosten findet sich in Art. 8.27 Abs. 9 CETA, wonach die Streitparteien „vereinbaren [können], dass mit einem Fall nur ein einziges Mitglied des Gerichts befasst wird, das nach dem Zufallsprinzip aus dem Kreis der Staatsangehörigen eines Drittlands ernannt wird. Das Ersuchen eines Klägers um Befassung eines einzigen Mitglieds des Gerichts wird vom Beklagten wohlwollend geprüft, insbesondere dann, wenn es sich beim Kläger um ein kleines oder mittleres Unternehmen handelt ...“. Wie sich überdies aus Art. 8.19 CETA ergibt, wird die gütliche Beilegung der Streitfälle gefördert, und zwar durch ein zu diesem Zweck organisiertes Verfahren der Konsultationen zwischen den Parteien(<a href="#Footnote180" name="Footref180">180</a>). In diesem Rahmen bestimmt Art. 8.19 Abs. 3 CETA: „Die Streitparteien können die Konsultationen gegebenenfalls per Videokonferenz oder in anderer Form führen, wenn es sich beispielsweise bei dem Investor um ein kleines oder mittleres Unternehmen handelt.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point257">257.</a> Schließlich heißt es in Art. 8.39 Abs. 6 CETA: „Der Gemischte CETA-Ausschuss prüft die Einführung ergänzender Vorschriften zur Verringerung der finanziellen Belastung für Kläger, bei denen es sich um natürliche Personen oder um kleine und mittlere Unternehmen handelt. Mit entsprechenden ergänzenden Vorschriften kann insbesondere den finanziellen Ressourcen solcher Kläger und der Höhe des geforderten Schadensersatzes Rechnung getragen werden.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point258">258.</a> Es handelt sich um eine Problematik, die in der Erklärung Nr. 36 mit den folgenden Verpflichtungen Berücksichtigung findet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Der Zugang zu dieser neuen Gerichtsbarkeit für die schwächsten Parteien, das heißt für [kleine und mittlere Unternehmen] und Privatpersonen, wird verbessert und erleichtert. Zu diesem Zweck geschieht Folgendes:</p>
<p class="C03Tiretlong">–        Die Annahme ergänzender Vorschriften durch den [G]emischten Ausschuss gemäß Artikel 8.39 [Abs. 6] des CETA zur Verringerung der finanziellen Belastung für Kläger, bei denen es sich um natürliche Personen oder um kleine und mittlere Unternehmen handelt, wird vorangetrieben, sodass diese ergänzenden Vorschriften so rasch wie möglich angenommen werden können.</p>
<p class="C03Tiretlong">–        Unabhängig vom Ausgang der Gespräche im [G]emischten Ausschuss wird die Kommission angemessene Maßnahmen zur öffentlichen (Ko-)finanzierung von Klagen kleiner und mittlerer Unternehmen vor dieser Gerichtsbarkeit sowie die Bereitstellung technischer Hilfe vorschlagen.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point259">259.</a> Ich bin deshalb der Ansicht, dass Kapitel 8 Abschnitt F CETA das in Art. 47 der Charta verankerte Recht auf Zugang zu einem Gericht nicht beeinträchtigt.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">3.      <b>Zu den Vergütungsbedingungen für die Mitglieder des Gerichts und der Rechtsbehelfsinstanz</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point260">260.</a> In Art. 8.27 Abs. 12 bis 15 CETA sind die wesentlichen Merkmale der Vergütungsregelung für die Mitglieder des CETA-Gerichts festgelegt, d. h. in einer ersten Phase eine monatliche Grundvergütung, die von beiden Vertragsparteien zu gleichen Teilen finanziert und durch Vergütungen und Auslagen ergänzt wird, die nach Vorschrift 14 Abs. 1 der Verwaltungs- und Finanzordnung des ICSID festgesetzt und vom Gericht gemäß Art. 8.39 Abs. 5 unter den Streitparteien aufgeteilt werden. Dass die Vergütung für die Mitglieder des Gerichts aus diesen beiden Komponenten – einem fixen Teil sowie einem von Anzahl und Komplexität der ihnen zur Entscheidung vorgelegten Rechtsstreitigkeiten abhängigen Teil – besteht, stimmt mit dem hybriden Charakter des errichteten Streitbeilegungsmechanismus und mit der Tatsache überein, dass diese Mitglieder zumindest in einer ersten Phase bei dem Gericht nicht vollzeitlich beschäftigt sein werden. Im Übrigen scheint mir die Bestimmung in Art. 8.27 Abs. 12 CETA, wonach der Gemischte CETA-Ausschuss die Höhe der monatlichen Grundvergütung festsetzt, die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Mitglieder des Gerichts an sich nicht zu berühren(<a href="#Footnote181" name="Footref181">181</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point261">261.</a> Das gilt nach meiner Meinung auch für die Bestimmung in Art. 8.27 Abs. 15 CETA, mit der eine zweite Phase eröffnet werden könnte und der zufolge „[d]er Gemischte CETA-Ausschuss ... im Wege eines Beschlusses die Grundvergütung und sonstige Vergütungen und Auslagen in ein reguläres Gehalt umwandeln und die jeweiligen Modalitäten und Bedingungen festlegen [kann]“. Diese Bestimmung entspricht dem in der Erklärung Nr. 36 geäußerten Willen, „darauf hinzuarbeiten, dass die Richter ihre Tätigkeit vollzeitlich ausüben“, und ist Ausdruck des evolutionären Charakters des von den Vertragsparteien beabsichtigten Mechanismus, der allmählich die Eigenschaften eines echten Gerichts annehmen soll.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">4.      <b>Zu den Voraussetzungen für die Ernennung und die etwaige Abberufung der Mitglieder des Gerichts und der Rechtsbehelfsinstanz</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point262">262.</a> Das Verfahren zur Ernennung der Mitglieder des Gerichts und der Rechtsbehelfsinstanz ist in Art. 8.27 Abs. 2 und 3 sowie in Art. 8.28 Abs. 3 und 7 CETA geregelt, woraus sich u. a. ergibt, dass sie durch Beschluss des Gemischten CETA-Ausschusses ernannt werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point263">263.</a> Kapitel 8 Abschnitt F CETA enthält die wesentlichen Bestimmungen zur Begrenzung dieser dem Gemischten CETA-Ausschuss übertragenen Durchführungsbefugnis, um die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der künftig ernannten Mitglieder zu gewährleisten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point264">264.</a> So ergibt sich aus Art. 8.27 Abs. 4 CETA, dass der Gemischte Ausschuss Bewerber wird auswählen müssen, die „die in ihren jeweiligen Ländern zur Ausübung des Richteramts erforderlichen Qualifikationen besitzen oder Juristen von anerkannt hervorragender Befähigung [sind]“. Nach dieser Bestimmung müssen sie auch „über nachweisliches Fachwissen auf dem Gebiet des Völkerrechts verfügen“; außerdem ist es „wünschenswert, dass sie über Fachwissen insbesondere auf den Gebieten internationales Investitionsrecht, internationales Handelsrecht und Streitbeilegung im Rahmen internationaler Investitions- oder Handelsabkommen verfügen“(<a href="#Footnote182" name="Footref182">182</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point265">265.</a> Nach ihrer Ernennung haben die Mitglieder des Gerichts und der Rechtsbehelfsinstanz die Bestimmungen des Art. 8.30 („Ethikregeln“) CETA zu beachten, dessen Absatz 1 speziell ihre Unabhängigkeit und Unparteilichkeit sicherstellen soll(<a href="#Footnote183" name="Footref183">183</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point266">266.</a> Gemäß Art. 8.30 Abs. 4 CETA können die Vertragsparteien „[a]uf begründete Empfehlung des Präsidenten des Gerichts oder auf ihre gemeinsame Initiative hin ... im Wege eines Beschlusses des Gemischten CETA-Ausschusses ein Mitglied vom Gericht ausschließen, wenn dessen Verhalten nicht den in Absatz 1 genannten Anforderungen entspricht und mit einer weiteren Zugehörigkeit zum Gericht unvereinbar ist“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point267">267.</a> Die vorerwähnten Garantien, die auf der bilateralen und paritätischen Zusammensetzung des Gemischten Ausschusses sowie auf dessen einvernehmlicher Beschlussfassung beruhen, erlauben meines Erachtens die Feststellung, dass weder die Ernennung noch die etwaige Abberufung eines Mitglieds des Gerichts oder der Rechtsbehelfsinstanz sich nach anderen als den in Art. 8.27 Abs. 4 bzw. Art. 8.30 Abs. 1 CETA aufgestellten Bedingungen richtet.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">5.      <b>Zu den für die Mitglieder des Gerichts und der Rechtsbehelfsinstanz geltenden Ethikregeln</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point268">268.</a> Art. 8.30 Abs. 1 CETA, der präzise Regeln zur Gewährleistung von Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Mitglieder des Gerichts und der Rechtsbehelfsinstanz enthält, lautet wie folgt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Mitglieder des Gerichts müssen unabhängig sein. Sie dürfen keiner Regierung nahestehen[(<a href="#Footnote184" name="Footref184">184</a>)]. Sie dürfen keine Weisungen einer Organisation oder Regierung entgegennehmen, die Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Streitigkeit betreffen. Sie dürfen sich nicht an der Prüfung von Streitigkeiten beteiligen, wenn dies einen direkten oder indirekten Interessenkonflikt zur Folge hätte. Sie müssen die [IBA-Leitlinien] oder etwaige nach Artikel 8.44 Absatz 2 angenommene ergänzende Vorschriften einhalten. Außerdem dürfen sie ab dem Zeitpunkt ihrer Ernennung weder als Rechtsberater noch als von einer Partei benannter Sachverständiger oder Zeuge bei anhängigen oder neuen Investitionsstreitigkeiten im Rahmen dieses Abkommens oder anderer internationaler Übereinkünfte tätig werden.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point269">269.</a> Weiter ist zur Einhaltung dieser Anforderungen außer dem bereits zitierten Art. 8.30 Abs. 4 CETA auch Art. 8.30 Abs. 2 CETA zu nennen, der einer Streitpartei, nach deren Auffassung sich ein Mitglied des Gerichts in einem Interessenkonflikt befindet, die Möglichkeit gibt, „den Präsidenten des Internationalen Gerichtshofs [zu] ersuchen, eine Entscheidung über die Ablehnung der Ernennung des betreffenden Mitglieds zu treffen“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point270">270.</a> Im Übrigen sollen die in Kapitel 8 Abschnitt F CETA enthaltenen Vorschriften über die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit durch einen Verhaltenskodex ergänzt werden, der gemäß Art. 8.44 Abs. 2 CETA vom Ausschuss für Dienstleistungen und Investitionen festgelegt werden soll(<a href="#Footnote185" name="Footref185">185</a>). Nach dieser Bestimmung wird dieser Verhaltenskodex u. a. Offenlegungspflichten, die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Mitglieder sowie die Vertraulichkeit zum Gegenstand haben. Dieser Verhaltenskodex wird somit zur Klarstellung und Intensivierung der bereits ausdrücklich in Art. 8.30 Abs. 1 CETA vorgesehenen Garantien beitragen, um Interessenkonflikte zu verhindern, vor allem was Nebentätigkeiten der Mitglieder und ihre vorherige Genehmigung anbelangt(<a href="#Footnote186" name="Footref186">186</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point271">271.</a> Aus all diesen Gründen bin ich unter Berücksichtigung meiner vorstehenden allgemeinen Erwägungen der Ansicht, dass die Bestimmungen in Kapitel 8 Abschnitt F CETA das in Art. 47 der Charta verankerte Recht auf Zugang zu einem unabhängigen und unparteiischen Gericht nicht verletzen, da sie für dieses Recht ein Schutzniveau gewährleisten, das auf die besonderen Merkmale des in diesem Abschnitt vorgesehenen Mechanismus zur Beilegung von Investor-Staat-Streitigkeiten zugeschnitten ist.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">IV.    <b>Ergebnis</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point272">272.</a> Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, sich gutachtlich wie folgt zu äußern:</p>
<p class="C02AlineaAltA">Kapitel 8 Abschnitt F des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits, mit dem ein Mechanismus zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Investoren und Staaten eingeführt wird, ist mit dem Vertrag über die Europäische Union, dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar.</p>
<hr/>
<p class="C40FootnoteLangue">
<a href="#Footref1" name="Footnote1">1</a>      Originalsprache: Französisch.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref2" name="Footnote2">2</a>      Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits (ABl. 2017, L 11, S. 23). Der Beschluss des Rates der Europäischen Union über die Unterzeichnung (Beschluss [EU] 2017/37 des Rates vom 28. Oktober 2016) ist im ABl. 2017, L 11, S. 1, veröffentlicht. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref3" name="Footnote3">3</a>      EU:C:2017:376, im Folgenden: Gutachten 2/15.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref4" name="Footnote4">4</a>      Vgl. Beschluss (EU) 2017/38 des Rates vom 28. Oktober 2016 über die vorläufige Anwendung des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits (ABl. 2017, L 11, S. 1080).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref5" name="Footnote5">5</a>      Vgl. Konzeptpapier der Kommission vom 5. Mai 2015 mit dem Titel „Investitionen in der TTIP und darüber hinaus: der Reformkurs. Stärkung des Rechts auf Regulierung und Übergang von den derzeitigen Ad-hoc-Schiedsverfahren zu einem Investitionsgericht“, abrufbar unter folgender Internetadresse: http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/may/tradoc_153455.pdf.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref6" name="Footnote6">6</a>      Vgl. Arbeitspapier der Dienststellen der Kommission, Bericht vom 13. Januar 2015 mit dem Titel „Consultation publique en ligne sur les modalités de la protection des investissements et le règlement des différends entre investisseurs et États (RDIE) dans le cadre du partenariat transatlantique de commerce et d’investissement (TTIP)“ [Öffentliche Online-Befragung zu den Modalitäten des Schutzes von Investitionen und zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten (ISDS) im Rahmen der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP)] [SWD(2015) 3 final], abrufbar unter folgender Internetadresse: http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/march/tradoc_153307.pdf.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref7" name="Footnote7">7</a>      Vgl. dazu Verhandlungsrichtlinien für ein Übereinkommen zur Errichtung eines multilateralen Gerichtshofs für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten. Ratsdokument vom 20. März 2018, Nr. 12981/17, abrufbar unter folgender Internetadresse: http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-12981-2017-ADD-1-DCL-1/de/pdf.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref8" name="Footnote8">8</a>      Vgl. Jean, G.-A., Le droit des investissements internationaux face à l’Union européenne, Dissertation vom 28. November 2016, Rn. 847.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref9" name="Footnote9">9</a>      Wie die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, erlaubt der Investitionsschutz in der Form, wie er in einem Abkommen wie dem CETA konzipiert ist, dass sich der Investor von „seinem“ Staat emanzipiert. Abkommen über den Schutz von Investitionen ermöglichen es den Investoren somit, selbst Klage zu erheben, ohne auf das Wohlwollen des Staates angewiesen zu sein, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref10" name="Footnote10">10</a>      Die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass sie die Verhandlungen über drei weitere Abkommen mit den Vereinigten Staaten Mexiko, der Republik Singapur und der Sozialistischen Republik Vietnam, die fast identische Bestimmungen enthielten, abgeschlossen habe und dass gegenwärtig über ähnliche Abkommen mit der Republik Chile, der Volksrepublik China, der Republik Indonesien, Japan, Malaysia, der Union von Myanmar und der Republik der Philippinen verhandelt werde.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref11" name="Footnote11">11</a>      Einer der Hauptkritikpunkte am ISDS-Mechanismus ist in der Tat die Gefahr einer mittelbar abschreckenden Wirkung im Bereich der staatlichen Politik dergestalt, dass manche Regierungen angesichts der mit einer Klage verbundenen Risiken dazu verleitet werden könnten, bei ihren politischen Entscheidungen Selbstzensur zu üben, um die Risiken, vor einem Schiedsgericht verklagt zu werden und Strafzahlungen leisten sowie die Verfahrenskosten tragen zu müssen, zu begrenzen.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref12" name="Footnote12">12</a>      Vgl. Jean, G.-A., a. a. O., Rn. 25.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref13" name="Footnote13">13</a>      Vgl. dazu Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Auf dem Weg zu einer umfassenden europäischen Auslandsinvestitionspolitik“ (KOM[2010] 343 endg.), S. 11.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref14" name="Footnote14">14</a>      So sieht Art. 8.29 CETA mit der Überschrift „Errichtung eines multilateralen Investitionsgerichtshofs mit Rechtsbehelfsinstanz“ vor: „Die Vertragsparteien streben für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten gemeinsam mit anderen Handelspartnern die Errichtung eines multilateralen Investitionsgerichtshofs mit Rechtsbehelfsinstanz an. Bei Errichtung eines solchen multilateralen Mechanismus erlässt der Gemischte CETA-Ausschuss einen Beschluss, dem zufolge Entscheidungen in von diesem Abschnitt erfassten Investitionsstreitigkeiten in Anwendung des multilateralen Mechanismus getroffen werden, und legt geeignete Übergangsregelungen fest.“</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref15" name="Footnote15">15</a>      Vgl. Fn. 6 dieser Schlussanträge.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref16" name="Footnote16">16</a>      Aufgrund der Präzision der im CETA enthaltenen Schutzklauseln kann deshalb der relativ weite Auslegungsspielraum, über den die Schiedsgerichte üblicherweise verfügen, begrenzt werden: vgl. Tercier, P., „Voies de recours“, in Kessedjian, C., Le droit européen et l’arbitrage d’investissement, Verlag Panthéon-Assas, Paris, 2011, S. 165 bis 177, der darauf hinweist, dass den Schiedsgerichten bei „zumeist sehr vagen Vertragstexten ..., die nur einige allgemeine Grundsätze enthalten, eine erhebliche Auslegungsaufgabe, wenn nicht gar eine kreative Funktion zukommt“, so dass sie eine „quasi-normative Tätigkeit ausüben“ (S. 171).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref17" name="Footnote17">17</a>      Nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. a des Beschlusses 2017/38 werden nämlich von den Bestimmungen des Kapitels 8 CETA nur die Art. 8.1 bis 8.8, 8.13, 8.15 und 8.16 in gewissem Umfang vorläufig angewendet.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref18" name="Footnote18">18</a>      Art. 8.27 CETA.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref19" name="Footnote19">19</a>      Art. 8.27 Abs. 2 CETA.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref20" name="Footnote20">20</a>      Art. 8.27 Abs. 5 CETA. Die Amtszeit von sieben der unmittelbar nach Inkrafttreten des geplanten Abkommens ernannten 15 Personen wird jedoch auf sechs Jahre festgesetzt.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref21" name="Footnote21">21</a>      Art. 8.27 Abs. 4 CETA.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref22" name="Footnote22">22</a>      Art. 8.30 („Ethikregeln“) CETA.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref23" name="Footnote23">23</a>      Art. 8.27 Abs. 6 und 7 CETA.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref24" name="Footnote24">24</a>      Art 8.28 CETA. Aus der Erklärung Nr. 36 der Kommission und des Rates zum Investitionsschutz und zum Investitionsgerichtshof (ABl. 2017, L 11, S. 20, im Folgenden: Erklärung Nr. 36) geht hervor, dass das Rechtsmittelverfahren „die Kohärenz der in erster Instanz ergangenen Entscheidungen ... gewährleisten und damit zur Rechtssicherheit [beitragen]“ soll.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref25" name="Footnote25">25</a>      Art. 8.28 Abs. 2 CETA.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref26" name="Footnote26">26</a>      Art. 8.28 Abs. 3 CETA.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref27" name="Footnote27">27</a>      Art. 8.28 Abs. 4 CETA.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref28" name="Footnote28">28</a>      Vgl. Art. 8.9 CETA.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref29" name="Footnote29">29</a>      Nämlich die Inländerbehandlung (Art. 8.6 CETA), die Meistbegünstigung (Art. 8.7 CETA), die gerechte und billige Behandlung (Art. 8.10 CETA) und den Schutz bei Enteignung (Art. 8.12 CETA).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref30" name="Footnote30">30</a>      Vgl. allgemein Bonomo, S., Les traités bilatéraux relatifs aux investissements:<i>entre protection des investissements étrangers et sauvegarde de la souveraineté des États</i>, Presses universitaires d’Aix-Marseille, Aix-en-Provence, 2012.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref31" name="Footnote31">31</a>      Gemeinsames Auslegungsinstrument zum umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommen (CETA) zwischen Kanada und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten (ABl. 2017, L 11, S. 3, im Folgenden: Gemeinsames Auslegungsinstrument).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref32" name="Footnote32">32</a>      Vgl. u. a. Urteil vom 21. Dezember 2016, Swiss International Air Lines (C‑272/15, EU:C:2016:993, Rn. 24), in dem der Gerichtshof ausgeführt hat, dass „[d]ie Organe und Einrichtungen der Union ... bei der Gestaltung der auswärtigen Beziehungen über eine große Bandbreite politischer Entscheidungsbefugnisse [verfügen]“ und dass „[d]ie Gestaltung der auswärtigen Beziehungen ... zwangsläufig Entscheidungen politischer Natur [impliziert]“.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref33" name="Footnote33">33</a>      Vgl. u. a. Gutachten 2/13 (Beitritt der Union zur EMRK) vom 18. Dezember 2014 (EU:C:2014:2454, Rn. 145 und die dort angeführte Rechtsprechung), im Folgenden: Gutachten 2/13.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref34" name="Footnote34">34</a>      Vgl. Gutachten 2/13 (Rn. 146 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref35" name="Footnote35">35</a>      EU:C:2011:123, im Folgenden: Gutachten 1/09.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref36" name="Footnote36">36</a>      Vgl. Gutachten 2/15 (Rn. 243).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref37" name="Footnote37">37</a>      Vgl. Gutachten 2/15 (Rn. 78 bis 109).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref38" name="Footnote38">38</a>      Vgl. Gutachten 2/15 (Rn. 293).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref39" name="Footnote39">39</a>      Gutachten 2/15 (Rn. 292).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref40" name="Footnote40">40</a>      Vgl. Gutachten 2/13 (Rn. 174).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref41" name="Footnote41">41</a>      Vgl. Gutachten 2/13 (Rn. 175 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref42" name="Footnote42">42</a>      Gutachten 1/09 (Rn. 67).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref43" name="Footnote43">43</a>      Gutachten 1/09 (Rn. 66). Vgl. auch Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref44" name="Footnote44">44</a>      Vgl. u. a. Gutachten 2/13 (Rn. 173 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref45" name="Footnote45">45</a>      Gutachten 1/09 (Rn. 69). Vgl. auch Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref46" name="Footnote46">46</a>      Vgl. Gutachten 2/13 (Rn. 176 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref47" name="Footnote47">47</a>      Simon, D., „Avis négatif sur le projet de création d’une juridiction des brevets“, Europe, Nr. 5, LexisNexis, Paris, 2011, S. 4 bis 7, Rn. 20.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref48" name="Footnote48">48</a>      Vgl. Lenaerts, K., „Les fondements constitutionnels de l’Union européenne dans leur rapport avec le droit international“, La Cour de justice de l’Union européenne sous la présidence de Vassilios Skouris (2003-2015): Liber amicorum Vassilios Skouris, Bruylant, Brüssel, 2015, S. 367 bis 385, nach dessen Ansicht „eine Tendenz zum Isolationismus nicht zu den Wesensmerkmalen der Verfassungsautonomie der Union gehört“ (S. 369).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref49" name="Footnote49">49</a>      Vgl. u. a. Urteil vom 27. Februar 2018, Western Sahara Campaign UK (C‑266/16, EU:C:2018:118, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref50" name="Footnote50">50</a>      Vgl. u. a. Urteil vom 27. Februar 2018, Western Sahara Campaign UK (C‑266/16, EU:C:2018:118, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref51" name="Footnote51">51</a>      Vgl. u. a. Urteil vom 10. Januar 2006, IATA und ELFAAIATA und ELFAAIATA und ELFAA (C‑344/04, EU:C:2006:10, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref52" name="Footnote52">52</a>      Vgl. zu dieser Frage Lenaerts, K., „Droit international et monisme de l’ordre juridique de l’Union“, Revue de la Faculté de droit de l’Université de Liège, Nr. 4, Larcier, Brüssel, 2010, S. 505 bis 519.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref53" name="Footnote53">53</a>      Vgl. u. a. Urteil vom 27. Februar 2018, Western Sahara Campaign UK (C‑266/16, EU:C:2018:118, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref54" name="Footnote54">54</a>      Vgl. u. a. Urteil vom 20. September 1990, Sevince (C‑192/89, EU:C:1990:322, Rn. 10 und die dort angeführte Rechtsprechung). Laut Gerichtshof gilt dies umso mehr, als Art. 267 AEUV die einheitliche Anwendung aller zur Unionsrechtsordnung gehörenden Bestimmungen innerhalb der Union sichern und damit verhindern soll, dass diese Bestimmungen je nach der Auslegung, die ihnen in den verschiedenen Mitgliedstaaten gegeben wird, unterschiedliche Rechtswirkungen entfalten (Rn. 11 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref55" name="Footnote55">55</a>      Vgl. u. a. Urteil vom 3. Juni 2008, Intertanko u. a.Intertanko u. a.Intertanko u. a.Intertanko u. a.Intertanko u. a. (C‑308/06, EU:C:2008:312, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref56" name="Footnote56">56</a>      Vgl. auch Art. 30.6 Abs. 2 CETA, der bestimmt: „Eine Vertragspartei darf in ihrem innerstaatlichen Recht kein Klagerecht gegen die andere Partei vorsehen, das sich darauf gründet, dass eine Maßnahme der anderen Vertragspartei mit diesem Abkommen nicht vereinbar ist.“</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref57" name="Footnote57">57</a>      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Februar 2018, Western Sahara Campaign UK (C‑266/16, EU:C:2018:118, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref58" name="Footnote58">58</a>      Vgl. Lenaerts, K., „Droit international et monisme de l’ordre juridique de l’Union“, a. a. O., insbesondere S. 506.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref59" name="Footnote59">59</a>      Vgl. u. a. Gutachten 2/13 (Rn. 182 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref60" name="Footnote60">60</a>      Ebd.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref61" name="Footnote61">61</a>      Gutachten 2/15 (Rn. 299).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref62" name="Footnote62">62</a>      Vgl. u. a. Gutachten 2/13 (Rn. 183 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref63" name="Footnote63">63</a>      Vgl. u. a. Gutachten 1/00 (Übereinkommen über die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Luftverkehrsraums) vom 18. April 2002 (EU:C:2002:231, Rn. 12 und die dort angeführte Rechtsprechung), im Folgenden: Gutachten 1/00.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref64" name="Footnote64">64</a>      Vgl. u. a. Gutachten 1/00 (Rn. 13 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref65" name="Footnote65">65</a>      Unterzeichnet am 4. November 1950 in Rom (im Folgenden: EMRK).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref66" name="Footnote66">66</a>      Vgl. Gutachten 2/13 (Rn. 184 und die dort angeführte Rechtsprechung). In seinem Gutachten 1/92 (EWR-Abkommen – II) vom 10. April 1992 (EU:C:1992:189) hat der Gerichtshof auch dargelegt, dass die durch das betreffende internationale Abkommen eingesetzten Organe die Autonomie des Unionsrechts wahren müssen und daher weder die Verbindlichkeit der Entscheidungen des Gerichtshofs in der Unionsrechtsordnung außer Acht lassen noch sich in Widerspruch zur Rechtsprechung des Gerichtshofs setzen dürfen (Rn. 22 bis 24). Dieser Grundsatz stellt für den Gerichtshof „eine wesentliche, für die Autonomie der [Unions]rechtsordnung unerlässliche Garantie dar“ (Rn. 24).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref67" name="Footnote67">67</a>      Vgl. Gutachten 1/09 (Rn. 77).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref68" name="Footnote68">68</a>      Vgl. Gutachten 1/09 (Rn. 78).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref69" name="Footnote69">69</a>      Gutachten 2/13 (Rn. 246).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref70" name="Footnote70">70</a>      Vgl. Dero, D., La réciprocité et le droit des Communautés et de l’Union européennes, Bruylant, Brüssel, 2006, S. 227.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref71" name="Footnote71">71</a>      Vgl. Dero, D., a. a. O., S. 230.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref72" name="Footnote72">72</a>      Gutachten 2/15 (Rn. 240).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref73" name="Footnote73">73</a>      Vgl. Fn. 5 dieser Schlussanträge.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref74" name="Footnote74">74</a>      Vgl. S. 1 dieses Konzeptpapiers.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref75" name="Footnote75">75</a>      C‑284/16, EU:C:2018:158. Im Folgenden: Urteil Achmea.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref76" name="Footnote76">76</a>      Urteil Achmea (Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref77" name="Footnote77">77</a>      Die Gegenseitigkeit steht somit laut Dero, D., a. a. O. (S. 287), „im Zentrum einer Dialektik zwischen Verselbständigung und Unterordnung des [Unions]rechts gegenüber dem Völkerrecht“.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref78" name="Footnote78">78</a>      Wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung erklärt hat und wie mehrere Mitgliedstaaten hervorgehoben haben, bietet das Recht der anderen Vertragspartei, hier das kanadische Recht, den europäischen Investoren nicht zwangsläufig einen angemessenen Schutz vor Diskriminierung oder Enteignung.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref79" name="Footnote79">79</a>      Vgl. u. a. Urteil vom 13. Januar 2015, Rat und Kommission/Stichting Natuur en Milieu und Pesticide Action Network Europen/Stichting Natuur en Milieu und Pesticide Action Network Europen/Stichting Natuur en Milieu und Pesticide Action Network Europe (C‑404/12 P und C‑405/12 P, EU:C:2015:5, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref80" name="Footnote80">80</a>      Mit Beschluss 94/800/EG des Rates vom 22. Dezember 1994 über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986-1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeit fallenden Bereiche (ABl. 1994, L 336, S. 1) gebilligte Übereinkünfte.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref81" name="Footnote81">81</a>      Vgl. u. a. Urteil vom 4. Februar 2016, C & J Clark International und PumaC & J Clark International und Puma (C‑659/13 und C‑34/14, EU:C:2016:74), in dem der Gerichtshof darauf hingewiesen hat, dass „WTO-Übereinkommen wegen ihrer Natur und ihrer Systematik grundsätzlich nicht zu den Normen gehören, an denen der Gerichtshof die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Unionsorgane misst“ (Rn. 85). Der Gerichtshof hat diese Aussage auf Entscheidungen und Empfehlungen des Streitbeilegungsgremiums (DSB) der WTO erstreckt (Rn. 94 bis 96).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref82" name="Footnote82">82</a>      Ebd., Rn. 86 und die dort angeführte Rechtsprechung.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref83" name="Footnote83">83</a>      Ebd. Der Gerichtshof demonstriert auf diese Weise, dass „die Gegenseitigkeit bei der Anwendung eines Abkommens eine Bedingung für die Anerkennung der unmittelbaren Wirkung der Bestimmungen dieses Abkommens sein kann“ (vgl. Dero, D., a. a. O., S. 496).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref84" name="Footnote84">84</a>      Ebd.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref85" name="Footnote85">85</a>      Vgl. Dero, D., a. a. O., S. 499.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref86" name="Footnote86">86</a>      Vgl. Art. 30.6 Abs. 1 CETA.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref87" name="Footnote87">87</a>      Urteil Achmea (Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref88" name="Footnote88">88</a>      Urteil Achmea (Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref89" name="Footnote89">89</a>      Urteil Achmea (Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref90" name="Footnote90">90</a>      Urteil Achmea (Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref91" name="Footnote91">91</a>      Urteil Achmea (Rn. 42).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref92" name="Footnote92">92</a>      Urteil Achmea (Rn. 49).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref93" name="Footnote93">93</a>      Denn „eine solche gerichtliche Überprüfung [kann] durch dieses Gericht nur vorgenommen werden ..., soweit das nationale Recht sie gestattet“ (Rn. 53 des Urteils Achmea).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref94" name="Footnote94">94</a>      Urteil Achmea (Rn. 50).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref95" name="Footnote95">95</a>      C‑126/97, EU:C:1999:269 (Rn. 35, 36 und 40).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref96" name="Footnote96">96</a>      C‑168/05, EU:C:2006:675 (Rn. 34 bis 39).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref97" name="Footnote97">97</a>      Urteil Achmea (Rn. 54).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref98" name="Footnote98">98</a>      Urteil Achmea (Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref99" name="Footnote99">99</a>      Urteil Achmea (Rn. 56).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref100" name="Footnote100">100</a>      Urteil Achmea (Rn. 59).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref101" name="Footnote101">101</a>      So verlangt das Unionsrecht nicht, in die Rechtssysteme von Drittstaaten zu vertrauen, und zwar unabhängig davon, wie hoch die Vertrauenswürdigkeit des Gerichtssystems dieser Staaten einzuschätzen ist.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref102" name="Footnote102">102</a>      Vor allem beeinträchtigt das CETA im Gegensatz zu dem BIT, um das es im Urteil Achmea ging, nicht das „Vertrauen, das die Mitgliedstaaten gegenseitig ihren Rechtssystemen und Rechtspflegeorganen entgegenbringen“ (vgl. u. a. Urteil vom 10. Februar 2009, Allianz und Generali Assicurazioni Generali, C‑185/07, EU:C:2009:69, Rn. 30).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref103" name="Footnote103">103</a>      Urteil Achmea (Rn. 41).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref104" name="Footnote104">104</a>      Urteil Achmea (Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref105" name="Footnote105">105</a>      Urteil Achmea (Rn. 58).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref106" name="Footnote106">106</a>      In Bezug auf die Ausweitung, die Leitung, den Betrieb, die Verwaltung, die Aufrechterhaltung, die Verwendung, die Nutzung und den Verkauf der erfassten Investition oder die Verfügung darüber sowie unter den Voraussetzungen des Art. 8.18 Abs. 2 CETA.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref107" name="Footnote107">107</a>      Damit meine ich diejenigen Bestimmungen des Unionsrechts, die nicht im CETA enthalten sind, denn das CETA wird, wie bereits erwähnt, ab dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens ebenso wie andere Rechtsquellen der Union automatisch Teil der Unionsrechtsordnung werden.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref108" name="Footnote108">108</a>      Vgl. im Gegensatz dazu Gutachten 1/09, wo der Gerichtshof dem Umstand Rechnung getragen hat, dass das Gericht für europäische Patente und Gemeinschaftspatente möglicherweise die Gültigkeit eines Rechtsakts der Union zu überprüfen hatte (Rn. 78).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref109" name="Footnote109">109</a>      Vgl. u. a. Gutachten 1/09 (Rn. 70 und die dort angeführte Rechtsprechung). Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs geht hervor, dass „[d]ie Überwachung der Rechtmäßigkeit von Rechtsakten der Union, die [er] nach den Verträgen gewährleistet, ... auf zwei komplementären Gerichtsverfahren [beruht]: Mit seinen Art. 263 und 277 einerseits und mit Art. 267 andererseits hat der AEU-Vertrag ein vollständiges System von Rechtsbehelfen und Verfahren geschaffen, das die Rechtmäßigkeitskontrolle der Unionshandlungen gewährleisten soll, mit der der Unionsrichter betraut wird (vgl. u. a. Urteil vom 28. März 2017, Rosneft, C‑72/15, EU:C:2017:236, Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref110" name="Footnote110">110</a>      Vgl. im Gegensatz dazu Gutachten 2/13 (Rn. 22), in dem das Spektrum der Maßnahmen beschrieben wird, die die Vertragsparteien in den Rechtssachen, an denen sie als Parteien beteiligt sind, zu ergreifen haben, um das endgültige Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu befolgen, wozu auch die Änderung ihres innerstaatlichen Rechts gehört.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref111" name="Footnote111">111</a>      Selbst in diesem zweiten Fall muss der Beklagte die Möglichkeit haben, anstelle der Rückgabe der Vermögenswerte eine entsprechende Entschädigung zu zahlen.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref112" name="Footnote112">112</a>      Vgl. auch Nr. 2 des Gemeinsamen Auslegungsinstruments, wonach „[d]as CETA ... die Fähigkeit der ... Union und ihrer Mitgliedstaaten und Kanadas [wahrt], ihre eigenen Gesetze und Vorschriften, die im öffentlichen Interesse die Wirtschaftstätigkeit regulieren, zur Erreichung legitimer politischer Ziele ... zu erlassen und anzuwenden“.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref113" name="Footnote113">113</a>      Die Theorie, wonach das staatliche Recht aus völkerrechtlicher Sicht nur eine Tatsache darstellt, geht auf die völkerrechtliche Rechtsprechung zurück. So sind nach der Formulierung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs „[i]m Sinne des Völkerrechts und des Gerichtshofs als dessen Organ ... die nationalen Gesetze bloße Tatsachen, Demonstrationen des Willens und der Aktivität der Staaten, in gleicher Weise wie Gerichtsentscheidungen oder Verwaltungsmaßnahmen“ (Urteil vom 25. Mai 1926, Deutsche Interessen im polnischen Oberschlesien [Begründetheit], StIGH, Serie A, Nr. 7, S. 19). Vgl. dazu Santulli, C., Le statut international de l’ordre juridique étatique – <i>Étude du traitement du droit interne par le droit international</i>, éditions A. Pedone, Paris, 2001, S. 259 ff. Vgl. auch wegen einer Reminiszenz an diesen Grundsatz in der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs Urteil vom 12. Juli 2005, Grenzkonflikt (Benin/Niger) (I.C.J. Reports 2005, S. 90, § 28).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref114" name="Footnote114">114</a>      Vgl. dazu Nouvel, Y., „Commentaire de l’arrêt Achmea“, Journal du Droit International (Clunet), LexisNexis, Paris, Nr. 3, Juli 2018, Kommentar 14, S. 903, dem zufolge es nach Art. 8.31 Abs. 2 CETA „nicht Aufgabe des Gerichts ist, auf der Grundlage des Unionsrechts zu entscheiden – mit anderen Worten, aus der rechtlichen Regelung die damit verbundene Rechtsfolge herzuleiten; hingegen dürfen die Schiedsrichter die europarechtliche Regelung als Tatsache heranziehen, sofern dies relevant ist. In Ausübung seiner Rechtsprechungsfunktion kann das Schiedsgericht Kenntnis von einer europarechtlichen Regelung nehmen, die dann dem Sachverhalt des Rechtsstreits zuzurechnen ist, wobei es prüfen wird, ob es sich um einen relevanten materiell-rechtlichen Aspekt handelt“.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref115" name="Footnote115">115</a>      Vgl. u. a. Gutachten 2/13 (Rn. 184 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref116" name="Footnote116">116</a>      Vgl. Gutachten 2/13 (Rn. 245).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref117" name="Footnote117">117</a>      Vgl. Gutachten 2/13 (Rn. 246, kursive Hervorhebung nur hier).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref118" name="Footnote118">118</a>      Vgl. Nr. 6 Buchst. e des Gemeinsamen Auslegungsinstruments.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref119" name="Footnote119">119</a>      Vgl. auch Art. 26.1 Abs. 5 Buchst. e CETA, wonach der Gemischte CETA-Ausschuss „Auslegungen der Bestimmungen dieses Abkommens vornehmen [kann], die für die nach Kapitel acht Abschnitt F (Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Investoren und Staaten) und nach Kapitel neunundzwanzig (Streitbeilegung) eingesetzten Gerichte bindend sind“. Gemäß Art. 26.1 Abs. 1 CETA setzt sich der Gemischte Ausschuss aus Vertretern der Union und Vertretern Kanadas zusammen.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref120" name="Footnote120">120</a>      Vgl. Gutachten 1/00 (Rn. 40).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref121" name="Footnote121">121</a>      Vgl. entsprechend Gutachten 1/00 (Rn. 39).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref122" name="Footnote122">122</a>      Vgl. u. a. Urteil vom 20. Dezember 2017, Spanien/Kommission (C‑81/16 P, EU:C:2017:1003, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref123" name="Footnote123">123</a>      EU:C:1991:490 (Rn. 4 und 5 sowie 41 und 42). Im Folgenden: Gutachten 1/91.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref124" name="Footnote124">124</a>      Vgl. Gutachten 1/00 (Rn. 3).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref125" name="Footnote125">125</a>      Anders als es in dem im Gutachten 1/91 behandelten Entwurf eines Abkommens über die Schaffung des EWR vorgesehen war (Rn. 8, 9 und 43). Vgl. zum GELR-Übereinkommen auch Gutachten 1/00 (Rn. 4, 5 und 10).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref126" name="Footnote126">126</a>      In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof im Wesentlichen entschieden, dass die Autonomie der Unionsrechtsordnung durch ein Abkommen beeinträchtigt wird, das vorsieht, dass ein anderes Rechtsprechungsorgan als der Gerichtshof für die Auslegung und Anwendung seiner Bestimmungen zuständig sein soll, obwohl dieses Abkommen einen wesentlichen Teil der Regeln, einschließlich solcher des abgeleiteten Rechts, übernimmt, die für die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen innerhalb der Union gelten und bei denen es sich in ihrer Mehrzahl um grundlegende Bestimmungen der Unionsrechtsordnung handelt; denn damit bewirkt das Abkommen, dass in die Unionsrechtsordnung ein umfangreicher Komplex von Rechtsnormen eingefügt wird, der neben eine Gruppe gleichlautender Unionsnormen tritt (vgl. Gutachten 1/91, Rn. 41 und 42).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref127" name="Footnote127">127</a>      Vgl. Gutachten 1/00 (Rn. 41).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref128" name="Footnote128">128</a>      ABl. 2014, L 257, S. 121.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref129" name="Footnote129">129</a>      Vgl. Art. 8.21 Abs. 3 CETA.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref130" name="Footnote130">130</a>      Vgl. Art. 8.21 Abs. 4 CETA.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref131" name="Footnote131">131</a>      Vgl. Art. 8.21 Abs. 7 CETA.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref132" name="Footnote132">132</a>      Vgl. Gutachten 2/13 (Rn. 215 bis 235). Das CETA unterscheidet sich auch in diesem Punkt von dem Abkommen, zu dem das Gutachten 1/91 erstellt wurde (Rn. 30 bis 36).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref133" name="Footnote133">133</a>      Vgl. dazu Gutachten 1/09 (Rn. 77).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref134" name="Footnote134">134</a>      Gutachten 1/09 (Rn. 89).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref135" name="Footnote135">135</a>      In seinem Gutachten 2/15 erklärt der Gerichtshof dazu, es handle sich um eine „Möglichkeit, deren Wahrnehmung im Ermessen des klägerischen Investors liegt“ (Rn. 290).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref136" name="Footnote136">136</a>      Gutachten 1/09 (Rn. 89).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref137" name="Footnote137">137</a>      Vgl. dazu De Witte, B., „A selfish Court? The Court of justice and the Design of International Dispute Settlement Beyond the European Union“, The European Court of Justice and external relations law: constitutional challenges, Hart Publishing, Oxford, 2014, S. 33 bis 46, insbesondere S. 34.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref138" name="Footnote138">138</a>      Art. 21 Abs. 2 Buchst. b EUV.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref139" name="Footnote139">139</a>      Art. 21 Abs. 2 Buchst. e EUV.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref140" name="Footnote140">140</a>      Art. 21 Abs. 2 Buchst. f EUV.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref141" name="Footnote141">141</a>      Art. 21 Abs. 2 Buchst. h EUV.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref142" name="Footnote142">142</a>      Vgl. in diesem Sinne Gutachten 2/15 (Rn. 94).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref143" name="Footnote143">143</a>      Vgl. dazu Art. 8.23 Abs. 2 CETA. Vgl. auch zur Vollstreckung von Urteilssprüchen Art. 8.41 Abs. 3 bis 6 CETA.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref144" name="Footnote144">144</a>      Vgl. dazu Art. V des am 10. Juni 1958 in New York unterzeichneten Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche, in dem einige restriktive Gründe aufgeführt sind, aus denen die Vollstreckung versagt werden darf.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref145" name="Footnote145">145</a>      Dagegen könnte ein im Rahmen von Kapitel 8 CETA ergangener Urteilsspruch einer solchen gerichtlichen Überprüfung entgehen, wenn der Investor sich für das am 18. März 1965 in Washington unterzeichnete Übereinkommen zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Angehörigen anderer Staaten des Internationalen Zentrums zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (International Centre for Settlement of Investment Disputes, ICSID) entscheiden würde. Vgl. jedoch hinsichtlich einer differenzierteren Auffassung in diesem Punkt Jean, G.-A., a. a. O., Rn. 1036 ff.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref146" name="Footnote146">146</a>      Wie die Kommission in ihrer Stellungnahme zu Recht bemerkt, könnten Drittstaaten in der vorherigen Einschaltung des Gerichtshofs ein einseitiges Privileg sehen, das die Neutralität des Streitbeilegungsmechanismus gefährden würde.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref147" name="Footnote147">147</a>      Im Folgenden: Charta.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref148" name="Footnote148">148</a>      Vgl. dazu Art. 8.23 Abs. 1 Buchst. b CETA.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref149" name="Footnote149">149</a>      Wie die Kommission in ihrer Stellungnahme hervorhebt, sind die gebietsansässigen Unternehmen ein Ableger des ausländischen Investors, so dass es gerechtfertigt ist, sie mit diesem Investor, in dessen Eigentum oder unter dessen Kontrolle sie stehen, gleichzustellen.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref150" name="Footnote150">150</a>      Der Gleichheitssatz steht in Art. 21 Abs. 1 EUV.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref151" name="Footnote151">151</a>      Vgl. u. a. Urteil vom 6. Oktober 2015, Schrems (C‑362/14, EU:C:2015:650, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref152" name="Footnote152">152</a>      Vgl. u. a. Urteile vom 19. Juli 2016, H/Rat und KommissionH/Rat und Kommission (C‑455/14 P, EU:C:2016:569, Rn. 41), und vom 28. März 2017, Rosneft (C‑72/15, EU:C:2017:236, Rn. 72).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref153" name="Footnote153">153</a>      Vgl. u. a. Urteil vom 27. Februar 2018, Western Sahara Campaign UK (C‑266/16, EU:C:2018:118, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref154" name="Footnote154">154</a>      Vgl. Urteil vom 3. September 2008, Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission (C‑402/05 P und C-415/05 P, EU:C:2008:461, Rn. 285).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref155" name="Footnote155">155</a>      ABl. 2007, C 303, S. 17.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref156" name="Footnote156">156</a>      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. Juni 2009, Vatsouras und KoupatantzeVatsouras und KoupatantzeVatsouras und Koupatantze (C‑22/08 und C‑23/08, EU:C:2009:344, Rn. 51 und 52), und vom 7. April 2011, Francesco Guarnieri & Cie (C‑291/09, EU:C:2011:217, Rn. 20). Vgl. auch Urteil vom 20. November 2017, Petrov u. a./ParlamentPetrov u. a./ParlamentPetrov u. a./ParlamentPetrov u. a./ParlamentPetrov u. a./ParlamentPetrov u. a./ParlamentPetrov u. a./Parlament (T‑452/15, EU:T:2017:822, Rn. 39 bis 41). Nach Ansicht von Bribosia, E., Rorive, I. und Hislaire, J., „Article 21 – Non-discrimination“, Charte des droits fondamentaux de l’Union européenne. Commentaire article par article, Bruylant, Brüssel, 2018, S. 489 bis 514, insbesondere Rn. 10 und 11, könnte Art. 21 Abs. 2 der Charta dahin ausgelegt werden, dass er auf Ungleichbehandlungen zwischen Unionsbürgern und Drittstaatsangehörigen anwendbar sei.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref157" name="Footnote157">157</a>      Vgl. u. a. Urteil vom 22. Mai 2014, Glatzel (C‑356/12, EU:C:2014:350, Rn. 43).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref158" name="Footnote158">158</a>      Vgl. dazu u. a. Urteil vom 21. Dezember 2016, Swiss International Air Lines (C‑272/15, EU:C:2016:993, Rn. 25 ff.). Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs „gibt es ... im AEU-Vertrag keinen allgemeinen Grundsatz, nach dem die Union in ihren Außenbeziehungen Drittländer unter allen Aspekten gleich behandeln müsste“ (Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref159" name="Footnote159">159</a>      Vgl. u. a. Urteil vom 7. März 2017, RPO (C‑390/15, EU:C:2017:174, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref160" name="Footnote160">160</a>      Vgl. Urteil vom 5. Juli 2005, D. (C‑376/03, EU:C:2005:424, Rn. 53 bis 63).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref161" name="Footnote161">161</a>      Vgl. dazu Schlussanträge des Generalanwalts Wathelet in der Rechtssache Achmea (C‑284/16, EU:C:2017:699, Nr. 75).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref162" name="Footnote162">162</a>      Vgl. u. a. Urteil vom 7. März 2017, RPO (C‑390/15, EU:C:2017:174, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref163" name="Footnote163">163</a>      Ebd. (Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref164" name="Footnote164">164</a>      Vgl. u. a. Urteil vom 21. Dezember 2016, Swiss International Air Lines (C‑272/15, EU:C:2016:993, Rn. 24).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref165" name="Footnote165">165</a>      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. März 2017, RPO (C‑390/15, EU:C:2017:174, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref166" name="Footnote166">166</a>      Vgl. im gleichen Sinne Entscheidung Nr. 2017-749-DC des Conseil constitutionnel (Verfassungsrat, Frankreich) vom 31. Juli 2017 zum umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommen zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits (JORF vom 11. August 2017).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref167" name="Footnote167">167</a>      Im Übrigen heißt es in Nr. 6 Buchst. a des Gemeinsamen Auslegungsinstruments: „Das CETA enthält moderne Investitionsvorschriften, nach denen die Regierungen weiterhin das Recht haben, im öffentlichen Interesse regelnd tätig zu werden, auch wenn sich diese Regelungen auf eine ausländische Investition auswirken, wobei es gleichzeitig ein hohes Maß an Schutz für Investitionen und eine faire und transparente Streitbeilegung garantiert.“ In Nr. 6 Buchst. b des Gemeinsamen Auslegungsinstruments heißt es weiter: „Im CETA wird klargestellt, dass die Regierungen ihre Gesetze ändern dürfen, und zwar auch, wenn sich dies negativ auf eine Investition oder die Gewinnerwartungen eines Investors auswirkt.“ Vgl. auch ganz allgemein Nr. 2 des Gemeinsamen Auslegungsinstruments.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref168" name="Footnote168">168</a>      C‑279/09, EU:C:2010:811.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref169" name="Footnote169">169</a>      Art. 26.1 Abs. 1 CETA.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref170" name="Footnote170">170</a>      Siehe Nr. 195 dieser Schlussanträge.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref171" name="Footnote171">171</a>      Vgl. u. a. Urteil vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems) (C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung). In diesem Urteil hat der Gerichtshof entschieden, dass „das Erfordernis der richterlichen Unabhängigkeit zum Wesensgehalt des Grundrechts auf ein faires Verfahren gehört, dem als Garant für den Schutz sämtlicher dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsender Rechte und für die Wahrung der in Art. 2 EUV genannten Werte, die den Mitgliedstaaten gemeinsam sind, u. a. des Werts der Rechtsstaatlichkeit, grundlegende Bedeutung zukommt“ (Rn. 48). Im Übrigen hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 14. Juni 2017, Online Games u. a. (C‑685/15, EU:C:2017:452), Folgendes entschieden: „Hinsichtlich des Rechts nach Art. 47 Abs. 2 der Charta auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht umfasst der Begriff der ‚Unabhängigkeit‘, die der Aufgabe des Richters innewohnt, zwei Aspekte. Der erste, externe, Aspekt setzt voraus, dass die Stelle vor Interventionen oder Druck von außen geschützt ist, die die Unabhängigkeit des Urteilens ihrer Mitglieder im Hinblick auf die ihnen unterbreiteten Rechtsstreite gefährden könnten“ (Rn. 60). „Der zweite, interne, Aspekt steht mit dem Begriff der ‚Unparteilichkeit‘ in Zusammenhang und bezieht sich darauf, dass hinsichtlich der Parteien des Rechtsstreits und ihren jeweiligen Interessen an dessen Gegenstand ein gleicher Abstand gewahrt wird. Dieser Aspekt ... verlangt, dass Sachlichkeit obwaltet und neben der strikten Anwendung der Rechtsnormen keinerlei Interesse am Ausgang des Rechtsstreits besteht“ (Rn. 61). „Diese Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit setzen voraus, dass es Regeln – insbesondere statutarische und Verfahrensregeln – gibt, die es ermöglichen, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit der genannten Stelle für Einflussnahmen von außen und an ihrer Neutralität in Bezug auf die einander gegenüberstehenden Interessen auszuräumen“ (Rn. 62).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref172" name="Footnote172">172</a>      Vgl. Nr. 6 Buchst. f des Gemeinsamen Auslegungsinstruments.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref173" name="Footnote173">173</a>      Vgl. in diesem Sinne auch Nr. 6 Buchst. i des Gemeinsamen Auslegungsinstruments sowie Erklärung Nr. 36.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref174" name="Footnote174">174</a>      Vgl. Art. 26.3 Abs. 3 CETA.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref175" name="Footnote175">175</a>      Der Ausschuss für Dienstleistungen und Investitionen ist ein unter Aufsicht des Gemischten CETA-Ausschusses eingesetzter Sonderausschuss (vgl. Art. 26.2 Abs. 1 Buchst. b CETA).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref176" name="Footnote176">176</a>      Vgl. in diesem Sinne Gutachten 1/00 (Rn. 39).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref177" name="Footnote177">177</a>      Was bei der Union und ihren Mitgliedstaaten kaum zu bezweifeln ist.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref178" name="Footnote178">178</a>      Vgl. zur Zustimmung des Investors dazu, die Streitigkeit nach den in Kapitel 8 Abschnitt F CETA beschriebenen Verfahren durch das Gericht beilegen zu lassen, Art. 8.22 Abs. 1 Buchst. a CETA. Zur Rücknahme bzw. Einstellung einer Klage vor den Gerichten der Vertragsparteien bzw. zum Verzicht auf eine solche Klage vgl. Art. 8.22 Abs. 1 Buchst. f und g CETA.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref179" name="Footnote179">179</a>      Art. 8.39 Abs. 5 CETA bestimmt außerdem: „Wurde den Klagen nur in Teilen stattgegeben, so werden die Kosten proportional nach Zahl oder Umfang der erfolgreichen Teile der Klagen festgesetzt.“</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref180" name="Footnote180">180</a>      In die gleiche Richtung geht auch Art. 8.20 CETA, wonach die Streitparteien eine Mediation in Anspruch nehmen können.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref181" name="Footnote181">181</a>      Ich verweise insoweit auf meine allgemeinen Erwägungen zum Gemischten CETA-Ausschuss (siehe Nrn. 248 bis 250 dieser Schlussanträge). Vgl. zur Vergütung der Mitglieder der Rechtsbehelfsinstanz auch Art. 8.28 Abs. 7 Buchst. d CETA.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref182" name="Footnote182">182</a>      Vgl. hinsichtlich der Rechtsbehelfsinstanz Art. 8.28 Abs. 4 CETA.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref183" name="Footnote183">183</a>      Ebd.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref184" name="Footnote184">184</a>      In der Fußnote an dieser Stelle des Textes heißt es dazu: „Zur Klarstellung: Die Tatsache, dass eine Person eine Vergütung von einer staatlichen Stelle erhält, reicht allein nicht aus, um nicht als Mitglied des Gerichts in Betracht zu kommen.“ Die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung insoweit erklärt, diese Klarstellung ziele ganz besonders auf die Berufsgruppe der Hochschullehrer ab, die zwar eine Vergütung vom Staat erhielten, aber auch die Anforderungen an Unabhängigkeit und Unparteilichkeit erfüllten. Die Kommission hat auch die Bezieher einer staatlichen Rente erwähnt. Es ist jedenfalls klar, dass für diese Personen sämtliche Bestimmungen des Art. 8.30 CETA gelten, mit denen ein etwaiger Interessenkonflikt, der ihre Unabhängigkeit und Unparteilichkeit beeinträchtigen könnte, verhindert und gegebenenfalls geahndet werden soll.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref185" name="Footnote185">185</a>      In Unterabs. 2 dieser Bestimmung heißt es: „Die Vertragsparteien bemühen sich nach besten Kräften um eine Festlegung des Verhaltenskodexes bis spätestens zum ersten Tag der vorläufigen Anwendung beziehungsweise des Inkrafttretens dieses Abkommens, in jedem Fall aber bis spätestens zwei Jahre nach diesem Zeitpunkt.“ Vgl. auch Nr. 6 Buchst. f des Gemeinsamen Auslegungsinstruments und Erklärung Nr. 36, wonach „[d]ie ethischen Anforderungen an die Mitglieder des Gerichts und der Rechtsbehelfsinstanz ... so rasch wie möglich ... in einem verbindlichen und zwingenden Verhaltenskodex im Einzelnen festgelegt [werden]“.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref186" name="Footnote186">186</a>      Dazu führt die deutsche Regierung in ihrer Stellungnahme aus, die Leitlinie 3 der von den Mitgliedern des Gerichts und der Rechtsbehelfsinstanz gemäß Art. 8.30 Abs. 1 CETA zu beachtenden IBA-Leitlinien sehe eine umfassende Offenlegungspflicht hinsichtlich aller die Unabhängigkeit oder Unparteilichkeit der Schiedsrichter potenziell beeinträchtigenden Umstände vor.</p>
|
188,468 | lsgnrw-2019-01-28-l-2-as-215818-b-er | {
"id": 799,
"name": "Landessozialgericht NRW",
"slug": "lsgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Sozialgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | L 2 AS 2158/18 B ER | 2019-01-28T00:00:00 | 2019-02-11T11:04:00 | 2019-02-13T12:21:05 | Beschluss | ECLI:DE:LSGNRW:2019:0128.L2AS2158.18B.ER.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 03.12.2018 wird zurückgewiesen. Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Gründe:</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Das Sozialgericht hat dem auf einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen der Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) gerichteten Antrag zu Recht nur hinsichtlich des Mehrbedarfszuschlags für Alleinerziehende entsprochen.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt somit voraus, dass ein materieller Anspruch besteht, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird (Anordnungsanspruch), und dass der Erlass einer gerichtlichen Entscheidung besonders eilbedürftig ist (Anordnungsgrund). Eilbedürftigkeit besteht, wenn dem Betroffenen ohne eine schnelle Entscheidung eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung seiner Rechte unmittelbar droht, die durch eine spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, Rn. 23 bei juris). Der gemäß Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) von den Gerichten zu gewährende effektive Rechtsschutz erfordert auch Rechtsschutzerlangung innerhalb angemessener Zeit. Daraus folgt, dass gerichtlicher Rechtsschutz namentlich in Eilverfahren so weit wie möglich der Schaffung solcher vollendeter Tatsachen zuvorzukommen hat, die dann, wenn sich eine Maßnahme bei (endgültiger) richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, jedenfalls nicht mehr vollständig rückgängig gemacht werden können (BVerfG, Beschluss vom 16.05.1995, 1 BvR 1087/91, Rn. 28 bei juris).</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Der geltend gemachte Anordnungsanspruch und die Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung -ZPO-). Dafür ist erforderlich, aber auch ausreichend, dass die tatsächlichen Voraussetzungen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund zur Überzeugung des Gerichts mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vorliegen (vgl. BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, Rn. 5 bei juris).</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu ermitteln. Können ohne die Gewährung von Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, Rn. 24 f. bei juris). Liegt ein Anordnungsanspruch nicht vor, ist ein schützenswertes Recht zu verneinen und der Eilantrag abzulehnen. Hat die Hauptsache hingegen offensichtlich Aussicht auf Erfolg, ist dem Eilantrag stattzugeben, wenn die Angelegenheit eine gewisse Eilbedürftigkeit aufweist. Kann bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vielfach nur möglichen summarischen Prüfung die Erfolgsaussicht nicht abschließend beurteilt werden, muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung unter umfassender Berücksichtigung grundrechtlicher Belange entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, Rn. 26 bei juris; vgl. auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86b Rn. 29a). Je schwerwiegender ein durch ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens endgültig eintretender Schaden ausfiele, desto geringere Anforderungen sind im Rahmen der Folgenabwägung an die Überzeugung des Gerichts vom Bestehen eines Anordnungsanspruchs zu richten. Damit verbunden ist jedoch nicht eine Reduzierung der Bemühungen, die nach Lage des konkreten Einzelfalles vom Rechtsschutzsuchenden zur Glaubhaftmachung des von ihm geltend gemachten Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrundes zu verlangen sind. Wer geltend macht, ohne eine schnelle gerichtliche Entscheidung von schweren und unzumutbaren Nachteilen unmittelbar bedroht zu sein, von dem ist zu erwarten, dass er alles ihm Mögliche sowie nach den konkreten Umständen des Einzelfalls Zumutbare unternimmt, um die ihm drohenden Nachteile nicht eintreten zu lassen. Fehlt es ersichtlich an derartigen Bemühungen, können im Einzelfall erhebliche Zweifel insbesondere am Vorliegen des Anordnungsgrundes, aber auch des Anordnungsanspruchs gerechtfertigt sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II im Streit steht. Wird geltend gemacht, auf die Gewährung existenzsichernder Leistungen dringend angewiesen zu sein, dann muss vom Antragsteller erwartet werden, dass er alles in seiner Macht Stehende unternimmt, diese Mittel möglichst schnell zur Überwindung der behaupteten finanziellen oder sonstigen Notlage zu erhalten.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Unter Berücksichtigung der vorstehend aufgeführten Rechtsgrundsätze konnte die Beschwerde auch nach sorgfältiger Anstellung einer Folgenabwägung keinen Erfolg haben. Es ist nicht glaubhaft gemacht worden, dass die Antragstellerin die Voraussetzungen für einen Bezug von allgemeinen Leistungen (Regelleistungen und Unterkunftskosten) nach dem SGB II erfüllt. Derartigen Leistungsansprüchen steht der in § 7 Abs. 5 SGB II normierte Leistungsausschluss für Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) dem Grunde nach förderungsfähig ist, entgegen. Die Antragstellerin absolviert eine Ausbildung, die im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähig ist. Leistungen nach diesem Gesetz erhält sie nur wegen des Erreichens der Förderungshöchstdauer nicht. Das Sozialgericht, auf dessen Ausführungen im angefochtenen Beschluss der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen nach eigener Prüfung Bezug nimmt, hat zutreffend dargelegt, dass sich ein Leistungsanspruch für die Beschwerdeführerin weder aus der Ausnahmeregelung in § 7 Abs. 6 SGB II noch aus der speziellen Regelung für Auszubildende in § 27 SGB II ergibt. Der Senat stimmt mit dem Sozialgericht auch darin überein, dass der Leistungsausschluss sich nicht als eine besondere Härte im Sinne von § 27 Abs. 3 S. 1 SGB II für die Antragstellerin darstellt. Ob ein besonderer Härtefall vorliegt, ist unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Eine besondere Härte kann dann vorliegen, wenn ein wesentlicher Teil der Ausbildung bereits absolviert ist und der bevorstehende Abschluss unverschuldet an Mittellosigkeit zu scheitern droht. Dies setzt allerdings voraus, dass mit den Leistungen der Grundsicherung nur eine vorübergehende und kurzzeitige Notlage bis zum Ausbildungsabschluss zu überbrücken ist. Es muss deshalb eine durch objektive Umstände belegbare Aussicht bestehen, dass nachweisbar (beispielsweise durch Meldung zur Prüfung, wenn alle Prüfungsvoraussetzungen bereits erfüllt sind) die Ausbildung mit den SGB II-Leistungen höchstwahrscheinlich in absehbarer Zeit durch einen Abschluss zu Ende gebracht werden kann (siehe auch Bundessozialgericht, Urteil vom 06.09.2007 zum Az. B 14/7b AS 28 /06 R, zur Rn. 35 bei juris).</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Es ist hier nicht glaubhaft gemacht worden, dass die Antragstellerin mit ihrer Ausbildung weit fortgeschritten ist und diese voraussichtlich in absehbarer Zeit erfolgreich beenden wird. Aussagekräftige Unterlagen darüber wurden von ihr auch im Beschwerdeverfahren nicht vorgelegt, obwohl der rechtskundig vertretenen Antragstellerin schon in Anbetracht der Begründung der ablehnenden Entscheidung des Sozialgerichts deren Wichtigkeit für einen Antragserfolg bekannt sein musste. Aus dem im Beschwerdeverfahren vorgelegten E-Mail-Verkehr mit einem Hochschulprofessor ist lediglich ersichtlich, dass die Antragstellerin diesem offenbar Themenvorschläge für eine Abschlussarbeit unterbreitet hat. Ob diese Vorschläge von Seiten der Hochschule angenommen worden sind, ist nicht erkennbar. Für den Senat bestehen schon deshalb große Zweifel an einem baldigen Studienabschluss, weil die Antragstellerin zuvor offenbar kein für eine Abschlussarbeit ausreichendes Leistungsvermögen gezeigt hat. Dies ist aus dem von ihr vorgelegten E-Mails ebenfalls ersichtlich und deckt sich zudem mit ihren Angaben gegenüber dem Antragsgegner in der Niederschrift vom 24.07.2018, in der es heißt, sie habe März 2018 ihr Studium abgebrochen, weil sie die Masterarbeit nicht bestanden habe. Gegen ein baldiges Erreichen des Ausbildungsziels spricht auch der Umstand, dass die Antragstellerin von der ihr im Bescheid des Studierendenwerks Düsseldorf vom 23.02.2017 aufgezeichneten Möglichkeit zur Erlangung weiterer Leistungen nach dem BAföG, nämlich eine Bescheinigung der Hochschule über einen voraussichtlich binnen Jahresfrist erreichbaren Studienabschluss einzureichen, keinen Gebrauch gemacht hat.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Mangels Erfolgsaussicht war der Antrag auf Prozesskostenhilfe abzulehnen.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).</p>
|
188,467 | vg-aachen-2019-01-28-2-l-519a | {
"id": 840,
"name": "Verwaltungsgericht Aachen",
"slug": "vg-aachen",
"city": 380,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 2 L 5/19.A | 2019-01-28T00:00:00 | 2019-02-11T11:04:00 | 2019-02-13T12:21:05 | Beschluss | ECLI:DE:VGAC:2019:0128.2L5.19A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die aufschiebende Wirkung der unter dem Aktenzeichen 2 K 18/19.A erhobenen Klage gegen die Abschiebungsandrohung in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 03. Dezember 2018 wird angeordnet.</p>
<p>Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e:</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der sinngemäße Antrag,</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">die aufschiebende Wirkung der unter dem Aktenzeichen 2 K 18/19.A erhobenen Klage gegen die Abschiebungsandrohung in den Bescheid des Antragsgegners vom 03. Dezember 2018 anzuordnen,</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">hat Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist statthaft, da die in der Hauptsache erhobene Klage keine aufschiebende Wirkung entfaltet (vgl. § 75 Abs. 1 AsylG i.V.m. §§ 71a Abs. 1 u. 4, 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 36 Abs. 1 und 3 AsylG).</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller hat den Aussetzungsantrag auch fristgerecht im Sinne des <a href="https://www.juris.de/r3/?docId=BJNR111260992BJNE006206116&${__hash__}38;docFormat=xsl&${__hash__}38;oi=72KgDNenw7&${__hash__}38;docPart=S&${__hash__}38;sourceP=%7B%22source%22:%22Link%22%7D">§ 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG</a>, d. h. innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe des angegriffenen Bescheides gestellt. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes datiert vom 03. Dezember 2018 und wurde dem Antragsteller am 28. Dezember 2018 zugestellt. Der Eilantrag des Antragstellers ging am 04. Januar 2019 bei dem erkennenden Gericht ein. Die Wochenfrist des § 35 Abs. 3 Satz 1 AsylG ist damit gewahrt.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der Antrag ist auch begründet.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der nach § 75 Abs. 1 AsylG i.V.m. §§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 35 AsylG gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts und dem Interesse des Antragstellers an einer einstweiligen Aussetzung der Vollziehung fällt vorliegend zugunsten des Antragstellers aus. Denn nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen ernstliche Zweifel i.S.d. § 36 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AsylG an der Rechtmäßigkeit der Androhung der Abschiebung des Antragstellers nach Eritrea (Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides). In einem solchen Falle muss wegen der hier in Rede stehenden hochrangigen Rechtsgüter des Antragstellers (Art. 19 Abs. 4 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG, Art. 3 EMRK) seinem Interesse an einer Aussetzung der Vollziehung der Vorrang eingeräumt werden.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1516/93 , juris Rn. 93 ff.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Dies ist vorliegend der Fall.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Ernstliche Zweifel bestehen vorliegend bereits daran, ob das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers zu Recht gemäß § 29  Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abgelehnt hat (Ziffer 1 des Bescheids). Voraussetzung hierfür wäre, dass der Asylantrag des Antragstellers als Zweitantrag nach §71a AsylG zu werten ist. Ein Zweitantrag liegt vor, wenn der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat im Sinne von § 26a AsylG oder einem der in § 71a AsylG sonst genannten Staaten im Bundesgebiet einen Asylantrag stellt. Zweifelhaft ist hier bereits, ob die in § 71a AsylG genannte „Zweitantragssituation“ überhaupt gegeben ist. Denn dieser setzt ein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren in einem sicheren Drittstaat voraus. Der vom Antragsteller in Dänemark gestellte Asylantrag hatte jedoch Erfolg. Diesem wurde am 28. Mai 2015 in Dänemark die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wurde jedoch aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung des Antragstellers wegen Vergewaltigung widerrufen (vgl. das Schreiben des dänischen Immigration Service vom 28. Juni 2017, Bl. 88 der Beiakte des Bundesamts).</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Auch wenn der Widerruf der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Ergebnis dazu führt, dass dem Antragsteller trotz des in Dänemark durchgeführten Asylverfahrens im Ergebnis internationaler Schutz in einem sicheren Drittstaat nicht mehr gewährt wird, ist der Widerruf der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht ohne weiteres mit einem von vornherein erfolglosen Asylverfahren vergleichbar.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Zunächst ist im Falle des Widerrufs von in einem anderen Mitgliedstaat gewährtem Flüchtlingsschutz nicht von der Anwendbarkeit des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, wonach ein Asylantrag unzulässig ist, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 AsylG gewährt hat, auszugehen.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">vgl. VG Berlin, Beschluss vom 26.Juli 2018, 23 L 389.18 A, zit. nach juris, VG Augsburg Beschluss vom 06. April 2017 - Au 7 S 17.30656.0A, in diesem Sinne auch: BVerwG, Urteil vom 04. September 2012 - 10 C 13/11 - , BVerwGE 144, 127-144.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Dies wird damit begründet, dass der gewährte internationale Schutz durch den Widerruf entfällt und die Schutzbedürftigkeit des Betroffenen wieder auflebt. Ob in diesem Falle für einen erneuten Asylantrag im Bundesgebiet § 71a AsylG einschlägig ist (in diesem Sinne wohl VG Augsburg a.a.O.), also ein Zweitantrag vorliegt, ist soweit ersichtlich in der Rechtsprechung und der einschlägigen Kommentarliteratur bisher nicht geklärt.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Durch die Vorschrift des § 71a AsylG soll ein Asylantragsteller, der bereits in einem sicheren Drittstaat ein erfolgloses Asylverfahren durchgeführt hat, hinsichtlich des Prüfungsumfangs seines Asylbegehrens einem Ausländer gleich gestellt werden, der ein Asylerstverfahren im Bundesgebiet durchgeführt hat und dort einen Folgeantrag nach § 71 AsylG stellt,</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">vgl. BT-Drs. 12/4450 Begr. S. 27 f.; VG München, Urteil vom 07. Februar 2013 – M 11 K 12.30661 –, juris.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Bei Folgeanträgen nach § 71 AsylG ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob der Widerruf einer zuerkennenden Statusentscheidung der Rücknahme beziehungsweise der unanfechtbaren Ablehnung eines früheren Asylantrags als Tatbestandsvoraussetzung des § 71 AsylG gleichsteht. Während teilweise vertreten wird, dass der Widerruf oder die Rücknahme einer Statusentscheidung im Ergebnis eine Ablehnung des Asylgesuchs darstelle und deshalb ein anschließendes erneutes Schutzbegehren als Folgeantrag anzusehen sei,</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">so: VG Berlin, Gerichtsbescheid vom 06. Juni 2002 – 34 X 130.02 –, juris; GK-Funke-Kaiser, § 71 AsylG Rn 96 m.w.N.;</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">wird dies in der Rechtsprechung überwiegend mit dem Hinweis auf den Wortlaut des § 71 AsylG abgelehnt,</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">vgl.: VG Gießen Beschluss vom 15. Mai 2003 - 8 G 1706/03-, juris; VG Frankfurt, Urteil vom 16. Juli 2008 - 7 K 325/08.F.A. -, juris; in diesem Sinne auch: Marx, 9. Aufl. 2017, § 71 AsylG Rn 17 m.w.N..</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Insofern wird vertreten, dass eine durch Widerruf oder kraft Erlöschens aufgehobene Statusentscheidung bereits begrifflich keine Ablehnung des Asylantrags sei und das Erlöschen des Rechtsstatus auch verfahrensrechtlich nicht mit dem Ablehnen eines Asylantrags gleichgestellt werden könne. Darüber hinaus seien auch in materieller Hinsicht keine Gründe ersichtlich, die es gebieten würden, einem Antragsteller, dem früher bereits ein Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde, im Vergleich zu einem Erstantragsteller "mindere" Verfahrensrechte zuzubilligen. Die dem Erlöschenstatbestand zu Grunde liegende Annahme eines nachträglichen Fortfalls der politischen Verfolgungssituation sei auch insoweit nicht mit einer Rücknahme im Erstverfahren bzw. einer behördlicherseits verneinten Verfolgungsgefahr gleichzustellen,</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">vgl. VG Gießen a.a.O, Rn 11.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Darüber hinaus wird vertreten, es ergäbe sich aus Art. 32 der Richtlinie 2005/85/EG vom 01. Dezember 2005, nach dem die Mitgliedsstaaten im Falle eines Folgeantrags ein besonderes Verfahren einrichten können, dass eine positive, inzwischen aber widerrufene Statusentscheidung, nicht als Folgeantrag gewertet werden könne. Aus Art. 32 Abs. 2 dieser Richtlinie ergebe sich, dass ein solches besonderes Verfahren angewandt werden könne, wenn eine Person einen Folgeantrag auf Asyl stelle, nachdem ihr früherer Antrag zurückgenommen bzw. das Verfahren nicht weiter betrieben worden oder nachdem eine Entscheidung über den früheren Antrag ergangen sei. Dieser Vorschrift liege jedoch ersichtlich die Vorstellung zugrunde, dass ein früheres Asylverfahren zu Lasten des Antragstellers ausgegangen sei. Eine solche Auslegung finde ihre Bestätigung auch in dem Erwägungsgrund Nr. 15 zur genannten Richtlinie. Danach sollen die Mitgliedsstaaten von der Verpflichtung, ein erneutes Prüfungsverfahren durchzuführen, entbunden sein, wenn ein Antragsteller einen Folgeantrag stellt, ohne neue Beweise oder Argumente vorzubringen. Damit seien ersichtlich neue Beweise oder Argumente gemeint, die seinem ursprünglich abgelehnten Antrag zum Erfolg verhelfen könnten;</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">vgl. VG Frankfurt, a.a.O., Rn 26.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Wird eine Behandlung eines erneuten Asylantrags nach Widerruf einer Statusentscheidung als Folgeantrag verneint, führt dies dazu, dass dieser als Erstantrag zu behandeln ist,</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">vgl.: VG Gießen a.a.O.; VG Frankfurt, a.a.O.; Marx, a.a.O. Rn 17 m.w.N..</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Überträgt man diese Erwägungen auf den Zweitantrag nach § 71a AsylG, spricht für eine Behandlung des Asylantrags des Antragstellers als Erstantrag vorliegend, dass die Gründe, aus denen der gewährte Schutzstatus widerrufen wurde, nämlich die in Dänemark erfolgte Verurteilung wegen Vergewaltigung tatsächlich keinen Bezug zu den Gründen haben, aus denen dem Antragsteller ein Schutzstatus zuerkannt wurde. Insofern dürfte davon auszugehen sein, dass die Gründe für die Gewährung des Schutzstatus in der Sache trotz des erfolgten Widerrufs fortbestehen.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Letztlich kann jedenfalls im Eilverfahren dahinstehen, ob das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers zu Recht als Zweitantrag nach § 71a AsylG ausgelegt hat oder ob dieser als Erstantrag im Bundesgebiet zu bewerten gewesen wäre, da jedenfalls auch ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Androhung der Abschiebung des Antragstellers nach Eritrea bestehen.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Die Feststellung des Bundesamtes in Ziffer 2. des streitgegenständlichen Bescheides, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK in Bezug auf Eritrea als dem Zielstaat der Abschiebung nicht vorliegt, was u. a. Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung ist (vgl. § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AsylG), begegnet zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) erheblichen Zweifeln.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Rechtsgrundlage für die Abschiebungsandrohung ist§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG. Danach erlässt das Bundesamt nach den §§ 59, 60 Abs. 10 AufenthG eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn u. a. die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen. Dies hat das Bundesamt ohne weitere Prüfung unter Hinweis darauf angenommen, dass die Voraussetzungen des subsidiären Schutzes bereits in dem vorangegangenen Asylverfahren in Dänemark geprüft und abgelehnt worden seien und bereits aus diesem Grund eine andere Bewertung im nationalen Verfahren nicht erfolgen könne. Dabei verkennt das Bundesamt, dass der Antrag des Antragstellers auf Gewährung von internationalem Schutz in dem in Dänemark durchgeführten Asylverfahren gerade nicht abgelehnt, sondern diesem aufgrund seines Verfolgungsvortrags Flüchtlingsschutz zuerkannt wurde und auch der erfolgte Widerruf an dieser materiell-rechtlichen Einschätzung nichts ändert. Ob eine Abschiebung des Antragstellers nach Widerruf der Schutz gewährenden Entscheidung tatsächlich hätte erfolgen können oder ob der Antragsteller sich aufgrund der Verhältnisse in seinem Herkunftsstaat trotz der strafrechtlichen Verurteilung auf ein Abschiebungsverbot hätte berufen können, haben die dänischen Behörden soweit ersichtlich, bisher nicht geprüft. Vielmehr haben diese, wie sich aus der Erklärung vom 28. Juni 2017 (Bl. 88 der Beiakte des Bundesamts) ergibt, nach Widerruf des Schutzstatus seinen Aufenthalt in Dänemark toleriert.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller beruft sich darauf, dass er in Eritrea aufgrund seiner Weigerung, den nationalen Militärdienst abzuleisten, bereits über ein Jahr inhaftiert gewesen sei.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Aufgrund des Umstands, dass dem Antragsteller unter Berücksichtigung dieses Vortrags in Dänemark die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde sowie aufgrund der Erkenntnisse des Gerichts, nach denen dem Antragsteller als Mann im wehrdienstfähigen Alter bei seiner Rückkehr nach Eritrea die Einziehung zum Nationaldienst drohen würde, liegt nahe, dass jedenfalls ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 und 4 Abs. 2 EMRK besteht. Nach Art. 6 der Proklamation Nr. 82/1995 über den Nationalen Dienst unterliegen in Eritrea grundsätzlich alle Männer und Frauen vom 18. bis zum 50. Lebensjahr dem Nationaldienst. Ein Recht zur Wehrdienstverweigerung aus Gewissengründen und einen Ersatzdienst gibt es nicht</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 25. Februar 2018, Seite 12, Ziff. 1.6.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Bei diesem Nationaldienst handelt es um einen zeitlich nicht befristeten Arbeitsdienst unter menschenrechtswidrigen Bedingungen, welcher als Zwangsarbeit und damit als eine unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung zu qualifizieren ist</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">vgl. ebenso: VG Cottbus, Urteil vom 12. Juli 2018, VG 6 K 1031/15.A, juris; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 17. Mai 2017 - 1a K 1931/16.A -, juris Rn. 38; VG Hamburg, Beschluss vom 5. Oktober 2016 - 4 A 3618/16 -, juris Rn. 25.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Der möglichen Feststellung eines Abschiebungsverbots im Hauptsacheverfahren steht auch nicht die strafrechtliche Verurteilung des Antragstellers wegen eines Sexualdelikts in Dänemark entgegen. Nach § 60 Abs. 8 AufenthG kann von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist. Dagegen sperrt § 60 Abs. 8 AufenthG die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK nicht. Das Verbot von Folter sowie unmenschlicher und erniedrigender Behandlung aus Art. 3 EMRK gilt vielmehr ausnahmslos und stellt einen absoluten Abschiebungsschutz dar,</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">vgl. EGMR (Große Kammer), Urteil vom 28. Februar 2008 -37201/06 Saadi/Italien; Marx § 4 Rn 87 m.w.N..</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Die abschließende Beurteilung, ob der Asylantrag des Antragstellers als Erst- oder Zweitantrag auszulegen ist und ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Eritrea für den Antragsteller tatsächlich besteht, bedarf vor diesem Hintergrund der weiteren Aufklärung im Hauptsacheverfahren.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.</p>
|
180,275 | vg-munchen-2019-01-28-m-22-e-183506 | {
"id": 289,
"name": "Verwaltungsgericht München",
"slug": "vg-munchen",
"city": 158,
"state": 4,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | M 22 E 18.3506 | 2019-01-28T00:00:00 | 2019-02-07T14:19:19 | 2019-02-13T12:21:05 | Beschluss | <h2>Tenor</h2>
<div>
<p>I. Der Antrag wird abgelehnt.</p>
<p>II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.</p>
<p>III. Der Streitwert wird auf 2.500 € festgesetzt.</p>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
<p><rd nr="1"/>Der (erneute) Antrag des Antragstellers, ihm und Frau A.Z. eine gemeinsame kostenlose Wohnung in einem Clearinghaus zur Verfügung zu stellen, hat keine Aussicht auf Erfolg.</p>
<p><rd nr="2"/>Nach <verweis.norm>§ 123 Abs. 1 Satz 2 <v.abk ersatz="VwGO">VwGO</v.abk></verweis.norm> kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus sonstigen Gründen nötig erscheint. Dabei hat der jeweilige Antragsteller sowohl den aus dem streitigen Rechtsverhältnis abgeleiteten Anspruch, bezüglich dessen die vorläufige Regelung getroffen werden soll (Anordnungsanspruch), wie auch die Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen (<verweis.norm>§ 123 Abs. 3 <v.abk ersatz="VwGO">VwGO</v.abk></verweis.norm> i.V.m. <verweis.norm>§§ 920 Abs. 2, 294 <v.abk ersatz="Zivilprozessordnung - ZPO">Zivilprozessordnung - ZPO</v.abk></verweis.norm>). Maßgeblich für die Beurteilung sind dabei die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.</p>
<p><rd nr="3"/>Dies zugrunde gelegt hat der Antragsteller vorliegend einen Anordnungsanspruch sowie einen Anordnungsgrund (erneut) nicht glaubhaft gemacht.</p>
<p><rd nr="4"/>Der Antragsteller wird von der Antragsgegnerin seit der im Mai 2014 erfolgten Räumung seiner 1-Zimmer-Mietwohnung in städtischen Clearinghäusern und privaten Beherbergungsbetrieben obdachlosen- bzw. satzungsrechtlich untergebracht. Seit 6. Juni 2017 bewohnt er auf der Grundlage einer Unterbringungsverfügung der Antragsgegnerin ein Notquartier in der S…straße 33 in M. Frau A.Z., mit der der Antragsteller seinen Angaben zufolge nach islamischem Recht verheiratet ist, ist unterbrechungslos seit dem 1. Dezember 2014 in der C…-Straße in M. gemeldet. Obwohl das Fehlen eines Unterbringungsgesuchs ihrerseits im Rahmen diverser vom Antragsteller betriebener Gerichtsverfahren thematisiert wurde, hat Frau Z. bei der Antragsgegnerin bislang auch nicht um eine obdachlosenrechtliche Unterbringung nachgesucht.</p>
<p><rd nr="5"/>Angesichts dessen ist weder die für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes erforderliche Dringlichkeit noch das für das Bestehen eines Anordnungsanspruchs erforderliche Fehlen einer Unterkunftsmöglichkeit vom Antragsteller hinreichend glaubhaft gemacht: Für eine Wohnungslosigkeit der Frau Z. liegen keinerlei Anhaltspunkte vor. Einer etwaig gegenüber dem Antragsteller bestehenden Verpflichtung auf obdachlosenrechtliche Unterbringung ist die Antragsgegnerin mit der Einweisung in die Unterkunft in die S.straße bereits hinreichend nachgekommen. Dessen Obdachlosigkeit ist damit hinreichend beseitigt. Eine darüber hinausgehende Unterbringung in einer Wohnung in einem einer besonderen Zweckbestimmung unterliegendem Clearinghaus kann der Antragsteller nicht verlangen, denn die Obdachlosenfürsorge, die ihre Rechtsgrundlage in <verweis.norm>Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 <v.abk ersatz="LStVG">LStVG</v.abk></verweis.norm> findet, dient nicht der „wohnungsmäßigen Versorgung“, sondern der Verschaffung einer vorübergehenden Unterkunft einfacher Art. Auch unter Berücksichtigung der humanitären Zielsetzung des Grundgesetzes ist es daher - bei Vorliegen der Voraussetzungen für ein sicherheitsrechtliches Einschreiten - ausreichend, wenn obdachlosen Personen eine Unterkunft zugewiesen wird, die vorrübergehend Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet und Raum für die notwendigen Lebensbedürfnisse lässt. Ein Auswahlrecht unter mehreren diesen Voraussetzungen genügenden Unterkünften oder gar ein Anspruch der Obdach suchenden Person auf eine nach Lage, Größe oder sonstigen Kriterien bestimmte Unterkunft besteht grundsätzlich nicht. Es liegt vielmehr im sehr weiten Ermessen der Antragsgegnerin, wie sie den durch Obdachlosigkeit bewirkten Gefahren begegnen will (vgl. Schenk in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Sept. 2015, Art. 7 Rn. 190). Die zugewiesene Unterkunft muss insbesondere nicht allen Unterbringungs- und Sorgebedürfnissen, die eine Person hat, gerecht werden. Obdachlose Personen müssen, weil ihre Unterbringung nur eine Notlösung sein kann, eine weitgehende Einschränkung ihrer Wohnansprüche hinnehmen, wobei die Grenze zumutbarer Einschränkungen dort liegt, wo die Anforderungen an eine menschenwürdige, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit achtende Unterbringung nicht mehr eingehalten wird (vgl. BayVGH, B.v. 19.2.2010 - 4 C 09.3073 mit Verweis auf BayVGH, B.v. 10.10.2008 - 4 CE 08.2647 m.w.N.; VG Würzburg; B.v. 5.3.2009 - W5 K 09.2289; VG München, B.v. 24.4.2008 - M 22 K 07.5316).</p>
<p><rd nr="6"/>Gemessen an diesem Maßstab ist die dem Antragsteller gegenüber bisher ergangenen Zuweisungsentscheidung durch die Antragsgegnerin nicht zu beanstanden. Anhaltspunkte, aufgrund derer das weite Unterbringungsermessen der Beklagten vorliegend auf eine Unterbringung des Antragstellers (und von Frau Z.) in einer Wohnung in einem Clearinghaus reduziert wäre, sind unter keinem in Betracht kommenden Aspekt ersichtlich und wurden vom Antragsteller auch in Bezug auf seine aktuelle Unterkunft nicht vorgetragen. Auf die Ausführungen in den bisher in den Verfahren M 22 K 16.122, M 22 E 16.291, M 22 E 15.56 und M 22 S 14.5231 sowie M 22 E 14.3756 ergangenen Entscheidungen wird zur Vermeidung von Wiederholungen ergänzend verwiesen. Angesichts der Höhe der Rentenbezüge des Antragstellers entbehrt insbesondere auch der Wunsch des Antragstellers nach einer kostenlosen Zurverfügungstellung einer Wohnung jeder Grundlage.</p>
<p><rd nr="7"/>Dem Antragsteller bleibt es weiterhin unbenommen sich - gegebenenfalls mit Unterstützung der Sozialleistungsträger - bei der Antragsgegnerin um die Berücksichtigung bei der Vergabe öffentlich geförderter, entgeltpflichtiger Wohnungen zu bemühen.</p>
<p><rd nr="8"/>Die Kostenentscheidung folgt aus <verweis.norm>§ 154 Abs. 1 <v.abk ersatz="VwGO">VwGO</v.abk></verweis.norm>, die Entscheidung zum Streitwert aus <verweis.norm>§§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 <v.abk ersatz="GKG">GKG</v.abk></verweis.norm> unter Berücksichtigung der Empfehlungen in Nr. 1.5 und 35.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.</p>
</div>
|
|
180,274 | vg-augsburg-2019-01-28-au-4-k-1831900 | {
"id": 287,
"name": "Verwaltungsgericht Augsburg",
"slug": "vg-augsburg",
"city": 117,
"state": 4,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | Au 4 K 18.31900 | 2019-01-28T00:00:00 | 2019-02-07T14:19:19 | 2019-02-13T12:21:05 | GeB | <h2>Tenor</h2>
<div>
<p>I. Die Klage wird abgewiesen.</p>
<p>II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.</p>
<p>III. Der Gerichtsbescheid ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.</p>
</div>
<h2>Tatbestand</h2>
<div>
<p><rd nr="1"/></p>
<p>Die Kläger begehren als über den ihnen zuerkannten subsidiären Schutz hinaus die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als Familienangehörige.</p>
<p><rd nr="2"/>Nach den Feststellungen der Beklagten sind die Kläger syrische Staatsangehörige arabischer volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit. Auf ihre am 29. Oktober 2015 gestellten Asylanträge erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Klägern mit Bescheid vom 20. Juli 2016 den subsidiären Schutzstatus zu und lehnte die Asylanträge im Übrigen ab. Die hierauf von den Klägern erhobene Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wies das Verwaltungsgericht Augsburg mit Urteil vom 18. Dezember 2017 (Au 4 K 17.33676; ursprünglich Au 4 K 16. 31246) ab. Dieses Urteil wurde am 30. Januar 2018 rechtskräftig.</p>
<p><rd nr="3"/>Dem ebenfalls syrischen Staatsangehörigen, nach den Feststellungen der Beklagten der Ehemann der Klägerin zu 1 bzw. Vater der Kläger zu 2 und zu 3, wurde mit Bescheid des Bundesamts vom 20. März 2018 - über den ihm bereits mit Bescheid vom 15. September 2016 zuerkannten subsidiären Schutz hinaus - die Flüchtlingseigenschaft gem. <verweis.norm>§ 3 <v.abk ersatz="AsylG">AsylG</v.abk></verweis.norm> zuerkannt. Hierzu war die Beklagte mit Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 19. Januar 2018 (Au 4 K 17.35588; ursprünglich Au 4 K 16.31929; rechtskräftig am 1.3.2018) verpflichtet worden.</p>
<p><rd nr="4"/>Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 8. Oktober 2018 - beim Bundesamt per Telefax am gleichen Tag eingegangen - ließen die Kläger unter Berufung auf die dem Herrn * zuerkannte Flüchtlingseigenschaft die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. <verweis.norm>§§ 3, 26 <v.abk ersatz="AsylG">AsylG</v.abk></verweis.norm> beantragen.</p>
<p><rd nr="5"/>Mit Bescheid vom 7. November 2018 - dem Klägerbevollmächtigten am 17. November 2018 zugestellt - lehnte das Bundesamt diesen Antrag gem. <verweis.norm>§ 29 Abs. 1 Nr. 5 <v.abk ersatz="AsylG">AsylG</v.abk></verweis.norm> als unzulässig ab. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Durchführung weiterer Asylverfahren gem. <verweis.norm>§ 71 Abs. 1 <v.abk ersatz="AsylG">AsylG</v.abk></verweis.norm> i.V.m. § 51 Abs. 1 bis Abs. 3 VwVfG nicht vorlägen. Ein Wiederaufnahmegrund liege zwar angesichts des dem Ehemann bzw. Vater der Kläger zuerkannten Flüchtlingsstatus vor, jedoch sei der Antrag nicht binnen drei Monaten gem. <verweis.norm>§ 51 Abs. 3 <v.abk ersatz="VwVfG">VwVfG</v.abk></verweis.norm> gestellt worden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird gem. <verweis.norm>§ 77 Abs. 2 <v.abk ersatz="AsylG">AsylG</v.abk></verweis.norm> auf die Bescheidsgründe Bezug genommen.</p>
<p><rd nr="6"/>Die Kläger ließen am 30. November 2018 Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg erheben und beantragen,</p>
<p><rd nr="7"/>dem Bescheid vom 7.11.2018 aufzuheben.</p>
<p><rd nr="8"/>Eine Begründung der Klage erfolgte nicht.</p>
<p><rd nr="9"/>Mit Beschluss vom 8. Januar 2019 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen. Die Klägerseite wurde zum beabsichtigten Erlass eines Gerichtsbescheids angehört. Die Beklagte hat auf eine solche Anhörung mit allgemeiner Prozesserklärung verzichtet.</p>
<p><rd nr="10"/>Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die Behördenakten Bezug genommen.</p>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
<p><rd nr="11"/>Das Gericht kann durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (<verweis.norm>§ 84 Abs. 1 <v.abk ersatz="VwGO">VwGO</v.abk></verweis.norm>).</p>
<p><rd nr="12"/>Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Beklagte hat die mit Schreiben vom 8. Oktober 2018 gestellten Anträge der Kläger auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. <verweis.norm>§ 26 <v.abk ersatz="AsylG">AsylG</v.abk></verweis.norm> zu Recht mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 7. November 2018 (als unzulässig) abgelehnt, <verweis.norm>§ 113 Abs. 1 Satz 1 <v.abk ersatz="VwGO">VwGO</v.abk></verweis.norm>.</p>
<p><rd nr="13"/>Das Gericht nimmt in vollem Umfang Bezug auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und macht sie sich zu eigen (<verweis.norm>§ 77 Abs. 2 <v.abk ersatz="AsylG">AsylG</v.abk></verweis.norm>).</p>
<p><rd nr="14"/>Ergänzend ist folgendes auszuführen: Der Asylantrag der Kläger war, soweit er auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichtet war, unanfechtbar abgelehnt worden (rechtkräftiges klageabweisendes Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 18.12.2017 - Au 4 K 17.33676). Zu Recht ist daher die Beklagte davon ausgegangen, dass der mit Schreiben vom 8. Oktober 2018 gestellte Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. <verweis.norm>§§ 3, 26 <v.abk ersatz="AsylG">AsylG</v.abk></verweis.norm> als Folgeantrag gem. <verweis.norm>§ 71 <v.abk ersatz="AsylG">AsylG</v.abk></verweis.norm> zu qualifizieren war (vgl. BVerwG, U.v. 13.8.1996 - 9 C 92/95 - BVerwGE 101, 341 - juris Rn. 6; BVerwG, U.v. 17.12.2002 - 1 C 10/02 - BVerwGE 117, 283 - juris; OVG Saarl, U.v. 8.9.2004 - 2 R 25/03 - juris; VG Wiesbaden, B.v. 3.9.2008 - 8 L 889/08.WI.A - juris; VG Würzburg, U.v. 11.10.2018 - W 2 K 18.31007 - juris). Für diese Qualifizierung als Asylfolgeantrag spricht auch, dass nach aktueller Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs dem Gesetz der Rechtsbegriff eines eigenen „Familienasylantrags“ fremd ist (vgl. BayVGH, U.v. 16.10.2018 - 21 B 18.31010 - juris Rn. 17 m.w.N.).</p>
<p><rd nr="15"/>Zu Recht hat die Beklagte weiter angenommen, dass gem. <verweis.norm>§ 71 Abs. 1 <v.abk ersatz="AsylG">AsylG</v.abk></verweis.norm> kein weiteres Asylverfahren durchzuführen war, weil hier die Voraussetzungen des <verweis.norm>§ 51 Abs. 3 <v.abk ersatz="VwVfG">VwVfG</v.abk></verweis.norm> nicht vorliegen. Es ist ohne weiteres davon auszugehen, dass die Kläger von der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an ihren Ehemann bzw. Vater schon kurz nach Ergehen des diesen betreffenden Bescheids vom 20. März 2018 i.S.d. <verweis.norm>§ 51 Abs. 3 Satz 2 <v.abk ersatz="VwVfG">VwVfG</v.abk></verweis.norm> Kenntnis erhalten haben. Der (Folge-) Antrag wurde erst am 8. Oktober 2018 und damit deutlich nach Ablauf der dreimonatigen Frist des <verweis.norm>§ 51 Abs. 3 <v.abk ersatz="VwVfG">VwVfG</v.abk></verweis.norm> gestellt; daher war er mangels Vorliegen der Voraussetzungen des <verweis.norm>§ 71 <v.abk ersatz="AsylG">AsylG</v.abk></verweis.norm> gem. <verweis.norm>§ 29 Abs. 1 Nr. 5 <v.abk ersatz="AsylG">AsylG</v.abk></verweis.norm> als unzulässig abzulehnen.</p>
<p><rd nr="16"/>Die Kostenentscheidung beruht auf <verweis.norm>§ 154 Abs. 1 <v.abk ersatz="VwGO">VwGO</v.abk></verweis.norm>. Gerichtskosten werden nicht erhoben, <verweis.norm>§ 83b <v.abk ersatz="AsylG">AsylG</v.abk></verweis.norm>. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus <verweis.norm>§§ 84 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3, 167 Abs. 2 <v.abk ersatz="VwGO">VwGO</v.abk></verweis.norm> i.V.m. <verweis.norm>§§ 708 ff. <v.abk ersatz="ZPO">ZPO</v.abk></verweis.norm>.</p>
</div>
|
|
180,267 | ovgsl-2019-01-28-1-e-34318 | {
"id": 938,
"name": "Oberverwaltungsgericht des Saarlandes",
"slug": "ovgsl",
"city": null,
"state": 14,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 1 E 343/18 | 2019-01-28T00:00:00 | 2019-02-07T14:19:14 | 2019-02-13T12:21:05 | Beschluss | <h2>Tenor</h2>
<p/><p>Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Beigeladenen gegen die Streitwertfestsetzung im Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 16. November 2018 – 2 L 1112/18 – wird zurückgewiesen.</p><p>Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.</p>
<h2>Gründe</h2>
<p/><p><rd nr="1"/>Die von den Prozessbevollmächtigten des Beigeladenen auf der Grundlage des § 32 Abs. 2 RVG im eigenen Namen erhobene und auch sonst zulässige Beschwerde, mit der die Heraufsetzung des vom Verwaltungsgericht auf 2.500 Euro festgesetzten Streitwertes nach Maßgabe der §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 und Abs. 6 Satz 4 i.V.m. Satz 1 GKG begehrt wird, bleibt ohne Erfolg.</p><p><rd nr="2"/>In Eilrechtsschutzverfahren der vorliegenden Art, in denen es um die Vergabe einer höherwertigen Funktionsstelle geht, ohne dass die im Streit befindliche Auswahlentscheidung im Rahmen eines Beförderungsverfahrens erfolgt, sind nach der Rechtsprechung des Senats für die Festsetzung des Streitwertes die §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 und Abs. 2 GKG zur Anwendung zu bringen. Hieran wird nach erneuter Überprüfung festgehalten.</p><p><rd nr="3"/>In der verfahrensgegenständlichen Stellenausschreibung vom 4.1.2017 heißt es hinsichtlich der zur Neubesetzung ausgeschriebenen Funktionsstelle der Wertigkeit A 15, dass zunächst eine Beauftragung mit der Wahrnehmung der Dienstaufgaben beabsichtigt sei; bei Bewährung bestehe eine Beförderungschance in die Besoldungsgruppe A 15, wobei über eine etwaige Beförderung zu einem späteren Zeitpunkt entschieden werde. Bewerbungen von Lehrkräften, die bereits ein Amt der Besoldungsgruppe A 15 innehaben, seien nicht ausgeschlossen. Diese Ausschreibung zielte mithin vornehmlich auf eine Neubesetzung der Funktionsstelle, also die Vergabe des unbesetzten Dienstpostens. Die Übertragung dieses Dienstpostens eröffnete für Bewerber, die wie die Antragstellerin ein Statusamt der Besoldungsgruppe A 14 innehaben, im Fall ihrer Auswahl und ihrer Bewährung auf dem Dienstposten lediglich die Chance einer künftigen Beförderung, denn der Dienstherr hat sich auch für den Fall der Bewährung des ausgewählten Bewerbers vorbehalten, hinsichtlich einer späteren Verleihung eines Statusamtes A 15 eine eigenständige (Auswahl-) Entscheidung zu treffen. Damit war Gegenstand des erstinstanzlichen Konkurrentenstreitverfahrens weder eine sogenannte ämtergleiche Besetzung des Dienstpostens, hinsichtlich der nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Festsetzung des Auffangstreitwerts gerechtfertigt wäre(BVerwG, Beschluss vom 11.10.2012 - 2 VR 6/12 -, juris Rdnr. 4), noch eine Konkurrenz um einen unmittelbar oder nach - erfolgreichem - Ablauf der Probezeit zur Beförderung ausgeschriebenen Dienstposten, hinsichtlich der der Streitwert anhand des § 52 Abs. 6 Satz 4 i.V.m. Satz 1 GKG zu bemessen wäre(vgl. hierzu ausführlich: Beschluss des Senats vom 21.6.2013 - 1 B 311/13 -, juris, betreffend die jährliche Beförderungsrunde der Deutschen Telekom AG), sondern es ging um die Vergabe eines lediglich mit der Aussicht, im Fall der Bewährung bei einer künftigen Beförderungsentscheidung in den engeren Bewerberkreis um die Verleihung des Statusamtes einbezogen zu werden, ausgeschriebenen Dienstpostens.</p><p><rd nr="4"/>In früheren Jahren ist der Senat in Eilrechtsschutzverfahren betreffend die Vergabe höherwertiger Dienstposten sowohl in Fallgestaltungen, in denen eine Beförderung nach erfolgreichem Ablauf der Probezeit unmittelbar erfolgen soll, als auch in Fällen, in denen es - wie vorliegend - zunächst nur um das Zuteilwerden der Chance, sich auf einem höherwertigen Dienstposten zu bewähren, geht, davon ausgegangen, dass die sich im Sinne des § 13 Abs. 1 GKG a.F. (Vorgängervorschrift zu § 52 Abs. 1 GKG) aus dem Antrag ergebende Bedeutung der Sache für den Antragsteller des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens unter Berücksichtigung der Vorgaben des § 13 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 GKG a.F. (Vorgängervorschrift zu § 52 Abs. 6 Satz 4 i.V.m. Satz 1 GKG) zu bestimmen ist(OVG des Saarlandes, u.a. Beschlüsse vom 21.12.1994 - 1 B 62/94 -, vom 8.11.1999 - 1 Y 7/99 - und vom 10.12.2001 - 1 Y 15/01 -, jew. juris), was dem nunmehrigen Anliegen des Beschwerdeführers entsprechen würde.</p><p><rd nr="5"/>Hiervon ist der Senat indes im Jahr 2005 in Anlehnung an die kurz zuvor geänderte Streitwertpraxis des Bundesverwaltungsgerichts betreffend die Bewertung von Dienstpostenkonkurrenzen(BVerwG, Urteil vom 23.9.2004 - 2 A 8/03 -, amtl. Abdr. S. 17f.) abgerückt(OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 25.1.2005 - 1 Q 90/03 - und vom 19.4.2005 - 1 Y 4/05 -,jew. juris), und bemisst den Streitwert seither nicht nur bei ämtergleicher Dienstpostenvergabe, sondern auch bei Konkurrenzen um höherwertige Dienstposten, deren Übertragung eine künftige Beförderungsauswahl auch im Fall uneingeschränkter Bewährung nicht vorwegnimmt, anhand des Auffangwertes.(vgl. aus neuerer Zeit: OVG des Saarlandes, Urteil vom 21.8.2017 - 1 A 255/16 -, und Beschlüsse vom 9.9.2016 - 1 B 60/16 - und vom 4.10.2016 - 1 E 258/16 -, jew. juris) Soweit erkennbar entspricht die Streitwertpraxis des Senats der seitens des Bundesverwaltungsgerichts praktizierten Handhabung.</p><p><rd nr="6"/>So hat das Bundesverwaltungsgericht 2011 den Streitwert in einem Eilrechtsschutzverfahren, in dem es um die Besetzung eines höherwertigen Dienstpostens ging(BVerwG, Beschluss vom 25.10.2011 - 2 VR 4.11 -, amtl. Abdr. S. 2 und 16), ebenso wie 2012 in Bezug auf die Ausschreibung eines Dienstpostens für eine ämter- bzw. entgeltgruppengleiche Besetzung(BVerwG, Beschluss vom 11.10.2012, a.a.O.) in Anwendung der §§ 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. 52 Abs. 2 GKG auf 5.000 Euro festgesetzt. Neuere eine zwischenzeitliche Änderung der Spruchpraxis des Bundesverwaltungsgerichts belegende Entscheidungen sind weder seitens des Beschwerdeführers benannt noch anhand einer Recherche aufzufinden gewesen. Soweit das Bundesverwaltungsgericht den Streitwert in Anwendung des § 52 Abs. 6 Satz 4 GKG festsetzt, handelt es sich jeweils um eine sogenannte förderliche Dienstpostenvergabe, die Vorwirkung auf die spätere Verleihung des Statusamtes zeitigt.(so z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 21.12.2017 - 2 VR 3/17 -, juris Rdnrn. 2 und 24, vom 21.12.2016 - 2 VR 1/16 -, juris Rdnrn. 2 und 46, und vom 3.7.2012 - 2 VR 3/12 -, juris Rdnrn. 2 und 4)</p><p><rd nr="7"/>Soweit das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg(OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.8.2013 - OVG 6 L 56.18 -; juris) im Rahmen der Begründung der Änderung seiner Rechtsprechung im Sinn der vom Beschwerdeführer befürworteten Anwendung des § 52 Abs. 5 Satz 2 GKG a.F., nunmehr § 52 Abs. 6 Satz 4 GKG, u.a. auf die Streitwertfestsetzung des Bundesverwaltungsgerichts im Verfahren 2 VR 1/13 sowie auf die Streitwertentscheidung des Senats im Verfahren 1 B 311/13 verweist, lagen dem jeweils Ausschreibungen zur sogenannten förderlichen Besetzung zugrunde(BVerwG, Beschluss vom 20.6.2013 - 2 VR 1/13 -, amtl. Abdr. S. 3 und 21; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 21.6.2013, a.a.O., vgl. zum dortigen Sachverhalt den vorangegangenen Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 15.4.2013 - 2 L 1789/12 -, juris), hinsichtlich derer nach der Spruchpraxis des Senats § 52 Abs. 6 Satz 4 i.V.m. Satz 1 GKG zur Anwendung gelangt.</p><p><rd nr="8"/>Zu der seitens des Beschwerdeführers angeführten Änderung der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs(BayVGH, Beschluss vom 24.10.2017 - 6 C 17.1429 -, juris), die der Senat sich zu Eigen machen solle, ist zunächst festzustellen, dass es - wie aufgezeigt - in Bezug auf Konkurrentenstreitigkeiten, die sich auf beförderungsrelevante Auswahlentscheidungen beziehen, ohnehin der Rechtsprechung des erkennenden Senats entspricht - anders als dies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bisher gehandhabt hat(BayVGH, Beschluss vom 16.4.2013 - 6 C 13.284 -, juris m.w.N.) -, den Streitwert nach Maßgabe des § 52 Abs. 6 Satz 4 i.V.m. Satz 1 GKG festzusetzen.</p><p><rd nr="9"/>Ferner ist festzustellen, dass die Argumente, die den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zur Neuausrichtung seiner Rechtsprechung bewogen haben, in Bezug auf eine außerhalb von Beförderungsverfahren erfolgende Vergabe höherwertiger Dienstposten, wie sie fallbezogen in Rede steht, jedenfalls unter Berücksichtigung der im Saarland verbreiteten Topfwirtschaft nicht zu überzeugen vermögen. Auch die seitens des Antragsgegners praktizierte Vergabe von Funktionsstellen in der Schulverwaltung zeichnet sich nach der Erfahrung des Senats dadurch aus, dass es landesweit sehr viel mehr Funktionsstellen als diesen zuzuordnende Statusämter gibt. Dementsprechend ist es nach der Übertragung einer Funktionsstelle in der Schulleitung keineswegs zwingend, dass dem Ausgewählten ein entsprechendes Statusamt verliehen wird, zumindest aber kann es eine im Vorfeld nicht abzusehende Anzahl von Jahren dauern, bis dies geschieht. Aus der saarländischen Finanzverwaltung sind sogar Fälle bekannt, in denen der Inhaber eines höherwertigen Dienstpostens die höherwertige Tätigkeit mehr als 20 Jahre lang ausgeübt hat, bevor ihm das zugehörige Statusamt verliehen worden ist. Den Streitwert unter solchen Umständen in einem Konkurrenteneilrechtsschutzverfahren betreffend die Vergabe eines nicht förderlich ausgeschriebenen Dienstpostens anhand der Bezüge zu bemessen, die der Wertigkeit des Dienstpostens entsprechen, lässt sich mit der individuellen Bedeutung der Sache für den unterlegenen Bewerber und dessen finanziellem Interesse(BayVGH, Beschluss vom 24.10.2017, a.a.O., Rdnr. 10) nicht rechtfertigen.</p><p><rd nr="10"/>Der Senat hat schließlich erwogen, ob es interessegerecht im Sinn des § 52 Abs. 1 GKG wäre, der Beschwerde durch Anhebung des erstinstanzlich festgesetzten Streitwert auf den vollen Auffangstreitwert teilweise stattzugeben, aber auch dies würde dem an der Bedeutung der Sache für den Rechtschutzsuchenden auszurichtenden Ermessen nicht gerecht.</p><p><rd nr="11"/>Zwar lässt sich die langjährige Streitwertpraxis des Senats in Eilrechtsschutzverfahren, die sich auf eine unmittelbare Beförderung bzw. auf eine Beförderung nach Erprobung beziehen, dahin zusammenfassen, dass in einem entsprechenden auf Verleihung eines anderen Amtes zielenden Hauptsacheverfahren § 52 Abs. 6 Satz 4 i.V.m. Satz 1 GKG zur Anwendung gelangt, dass der sich so ergebende Wert in den regelmäßig verfahrensgegenständlichen auf Neubescheidung des Beförderungsbegehrens zielenden Hauptsacheverfahren zu halbieren ist und – was vorliegend in die Überlegungen einzustellen war - dass in den korrespondieren Eilrechtsschutzverfahren eine weitere Halbierung unterbleibt, da das einstweilige Verfahren im Verhältnis zu dem Hauptsachebegehren, die beabsichtigte Beförderung eines Mitbewerbers zwecks Ermöglichung einer Neubescheidung der eigenen Bewerbung zu unterbinden, jedenfalls in Teilen die Hauptsache vorwegnimmt.(OVG des Saarlandes, Beschluss vom 21.6.2013, a.a.O.) In Eilrechtsschutzverfahren, deren Gegenstand sich - wie vorliegend - auf die vorläufige Freihaltung eines höherwertigen Dienstpostens beschränkt, dessen Übertragung außerhalb eines Beförderungsverfahrens erfolgen soll und die seitens des Dienstherrn im Rahmen seines Organisationsermessens ungeachtet einer etwaigen Bewährung rückgängig gemacht werden kann, verfangen die vorstehenden, das Absehen von einer weiteren Halbierung in Beförderungsstreitigkeiten rechtfertigenden Überlegungen indes nicht.</p><p><rd nr="12"/>Der Senat sieht es daher weiterhin als interessegerecht im Sinn des § 52 Abs. 2 GKG an, den Auffangstreitwert in Eilverfahren der vorliegenden Art zu halbieren, und hält an seiner diesbezüglichen Praxis fest.</p><p><rd nr="13"/>Die Beschwerde unterliegt mithin der Zurückweisung.</p><p><rd nr="14"/>Die Kostenentscheidung folgt aus § 68 Abs. 3 GKG.</p><p><rd nr="15"/>Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.</p> |
|
180,239 | ovgnrw-2019-01-28-14-b-169618 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 14 B 1696/18 | 2019-01-28T00:00:00 | 2019-02-07T14:18:37 | 2019-02-13T12:21:05 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0128.14B1696.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beschwerde wird zurückgewiesen.</p>
<p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p>
<p>Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 26.931,81 € festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<h1><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></h1>
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Ablehnung seines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung im Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 12. November 2018 ist unbegründet. Die von ihm dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), ergeben nicht, dass das Verwaltungsgericht seinen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Haftungsbescheid der Antragsgegnerin vom 23. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. September 2017 und der Fassung des Änderungsbescheids vom 25. Mai 2018 (im Übrigen) zu Unrecht abgelehnt hat.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat die Ablehnung des Antrags des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung im Übrigen, nämlich soweit die Antragsgegnerin den Antragsteller mit dem angefochtenen Haftungsbescheid vom 23. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. September 2017 und der Fassung des Änderungsbescheids vom 25. Mai 2018 noch für Gewerbesteuerschulden der E.           GmbH in Höhe von 91.884,27 €, Nachforderungszinsen in Höhe von 12.169,- € und Säumniszuschläge in Höhe von 3.674,- € in Anspruch nimmt, im Wesentlichen damit begründet, der Antragsteller habe jedenfalls dadurch eine grob fahrlässige Pflichtverletzung begangen, dass er die durch bestandskräftigen Bescheid der Antragsgegnerin vom 2. November 2015 für das Veranlagungsjahr 2010 festgesetzten Gewerbesteuern nebst Zinsen in Höhe von insgesamt 131.286,39 € bei Fälligkeit am 7. Dezember 2015 nicht bezahlt habe. Diesen unanfechtbaren Bescheid müsse der Antragsteller als seinerzeitiger Geschäftsführer der GmbH nach § 166 AO gegen sich gelten lassen. Aus welchen Gründen er den für die GmbH zunächst gegen den Bescheid eingelegten Einspruch zurückgenommen habe, sei insoweit unerheblich. Die Behauptung des Antragstellers, die E.           GmbH habe im Zeitpunkt der Fälligkeit der durch den Bescheid vom 2. November 2015 festgesetzten Gewerbesteuer am 7. Dezember 2015 nicht über ausreichende finanzielle Mittel für die Tilgung der Schulden verfügt, habe der Antragsteller nicht durch Geschäftsunterlagen für eben diesen Zeitpunkt belegt, sondern allein auf eine Bilanz aus dem Jahr 2012 und die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH am 4. August 2016 verwiesen. Vor diesem Hintergrund gehe das Gericht im Rahmen der summarischen Prüfung davon aus, dass zum Fälligkeitszeitpunkt ausreichende Mittel für die Tilgung der Schulden zur Verfügung gestanden hätten. Anderenfalls hätte der Antragsteller einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen müssen. Hierzu wäre er bei Zahlungsunfähigkeit der GmbH gemäß § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO spätestens drei Wochen nach deren Eintritt verpflichtet gewesen. Nicht zuletzt aufgrund der Strafbewehrung dieser Pflicht durch § 15a Abs. 4 InsO sei mangels anderslautenden schlüssigen Vortrags regelmäßig von ihrer Einhaltung und damit auch davon auszugehen, dass ausreichende Mittel zur Begleichung der Schulden vorhanden seien, solange kein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt sei. Den Insolvenzantrag habe der Antragsteller für die GmbH erst am 15. März 2016 gestellt.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Hiergegen wendet der Antragsteller ohne Erfolg ein, es sei nicht ersichtlich, welche grobe Pflichtverletzung ein Geschäftsführer und Kaufmann einer GmbH begangen haben solle, der sich anwaltlicher und steuerberaterlicher Hilfe versichere. Er sei während des gesamten Verfahrens, insbesondere bereits während der ursprünglichen steuerlichen Veranlagung im Jahre 2010 steuerberaterlich und anwaltlich vertreten gewesen.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Dieses Vorbringen greift nicht durch. Der Antragsteller verkennt, dass das Verwaltungsgericht ihm nicht Pflichtverstöße im Veranlagungsverfahren vorgeworfen hat, sondern die gegenüber der E.           GmbH mit Bescheid vom 2. November 2015 festgesetzten Gewerbesteuern und Nachforderungszinsen für das Veranlagungsjahr 2010 in Höhe von insgesamt 131.286,39 € bei Fälligkeit am 7. Dezember 2015 nicht aus den vorhandenen Mitteln der E.           GmbH bezahlt zu haben. Die Pflicht, festgesetzte Gewerbesteuern und Nachforderungszinsen bei Fälligkeit zu bezahlen, ist eine ganz einfache Pflicht, zu deren Einsicht und Befolgung es keiner Beratung durch einen Steuerberater oder einen Rechtsanwalt bedarf. Der Antragsteller trägt auch nicht vor, dass sein Steuerberater und sein Rechtsanwalt ihn dahingehend beraten hätten, dass er die im Bescheid der Antragsgegnerin vom 2. November 2015 festgesetzten Gewerbesteuern und Nachforderungszinsen bei Fälligkeit am 7. Dezember 2015 nicht bezahlen müsse. Eine derart offenkundige Falschberatung wäre im Übrigen auch unbeachtlich gewesen.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Dass die E.           GmbH gegen die Gewerbesteuermessbescheide des Finanzamts B.     betreffend die Festsetzung der Gewerbesteuermessbeträge für die E.           GmbH für die Veranlagungsjahre 2009 und 2010 am 10. November 2015 Einspruch eingelegt und die Aussetzung der Vollziehung beantrag hatte, war für die Zahlungspflicht der E.           GmbH am 7. Dezember 2015 unbeachtlich. Einen Anspruch auf Aussetzung der Vollziehung des Gewerbesteuerbescheids der Antragsgegnerin vom 2. November 2015 hätte die E.           GmbH erst gehabt, wenn das Finanzamt B.     die Vollziehung des Gewerbesteuermessbescheids betreffend die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags für das Jahr 2010 ausgesetzt hätte (vgl. § 361 Abs. 3 Satz 1 AO). Dies ist jedoch offensichtlich nicht erfolgt. Jedenfalls trägt der Antragsteller diesbezüglich nichts vor.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Das weitere Vorbringen des Antragstellers, es gehe um die Auflösung einer steuerlichen Rücklage, die auf Anraten des Steuerberaters L.     C.       für eventuelle steuerliche Fragen im Zusammenhang mit einer Lizenzvergabe der Deutschen GmbH an eine türkische Gesellschaft gebildet worden war, zu den Gründen der Höhe der Nachforderung und zum weiteren Ablauf des Betriebsprüfungsverfahrens ist unerheblich. Das Verwaltungsgericht hat dem Antragsteller nicht vorgeworfen, gegen seine Vermögensvorsorgepflicht verstoßen zu haben, etwa durch eine (vorzeitige) Auflösung einer steuerlichen Rücklage oder dadurch, dass er für vorhersehbare Gewerbesteuernachforderungen keine Rücklagen gebildet habe, sondern die mit Bescheid vom 2. November 2015 festgesetzten Gewerbesteuern und Nachzahlungszinsen nicht bei Fälligkeit am 7. Dezember 2015 aus den vorhandenen Mitteln der E.           GmbH gezahlt zu haben. Daher ist auch der weitere Vortrag des Antragstellers unerheblich, es habe in den Jahren 2009 und 2010 keine Pflicht des Antragstellers bestanden, über die bereits gezahlten Gewerbesteuerbeträge und bereits gebildete Rückstellungen hinaus weitere Rücklagen zu bilden, obwohl eine Betriebsprüfung noch nicht einmal angekündigt gewesen und dem Antragsteller auf anwaltlichen und steuerberaterlichen Ratschlag hin keine weitere Zahlungspflicht mitgeteilt worden sei.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Die Annahme des Verwaltungsgerichts, der E.           GmbH hätten zum Fälligkeitszeitpunkt (7. Dezember 2015) ausreichende Mittel für die Tilgung der Schulden (die Bezahlung der festgesetzten 131.286,39 € Gewerbesteuern und Nachforderungszinsen für das Veranlagungsjahr 2010) zur Verfügung gestanden, wird durch das weitere Beschwerdevorbringen des Antragstellers nicht erschüttert. Insoweit behauptet der Antragsteller lediglich, der E.           GmbH hätten die finanziellen Mittel gefehlt, um ein Rechtsbehelfs- oder Klageverfahren gegen das Finanzamt B.     durchführen zu können, die E.           GmbH habe insoweit über keine ausreichende Liquidität verfügt, legt hierzu aber nichts Substantiiertes dar.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat ferner zu Recht angenommen, die Stellung des Insolvenzantrags durch die E.           GmbH am 15. März 2016 - nach der Darstellung des Antragstellers bereits am 9. März 2016 - spreche dafür, dass die E.           GmbH am 7. Dezember 2015 noch über ausreichende Mittel zur Begleichung der mit dem Gewerbesteuerbescheid der Antragsgegnerin vom 2. November 2015 festgesetzten Gewerbesteuern und Nachforderungszinsen verfügt habe.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 28. Oktober 2013 - 14 B 535/13 -, KStZ 2014, 56 (Leitsatz 5 und S. 59) = KKZ 2014, 114 (Leitsatz 4 und S. 117) = juris, Leitsatz 5 und Rdnr. 35.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller wendet hiergegen ohne Erfolg ein, dass sich die Höhe der behaupteten Gewerbesteuerrückstände der E.           GmbH erst aus der Betriebsprüfung und der sich daraus ergebenden tatsächlichen Verständigung ergeben hätten. Dies ist irrelevant für die Beantwortung der Frage, ob und wann der Antragsteller einen Insolvenzantrag für die E.           GmbH hätte stellen müssen. Die Gewerbesteuer- und Nachforderungszinsforderungen der Antragsgegnerin beruhten auf dem Gewerbesteuerbescheid der Antragsgegnerin vom 2. November 2015 und waren demnach am 7. Dezember 2015 fällig. Der Antragsteller hätte demnach spätestens am 28. Dezember 2015 einen Insolvenzantrag für die E.           GmbH stellen müssen, wenn die E.           GmbH über keine liquiden Mittel verfügt hätte, um die Gewerbesteuer- und Nachforderungszinsforderungen der Antragsgegnerin aus dem Gewerbesteuerbescheid vom 2. November 2015 zu erfüllen. Dies hat er jedoch nicht getan, sondern den Insolvenzantrag nach seiner Darstellung erst am 9. März 2015 gestellt.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Unerheblich ist es insofern, dass der Rechtsanwalt und der Steuerberater des Antragstellers im Einspruchsverfahren den Sach- und Rechtsstand mit dem Finanzamt erörtert haben. Ferner kam es nicht darauf an, dass die Antragsgegnerin die Gewerbesteuern erst im April 2016 angemahnt hat. Nach § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO haben die Mitglieder des Vertretungsorgans oder die Abwickler ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einen Eröffnungsantrag zu stellen, wenn eine juristische Person zahlungsunfähig oder überschuldet wird. Überschuldung liegt nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO ist der Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Wäre durch die Gewerbesteuer- und Nachforderungszinsforderungen der Antragsgegnerin aus dem Gewerbesteuerbescheid vom 2. November 2015 eine Überschuldung der E.           GmbH eingetreten, hätte der Antragsteller demnach bereits am 23. November 2015 einen Insolvenzantrag für die E.           GmbH stellen müssen, weil er nicht beabsichtigte, die E.           GmbH fortzuführen. Nach dem Beschwerdevorbringen des Antragstellers hatte die E.           GmbH das operative Geschäft bereits nach dem Geschäftsjahr 2012 eingestellt. Wenn die E.           GmbH am 7. Dezember 2015 nicht über ausreichende liquide Mittel verfügt hätte, um die fälligen Gewerbesteuer- und Nachforderungszinsforderungen der Antragsgegnerin aus dem Gewerbesteuerbescheid vom 2. November 2015 zu begleichen, hätte der Antragsteller spätestens am 28. Dezember 2015 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der E.           GmbH beantragen müssen.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Das Vorbringen des Antragstellers, es habe keine Schadensintensivierung stattgefunden, da die E.           GmbH seit dem Jahr 2012 nicht mehr operativ tätig gewesen sei, ist unschlüssig. Selbst wenn die E.           GmbH seit dem Jahr 2012 nicht mehr operativ tätig gewesen sein sollte, bildet dies kein tragfähiges Indiz dafür, dass sie am 7. Dezember 2015 über keine ausreichenden finanziellen Mittel mehr verfügte, um die Gewerbesteuer- und Nachforderungszinsforderungen der Antragsgegnerin aus dem Gewerbesteuerbescheid vom 2. November 2015 zu erfüllen.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Das weitere Vorbringen des Antragstellers zur Zustellung des Haftungsbescheids in der Türkei und zur unterblieben Anhörung greift ebenfalls nicht durch. Für die Frage der Rechtzeitigkeit des Insolvenzantrags ist es unerheblich. Hierfür kommt es nicht auf den Haftungsbescheid, sondern auf den Gewerbesteuerbescheid der Antragsgegnerin vom 2. November 2015 an. Für die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids vom 23. November 2016 kommt es nicht darauf an, ob er dem Antragsteller bereits wirksam in der Türkei zugestellt worden ist. Jedenfalls ist er seinen Prozessbevollmächtigten wirksam am 7. März 2017 zugestellt worden. Dass die Antragsgegnerin den Antragsteller vor Erlass des Haftungsbescheids nicht angehört hat, ist unbeachtlich, weil die Antragsgegnerin die Anhörung durch die Gewährung rechtlichen Gehörs im Widerspruchsverfahren nachgeholt hat (§ 126 Abs. 1 Nr. 3 AO).</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Vgl. hierzu BFH, Beschluss vom 27. Januar 2000 ‑ VII B 90/99 -, juris, Leitsatz 1 und Rdnr. 7.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Schließlich kommt es nicht darauf an, warum der Antragsteller keine aktuelleren Bilanzen und Belege über das Geschäftsjahr 2012 hinaus vorgelegt hat, sondern dass er solche nicht vorgelegt und somit nicht glaubhaft gemacht hat, dass die E.           GmbH am 7. Dezember 2015 über keine ausreichenden finanziellen Mittel mehr verfügte, um die Gewerbesteuer- und Nachforderungszinsforderungen der Antragsgegnerin aus dem Gewerbesteuerbescheid vom 2. November 2015 zu begleichen.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p>
|
180,238 | ovgnrw-2019-01-28-10-a-26718 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 10 A 267/18 | 2019-01-28T00:00:00 | 2019-02-07T14:18:37 | 2019-02-13T12:21:05 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0128.10A267.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag wird abgelehnt.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p>
<p>Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 4.000,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<h1><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></h1>
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der zulässige Antrag ist unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Aus den innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegten Gründen ergeben sich weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) oder die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) noch eine Abweichung des angefochtenen Urteils von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichtes, auf der das Urteil beruht (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) oder ein der Beurteilung des Senats unterliegender Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts beruhen kann (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Stützt der Rechtsmittelführer seinen Zulassungsantrag auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen. Dabei muss er den tragenden Rechtssatz oder die Feststellungen tatsächlicher Art, die er mit seinem Antrag angreifen will, bezeichnen und mit schlüssigen Gegenargumenten infrage stellen. Daran fehlt es hier.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem Antrag, den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger die beantragte Baugenehmigung für einen Carport auf seinem Grundstück X. 1b in X1. zu erteilen, hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten, ihm die beantragte Baugenehmigung für den Carport unter Festsetzung der Geländehöhe auf 187,35 m. ü. NHN zu erteilen, abgelehnt. Das Vorhaben verstoße gegen § 6 Abs. 11 BauO NRW (a. F.), wonach Gebäude an der Grenze, die als Garage, Gewächshaus oder zu Abstellzwecken genutzt würden, mit einer mittleren Wandhöhe bis zu 3 m über der Geländeoberfläche ausnahmsweise ohne eigene Abstandflächen sowie in den Abstandflächen eines Gebäudes zulässig seien (siehe jetzt § 6 Abs. 8 BauO NRW). Der vom Kläger an der Nachbargrenze geplante Carport überschreite jedoch eine mittlere Wandhöhe von 3 m. Nach § 6 Abs. 4 BauO NRW gelte als Wandhöhe das Maß von der Geländeoberfläche bis zur Schnittlinie der Wand mit der Dachhaut oder bis zum oberen Abschluss der Wand. Nach § 2 Abs. 4 BauO NRW sei die Geländeoberfläche die Fläche, die sich aus der Baugenehmigung oder den Festsetzungen des Bebauungsplans ergebe, im Übrigen die natürliche Geländeoberfläche. Hier sei auf letztere abzustellen. Insbesondere enthalte die Baugenehmigung für die Errichtung eines Einfamilienhauses mit Garage aus dem Jahr 2012 – die Garage wurde nicht gebaut – keine davon abweichende Festsetzung der Geländehöhe. Der vom Kläger nun zur Genehmigung gestellte Carport solle nach seinem Bauantrag entlang der Nachbargrenze eine Höhe von 190,35 m ü. NHN bis 190,17 m ü. NHN und damit eine mittlere Wandhöhe von 190,26 m ü. NHN haben. Aus den von dem Vermessungsingenieur gemessenen Geländehöhen vor und hinter der anfangs geplanten Garage – 186,96 m ü. NHN und 187,07 m ü. NHN – ergebe sich eine mittlere natürliche Geländehöhe von 187,03 m ü. NHN, was, von dieser natürlichen Geländehöhe ausgehend, eine fiktive mittlere Wandhöhe des Carports von 3,23 m und damit über 3 m ergebe. Die Voraussetzungen für die Festsetzung einer von der gemessenen natürlichen Geländeoberfläche abweichenden Höhe nach § 9 Abs. 3 BauO NRW (a. F., siehe jetzt § 8 Abs. 3 BauO NRW) seien nicht erfüllt.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Ohne Erfolg macht der Kläger auch im Zulassungsverfahren weiterhin geltend, die maßgebliche Geländeoberfläche ergebe sich aus der Baugenehmigung aus dem Jahr 2012. Sie sei dort im amtlichen Lageplan mit 187,35 m ü. NHN festgesetzt. Das Verwaltungsgericht hat demgegenüber ausführlich hergeleitet, dass mit der Angabe 187,35 m ü. NHN die Höhe des auf der vom Vermessungsingenieur seinerzeit gemessenen Geländeoberfläche zu erstellenden Fußbodens der geplanten Garage (Oberkante des Fertigfußbodens) bezeichnet sei, also die genehmigte Höhe des zukünftigen Garagenbodens, nicht die des vorgefundenen Geländes. Angaben zu einer geplanten beziehungsweise festgesetzten Geländehöhe, die nach der zum Lageplan gehörenden Zeichenerklärung doppelt unterstrichen sein müsse, gebe es nicht.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Mit diesen Ausführungen des Verwaltungsgerichts setzt sich der Kläger in seinem Zulassungsantrag nicht auseinander. Sein Vorbringen, mit der Baugenehmigung aus dem Jahr 2012 sei nicht nur die Oberkante des Fertigfußbodens der Garage mit einer Höhe von 187,35 m ü. NHN genehmigt worden, sondern auch die Zufahrt, die Trittfläche vor dem seitlichen Hauseingang und ein „faktischer“ Stellplatz an der Stelle der nicht errichteten Garage, wobei eine Orientierung an der Nachbarbebauung stattgefunden habe, ist von vornherein nicht geeignet, seine Auffassung zu stützen, aus der Baugenehmigung ergebe sich, dass die nach den §§ 6 Abs. 4, 2 Abs. 4 BauO NRW maßgebliche Geländeoberfläche für den Carport mit 187,35 m ü. NHN anzusetzen sei.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der Kläger zeigt mit seinem Zulassungsvorbringen auch nicht auf, dass die Voraussetzungen für die Festsetzung einer von der gemessenen natürlichen Geländeoberfläche abweichenden Geländeoberfläche – sei es auch mit einer Höhe von 187,27 m ü. NHN – erfüllt seien. Das Verwaltungsgericht hat bereits zutreffend ausgeführt, dass mit der Bescheinigung des Vermessungsingenieurs vom 18. Dezember 2012 nur erklärt werde, dass die Höhe des Rohfußbodens im Erdgeschoss 187,3 m ü. NHN betrage. Hieraus ergibt sich der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung für den Carport unter Festsetzung dieser Höhe als Geländehöhe jedoch nicht. Dies gilt auch für die weiteren Ausführungen des Klägers, denen die nach dem Vorstehenden unzutreffende Annahme zugrunde liegt, mit der Baugenehmigung aus dem Jahr 2012 sei eine von der gemessenen natürlichen Geländehöhe abweichende neue Geländehöhe genehmigt worden. Die Behauptung des Klägers, eine Geländehöhe von 187,35 m ü. NHN sei identisch mit der Geländehöhe auf dem nordöstlich gelegenen Nachbargrundstück, lässt sich anhand der Bauantragsunterlagen nicht bestätigen. Der Kläger trennt auch insoweit nicht zwischen der Geländeoberfläche und der Höhe vorhandener (genehmigter) Bebauung. Aus diesem Grund führen auch seine Äußerungen zur vermeintlichen Notwendigkeit von Geländeabtragungen für den Fall, dass ihm die beantragte Genehmigung nicht erteilt werde, nicht weiter.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Ebenso wenig ergibt sich aus dem Zulassungsvorbringen, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat. Eine solche grundsätzliche Bedeutung wäre dann anzunehmen, wenn die Rechtssache eine im betreffenden Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Dabei ist zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes die Frage auszuformulieren und substantiiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Daran fehlt es hier. Der Kläger nimmt in diesem Zusammenhang lediglich auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen, Urteil vom 1. Dezember 2011 – 5 K 4658/09 –, juris, Rn. 31, Bezug, ohne auch nur sinngemäß eine Frage nach den vorstehend genannten Maßstäben aufzuwerfen.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Aus dem Zulassungsvorbringen ergibt sich nicht, dass das angefochtene Urteil von einer Entscheidung eines der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichte abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Wird der Zulassungsantrag mit dem Zulassungsgrund der Divergenz begründet, muss zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ein die angefochtene Entscheidung tragender abstrakter, aber inhaltlich bestimmter Rechtssatz aufgezeigt werden, der zu einem ebensolchen Rechtssatz in einer Entscheidung eines der in der Vorschrift genannten Gerichte in Widerspruch steht.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht. Der Kläger rügt eine Abweichung von der Rechtsprechung des 7. Senats des Oberverwaltungsgerichts, Beschlüsse vom 25. Juni 2003 – 7 B 13/03 –, juris, Rn. 39 ff., und vom 25. Juni 2003      – 7 A 2584/15 –, juris, Rn. 8, ohne jedoch nach den vorstehenden Maßgaben einen in diesen Entscheidungen aufgestellten Rechtssatz zu benennen, von dem das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung abgewichen sein soll. In den genannten Entscheidungen ist der 7. Senat im Übrigen davon ausgegangen, dass durch die dort in Rede stehenden Baugenehmigungen eine (neue) Geländehöhe genehmigt worden sei. Dass dies hier entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts der Fall wäre, ergibt sich   – wie oben ausgeführt – aus dem Zulassungsvorbringen jedoch nicht. Auch dass das Verwaltungsgericht im Widerspruch zu der genannten Rechtsprechung des 7. Senats die Anforderungen an die Feststellung, dass sich die Geländeoberfläche im Sinne des § 2 Abs. 4 BauO NRW „aus der Baugenehmigung ergibt“, überspannt hätte, zeigt der Kläger mit seinen systematischen Erwägungen zum Verhältnis dieser Vorschrift zu § 9 Abs. 3 BauO NRW nicht auf.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Das Vorliegen eines der Beurteilung des Senats unterliegenden Verfahrensmangels, auf dem das angegriffene Urteil beruhen kann (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO), ergibt sich aus dem Zulassungsvorbringen ebenfalls nicht.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Die vom Kläger erhobene Gehörsrüge greift nicht durch. Er trägt insoweit vor, er sei bisher in berechtigter Weise davon ausgegangen, dass er seine Zufahrt auf einer mit der Baugenehmigung aus dem Jahr 2012 genehmigten Höhe angelegt habe. Das Verwaltungsgericht habe in dem angefochtenen Urteil überraschend zugrunde gelegt, er habe dafür sein Grundstück rechtswidrig aufgeschüttet. Davon sei auch der Beklagte nie ausgegangen. Er, der Kläger, hätte sich hierzu geäußert, wenn das Verwaltungsgericht vor dem Urteil auf seine diesbezügliche Auffassung hingewiesen hätte.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Eine Gehörsverletzung folgt aus diesem Vorbringen nicht. Das Gebot des rechtlichen Gehörs begründet grundsätzlich keine Pflicht des Gerichts, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder die mögliche Würdigung des Sachverhalts hinzuweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Einschätzung regelmäßig erst bei der abschließenden Entscheidungsfindung nach Schluss der mündlichen Verhandlung ergibt. Eine gerichtliche Hinweispflicht besteht ausnahmsweise nur dann, wenn auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht mit einer bestimmten Bewertung seines Sachvortrags durch das Verwaltungsgericht zu rechnen braucht.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. April 2011 – 4 BN 4.11 –, juris, Rn. 5; OVG NRW, Beschlüsse vom 12. Dezember 2017 – 10 A 1953/16 –, juris, Rn. 22, und vom 15. Mai 2013 – 10 A 255/12 –, juris, Rn. 36, jeweils mit weiteren Nachweisen.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Ein solcher Ausnahmefall lag hier nicht vor. Der Kläger musste in Betracht ziehen, dass das Verwaltungsgericht zu dem Schluss kommen würde, mit der Baugenehmigung aus dem Jahr 2012 sei keine von der gemessenen natürlichen Geländehöhe abweichende Geländehöhe genehmigt worden, und es nachträgliche Veränderungen der Geländeoberfläche als nicht genehmigt ansehen könnte. Die Behauptung des Klägers, dass die Baugenehmigung aus dem Jahr 2012 einen entsprechenden Inhalt habe, bildete von Anfang an den Kern des Rechtsstreits. Der Berichterstatter des Gerichts hat zudem ausweislich des Protokolls über den Ortstermin am 17. Oktober 2017 damals darauf hingewiesen, dass seiner Auffassung nach im Jahr 2012 „eine Garage auf der gemessenen Geländehöhe genehmigt worden“ und dass „eine Aufschüttung auf die Oberkante des Rohfußbodens der Garage erfolgt“ sei. Der Kläger musste daher ohne Weiteres damit rechnen, dass das Verwaltungsgericht diese Aufschüttung als nicht genehmigt bewerten würde.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 40, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG. Nach Ziffer 2d) des aktualisierten Streitwertkatalogs der Bausenate des Oberverwaltungsgerichts vom 22. Januar 2019 (zur Veröffentlichung in der Zeitschrift Baurecht vorgesehen), an dem sich der Senat orientiert, beträgt der Streitwert in Verfahren, in denen die Erteilung einer selbstständigen Baugenehmigung für eine Garage beziehungsweise einen Carport begehrt wird, 4.000 Euro je Pkw. Die Ansetzung eines höheren Streitwerts als im Streitwertkatalog vom 17. September 2003 (BauR 2003, 1883), an dem sich der Senat bisher in ständiger Praxis orientiert hat, vorgesehen, erscheint mit Blick auf die Entwicklung der Preise in den vergangenen Jahren als angemessen.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Sätze 1 und 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).</p>
|
180,237 | vg-dusseldorf-2019-01-28-17-k-1720517a | {
"id": 842,
"name": "Verwaltungsgericht Düsseldorf",
"slug": "vg-dusseldorf",
"city": 413,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 17 K 17205/17.A | 2019-01-28T00:00:00 | 2019-02-07T14:18:35 | 2019-02-13T12:21:05 | Beschluss | ECLI:DE:VGD:2019:0128.17K17205.17A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beklagte trägt die Kosten des in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärten Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden (§ 161 Abs. 3 VwGO, § 83b AsylG). Die Kläger konnten mit einer Bescheidung vor Klageerhebung rechnen.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Die Beklagte trägt die Kosten des in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärten Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden (§ 161 Abs. 3 VwGO, § 83b AsylG). Die Kläger konnten mit einer Bescheidung vor Klageerhebung rechnen.</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks"><strong>Die Kammer hält vor dem Hintergrund der nunmehr gefestigt ersichtlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse an ihrer bisherigen Rechtsauffassung nicht mehr fest, vor Ablauf der Zeitspanne von 15 Monaten (Rechtsgedanke aus Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 3 lit. b) Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes – AsylVf-RL –) liege angesichts der offenkundig großen Zahl von Personen, die nahezu gleichzeitig in der Bundesrepublik Deutschland internationalen Schutz beantragen bzw. auch schon seit mindestens Mitte 2015 beantragt haben, ein zureichender Grund dafür vor, dem Begehren der Kläger noch nicht nachzukommen (vgl. § 75 Satz 1 VwGO). Diese Annahme fußt auf dem jetzt belastbar erkennbaren deutlichen Rückgang der innerhalb eines Jahres gestellten Asylanträge von über 70 Prozent gemessen an 745.545 Anträgen im Jahr 2016 auf 222.683 im Jahr 2017 und daran gemessen von weiteren 16 Prozent auf 185.853 im Jahr 2018 sowie dem Abbau der anhängigen Asylverfahren von über 84 Prozent gemessen an 433.719 Asylverfahren im Jahr 2016 auf 68.245 im Jahr 2017 und erneut daran orientiert von weiteren 15 Prozent auf 58.325 Asylverfahren im Jahr 2018. Schließlich hat das Bundesamt zugleich im Laufe des Jahres 2016 deutlich den Personalkörper aufgestockt (von Ende 2015 ca. 3.000 auf Ende 2017 ca. 7.500 Beschäftigte; vgl. kleine Anfrage in: BT-Drs. 19/609, Seite 2; zu den Zahlen im Übrigen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Das Bundesamt in Zahlen 2017, S. 15, 58 http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Broschueren/bundesamt-in-zahlen-2017.pdf?__blob=publicationFile; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Asylgeschäftsstatistik 01-12/2018, http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Statistik/Asyl/hkl-antrags-entscheidungs-bestandsstatistikl-kumuliert-2018.pdf?__blob=publicationFile, aufger. am 29. Januar 2019).</strong></p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks"><strong>Die Kammer geht daher künftig davon aus, dass Antragsteller im Regelfall mit einer Bescheidung innerhalb von 6 Monaten rechnen dürfen (vgl. den Rechtsgedanken des Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 1 AsylVf-RL; so auch jetzt BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2018 – 1 C 18.17 –, juris Rn. 19 f.; s. auch § 24 Abs. 4 AsylG). Lagen im gegebenen Fall zwischen der rechtskräftigen Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 24. Oktober 2016 hinsichtlich seiner Ziff. 1 durch Gerichtsbescheid vom 16. März 2017 (2 K 12946/16.A, Rechtskraft am 5. April 2017) und der Klageerhebung am 19. Oktober 2017 knapp mehr als 6 Monate, durften die Kläger insoweit mit einer Entscheidung rechnen.</strong></p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks"><strong>Der Gegenstandswert folgt aus § 30 Abs. 1 RVG.</strong></p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks"><strong>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).</strong></p>
|
180,220 | ovgni-2019-01-28-8-pa-9018 | {
"id": 601,
"name": "Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht",
"slug": "ovgni",
"city": null,
"state": 11,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | 8 PA 90/18 | 2019-01-28T00:00:00 | 2019-02-07T14:18:22 | 2019-02-13T12:21:05 | Beschluss | <div id="dokument" class="documentscroll">
<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg – Berichterstatter der 7. Kammer - vom 29. August 2018 wird zurückgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Beschwerde der Klägerin gegen die nachträgliche Änderung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat keinen Erfolg.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht bewilligte der Klägerin mit Beschluss vom 26. Januar 2015 (ratenzahlungsfreie) Prozesskostenhilfe. Im Zuge des Überprüfungsverfahrens nach § 166 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 120a ff. ZPO setzte der Urkundsbeamte am 19. Juni 2018 aufgrund geänderter wirtschaftlicher Verhältnisse monatliche Rückzahlungsraten in Höhe von … € monatlich fest. Auf die Erinnerung der Klägerin änderte das Verwaltungsgericht diese Entscheidung und setzte mit Beschluss vom 29. August 2018 die Ratenhöhe auf … € herab (§§ 166 Abs. 6, 151 VwGO).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde, mit der sie die Wiederherstellung der ursprünglichen Gewährung rückzahlungsfreier Prozesskostenhilfe erstrebt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Die Beschwerde ist zwar zulässig (1.), jedoch im Ergebnis nicht begründet (2.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>1. Sie ist statthaft, insbesondere nicht durch § 146 Abs. 2 VwGO ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift können u.a. Beschlüsse über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe nicht mit der Beschwerde angefochten werden, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint. Gegenstand der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist die nachträgliche Festsetzung von Rückzahlungsraten hinsichtlich bereits bewilligter Prozesskostenhilfe. Die nachträgliche Anordnung von Ratenzahlungen ist indes nicht die Ablehnung von Prozesskostenhilfe, so dass bereits nach dem Wortlaut der Regelung deren Anwendbarkeit zweifelhaft ist (a.A. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 19.12.2017 - OVG 5 M 51.17 -, juris Rn. 5, 9).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Allerdings geht die Rechtsprechung einhellig davon aus, dass der Beschwerdeausschluss nicht nur bei einer Ablehnung von Prozesskostenhilfe bei Fehlen der wirtschaftlichen und persönlichen Voraussetzungen eingreift, sondern – über den engeren Wortlaut hinaus – auch dann, wenn Prozesskostenhilfe nur gegen Ratenzahlung bewilligt wird (vgl. nur VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 10.11.2015 – 8 S 1742/15 –; OVG Saarland, Beschl. v. 11.12.2017 – 2 D 671/17 –; OVG Rheinland–Pfalz, Beschl. v. 11.5.2018 – 2 D 10540/18; alle juris). Zudem käme der Zweck der Regelung, eine Entlastung der Richter der Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe von der Prüfung der Bedürftigkeit des Prozesskostenhilfebegehrenden, auch in Fällen wie dem vorliegenden zum Tragen, in dem ein Senat in der Besetzung von drei Berufsrichtern die Einzelpositionen der Prozesskostenhilfeunterlagen und die dazu vorgelegten Belege zu prüfen und zu würdigen hat (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 19.12.2017 - OVG 5 M 51.17 -, juris Rn. 10). In der Sozialgerichtsbarkeit wird eine Erstreckung des Beschwerdeausschlusses in § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG, der für den Gesetzgeber bei der Änderung des § 146 Abs. 2 VwGO Vorbild war, auf die nachträgliche Änderung der Entscheidung über die zu leistenden Zahlungen im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe verbreitet vertreten (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 4.2.2016 – L 9 AL 19/16 B -, juris mit zustimmender Anm. Reyels; Thüringer LSG, Besch. v. 6.7.2012 – L 9 AS 896/12 B –, juris; Sächsisches LSG, Beschl. v. 31.8.2011 – L 7 AS 553/11 B PKH –, juris; alle m.w.N.), ist aber keineswegs unumstritten (vgl. zur Gegenauffassung LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 9.6.2011 – L 13 AS 120/11 B –, u. Beschl. v. 1.10.2009 – L 11 R 898/09 PKH-B –, beide juris; LSG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 14.01.2010 – L 1 AL 137/09 B –, juris; LSG Berlin–Brandenburg, Beschl. v. 5.6.2008 – L 28 B 852/08 AS PKH -, juris; differenzierend: LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 4.7.2011 – L7 AS 5381/09 B -, juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Der Entstehungsgeschichte des Beschwerdeausschlusses in § 146 Abs. 2 VwGO durch Art. 12 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts vom 31. August 2013 (BGBl. I S. 3533) ist zur Frage seiner Reichweite in Bezug auf nachträgliche Änderungen der Prozesskostenhilfeentscheidung nichts Eindeutiges zu entnehmen. In der amtlichen Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des § 146 Abs. 2 VwGO n.F. heißt es lediglich, dass <em>„… [i]n Anpassung an § 172 Absatz 3 Nummer 2 SGG ... in § 146 Absatz 2 die Beschwerdemöglichkeit im Verfahren der Prozesskostenhilfe eingeschränkt [wird]“</em>, wobei <em>„… [d]ie Ablehnung der Prozesskostenhilfe mit der Beschwerde nur noch angefochten werden [kann], wenn die Erfolgsaussichten in der Hauptsache vom Gericht verneint wurden. Hat das Gericht hingegen die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen verneint, ist die Beschwerde gegen diese Entscheidung nicht statthaft"</em> (BT-Drs. 17/11472, S. 48 f.). Dass der Gesetzgeber dabei über den Fall der (erstmaligen) Ablehnung von Prozesskostenhilfe im Bewilligungsverfahren hinausgehende weitere Fallgestaltungen im Blick hatte, namentlich die nachträgliche Entziehung oder Einschränkung von Prozesskostenhilfe, wird in diesen Ausführungen nicht erkennbar (ebenso VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 6.3.2018 – 11 S 212/18 –, juris Rn. 11 u. Sächsisches OVG, Beschl. v. 15.2.2016 - 3 E 98/15 -, juris Rn. 6).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Bei dieser Ausgangslage kommt eine erweiternde Auslegung oder analoge Anwendung des Rechtsmittelausschlusses in § 146 Abs. 2 VwGO auf die Fälle der nachträglichen Anordnung von Ratenzahlungen nicht in Betracht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Zu Recht weist der Baden-Württembergische Verwaltungsgerichtshof darauf hin, dass bereits die Fallgestaltungen nicht uneingeschränkt vergleichbar sind. Während die Gewährung von Prozesskostenhilfe nach § 166 VwGO in Verbindung mit §§ 115 ZPO, 82 SGB XII eine gebundene Entscheidung ist, sind Entscheidungen nach §§ 120a und 124 Abs. 1 ZPO nicht in gleicher Weise determiniert („soll“), zumal ihnen auch ein abweichendes Prüfungsprogramm zugrunde liegt. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe stellt zudem eine Leistungsgewährung dar, wohingegen es sich bei der nachträglichen Aufhebung (oder Einschränkung) der Prozesskostenhilfegewährung um einen Eingriffsakt handelt (VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 6.3.2018 – 11 S 212/18 –, juris Rn. 11 m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>In der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist inzwischen ganz herrschende Meinung, dass eine Anwendung des Beschwerdeausschlusses in den Fällen des §§ 124 Abs. 1 ZPO, 166 VwGO, die vor allem die nachträgliche Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen der Verletzung von Pflichten und Mitwirkungsobliegenheiten regeln, abzulehnen ist (vgl. Senatsbeschl. v. 8.3.2018 – 8 PA 146/17 -, V.n.b.; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 6.3.2018 – 11 S 212/18 –, juris Rn. 8ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.8.2018 – 3 M 146.17 –, juris Rn. 3 f.; Beschl. v. 13.2.2018 - OVG 11 M 27.17 -, juris Rn. 2f. u. Beschl. v. 23.6.2016 – 12 M 38.16 –, juris; Sächsisches OVG, Beschl. v. 15.2.2016 - 3 E 98/15 -, NVwZ-RR 2016, 439, juris Rn. 3 ff.). Dieser Rechtsprechung folgt auch die Kommentarliteratur (Rudisile, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Mai 2018, § 146 Rn. 11; Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 146 Rn. 28a; Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 146 Rn. 11; Bader, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/v.Albedyll, VwGO, 7. Aufl. 2018, § 146 Rn. 13 u. § 166 Rn. 64; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 146 Rn. 10). Eine abweichende Auffassung wird – soweit ersichtlich – allein vom 5. Senat des OVG Berlin-Brandenburg für die nachträgliche Änderung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 120a Abs. 1 Satz 1 ZPO vertreten (OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 19.12.2017 - OVG 5 M 51.17 -, juris Rn. 4 ff.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Eine Anwendung des Rechtsmittelausschlusses des § 146 Abs. 2 VwGO hält der Senat indes auch dann nicht für zulässig, wenn Beschwerdegegenstand die nachträgliche Anordnung von Ratenzahlungen nach §§ 166 VwGO, 120a ZPO nach einer Neuberechnung der Prozesskostenhilfebedürftigkeit im Überprüfungsverfahren ist. Bei der erweiternden Auslegung rechtsmittelausschließender Vorschriften ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besondere Zurückhaltung geboten. Der Grundsatz der Rechtsmittelklarheit verlangt, dass die Voraussetzungen der Zulässigkeit von Rechtsbehelfen bestimmt sind und Rechtsschutzsuchende nicht mit einem unübersehbaren „Annahmerisiko“ und dessen Kostenfolgen belastet werden, was die Rechtsmittelgerichte bei der Auslegung und Anwendung des Prozessrechts zu beachten haben (BVerfG, Kammerbeschl. v. 27.10.2015 – 2 BvR 3071/14 –, juris Rn. 12). Dass diese Voraussetzung der Klarheit hinsichtlich der Gesetzesfassung des § 146 Abs. 2 VwGO sowie seiner Auslegung und Anwendung nicht angenommen werden kann, macht die oben angeführte Rechtsprechung zur Nichtanwendung der Regelung auf die Fälle des §§ 124 Abs. 1 ZPO, 166 VwGO deutlich. Für eine Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Fallgestaltungen des § 120a ZPO und des § 124 Abs. 1 ZPO bietet die sprachliche Formulierung der gesetzlichen Regelung keinerlei Ansatz. Vielmehr war bei der Änderung des § 146 Abs. 2 VwGO die umstrittene Auslegung des § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG in der Sozialgerichtsbarkeit bekannt. Hätte der Gesetzgeber die vorliegende Fallgestaltung mitregeln wollen, hätte es daher nahegelegen, dafür eine eindeutige Formulierung zu wählen. Die enge Interpretation des § 146 Abs. 2 VwGO steht zudem in Übereinstimmung mit § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO, der keine vergleichbare Rechtsmittelbeschränkung enthält, was zugleich zeigt, dass der Entlastungsgedanke allein eine erweiternde Auslegung nicht zu tragen vermag.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>2. Die demnach zulässige Beschwerde ist jedoch unbegründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht eine weitergehende Herabsetzung der vom Urkundsbeamten mit Beschluss vom 19. Juni 2018 festgesetzten Rückzahlungsrate abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Das Beschwerdevorbringen der Klägerin, nach dem Einkommensteuerbescheid vom 16. August 2018 für den Veranlagungszeitraum 2016 habe sie ein Einkommen von monatlich (lediglich) ...  €, so dass ihr nach Abzügen keine nennenswerten Mittel für die Tilgung der gewährten Prozesskostenhilfe verblieben, rechtfertigt keine andere Entscheidung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Der Senat legt zur Ermittlung der Prozesskostenhilfebedürftigkeit der Klägerin die von ihr in der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe vom 13. April 2018 gemachten Angaben und die dazu vorgelegten Unterlagen zugrunde, soweit ihnen unter rechtlichen Gesichtspunkten zu folgen ist, da es sich um die aktuellsten Daten zu ihren finanziellen Verhältnissen handelt (vgl. Groß, Beratungshilfe/Prozesskostenhilfe/Verfahrenskostenhilfe, 14. Aufl. 2018, § 115 Rn. 12).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Darin gibt sie Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit von ...  € an. Die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sind in der durch den Mietvertrag vom 1. Februar 2018 und die Kontoauszüge nachgewiesenen Höhe von ...  € monatlich anzusetzen. Hinzuzurechnen sind weiter die Renteneinkünfte der Klägerin, die dem Grunde nach durch den Bescheid der Deutschen Rentenversicherung vom 17. Januar 2017 sowie durch das Schreiben des Rechtsanwaltsversorgungswerks Niedersachsen vom 17. Februar 2017 nachgewiesen und deren Zahlbeträge 2018 ( ... € + ...  €) durch den von der Klägerin vorgelegten Kontoauszug vom 3. April 2018 in einer Gesamthöhe von ...  € belegt sind. Da es sich hierbei um die Zahlbeträge handelt, sind die Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung der Klägerin hiervon bereits abgezogen und im Rahmen der PKH-Berechnung nicht erneut zu berücksichtigen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Soweit die Klägerin demgegenüber auf den Einkommensteuerbescheid vom 16. August 2018 und ein (geringeres) steuerpflichtiges Einkommen verweist, übersieht sie, dass bei der Ermittlung der Prozesskostenhilfebedürftigkeit <span style="text-decoration:underline">alle</span> Einkünfte in Geld oder Geldeswert zu berücksichtigen sind (§ 115 Abs. 1 Satz 2 ZPO; § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Insbesondere die steuerlich abgabenfreien Teile der Renteneinkünfte sowie der Altersentlastungsbetrag mindern das anzusetzende Einkommen daher nicht, so dass die Berechnung der Prozesskostenhilfebedürftigkeit nicht mit der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens nach dem Einkommensteuergesetz gleichläuft.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Von dem danach für die Berechnung der Prozesskostenhilfebedürftigkeit zugrunde zu legenden Einkommen abzuziehen sind zunächst die zu entrichtenden Steuern (Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag), die unter Berücksichtigung der Teilfreistellung der Renteneinkünfte von der Einkommensteuer, des Altersentlastungsbetrages sowie der durch den Einkommensteuerbescheid vom 16. August 2018 belegten weiteren Abzüge (Werbungskosten-/Sonderausgabenpauschbeträge, Versicherungsbeiträge) zu ermitteln sind.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Hinsichtlich der weiteren Abzugspositionen folgt der Senat den Ausführungen des Verwaltungsgerichts (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Ergänzend ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass Telefonkosten und GEZ-Gebühr nicht gesondert abzugsfähig, sondern mit dem Freibetrag abgedeckt sind (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 26.6.2018 – 19 WF 76/18 –, juris Rn. 6). Gleiches gilt für die Stromkosten (Geimer, in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 115 Rn. 34). Der Abzug von Fahrtkosten ist nach §§ 82 Abs. 2 SGB XII, 3 Abs. 6 DVO auf … € monatlich pro Kilometer gedeckelt (s. Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschl. v. 30.1.2017 – 10 UF 153/16 –, juris Rn. 17f.). Zugunsten der Klägerin lässt der Senat außer Berücksichtigung, dass Raten für die Abzahlung des Hörgerätes in Höhe von ...  € nur für sechs Monate zu entrichten sind.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Abweichend von der Berechnung des Verwaltungsgerichts sieht der Senat allerdings die von der Klägerin – neben den angesetzten Aufwendungen für die Krankenversicherung – zusätzlich geltend gemachten Kosten für eine <em>„DKV Zusatz Vers. Zähne“</em> in Höhe von ...  € nicht als abzugsfähig an. Verfahrenskostenhilfe ist eine Form sozialer Hilfe. Das einzusetzende Einkommen wird daher nur durch angemessene Versicherungen gemindert (§§ 82 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB XII, 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 a ZPO). Dies ist bei einem Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung - wie hier auch die Klägerin - grundsätzlich nur der Beitrag für die gesetzliche Versicherung (OLG Koblenz, Beschl. v. 6.4.2017 – 13 WF 270/17 –, juris Rn. 8).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Ausgehend hiervon ergibt sich für die Klägerin keine weitere Herabsetzung der mit dem Beschluss des Verwaltungsgerichts festgestellten monatlichen Rate von ...  €.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Nach § 166 Abs.1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO werden die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).</p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText">
<p style="margin-top:24px"> </p>
<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
<p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE190000476&psml=bsndprod.psml&max=true</p>
</div>
</div>
|
|
188,469 | vg-aachen-2019-01-25-1-k-182917 | {
"id": 840,
"name": "Verwaltungsgericht Aachen",
"slug": "vg-aachen",
"city": 380,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 1 K 1829/17 | 2019-01-25T00:00:00 | 2019-02-11T11:04:01 | 2019-02-13T12:21:05 | Urteil | ECLI:DE:VGAC:2019:0125.1K1829.17.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Klage wird abgewiesen.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.</p>
<p>Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">T a t b e s t a n d :</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Kläger wendet sich gegen die Kürzung seiner Versorgungsbezüge.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der 1962 geborene Kläger stand zuletzt als Stabsfeldwebel im Dienst der Beklagten und wurde mit Ablauf des 31. Juli 2014 vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Die Ehe des Klägers wurde im Jahr 2003 geschieden, mit rechtskräftiger Entscheidung vom 9. Januar 2004 begründete das Familiengericht Delmenhorst zu Lasten der klägerischen Versorgungsanwartschaft und zu Gunsten der geschiedenen Ehefrau Rentenanwartschaften in Höhe von 403,46 Euro, bezogen auf den 30. September 2002.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Im Hinblick auf den anstehenden Ruhestand übersandte die Bundesfinanzdirektion West dem Kläger unter dem 6. Mai 2014 u.a. ein Merkblatt über den Versorgungsausgleich. Mit Bescheid vom 19. September 2014 wurden die Versorgungsbezüge ab dem 1. August 2014 um monatlich 500,97 Euro gemäß § 55c Soldatenversorgungsgesetz (SVG) gekürzt. Mit Schreiben vom 30. November 2016 beantragte der Kläger eine Neuberechnung seiner Versorgungsbezüge und gab an, nach dem Gesetz zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr (BwAttraktStG) vom Mai 2015 sei § 55c SVG geändert worden; für bestimmte Soldatengruppen werde die Kürzung der Versorgungsbezüge bis zum Erreichen der Altersgrenze für Polizeibeamte ausgesetzt. Aus Gleichbehandlungsgründen müsse die Aussetzung auch für ihn gelten.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Generalzolldirektion lehnte den Antrag auf Aussetzung des Versorgungsausgleichs mit Bescheid vom 20. Dezember 2016 ab. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 15. März 2017 zurückgewiesen. Die Neuregelung des § 55c Abs. 1 Satz 3 SVG betreffe Soldaten, die wegen Überschreitens der für sie geltenden besonderen Altersgrenze in den Ruhestand versetzt worden seien; nur bei diesen sei die Aussetzung der Kürzung vorgesehen. Der Kläger sei nach § 2 Streitkräftepersonalstruktur-Anpassungsgesetz (SKPersStruktAnpG) ohne Überschreitung seiner besonderen Altersgrenze in den Ruhestand versetzt worden und unterfalle deshalb nicht dieser Ausnahmeregelung. Da er freiwillig in den Ruhestand getreten sei, liege auch kein Fall einer rechtswidrigen Ungleichbehandlung vor.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat am 6. April 2017 Klage erhoben und ausgeführt, die maßgeblichen Regelungen verstießen gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Zudem sei bei ihm die besondere Altersgrenze durch das SKPersStruktAnpG auf das 50. Lebensjahr herabgesetzt worden, so dass er sich auf § 55c Abs. 1 Satz 3 SVG berufen könne. Die Vorschrift müsse zumindest analog zur Anwendung kommen für Sachverhalte, bei denen der Soldat nach § 2 SKPersStruktAnpG in den Ruhestand versetzt worden sei.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der Kläger beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides der Generalzolldirektion, Service-Center Düsseldorf, vom 20. Dezember 2016 und deren Widerspruchsbescheides vom 15. März 2017 zu verpflichten, ihm seit dem 1. Juni 2015 einbehaltene Kürzungsbeträge zu erstatten und ihm Versorgungsbezüge zukünftig ohne Kürzung bis zum Erreichen der in § 5 Bundespolizeibeamtengesetz bestimmten Altersgrenze zu gewähren</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">hilfsweise,</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Versorgungsbezüge ohne Kürzung nach § 55c SVG bis zum Erreichen der in § 5 Bundespolizeibeamtengesetz bestimmten Altersgrenze zu gewähren,</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">sowie die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Sie bezieht sich umfänglich auf die angefochtenen Bescheide und ergänzt, der Kläger sei nach dem SKPersStruktAnpG in den Ruhestand versetzt worden und falle nicht unter die Neuregelung von § 55c Abs. 1 Satz 3 SVG.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach‑ und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten durch den Vorsitzenden ohne mündliche Verhandlung, vgl. §§ 87a Abs. 2, 101 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Klage ist mit dem Haupt- und Hilfsantrag unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung ungekürzter Versorgungsbezüge und eine Erstattung bereits einbehaltener Beträge bzw. eine entsprechende diesbezügliche Feststellung. Der Bescheid vom 20. Dezember 2016 und der Widerspruchsbescheid vom 15. März 2017 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, vgl. § 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil es der Begründung der Bescheide folgt, vgl. § 117 Abs. 5 VwGO. In diesen ist das Begehren des Klägers umfassend gewürdigt und in rechtlich nicht zu beanstandender Weise dargelegt worden, dass die Kürzung seiner Versorgungsbezüge gesetzeskonform erfolgt ist und keine Anhaltspunkte für eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber den Soldaten vorlägen, die nach dem BwAttraktStG wegen Überschreitens der besonderen Altersgrenze in den Ruhestand getreten sind. Auch für eine analoge Anwendung der Vorschriften ist kein Raum.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die Kammer hat bereits mit den Beteiligten bekanntem Urteil vom 13. Oktober 2016 (1 K 1935/15) in einem vergleichbaren Fall entschieden, dass kein Anspruch auf ungekürzte Versorgungsbezüge besteht. In dem Verfahren wird ausgeführt:</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">"Ergänzend bleibt festzuhalten, dass gegen die Anwendung der Kürzungsvorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. Die für Beamte geltende, mit der Norm des § 55c SVG vergleichbare Vorschrift des § 57 BeamtVG ist sowohl unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums als auch hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit den Grundrechten (u.a. Art 6 Abs. 1 GG) sowie hinsichtlich des Gleichbehandlungsgrundsatzes mehrfach verfassungsgerichtlich überprüft worden. Danach ist der Eingriff in die versorgungsrechtliche Position des Ausgleichsverpflichteten, der in dem sofortigen und endgültigen Vollzug des Versorgungsausgleichs bei Eintritt des ausgleichspflichtigen Beamten in den Ruhestand liegt, durch Art 6 Abs. 1 GG und Art 3 Abs. 2 GG legitimiert und insgesamt verfassungsrechtlich unbedenklich.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Urteil vom 28. Februar 1980 - 1 BvL 17/77 u. a. -, BVerfGE 53, 257, und Beschluss vom 9. November 1995 - 2 BvR 1762/92 -, DÖV 1996, 247; BVerwG, Urteil vom 19. November 2015 - 2 C 48/13 -, NVwZ-RR 2016, 467.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Das Bundesverfassungsgericht hat dabei unter ausdrücklicher Billigung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausgeführt, dass der sachliche Grund für die durchzuführende Kürzung des Ruhegehalts nach Eintritt des Beamten in den Ruhestand darin bestehe, dass der Dienstherr durch die Ehescheidung des Beamten bezüglich der gesamten Versorgungsaufwendungen nicht höher belastet werden solle, als wenn der Beamte sich nicht hätte scheiden lassen, wozu es jedoch ohne die Kürzung kommen könne, da die Aufwendungen, die dem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung als Folge der Begründung einer Rentenanwartschaft entstehen, von dem zuständigen Träger der Versorgungslast zu erstatten seien. Zum Ausgleich dieser Belastung diene im Innenverhältnis zwischen dem Dienstherrn und dem Beamten die nach beamtenrechtlichen Grundsätzen vorzunehmende Kürzung der Versorgungsbezüge nach Maßgabe des § 57 BeamtVG (hier § 55c SVG).</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">§ 55c SVG regelt die Kürzung der Versorgungsbezüge allein nach objektiven Voraussetzungen. Auf subjektive Umstände wie Kenntnis oder Verschulden kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Die Kürzung der Versorgungsbezüge ist zwingend durchzuführen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung ist auch nicht darin zu sehen, dass für Soldaten, die aufgrund Überschreitung der besonderen Altersgrenze in den Ruhestand treten, eine durch Art. 10 Nr. 8 BwAttraktStG eingeführte Sonderregelung gilt und die Kürzung bis zum Ende des Monats, in dem sie die Altersgrenze für Polizeivollzugsbeamte auf Lebenszeit erreichen, ausgesetzt wird. Bei dieser Rechtsänderung handelt es sich um eine zulässige Regelung, auf die sich der Kläger nicht berufen kann. Dem steht Art. 3 Abs. 1 GG nicht entgegen, weil der Kläger zur Gruppe der Berufssoldaten gehört, die freiwillig auf eigenen Antrag in den Ruhestand versetzt worden sind, während § 55c Abs. 1 Satz 3 SVG die Gruppe der Soldaten betrifft, die einseitig durch Entscheidung des Dienstherrn wegen Überschreitens der besonderen Altersgrenze (vgl. §§ 44, 45 des Soldatengesetzes) in den Ruhestand versetzt worden sind. Dass der Kläger freiwillig in den Ruhestand getreten ist, folgt bereits aus § 2 Abs. 1 SKPersStruktAnpG. Die Vorschrift verlangt die Zustimmung des betreffenden Soldaten mit seiner Versetzung in den Ruhestand."</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Hieran wird nach nochmaliger Überprüfung und unter Berücksichtigung der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">-               vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13. Februar 2018 - 1 A 2517/16 -, juris, und Bayerischer VGH, Beschluss vom 10. Dezember 2018 - 14 ZB 18.208 -, juris -</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">festgehalten.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Mangels positiver Kostengrundentscheidung bedarf es keines Ausspruchs über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 Sätze 1 und 2 ZPO.</p>
|
188,470 | ovgnrw-2019-01-24-15-a-212517 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 15 A 2125/17 | 2019-01-24T00:00:00 | 2019-02-11T11:04:01 | 2019-02-13T12:21:05 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0124.15A2125.17.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag wird abgelehnt.</p>
<p>Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 8.567,54 € festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die für die Prüfung maßgeblichen Einwände (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) begründen weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) noch führen sie auf besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (2.) oder deren grundsätzliche Bedeutung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (3.).</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen nicht vor.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Ernstliche Zweifel sind gegeben, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird. Sie sind (nur) begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Vgl. zuletzt BVerfG, Beschlüsse vom 16. Januar 2017 - 2 BvR 2615/14 -, juris Rn. 19, und vom 9. Juni 2016 - 1 BvR 2453/12 -, juris Rn. 16, jeweils mit weiteren Nachweisen.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem Antrag,</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">die Bescheide des Bürgermeisters der Beklagten über die Festsetzung und Erhebung des Erschließungsbeitrags nach dem Baugesetzbuch in Verbindung mit der Satzung der Stadt H.    über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen vom 29. Januar 2015 aufzuheben, soweit dort ein Beitrag von mehr als 14.002,14 € festgesetzt ist,</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">zu Recht abgewiesen.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass es sich bei dem abgerechneten Teil der E.-----straße nicht um eine vorhandene Straße im Sinne von § 242 Abs. 1 BauGB handelt. Dies hat es unter anderem damit begründet, dass der in Rede stehende Straßenabschnitt - was die Kläger nicht in Abrede stellen - im Jahr 1961 noch durch den Außenbereich führte, er also keine innerörtliche Anbaustraße darstellte. Dementsprechend könnten noch Erschließungsbeiträge und nicht nur noch Straßenausbaubeiträge nach § 8 KAG NRW erhoben werden.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Wird eine nach dem Willen der Gemeinde endgültig hergestellte und ihre Aufgabe im vollen Umfang erfüllende Außenbereichsstraße infolge des Inkrafttretens eines sie erfassenden Bebauungsplans zu einer Anbaustraße, ist ihr Zustand unter dem Blickwinkel einer erschließungsbeitragsrechtlichen erstmaligen endgültigen Herstellung erneut zu beurteilen. Eine als Außenbereichsstraße endgültig hergestellte Verkehrsanlage kann als beitragsfähige Erschließungsanlage durchaus eine unfertige Anbaustraße sein. Für diese erneute Beurteilung ist abzustellen auf die Anforderungen, von deren Erfüllung die endgültige Herstellung einer beitragsfähigen Anbaustraße in dem Zeitpunkt abhängig ist, in dem die betreffende Verkehrsanlage zur beitragsfähigen Anbaustraße wird. Diese Anforderungen ergeben sich regelmäßig sowohl aus der Merkmalsregelung der einschlägigen Erschließungsbeitragssatzung als auch aus allgemeinen erschließungsrechtlichen Gesichtspunkten über die Eignung einer Verkehrsanlage, den anliegenden Grundstücken eine ausreichende wegemäßige Erschließung (§§ 30 ff. BauGB) zu vermitteln, sowie aus dem konkreten Bauprogramm.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteile vom 5. Mai 2015 - 9 C 14.14 -, juris Rn. 28, und vom 10. Oktober 1995 - 8 C 13.94 -, juris Rn. 17.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Maßgebend für die erschließungsbeitragsrechtliche Beurteilung ist damit § 7 der Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen in der Gemeinde Q.         vom 6. Juli 1962.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Ihr zufolge waren die öffentlichen zum Anbau bestimmten Straßen, Wege und Plätze endgültig hergestellt, wenn sie eine Pflasterung, eine Asphalt-, Teer-, Beton- oder ähnliche Decke neuzeitlicher Bauweise und eine Straßenentwässerung sowie die etwa vorgesehene Beleuchtung aufwiesen und an eine dem öffentlichen Verkehr gewidmete Straße angeschlossen waren.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Daraus ergibt sich, dass die maßgebliche Erschließungsbeitragssatzung die beitragsfähige Erschließungsanlage Straße als (insbesondere) aus einer Fahrbahn mit zugehöriger Entwässerung bestehend definierte.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Vgl. dazu auch OVG NRW, Urteil vom 12. Februar 1998 - 3 A 176/93 -, juris Rn. 10 ff.; sowie außerdem Driehaus/Raden, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 10. Aufl. 2018, § 2 Rn. 47, die zum kunstmäßigen Ausbau auch eine Kanalisation zählen.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Vorliegend fehlte es bis zur hier in Rede stehenden Maßnahme aber an einer Straßenentwässerung. Ob eine „Teileinrichtung Fahrbahn“ - als zum Befahren mit Fahrzeugen bestimmte Fläche - der E.-----straße isoliert betrachtet den örtlichen Ausbaugepflogenheiten mit einem Grundbestand an kunstmäßigem Ausbau entsprach,</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">vgl. insoweit BVerwG, Urteile vom 24. Februar 2010 - 9 C 1.09 -, juris Rn. 15, und vom 11. Juli 2007 - 9 C 5/06 -, juris Rn. 40; OVG S.-H., Urteil vom 24. Oktober 2007 - 2 LB 26/07 -, juris Rn. 43 ff; Driehaus/Raden, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 10. Aufl. 2018, § 2 Rn. 47,</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">ist nach der Merkmalsregelung der maßgeblichen Erschließungsbeitragssatzung unerheblich.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">2. Die Berufung ist nicht gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen der besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten der Rechtssache zuzulassen.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Angriffe der Kläger gegen die Tatsachenfeststellungen oder die rechtlichen Würdigungen, auf denen das angefochtene Urteil beruht, begründeten Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung gäben, die sich nicht ohne Weiteres im Zulassungsverfahren klären ließen, sondern die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern würden. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Dass der Ausgang des Rechtsstreits in dem vorgenannten Sinn offen ist, lässt sich auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens aus den unter 1. genannten Gründen nicht feststellen. Besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten wirft die Rechtssache auch ansonsten nicht auf.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">3. Die Berufung ist nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine im betreffenden Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Dabei ist zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes die Frage auszuformulieren und substantiiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Die von den Klägern gestellte Frage,</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">„welche straßenbautechnischen Mindestanforderungen an die Fahrbahn einer Straße zu stellen sind, damit diese als erstmalig endgültig hergestellte Teileinrichtung im Sinne von § 127 Abs. 3 BauGB qualifiziert werden kann,</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">führt schon deswegen nicht auf einen grundsätzlichen Klärungsbedarf in einem Berufungsverfahren, weil sie sich aus den unter 1. genannten Gründen in einem Berufungsverfahren nicht entscheidungserheblich stellen würde.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p>
|
180,276 | vg-munchen-2019-01-24-m-9-s-1751556 | {
"id": 289,
"name": "Verwaltungsgericht München",
"slug": "vg-munchen",
"city": 158,
"state": 4,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | M 9 S 17.51556 | 2019-01-24T00:00:00 | 2019-02-07T14:19:20 | 2019-02-13T12:21:05 | Beschluss | <h2>Tenor</h2>
<div>
<p>I. Der Antrag wird abgelehnt.</p>
<p>II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.</p>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
<p>I.</p>
<p><rd nr="1"/>Die Antragstellerin wendet sich gegen einen sog. Dublin-Bescheid.</p>
<p><rd nr="2"/>Sie wurde nach eigenen Angaben am ...1998 in P. geboren (Bl. 7 d. Behördenakts - i.F.: BA -). Die Antragstellerin reiste nach wiederholten eigenen Angaben am 14. Februar 2017 u.a. über Italien in das Bundesgebiet ein (Bl. 26 und Bl. 59 d. BA). Sie beantragte am 1. März 2017 förmlich Asyl (Bl. 7 d. BA).</p>
<p><rd nr="3"/>Am 7. April 2017 wurde ein auf den Antragstellervortrag gestütztes Aufnahmegesuch an Italien gerichtet (Bl. 73ff. d. BA); eine Zugangsbestätigung liegt vor (Bl. 85ff. des BA). Die italienischen Behörden haben bis dato nicht geantwortet. Eine im Verwaltungsvorgang befindliche Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender (i.F.: BÜMA) ging dem Bundesamt für ... (i.F.: Bundesamt) laut Eingangsstempel am 20. Februar 2017 zu (Bl. 30 d. BA).</p>
<p><rd nr="4"/>Mit Bescheid vom 23. Juni 2017, Gz. 7063283-461, zugestellt gegen Postzustellungsurkunde am 28. Juni 2017 (Bl. 113 d. BA), lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Ziff. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach <verweis.norm>§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 <v.abk ersatz="AufenthG">AufenthG</v.abk></verweis.norm> nicht vorliegen (Ziff. 2), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Ziff. 3) und befristete das Verbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziff. 4). Wegen der Begründung wird auf den Bescheid Bezug genommen, <verweis.norm>§ 77 Abs. 2 <v.abk ersatz="AsylG">AsylG</v.abk></verweis.norm>.</p>
<p><rd nr="5"/>Die Antragstellerin persönlich hat am 28. Juni 2017 Klage gegen den Bescheid erhoben und Eilantrag gestellt. Vorliegend beantragt sie, hinsichtlich der Abschiebungsanordnung nach Italien die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.</p>
<p><rd nr="6"/>Die Antragstellerin nehme auf die Angaben gegenüber dem Bundesamt Bezug. Es werde weiter darauf hingewiesen, dass die gesamte Familie der Antragstellerin - Schwester, Vater, Mutter - in München lebe; deren Asylverfahren seien noch nicht entschieden worden. Eine Abschiebung nach Italien erscheine unzumutbar, die Antragstellerin wäre dort alleine. Zudem wiesen die humanitären Bedingungen in Italien große Mängel auf.</p>
<p><rd nr="7"/>Das Bundesamt beantragt,</p>
<p>den Eilantrag abzulehnen.</p>
<p><rd nr="8"/>Die Antragsgegnerin beziehe sich auf die angefochtene Entscheidung. Zum weiteren Vortrag der Antragstellerin werde ausgeführt, dass die genannten Personen nicht unter den Begriff des „Familienangehörigen“ i.S.d. Art. 2 lit. g Dublin III-VO fielen. Weiter seien die Personen ohnehin selbst ausreisepflichtig nach Italien.</p>
<p><rd nr="9"/>Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichtssowie die beigezogene Behördenakte.</p>
<p>II.</p>
<p><rd nr="10"/>Der Eilantrag hat keinen Erfolg.</p>
<p><rd nr="11"/>Nach <verweis.norm>§ 80 Abs. 5 <v.abk ersatz="VwGO">VwGO</v.abk></verweis.norm> kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts einerseits und das private Aussetzungsinteresse, also das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu.</p>
<p><rd nr="12"/>An der Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt zutreffend auf <verweis.norm>§ 34a Abs. 1 Satz 1 <v.abk ersatz="AsylG">AsylG</v.abk></verweis.norm> gestützten Abschiebungsanordnung bestehen bei summarischer Prüfung keine Zweifel. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.</p>
<p><rd nr="13"/>Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (i.F.: Dublin III-VO) für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Italien ist hier für die Prüfung zuständig. Dies ergibt sich aus Art. 13 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1 lit. a, <verweis.norm>Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1, Art. 22 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 Satz 2, Abs. 7 <v.abk ersatz="Dublin III">Dublin III</v.abk></verweis.norm>-Von i.V.m. Anhang II, Verzeichnis A und B der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014. Das Aufnahmegesuch stützt sich vorliegend ausdrücklich nicht auf einen Eurodac-Treffer, sondern auf die Angaben der Antragstellerin. Das ist zulässig. Den ausführlichen, wiederholt getätigten und in sich stimmigen Erklärungen der Antragstellerin kommt eine Indizwirkung nach <verweis.norm>Art. 22 Abs. 2 <v.abk ersatz="Dublin III-VO">Dublin III-VO</v.abk></verweis.norm> i.V.m. Anhang II, Verzeichnis B, I. 7. der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 für die Bestimmung des für den Antrag auf internationalen Schutz zuständigen Staates zu, die nicht durch entgegenstehende Indizien oder Beweismittel entkräftet wurde. Die italienischen Behörden haben auf das innerhalb der maßgeblichen 3-Monats-Frist des <verweis.norm>Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 <v.abk ersatz="Dublin III-VO">Dublin III-VO</v.abk></verweis.norm> gestellte Aufnahmegesuch - der Eingang der BÜMA als frühestmögliches Datum einer „Antragstellung“ i.S.v. <verweis.norm>Art. 20 Abs. 2 <v.abk ersatz="Dublin III-VO datiert vom 20">Dublin III-VO datiert vom 20</v.abk></verweis.norm>. Februar 2017 (Bl. 30 d. BA) - nicht reagiert.</p>
<p><rd nr="14"/>Daran ändert auch der Vortrag zur Anwesenheit der Familienmitglieder in Deutschland nichts. Zum einen sind diese nach Angaben des Bundesamts selbst ausreisepflichtig nach Italien, was eine gerichtliche Recherche bestätigte. Zum anderen ist die Antragstellerin im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt, <verweis.norm>§ 77 Abs. 1 <v.abk ersatz="Satz 1">Satz 1</v.abk></verweis.norm> Halbs. 2 AsylG, volljährig; damit sind auch Mutter und Vater keine „Familienangehörigen“ i.S.d. Art. 2 lit. g Dublin III-VO mehr, sodass <verweis.norm>Art. 11 <v.abk ersatz="Dublin III-VO">Dublin III-VO</v.abk></verweis.norm> mit seinen etwaigen positiven Wirkungen von vorn herein nicht (mehr) zur Anwendung kommen kann.</p>
<p><rd nr="15"/>Die Überstellung an Italien ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinn des <verweis.norm>Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 <v.abk ersatz="Dublin III-VO">Dublin III-VO</v.abk></verweis.norm>. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Italien infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des <verweis.norm>Art. 4 der <v.abk ersatz="Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU">Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU</v.abk></verweis.norm>-GRCharta) ausgesetzt wäre. Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (BVerfG, U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 - juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GRCharta) entspricht. Diese Vermutung ist zwar nicht unwiderleglich, vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Betroffenen führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EU-GRCharta ausgesetzt zu werden. Eine Widerlegung der Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten anzunehmen, an die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B.v. 19.3.2014 - 10 B 6.14 - juris).</p>
<p><rd nr="16"/>Das Gericht geht nach den vorliegenden aktuellen Erkenntnissen davon aus, dass in Italien keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im oben genannten Sinne gegeben sind. Dazu wird Bezug genommen auf die einhellige Rechtsprechung, die keine systemischen Mängel hinsichtlich Italiens (an-)erkennt (NdsOVG, B.v. 6.6.2018 - 10 LB 167/18 - juris, bestätigt von BVerwG, B.v. 12.9.2018 - 1 B 50/18, 1 PKH 39/18 - juris; NdsOVG, U.v. 4.4.2018 - 10 LB 96/17 - juris, bestätigt von BVerwG, B.v. 3.9.2018 - 1 B 41/18 - juris; VG Cottbus, B.v. 4.1.2019 - VG 5 L 535/18.A - juris; B.v. 12.7.2017 - 5 L 442/17.A - juris; VG München, B.v. 6.7.2017 - M 9 S 16.51285 - juris; B.v. 20.2.2017 - M 9 S 17.50105 - juris; B.v. 29.12.2016 - M 1 S 16.50997 - juris; VG Hamburg, B.v. 8.2.2017 - 9 AE 5887/16 - juris; VG Düsseldorf, B.v. 18.1.2017 - 12 L 3754/16.A - juris; BayVGH, U.v. 28.2.2014 - 13a B 13.30295 - juris; OVG NW, U.v. 21.6.2016 - 13 A 1896/14.A - juris; NdsOVG, U.v. 25.6.2015 - 11 LB 248/14 - juris; zumeist mit Bezug u.a. auf die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das OVG NW vom 23. Februar 2016 und auf den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016: „Aufnahmebedingungen in Italien - Zur aktuellen Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden in Italien“, einsehbar z.B. über MILO oder Asylfact bzw. in der Gerichtsbibliothek - Dublin-Sammlung: Italien - bzw. teils frei zugänglich im Internet abrufbar). Nach dieser Erkenntnislage erhalten Asylsuchende (Neuankömmlinge und Rückkehrer gleichermaßen) zuverlässig eine Unterkunft - u.a. über die CAS- bzw. über die SPRAR-Einrichtungen - und sonstige Versorgung (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23. Februar 2016, a.a.O., S. 4ff.; Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016, a.a.O., S. 18ff., insb. S. 28ff.). Es werden stetig zusätzliche Aufnahmezentren geschaffen; das Aufnahmesystem in Italien ist innerhalb von vier Jahren von ca. 5.000 Plätzen auf ca. 120.000 Plätze angewachsen (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016, a.a.O., S. 15). Es ist mithin nichts dafür ersichtlich, dass die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung überschritten wäre; dies wäre erst dann der Fall, wenn absehbar wäre, dass auf die erhöhte Zahl von Einwanderern keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung des Problems ergriffen würden (z.B. VG Schwerin, U.v. 26.9.2016 - 16 A 1757/15 As SN - juris; VG Hamburg, B.v. 8.2.2017 - 9 AE 5887/16 - juris; OVG NW, U.v. 18.7.2016 - 13 A 1859/14.A - juris). Probleme bei der Unterbringung in der zweiten Jahreshälfte 2015 rechtfertigen keine andere Einschätzung, da diesbezügliche Schwierigkeiten nicht nur in Italien, sondern in weiten Teilen Europas bestanden. Auch der insgesamt eher kritische Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016, a.a.O., sieht diesbezüglich in erster Linie nur die Aufnahmesituation von „Personen mit Schutzstatus“ in Italien als problematisch an, nicht aber die Bedingungen für Asylsuchende und Dublin-Rückkehrer (vgl. S. 18ff. einerseits und S. 33ff. andererseits). Für Erstere wird, ohne dass es vorliegend tragend darauf ankommt, darauf hingewiesen, dass die Gruppe der „Personen mit Schutzstatus“ hinsichtlich der Versorgungssituation schlicht den Einheimischen gleichgestellt ist (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23. Februar 2016, a.a.O., S. 5; Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016, a.a.O., S. 35 und 50); unabhängig davon ist klarzustellen, dass die Frage „systemischer Mängel“ nur die Durchführung des Asylverfahrens betrifft und dass eine Anwendung dieser Rechtsfigur auf bereits anerkannte Flüchtlinge deshalb ausscheiden muss (ebenso z.B. VG Hamburg, U.v. 9.1.2017 - 16 A 5546/14 - juris in Auseinandersetzung mit anderen Ansichten). Weiter ist festzuhalten, dass die Dublin III-VO gerade nicht zu einem „forum shopping“ dergestalt verhelfen soll, dass der Betroffene ein Recht darauf habe, sich einen Mitgliedstaat für die Prüfung seines Asylantrags auszusuchen, der beispielsweise ein besseres soziales Sicherungssystem oder bessere Unterbringungsmöglichkeiten bietet (statt aller OVG NW, U.v. 10.3.2016 - 13 A 1657/15.A - juris). Auch der Umstand, dass sich die Situation des Antragstellers in Italien eventuell schlechter darstellt als im Bundesgebiet, begründet keinen systemischen Mangel des dortigen Asylverfahrens (vgl. EGMR, E.v. 2.4.2013 - Nr. 27725/10 - juris; VG München, B.v. 9.11.2016 - M 6 S 16.50638 - juris). Alle Asylbewerber haben in Italien kostenfreien Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem (OVG NW, U.v. 22.9.2016 - 13 A 2448/15.A - juris; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23. Februar 2016, a.a.O., S. 6). Alle, auch irregulär anwesende Personen und Rückkehrer, haben ein Recht auf medizinische Grund- und Notfallversorgung bei Krankheit oder Unfall, auch ohne Selbstbehalt (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016, a.a.O., S. 54f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23. Februar 2016, a.a.O., S. 6). Das sog. ticket - der Selbstbehalt - muss darüber hinaus auch langfristig nicht bezahlt werden, solange eine nicht erwerbstätige Person bspw. in einer SPRAR-Einrichtung untergebracht ist oder eine sog. STP-Karte besitzt (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016, a.a.O., S. 56f.). Zugang zu einem Hausarzt und zu weiteren medizinischen Leistungen erhält man über eine Gesundheitskarte, die man ohne weiteres über eine Registrierung bei den lokalen Institutionen erlangt (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016, a.a.O., S. 55).</p>
<p><rd nr="17"/>Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis nach <verweis.norm>§ 60 Abs. 7 <v.abk ersatz="AufenthG">AufenthG</v.abk></verweis.norm> oder ein inlandsbezogenes Vollzugshindernis (BayVGH, B.v. 12.3.2014 - 10 CE 14.427 - juris) wurden nicht behauptet und/oder nach <verweis.norm>§ 60a Abs. 2c Satz 2 <v.abk ersatz="AufenthG">AufenthG</v.abk></verweis.norm> glaubhaft gemacht (zur Heranziehung des § 60a Abs. 2c AufenthG auch i.R.v. zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen vgl. nur BayVGH, B.v. 26.4.2018 - 9 ZB 18.30178 - juris). Die Antragstellerin gab i.R. ihrer Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags an, nicht an Beschwerden, Erkrankungen, Gebrechen oder an einer Behinderung zu leiden (Bl. 68 d. BA). Auch die allgemeinen Verhältnisse in Italien begründen kein Abschiebungsverbot. Unabhängig davon, dass die Versorgungslage in Italien nach Obenstehendem ohnehin unproblematisch ist, handelte es sich bei den angeblich schlechten humanitären Verhältnissen um eine Situation, der die gesamte Bevölkerungsgruppe „Asylbewerber“ (EGMR, U.v. 4.11.2014 - 29217/12, Tarakhel /Schweiz - NVwZ 2015, 127) ausgesetzt wäre, weshalb Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG ausschließlich durch eine generelle Regelung nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt würde. Eine extreme Gefährdungslage, bei der aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus <verweis.norm>Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 <v.abk ersatz="Satz 1 GG">Satz 1 GG</v.abk></verweis.norm> die Sperrwirkung des <verweis.norm>§ 60 Abs. 7 Satz 5 <v.abk ersatz="AufenthG">AufenthG</v.abk></verweis.norm> ausnahmsweise nicht greift (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.1995 - 9 C 9/95 - juris; U.v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - juris), bei der ein Einzelner - hier: die Antragstellerin - mithin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (vgl. 60.7.3.1 AufenthGAVwV; BVerwG, B.v. 8.8.2018 - 1 B 25/18 - juris; U.v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - juris; Göbel-Zimmermann u.a., Asyl- und Flüchtlingsrecht, Stand: 1. Auflage 2017, Rn. 324), liegt in Italien nicht vor.</p>
<p><rd nr="18"/>Die Kostenentscheidung folgt aus <verweis.norm>§ 154 Abs. 1 <v.abk ersatz="VwGO">VwGO</v.abk></verweis.norm>; Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.</p>
<p><rd nr="19"/>Dieser Beschluss ist unanfechtbar, <verweis.norm>§ 80 <v.abk ersatz="AsylG">AsylG</v.abk></verweis.norm>.</p>
</div>
|
|
180,244 | olgham-2019-01-24-4-rbs-119 | {
"id": 821,
"name": "Oberlandesgericht Hamm",
"slug": "olgham",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": "Oberlandesgericht"
} | 4 RBs 1/19 | 2019-01-24T00:00:00 | 2019-02-07T14:18:38 | 2019-02-13T12:21:06 | Beschluss | ECLI:DE:OLGHAM:2019:0124.4RBS1.19.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Das angefochtene Urteil wird mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.</p>
<p>Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsmittels – an das Amtsgericht Olpe zurückverwiesen.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Gründe</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">I.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen Freilandhaltung von Schweinen ohne die erforderliche Genehmigung zu einer Geldbuße von 800 Euro verurteilt. Dazu hat es festgestellt:</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">„Am 05.08.2017 erwarb der Betroffene, der zuvor keine Schweinehaltung betrieb, 15 Ferkel und zeigte dies am 09.08.2017 dem Kreis X – Fachdienst Gesundheit und Verbraucherschutz – an. Er teilte die beabsichtigte Auslaufhaltung der Schweine mit und kündigte an, die hierfür erforderlichen Voraussetzungen in Form einer doppelten Zaunanlage bis zu einem mit der Behörde vereinbarten Ortstermin zu errichten. Er hält die Schweine in einem Nebenanbau eines seinerzeit als Stall für 60 Schweine baurechtlich genehmigten Stallgebäudes, welches zwischenzeitlich anderweitig genutzt wird. Der Gebäudeteil, in dem die Schweine gehalten werden, ist an einer Seite durch eine einfache Verbretterung mit teilweise mehreren Zentimeter großen Lücken zwischen den vertikal stehenden Brettern verschlossen. Die dem Hof abgewandte hintere Seite bietet den Schweinen den Durchgang zum Auslauf und ist nicht verschließbar. Die vierte, dem Hof zugewandte Seite des Anbaus ist offen und nur durch einen Bauzaun verschlossen. Verschließbare Tore sind weder an der Vorderseite zum Hof noch an der Rückseite zum Auslauf vorhanden. Wegen des den Schweinen zur Verfügung stehenden Bereiches sowie des Auslaufs wird auf die Luftbildaufnahme Bl. 39 d.A. Bezug genommen. Wegen der Gestaltung des den Schweinen zur Verfügung stehenden überdachten Bereiches, wird auf das Lichtbild Bl. 40, welches die dem Hof zugewandte Vorderseite zeigt, die zwei Lichtbilder Bl. 55 d.A., welche den Durchgang zum Auslauf zeigen sowie wegen der baulichen Gestaltung des Stallbereichs auf die zwei Lichtbilder Bl. 51 d.A. Bezug genommen. Nachdem die Behörde den Betroffenen im Oktober 2017 mündlich wie auch per E-Mail darauf hinwies, dass es sich um eine genehmigungspflichtige Freilandhaltung und nicht um eine Auslaufhaltung handele, leitete die Behörde das Bußgeldverfahren ein und hörte den Betroffenen mit Schreiben vom 27.11.2017 hierzu an, dessen Zugang der Betroffene bestreitet. Mit dem Einspruch vom 11.01.2018 gegen den am 28.12.2017 erlassenen Bußgeldbescheid wies der Betroffene darauf hin, dass es sich seiner Auffassung nach um eine nur anzeige- nicht aber genehmigungspflichtige Auslaufhaltung handele und er stellte hilfsweise einen Antrag auf Genehmigung der Freilandhaltung, den die Behörde bislang nicht beschieden hat.“</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Gegen das Urteil wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde und macht eine Verletzung materiellen Rechts geltend. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">II.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Die Rechtsbeschwerdebegründung genügt noch den Anforderungen der §§ 79 Abs. 3 OWiG; 344 Abs. 2 StPO. Zwar können Einzelausführungen zur Sachrüge eine Revision oder Rechtsbeschwerde insgesamt unzulässig machen, wenn sie ergeben, dass der Beschwerdeführer in Wahrheit nicht die Rechtsanwendung beanstandet, sondern ausschließlich Beweiswürdigung oder die Richtigkeit der Urteilsfeststellungen angreifen will (BGH NStZ 1991, 597; OLG Hamm NStZ-RR 2001, 117; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 344 Rdn. 19 m.w.N.). So verhält es sich hier aber nicht. Mit der Rechtsbeschwerdeeinlegung hat der Betroffene gleichzeitig die Rüge der Verletzung materiellen Rechts in allgemeiner Form erhoben. Formulierungen in dem Rechtsbeschwerdebegründungsschriftsatz wie, dass „die weiteren Feststellungen leider von den tatsächlichen Gegebenheiten“ abwichen o.ä. geben zwar Anlass zu der Besorgnis, dass der Beschwerdeführer lediglich einen anderen als den amtsgerichtlich festgestellten Sachverhalt vorbringen will. An anderer Stelle wird aber noch hinreichend deutlich, dass er sich insgesamt – wenn auch teilweise unter Anbringung urteilsfremden Sachverhalts – gegen die rechtliche Bewertung des Amtsgerichts, dass es sich bei der Unterbringung der Schweine nicht um einen Stall handele und deswegen (nicht wie vom Betroffenen vertreten) um eine Auslaufhaltung i.S.v. § 2 S. 1 Nr. 11 SchHaltHygV handele, wendet.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">III.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das angefochtene Urteil weist einen durchgreifenden Rechtsfehler zu Lasten des Betroffenen auf.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Zu Unrecht verneint das Amtsgericht, dass es sich bei dem Gebäude, in dem die Schweine gehalten werden, um ein festes Stallgebäude i.S.v. § 2 S. 1 Nr. 2 und Nr. 11 SchHaltHygV handelt und bejaht statt dessen eine Haltung „im freien ohne feste Stallgebäude lediglich mit Schutzeinrichtungen“. Eine solche Freilandhaltung, die dann ohne Genehmigung betrieben den Bußgeldtatbestand nach § 12 Nr. 2 SchHaltHygV i.V.m. § 32 Abs. 2 Nr. 4a TierGesG erfüllen würde, ergeben die Feststellungen des Amtsgerichts bzw. seine rechtliche Wertung aber nicht.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Das Amtsgericht stützt seine Argumentation darauf, dass der Schutzzweck der  SchHaltHygV die Tierseuchenprävention sei. Maßgeblich für das Vorliegen eines Stallgebäudes i.S.v. § § 2 S. 1 Nr. 2 SchHaltHygV sei, dass ein solches gegen das Eindringen von potentiell krankheitsübertragenden Wildtieren  in den Schweinebestand zuverlässig verhinderte. Das sei vorliegend nicht gewährleistet und mithin auch kein Stallgebäude gegeben. Dabei verkennt es aber die unterschiedlichen Bußgeldtatbestände nach § 12 Nr. 1 und Nr. 2 SchHaltHygV. Während Nr. 2 das Betreiben einer Freilandhaltung ohne Genehmigung bußgeldbewehrt, sanktioniert Nr. 1 eine Haltung der Tiere entgegen der Anforderungen nach §§ 3, 4 Abs. 1 und 2 SchHaltHygV, also auch etwa einen Verstoß gegen die baulichen Voraussetzungen und betrieblichen Anforderungen nach Anlage 1. Würde jeglicher Verstoß gegen die Anforderungen an die Ausführung des Stalls bereits dazu führen, dass das Vorliegen eines Stalls verneint wird, so würde die Bußgeldvorschrift nach § 12 Nr. 1 i. V. m. § 3 SchHaltHygV aber leer laufen.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Weiter verkennt das Amtsgericht, dass die Freilandhaltung eine Haltung der Schweine im Freien ohne feste Stallgebäude lediglich mit Schutzeinrichtungen voraussetzt (§ 2 S. 1 Nr. 11 SchHaltHygV). Schon die Feststellungen in den Urteilsgründen selbst sprechen gegen eine Haltung der Tiere im Freien, sind sie doch in einem festen Gebäude untergebracht. Aus den Lichtbildern, auf die zulässig nach § 267 Abs. 1 S. 3 StPO verwiesen wurde ergibt sich zudem, dass die Schweine in einem komplett überdachten Gebäude, welches an einer Seite an ein geschlossenes anderes Gebäude angrenzt, an der diesem gegenüberliegenden Seite durch eine geschlossene Bretterwand vom Boden bis zum Dach begrenzt ist. Auf dem Lichtbild Bl. 40 ist erkennbar, dass eine weitere Seite des Gebäudes durch einen unter der Überdachung stehenden Bauzaun begrenzt ist, die gegenüberliegende Seite lässt eine Bretterwand mit möglicherweise einem Tor erkennen. Auf den Lichtbildern Bl. 55 ist eine Bretterwand an der Kopfseite des Gebäudes mit einer geöffneten Fläche erkennbar. Ob es sich hierbei um das vorbenannte Tor in geöffnetem Zustand handelt, bleibt unklar. Jedenfalls befindet sich deutlich in den Innenraum des Gebäudes versetzt ein Zaun, hinter dem sich, das zeigen die Bilder Bl. 51 d. A., die Schweine befinden. Bei diesen Gegebenheiten kann nicht von einer Unterbringung der Tiere „im Freien“ gesprochen werden. Schon mit dem Wortlaut der Regelung ist dies nicht vereinbar. „Im Freien“ bedeutet laut Duden Online-Wörterbuch etwa „draußen“ oder „außerhalb eines Raumes“. Eine solche Unterbringung liegt nicht vor. Auch systematische Erwägungen sprechen gegen die Annahme, die Tiere wären „im Freien“ untergebracht. Diese Unterbringungsart steht nämlich in Abgrenzung zu anderen Unterbringungsarten mit festen Stallgebäuden, wie etwa die Auslaufhaltung-. Ein Stall ist nach § 2 S. 1 Nr. 2 SchHaltHygV aber dadurch gekennzeichnet, dass es sich um einen  räumlich, lüftungstechnisch und funktionell abgegrenzten Haltungsbereich innerhalb eines Betriebes handelt. Diese Voraussetzungen erscheinen aber nach den in Bezug genommenen Lichtbildern als gegeben.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Da weitere Feststellungen möglich sind, welche jedenfalls einen Verstoß gegen § 12 Nr. 1 i. V. m. § 3 SchHaltHygV ergeben könnten, war das angefochtene Urteil mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen (§ 79 Abs. 6 OWiG).</p>
|
180,243 | ovgnrw-2019-01-24-6-b-139818 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 6 B 1398/18 | 2019-01-24T00:00:00 | 2019-02-07T14:18:38 | 2019-02-13T12:21:06 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0124.6B1398.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten es für erledigt erklärt haben. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 12. September 2018 - 1 L 1465/18 - ist insoweit wirkungslos.</p>
<p>Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.</p>
<p>Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen die Antragstellerin zu ¾ und der Antragsgegner zu ¼.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 10.000,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Nachdem die Antragstellerin und der Antragsgegner das Verfahren übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, soweit es die Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit im Umfang von acht Stunden - auf 33 Wochenstunden - betrifft, ist das Verfahren diesbezüglich in entsprechender Anwendung der §§ 87a Abs. 1 Nrn. 3 und 4, Abs. 3, 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts ist insoweit wirkungslos (vgl. § 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO analog).</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die danach noch anhängige Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Aus den in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründen, die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht dem erstinstanzlich gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung insoweit - (weitere) Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit um neun Stunden auf 24 Wochenstunden - hätte stattgegeben müssen.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat den begehrten Erlass der einstweiligen Anordnung abgelehnt, dem Antragsgegner aufzugeben, der Antragstellerin zum Zwecke der Pflege ihrer Großmutter Teilzeittätigkeit im Umfang von 24 Stunden pro Woche ab dem 1. September 2018 zu genehmigen sowie vorläufig - bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache - ihren Einsatz in der Bereitschaftspolizei Hundertschaft zu unterlassen. Beide Anträge seien nach § 123 VwGO statthaft. In Bezug auf den Einsatz in der Bereitschaftspolizei-Hundertschaft greife nicht die Subsidiaritätsklausel des § 123 Abs. 5 VwGO ein, da dieser als Umsetzung und damit nicht als Verwaltungsakt zu qualifizieren sei. Beide Anträge seien jedoch unbegründet, da der Antragstellerin jedenfalls kein Anordnungsanspruch zur Seite stehe (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, 294 ZPO). Hinsichtlich des Begehrens auf Bewilligung von Teilzeitbeschäftigung im beantragten Umfang von 24 Wochenstunden lägen die Voraussetzungen des § 64 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW nicht vor. Denn die von dieser Regelung verlangte Kongruenz zwischen Umfang der beantragten Teilzeitgewährung und beabsichtigter Pflege der nahestehenden Person sei nicht glaubhaft gemacht. Ihre durch eidesstattliche Versicherung vom 22. August 2018 bekräftigte Darstellung zur Pflege der Großmutter sei mit dem Pflegegutachten vom 6. Juni 2018 nicht in Einklang zu bringen. Der darin dargestellte, auf den Angaben der Pflegeperson bzw. der Angehörigen beruhende und nach Auffassung der Gutachterin „nachvollziehbare“ zeitliche Pflegeumfang von „3 Tagen und 8 Stunden pro Woche“ bleibe deutlich hinter der verlangten Reduzierung des wöchentlichen Arbeitspensums um 17 Stunden zurück. Die Angaben der Antragstellerin zum höheren zeitlichen Pflegeaufwand seien nicht plausibel. Die auf die Vergangenheit bezogenen Angaben (Pflege morgens von 7:30 bis 8:30 und abends zwischen 18 und 19 Uhr) seien bereits nicht mit ihrem bisherigen Schichtdienst in Einklang zu bringen, der nur ausnahmsweise in Form von dies ermöglichenden „Zwischendiensten“ (10 bis 18 Uhr) geleistet worden sei. Hinsichtlich der beabsichtigten Umsetzung zur Bereitschaftspolizei-Hundertschaft sei das mit Blick auf die Pflege der Großmutter (wohl) eingeengte Ermessen des Dienstherrn jedenfalls nicht fehlerhaft ausgeübt. Bei der Zuordnung der Arbeitsschichten solle nach Angaben der Führung der Einsatzhundertschaft mindestens ein täglicher morgendlicher Besuch ermöglicht werden. Mehrtägige Einsätze kämen nur selten vor; Sondereinsätze würden gewöhnlich mehrere Tage oder Wochen vorher bekannt gegeben. Eine gelegentliche Vereitelung der Pflegemöglichkeit stehe der Ermessensfehlerfreiheit nicht entgegen, da sich bei dem gewählten Beruf einer Polizeivollzugsbeamtin Sondereinsätze auch in anderen Bereichen nie vollkommen ausschließen ließen. Dass ein Einsatz in der Hundertschaft eine Pflege entweder nur morgens oder nur abends ermögliche, sei unbedenklich; denn es sei nicht ersichtlich, dass sich wesentliche Betreuungsmaßnahmen (Vorbereiten von Mahlzeiten, Bereitstellen von Medikamenten) nicht vorbereiten ließen. Im Übrigen sei der von der Antragstellerin angegebene tägliche Pflegeaufwand mit Blick auf das Pflegegutachten nicht glaubhaft gemacht.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Der hiergegen erhobenen Einwände der Beschwerde greifen - jedenfalls in Bezug auf den noch anhängigen Verfahrensgegenstand - nicht durch. Die Antragstellerin hat auch unter Berücksichtigung ihres Vorbringens im Beschwerdeverfahren nicht glaubhaft gemacht, dass entgegen den Annahmen des Verwaltungsgerichts eine Kongruenz zwischen der begehrten Teilzeitbewilligung auf 24 Wochenstunden, also im Umfang von neun weiteren Wochenstunden, und der beabsichtigten Pflegetätigkeit besteht und ihr damit eine Teilzeitbeschäftigung im Umfang von weniger als 33 Wochenstunden auf der Grundlage des § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LBG NRW zu bewilligen wäre. Das vom Verwaltungsgericht in den Mittelpunkt seiner Begründung gerückte Erfordernis der zeitlichen Kongruenz von Teilzeitbewilligung und Pflegeaufwand stellt die Beschwerde nicht grundsätzlich in Frage, sondern beruft sich (lediglich) auf einen tatsächlich höheren Pflegeaufwand.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Nicht zum Erfolg führt in diesem Zusammenhang der Einwand, das Pflegegutachten enthalte (auf Seite 3) keine Angaben, wie der festgestellte Pflegeumfang von drei Tagen bzw. acht Stunden auf die tägliche Pflege zu verteilen sei, und decke im Übrigen einen Pflegeumfang von zehn Stunden pro Woche. Dieses Vorbringen lässt nichts für eine Kongruenz im Umfang der begehrten Teilzeitbeschäftigung erkennen. Auch bei einem Pflegeumfang von 10 Stunden pro Wochen geht die beantragte Stundenreduzierung um insgesamt 17 Wochenstunden - eine Teilzeitbeschäftigung im Umfang von 33 Wochenstunden, d.h. eine Reduzierung um acht Wochenstunden hat der Antragsgegner unter dem 17. September 2018 mittlerweile genehmigt - erheblich hinaus. In welchem Umfang An- und Abfahrtzeiten möglicherweise im Rahmen der Kongruenz zu berücksichtigen wären, bedarf hier keiner näheren Überprüfung, da insoweit mit dem Beschwerdevorbringen keine nähere Konkretisierung erfolgt.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Entgegen der Auffassung der Beschwerde lassen sich aber auch den weiteren Angaben in dem Pflegegutachten keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass ein zum Umfang der begehrten Stundenreduzierung kongruenter Pflegeaufwand gegeben ist. Die Beschwerde verweist darauf, dass in dem Gutachten das - tägliche - Stellen von Medikamenten, die Hilfe beim Öffnen von Getränkeflaschen oder beim Ausstieg aus Dusche/Wanne angeführt würden. Diesen Umständen lässt sich indessen für sich gesehen nichts Konkretes für den (notwendigen) zeitlichen Pflegeumfang pro Woche entnehmen. Soweit die Antragstellerin mit diesem Vorbringen (wohl) zum Ausdruck bringen will, dass es einer täglichen Pflege oder sogar zweimal täglichen Unterstützung ihrer Großmutter bedürfe, gibt dies nichts hinreichend Konkretes im Hinblick auf die - hier streitgegenständliche - Frage des gebotenen wöchentlichen zeitlichen Pflegeumfangs bzw. der Kongruenz der begehrten Teilzeitbewilligung her. Unabhängig davon lässt sich ein täglicher bzw. zweimal täglicher Pflegebedarf dem Pflegegutachten jedenfalls nicht so, wie von der Beschwerde dargestellt, entnehmen. Von einem Erfordernis, täglich Medikamente zu stellen, ist dort anders als mit der Beschwerde vorgetragen gerade nicht die Rede. Nach den unter Ziffer 1.2 geschilderten Angaben der Versicherten und der Angehörigen müsse das Stellen der Medikamente zwar übernommen werden, die Einnahme erfolge aber selbständig. Weiter wird unter Ziffer 6.2.2 des Pflegegutachtens aufgeführt, dass die Zubereitung einfacher Mahlzeiten „selbständig“ erfolge, und unter Ziffer 4.4.7, dass mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Eingießen von Getränken „überwiegend selbständig“ stattfänden. Waschen, Körperpflege, Duschen und Toilettengängen erfolgen ebenso wie das An- und Auskleiden „selbständig“ bzw. „überwiegend selbständig“ (Ziffer 4.4). Insbesondere wird auch die für die „Bewältigung der Folgen einer Harninkontinenz“ - entgegen dem Beschwerdevorbringen - festgestellt, dass dies „selbständig“ stattfinde (Ziffer 4.4.11).</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Teilzeitermäßigung in dem begehrten Umfang (auch) deswegen geboten ist, weil die Antragstellerin mehr Zeit benötige als eine professionelle Pflegekraft, werden mit der Beschwerde ebenfalls nicht aufgezeigt.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich des Antrags der Antragstellerin, vorläufig ihren Einsatz in der Bereitschaftspolizei-Hundertschaft zu unterlassen, dringt die Beschwerde mit ihren Einwänden nicht durch. Insbesondere macht sie nicht erkennbar, dass der Antragsgegner entgegen den Feststellungen des Verwaltungsgerichts sein Umsetzungsermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt hätte. Der vom Verwaltungsgericht zitierten Einschätzung der Führung der Einsatzhundertschaft, wonach der Antragstellerin bei den Modalitäten des Arbeitseinsatzes durch die Zuordnung zu bestimmten Arbeitsschichten jedenfalls ein täglicher morgendlicher Besuch bei der Großmutter ermöglicht werden solle, tritt die Beschwerde nicht substantiiert entgegen. Entsprechendes gilt mit Blick auf mehrtägige Einsätze, die nach der genannten Stellungnahme der Führung der Einsatzhundertschaft „nur selten“ vorkämen (zwischen Januar 2017 und August 2018 fünfmal in einem Gesamtumfang von 22 Tagen) und zudem gewöhnlich mehrere Tage oder Wochen vorher bekannt seien. Allein der Hinweis, dass die Hundertschaften beim Einsatz im „Hambacher Forst“ über mehrere Wochen rund elf Stunden am Stück eingesetzt worden seien, bietet keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die Pflege der Großmutter durch die Antragstellerin mit der Umsetzung in rechtsfehlerhafter Weise eingeschränkt oder vereitelt würde, zumal sich die Einsatzbelastung durch die polizeiliche Lage im Hambacher Forst ausweislich der Stellungnahme des Antragsgegners vom 11. Oktober 2018 deutlich beruhigt habe und aktuell nur noch eine untergeordnete Rolle spiele.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung hinsichtlich des erledigten Teils beruht auf § 161 Abs. 2 VwGO. Danach ist über die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Es ist ermessensgerecht, die Kosten des erledigten Teils dem Antragsgegner aufzuerlegen. Dieser hat dem Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Teilzeitbeschäftigung durch die spätere Reduzierung der Arbeitszeit im Umfang von 33 Wochenstunden teilweise Rechnung getragen. Die Kostenentscheidung im Übrigen - hinsichtlich der begehrten weiteren Reduzierung auf 24 Wochenstunden sowie des Antrags, ihren Einsatz in der Hundertschaft zu unterlassen - folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 39 Abs. 1 GKG. Eine den grundsätzlich vorläufigen Charakter des Eilverfahrens berücksichtigende Verminderung des sich aus der genannten Vorschrift ergebenden Wertes ist nicht geboten, da die für die Streitwertbemessung maßgeblichen Rechtsschutzanträge hier auf die jedenfalls vorläufige Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet sind. Eine Reduzierung des Streitwerts ab dem Zeitpunkt der teilweisen Erledigung der Hauptsache kommt nicht in Betracht; der Regelstreitwert ist auch für den verbleibenden Streitgegenstand festzusetzen.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p>
|
180,242 | ovgnrw-2019-01-24-6-a-118118 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 6 A 1181/18 | 2019-01-24T00:00:00 | 2019-02-07T14:18:38 | 2019-02-13T12:21:06 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0124.6A1181.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<h1><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></h1>
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Der Kläger stützt ihn auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Dieser Zulassungsgrund ist nicht gegeben.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich dieses Zulassungsgrundes bedarf es einer auf schlüssige Gegenargumente gestützten Auseinandersetzung mit den entscheidungstragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts. Dabei ist innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO in substantiierter Weise darzulegen, dass und warum das vom Verwaltungsgericht gefundene Entscheidungsergebnis ernstlich zweifelhaft sein soll. Diese Voraussetzung ist nur dann erfüllt, wenn das Gericht schon auf Grund des Antragsvorbringens in die Lage versetzt wird zu beurteilen, ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen. Diesen Anforderungen genügt die Antragsschrift nicht.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der Zulassungsantrag begründet keine ernstlichen Zweifel an der Annahme des Verwaltungsgerichts, die gemäß Ziffer 9 der Richtlinie zur Durchführung der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) im öffentlichen Dienst im Lande Nordrhein-Westfalen (RdErl. d. Innenministeriums vom 14. November 2003 - 25 – 5.35.00 – 5/03 -) erforderlichen dringenden dienstlichen Gründe für die Umsetzung des Klägers hätten vorgelegen. Das Gericht hat zu Recht für ausreichend gehalten, dass die örtliche Forstbetriebsgemeinschaft I.         für den Fall, dass der Kläger auf dem Dienstposten der Leitung des Forstbetriebsbezirks belassen werde, mit einer Kündigung des Vertrages über die Beförsterung im Bereich der Forstbetriebsgemeinschaft gedroht hatte und in der Folge ein erheblicher wirtschaftlicher Schaden zu befürchten gewesen wäre.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Damit hat das Gericht entgegen der Auffassung des Klägers keinen unzutreffenden oder unklaren, näher aufzuklärenden Sachverhalt zugrunde gelegt. Das Verwaltungsgericht hat das Inaussichtstellen der Kündigung aus wichtigem Grund für den Fall der Weiterbeschäftigung des Klägers auf dem Dienstposten der ausführlichen E‑Mail des Fachgebietsleiters Privat- und Körperschaftswald des Regionalforstamts N.          T., I1.  , vom 15. Januar 2016 sowie dem Schreiben des Vorsitzenden der Forstbetriebsgemeinschaft I.         vom 25. November 2015 entnommen. Herr I1.         hat in seiner E-Mail im Einzelnen geschildet, der Vorstand der Forstbetriebsgemeinschaft I.         habe ihm anlässlich der Vorstandssitzung am 14. Januar 2016 mitgeteilt, man werde den kurz zuvor geschlossenen Beförsterungsvertrag mit dem Landesbetrieb Wald und Holz aus wichtigem Grund kündigen, wenn der Kläger wieder im Forstbetriebsbezirk beschäftigt werde. Dabei konnte das Verwaltungsgericht ebenso wie das beklagte Land von der inhaltlichen Richtigkeit der Mitteilung ausgehen; greifbare Anhaltspunkte für das Gegenteil teilt auch der Kläger nicht mit. Eine hiervon zu unterscheidende Frage ist es, auf welchem Weg, insbesondere auf Veranlassung welcher und wie vieler Mitglieder der Vorstand zu dieser Ankündigung gekommen ist. Insoweit gilt ebenfalls, dass das beklagte Land die Ankündigung des für die Forstbetriebsgemeinschaft handelnden Vorstands ohne Weiteres zugrunde legen konnte, solange es keinen Anlass hatte anzunehmen, dass sie nicht ernst zu nehmen sei. Für Letzteres hat der Kläger weiterhin nichts von Substanz vorgetragen.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Vgl. bereits OVG NRW, Beschluss vom 17. Juni 2016 - 6 B 351/16 -, juris Rn. 12.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Dergleichen wird insbesondere nicht in nachvollziehbarer Weise mit dem Hinweis darauf dargetan, in der Entscheidung der Mitgliederversammlung vom 19. November 2015 werde der Kläger nicht erwähnt. Das Gegenteil ist richtig. Insoweit ist von hinreichender Aussagekraft, dass in der Versammlung die Verlängerung des Beförsterungsvertrags unter ausdrücklicher Beauftragung des Vorstands erfolgt ist, bei Unterzeichnung des Vertrages dafür Sorge zu tragen, dass der jetzt eingesetzte Revierförster - hierbei handelte es sich um Herrn Kermes - auch weiterhin für die Forstbetriebsgemeinschaft I.     seinen Dienst versehen werde. Der Umstand, dass auf die weitere Verwendung von Herrn L.      auf dem Dienstposten besonderer Wert gelegt wurde, gibt vor dem Hintergrund des übrigen Geschehens einen deutlichen Hinweis darauf, dass gegen den Einsatz der vorher dort beschäftigten Person - also des Klägers - gewichtige Einwände bestanden. Von einem "an verschiedenen Stellen offenen und in sich widersprüchlichen Sachverhalt" kann nach Allem nicht ansatzweise die Rede sein.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Erfolglos verweist der Zulassungsantrag weiter darauf, es sei fraglich, ob die Beschäftigung des Klägers im Forstbetriebsbezirk I.         überhaupt einen wichtigen Grund für die Kündigung des Beförsterungsvertrags darstellen könnte. Auf eine darüber zu führende rechtliche Auseinandersetzung musste es das beklagte Land nicht ankommen lassen. Ebenso wenig ist es von Belang, ob eine solche Kündigung wirtschaftlich vernünftig wäre. Dringende dienstliche Gründe für die Umsetzung des Klägers dürften im Übrigen schon deshalb anzunehmen sein, weil das Vertrauensverhältnis zwischen der Forstbetriebsgemeinschaft I.         und dem Kläger in einer Weise gestört war, dass die Kündigung des Beförsterungsvertrags für den Fall seiner Weiterbeschäftigung auf dem Dienstposten angekündigt wurde.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Dem Kläger kann auch nicht in seiner Auffassung gefolgt werden, der für seine Umsetzung angegebene Grund sei nur vorgeschoben, was sich daraus ergebe, dass die E-Mail des Herrn I1.    vom 15. Januar 2016 datiere, die Anhörung des Personalrats zu seiner Umsetzung aber schon am 14. Januar 2016 erfolgt sei. Hierbei lässt er unerwähnt, dass dem unter anderem die oben erwähnte Entscheidung der außerordentlichen Mitgliederversammlung vom 19. November 2015, über die der Vorsitzende der Forstbetriebsgemeinschaft I.      das Regionalforstamt N.    T.   mit Schreiben vom 25. November 2015 unterrichtet hatte, sowie die lediglich aus formalen Gründen aufgehobene Umsetzungsverfügung vom gleichen Tag vorausgegangen war.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Entgegen der Zulassungsbegründung kann ferner auch von einem "eklatanten Ermessensfehl- bzw. -nichtgebrauch" nicht ausgegangen werden. Hierfür verweist der Kläger allein auf die Formulierung in der Verfügung vom 28. Januar 2016, seine Umsetzung sei "alternativlos". Richtig ist zwar, dass dieser - häufig im politischen Bereich gebrauchte und von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum Unwort des Jahres 2010 gekürte - Begriff seinem Wortsinn nach eine Entscheidung meint, zu der es keine Alternative gibt und die daher nur in einer Weise ergehen kann. Gleichwohl wird er üblicherweise in einer Bedeutung verwendet, wonach die gewählte Alternative sich gegenüber der in Betracht kommenden Alternative oder den in Betracht kommenden weiteren Entscheidungsmöglichkeiten nach Abwägung der Umstände als offensichtlich vorzugswürdig erweist. Sie bezeichnet damit regelmäßig keine rechtlich zwingende oder "gebundene" Entscheidung. Dass das beklagte Land den Begriff nicht in letzterer Weise verwendet, sondern den ihm zustehenden Ermessensspielraum erkannt und ausgefüllt hat, wird an den Ausführungen in der Verfügung vom 28. Januar 2016 deutlich, wonach mit der oben genannten Richtlinienbestimmung eine stark ermessenslenkende Regelung anzuwenden sei, mit der der Landesbetrieb Wald und Holz Nordrhein-Westfalen sich im Rahmen der Abwägung für oder gegen eine Umsetzung auseinandergesetzt habe. Es folgt eine eingehende Auseinandersetzung mit den Umständen des Falls (Seite 3 bis 5 der Verfügung).</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Inwieweit der Umstand, dass in acht von 19 Forstbetriebsbezirken des Nachbarforstamts L1.    T.    keine Beförsterungsverträge mit den örtlichen Forstbetriebsgemeinschaften abgeschlossen sind, die rechtliche Bewertung des Streitfalls beeinflussen müsste, legt der Zulassungsantrag nicht dar.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">S. dazu bereits auch OVG NRW, Beschluss vom 17. Juni 2016 - 6 B 351/16 -, a.a.O. Rn. 17.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Schließlich ist der Zulassungsbegründung nichts Greifbares dafür zu entnehmen, dass der Dienstherr mit der Umsetzung allein die Absicht verfolgt, dem Kläger "mehr oder minder stupide Schreibtischtätigkeiten aufzuerlegen", und damit "sachfremden Sanktionscharakter hat".</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 40, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).</p>
|
180,241 | ovgnrw-2019-01-24-6-b-157418 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 6 B 1574/18 | 2019-01-24T00:00:00 | 2019-02-07T14:18:37 | 2019-02-13T12:21:06 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0124.6B1574.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beschwerde wird zurückgewiesen.</p>
<p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf die Wertstufe bis 10.000,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Aus den in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründen, die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht dem erstinstanzlich gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hätte stattgegeben müssen.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung, der Antragsgegnerin zu untersagen, die ausgeschriebenen Planstellen 33/1218 und 33/1219 „Atemschutz“ im Fachbereich Feuerwehr mit einem Mitkonkurrenten zu besetzen, bis über die Bewerbung des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu entschieden worden ist, mangels Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO) abgelehnt. Die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin genüge zwar den Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG nicht, weil die ihr zugrunde liegenden dienstlichen Beurteilungen des Antragstellers und des Beigeladenen zu 1. fehlerhaft seien. Es erscheine aber ausgeschlossen, dass sich der Antragsteller in einer neuen, fehlerfreien Auswahlentscheidung durchsetzen könne. Das Gesamturteil der dienstlichen Anlassbeurteilung des Antragstellers vom 24. April 2018 sei nicht ausreichend begründet. Die Formulierungen blieben ohne Substanz und machten nicht plausibel, weshalb bei der Bewertung von sieben Einzelmerkmalen mit der „Note 5“ und neun Einzelmerkmalen mit der „Note 4“ die „Gesamtnote 4“ vergeben worden sei. Hinsichtlich der dienstlichen Anlassbeurteilung des Beigeladenen zu 1. vom 24. April 2018 sei der zugrunde liegende Beurteilungszeitraum mit fünf Monaten zu kurz, da Nr. 3.2 der Richtlinien für die dienstliche Beurteilung der Beschäftigten der Stadt I.     (im Folgenden: BRL) einen Mindestbeurteilungszeitraum von sechs Monaten vorsehe. Die Rüge des Antragstellers, seine Beurteilung beruhe auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage, überzeuge hingegen nicht. Erstbeurteiler sei, wie durch Nr. 4.5 BRL vorgegeben, Oberbrandrat E.       als Leiter der Abteilung Einsatzorganisation. Der für die Wachabteilung des Antragstellers zuständige Wachleiter (Brandamtmann C.         ) und der 1. Gruppenführer vom Dienst (Hauptbrandmeister E1.      ) seien entsprechend den Vorgaben der BRL mit Beurteilungsentwürfen beteiligt worden. Den Anforderungen an die Gewichtung der Einzelmerkmale werde die Beurteilung gerecht. Trotz der festgestellten Rechtsfehler könne der Antragsteller indessen keine erneute Entscheidung über seine Bewerbung beanspruchen, denn der der Antragsgegnerin verbleibende Spielraum sei in einer die Auswahl des Antragstellers ausschließenden Weise begrenzt. Dieser müsse die erneute Auswahlentscheidung auf der Grundlage der um die erforderliche Begründung des Gesamturteils ergänzten Beurteilung des Antragstellers, der dienstlichen Beurteilung des Beigeladenen zu 1. vom 2. Oktober 2017 (richtig: vom 25. September 2017, ihm bekannt gegeben am 2. Oktober 2017) und der dienstlichen Beurteilung des Beigeladenen zu 2. vom 27. April 2018 treffen. Die dabei erforderlich werdende Auswertung der Einzelmerkmale könne bei jeder denkbaren Gewichtung - aufgrund des ganz deutlichen Überwiegens der höheren Notenwerte - keine andere Entscheidung als die Auswahl der Beigeladenen plausibel begründen.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die mit der Beschwerde gegen diese näher begründeten Feststellungen des Verwaltungsgerichts erhobenen Einwendungen greifen nicht durch.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde macht ohne Erfolg geltend, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht zu der Einschätzung gelangt, dass die festgestellten Rechtsfehler im Ergebnis nicht kausal für die Auswahlentscheidung gewesen seien und der Antragsteller bei einer neuen Auswahlentscheidung chancenlos wäre. Es habe rechtlich unzutreffend darauf abgestellt, dass dabei auf die vorangegangene Beurteilung des Beigeladenen zu 1. (Zeitraum 22. Juni 2016 bis zum 2. Juli - gemeint: Oktober - 2017) abgestellt werden könne, weil diese hinreichend aktuell und auch mit den Beurteilungen der übrigen Bewerber vergleichbar sei.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde rügt zu Unrecht die fehlende Aktualität der vom Verwaltungsgericht herangezogenen Beurteilung des Beigeladenen zu 1. sowie die unzureichende Vergleichbarkeit dieser Beurteilung mit der Beurteilung des Antragstellers in zeitlicher Hinsicht.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die Eignung aktueller dienstlicher Beurteilungen als Instrument zur „Klärung einer Wettbewerbssituation“ erfordert die Gewährleistung ihrer Vergleichbarkeit auch in zeitlicher Hinsicht und setzt aus Gründen der Chancengleichheit voraus, dass keinem der Bewerber ein nennenswerter Aktualitätsvorsprung erwächst. Dabei ist es für die Vergleichbarkeit dienstlicher Beurteilungen grundsätzlich von weitaus größerer Bedeutung, dass der von ihnen abgedeckte Zeitraum zum gleichen Zeitpunkt oder zumindest nicht zu erheblich auseinander fallenden Zeitpunkten endet, als dass der jeweils erfasste Beurteilungszeitraum zum gleichen Datum beginnt.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 6. Juni 2017 - 6 B 33/17 -, juris Rn. 12, vom 7. November 2016 - 6 B 1091/16 -, juris Rn. 5, vom 30. September 2015 - 6 B 1012/15 -, juris Rn. 10 ff., vom 5. Juni 2014 - 6 B 360/14 - , juris Rn. 6 ff., und vom 11. Oktober 2013 ‑ 6 B 915/13 -, juris Rn. 4, mit weiteren Nachweisen; auch BVerwG, Beschluss vom 12. April 2013 ‑ 1 WDS-VR 1.13 -, juris Rn.39 f.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Danach ist hier eine hinreichende Vergleichbarkeit der vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Beurteilungen gegeben. Die Beurteilung des Beigeladenen zu 1. vom 25. September 2017 umfasst den Zeitraum vom 22. Juni 2016 bis zum 25. September 2017, die Beurteilung des Antragstellers vom 24. April 2018 den Zeitraum vom 3. Januar 2017 bis zum 9. März 2018. Die Endzeitpunkte der Beurteilungen differieren danach lediglich um etwa fünf Monate. Ein derartiges zeitliches Auseinanderfallen ist unbedenklich.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. Juni 2017 - 6 B 206/17 -, juris Rn. 11; Nds.OVG, Beschluss vom 18. Februar 2016 - 5 ME 2/16 -, juris Rn. 22 f.; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 2. Juli 2014 - 10 B 10320/14 -, juris Rn. 11 f.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die zeitliche Überschneidung der beiden Beurteilungszeiträume - soweit man diese überhaupt für erforderlich hält - beträgt immerhin etwa neun Monate und damit deutlich mehr als die Hälfte des Gesamtzeitraums der Beurteilung des Antragstellers.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Entgegen der Auffassung der Beschwerde wird der Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers auch nicht dadurch rechtswidrig verkürzt, dass sich das Gericht unzulässigerweise an die Stelle des allein zur Einschätzung von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung berufenen Beurteilers setzt. Das folgt bereits daraus, dass das Verwaltungsgericht - anders als die Beschwerde offenbar annimmt - gar keine Prognose angestellt hat, wie eine künftige Beurteilung des Beigeladenen zu 1. ausfallen könnte. Vielmehr hat es zum Vergleich lediglich die - bereits erstellte - Beurteilung des Beigeladenen zu 1. vom 27. September 2017 bzw. die darin enthaltenen Einzelnoten herangezogen, wogegen sich die Beschwerde nicht wendet.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Nicht durchgreifend ist ferner der die Beurteilung des Antragstellers betreffende Einwand, Brandamtmann C.         hätte als Leiter der Wache I nicht beteiligt werden dürfen, weil die Aufzählung der Funktionsträger in Nr. 4.2 (gemeint: Nr. 4.5) BRL, von der dieser gerade nicht erfasst werde, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts abschließend sei. Im Ausgangspunkt zutreffend weist die Beschwerde darauf hin, dass diese Regelung als ausdrücklich zu beteiligende „Funktionsträger/innen“ in einem Klammerzusatz nur „Gruppenleiter/in, Sachgebietsleiter/in, Teamleiter/in, Teamkoordinator/in“ und damit ausschließlich - wie die Antragsgegnerin mit erstinstanzlichem Schriftsatz vom 28. September 2018 bestätigt hat - Funktionsträger der untersten Funktionsebene benennt. Diese Aufzählung ist indessen nicht abschließend und steht einer Heranziehung auch anderer personen- und sachkundiger Bediensteter für Beurteilungsbeiträge nicht entgegen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier im Fachbereich Feuerwehr der Antragsgegnerin - Beurteilungen in einem Verwaltungsbereich zu erstellen sind, in dem wegen dessen Organisationsstruktur eine solche unterste, die genannten Funktionen umfassende Funktionsebene nicht vorhanden ist (vgl. Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 28. September 2018). In einem solchen Fall dürfte es vielmehr aufgrund allgemeiner Beurteilungsgrundsätze sogar geboten sein, dass sich ein selbst nicht umfänglich personen- und sachkundiger (Erst-)Beurteiler der Mitwirkung von Bediensteten bedient, die ihm aus eigener Anschauung ein umfassendes Bild vom Beurteilten vermitteln können.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Vgl. dazu auch OVG NRW, Beschlüsse vom 18. September 2017 - 6 A 1470/16 -, juris Rn. 7, vom 16. August 2016 - 6 B 768/16 -, juris Rn. 7 ff., und vom 13. Januar 2016 - 6 B 1406/15 -, juris Rn. 13 f.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Unabhängig davon stößt die Beteiligung des Brandamtmanns C.         - ohne ausdrückliche Benennung in Nr. 4.5 BRL - auch deswegen auf keine durchgreifenden Bedenken, weil der „Rückgriff“ auf die Wachleiter der Feuerwehr im Bereich der Antragsgegnerin der einheitlichen und gebilligten bzw. geduldeten Verwaltungspraxis entspricht.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Vgl. zur maßgeblichen tatsächlichen Handhabung bei Beurteilungsrichtlinien auch OVG NRW, Beschlüsse vom 5. September 2016 - 6 B 642/16 -, juris Rn. 23, und vom 5. Februar 2014 - 6 B 10/14 -, juris Rn. 6.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Der weitere Einwand der Beschwerde, nach Nr. 4.2 BRL müsse die Erstbeurteilung durch die Abteilungsleitung erfolgen, ist nicht nachvollziehbar. Denn Erstbeurteiler war hier entsprechend dieser Vorgabe Oberbrandrat E.       als Leiter der Abteilung Einsatzorganisation. Nicht verständlich ist mangels näherer Substantiierung die Rüge, der Beurteilungsbeitrag von Hauptbrandmeister E1.      , dem ersten Gruppenführer vom Dienst, sei nicht berücksichtigt worden.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Schließlich greift das Vorbringen zur (möglicherweise) fehlerhaften Gewichtung der Einzelmerkmale bei der Bildung der Gesamtnote nicht durch. Denn es lässt außer Acht, dass das Verwaltungsgericht im Rahmen der hier angegriffenen Kausalitätsprüfung nicht auf die Gesamtnote abgestellt hat, sondern unmittelbar auf die Einzelmerkmale.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, Abs. 6 Satz 4 i.V.m. Satz 1 Nr. 1, Sätze 2 und 3, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p>
|
180,240 | ovgnrw-2019-01-24-6-b-166318 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 6 B 1663/18 | 2019-01-24T00:00:00 | 2019-02-07T14:18:37 | 2019-02-13T12:21:06 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0124.6B1663.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beschwerde wird zurückgewiesen.</p>
<p>Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf die Wertstufe bis 4.000,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, gibt keine Veranlassung zur Änderung des angefochtenen Beschlusses, mit dem das Verwaltungsgericht es abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung der von der Antragstellerin gegen die Entlassungsverfügung des Antragsgegners vom 27. September 2017 erhobenen Klage (4 K 9318/17) wiederherzustellen.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat - allerdings nur im Ergebnis - zu Recht angenommen, die gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung falle zu Lasten der Antragstellerin aus. Nach der im Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Verfügung gründet auf § 23 Abs. 4 BeamtStG i. V. m. § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 lit. c) der Verordnung über die Ausbildung und die II. Fachprüfung für den Laufbahnabschnitt II (Bachelor) der Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamten des Landes Nordrhein-Westfalen vom 21. August 2008 in der Fassung der Änderungsverordnung vom 16. August 2012 (GV. NRW. S. 303), im Folgenden: VAPPol II Bachelor 2012. Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 VAPPol II Bachelor 2012 sind Beamtinnen und Beamte auf Widerruf zu entlassen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Nach § 13 Abs. 1 Satz 2 lit. c) VAPPol II Bachelor 2012 liegt ein wichtiger Grund vor, wenn der Nachweis über die körperliche Leistungsfähigkeit gemäß Studienordnung nicht bis vier Wochen nach Beginn des dritten Studienjahres erbracht worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist es nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner vorliegend von der Anwendbarkeit des § 13 Abs. 1 VAPPol II Bachelor 2012 ausgegangen ist. Gemäß § 19 Abs. 1 VAPPol II Bachelor in der Fassung der Änderungsverordnung vom 15. August 2016 (GV. NRW. S. 680), im Folgenden: VAPPol II Bachelor 2016, finden für die vor dem Jahr 2016 eingestellten Kommis-saranwärterinnen und Kommissaranwärter die §§ 12 und 13 VAPPol II Bachelor 2016 keine Anwendung (Satz 1). Nach Satz 2 finden für diese und damit auch für die Antragstellerin, die am 1. September 2014 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf zur Kommissaranwärterin ernannt worden ist, die entsprechenden Vorschriften der VAPPol II Bachelor 2012 Anwendung.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Die Antragstellerin ist mit Wirkung vom 5. Oktober 2016 in den Einstellungsjahrgang 2015 zurückversetzt worden. Das dritte Studienjahr dieses Einstellungsjahrgangs hat am 1. September 2017 begonnen. Dass die Antragstellerin die Leistungsnachweise „12-Minutenlauf“ und „Hindernisparcours“ (vgl. § 4 Nr. 5 Teil B - Regelungen für den Studiengang Polizeivollzugsdienst B.A. Ergänzende Regelungen - der Studienordnung der Bachelorstudiengänge an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung) und damit den Nachweis über die körperliche Leistungsfähigkeit gemäß Studienordnung nicht bis vier Wochen nach Beginn des dritten Studienjahres des Einstellungsjahrgangs 2015 - mithin bis zum Ablauf des 28. September 2017 - erbracht hat, ist unstreitig.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Soweit die Antragstellerin vorträgt, sie sei nur am 27. September 2017 aus gesundheitlichen Gründen gehindert gewesen, den Leistungsnachweis „Hindernisparcours“ zu erbringen, hätte diesen sowie auch den Leistungsnachweis „12-Minutenlauf“ aber am 28. September 2017 erbringen können, wenn der Antragsgegner ihr diese Möglichkeit eröffnet hätte, lässt sich dies nicht mit den Stellungahmen der Ärzte X.      und N.      vom 27. September 2017 sowie des Arztes G.       vom 28. September 2017 vereinbaren, die sie selbst dem Antragsgegner am 4. Oktober 2017 vorgelegt hat. Unter Zugrundelegung dieser Stellungnahmen war die Erbringung der genannten Leistungsnachweise aufgrund der fortbestehenden Kniebeschwerden nicht möglich.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Ohne Erfolg macht die Antragstellerin geltend, der Antragsgegner gebe ihr entgegen § 23 Abs. 4 Satz 2 BeamtStG nicht die Gelegenheit zur Beendigung des Vorbereitungsdienstes und zur Ablegung der Prüfung. Sie lässt außer Acht, dass die nach § 23 Abs. 4 Satz 2 BeamtStG dem Beamten seitens des Dienstherrn regelmäßig zu ermöglichende Beendigung der Ausbildung auf der Grundlage der für die Absolvierung der Ausbildung und Ablegung der Prüfungen maßgeblichen Regelungen erfolgen muss.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 1. Oktober 2015</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">- 6 A 245/15 -, juris Rn. 8, und vom 16. Juli 2014</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">- 6 B 643/14 -, juris Rn. 6.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Soweit die Beschwerde anführt, die Regelung des § 13 Abs. 1 Satz 1 VAPPol II Bachelor 2012 sei nicht „durch den formellen Gesetzgeber getroffen worden“, sind damit schon mangels weiterer Substantiierung auch im Hinblick auf den Parlamentsvorbehalt bzw. den Wesentlichkeitsgrundsatz keine durchgreifenden Bedenken aufgezeigt.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Schließlich zieht die Beschwerde nicht die Annahme des Verwaltungsgerichts in Zweifel, die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung genüge den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p>
|
180,217 | ovghh-2019-01-24-4-bs-8318 | {
"id": 378,
"name": "Hamburgisches Oberverwaltungsgericht",
"slug": "ovghh",
"city": null,
"state": 8,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 4 Bs 83/18 | 2019-01-24T00:00:00 | 2019-02-07T14:18:11 | 2019-02-13T12:21:06 | Beschluss | <div id="dokument" class="documentscroll">
<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 3. Mai 2018 wird zurückgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>I.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Antragstellerin begehrt die Bewilligung von Ausbildungsförderung für ihre Ausbildung zur Erzieherin an der Staatlichen Fachschule für Sozialpädagogik Altona.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Die 1987 in Riga geborene Antragstellerin ist lettische Staatsangehörige. Sie ist Mutter einer in 2007 in Riga geborenen Tochter, die sie allein erzieht. Ihre Ehe mit dem Vater dieses Kindes wurde mit Urteil vom 27. März 2013 in Lettland geschieden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>In Lettland hatte die Antragstellerin am 31. August 2006 an der privaten Baltischen Hochschule für Psychologie und Management in der dortigen Abend-Abteilung ein Studium der Psychologie mit dem Ziel des Erwerbs des Bachelor-Grades und der fachlichen Qualifikation „Assistenzpsychologin“ aufgenommen. Für dieses Studium hatte sie Studiengebühren zu entrichten. Studienleistungen erbrachte sie dort bis zum 2. Oktober 2010. Immatrikuliert blieb sie bis zum 26. Juli 2011. Den angestrebten Abschluss erwarb sie nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Im März 2012 nahm die Antragstellerin mit ihrer Tochter ihren Wohnsitz in Deutschland. Von Mai 2012 bis August 2014 war sie in einem Hotel als Servicekraft und in einem Restaurant als Köchin beruflich tätig. Danach war sie etwa ein Jahr krankgeschrieben. Ab November 2015 belegte sie Sprachkurse. Am 24. März 2017 absolvierte sie erfolgreich die Prüfung für Deutschkenntnisse auf dem Niveau B2.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Am 1. März 2017 bewarb sich die Antragstellerin an der Staatlichen Fachschule für Sozialpädagogik Altona für die Ausbildung zur Erzieherin. Am 11. Mai 2017 bestand sie die dortige Aufnahmeprüfung. Die Schule konnte ihr nicht zum 1. August 2017, sondern erst zum 1. Februar 2018 einen Ausbildungsplatz anbieten, da sie mehr Bewerber als freie Ausbildungsplätze hatte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Am 1. Februar 2018 begann die Antragstellerin ihre Ausbildung zur Erzieherin. Ihren bereits am 23. November 2017 gestellten Antrag auf Ausbildungsförderung für diese Ausbildung lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 23. März 2018 ab, da kein unabweisbarer Grund für den Abbruch der in Lettland begonnenen Ausbildung vorgelegen habe. Über den hiergegen erhobenen Widerspruch der Antragstellerin vom 19. April 2018 wurde noch nicht entschieden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Am 20. April 2018 hat die Antragstellerin um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Sie hat beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr für ihre Ausbildung ab sofort Ausbildungsförderung zu gewähren und über ihren Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 23. März 2018 zu entscheiden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Mit Beschluss vom 3. Mai 2018 hat das Verwaltungsgericht die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig ab Mai 2018 bis zum bestands- oder rechtskräftigen Abschluss des Widerspruchs- oder Klageverfahrens, längstens bis Januar 2019, für die Ausbildung zur Erzieherin an der Staatlichen Fachschule für Sozialpädagogik Ausbildungsförderungsleistungen in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Den darüber hinaus gehenden Antrag der Antragstellerin hat das Verwaltungsgericht abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Antragsgegnerin gegen diesen Beschluss, soweit sie im erstinstanzlichen Verfahren unterlegen ist. Die Antragstellerin tritt der Beschwerde entgegen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>II.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Aus den von der Antragsgegnerin dargelegten Gründen, die das Beschwerdegericht nur zu prüfen hat (§ 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO), ist die angefochtene Entscheidung weder zu ändern noch aufzuheben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>1. Die Antragsgegnerin macht zunächst geltend, dass die Antragstellerin mit ihrem Psychologiestudium in Lettland ihren Anspruch nach § 7 Abs. 1 BAföG ausgeschöpft habe. Ausbildungsförderung für eine weitere Ausbildung setze voraus, dass für den Abbruch der ersten Ausbildung ein unabweisbarer Grund i.S.v. § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG vorgelegen hätte. Ein wichtiger Grund i.S.v. § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG würde vorliegend nicht genügen, denn die Antragstellerin habe in Lettland bereits mehr als vier Hochschulsemester studiert, § 7 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 BAföG. Die gesetzliche Regelvermutung des § 7 Abs. 3 Satz 4 BAföG sei vorliegend nicht anwendbar, da die Antragstellerin ihre Ausbildung nicht bis zum Beginn des dritten Fachsemesters abgebrochen habe. Dass sie das Studium aufgrund der Trennung von ihrem damaligen Ehemann und der infolgedessen eingetretenen finanziellen Probleme abgebrochen habe, stelle keinen unabweisbaren Grund i.S.v. § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG dar. Dieser läge nur dann vor, wenn der vorliegende Grund die Wahl zwischen Abbruch und Fortsetzung der Ausbildung nicht zulassen würde bzw. es die gebotene Interessenabwägung schlechterdings unerträglich erscheinen ließe, den Auszubildenden unter den gegebenen Umständen an der Ausbildung festzuhalten. Dass dies vorliegend der Fall sei, habe die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere könne es nicht auf Schwierigkeiten bei der Finanzierung der Ausbildung ankommen, denn finanzielle Gründe seien gerade kein unabweisbarer Grund i.S.v. § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG. Der angefochtene Beschluss setze sich auch nicht mit der Widersprüchlichkeit der Angaben der Antragstellerin im Hinblick auf ihre finanzielle Situation auseinander. Sie habe einerseits vorgetragen, ihr Ehemann habe ohnehin das Einkommen der Familie verspielt, sodass sie ihr Studium selbst habe finanzieren müssen. Andererseits habe sie das Studium nach der Trennung im Februar 2010 jedenfalls bis Juli 2011 fortgeführt und noch bis Oktober 2010 Studienleistungen erbracht. Die Studiengebühren habe sie daher nach der Trennung wohl weiter bis Juli 2011 entrichtet, sodass die behauptete finanzielle Problematik wohl unabhängig von der Trennung eingetreten sei. Die Antragstellerin habe zudem angegeben, von November 2009 bis März 2012 als Verkäuferin gearbeitet zu haben. Der angefochtene Beschluss setze sich nicht damit auseinander, weswegen die Einnahmen aus dieser Tätigkeit nicht ausgereicht hätten, das Studium zu finanzieren. Ein kausaler Zusammenhang zwischen einer etwaigen finanziellen Belastung durch die Trennungssituation und dem Studienabbruch sei nicht ersichtlich und wäre auch nicht ausreichend für die Annahme eines unabweisbaren Grundes. Es sei auch nicht ersichtlich, dass ein anderer unabweisbarer Grund für den Studienabbruch vorliege. Was der im angefochtenen Beschluss genannte „ehebedingte“ Grund für den Studienabbruch zu einem unabweisbaren i.S.v. § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG machen solle, werde nicht dargelegt und erschließe sich auch nicht. Sie, die Antragsgegnerin, nehme zur Kenntnis, dass die Antragstellerin im Hinblick auf die Trennung von ihrem Ehemann und die Erziehung ihres Kindes vor Schwierigkeiten gestellt gewesen sei. Ein unabweisbarer Grund liege gleichwohl nicht vor. Dies gelte auch, soweit die Antragstellerin vortrage, als Alleinerziehende vor besonderen Problemen bei der Erziehung ihres Kindes gestanden zu haben. Da sie für mehrere Jahre einer Tätigkeit als Verkäuferin nachgegangen sei und jedenfalls zeitweise auch parallel studiert habe, habe sie in dieser Zeit die Betreuung ihres Kindes jedenfalls grundsätzlich organisieren können. Weswegen dies nicht weiterhin möglich gewesen sein sollte, sei nicht ersichtlich. Auch die Annahme im angefochtenen Beschluss, dass die Antragstellerin ihre Studienleistungen nicht in Deutschland angerechnet bekäme und ein erneutes Studium der Psychologie aufgrund ihrer fehlenden Sprachkenntnisse nicht absolvieren könne, weswegen ein unabweisbarer Grund i.S.v. § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG gegeben sei, gehe fehl. Denn der unabweisbare Grund beziehe sich auf den Abbruch der vorangegangenen Ausbildung und nicht darauf, ob der Auszubildende einen Grund habe, eine neue Ausbildung zu beginnen. Im Hinblick auf die Annahme eines unabweisbaren Grundes gelte ein besonders strenger Maßstab. Es könnten auch nicht mehrere ggf. wichtige Gründe i.S.v. § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG zu einem unabweisbaren Grund kumuliert werden, wie es der angefochtene Beschluss anscheinend voraussetze. Der im angegriffenen Beschluss (BA S. 10) angenommene Fachrichtungswechsel sei im Übrigen schon tatbestandlich nicht gegeben, da die Antragstellerin keinen anderen berufsqualifizierenden Abschluss an einer Ausbildungsstätte derselben Ausbildungsstättenart anstrebe.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Mit diesen Ausführungen erschüttert die Antragsgegnerin die vom Verwaltungsgericht getroffene Entscheidung, eine einstweilige Anordnung zugunsten der Antragstellerin zu erlassen, nicht. Ob für den Abbruch des Studiums der Antragstellerin an der Baltischen Hochschule für Psychologie und Management in Riga ein unabweisbarer Grund i.S.v. § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG vorgelegen hat (so die Annahme des Verwaltungsgerichts) oder ob dies nicht der Fall war (so die Sichtweise der Antragsgegnerin), ist für die Entscheidung des vorliegenden Falles nicht von Bedeutung. Bereits der Ausgangspunkt sowohl der Argumentation der Antragsgegnerin als auch der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts (BA S. 6), dass die Antragstellerin mit ihrem Psychologiestudium in Lettland ihren Grundanspruch nach § 7 Abs. 1 BAföG ausgeschöpft habe und dass sich deshalb die Förderung der in Deutschland aufgenommenen schulischen Ausbildung nach § 7 Abs. 3 BAföG richte, trifft nämlich nicht zu. Im Einzelnen:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>a) Die Antragstellerin hat in ihrem Schriftsatz vom 2. Oktober 2018 unter Vorlage entsprechender Unterlagen glaubhaft gemacht, dass es sich bei der von ihr in Lettland aufgenommenen Ausbildung um ein Teilzeit-Studienprogramm in der Abend-Abteilung der Baltischen Hochschule für Psychologie und Management handelte. Nach dem Vortrag der Antragstellerin in diesem Schriftsatz, dem die Antragsgegnerin nicht entgegengetreten ist, fanden die Lehrveranstaltungen lediglich an vier Tagen in der Woche abends zwischen 18.00 und 21.30 Uhr, also für die Dauer von nur 14 Stunden pro Woche statt. Angesichts dessen ist davon auszugehen, dass ein solches Abendstudium die Arbeitskraft des Auszubildenden im Allgemeinen, d.h. im Normalfall, nicht i.S.v. § 2 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG voll in Anspruch nahm. Hierfür spricht auch, dass die Antragstellerin neben ihrem Studium zumindest zeitweise beruflich tätig war (so ihre Angaben in der Anlage 1 zu ihrem Förderungsantrag vom 23. November 2017, Bl. 3 der Sachakte, und gegenüber dem Verwaltungsgericht am 26. April 2018, Bl. 116 der Gerichtsakte). Für eine solche Teilzeitausbildung kann jedoch gem. § 2 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG Ausbildungsförderung nicht geleistet werden. Die von der Antragstellerin in Lettland aufgenommene und ohne Abschluss abgebrochene Ausbildung war also keine nach dem BAföG förderungsfähige Ausbildung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a>15</a></dt>
<dd><p>b) Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Dezember 1994 (11 C 28.93, NVwZ-RR 1995, 285, juris Rn. 10 f. m.w.N.) ist die Anrechnung einer Ausbildung auf den Förderungsanspruch nach § 7 BAföG vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG abhängig. Dies bedeutet, dass eine vollständig in Teilzeitform durchgeführte und deshalb gem. § 2 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG nicht förderungsfähige Ausbildung im Rahmen des § 7 Abs. 1 BAföG keine Berücksichtigung findet (ebenso Buter in: Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., § 7 Rn. 8). In dem genannten Urteil hat sich das Bundesverwaltungsgericht gegen die von der damaligen Vorinstanz (OVG Münster, Urt. v. 28.10.1993, 16 A 1776/93, juris) vertretene Auffassung ausgesprochen, § 2 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG betreffe nicht die abstrakte Förderungsfähigkeit der jeweiligen Ausbildung, sondern nur die Förderung im konkreten Fall. Diese Auffassung finde in Wortlaut, Regelungszusammenhang, Entstehungsgeschichte und Zweck dieser Vorschrift keine Stütze. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Urteil vom 24. Januar 1995 (9 UE 570/93, juris Rn. 25 ff.) dieselbe Auffassung vertreten wie die vorinstanzliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, offensichtlich ohne das im Monat zuvor ergangene entgegenstehende höchstrichterliche Urteil vom 14. Dezember 1994, welches im Januar 1995 noch nicht veröffentlicht gewesen sein dürfte, zu kennen. Dieses von der Antragstellerin in ihrem Schriftsatz vom 2. Oktober 2018 (S. 2) erwähnte Urteil vom 24. Januar 1995 steht somit, da bei seinem Erlass nicht mehr mit der neuesten höchstrichterlichen Rechtsprechung im Einklang stehend, einem Anordnungsanspruch der Antragstellerin nicht entgegen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>c) Ist das Studium der Antragstellerin an der Baltischen Hochschule für Psychologie und Management somit, da vollständig in Teilzeitform durchgeführt, nicht im Rahmen des § 7 Abs. 1 BAföG zu berücksichtigen, stellen sich Fragen des § 7 Abs. 3 BAföG, insbesondere die vom Verwaltungsgericht und der Antragsgegnerin unterschiedlich beantwortete Frage des Vorliegens eines unabweisbaren Grundes für den Abbruch dieser Ausbildung, nicht. Es stellt sich nicht einmal die Frage, ob für den Abbruch der damaligen Ausbildung ein wichtiger Grund vorlag. Damit ist dem diesbezüglichen Beschwerdevorbringen der Antragsgegnerin die Grundlage entzogen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>2. Weiter macht die Antragsgegnerin geltend, dass es, sofern es auf einen etwaigen Leistungsausschluss nach § 10 Abs. 3 BAföG ankäme, weiterhin nicht glaubhaft gemacht sei, dass die Antragstellerin an einer unverzüglichen Ausbildungsaufnahme vor Vollendung ihres 30. Lebensjahres, nämlich zum 1. August 2017, gehindert gewesen sei. Sie habe die Ausbildung erst im Februar 2018 aufgenommen, obwohl sie die Aufnahmeprüfung bereits im Mai 2017 bestanden habe. Die Ausbildungsstätte biete die Ausbildung auch zum 1. August eines jeden Jahres an. Der angefochtene Beschluss setze unter Nennung einer „Auskunft der Ausbildungsstätte“ voraus, dass der nächstmögliche Ausbildungsbeginn erst im Februar 2018 gewesen sei. Diese Auskunft sei ihr, der Antragsgegnerin, unbekannt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Auch mit diesem Vorbringen erschüttert die Antragsgegnerin die angefochtene Entscheidung nicht. Die vom Verwaltungsgericht im Tatbestand seines Beschlusses (BA S. 3) erwähnte Auskunft der Ausbildungsstätte ist der Vorsitzenden der Kammer am 27. April 2018 telefonisch erteilt worden. Den hierüber gefertigten Vermerk (Bl. 119 der Gerichtsakte) hat die Antragsgegnerin zwar im erstinstanzlichen Verfahren nicht zur Kenntnis erhalten. Der Senat hat der Antragsgegnerin jedoch im Beschwerdeverfahren mit Schreiben vom 29. Oktober 2018 eine Kopie dieses Vermerks übersandt, aus welchem sich ergibt, dass die Antragstellerin angesichts der Bewerberlage nach ihrem im Mai 2017 bestandenen Aufnahmetest erst im Februar 2018 ihre Ausbildung aufnehmen konnte. Die Antragsgegnerin hat nach Erhalt dieses Vermerks nicht behauptet, dass dessen Inhalt unzutreffend sei. Im Übrigen hat die Antragstellerin mit ihrem Schriftsatz vom 2. Oktober 2018 eine Bescheinigung der Staatlichen Fachschule für Sozialpädagogik Altona vom 22. August 2018 vorgelegt, wonach diese Ausbildungsstätte ihr keinen Ausbildungsplatz zum 1. August 2017 habe anbieten können, weil sie mehr Bewerber gehabt habe, als sie habe aufnehmen können. Erst zum 1. Februar 2018 habe ihr ein Ausbildungsplatz angeboten werden können.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>III.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.</p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a>
</div>
|
|
175,026 | eugh-2019-01-24-c-66017-p | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-660/17 P | 2019-01-24T00:00:00 | 2019-01-31T19:20:49 | 2019-01-31T19:20:49 | Schlussantrag des Generalanwalts | ECLI:EU:C:2019:67 | <p>Vorläufige Fassung</p>
<p class="C36Centre">SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS</p>
<p class="C36Centre">NILS WAHL</p>
<p class="C36Centre">vom 24. Januar 2019(<a href="#Footnote1" name="Footref1">1</a>)</p>
<p class="C38Centregrasgrandespacement">
<b>Rechtssache C</b>‑<b>660/17 P</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>RF</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>gegen</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Europäische Kommission</b>
</p>
<p class="C71Indicateur">„Rechtsmittel – Nichteinhaltung der Frist für die Einreichung einer Klageschrift beim Gericht – Verteidigungsvorbringen – Ungewöhnliche Verzögerung beim Postversand – Art. 45 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union – Vorliegen eines Zufalls oder eines Falls höherer Gewalt – Prüfkriterien“</p>
<br/>
<br/>
<br/>
<br/>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point1">1.</a>        Zur Gewährleistung des Grundsatzes der Waffengleichheit vor den Gerichten haben die Verfahrensfristen grundsätzlich zwingenden Charakter. Wie bei den meisten innerstaatlichen Rechtssystemen führt jedoch die Nichteinhaltung dieser Fristen bei Verfahren vor den Unionsgerichten nicht automatisch zu einer Verfristung. Insbesondere hat nach Art. 45 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden auch: Satzung) „[d]er Ablauf von Fristen … keinen Rechtsnachteil zur Folge, wenn der Betroffene nachweist, dass ein Zufall oder ein Fall höherer Gewalt vorliegt“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point2">2.</a>        In dem angefochtenen Beschluss(<a href="#Footnote2" name="Footref2">2</a>) wurde die Nichtigkeitsklage von RF für offensichtlich unzulässig befunden, da die Klageschrift nicht fristgemäß eingereicht worden sei. Das Gericht war der Auffassung, dass RF das Vorliegen eines Zufalls oder eines Falls höherer Gewalt nicht habe nachweisen können, um zu begründen, weshalb sie die einschlägigen Fristen zur Einreichung des unterzeichneten Originals der Klageschrift bei der Kanzlei des Gerichts nicht gewahrt habe. Insbesondere handele es sich bei einer durch interne technische Probleme des fraglichen Postdienstes verursachten erheblichen Verspätung nicht um einen Zufall oder einen Fall höherer Gewalt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point3">3.</a>        Das vorliegende Rechtsmittel von RF erlaubt es dem Gerichtshof, Hinweise zu der Frage zu geben, wie Art. 45 der Satzung auszulegen ist. Es gibt dem Gerichtshof daher die willkommene Gelegenheit, seine Rechtsprechung zur Bedeutung des Begriffs des Zufalls – der mit dem Begriff der höheren Gewalt eng zusammenhängt – klarzustellen.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">I.      <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C22Titrenumerote2">A.      <b>Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point4">4.</a>        Art. 45 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, der zu Titel III dieser Satzung gehört, lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„In der Verfahrensordnung sind besondere, den Entfernungen Rechnung tragende Fristen festzulegen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Der Ablauf von Fristen hat keinen Rechtsnachteil zur Folge, wenn der Betroffene nachweist, dass ein Zufall oder ein Fall höherer Gewalt<i/>vorliegt.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point5">5.</a>        Art. 53 der Satzung hat folgenden Wortlaut:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Das Verfahren vor dem Gericht bestimmt sich nach Titel III.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Das Verfahren vor dem Gericht wird, soweit dies erforderlich ist, durch seine Verfahrensordnung im Einzelnen geregelt und ergänzt. …“</p>
<p class="C22Titrenumerote2">B.      <b>Verfahrensordnung des Gerichts</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point6">6.</a>        Der dritte Titel der Verfahrensordnung des Gerichts(<a href="#Footnote3" name="Footref3">3</a>) betrifft Klageverfahren. Im ersten Kapitel Abschnitt 4 dieses Titels sind Bestimmungen zu Fristen niedergelegt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point7">7.</a>        Art. 58 lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Die in den Verträgen, in der Satzung und in dieser Verfahrensordnung vorgesehenen Verfahrensfristen werden wie folgt berechnet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      Eine nach Wochen, Monaten oder Jahren bemessene Frist endet mit Ablauf des Tages, der in der letzten Woche, im letzten Monat oder im letzten Jahr dieselbe Bezeichnung oder dieselbe Zahl wie der Tag trägt, an dem das Ereignis eingetreten oder die Handlung vorgenommen worden ist, von denen an die Frist zu berechnen ist. Fehlt bei einer nach Monaten oder Jahren bemessenen Frist im letzten Monat der für ihren Ablauf maßgebende Tag, so endet die Frist mit Ablauf des letzten Tages dieses Monats.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point8">8.</a>        Art. 60 in demselben Abschnitt betrifft die Entfernungsfristen. Er sieht vor, dass „[d]ie Verfahrensfristen … um eine pauschale Entfernungsfrist von zehn Tagen verlängert [werden]“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point9">9.</a>        Das zweite Kapitel des dritten Titels betrifft Verfahrensschriftstücke. Art. 72 lautet wie folgt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Verfahrensschriftstücke sind bei der Kanzlei entweder in Papierform, gegebenenfalls nach Übermittlung einer Kopie des Originals des jeweiligen Schriftstücks mittels Telefax gemäß Artikel 73 Absatz 3, oder auf die in dem aufgrund von Artikel 74 erlassenen Beschluss des Gerichts genannte Art einzureichen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Jedes Verfahrensschriftstück ist mit Datum zu versehen. Für die Berechnung der Verfahrensfristen sind ausschließlich Tag und Uhrzeit des Eingangs bei der Kanzlei nach der im Großherzogtum Luxemburg geltenden Zeit maßgebend. </p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point10">10.</a>      Art. 73 der Verfahrensordnung sieht vor: </p>
<p class="C02AlineaAltA">„…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Mit diesem Schriftstück und allen darin erwähnten Anlagen sind drei Kopien für das Gericht und je eine Kopie für jede andere am Rechtsstreit beteiligte Partei einzureichen. Die Kopien sind von der Partei, die sie einreicht, zu beglaubigen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)      Abweichend von Artikel 72 Absatz 2 Satz 2 sind für die Wahrung der Verfahrensfristen der Tag und die Uhrzeit des Eingangs einer vollständigen Kopie des unterzeichneten Originals eines Verfahrensschriftstücks … mittels Telefax bei der Kanzlei maßgebend, sofern das unterzeichnete Original des Schriftstücks … spätestens zehn Tage danach bei der Kanzlei eingereicht wird. Artikel 60 findet auf diese Frist von zehn Tagen keine Anwendung.“</p>
<p class="C22Titrenumerote2">C.      <b>Sonstige einschlägige Vorschriften</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point11">11.</a>      In den praktischen Durchführungsbestimmungen zur Verfahrensordnung des Gerichts (im Folgenden: praktische Durchführungsbestimmungen des Gerichts)(<a href="#Footnote4" name="Footref4">4</a>) heißt es in Bezug auf die Einreichung von Verfahrensschriftstücken u. a.:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">„79.      Das Datum der Einreichung eines Verfahrensschriftstücks per Telefax ist für die Wahrung einer Frist nur dann maßgebend, wenn das vom Vertreter handschriftlich unterzeichnete Originalschriftstück, das Gegenstand der Übermittlung per Telefax war, wie in Art. 73 Abs. 3 der Verfahrensordnung vorgesehen spätestens zehn Tage danach bei der Kanzlei eingereicht wird.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">80.      Das vom Vertreter handschriftlich unterzeichnete Originalschriftstück ist unverzüglich, unmittelbar nach seiner Übermittlung per Telefax, abzuschicken, ohne dass daran Korrekturen oder Änderungen, seien sie auch noch so gering, vorgenommen werden dürfen.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">81.      Bei Abweichungen des vom Vertreter handschriftlich unterzeichneten Originalschriftstücks von der zuvor der Kanzlei per Telefax übermittelten Kopie gilt das Datum der Einreichung des unterzeichneten Originals als Eingangsdatum.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point12">12.</a>      Die praktischen Anweisungen für die Parteien in den Rechtssachen vor dem Gerichtshof (im Folgenden: praktische Anweisungen des Gerichtshofs)(<a href="#Footnote5" name="Footref5">5</a>) sehen im Hinblick auf die Einreichung und Übermittlung von Verfahrensschriftstücken u. a. vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„42.      … [E]in Verfahrensschriftstück … kann … auch auf dem Postweg an den Gerichtshof gerichtet werden. … [N]ach Art. 57 Abs. 7 der Verfahrensordnung [sind] für die Berechnung der Verfahrensfristen allein der Tag und die Uhrzeit des Eingangs des Originals bei der Kanzlei maßgebend … Um eine Verfristung zu vermeiden, wird daher nachdrücklich empfohlen, die fragliche Sendung einige Tage vor Ablauf der für die Einreichung des Schriftstücks gesetzten Frist per Einschreiben oder per Eilbrief zu versenden.</p>
<p class="C02AlineaAltA">43.      … Die Einreichung [einer Kopie] eines [unterzeichneten] Verfahrensschriftstücks [per Telefax oder E‑Mail] … ist … für die Wahrung der Verfahrensfristen nur dann maßgebend, wenn das unterzeichnete Original des Schriftstücks … spätestens zehn Tage nach Übermittlung [der Kopie] bei der Kanzlei eingeht. Das Original ist daher unverzüglich, unmittelbar nach der Übermittlung der Kopie abzuschicken, ohne dass an ihm irgendwelche Korrekturen oder Änderungen, seien sie auch noch so unbedeutend, vorgenommen werden. Bei Abweichungen zwischen dem unterzeichneten Original und der zuvor übermittelten Kopie wird nur der Tag des Eingangs des unterzeichneten Originals berücksichtigt.“</p>
<p class="C21Titrenumerote1">II.    <b>Vorgeschichte des Verfahrens und angefochtener Beschluss</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point13">13.</a>      Die Klage von RF auf Nichtigerklärung des Beschlusses C(2016) 5925 final der Kommission vom 15. September 2016 über die Zurückweisung der Beschwerde in der Sache COMP AT.40251 – Schienenverkehr, Güterbeförderung (im Folgenden: streitiger Beschluss) wurde dem Gericht am 18. November 2016 per Telefax übermittelt. Das unterzeichnete Original ging beim Gericht am 5. Dezember 2016 ein, d. h. 17 Tage nach der Übermittlung einer Kopie der Klageschrift per Telefax.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point14">14.</a>      Was die einschlägigen Verfahrensfristen betrifft, hat das Gericht Folgendes festgestellt: (1) Der streitige Beschluss sei RF am 19. September 2016 mitgeteilt worden, (2) nach Art. 263 Abs. 6 AEUV sei die Nichtigkeitsklage binnen zwei Monaten nach der Mitteilung zu erheben gewesen, (3) nach Art. 58 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 60 der Verfahrensordnung des Gerichts sei die Frist zur Einreichung der Klageschrift am 29. November 2016 um Mitternacht abgelaufen, (4) nach Art. 73 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts habe die per Telefax vor Ablauf dieser Frist übermittelte Kopie nicht zur Bestimmung des Datums der Einreichung der Klageschrift herangezogen werden können, da das unterzeichnete Original nicht gemäß dieser Vorschrift binnen zehn Tagen nach der Übermittlung der Kopie bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sei, und (5) somit sei die Klageschrift verspätet eingereicht worden(<a href="#Footnote6" name="Footref6">6</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point15">15.</a>      Dem angefochtenen Beschluss kann ebenfalls entnommen werden, dass das unterzeichnete Original per Post am selben Tag abgesendet worden war wie die dem Gericht per Telefax übermittelte Klageschrift. Laut RF habe jedoch die Zeit (17 Tage) für die Zustellung der Postsendung mit dem unterzeichneten Original durch Poczta Polska, den größten Postbetreiber in Polen, die übliche Versanddauer überschritten. RF machte geltend, sie habe mit der Sorgfalt gehandelt, die man von ihr vernünftigerweise habe erwarten können, da die Lieferverzögerung durch ein internes technisches Problem bei Poczta Polska verursacht worden sei. Sie vertrat insbesondere die Auffassung, dass das Original aufgrund eines Zufalls oder eines Falls höherer Gewalt im Sinne von Art. 45 der Satzung verspätet eingereicht worden und die Klage daher nicht verfristet sei(<a href="#Footnote7" name="Footref7">7</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point16">16.</a>      In einem ersten Schritt hat das Gericht hinsichtlich der Frage, ob die von RF angeführten Umstände ausreichen, um das Vorliegen eines Zufalls oder eines Falls höherer Gewalt zu begründen, darauf hingewiesen, dass die Fristen zur Erhebung einer Klage zwingend seien, zweitens darauf, dass ein Zufall oder ein Fall höherer Gewalt nur unter außergewöhnlichen Umständen geltend gemacht werden könne, und drittens darauf, dass ein Kläger nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs den Ablauf des eingeleiteten Verfahrens sorgfältig überwachen und zum Zweck der Einhaltung der vorgesehenen Fristen Sorgfalt walten lassen müsse(<a href="#Footnote8" name="Footref8">8</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point17">17.</a>      Das Gericht hat sodann ausgeführt, dass sich ein Kläger auf einen Zufall oder einen Fall höherer Gewalt nicht unter Umständen berufen könne, unter denen eine sorgfältige und umsichtige Person in der Lage gewesen wäre, den Ablauf der Klagefrist zu vermeiden. Das Gericht war zudem der Auffassung, dass nur ein Ereignis, das nicht vermieden werden könne und dadurch den entscheidenden Grund für die Verfristung bilde, als Zufall oder Fall höherer Gewalt angesehen werden könne(<a href="#Footnote9" name="Footref9">9</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point18">18.</a>      Ferner könne Art. 73 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts nicht entnommen werden, dass eine Postzustellung, die mehr als die in dieser Bestimmung genannten zehn Tage in Anspruch nehme, automatisch einen Zufall oder einen Fall höherer Gewalt darstelle(<a href="#Footnote10" name="Footref10">10</a>). In diesem Zusammenhang hat das Gericht auf den Beschluss Faktor B. i W. Gęsina des Gerichtshofs verwiesen, der in einem Fall ergangen ist, dessen Sachverhalt unverkennbar Parallelen zu der vorliegenden Rechtssache aufweist(<a href="#Footnote11" name="Footref11">11</a>). In jener Rechtssache hatte der Gerichtshof durch Beschluss die Auffassung des Gerichts bestätigt, dass die Rechtsmittelführerin das Vorliegen eines Zufalls oder eines Falls höherer Gewalt nicht dargetan habe(<a href="#Footnote12" name="Footref12">12</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point19">19.</a>      In einem zweiten Schritt hat das Gericht geprüft, ob RF das Vorliegen eines Zufalls oder eines Falls höherer Gewalt dargetan hat.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point20">20.</a>      Insbesondere hat das Gericht geprüft, ob die Verzögerung beim Postversand der entscheidende Grund dafür war, dass RF die Klage verspätet erhoben hatte, und ob es sich dabei um ein Ereignis handelte, das RF nicht hätte vermeiden können. Unter Berücksichtigung zum einen der Ausführungen von RF und zum anderen ihrer Verpflichtung, die Übermittlung der Sendung sorgfältig zu überwachen, hat das Gericht entschieden, dass RF das Vorliegen eines Zufalls oder eines Falls höherer Gewalt nicht dargetan habe. Es hat insbesondere darauf hingewiesen, dass RF nicht erläutert habe, welche Maßnahmen sie ergriffen habe, nachdem die Postsendung mit dem Original dem Postdienst zum Versand übergeben worden sei(<a href="#Footnote13" name="Footref13">13</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point21">21.</a>      Daher hat das Gericht die Nichtigkeitsklage für offensichtlich unzulässig erklärt.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">III. <b>Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point22">22.</a>      RF beantragt mit ihrem Rechtsmittel,</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">—      den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache an das Gericht zurückzuverweisen, damit dieses über die Klage befindet und eine rechtsmittelfähige Entscheidung in der Sache erlässt;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">—      hilfsweise, für den Fall, dass der Gerichtshof feststellen sollte, dass die Voraussetzungen für eine endgültige Entscheidung in der Rechtssache vorliegen, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den erstinstanzlichen Anträgen vollständig stattzugeben;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">—      der Europäischen Kommission die Kosten aufzuerlegen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point23">23.</a>      Die Kommission beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und RF die Kosten aufzuerlegen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point24">24.</a>      Gemäß Art. 76 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung hat der Gerichtshof entschieden, keine mündliche Verhandlung abzuhalten.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">IV.    <b>Analyse</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point25">25.</a>      RF trägt vier Rechtsmittelgründe vor. Mit dem ersten Rechtsmittelgrund rügt sie, dass das Gericht Art. 45 der Satzung in Verbindung mit ihrem Art. 53 falsch ausgelegt habe. Mit dem zweiten Grund wird ein Verstoß gegen Art. 126 der Verfahrensordnung des Gerichts(<a href="#Footnote14" name="Footref14">14</a>) gerügt, da die Klage von RF für offensichtlich unzulässig erklärt worden sei. Drittens habe das Gericht unzutreffend festgestellt, dass RF das Vorliegen eines Zufalls im Sinne von Art. 45 der Satzung nicht dargetan habe. Mit dem vierten Rechtsmittelgrund rügt RF schließlich, dass die angefochtene Entscheidung gegen Art. 1, Art. 6 Abs. 1 und Art. 14 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verstoße.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point26">26.</a>      Die Kommission macht geltend, dass die von RF vorgebrachten Rechtsmittelgründe als teils unbegründet (erster und zweiter Rechtsmittelgrund) und teils unzulässig (dritter und vierter Rechtsmittelgrund) zurückzuweisen seien.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">A.      <b>Würdigung</b>
</p>
<p class="C23Titrenumerote3">1.      <b>Zum ersten und zum zweiten Rechtsmittelgrund</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point27">27.</a>      Mit ihrem ersten und ihrem zweiten Rechtsmittelgrund, die eng miteinander verknüpft sind, macht RF im Wesentlichen geltend, dass das Gericht einen Rechtsfehler begangen habe, indem es ihre Klage auf der Grundlage von Art. 126 der Verfahrensordnung des Gerichts als offensichtlich unzulässig abgewiesen habe (zweiter Rechtsmittelgrund). Dieser Fehler gehe auf eine unzutreffende Auslegung von Art. 45 der Satzung zurück (erster Rechtsmittelgrund). Insbesondere habe das Gericht die Begriffe „höhere Gewalt“ und „Zufall“ irrtümlich als gleichbedeutend angesehen. Diesbezüglich trägt RF vor, der angefochtene Beschluss verwische eine von den Verfassern der Satzung getroffene klare Unterscheidung zwischen „Zufall“ und „höhere Gewalt“. Darüber hinaus sei die vom Gericht vorgenommene Auslegung von Art. 45 der Satzung diskriminierend, da sie diejenigen, deren (Wohn‑)Sitz sich weiter entfernt vom Gericht befinde, benachteilige.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point28">28.</a>      Die Kommission ist damit nicht einverstanden. Sie ist der Auffassung, dass das Gericht der ständigen Rechtsprechung gefolgt sei, nach der keine Unterscheidung zwischen „Zufall“ und „höherer Gewalt“ vorgenommen werde. Sie weist darüber hinaus darauf hin, dass eine enge Auslegung von Art. 45 der Satzung, nach der ein Problem, das während des Postversands aufgetreten sei, für sich allein keinen Zufall oder höhere Gewalt darstellen könne, neutral sei und sich auf diejenigen, deren räumliche Distanz zum Gerichtshof größer sei, nicht nachteilig auswirke.</p>
<p class="C24Titrenumerote4">a)      <b>Beurteilung, ob „ein Zufall oder ein Fall höherer Gewalt“ vorliegt, nach Art. 45 der Satzung: zwei Begriffe, aber eine Prüfung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point29">29.</a>      Nach meiner Ansicht haben die Argumente beider Parteien ihre Berechtigung.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point30">30.</a>      Wie die Kommission zutreffend hervorhebt, wird in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu der Frage, ob eine Ausnahme von der Verfristung nach Art. 45 der Satzung möglich ist, keine klare Unterscheidung zwischen den Begriffen des Zufalls und der höheren Gewalt getroffen. In der Rechtsprechung werden diese Begriffe häufig zusammengefasst und nach denselben Kriterien geprüft, ohne dass weitere Ausführungen zu möglichen Unterschieden gemacht würden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point31">31.</a>      Die Ursprünge der Rechtsprechung des Gerichtshofs im Hinblick auf Ausnahmen zu Verfahrensfristen gehen auf die Rechtsprechung zum Begriff der höheren Gewalt im Bereich der Agrarverordnungen zurück(<a href="#Footnote15" name="Footref15">15</a>). Von besonderer Bedeutung ist hier die auf das Urteil Busseni(<a href="#Footnote16" name="Footref16">16</a>) zurückgehende Rechtsprechung, nach der sich der Begriff der höheren Gewalt auf „sachfremde Umstände bezieht, die den Eintritt des fraglichen Ereignisses unmöglich machen. Auch wenn er keine absolute Unmöglichkeit voraussetzt, so verlangt er doch, dass es sich um ungewöhnliche, vom Willen des Betroffenen unabhängige Schwierigkeiten handelt, die selbst bei Beachtung aller erforderlichen Sorgfalt unvermeidbar erscheinen“(<a href="#Footnote17" name="Footref17">17</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point32">32.</a>      Eine ähnliche Definition wurde im Kontext von Verfahrensfristen angenommen, eine Definition, die sowohl Zufälle als auch Fälle höherer Gewalt erfasst. Dem Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Bayer/Kommission(<a href="#Footnote18" name="Footref18">18</a>) ist zu entnehmen, dass die Begriffe des Zufalls und der höheren Gewalt jeweils zwei Merkmale enthalten(<a href="#Footnote19" name="Footref19">19</a>). Die Begriffe beinhalten ein objektives Merkmal, das sich auf ungewöhnliche, außerhalb der Sphäre des Betroffenen liegende Umstände bezieht, und ein subjektives Merkmal, das mit der Verpflichtung des Betroffenen zusammenhängt, sich gegen die Folgen ungewöhnlicher Ereignisse zu wappnen, indem er, ohne übermäßige Opfer zu bringen, geeignete Maßnahmen trifft. Um sich auf einen Zufall oder auf höhere Gewalt berufen zu können, muss er gemäß den Ausführungen des Gerichtshofs den Ablauf des eingeleiteten Verfahrens sorgfältig überwachen und zum Zweck der Einhaltung der vorgesehenen Fristen Sorgfalt walten lassen(<a href="#Footnote20" name="Footref20">20</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point33">33.</a>      Zwar hat der Gerichtshof meines Wissens nie eine klare Unterscheidung zwischen den beiden Begriffen getroffen, man dürfte jedoch davon ausgehen können, dass ihr Anwendungsbereich nicht völlig identisch ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point34">34.</a>      Wie sind diese Begriffe nun im Kontext der Verfahren vor den Unionsgerichten zu verstehen?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point35">35.</a>      Insoweit vertrete ich die Ansicht, dass „höhere Gewalt“ (<i>vis maior</i>) einen engeren Anwendungsbereich hat, der extreme Ereignisse umfasst. Zu diesen Ereignissen gehören jedenfalls Naturkatastrophen wie etwa große Überschwemmungen, Erdbeben und Hurrikans, sie können jedoch auch in besonderem Maße unabwendbare (vom Menschen verursachte) Umstände umfassen(<a href="#Footnote21" name="Footref21">21</a>). Somit bezieht sich „höhere Gewalt“ meiner Ansicht nach auf eine äußere Kraft, die den Betroffenen daran hindert, eine Verpflichtung zu erfüllen, und ihm keine alternative Handlungsmöglichkeit lässt (dies wäre etwa dann der Fall, wenn eine per Luftpost verschickte Sendung nicht zugestellt werden konnte, weil das Transportflugzeug ins Meer gestürzt ist).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point36">36.</a>      Dagegen ist der Begriff des Zufalls meines Erachtens etwas flexibler. Er kann ein breiteres Spektrum an Umständen erfassen, die nicht durch höhere Gewalt abgedeckt sind. Dazu können jegliche ungewöhnlichen Umstände wie technische Unterbrechungen, Stromausfälle oder Störungen der Kommunikationssysteme gehören.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point37">37.</a>      In gewissem Maße ist es eine Frage der persönlichen Beurteilung, wie die beiden Begriffe im Verhältnis zueinander zu definieren sind, und teilweise Überschneidungen sind durchaus möglich. Unabhängig davon, wie man diese beiden Begriffe voneinander abgrenzt, ist indessen klar, dass sie sehr eng miteinander verknüpft sind und eine Reihe außergewöhnlicher Umstände bezeichnen, unter denen Ausnahmen von der Anwendung der – sonst eng auszulegenden – Verfahrensfristen gewährt werden können. Tatsächlich ist die strikte Anwendung der Verfahrensvorschriften grundsätzlich erforderlich, um Rechtssicherheit zu gewährleisten und jede Diskriminierung oder willkürliche Behandlung bei der Rechtspflege zu vermeiden(<a href="#Footnote22" name="Footref22">22</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point38">38.</a>      Zugleich ist jedoch zu betonen, dass sich der Gesetzgeber entschlossen hat, eine Ausnahme von diesem sehr wichtigen Verfahrensgrundsatz zu konzipieren – eine Regelung, die es möglich macht, von solchen Fristen abzuweichen. Nach Art. 45 der Satzung stellen <i>sowohl</i> Zufälle <i>als auch</i> höhere Gewalt Gründe dar, um von den entsprechenden Fristen abzuweichen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point39">39.</a>      Meines Erachtens ist die Entscheidung, beide Begriffe in Art. 45 der Satzung aufzunehmen, ein starker Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber nicht wollte, dass die Umstände, die unter Art. 45 fallen sollen, zu eng verstanden werden. Diese Entscheidung ist auch ein klares Zeichen dafür, dass der Gesetzgeber keine abschließende Liste von Umständen schaffen wollte, die geltend gemacht werden können, um von Verfahrensfristen abzuweichen, sondern eine eher flexible Regelung wünschte, die den Umständen des Einzelfalls angepasst werden kann.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point40">40.</a>      Die vom Gerichtshof zur Feststellung des Vorliegens eines Zufalls oder eines Falls höherer Gewalt angewandten Kriterien spiegeln meines Erachtens diese Entscheidungen wider. Zwar trifft es zu, dass der Gerichtshof wiederholt befunden hat, dass nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen von den Verfahrensfristen abgewichen werden kann(<a href="#Footnote23" name="Footref23">23</a>), jedoch erlaubt es die Anwendung dieser Kriterien dem Gerichtshof, auf der Grundlage der besonderen Umstände des Einzelfalls flexibel zu beurteilen, ob die Verfristung durch ein Ereignis verursacht worden ist, das nach vernünftiger Einschätzung nicht vorhersehbar war und somit nicht hätte vermieden werden können, ohne übermäßige Opfer zu bringen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point41">41.</a>      Meines Erachtens ist die Rechtsprechung des Gerichtshofs daher so zu verstehen, dass das Vorliegen eines „Zufalls oder eines Falls höherer Gewalt“ wie ein zusammenhängender Begriff als Einheit anhand derselben Kriterien zu prüfen ist, mit denen der Schwerpunkt auf die Angemessenheit der Maßnahmen gelegt wird, die der Betroffene zu ergreifen hat, um eine Verfristung zu vermeiden, indem im Einzelfall überprüft wird, dass zum einen die Nichteinhaltung von Verfahrensvorschriften unter ungewöhnlichen Umständen erfolgt ist, die außerhalb der Sphäre des Betroffenen liegen, und zum anderen der Betroffene Maßnahmen ergriffen hat, um die Folgen des ungewöhnlichen Ereignisses zu vermeiden, ohne übermäßige Opfer zu bringen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point42">42.</a>      Die Antwort auf die Frage, was das ungewöhnliche Ereignis sein mag und welche Maßnahmen zur Vermeidung der negativen Folgen dieses Ereignisses zu treffen sind, hängt – wie es zwingend der Fall ist, wenn eine umfassende Beurteilung der Umstände geboten ist – von den Besonderheiten des Einzelfalls ab.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point43">43.</a>      Grundsätzlich erlaubt es jedoch die Anwendung dieses relativ flexiblen Maßstabs, die Waffengleichheit zwischen den Parteien in Situationen sicherzustellen, in denen die strikte Anwendung der Verfahrensfristen eine Ungleichbehandlung der Verfahrensparteien bedeuten würde.</p>
<p class="C24Titrenumerote4">b)      <b>Der Rechtsirrtum in dem angefochtenen Beschluss</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point44">44.</a>      In dem angefochtenen Beschluss hat das Gericht einen strengeren Maßstab als den durch die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs vorgegebenen angelegt. Das Gericht hat, als es in der vorliegenden Rechtssache einen Zufall oder einen Fall höherer Gewalt ausgeschlossen hat, geprüft, ob die Verfristung durch ein Ereignis verursacht worden ist, das sich nicht hätte vermeiden lassen(<a href="#Footnote24" name="Footref24">24</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point45">45.</a>      Tatsächlich hat das Gericht in dem angefochtenen Beschluss die vom Gerichtshof im Urteil Bayer/Kommission entwickelten Kriterien zwar bekräftigt, sodann aber befunden, dass ein Zufall oder ein Fall höherer Gewalt im Sinne von Art. 45 der Satzung nur dann vorliegen könne, wenn sich das fragliche Ereignis nicht vermeiden lasse und folglich den entscheidenden Grund dafür bilde, dass der Betroffene die vorgesehene Frist nicht gewahrt habe (im Folgenden: Unvermeidbarkeitskriterium)(<a href="#Footnote25" name="Footref25">25</a>). Es hat außerdem entschieden, dass der langsame Postversand nicht für sich allein einen Zufall oder einen Fall höherer Gewalt darstellen könne, sofern nicht weitere besondere Umstände hinzukämen, wie etwa ein Streik, ein Zusammenbruch der Verwaltungstätigkeit oder eine Naturkatastrophe(<a href="#Footnote26" name="Footref26">26</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point46">46.</a>      Wie bereits dargelegt, ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum einen Voraussetzung, dass die Verfristung durch ungewöhnliche, außerhalb der Sphäre des Betroffenen liegende Umstände verursacht worden ist (objektives Merkmal). Zum anderen muss der Betroffene geeignete Maßnahmen ergreifen, um sich gegen die Folgen ungewöhnlicher Ereignisse zu wappnen, ohne jedoch verpflichtet zu sein, übermäßige Opfer zur Vermeidung einer Verfristung zu bringen. Der Betroffene muss insoweit „den Ablauf des eingeleiteten Verfahrens“ sorgfältig überwachen und insbesondere dartun, dass er zum Zweck der Einhaltung der vorgesehenen Fristen Sorgfalt hat walten lassen (subjektives Merkmal)(<a href="#Footnote27" name="Footref27">27</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point47">47.</a>      Dagegen ist nicht auch noch erforderlich, dass sich das ungewöhnliche Ereignis nicht hätte vermeiden lassen. Eine solche zusätzliche Voraussetzung würde den Anwendungsbereich von Art. 45 der Satzung erheblich einschränken, so dass er nur Sachverhalte erfasste, bei denen – wenn auch keine absolute Unmöglichkeit – so doch praktisch Unmöglichkeit vorliegt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point48">48.</a>      Wie die Kommission zutreffend anmerkt, ist der Gerichtshof offenbar mindestens einmal dem vom Gericht in dem angefochtenen Beschluss herangezogenen Ansatz gefolgt, und zwar in seinem Beschluss Faktor B. i W. Gęsina(<a href="#Footnote28" name="Footref28">28</a>). In jenem Beschluss hat der Gerichtshof die auf der Grundlage des Unvermeidbarkeitskriteriums basierende Beurteilung des Gerichts, es liege kein Zufall oder Fall höherer Gewalt vor, bestätigt(<a href="#Footnote29" name="Footref29">29</a>). Die Frage dort war – wie in der vorliegenden Rechtssache –, ob sich die Klägerin auf die erhebliche Verzögerung beim Postversand (von Polen nach Luxemburg) berufen konnte, um darzutun, dass ein Zufall oder ein Fall höherer Gewalt im Sinne von Art. 45 der Satzung vorliegt(<a href="#Footnote30" name="Footref30">30</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point49">49.</a>      Jener Beschluss (wie auch der angefochtene Beschluss) weicht offenbar von der auf das Urteil Bayer/Kommission zurückgehenden Rechtsprechung ab, soweit der Gerichtshof die vom Gericht vorgenommene Anwendung des Unvermeidbarkeitskriteriums bestätigt hat.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point50">50.</a>      Es sollte nicht vergessen werden, dass die Parteien gemäß Art. 72 der Verfahrensordnung des Gerichts in der Fassung, die für die vorliegende Rechtssache gilt, Verfahrensschriftstücke bei der Kanzlei in Papierform einreichen können. Die Parteien hatten danach noch diese Möglichkeit – trotz der Einführung der Anwendung e‑Curia, eines Systems, das es den Parteien erlaubt, Verfahrensschriftstücke auf elektronischem Weg einzureichen(<a href="#Footnote31" name="Footref31">31</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point51">51.</a>      Die praktischen Durchführungsbestimmungen des Gerichts sowie die praktischen Anweisungen des Gerichtshofs sind in diesem Zusammenhang ebenfalls zu erwähnen. In diesen Bestimmungen ist speziell vorgesehen, dass eine Partei Schriftstücke auf dem Postweg senden kann(<a href="#Footnote32" name="Footref32">32</a>). Diesbezüglich wird darauf hingewiesen, dass, damit eine per Telefax geschickte Kopie für die Zwecke der Wahrung einer Frist berücksichtigt werden kann, das unterzeichnete Original unverzüglich, unmittelbar nach der Übermittlung per Telefax abzuschicken ist(<a href="#Footnote33" name="Footref33">33</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point52">52.</a>      Das vom Gericht angewandte Unvermeidbarkeitskriterium bedeutet indessen, dass eine ungewöhnliche Verzögerung beim Postversand automatisch nicht in den Anwendungsbereich von Art. 45 der Satzung fällt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point53">53.</a>      Nicht jede Partei ist in der Lage, den Unionsgerichten Verfahrensschriftstücke persönlich zu überbringen, ohne übermäßige Opfer zu bringen. Da die für das vorliegende Verfahren einschlägigen Vorschriften der Verfahrensordnung des Gerichts es den Parteien ausdrücklich erlauben, Verfahrensschriftstücke in Papierform zu übermitteln, würde meiner Ansicht nach ein kategorischer Ausschluss von Verzögerungen beim Postversand zudem im Widerspruch zu der Rechtsprechung des Gerichtshofs und der Verfahrensordnung des Gerichts stehen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point54">54.</a>      Aus diesen Gründen halte ich die angefochtene Entscheidung für rechtsfehlerhaft.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point55">55.</a>      Nachdem dies geklärt ist, ist dennoch zu prüfen, wie das Vorliegen eines Zufalls und eines Falls höherer Gewalt konkret anhand der in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zu analysieren ist.</p>
<p class="C24Titrenumerote4">c)      <b>Das Wesen der Beurteilung und die für die Prüfung der Frage, ob der Betroffene mit hinreichender Sorgfalt gehandelt hat, zu berücksichtigenden Faktoren</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point56">56.</a>      Es ist nicht einfach, diese Frage auf der Grundlage der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu beantworten. Der Grund hierfür ist, dass die Beurteilung der Umstände, auf die sich die Parteien berufen, um das Vorliegen eines Zufalls oder eines Falls höherer Gewalt auf der Grundlage der sich aus dem Urteil Bayer/Kommission ergebenden Kriterien darzutun, letztlich vom Einzelfall abhängt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point57">57.</a>      Zu beachten ist jedoch, dass das Vorliegen von Umständen, die eine Abweichung von den Verfahrensfristen rechtfertigen, auf der Grundlage dessen zu prüfen ist, was die Parteien, die sich auf Art. 45 der Satzung berufen, vortragen: Nach dieser Vorschrift muss der Betroffene das Vorliegen eines Zufalls oder eines Falls höherer Gewalt nachweisen. Dementsprechend muss der Betroffene dartun, dass (a) ein ungewöhnliches Ereignis vorlag, das außerhalb seiner Sphäre lag (objektives Merkmal), und (b) er alle angemessenen Maßnahmen ergriffen hat, um eine Verfristung zu vermeiden (subjektives Merkmal). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point58">58.</a>      Wie bereits dargelegt, ist eine ungewöhnliche Verzögerung beim Postversand nach meinem Verständnis der Rechtsprechung nicht automatisch vom Anwendungsbereich des Art. 45 der Satzung auszuschließen. Heutzutage dürfte man davon ausgehen können, dass Postsendungen – zumindest grundsätzlich – ihr Ziel innerhalb Europas innerhalb von zehn Tagen erreichen sollten. Tatsächlich kann eine Postlaufzeit, die die in Art. 73 Abs. 3 der Verfahrensordnung vorgesehenen zehn zusätzlichen Tage überschreitet, meiner Ansicht nach als ungewöhnliches (außerhalb der Sphäre des Betroffenen liegendes) Ereignis angesehen werden(<a href="#Footnote34" name="Footref34">34</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point59">59.</a>      Um das objektive Merkmal (a) zu erfüllen, ist es daher ausreichend, dass der Betroffene dartut, dass die Nichteinhaltung der vorgesehenen Frist durch eine <i>ungewöhnliche</i> Verzögerung beim Postversand verursacht wurde. In dieser Hinsicht ist es nicht erforderlich, nachzuweisen, dass die Verzögerung durch ein außergewöhnliches Ereignis wie etwa einen Streik, eine Naturkatastrophe oder einen Zusammenbruch der Verwaltungstätigkeit verursacht wurde(<a href="#Footnote35" name="Footref35">35</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point60">60.</a>      Allerdings zeigt die Erfahrung, dass Postlaufzeiten variieren und gelegentlich (sogar erhebliche) Verzögerungen beim Postversand vorkommen können. Daher ist im Rahmen der Feststellung, ob das objektive Merkmal erfüllt ist, gebührend zu berücksichtigen, ob die Verzögerung unter den gegebenen Umständen ungewöhnlich ist, insbesondere im Hinblick auf Faktoren wie Entfernung, Jahreszeit etc.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point61">61.</a>      Wenn feststeht, dass die Verzögerung unter den besonderen Umständen des Falls ungewöhnlich war, ist zu prüfen, ob der Betroffene sämtliche angemessenen Maßnahmen getroffen hat, um eine Verfristung zu vermeiden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point62">62.</a>      Im Rahmen der Feststellung, ob das subjektive Merkmal (b) vorliegt, spielen mehrere Faktoren eine Rolle.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point63">63.</a>      Erstens ist es wichtig, festzustellen, <i>wann</i> das unterzeichnete Original der Klageschrift bei der Postdienststelle eingeliefert wurde. Dafür, dass sorgfältig gehandelt wurde, spricht meines Erachtens die Einhaltung von Rn. 80 der praktischen Durchführungsbestimmungen des Gerichts, also dass das Original unverzüglich abgeschickt wurde. Das bedeutet, an dem Tag, an dem die Kopie per Telefax abgeschickt wurde, oder spätestens am darauffolgenden Tag(<a href="#Footnote36" name="Footref36">36</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point64">64.</a>      Zweitens sollte von einer Partei nicht verlangt werden, dass sie die teuersten grenzüberschreitenden Zustelldienste in Anspruch nimmt, die angeboten werden, wenn ein preiswerterer Anbieter grundsätzlich zu genügen scheint, um sicherzustellen, dass die Zustellung des unterzeichneten Originals an die Kanzlei des Gerichts innerhalb der vorgesehenen Zeiträume erfolgt(<a href="#Footnote37" name="Footref37">37</a>). Da Verzögerungen jedoch vorkommen, muss eine Partei, die sich entschließt, ein Verfahrensschriftstück auf dem Postweg anstelle mit der Anwendung e‑Curia zu verschicken, meiner Ansicht nach Vorkehrungen treffen, die von einer sorgfältigen Person vernünftigerweise erwartet werden können. Je nach den Umständen (etwa wenn der Diensteanbieter bekanntermaßen unzuverlässig ist oder wenn die Frist um einen Feiertag herum abläuft), kann es daher die Sorgfaltspflicht erfordern, dass das unterzeichnete Original per Expresskurier, Eilbrief oder zumindest per Einschreiben versendet wird.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point65">65.</a>      Enden die Verpflichtungen der Partei hier?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point66">66.</a>      Meiner Ansicht nach ist das nicht der Fall. Zwar ist richtig, dass der Absender die tatsächliche Kontrolle über die Sendung verliert, sobald sie einem Postdienstleister zum Versand anvertraut wurde. Hervorzuheben ist jedoch, dass mit der Verschickung von Verfahrensschriftstücken auf dem Postweg Risiken verbunden sind, die mit Verzögerungen zusammenhängen, die eine Partei durch die Nutzung der Anwendung e‑Curia vermeiden könnte(<a href="#Footnote38" name="Footref38">38</a>)<i>.</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point67">67.</a>      Daher ist eine Partei, die die in Art. 73 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts vorgesehene Option gewählt hat, meiner Meinung nach verpflichtet, die Sendung zu verfolgen, damit zumindest der <i>Versuch</i> unternommen wird, zu verhindern, dass sich diese Risiken verwirklichen. In der Tat muss die Partei den „Ablauf des eingeleiteten Verfahrens“ sorgfältig überwachen und zum Zweck der Einhaltung der vorgesehenen Fristen Sorgfalt walten lassen(<a href="#Footnote39" name="Footref39">39</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point68">68.</a>      Aber was bringt diese Verpflichtung in diesem besonderen Kontext konkret mit sich?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point69">69.</a>      Ist eine Tracking-Nummer erhältlich, bedeutet das, dass die Partei die Sendung aufmerksam und regelmäßig verfolgen muss, bis das Schriftstück ordnungsgemäß der Kanzlei des Gerichts zugestellt worden ist.       Ist keine Tracking-Nummer erhältlich, bedeutet das, dass die Partei (deutlich vor Ablauf der vorgesehenen Frist) Kontakt mit der Kanzlei des Gerichts aufnehmen muss, um sich zu vergewissern, dass das unterzeichnete Original rechtzeitig angekommen ist(<a href="#Footnote40" name="Footref40">40</a>). Zeichnet sich ab, dass sich die Lieferung verzögert, so kann der Betroffene immer noch versuchen, die vorgesehene Frist einzuhalten, indem er sich aktiv bemüht, den Verbleib der Sendung ausfindig zu machen, indem er den betreffenden Postdienstleister kontaktiert und – falls alles andere fehlschlägt – der Kanzlei eine Fassung der Klageschrift schickt (oder persönlich überbringt, falls dies angemessen ist), die eine zweite Originalunterschrift trägt und das ursprüngliche fehlgeleitete Original ersetzen soll(<a href="#Footnote41" name="Footref41">41</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point70">70.</a>      Indem der Betroffene diese Maßnahmen ergreift, kann er dartun, dass er Sorgfalt hat walten lassen, ohne jedoch übermäßige Opfer zu bringen. Insoweit ist daher die Frage, ob eine realistische Chance besteht, die vorgesehene Frist einzuhalten, unerheblich.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point71">71.</a>      Wenn eine Partei die in Art. 73 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts vorgesehene Option gewählt hat, muss sie demzufolge, um von der Ausschlusswirkung der Verspätung nach Art. 45 der Satzung ausgenommen zu werden, dartun, dass sie Sorgfalt hat walten lassen, indem sie alle angemessenen Maßnahmen zur Vermeidung der Verfristung ergriffen hat. Sie muss demnach dartun, dass das unterzeichnete Original unverzüglich nach Übermittlung der Kopie per Telefax geschickt wurde, dass das Original mit einem Postdienst verschickt wurde, der zu genügen schien, um die Zustellung des unterzeichneten Originals der Klageschrift an die Kanzlei des Gerichts innerhalb der vorgesehenen Frist zu gewährleisten, und dass sie den Ablauf des Postversands aufmerksam überwacht und sich in den Fällen, in denen sich bei der Überwachung eine Verzögerung zeigte, bemüht hat, die vorgesehene Frist einzuhalten.</p>
<p class="C24Titrenumerote4">d)      <b>Zwischenergebnis</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point72">72.</a>      In dem angefochtenen Beschluss hat das Gericht in einem ersten Schritt befunden, dass eine Partei von der Ausschlusswirkung der Verspätung nur dann ausgenommen werden kann, wenn die Verfristung durch ein Ereignis verursacht wurde, das sich nicht hätte vermeiden lassen. Damit hat das Gericht einen Rechtsfehler begangen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point73">73.</a>      Dieser Rechtsfehler kann jedoch vorliegend nicht zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses führen. Nach ständiger Rechtsprechung ist zu beachten, dass eine Verletzung des Unionsrechts in einer Entscheidung des Gerichts, wenn zwar deren Gründe eine solche Verletzung enthalten, die Entscheidungsformel sich aber aus anderen Rechtsgründen als richtig erweist, nicht zur Aufhebung dieser Entscheidung führen kann und die Begründung durch eine andere zu ersetzen ist(<a href="#Footnote42" name="Footref42">42</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point74">74.</a>      Da das Gericht in einem zweiten Schritt die Maßnahmen geprüft hat, die RF zur Vermeidung der Verfristung ergriffen hatte, beeinträchtigt der festgestellte Rechtsfehler die Entscheidungsformel des angefochtenen Beschlusses nicht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point75">75.</a>      Dem angefochtenen Beschluss ist zu entnehmen, dass RF das unterzeichnete Original unverzüglich nach der Übermittlung der Kopie des Originals per Telefax an das Gericht geschickt hat (noch am selben Tag), und zwar per Einschreiben und unter Inanspruchnahme eines Dienstes, der zu genügen schien, um eine rechtzeitige Zustellung zu gewährleisten. RF hat jedoch keine weiteren Informationen bereitgestellt, um zu zeigen, dass sie sich bemüht hat, den Ablauf des Postversands zu überwachen, und Maßnahmen zur Vermeidung der Verfristung ergriffen hat, sobald sich die Verzögerung abzeichnete(<a href="#Footnote43" name="Footref43">43</a>). Mit anderen Worten hat das Gericht dennoch zutreffend befunden, dass RF nicht dargetan hat, dass sie zum Zweck der Einhaltung der vorgesehenen Fristen Sorgfalt hat walten lassen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point76">76.</a>      Daher bin ich der Auffassung, dass das Argument, das Gericht habe durch eine falsche Auslegung von Art. 45 der Satzung unzutreffend festgestellt, RF habe das Vorliegen eines Zufalls oder eines Falls höherer Gewalt nicht dargetan, unter Ersetzung der Begründung durch eine andere zurückzuweisen ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point77">77.</a>      Folglich sind der erste und der zweite Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">2.      <b>Zum dritten Rechtsmittelgrund</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point78">78.</a>      RF macht geltend, das Gericht habe unzutreffend festgestellt, dass sie das Vorliegen eines Zufalls im Sinne von Art. 45 der Satzung nicht nachgewiesen habe. RF trägt vor, sie habe das Vorliegen eines Zufalls nachgewiesen: Für den Zufall habe sie nicht nur mehr Beweise als erforderlich vorgelegt, sondern auch alle ihr überhaupt zugänglichen Beweise beigebracht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point79">79.</a>      Die Kommission macht geltend, die von der Rechtsmittelführerin vorgetragenen Argumente bezögen sich auf Tatsachenfeststellungen und seien als unzulässig zurückzuweisen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point80">80.</a>      Ich stimme der Kommission zu. Mit diesem Rechtsmittelgrund werden im Wesentlichen die bereits mit dem ersten Rechtsmittelgrund vorgebrachten Argumente wiederholt, allerdings allein unter dem Aspekt der tatsächlichen Umstände.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point81">81.</a>      Bekanntermaßen liegt nach Art. 58 der Satzung und Art. 256 AEUV die ausschließliche Zuständigkeit für die Feststellung der Tatsachen und deren Würdigung beim Gericht. Rechtsmittel zum Gerichtshof können somit nur Rechtsfragen betreffen. Der Gerichtshof ist somit zur Kontrolle der rechtlichen Qualifizierung der betreffenden Tatsachen und der vom Gericht daraus gezogenen rechtlichen Konsequenzen befugt(<a href="#Footnote44" name="Footref44">44</a>). Eine erneute Würdigung der Tatsachen oder der Beweise ist jedoch keine Rechtsfrage, die der Kontrolle durch den Gerichtshof unterliegt. Anders verhält es sich nur, wenn die dem Gericht vorgelegten Tatsachen oder beigebrachten Beweise verfälscht werden; in einem solchen Fall muss die behauptete Verfälschung aus den Akten der Rechtssache hervorgehen(<a href="#Footnote45" name="Footref45">45</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point82">82.</a>      Mit ihrem dritten Rechtsmittelgrund wünscht RF eindeutig eine neue Würdigung der dem Gericht vorgelegten Tatsachen und beigebrachten Beweise, ohne zu behaupten, dass diese verfälscht seien. Daher ist der dritte Rechtsmittelgrund als unzulässig zurückzuweisen.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">3.      <b>Zum vierten Rechtsmittelgrund</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point83">83.</a>      RF macht geltend, das Gericht habe mit dem angefochtenen Beschluss gegen Art. 1, Art. 6 Abs. 1 und Art. 14 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verstoßen. Nach ihrer Ansicht bewirkt die vom Gericht vorgenommene Auslegung von Art. 45 der Satzung, dass der Zugang zu den Unionsgerichten für eine Partei, deren (Wohn‑)Sitz vom Sitz dieser Gerichte weit entfernt sei, erschwert werde. Die vom Gericht vorgenommene enge Auslegung dieser Bestimmung stelle außerdem eine Diskriminierung der Verfahrensparteien aufgrund ihres Wohnsitzes dar.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point84">84.</a>      Die Kommission trägt in erster Linie vor, dieser Rechtsmittelgrund sei unzulässig. Der Grund hierfür sei, dass RF sich auf die in der EMRK niedergelegten Rechte und nicht auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) beziehe, und dass die Argumente von RF unklar seien. Jedenfalls sei er unbegründet.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point85">85.</a>      Die Rechtsmittelführerin hat in ihrer Erwiderung klargestellt, dass mit diesem Rechtsmittelgrund ein Verstoß gegen die Präambel sowie gegen Art. 20, 21 und 47 der Charta gerügt werde.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point86">86.</a>      Das reicht indessen nicht aus. Ein Rechtsmittel muss die beanstandeten Teile des Urteils, dessen Aufhebung beantragt wird, sowie die rechtlichen Argumente, die diesen Antrag speziell stützen, genau bezeichnen(<a href="#Footnote46" name="Footref46">46</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point87">87.</a>      Ich verstehe diesen Rechtsmittelgrund so, dass damit hauptsächlich gerügt wird, dass die vom Gericht vorgenommene Auslegung von Art. 45 der Satzung eine Partei wie RF diskriminiere, also eine Partei, die ihren (Wohn‑)Sitz nicht in der Nähe der Unionsgerichte hat. Der Grund hierfür sei, dass nach dem angefochtenen Beschluss eine Partei, die die in Art. 73 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts niedergelegte Option in Anspruch nehmen möchte, also eine Kombination aus Telefax und Briefpost nutzen möchte, um Verfahrensschriftstücke beim Gericht einzureichen, sich nicht auf eine ungewöhnliche Verzögerung beim Postversand berufen könne, um die Nichteinhaltung der vorgesehenen Frist zu rechtfertigen. Um sicher zu sein, dass keine Verfristung eintrete, könne RF daher die in Art. 73 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts vorgesehene Option nicht nutzen. Stattdessen müsse sie die Klageschrift auf dem Postweg deutlich vor Ablauf der vorgesehenen Frist von zwei Monaten (zuzüglich der in Art. 60 der Verfahrensordnung des Gerichts vorgesehenen Entfernungsfrist von zehn Tagen) versenden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point88">88.</a>      Ich habe Verständnis für das Argument von RF. Dennoch kann ich mich der Tatsache nicht verschließen, dass dieser Rechtsmittelgrund in der Rechtsmittelschrift nicht hinreichend entwickelt wird und allgemein formuliert ist, ohne die rechtlichen Argumente schlüssig darzulegen, die die Grundlage für die Rügen bilden. Dem Vorbringen fehlt es schlicht an Präzision.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point89">89.</a>      Da es nicht Aufgabe des Gerichtshofs ist, die Argumente der Rechtsmittelführerin zu entwickeln oder zu ergänzen, damit ein Urteil in der Sache ergehen kann, empfehle ich dem Gerichtshof, diesen Rechtsmittelgrund für unzulässig zu erklären. Insbesondere hat es RF versäumt, eine rechtlich relevante Vergleichsgruppe im Hinblick auf die Diskriminierung aufzuzeigen, die der angefochtene Beschluss angeblich darstellt, und darzulegen, wie die Rechtsmittelschrift dahin ausgelegt werden kann, dass damit ein Verstoß gegen das Recht auf Zugang zu den Gerichten im Sinne von Art. 47 der Charta gerügt wird.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point90">90.</a>      Folglich ist der vierte Rechtsmittelgrund als unzulässig zurückzuweisen.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">B.      <b>Folgen der Würdigung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point91">91.</a>      Ich bin zu dem Ergebnis gelangt, dass das Gericht im Rahmen seiner Feststellung, es sei nicht dargetan worden, dass ein Zufall oder ein Fall höherer Gewalt im Sinne von Art. 45 der Satzung vorliege, fehlerhafte Kriterien angewandt hat. Dennoch bin ich aus den oben dargelegten Gründen der Auffassung, dass der Rechtsfehler keinen Anlass dazu gibt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point92">92.</a>      Das Rechtsmittel ist somit insgesamt zurückzuweisen.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">V.      <b>Kosten</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point93">93.</a>      Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point94">94.</a>      Sollte der Gerichtshof meiner Beurteilung des Rechtsmittels folgen, wäre nach den Art. 137, 138 und 184 der Verfahrensordnung RF zur Tragung der Kosten des vorliegenden Verfahrens in beiden Rechtszügen zu verurteilen.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">VI.    <b>Ergebnis</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point95">95.</a>      Angesichts der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, wie folgt zu entscheiden:</p>
<p class="C03Tiretlong">–        Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen;</p>
<p class="C03Tiretlong">–        RF trägt die Kosten.</p>
<hr/>
<p class="C40FootnoteLangue">
<a href="#Footref1" name="Footnote1">1</a>      Originalsprache: Englisch.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref2" name="Footnote2">2</a>      Beschluss vom 13. September 2017, RF/Kommission (T‑880/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:647).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref3" name="Footnote3">3</a>      ABl. 2015, L 105, S. 1. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref4" name="Footnote4">4</a>      ABl. 2015, L 152, S. 1.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref5" name="Footnote5">5</a>      ABl. 2014, L 31, S. 1. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref6" name="Footnote6">6</a>      Rn. 6 bis 11 des angefochtenen Beschlusses.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref7" name="Footnote7">7</a>      Rn. 12 und 14 des angefochtenen Beschlusses.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref8" name="Footnote8">8</a>      Rn. 15 bis 17 des angefochtenen Beschlusses.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref9" name="Footnote9">9</a>      Rn. 18 und 19 des angefochtenen Beschlusses.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref10" name="Footnote10">10</a>      Rn. 20 des angefochtenen Beschlusses.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref11" name="Footnote11">11</a>      Beschluss des Gerichtshofs vom 30. September 2014, Faktor B. i W. Gęsina/Kommission (C‑138/14 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2014:2256).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref12" name="Footnote12">12</a>      Ebd., Rn. 20 bis 25.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref13" name="Footnote13">13</a>      Rn. 22 bis 27 des angefochtenen Beschlusses.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref14" name="Footnote14">14</a>      Diese Bestimmung sieht vor: „Ist das Gericht für die Entscheidung über eine Klage offensichtlich unzuständig oder ist eine Klage offensichtlich unzulässig oder fehlt ihr offensichtlich jede rechtliche Grundlage, so kann es auf Vorschlag des Berichterstatters jederzeit die Entscheidung treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden, ohne das Verfahren fortzusetzen.“ </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref15" name="Footnote15">15</a>      Vgl. u. a. Urteile vom 11. Juli 1968, Schwarzwaldmilch (4/68, EU:C:1968:41, 562, 574 f.), vom 17. Dezember 1970, Internationale Handelsgesellschaft (11/70, EU:C:1970:114, Rn. 24), und vom 30. Januar 1974, Kampffmeyer (158/73, EU:C:1974:8, Rn. 8). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref16" name="Footnote16">16</a>      Urteil vom 9. Februar 1984, Acciaierie e Ferriere Busseni/Kommission (284/82, EU:C:1984:47).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref17" name="Footnote17">17</a>      Urteile vom 9. Februar 1984, Acciaierie e Ferriere Busseni/Kommission (284/82, EU:C:1984:47, Rn. 11), vom 30. Mai 1984, Ferriera Vittoria/Kommission (224/83, EU:C:1984:208, Rn. 13), und vom 12. Juli 1984, Ferriera Valsabbia/Kommission (209/83, EU:C:1984:274, Rn. 21).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref18" name="Footnote18">18</a>      Urteil vom 15. Dezember 1994, Bayer/Kommission (C‑195/91 P, EU:C:1994:412). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref19" name="Footnote19">19</a>      So bereits Generalanwalt Capotorti im Hinblick auf den Begriff der höheren Gewalt. Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Capotorti in der Rechtssache Milch‑, Fett- und Eierkontor (42/79, EU:C:1979:259, 3718, 3723) und in den verbundenen Rechtssachen Ferriera Valsabbia u. a./Kommission (154/78, 205/78, 206/78, 226/78 bis 228/78, 263/78, 264/78, 31/79, 39/79, 83/79 und 85/79, EU:C:1979:275, 1035, 1067).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref20" name="Footnote20">20</a>      Insbesondere Urteile vom 15. Dezember 1994, Bayer/Kommission (C‑195/91 P, EU:C:1994:412, Rn. 32), und vom 22. September 2011, Bell & Ross/HABM (C‑426/10 P, EU:C:2011:612, Rn. 48). Vgl. auch Urteil vom 23. April 2013, Gbagbo u. a./Rat (C‑478/11 P bis C‑482/11 P, EU:C:2013:258, Rn. 72), und Beschluss vom 8. November 2007, Belgien/Kommission (C‑242/07 P, EU:C:2007:672, Rn. 17).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref21" name="Footnote21">21</a>      Offenbar stuft der Gerichtshof Krieg als „höhere Gewalt“ ein und nicht als „Zufall“. Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. April 2013, Gbagbo u. a./Rat (C‑478/11 P bis C‑482/11 P, EU:C:2013:258, Rn. 72).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref22" name="Footnote22">22</a>      Urteil vom 23. April 2013, Gbagbo u. a./Rat (C‑478/11 P bis C‑482/11 P, EU:C:2013:258, Rn. 71 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Beschluss vom 7. Mai 1998, Irland/Kommission (C‑239/97, EU:C:1998:213, Rn. 7 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref23" name="Footnote23">23</a>      Urteile vom 14. Dezember 2016, SV Capital/EBA (C‑577/15 P, EU:C:2016:947, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 22. September 2011 (Bell & Ross/HABM, C‑426/10 P, EU:C:2011:612, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref24" name="Footnote24">24</a>      Rn. 25 bis 27 des angefochtenen Beschlusses.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref25" name="Footnote25">25</a>      Rn. 19 des angefochtenen Beschlusses.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref26" name="Footnote26">26</a>      Rn. 21 des angefochtenen Beschlusses.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref27" name="Footnote27">27</a>      Urteil vom 15. Dezember 1994, Bayer/Kommission (C‑195/91 P, EU:C:1994:412, Rn. 32).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref28" name="Footnote28">28</a>      Beschluss des Gerichtshofs vom 30. September 2014, Faktor B. i W. Gęsina/Kommission (C‑138/14 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2014:2256).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref29" name="Footnote29">29</a>      Ebd., Rn. 19 und 20.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref30" name="Footnote30">30</a>      Ebd., Rn. 10 und 11.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref31" name="Footnote31">31</a>      Vgl. Art. 74 der Verfahrensordnung des Gerichts und Beschluss des Gerichts vom 14. September 2011 über die Einreichung und die Zustellung von Verfahrensschriftstücken im Wege der Anwendung e‑Curia (ABl. 2011, C 289, S. 9). Seit dem 1. Dezember 2018 ist der Gebrauch der Anwendung e‑Curia in Verfahren vor dem Gericht zwingend vorgeschrieben.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref32" name="Footnote32">32</a>      Vgl. insbesondere Rn. 79 bis 81 der praktischen Durchführungsbestimmungen des Gerichts und Nrn. 42 und 43 der praktischen Anweisungen des Gerichtshofs.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref33" name="Footnote33">33</a>      Für ausschließlich auf dem Postweg eingereichte Schriftstücke empfiehlt der Gerichtshof eine Versendung per Eilbrief oder Einschreiben. Eine solche Empfehlung wird nicht abgegeben für Parteien, die nach Art. 73 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts Telefax oder E‑Mail verwenden möchten.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref34" name="Footnote34">34</a>      Dem Anhang der Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität (ABl. <i>1998, L 15, S. 14) ist zu entnehmen, dass</i> 97 % der grenzüberschreitenden Post innerhalb von fünf Tagen ab der Einlieferung zuzustellen ist.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref35" name="Footnote35">35</a>      Vgl. Rn. 27 des angefochtenen Beschlusses.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref36" name="Footnote36">36</a>      Ähnlich Beschlüsse vom 7. Mai 1998, Irland/Kommission (C‑239/97, EU:C:1998:213, Rn. 9), und vom 18. Januar 2005, Zuazaga Meabe/HABM (C‑325/03 P, EU:C:2005:28, Rn. 26).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref37" name="Footnote37">37</a>      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Januar 2015, Abdulrahim/Rat und Kommission (T‑127/09 RENV, EU:T:2015:4, Rn. 47), und vom 21. Juni 2017, City Train/EUIPO (CityTrain) (T‑699/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:409, Rn. 15).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref38" name="Footnote38">38</a>      Bei Verwendung der Anwendung e‑Curia<i/>erhält der Absender unverzüglich eine Empfangsbestätigung, wenn die Schriftstücke<i/>den Unionsgerichten ordnungsgemäß übermittelt worden sind.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref39" name="Footnote39">39</a>      Insbesondere Urteile vom 15. Dezember 1994, Bayer/Kommission, C‑195/91 P, EU:C:1994:412, Rn. 32), und vom 22. September 2011, Bell & Ross/HABM (C‑426/10 P, EU:C:2011:612, Rn. 48). Vgl. auch Beschluss vom 8. November 2007, Belgien/Kommission (C‑242/07 P, EU:C:2007:672, Rn. 17).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref40" name="Footnote40">40</a>      Für eine andere Auffassung vgl. Urteil vom 14. Januar 2015, Abdulrahim/Rat und Kommission (T‑127/09 RENV, EU:T:2015:4, Rn. 50).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref41" name="Footnote41">41</a>      Ähnlich Urteil vom 14. Januar 2015, Abdulrahim/Rat und Kommission (T‑127/09 RENV, EU:T:2015:4, Rn. 52).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref42" name="Footnote42">42</a>      Vgl. unter vielen anderen Urteil vom 26. Januar 2017, Zucchetti Rubinetteria/Kommission (C‑618/13 P, EU:C:2017:48, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref43" name="Footnote43">43</a>      Rn. 26 des angefochtenen Beschlusses.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref44" name="Footnote44">44</a>      Vgl. u. a. Urteil vom 25. Juli 2018, Kommission/Spanien u. a.<i/>(C‑128/16 P, EU:C:2018:591, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref45" name="Footnote45">45</a>      Vgl. beispielsweise Urteil vom 6. September 2018, Klein/Kommission (C‑346/17 P, EU:C:2018:679, Rn. 124 bis 126 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref46" name="Footnote46">46</a>      Vgl. u. a. Urteil vom 20. September 2018, Agria Polska u. a./Kommission (C‑373/17 P, EU:C:2018:756, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
|
175,025 | eugh-2019-01-24-c-63417 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-634/17 | 2019-01-24T00:00:00 | 2019-01-31T19:20:49 | 2019-01-31T19:20:49 | Schlussantrag des Generalanwalts | ECLI:EU:C:2019:61 | <p class="C36Centre">SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS</p>
<p class="C36Centre">HENRIK SAUGMANDSGAARD ØE</p>
<p class="C36Centre">vom 24. Januar 2019(<a href="#Footnote1" name="Footref1">1</a>)</p>
<p class="C38Centregrasgrandespacement">
<b>Rechtssache C</b>‑<b>634/17</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>ReFood GmbH & Co. KG</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>gegen</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Landwirtschaftskammer Niedersachsen</b>
</p>
<p class="C39Centreespacement">(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Oldenburg [Deutschland])</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Umwelt – Verbringung von Abfällen innerhalb der Union – Geltungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 – Art. 1 Abs. 3 Buchst. d – Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 1069/2009 – Verbringung tierischer Nebenprodukte“</p>
<br/>
<br/>
<br/>
<br/>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point1">1.</a>        Vor dem Hintergrund der Frage der Rechtmäßigkeit einer Verbringung tierischer Nebenprodukte von den Niederlanden nach Deutschland geben die Vorlagefragen des Verwaltungsgerichts Oldenburg (Deutschland) dem Gerichtshof die Gelegenheit, erstmals Art. 1 Abs. 3 Buchst. d der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Verbringung von Abfällen(<a href="#Footnote2" name="Footref2">2</a>) auszulegen, wonach diese Verordnung nicht für „Verbringungen, die unter die Zulassungsanforderungen der Verordnung (EG) Nr. 1774/2002[(<a href="#Footnote3" name="Footref3">3</a>)] fallen“, gilt, und damit den Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1013/2006 einzugrenzen(<a href="#Footnote4" name="Footref4">4</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point2">2.</a>        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen wirft nicht nur heikle Fragen des Zusammenspiels sekundärrechtlicher Vorschriften auf, sondern veranlasst den Gerichtshof trotz einer gewissen technischen Prägung auch dazu, wichtige Klarstellungen im Bereich der Verbringung von Abfällen und insbesondere der Verbringung tierischer Nebenprodukte vorzunehmen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point3">3.</a>        So wird sich die Antwort des Gerichtshofs ganz konkret auf die Formalitäten auswirken, die bei der Verbringung tierischer Nebenprodukte der Kategorie 3 innerhalb der Europäischen Union einzuhalten sind. Dabei handelt es sich um eine Frage von grundlegender Bedeutung im Hinblick auf die umwelt- und gesundheitspolitischen Herausforderungen, die sich im Umgang mit Abfällen und Nebenprodukten insbesondere tierischen Ursprungs stellen(<a href="#Footnote5" name="Footref5">5</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point4">4.</a>        In den vorlegenden Schlussanträgen werde ich darlegen, weshalb Art. 1 Abs. 3 Buchst. d der Verordnung Nr. 1013/2006 meines Erachtens dahin ausgelegt werden sollte, dass die Verbringung der in Rede stehenden tierischen Nebenprodukte der Kategorie 3, soweit nichts anderes bestimmt ist, in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 1069/2009(<a href="#Footnote6" name="Footref6">6</a>) und nicht in den Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1013/2006 fällt.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">I.      <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C22Titrenumerote2">A.      <b>Verordnung Nr. 1013/2006</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point5">5.</a>        Die Erwägungsgründe 11 und 12 der Verordnung Nr. 1013/2006 lauten:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">„(11)      Redundanz mit der Verordnung … Nr. 1774/2002 …, die bereits Bestimmungen zur gesamten Sendung, Kanalisierung und Verbringung (Einsammlung, Beförderung, Behandlung, Verarbeitung, Nutzung, Verwertung oder Beseitigung, Aufzeichnungen, Begleitpapiere und Rückverfolgbarkeit) von tierischen Nebenprodukten in der, in die und aus der Gemeinschaft enthält, muss vermieden werden.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(12)      Die Kommission sollte bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung über das Verhältnis zwischen bestehenden sektoriellen Regelungen für die Gesundheit von Tier und Mensch und den Bestimmungen dieser Verordnung Bericht erstatten und bis zu diesem Zeitpunkt alle erforderlichen Vorschläge zur Anpassung dieser Regelungen an diese Verordnung vorlegen, um ein gleichwertiges Kontrollniveau zu erreichen.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point6">6.</a>        In Art. 1 Abs. 3 dieser Verordnung heißt es:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Diese Verordnung gilt nicht für</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">d)      Verbringungen, die unter die Zulassungsanforderungen der Verordnung … Nr. 1774/2002 fallen;</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point7">7.</a>        Nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung unterliegen Verbringungen von zur Beseitigung bestimmten Abfällen und von zur Verwertung bestimmten Abfällen – im Fall Letzterer insbesondere, wenn es sich um Abfälle handelt, die in der Gelben Liste(<a href="#Footnote7" name="Footref7">7</a>) aufgeführt werden – dem in der Verordnung Nr. 1013/2006 vorgesehenen Verfahren der vorherigen schriftlichen Notifizierung und Zustimmung. Gemäß Art. 3 Abs. 2 dieser Verordnung gelten die in Art. 18 der Verordnung genannten Informationspflichten, sofern die Verbringung ein Gemisch von mehr als 20 kg bestimmter Abfälle oder bestimmter kontaminierter Abfälle betrifft.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">B.      <b>Richtlinie 2008/98</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point8">8.</a>        Die Erwägungsgründe 12 und 13 der Richtlinie 2008/98 lauten:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">„(12)      Die Verordnung … Nr. 1774/2002 … sieht unter anderem verhältnismäßige Kontrollen bezüglich der Abholung und Sammlung, Beförderung, Verarbeitung, Verwendung und Beseitigung aller tierischen Nebenprodukte einschließlich Abfalls tierischen Ursprungs vor und verhindert, dass dieser ein Risiko für die Gesundheit von Mensch und Tier darstellt. Deshalb ist es notwendig, die Verknüpfung mit dieser Verordnung klarzustellen und Doppelregelungen zu vermeiden, indem tierische Nebenprodukte vom Geltungsbereich dieser Richtlinie ausgeschlossen werden, soweit sie für Verwendungen vorgesehen sind, die nicht als Abfallbewirtschaftung angesehen werden.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(13)      Vor dem Hintergrund der mit der Anwendung der Verordnung … Nr. 1774/2002 gewonnenen Erfahrungen ist es angebracht, den Anwendungsbereich des Abfallrechts und seiner Vorschriften für gefährliche Abfälle bezüglich tierischer Nebenprodukte im Sinne der Verordnung … Nr. 1774/2002 klarzustellen. Soweit tierische Nebenprodukte potenzielle Gesundheitsrisiken darstellen, ist die Verordnung … Nr. 1774/2002 das geeignete Rechtsinstrument, um auf diese Risiken einzugehen; unnötige Überschneidungen mit der Abfallgesetzgebung sollten vermieden werden.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point9">9.</a>        In Art. 2 Abs. 2 dieser Richtlinie heißt es:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Folgendes ist aus dem Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgeschlossen, soweit es bereits von anderen gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften abgedeckt ist:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      tierische Nebenprodukte einschließlich verarbeitete Erzeugnisse, die unter die Verordnung … Nr. 1774/2002 fallen, mit Ausnahme derjenigen, die zur Verbrennung, Lagerung auf einer Deponie oder Verwendung in einer Biogas- oder Kompostieranlage bestimmt sind;</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C22Titrenumerote2">C.      <b>Verordnung Nr. 1069/2009</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point10">10.</a>      Die Erwägungsgründe 5, 6, 57 und 58 der Verordnung Nr. 1069/2009 lauten:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">„(5)      Die Hygienevorschriften der Gemeinschaft bezüglich der Sammlung, des Transports, der Handhabung, der Behandlung, der Umwandlung, der Verarbeitung, der Lagerung, des Inverkehrbringens, des Vertriebs, der Verwendung und der Beseitigung tierischer Nebenprodukte sollten in einem kohärenten und umfassenden Rahmen festgelegt werden.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(6)      Diese allgemeinen Vorschriften sollten dem Risiko für die Gesundheit von Mensch und Tier angemessen sein, das tierische Nebenprodukte, wenn sie während ihres Lebenszyklus von der Sammlung bis zu ihrer Verwendung oder Beseitigung von den Unternehmen behandelt werden, bergen. In den Vorschriften sollten die dabei entstehenden Risiken für die Umwelt ebenfalls Berücksichtigung finden. Der gemeinschaftliche Rechtsrahmen sollte gegebenenfalls Vorschriften über das Inverkehrbringen einschließlich der Einfuhr tierischer Nebenprodukte sowie des innergemeinschaftlichen Handels mit diesen enthalten.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(57)      Damit die Kohärenz der Gemeinschaftsvorschriften sichergestellt wird, ist es erforderlich, das Zusammenspiel zwischen den Vorschriften dieser Verordnung und den Gemeinschaftsvorschriften über Abfälle zu klären. Insbesondere sollte die Kohärenz mit dem Verbot der Ausfuhr von Abfällen gewährleistet werden, das in der Verordnung … Nr. 1013/2006 … festgelegt ist. Damit möglicherweise nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt vermieden werden, sollte die Ausfuhr von tierischen Nebenprodukten und entsprechenden Folgeprodukten verboten werden, die durch Verbrennung oder Deponierung beseitigt werden sollen. Die Ausfuhr tierischer Nebenprodukte und ihrer Folgeprodukte sollte auch ausgeschlossen werden, wenn das Ziel darin besteht, sie in einer Biogas- oder Kompostieranlage in Drittländer[n] zu verwenden, die nicht Mitglied der OECD sind; dadurch sollten möglicherweise nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt und Risiken für die Gesundheit von Mensch und Tier vermieden werden. Bei der Anwendung der Vorschriften, die vom Ausfuhrverbot abweichen, ist die Kommission verpflichtet, dem Basler Übereinkommen … und dem entsprechenden Abänderungsbeschluss III/1 der Konferenz der Vertragsparteien uneingeschränkt Rechnung zu tragen; diese wurden im Namen der Gemeinschaft mit dem Beschluss 97/640/EWG des Rates[(<a href="#Footnote8" name="Footref8">8</a>)] bestätigt und mit der Verordnung … Nr. 1013/2006 durchgeführt.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(58)      Ferner sollte gewährleistet werden, dass tierische Nebenprodukte, die mit gefährlichen Abfällen gemäß der Entscheidung 2000/532/EG der Kommission vom 3. Mai 2000 zur Ersetzung der Entscheidung 94/3/EG über ein Abfallverzeichnis gemäß Artikel 1 Buchstabe a der Richtlinie 75/442/EWG des Rates über Abfälle und der Entscheidung 94/904/EG des Rates über ein Verzeichnis gefährlicher Abfälle im Sinne von Artikel 1 Absatz 4 der Richtlinie 91/689/EWG über gefährliche Abfälle[(<a href="#Footnote9" name="Footref9">9</a>)] vermischt oder kontaminiert sind, nur gemäß der Verordnung … Nr. 1013/2006 eingeführt, ausgeführt oder zwischen den Mitgliedstaaten versandt werden. Auch ist es erforderlich, Vorschriften über die Versendung solchen Materials innerhalb eines Mitgliedstaats festzulegen.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point11">11.</a>      Art. 2 Abs. 2 dieser Verordnung sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Diese Verordnung gilt nicht für folgende tierische Nebenprodukte:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">g)      Küchen- und Speiseabfälle, es sei denn,</p>
<p class="C11Marge1avecretrait">…</p>
<p class="C11Marge1avecretrait">iii)      sie sind zur Drucksterilisation oder zur Verarbeitung mittels Methoden gemäß Artikel 15 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe b oder zur Umwandlung in Biogas oder zur Kompostierung bestimmt;</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point12">12.</a>      In Art. 8 der Verordnung heißt es:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Material der Kategorie 1 umfasst folgende tierische Nebenprodukte:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">f)      Küchenabfälle von international eingesetzten Verkehrsmitteln;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point13">13.</a>      Nach Art. 10 der Verordnung Nr. 1069/2009 gilt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Material der Kategorie 3 umfasst folgende tierische Nebenprodukte:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">p)      andere Küchen- und Speiseabfälle als die in Artikel 8 Buchstabe f genannten.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point14">14.</a>      Art. 48 Abs. 1 bis 6 dieser Verordnung bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Beabsichtigt ein Unternehmer, Material der Kategorie 1, Material der Kategorie 2 und Fleisch- und Knochenmehl oder aus Material der Kategorie 1 oder 2 gewonnenes tierisches Fett in einen anderen Mitgliedstaat zu versenden, informiert er die zuständige Behörde des Ursprungsmitgliedstaats und die zuständige Behörde des Bestimmungsmitgliedstaats darüber.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Die zuständige Behörde des Bestimmungsmitgliedstaats entscheidet auf Antrag des Unternehmers innerhalb eines festgesetzten Zeitraums darüber,</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      ob sie den Erhalt der Sendung verweigert,</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      die Sendung bedingungslos annimmt oder</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">c)      den Empfang der Sendung folgenden Bedingungen unterwirft:</p>
<p class="C11Marge1avecretrait">i)      [F]alls die Folgeprodukte noch nicht drucksterilisiert wurden, muss es/müssen sie dieser Behandlung unterzogen werden[,] oder</p>
<p class="C11Marge1avecretrait">ii)      die tierischen Nebenprodukte oder ihre Folgeprodukte muss/müssen die Bedingungen für die Versendung erfüllen, die zum Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier gerechtfertigt sind, damit sichergestellt ist, dass tierische Nebenprodukte und ihre Folgeprodukte gemäß dieser Verordnung gehandhabt werden.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Formate für Anträge auf Zulassung für Unternehmer gemäß Absatz 1 können nach dem in Artikel 52 Absatz 3 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle angenommen werden.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)      Die zuständige Behörde des Ursprungsmitgliedstaats informiert die zuständige Behörde des Bestimmungsmitgliedstaats über das TRACES-System gemäß der Entscheidung 2004/292/EG [der Kommission vom 30. März 2004 zur Einführung des TRACES-Systems und zur Änderung der Entscheidung 92/486/EWG(<a href="#Footnote10" name="Footref10">10</a>)] über jede in den Bestimmungsmitgliedstaat versandte Sendung mit</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      tierischen Nebenprodukten oder ihren Folgeprodukten gemäß Absatz 1,</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      verarbeitetem tierischem Eiweiß, das aus Material der Kategorie 3 gewonnen wurde.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Sobald die Versendung der zuständigen Behörde des Bestimmungsmitgliedstaats gemeldet wird, informiert diese die zuständige Behörde des Ursprungsmitgliedstaats über das TRACES-System über die Ankunft der einzelnen Sendungen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(4)      Material der Kategorien 1 und 2, Fleisch- und Knochenmehl sowie tierisches Fett gemäß Absatz 1 werden unmittelbar zu dem vorgesehenen Betrieb oder der vorgesehenen Anlage transportiert, die gemäß den Artikeln 23, 24 und 44 registriert oder zugelassen wurde, oder – bei Gülle – zu dem vorgesehenen landwirtschaftlichen Betrieb.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(5)      Werden tierische Nebenprodukte oder ihre Folgeprodukte über das Hoheitsgebiet eines Drittlands in einen anderen Mitgliedstaat versandt, sind dafür Sendungen zu verwenden, die im Ursprungsmitgliedstaat verplombt wurden, und es ist eine Gesundheitsbescheinigung mitzuführen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Die versiegelten Sendungen dürfen nur über eine Grenzkontrollstelle gemäß Artikel 6 der Richtlinie 89/662/EWG [des Rates vom 11. Dezember 1989 zur Regelung der veterinärrechtlichen Kontrollen im innergemeinschaftlichen Handel im Hinblick auf den gemeinsamen Binnenmarkt(<a href="#Footnote11" name="Footref11">11</a>)] erneut in die Gemeinschaft verbracht werden.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(6)      Abweichend von den Absätzen 1 bis 5 dürfen die dort aufgeführten tierischen Nebenprodukte oder ihre Folgeprodukte, die mit Abfall vermischt oder kontaminiert wurden, der in der Entscheidung 2000/532… als gefährlich eingestuft ist, nur unter Einhaltung der Anforderungen der Verordnung … Nr. 1013/2006 in andere Mitgliedstaaten versandt werden.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point15">15.</a>      Art. 54 der Verordnung bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Verordnung … Nr. 1774/2002 wird mit Wirkung vom 4. März 2011 aufgehoben.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Verweise auf die Verordnung … Nr. 1774/2002 gelten als Verweise auf die vorliegende Verordnung und sind nach Maßgabe der Entsprechungstabelle im Anhang zu lesen.“</p>
<p class="C21Titrenumerote1">II.    <b>Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits und Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point16">16.</a>      Am 7. April 2014 wurde ein Lkw, der von einem Mitarbeiter der Klägerin des Ausgangsverfahrens, der ReFood GmbH & Co. KG, geführt wurde und in den Niederlanden eingesammelte tierische Nebenprodukte der Kategorie 3 im Sinne der Verordnung Nr. 1069/2009 geladen hatte, von der deutschen Polizei kontrolliert. Diese Nebenprodukte sollten in eine Niederlassung von ReFood in Deutschland befördert und dort weiterverarbeitet werden, um anschließend in einer ebenfalls in Deutschland befindlichen Biogasanlage verwertet zu werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point17">17.</a>      Im Anschluss an diese Kontrolle ordnete die Beklagte des Ausgangsverfahrens, die Landwirtschaftskammer Niedersachsen (Deutschland), gegenüber ReFood an, diese Abfälle in die Niederlande zurückzusenden, da sie für deren Verbringung das Notifizierungsverfahren gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 für erforderlich hielt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point18">18.</a>      ReFood erhob am 16. Juli 2014 Klage beim vorlegenden Gericht, um die Rechtswidrigkeit der Verfügung der Landwirtschaftskammer Niedersachsen feststellen zu lassen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point19">19.</a>      Das vorlegende Gericht führt aus, nach dem Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Verbringung von Abfällen und des Basler Übereinkommens vom 22. März 1989 über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung(<a href="#Footnote12" name="Footref12">12</a>) vom 19. Juli 2007 könne die zuständige nationale Behörde bei illegaler Verbringung von Abfällen ohne Einreichung einer Notifizierung die erforderlichen Anordnungen treffen, um sicherzustellen, dass die betreffenden Abfälle von der Person, die zur Notifizierung gemäß Art. 2 Nr. 15 der Verordnung Nr. 1013/2006 verpflichtet gewesen wäre, zurückgenommen würden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point20">20.</a>      Allerdings könnte eine solche Anordnung nicht erfolgen, wenn die fragliche Verbringung nach Art. 1 Abs. 3 Buchst. d dieser Verordnung von deren Geltungsbereich ausgeschlossen wäre.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point21">21.</a>      Die Rechtmäßigkeit der gegenüber ReFood ausgesprochenen Anordnung hänge davon ab, ob die in Rede stehende Abfallverbringung unter die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1013/2006 falle und einem Notifizierungsverfahren nach dieser Verordnung unterliege; jedoch gäben weder die Rechtsprechung des Gerichtshofs noch die Vorarbeiten zu dieser Verordnung Aufschluss darüber, wie deren Art. 1 Abs. 3 Buchst. d auszulegen sei. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point22">22.</a>      Unter diesen Umständen hat das Verwaltungsgericht Oldenburg beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Ist Art. 1 Abs. 3 Buchst. d der Verordnung Nr. 1013/2006 im Sinne eines Anwendungsausschlusses auszulegen, der für alle Verbringungen gilt, die gemäß Art. 2 der Verordnung Nr. 1069/2009 in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1069/2009 fallen?</p>
<p class="C10Marge1">Sollte die erste Frage verneint werden:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Ist diese Vorschrift im Sinne eines Anwendungsausschlusses auszulegen, der für Verbringungen gilt, für die gemäß der Verordnung Nr. 1069/2009 – auch in Verbindung mit der Verordnung (EU) Nr. 142/2011 der Kommission vom 25. Februar 2011 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1069/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates mit Hygienevorschriften für nicht für den menschlichen Verzehr bestimmte tierische Nebenprodukte sowie zur Durchführung der Richtlinie 97/78/EG des Rates hinsichtlich bestimmter gemäß der genannten Richtlinie von Veterinärkontrollen an der Grenze befreiter Proben und Waren (ABl. 2011, L 54, S. 1) – Regelungen über Sammlung, Transport, Identifizierung und Rückverfolgbarkeit bestehen?</p>
<p class="C10Marge1">Sollte die zweite Frage verneint werden:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">3.      Ist die Vorschrift im Sinne eines Anwendungsausschlusses auszulegen, der nur für solche Verbringungen gilt, bei denen es sich um zustimmungsbedürftige Versendungen gemäß Art. 48 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1069/2009 handelt?</p>
<p class="C21Titrenumerote1">III. Würdigung</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point23">23.</a>      Vorab erscheint es mir wichtig, zwei Dinge hervorzuheben.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point24">24.</a>      Zum einen steht fest, dass es sich bei den in Rede stehenden Produkten um Küchen- und Speisereste handelt, die, soweit sie nicht von international eingesetzten Verkehrsmitteln stammen, als tierische Nebenprodukte der Kategorie 3 im Sinne von Art. 10 Buchst. p der Verordnung Nr. 1069/2009 einzustufen sind. Fest steht auch, dass nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. g Ziff. iii der Verordnung Nr. 1069/2009 Küchenabfälle, die aus tierischen Nebenprodukten bestehen und zur Umwandlung in Biogas, zur Drucksterilisation oder zur Kompostierung bestimmt sind, in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point25">25.</a>      Zum anderen eignen sich die drei Vorlagefragen nicht dafür, nacheinander geprüft zu werden, sondern erfordern im Gegenteil eine gemeinsame Untersuchung. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point26">26.</a>      Das vorlegende Gericht möchte nämlich wissen, ob die vom Unionsgesetzgeber in Art. 1 Abs. 3 Buchst. d der Verordnung Nr. 1013/2006 verwendete Formulierung „Verbringungen [von Abfällen], die unter die Zulassungsanforderungen der Verordnung … Nr. 1774/2002 fallen“ dahin auszulegen ist, dass vom Geltungsbereich dieser Verordnung alle von der Verordnung Nr. 1069/2009 erfassten Verbringungen ausgeschlossen sind, oder dahin, dass dies nur für bestimmte Verbringungen der Fall ist, die besondere, in letzterer Verordnung geregelte Voraussetzungen erfüllen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point27">27.</a>      Im Ausgangsrechtsstreit wird die Auslegung durch den Gerichtshof den Ausschlag dafür geben, ob die Verordnung Nr. 1013/2006 und demzufolge das in deren Art. 3 Abs. 1 Buchst. b für Abfälle wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden vorgesehene Notifizierungsverfahren Anwendung finden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point28">28.</a>      In Anbetracht dieser Gesichtspunkte werde ich prüfen, ob die Verbringung von Abfällen wie denen, um die es im Ausgangsverfahren geht, nämlich tierische Nebenprodukte der Kategorie 3, von den Niederlanden nach Deutschland diesem Notifizierungsverfahren unterliegt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point29">29.</a>      Zur Beantwortung dieser Frage muss letztlich geklärt werden, ob diese Verbringung in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1069/2009 fällt, die möglicherweise abschließende Regelungen über tierische Nebenprodukte und deren Verbringung enthält, oder in den Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1013/2006, die möglicherweise die Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Verbringungen tierischer Nebenprodukte regelt, mit Ausnahme der „Verbringungen, die unter die Zulassungsanforderungen der Verordnung … Nr. 1774/2002 fallen“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point30">30.</a>      Insoweit weise ich in Übereinstimmung mit der Kommission sogleich darauf hin, dass die Verordnung Nr. 1013/2006 keine Definition dieser Wendung enthält, so dass der Wortlaut von Art. 1 Abs. 3 Buchst. d dieser Verordnung für das Problem, mit dem der Gerichtshof befasst ist, keine unangreifbare Lösung bietet(<a href="#Footnote13" name="Footref13">13</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point31">31.</a>      Überdies ist diese Wendung auch nicht in den Verordnungen Nrn. 1774/2002 und 1069/2009 zu finden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point32">32.</a>      Zum einen ist festzustellen, dass die Verordnung Nr. 1774/2002 die Beförderung oder die Verbringung tierischer Nebenprodukte keinerlei Zulassung unterwarf(<a href="#Footnote14" name="Footref14">14</a>). Insbesondere verlangte Art. 8 dieser Verordnung keine „Zulassung“ für die Beförderung tierischer Nebenprodukte(<a href="#Footnote15" name="Footref15">15</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point33">33.</a>      Zum anderen sind die in der Verordnung Nr. 1069/2009 aufgestellten Anforderungen nicht ganz eindeutig. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point34">34.</a>      Auch die verschiedenen Sprachfassungen dieser Verordnung ermöglichen es nicht, deren Sinngehalt abschließend zu klären. Übrigens lässt der Umstand, dass das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen auf der deutschen Sprachfassung der Verordnung Nr. 1069/2009 basiert, die Mehrdeutigkeit der Formulierungen dieser Verordnung umso deutlicher zutage treten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point35">35.</a>      So beruht der Standpunkt der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, dass die in Rede stehende Verbringung von Abfällen in den Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1013/2006 falle und notifiziert werden müsse, wie sich aus der dem Gerichtshof übermittelten Akte ergibt, auf der Prämisse, dass, da in Art. 48 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1069/2009 von „Anträge[n] auf Zulassung“ für die Versendung bestimmter tierischer Nebenprodukte der Kategorien 1 und 2, nicht aber der Kategorie 3 die Rede sei, letztere Nebenprodukte nicht unter den Ausschluss nach Art. 1 Abs. 3 Buchst. d der Verordnung Nr. 1013/2006 fielen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point36">36.</a>      Während in der deutschen Sprachfassung von Art. 48 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1069/2009 von „Formate[n] für Anträge auf Zulassung“ die Rede ist, werden aber beispielsweise in der spanischen, der dänischen, der englischen und der französischen Sprachfassung die Formulierungen „formatos para las solicitudes“, „formater for ansøgninger“, „formats for applications“ bzw. „modèles pour les demandes“ verwendet, die sich nur auf Formate für „Anträge“ beziehen, und nicht auf Formate für Anträge auf „Zulassung“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point37">37.</a>      Abgesehen davon, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die in einer der Sprachfassungen einer Vorschrift des Unionsrechts verwendete Formulierung nicht als alleinige Grundlage für die Auslegung dieser Vorschrift herangezogen werden oder Vorrang vor den anderen sprachlichen Fassungen beanspruchen kann(<a href="#Footnote16" name="Footref16">16</a>), vermag mich die Auffassung der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, dass die Verbringung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Abfälle in den Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1013/2006 falle, nicht zu überzeugen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point38">38.</a>      Meiner Meinung nach stehen einer solchen Auslegung mehrere gewichtige Argumente entgegen, die auf den Gesetzgebungsmaterialien, dem Sinn, der Systematik und dem Zweck der Verordnungen Nrn. 1013/2006 und 1069/2009 beruhen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point39">39.</a>      Erstens erscheint es mir allgemein gesehen logisch, anzunehmen, dass der Unionsgesetzgeber mit dem Erlass sektoraler Rechtsvorschriften seinen Willen zu erkennen gibt, bestimmte Kategorien von Produkten oder Abfällen einem bestimmten Regelungssystem zu unterwerfen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point40">40.</a>      Insoweit handelt es sich bei der Verordnung Nr. 1069/2009 um sektorale Vorschriften, die, genau wie die Verordnung Nr. 1774/2002, die Verbringung und den Transport tierischer Nebenprodukte regeln und bereits ihrer Natur nach deren spezifischen Eigenschaften Rechnung tragen, etwa im Hinblick auf die besonderen Risiken, die sie hervorrufen(<a href="#Footnote17" name="Footref17">17</a>). Demzufolge sind solche Vorschriften grundsätzlich dazu bestimmt, diese Nebenprodukte vollständig und abschließend zu regeln(<a href="#Footnote18" name="Footref18">18</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point41">41.</a>      Des Gleichen hat der Gerichtshof in Bezug auf das Zusammenspiel der früheren Vorschriften über Abfälle klar ausgeführt, dass „[d]ie Richtlinie 94/62[/EG(<a href="#Footnote19" name="Footref19">19</a>)] … als <i>lex specialis</i> gegenüber der Richtlinie 75/442[/EWG(<a href="#Footnote20" name="Footref20">20</a>)] anzusehen [ist], so dass ihre Vorschriften in Fällen, die sie spezifisch regeln soll, denjenigen der letztgenannten Richtlinie vorgehen“(<a href="#Footnote21" name="Footref21">21</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point42">42.</a>      Dem ist zu entnehmen, dass sektorale Vorschriften nach Auffassung des Gerichtshofs dazu bestimmt sind, die allgemeinen Abfallvorschriften zu verdrängen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point43">43.</a>      Dieser Standpunkt wird in meinen Augen durch die Ausschlüsse, die der Unionsgesetzgeber in der Richtlinie 2008/98 – der Rahmenrichtlinie im Bereich der Abfälle – vorgesehen hat, sowie durch das Zusammenspiel zwischen dieser Richtlinie und den spezifischen sektoralen Vorschriften gestützt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point44">44.</a>      So sind nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2008/98 tierische Nebenprodukte einschließlich verarbeiteter Erzeugnisse, die unter die Verordnung Nr. 1774/2002 fallen, vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgeschlossen. Ein derartiger Ausschluss belegt den Willen des Unionsgesetzgebers, eine bestimmte Kategorie von Abfällen, nämlich die tierischen Nebenprodukte, vom Geltungsbereich der allgemeinen Regelung auf diesem Gebiet auszunehmen(<a href="#Footnote22" name="Footref22">22</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point45">45.</a>      Zweitens ergibt sich die Auslegung, dass die tierischen Nebenprodukte und deren Verbringung im Grundsatz ausschließlich durch die sektoralen Vorschriften, hier die Verordnung Nr. 1069/2009, geregelt werden, aus den Standpunkten, die die Organe bei den Vorarbeiten zur Verordnung Nr. 1013/2006 eingenommen haben.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point46">46.</a>      Insoweit weise ich darauf hin, dass Art. 1 Abs. 6 Unterabs. 1 des Vorschlags der Kommission, der zum Erlass dieser Verordnung führte(<a href="#Footnote23" name="Footref23">23</a>), vorsah, dass die Verbringung von Abfällen, die unter die Verordnung Nr. 1774/2002 fallen „und vergleichbaren oder strengeren Verfahrensvorschriften jener Verordnung und [anderer], damit verbundener gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften über tierische Nebenprodukte und die öffentliche Gesundheit unterliegen“, vom Geltungsbereich der Verordnung über die Verbringung von Abfällen ausgeschlossen werden sollte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point47">47.</a>      Die vom Rat vorgenommenen Änderungen an diesem Vorschlag, aus denen sich der Wortlaut von Art. 1 Abs. 3 Buchst. d der Verordnung Nr. 1013/2006 ergab(<a href="#Footnote24" name="Footref24">24</a>), wurden aber von der Kommission als ein vollständiger Ausschluss der tierischen Nebenprodukte vom Geltungsbereich der Verordnung über die Verbringung von Abfällen verstanden(<a href="#Footnote25" name="Footref25">25</a>). Dies ergibt sich ganz eindeutig aus der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament gemäß Artikel 251 Absatz 2 Unterabsatz 2 EG-Vertrag betreffend den vom Rat angenommenen gemeinsamen Standpunkt im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verbringung von Abfällen, in der die Kommission feststellte: „Der Rat nahm weitere Änderungen an dem Vorschlag vor. Die wichtigste dieser Änderungen ist, dass Artikel 1 Absatz 3 Buchstabe d tierische Nebenprodukte vollkommen aus dem Geltungsbereich der Verordnung ausnimmt.“(<a href="#Footnote26" name="Footref26">26</a>)</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point48">48.</a>      Folglich belegen die Vorarbeiten zur Verordnung Nr. 1013/2006, wie die niederländische Regierung zutreffend hervorhebt, dass der Rat die tierischen Nebenprodukte vollständig vom Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1013/2006 ausnehmen wollte, unabhängig von der Frage der Gleichwertigkeit der in der Verordnung Nr. 1774/2002 vorgesehenen Verbringungsverfahren.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point49">49.</a>      Drittens sprechen gegen die von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen vertretene Auslegung die Entwicklung der Vorschriften über die tierischen Nebenprodukte und die zunehmende Kohärenz zwischen diesen Vorschriften und der Verordnung Nr. 1013/2006. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point50">50.</a>      In Art. 1 Abs. 3 Buchst. d der Verordnung Nr. 1013/2006 wird nämlich nicht näher erläutert, auf welche von der Verordnung Nr. 1774/2002 erfasste Zulassung Bezug genommen wird, und das, obwohl letztere Verordnung, wie aus Nr. 32 der vorliegenden Schlussanträge hervorgeht, die Beförderung tierischer Nebenprodukte keinerlei Zulassung unterwarf.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point51">51.</a>      Daher bestand zum Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung Nr. 1013/2006 Anlass zu Zweifeln an der Kohärenz zwischen den Vorschriften über die tierischen Nebenprodukte und dieser Verordnung.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point52">52.</a>      Die gesetzgeberische Entwicklung im Bereich der tierischen Nebenprodukte geht allerdings mit einer zunehmenden Kohärenz zwischen diesen Regelungen einher.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point53">53.</a>      Insbesondere belegen – vor dem Hintergrund, dass der Unionsgesetzgeber in dem Verfahren, das zum Erlass der Verordnung Nr. 1069/2009 führte, notwendigerweise die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1013/2006 im Blick hatte – sowohl die Vorschriften als auch die Erwägungsgründe der Verordnung Nr. 1069/2009 den gesetzgeberischen Willen, eine gewisse Kohärenz zwischen dieser Verordnung und der Verordnung Nr. 1013/2006 zu gewährleisten oder überhaupt erst herzustellen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point54">54.</a>      In den Erwägungsgründen 5 und 6 der Verordnung Nr. 1069/2009 heißt es, dass die Vorschriften über die tierischen Nebenprodukte die durch diese Nebenprodukte entstehenden Risiken für die Umwelt berücksichtigen sollten und dass sie einen kohärenten und umfassenden Rahmen u. a. bezüglich des Transports solcher Nebenprodukte bilden. Weiter hat der Unionsgesetzgeber in den Erwägungsgründen 57 und 58 unzweideutig ausgeführt, dass es, „[d]amit die Kohärenz der Gemeinschaftsvorschriften sichergestellt wird, … erforderlich [ist], das Zusammenspiel zwischen den Vorschriften dieser Verordnung und den Gemeinschaftsvorschriften über Abfälle zu klären“, und insbesondere, dass tierische Nebenprodukte, die mit gefährlichen Abfällen vermischt oder kontaminiert sind, nur gemäß der Verordnung Nr. 1013/2006 eingeführt, ausgeführt oder zwischen den Mitgliedstaaten versandt werden sollen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point55">55.</a>      Diese in Art. 48 der Verordnung Nr. 1069/2009 förmlich umgesetzten Angaben verdeutlichen den klaren Willen des Unionsgesetzgebers, tierische Nebenprodukte grundsätzlich allein dieser Verordnung zu unterwerfen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point56">56.</a>      Aus Art. 48 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1069/2009, zu dem es in der Verordnung Nr. 1774/2002 kein Äquivalent gab, ergibt sich im Umkehrschluss, dass die Verbringung tierischer Nebenprodukte der Kategorie 3 ausschließlich durch erstere Verordnung geregelt wird. Da diese Vorschrift vorsieht, dass tierische Nebenprodukte, die mit gefährlichen Abfällen vermischt oder kontaminiert sind, nur unter Einhaltung der Anforderungen der Verordnung Nr. 1013/2006 versandt werden dürfen, ist nämlich in Übereinstimmung mit ReFood zu folgern, dass andere Verbringungen tierischer Nebenprodukte nicht unter letztere Verordnung fallen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point57">57.</a>      Demnach ist der Geltungsbereich der Rechtstexte, wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung anerkannt hat, klar definiert, und die Verbringung tierischer Nebenprodukte unterfällt, soweit keine ausdrückliche Ausnahme geregelt ist, allein der Verordnung Nr. 1069/2009.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point58">58.</a>      Viertens wird dieser Ansatz meines Erachtens durch die Auslegung von Art. 1 Abs. 3 Buchst. d der Verordnung Nr. 1013/2006 im Licht deren elften Erwägungsgrundes bestätigt(<a href="#Footnote27" name="Footref27">27</a>). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point59">59.</a>      Diesem Erwägungsgrund zufolge ist zum einen Redundanz mit der Verordnung Nr. 1774/2002 zu vermeiden, und zum anderen wurde diese Verordnung vom Unionsgesetzgeber als vollständige Regelung im Bereich der tierischen Nebenprodukte angesehen(<a href="#Footnote28" name="Footref28">28</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point60">60.</a>      Somit führt mich die Auslegung von Art. 1 Abs. 3 Buchst. d der Verordnung Nr. 1013/2006 im Licht des im elften Erwägungsgrund dieser Verordnung ausgedrückten Erfordernisses, Redundanz zwischen diesem Rechtstext und den Vorschriften über die tierischen Nebenprodukte zu vermeiden, zu der Annahme, dass der Unionsgesetzgeber die Verbringung tierischer Nebenprodukte vollständig vom Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1013/2006 ausschließen wollte, insbesondere, weil die Verordnung Nr. 1774/2002 eine vollständige und autonome Regelung auf diesem Gebiet darstellte(<a href="#Footnote29" name="Footref29">29</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point61">61.</a>      Die von der österreichischen Regierung vertretene Auslegung, dass tierische Nebenprodukte der Kategorie 3, da sie nicht von Art. 48 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1069/2009 erfasst würden, in den Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1013/2006 fielen, missachtet den elften Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1013/2006.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point62">62.</a>      Diese Auslegung vermeidet nämlich keineswegs die Redundanz zwischen den Verordnungen Nrn. 1013/2006 und 1069/2009, sondern führt im Gegenteil dazu, dass bestimmte tierische Nebenprodukte den Bestimmungen beider Verordnungen unterliegen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point63">63.</a>      Der Umstand, dass die Verordnungen Nrn. 1013/2006 und 1069/2009 unterschiedliche Ziele verfolgen, nämlich den Umweltschutz(<a href="#Footnote30" name="Footref30">30</a>) und den Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier(<a href="#Footnote31" name="Footref31">31</a>), erscheint mir insoweit nicht ausschlaggebend.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point64">64.</a>      Zwar hat der Gerichtshof entschieden, dass eine Verbringung von Tiermehl, die grundsätzlich vom Geltungsbereich der Verordnung Nr. 259/93 ausgenommen war, im Hinblick auf die durch eine solche Verbringung hervorgerufenen Umwelt- und Gesundheitsrisiken im Einklang mit den Anforderungen der Verordnung Nr. 1774/2002 vorzunehmen sei(<a href="#Footnote32" name="Footref32">32</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point65">65.</a>      Diese Erwägung rechtfertigt aber meines Erachtens keine andere Auslegung von Art. 1 Abs. 3 Buchst. d der Verordnung Nr. 1013/2006 als die bisher skizzierte, da die Verordnung Nr. 1069/2009 potenziell umweltschädliche Verbringungen tierischer Nebenprodukte den strengeren Bestimmungen der Verordnung Nr. 1013/2006(<a href="#Footnote33" name="Footref33">33</a>) unterwirft(<a href="#Footnote34" name="Footref34">34</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point66">66.</a>      Fünftens führt die von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen vertretene Auslegung, wie die niederländische Regierung und die Kommission zutreffend hervorgehoben haben, zu einem paradoxen Ergebnis.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point67">67.</a>      Die Annahme, dass tierische Nebenprodukte der Kategorie 3 unter die Verordnung Nr. 1013/2006 fallen, führt nämlich zur Anwendung strengerer Regeln auf weniger gefährliche Produkte, da tierische Nebenprodukte der Kategorie 3 nach der Verordnung Nr. 1069/2009(<a href="#Footnote35" name="Footref35">35</a>) definitionsgemäß weniger schädlich für die Gesundheit von Mensch und Tier sind als Nebenprodukte der Kategorien 1 und 2(<a href="#Footnote36" name="Footref36">36</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point68">68.</a>      Genauso wenig kann meines Erachtens der von der Kommission vertretenen Auslegung gefolgt werden, die insbesondere auf den Art. 23 und 24 der Verordnung Nr. 1069/2009 basiert. Wie ReFood in der mündlichen Verhandlung hervorgehoben hat, kann diese Auslegung nämlich weder aus dem Wortlaut noch aus der Systematik der vorliegend in Rede stehenden Verordnungen hergeleitet werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point69">69.</a>      Die Kommission macht im Wesentlichen geltend, Art. 1 Abs. 3 Buchst. d der Verordnung Nr. 1013/2006 sei dahin auszulegen, dass diese Verordnung nicht für Verbringungen tierischer Nebenprodukte gelte, die von gemäß Art. 23 oder Art. 24 der Verordnung Nr. 1069/2009 registrierten oder zugelassenen Unternehmern, Betrieben oder Anlagen durchgeführt würden oder die für gemäß diesen Vorschriften registrierte oder zugelassene Unternehmer, Betriebe oder Anlagen bestimmt seien, wenn die Regeln der Verordnung Nr. 1069/2009 eingehalten würden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point70">70.</a>      Mit Blick auf den elften Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1013/2006 sowie die Erwägungsgründe 5 und 6 der Verordnung Nr. 1069/2009 vertritt sie die Auffassung, dass erstere Verordnung nicht dazu bestimmt sei, für die Verbringung tierischer Nebenprodukte zu gelten, wenn den Belangen des Umweltschutzes durch die Beachtung der Vorschriften der Verordnung Nr. 1069/2009 bereits ausreichend Rechnung getragen worden sei. Da die Verordnung Nr. 1069/2009 Regeln vorsehe, die für die von den Art. 23 und 24 dieser Verordnung erfassten Unternehmer, Anlagen und Betriebe gälten, brauche die Verordnung Nr. 1013/2006 nicht auf die Verbringungen angewandt zu werden, die zwischen Unternehmern, Anlagen und Betrieben erfolgten, die gemäß diesen Artikeln zugelassen oder registriert seien, soweit auch die weiteren Anforderungen der Verordnung Nr. 1069/2009 eingehalten würden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point71">71.</a>      Zunächst einmal verkennt diese Auslegung den im Gesetzgebungsverfahren klar zum Ausdruck gebrachten Willen des Unionsgesetzgebers, die tierischen Nebenprodukte vom Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1013/2006 auszunehmen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point72">72.</a>      Des Weiteren habe ich den Eindruck, dass die Kommission mit der Empfehlung einer solchen Auslegung versucht, den Standpunkt durchzusetzen, den sie im Verfahren des Erlasses der Verordnung Nr. 1013/2006 vertreten hatte(<a href="#Footnote37" name="Footref37">37</a>), obwohl das Parlament und der Rat diesem Standpunkt nicht gefolgt sind.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point73">73.</a>      Schließlich ruft eine derartige Auslegung in meinen Augen Rechtsunsicherheit hervor.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point74">74.</a>      Zum einen setzt sie voraus, dass die Wirtschaftsbeteiligten für jede Verbringung tierischer Nebenprodukte prüfen, ob die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1069/2009 die Umwelt ausreichend schützen; somit lässt sie nicht wirklich im Voraus erkennen, welche Verordnung auf eine bestimmte Verbringung anwendbar ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point75">75.</a>      Zum anderen ist – nachdem die Kommission in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, wenn die Bestimmungen der Art. 23 und 24 der Verordnung Nr. 1069/2009 nicht eingehalten würden, sei die Verordnung Nr. 1013/2006 anzuwenden – nicht ausgeschlossen, dass bei Nichteinhaltung der Art. 23 und 24 der Verordnung Nr. 1069/2009, die grundsätzlich weniger streng sind, paradoxerweise die Einhaltung strengerer Vorschriften der Verordnung Nr. 1013/2006 verlangt wird.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">IV.    <b>Ergebnis</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point76">76.</a>      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Verwaltungsgericht Oldenburg (Deutschland) zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:</p>
<p class="C02AlineaAltA">Art. 1 Abs. 3 Buchst. d der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Verbringung von Abfällen ist dahin auszulegen, dass Verbringungen tierischer Nebenprodukte, die unter die Verordnung (EG) Nr. 1069/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 mit Hygienevorschriften für nicht für den menschlichen Verzehr bestimmte tierische Nebenprodukte und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1774/2002 fallen, vom Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1013/2006 ausgeschlossen sind, soweit in der Verordnung Nr. 1069/2009 nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist.</p>
<hr/>
<p class="C40FootnoteLangue">
<a href="#Footref1" name="Footnote1">1</a>      Originalsprache: Französisch.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref2" name="Footnote2">2</a>      ABl. 2006, L 190, S. 1, und Berichtigung in deutscher Sprache (ABl. 2013, L 334, S. 46).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref3" name="Footnote3">3</a>      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Oktober 2002 mit Hygienevorschriften für nicht für den menschlichen Verzehr bestimmte tierische Nebenprodukte (ABl. 2002, L 273, S. 1).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref4" name="Footnote4">4</a>      Die Frage des Zusammenspiels zwischen den Vorschriften über die Verbringung von Abfällen und denen über tierische Nebenprodukte stellt sich nicht zum ersten Mal. Im Urteil vom 1. März 2007, KVZ retec (C‑176/05, EU:C:2007:123), hat sich der Gerichtshof aber nicht unmittelbar zum Zusammenspiel zwischen der Verordnung Nr. 1013/2006 und der Verordnung Nr. 1774/2002 geäußert, da erstere Verordnung im Ausgangsrechtsstreit zeitlich nicht anwendbar war.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref5" name="Footnote5">5</a>      Wie der Unionsgesetzgeber im sechsten Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter Richtlinien (ABl. 2008, L 312, S. 3) klar zum Ausdruck gebracht hat, „[sollte d]as oberste Ziel jeder Abfallpolitik … darin bestehen, die nachteiligen Auswirkungen der Abfallerzeugung und ‑bewirtschaftung auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu minimieren“.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref6" name="Footnote6">6</a>      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 mit Hygienevorschriften für nicht für den menschlichen Verzehr bestimmte tierische Nebenprodukte und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1774/2002 (ABl. 2009, L 300, S. 1). Ich weise der Klarheit halber darauf hin, dass der Unionsgesetzgeber in Art. 54 dieser Verordnung, mit der die Verordnung Nr. 1774/2002 aufgehoben wurde, klargestellt hat, dass Verweise in Rechtsvorschriften auf die Verordnung Nr. 1774/2002 als Verweise auf die Verordnung Nr. 1069/2009 gelten.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref7" name="Footnote7">7</a>      Hervorgegangen aus den Regelungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und dem Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung, unterzeichnet am 22. März 1989 und im Namen der Gemeinschaft genehmigt durch den Beschluss 93/98/EWG des Rates vom 1. Februar 1993 (ABl. 1993, L 39, S. 1, im Folgenden: Basler Übereinkommen). Die Klassifizierung der Abfälle in zwei Listen, eine „grüne“ und eine „gelbe“, hängt von der Gefährlichkeit der Abfälle und der auf ihre Verbringung anwendbaren Verfahren ab. Zu der Klassifizierung und den sich daraus ergebenden Konsequenzen siehe de Sadeleer, N., <i>Droit des déchets de l’UE. De l’élimination à l’économie circulaire</i>, Bruylant, Brüssel, 2016, S. 360, 364 und 378 bis 382.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref8" name="Footnote8">8</a>      Beschluss des Rates vom 22. September 1997 zur Genehmigung – im Namen der Gemeinschaft – der Änderung des Übereinkommens über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung (Basler Übereinkommen) gemäß der Entscheidung III/1 der Konferenz der Vertragsparteien (ABl. 1997, L 272, S. 45).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref9" name="Footnote9">9</a>      ABl. 2000, L 226, S. 3.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref10" name="Footnote10">10</a>      ABl. 2004, L 94, S. 63.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref11" name="Footnote11">11</a>      ABl. 1989, L 395, S. 13.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref12" name="Footnote12">12</a>      BGBl. I, S. 1462.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref13" name="Footnote13">13</a>      Die in Art. 1 Abs. 3 Buchst. d der Verordnung Nr. 1013/2006 geregelte Ausnahme war vom Unionsgesetzgeber in der Verordnung (EWG) Nr. 259/93 des Rates vom 1. Februar 1993 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft (ABl. 1993, L 30, S. 1) nicht vorgesehen worden, so dass die ältere Gesetzgebung bei der Auslegung dieser Vorschrift nicht weiterhilft.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref14" name="Footnote14">14</a>      Nach den Art. 10 bis 15 dieser Verordnung betrafen die Zulassungen die Zwischenbehandlungsbetriebe, die Lagerbetriebe, die Verbrennungs- und Mitverbrennungsanlagen, die Verarbeitungsbetriebe, die Fettverarbeitungsbetriebe sowie die Biogas- und Kompostieranlagen.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref15" name="Footnote15">15</a>      Nach allen Sprachfassungen dieser Vorschrift war eine Genehmigung des Bestimmungsmitgliedstaats Voraussetzung für die Beförderung tierischer Nebenprodukte der Kategorien 1 und 2 – unter Ausschluss der tierischen Nebenprodukte der Kategorie 3 – in diesen Mitgliedstaat.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref16" name="Footnote16">16</a>      Vgl. Urteil vom 29. April 2015, Léger (C‑528/13, EU:C:2015:288, Rn. 35). Insoweit stellt der Gerichtshof ferner klar, dass „[d]ie Bestimmungen des Unionsrechts … – im Licht der Fassungen in allen Sprachen der … Union – einheitlich ausgelegt und angewandt werden [müssen]. Weichen die verschiedenen Sprachfassungen eines Textes des Unionsrechts voneinander ab, muss die fragliche Vorschrift nach der allgemeinen Systematik und dem Zweck der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört.“</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref17" name="Footnote17">17</a>      Hierzu weise ich darauf hin, dass die Vorschriften über tierische Nebenprodukte im Anschluss an zahlreiche Krisen in der Viehzucht wie die bovine spongiforme Enzephalopathie, die Maul- und Klauenseuche oder die Schweinepest erlassen wurden und daher den spezifischen Problemen Rechnung tragen sollen, die diese Nebenprodukte aufwerfen (vgl. de Sadeleer, N., a. a. O., S. 271 und 272).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref18" name="Footnote18">18</a>      Der sehr weite Anwendungsbereich der Verordnungen Nrn. 1774/2002 und 1069/2009 bestätigt dies. So gelten diese Verordnungen nach Art. 3 Abs. 1 der Erstgenannten und Art. 4 Abs. 2 der Zweitgenannten für die Sammlung, den Transport, die Handhabung, die Verarbeitung, das Inverkehrbringen, den Vertrieb und die Entsorgung der tierischen Nebenprodukte.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref19" name="Footnote19">19</a>      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 1994 über Verpackungen und Verpackungsabfälle (ABl. 1994, L 365, S. 10).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref20" name="Footnote20">20</a>      Richtlinie des Rates vom 15. Juli 1975 über Abfälle (ABl. 1975, L 194, S. 39).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref21" name="Footnote21">21</a>      Urteil vom 19. Juni 2003, Mayer Parry Recycling (C‑444/00, EU:C:2003:356, Rn. 57).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref22" name="Footnote22">22</a>      Vgl. de Sadeleer, N., a. a. O., S. 152 und 154.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref23" name="Footnote23">23</a>      Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verbringung von Abfällen (KOM[2003] 379 endgültig).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref24" name="Footnote24">24</a>      Auch wenn das Parlament vorgeschlagen hatte, diesen Artikel zu streichen, und die Kommission diesen Vorschlag des Parlaments abgelehnt hatte, ergibt sich aus dem Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 28/2005, vom Rat festgelegt am 24. Juni 2005 im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verbringung von Abfällen (ABl. 2005, C 206 E, S. 1), dass Art. 1 Abs. 6 Unterabs. 1 des Vorschlags der Kommission gestrichen und durch einen Art. 1 Abs. 3 Buchst. e ersetzt wurde, dessen Wortlaut dem von Art. 1 Abs. 3 Buchst. d der Verordnung Nr. 1013/2006 entspricht.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref25" name="Footnote25">25</a>      KOM(2005) 303 endgültig (S. 11 und 12).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref26" name="Footnote26">26</a>      Nr. 3.2.5 dieser Mitteilung.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref27" name="Footnote27">27</a>      Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung „die Präambel eines Rechtsakts der Union rechtlich nicht verbindlich und kann weder herangezogen werden, um von den Bestimmungen des betreffenden Rechtsakts abzuweichen, noch, um diese Bestimmungen in einem Sinne auszulegen, der ihrem Wortlaut offensichtlich zuwiderläuft“ (Urteil vom 11. April 2013, Della Rocca, C‑290/12, EU:C:2013:235, Rn. 38). Der Gerichtshof hat jedoch festgestellt, dass „die Erwägungsgründe eines Unionsrechtsakts seinen Inhalt präzisieren [können]“ (Urteil vom 11. Juni 2015, Zh. und O., C‑554/13, EU:C:2015:377, Rn. 42; vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts Léger in der Rechtssache Meta Fackler, C‑444/03, EU:C:2005:64).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref28" name="Footnote28">28</a>      Insoweit hebe ich hervor, dass die Erwägungsgründe 12 und 13 der Richtlinie 2008/98 sehr weitgehend den elften Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1013/2006 aufgreifen, um klarzustellen, nach welchen Kriterien das Verhältnis zwischen dieser Richtlinie und der Verordnung Nr. 1774/2002 zu bestimmen ist.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref29" name="Footnote29">29</a>      In dem Sinne, dass nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1774/2002 und Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1069/2009 diese Rechtstexte für die Sammlung, den Transport, die Lagerung, die Handhabung, die Bearbeitung und die Verwendung oder Entsorgung der tierischen Nebenprodukte gelten.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref30" name="Footnote30">30</a>      Vgl. erster Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1013/2006 sowie Rn. 32 des Urteils vom 9. Juni 2016, Nutrivet (C‑69/15, EU:C:2016:425).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref31" name="Footnote31">31</a>      Vgl. Erwägungsgründe 1 und 66 sowie Art. 1 der Verordnung Nr. 1069/2009. Gleichwohl befinden sich die Regelungen über die tierischen Nebenprodukte „an der Schnittstelle zwischen dem Produkt- und dem Umweltrecht“ (de Sadeleer, N., a. a. O., S. 271).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref32" name="Footnote32">32</a>      Urteil vom 1. März 2007, KVZ retec (C‑176/05, EU:C:2007:123).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref33" name="Footnote33">33</a>      Es zeigt sich, dass die abfallverbringungsrechtlichen Verpflichtungen, die sich aus der Verordnung Nr. 1013/2006 ergeben, strenger sind als die nach der Verordnung Nr. 1069/2009 bestehenden. Was beispielsweise die Versendung tierischer Nebenprodukte der Kategorien 1 und 2 in andere Mitgliedstaaten angeht, sieht Art. 48 der Verordnung Nr. 1069/2009 vor, dass die zuständige Behörde des Ursprungsmitgliedstaats und die zuständige Behörde des Bestimmungsmitgliedstaats über die Verbringung informiert werden, wobei letztere Behörde den Erhalt der Sendung verweigern, die Sendung bedingungslos annehmen oder ihre Annahme unter Bedingungen stellen kann. Die Verordnung Nr. 1013/2006 sieht hingegen für Verbringungen innerhalb der Union zumindest allgemeine Anforderungen vor, zu denen gehört, dass bei der Verbringung der Abfälle die in dieser Verordnung vorgesehenen Papiere mitgeführt werden müssen. Allerdings erfordern die Verbringung von Abfällen, die zur Beseitigung bestimmt sind, und die Verbringung bestimmter Abfälle, die zur Verwertung bestimmt sind, die Einhaltung des in den Art. 4 bis 17 der Verordnung Nr. 1013/2006 dargelegten Verfahrens der vorherigen schriftlichen Notifizierung und Zustimmung. Über die Unterzeichnung eines Vertrags und die Hinterlegung von Sicherheitsleistungen oder den Abschluss entsprechender Versicherungen hinaus sieht die Verordnung vor, dass die zuständigen Behörden am Bestimmungsort und am Versandort sowie die für die Durchfuhr zuständigen Behörden der Abfallverbringung – eventuell mit Auflagen – zustimmen oder sie aus bestimmten Gründen ablehnen.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref34" name="Footnote34">34</a>      Siehe etwa Art. 41 Abs. 2 Buchst. b, Art. 43 Abs. 5 Buchst. b und Art. 48 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1069/2009.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref35" name="Footnote35">35</a>      Wie sich aus den Erwägungsgründen 8 und 29 dieser Verordnung ergibt. Siehe auch Art. 7 bis 10 der Verordnung Nr. 1069/2009. Zu den verschiedenen Kategorien tierischer Nebenprodukte und den für sie geltenden Pflichten siehe de Sadeleer, N., a. a. O., S. 272.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref36" name="Footnote36">36</a>      Insoweit ist auch der Hinweis wichtig, dass der Unionsgesetzgeber in der Verordnung Nr. 1069/2009 und in Kapitel V der Verordnung Nr. 142/2011 Regeln bezüglich der Sammlung, des Transports, der Identifizierung und der Rückverfolgbarkeit der tierischen Nebenprodukte aufgestellt hat.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref37" name="Footnote37">37</a>      Dieser Standpunkt wird aus dem Vorschlag der Kommission deutlich, auf dessen Wortlaut in Nr. 46 der vorliegenden Schlussanträge hingewiesen worden ist.</p>
|
175,024 | eugh-2019-01-24-c-68917 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-689/17 | 2019-01-24T00:00:00 | 2019-01-31T19:20:48 | 2019-01-31T19:20:48 | Schlussantrag des Generalanwalts | ECLI:EU:C:2019:62 | <p class="C36Centre">SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS</p>
<p class="C36Centre">HENRIK SAUGMANDSGAARD ØE</p>
<p class="C36Centre">vom 24. Januar 2019(<a href="#Footnote1" name="Footref1">1</a>)</p>
<p class="C38Centregrasgrandespacement">
<b>Rechtssache C</b>‑<b>689/17</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Conti 11. Container Schiffahrts-GmbH & Co. KG MS „MSC Flaminia“</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>gegen</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Land Niedersachsen</b>
</p>
<p class="C39Centreespacement">(Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts München I [Deutschland])</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Umwelt – Basler Übereinkommen – Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 – Verbringung von Abfällen – Durch eine Havarie auf Hoher See bedingte Rückstände – Art. 1 Abs. 3 Buchst. b – Ausnahme vom Geltungsbereich – An Bord von Schiffen anfallende Abfälle“</p>
<br/>
<br/>
<br/>
<br/>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point1">1.</a>        Nachdem der Gerichtshof bisher noch keinen Anlass zur Auslegung von Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Verbringung von Abfällen(<a href="#Footnote2" name="Footref2">2</a>) hatte, bieten ihm nun die vorliegende Rechtssache und die Rechtssache ReFood (C‑634/17)(<a href="#Footnote3" name="Footref3">3</a>) die Gelegenheit zu wichtigen Klarstellungen zum Geltungsbereich dieser Bestimmung.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point2">2.</a>        Im vorliegenden Fall ersucht das Landgericht München I (Deutschland) den Gerichtshof um Beantwortung der Frage, ob durch eine Havarie auf Hoher See(<a href="#Footnote4" name="Footref4">4</a>) bedingte Rückstände in Form von Metallschrott und des mit Schlämmen und Ladungsrückständen versetzten Löschwassers an Bord eines Schiffes unter Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 fallen, wonach diese Verordnung nicht für „Abfälle [gilt], die in Fahrzeugen und Zügen sowie an Bord von Luftfahrzeugen und Schiffen anfallen, und zwar bis zum Zeitpunkt des Abladens dieser Abfälle zwecks Verwertung oder Beseitigung“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point3">3.</a>        Die Frage der Auslegung von Art. 1 der Verordnung Nr. 1013/2006 stellt sich nicht nur zum ersten Mal, sie ist überdies auch heikel. Es ist nämlich nicht von der Hand zu weisen, dass es sich bei der Bewirtschaftung von Abfällen und deren Verbringung insbesondere angesichts der Bedeutung des Umweltschutzes im Abfallbereich gegenwärtig um höchst sensible Probleme handelt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point4">4.</a>        Die mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen aufgeworfenen Schwierigkeiten sind umso größer, als sich die Havarie auf hoher See ereignet hat, deren Bewahrung für den Umweltschutz und insbesondere für den Schutz und den Erhalt der Tier- und Pflanzenwelt von entscheidender Bedeutung ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point5">5.</a>        In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich in erster Linie darlegen, dass in Anbetracht des Wortlauts von Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 sowie des Systems und des Zwecks dieser Verordnung Abfälle wie die, um die es im Ausgangsverfahren geht, „Abfälle, die … an Bord von Luftfahrzeugen und Schiffen anfallen“, im Sinne dieser Bestimmung sind, für die diese Verordnung daher nicht gilt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point6">6.</a>        Der Gerichtshof ist im Lauf der Erörterungen ersucht worden, sich dazu zu äußern, ob Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 anwendbar ist, nachdem das Schiff und die Abfälle den Hafen eines Mitgliedstaats der Europäischen Union erreicht haben; ich werde ihm vorschlagen, diese vom vorlegenden Gericht nicht gestellte Frage nicht zu beantworten oder sie zu verneinen, um den sehr klaren Wortlaut dieser Bestimmung zu beachten.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">I.      <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C22Titrenumerote2">A.      <b>Internationales Recht</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point7">7.</a>        Art. 1 des Übereinkommens über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung, unterzeichnet am 22. März 1989 in Basel und von der Gemeinschaft genehmigt durch den Beschluss des Rates 93/98/EWG vom 1. Februar 1993(<a href="#Footnote5" name="Footref5">5</a>), legt den Geltungsbereich dieses Übereinkommens fest. Hierzu sehen dessen Abs. 1 und 4 vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1) Folgende Abfälle, die Gegenstand grenzüberschreitender Verbringung sind, gelten im Sinne dieses Übereinkommens als ,gefährliche Abfälle‘:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      Abfälle, die einer in Anlage I enthaltenen Gruppe angehören, es sei denn, sie besitzen keine der in Anlage III aufgeführten Eigenschaften, und</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      Abfälle, die nicht unter Buchstabe a fallen, aber nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften der Vertragspartei, die Ausfuhr‑, Einfuhr- oder Durchfuhrstaat ist, als gefährliche Abfälle bezeichnet sind oder als solche gelten.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(4)      Abfälle, die durch den üblichen Betrieb eines Schiffes entstehen und deren Einleiten durch eine andere internationale Übereinkunft geregelt ist, sind von dem Geltungsbereich dieses Übereinkommens ausgenommen.“ </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point8">8.</a>        Art. 2 Nr. 3 dieses Übereinkommens lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Im Sinne dieses Übereinkommens</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">3.      bedeutet ,grenzüberschreitende Verbringung‘ jede Verbringung gefährlicher Abfälle oder anderer Abfälle aus einem der Hoheitsgewalt eines Staates unterstehenden Gebiet in oder durch ein der Hoheitsgewalt eines anderen Staates unterstehendes Gebiet oder in oder durch ein nicht der Hoheitsgewalt eines Staates unterstehendes Gebiet; in die Verbringung müssen mindestens zwei Staaten einbezogen sein“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point9">9.</a>        Art. 4 Abs. 1 und 2 Buchst. d des Basler Übereinkommens sieht vor:</p>
<p class="C29Marge0doubleretrait">„(1)      a)      Vertragsparteien, die ihr Recht wahrnehmen, die Einfuhr gefährlicher Abfälle oder anderer Abfälle zum Zweck ihrer Entsorgung zu verbieten, unterrichten die übrigen Vertragsparteien nach Artikel 13 von ihrem Beschluss.</p>
<p class="C11Marge1avecretrait">b)      Die Vertragsparteien verbieten oder erteilen keine Erlaubnis für die Ausfuhr gefährlicher Abfälle und anderer Abfälle in die Vertragsparteien, welche die Einfuhr solcher Abfälle verboten haben, wenn sie nach Buchstabe a davon in Kenntnis gesetzt worden sind.</p>
<p class="C11Marge1avecretrait">c)      Die Vertragsparteien verbieten oder erteilen keine Erlaubnis für die Ausfuhr gefährlicher Abfälle und anderer Abfälle, wenn der Einfuhrstaat nicht seine schriftliche Einwilligung zu der bestimmten Einfuhr erteilt hat, für den Fall, dass dieser Einfuhrstaat die Einfuhr dieser Abfälle nicht verboten hat. </p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Jede Vertragspartei trifft geeignete Maßnahmen, um </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">d)      sicherzustellen, dass die grenzüberschreitende Verbringung gefährlicher Abfälle und anderer Abfälle auf ein Mindestmaß beschränkt wird, das mit der umweltgerechten und wirksamen Behandlung solcher Abfälle vereinbar ist, und so durchgeführt wird, dass die menschliche Gesundheit und die Umwelt vor den nachteiligen Auswirkungen, die dadurch entstehen können, geschützt sind“.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">B.      <b>Unionsrecht</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point10">10.</a>      In den Erwägungsgründen 1, 3, 7 bis 9, 14 und 31 der Verordnung Nr. 1013/2006 heißt es:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">„(1)      Wichtigster und vorrangiger Zweck und Gegenstand dieser Verordnung ist der Umweltschutz; ihre Auswirkungen auf den internationalen Handel sind zweitrangig.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(3)      … Durch Verabschiedung der Verordnung (EWG) Nr. 259/93[(<a href="#Footnote6" name="Footref6">6</a>)]<sup/>hat der Rat Regeln zur Beschränkung und Kontrolle solcher Verbringungen erstellt, die unter anderem darauf abzielen, das bestehende Gemeinschaftssystem für die Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen mit den Vorschriften des Basler Übereinkommens in Einklang zu bringen.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(7)      Die Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen müssen so organisiert und geregelt werden, dass der Notwendigkeit, die Qualität der Umwelt und der menschlichen Gesundheit zu erhalten, zu schützen und zu verbessern, Rechnung getragen und eine gemeinschaftsweit einheitlichere Anwendung der Verordnung gefördert wird.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(8)      Die in Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe d des Basler Übereinkommens begründete Verpflichtung, die Verbringung gefährlicher Abfälle auf ein Mindestmaß zu beschränken, das mit der umweltgerechten und wirksamen Behandlung solcher Abfälle vereinbar ist, muss auch beachtet werden.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(9)      Das in Artikel 4 Absatz 1 des Basler Übereinkommens verankerte Recht jeder Vertragspartei, die Einfuhr gefährlicher Abfälle oder von in Anhang II dieses Übereinkommens aufgeführten Abfällen zu verbieten, muss ebenfalls beachtet werden.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(14)      Im Fall von Verbringungen von zur Beseitigung bestimmten Abfällen und von zur Verwertung bestimmten Abfällen, die nicht in den Anhängen III, III A oder III B aufgeführt sind, ist es zweckmäßig, ein Höchstmaß an Überwachung und Kontrolle sicherzustellen, indem die vorherige schriftliche Zustimmung solcher Verbringungen vorgeschrieben wird. Ein entsprechendes Verfahren sollte seinerseits die vorherige Notifizierung einschließen, damit die zuständigen Behörden angemessen informiert sind und sie alle zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt notwendigen Maßnahmen treffen können. Außerdem sollte es den zuständigen Behörden ermöglichen, begründete Einwände gegen eine derartige Verbringung zu erheben.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(31)      Diese Verordnung sollte im Einklang mit dem internationalen Seerecht angewandt werden.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point11">11.</a>      In Art. 1 Abs. 1und 3 Buchst. a und b dieser Verordnung heißt es:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      In dieser Verordnung werden Verfahren und Kontrollregelungen für die Verbringung von Abfällen festgelegt, die von dem Ursprung, der Bestimmung, dem Transportweg, der Art der verbrachten Abfälle und der Behandlung der verbrachten Abfälle am Bestimmungsort abhängen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)      Diese Verordnung gilt nicht für</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      das Abladen von Abfällen an Land, einschließlich der Abwässer und Rückstände, aus dem normalen Betrieb von Schiffen und Offshore-Bohrinseln, sofern diese Abfälle unter das Internationale Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe von 1973 in der Fassung des Protokolls von 1978 (Marpol 73/78)[(<a href="#Footnote7" name="Footref7">7</a>)] oder andere bindende internationale Übereinkünfte fallen;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      Abfälle, die in Fahrzeugen und Zügen sowie an Bord von Luftfahrzeugen und Schiffen anfallen, und zwar bis zum Zeitpunkt des Abladens dieser Abfälle zwecks Verwertung oder Beseitigung“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point12">12.</a>      Nach Art. 2 Nrn. 1 und 2 dieser Verordnung sind in deren Sinne </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">„1.      ,Abfälle‘ Abfälle im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2006/12/EG[(<a href="#Footnote8" name="Footref8">8</a>)];</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      ,gefährliche Abfälle‘ Abfälle im Sinne des Artikels 1 Absatz 4 der Richtlinie 91/689/EWG des Rates vom 12. Dezember 1991 über gefährliche Abfälle[(<a href="#Footnote9" name="Footref9">9</a>)]“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point13">13.</a>      Nach Art. 2 Nr. 33 dieser Verordnung bezeichnet „,Transport‘ die Beförderung von Abfällen auf der Straße, der Schiene, dem Luftweg, dem Seeweg oder Binnengewässern“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point14">14.</a>      Gemäß Art. 2 Nr. 34 der Verordnung Nr. 1013/2006 bedeutet „Verbringung“ in deren Sinne den Transport von zur Verwertung oder Beseitigung bestimmten Abfällen, der u. a. zwischen zwei Staaten oder aus einem geografischen Gebiet, das nicht der Gerichtsbarkeit eines Staates unterliegt, in einen Staat erfolgt oder erfolgen soll.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point15">15.</a>      Nach Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung unterliegt die Verbringung von zur Beseitigung bestimmten Abfällen und von solchen, die zur Verwertung bestimmt sind – bei Letzteren, wenn es sich um Abfälle der Gelben Liste(<a href="#Footnote10" name="Footref10">10</a>) handelt –, dem Verfahren der vorherigen schriftlichen Notifizierung und Zustimmung nach dieser Verordnung. Gemäß Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1013/2006 gelten die allgemeinen Informationspflichten gemäß deren Art. 18, sofern die Verbringung Gemische aus bestimmten Abfällen oder bestimmten kontaminierten Abfällen von mehr als 20 kg betrifft.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">II.    <b>Ausgangsverfahren und Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point16">16.</a>      Das Motorschiff MSC Flaminia ist ein im maßgeblichen Zeitraum unter deutscher Flagge fahrendes Containerschiff und gehört der Conti 11. Container Schiffahrts-GmbH & Co. KG MS „MSC Flaminia“(<a href="#Footnote11" name="Footref11">11</a>), der Klägerin des Ausgangsverfahrens.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point17">17.</a>      Als dieses mit 4 808 Containern, davon 151 sogenannte Gefahrgutcontainer, beladene Schiff von Charleston (Vereinigte Staaten von Amerika) nach Antwerpen (Belgien) unterwegs war, brach am 14. Juli 2012 an Bord ein Feuer aus, bei dem es auch zu Explosionen kam.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point18">18.</a>      Am 21. August 2012 erhielt Conti die Genehmigung, das Schiff in deutsche Gewässer schleppen zu lassen. Gemäß Schreiben des Havariekommandos (Deutschland) vom 25. August 2012 wurde die Klägerin verpflichtet, einen Plan für das weitere Vorgehen zu erstellen und etwaige Vertragspartner für die entsprechenden Maßnahmen zu benennen. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point19">19.</a>      Am 8. September 2012 erreichte das Schiff seine vom Havariekommando vorgegebene Warteposition auf der Tiefenwasserreede westlich von Helgoland (Deutschland), und am 9. September 2012 wurde es nach Wilhelmshaven (Deutschland) geschleppt. Bei einer Besprechung mit den deutschen Behörden verpflichtete sich die Klägerin u. a., den sicheren Transfer der MSC Flaminia zur Reparaturwerft in Mangalia (Rumänien) und die ordnungsgemäße Behandlung der an Bord befindlichen Stoffe sicherzustellen. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point20">20.</a>      Mit Schreiben vom 30. November 2012 teilte das Umweltministerium des Landes Niedersachsen (Deutschland) Conti mit, dass das Schiff selbst „bzw. das an Bord befindliche Löschwasser sowie die Schlämme und der Stahlschrott als Abfall einzustufen sind“ und dass daher ein Notifizierungsverfahren erforderlich sei. Mit Schreiben vom 3. Dezember 2012 wandte sich Conti gegen diese Bewertung.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point21">21.</a>      Mit Bescheid vom 4. Dezember 2012 verpflichtete das Gewerbeaufsichtsamt Oldenburg (Deutschland) Conti, ein Notifizierungsverfahren wegen des an Bord befindlichen Metallschrotts und des mit Schlämmen und Ladungsrückständen versetzten Löschwassers durchzuführen. Zudem wurde Conti untersagt, das Schiff vor Abschluss des Notifizierungsverfahrens und Vorlage eines prüffähigen Entsorgungskonzepts in deutscher Sprache von seinem gegenwärtigen Standort zu entfernen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point22">22.</a>      Nach Abschluss des Notifizierungsverfahrens für das Verbringen von Löschwasser nach Dänemark wurde am 18. Februar 2013 mit dem Abpumpen des Löschwassers begonnen. Nachdem absehbar war, wie viel Löschschlamm nicht abpumpbar war, wurde am 26. Februar 2013 das weitere Notifizierungsverfahren mit Rumänien eingeleitet.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point23">23.</a>      Am 4. Januar 2013 legte die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 4. Dezember 2012 ein. Um Verzögerungen zu vermeiden, unterwarf sich die Klägerin unter Protest und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht dem Notifizierungsverfahren. Mit Schreiben vom 3. April 2013 erklärte das Gewerbeaufsichtsamt Oldenburg das Widerspruchsverfahren für erledigt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point24">24.</a>      Als Schadenspositionen behauptet die Klägerin vor dem vorlegenden Gericht u. a. die ihr entstandenen Kosten des Notifizierungsverfahrens. Die Bewertung der im Schiffsinneren befindlichen Stoffe als „Abfall“ und die daraus folgende Anordnung der Durchführung eines Notifizierungsverfahrens seien rechtswidrig gewesen. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point25">25.</a>      Das vorlegende Gericht führt aus, soweit die Kosten für die Durchführung des Notifizierungsverfahrens als Schaden geltend gemacht würden, sei der Anspruch nur gegeben, wenn die Verordnung Nr. 1013/2006 auf die havariebedingten Rückstände im vorliegenden Fall nicht anwendbar wäre und die Kosten nur deshalb angefallen wären, weil das Gewerbeaufsichtsamt Oldenburg die Durchführung eines Notifizierungsverfahrens als erforderlich angesehen habe. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point26">26.</a>      Das vorlegende Gericht fragt sich, ob Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 auf havariebedingte Rückstände anwendbar ist, so dass die Verbringung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rückstände vom Geltungsbereich dieser Verordnung ausgenommen wäre. Nach Ansicht dieses Gerichts ergibt sich weder aus dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 noch aus dessen Entstehungsgeschichte, noch aus der Systematik dieser Verordnung, dass havariebedingte Abfälle oder Rückstände von dieser Bestimmung erfasst sein sollten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point27">27.</a>      Unter diesen Umständen hat das Landgericht München I das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">Sind havariebedingte Rückstände in Form von Metallschrott und des mit Schlämmen und Ladungsrückständen versetzten Löschwassers an Bord eines Schiffes „Abfälle, die in Fahrzeugen und Zügen sowie an Bord von Luftfahrzeugen und Schiffen anfallen“, gemäß der Verordnung Nr. 1013/2006?</p>
<p class="C21Titrenumerote1">III. <b>Würdigung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point28">28.</a>      Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 auf die in Rede stehenden Abfälle – havariebedingte Rückstände in Form von Metallschrott und des mit Schlämmen und Ladungsrückständen versetzten Löschwassers – anwendbar ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point29">29.</a>      Somit betrifft diese Frage die sachliche Anwendbarkeit von Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 auf Abfälle der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point30">30.</a>      Ich weise zudem darauf hin, dass das vorlegende Gericht in der Vorlageentscheidung ausdrücklich klargestellt hat, dass „die … Frage, ob Art. 1 Abs. 3 [Buchst.] b der [Verordnung Nr.] 1013/2006 in zeitlicher Hinsicht auch dann noch anzuwenden ist, wenn das Schiff einen sicheren Hafen erreicht und einen Teil der Abfälle bereits entladen hat, … dem Gerichtshof … nicht zur Entscheidung vorgelegt [wird]“. Folglich fragt dieses Gericht den Gerichtshof mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen unbestreitbar ausschließlich zur sachlichen Anwendbarkeit von Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 im Rahmen der Prüfung der Anwendbarkeit der Verordnung zwischen dem Ort der Havarie und Deutschland.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point31">31.</a>      Die Kommission hat dem Gerichtshof indes in ihren Schriftsätzen und in der Sitzung nahegelegt, sich auch zur Anwendbarkeit dieser Bestimmung auf die nachfolgenden Verbringungen der Abfälle zu äußern.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point32">32.</a>      Da die Verbringung der in Rede stehenden Abfälle in mehreren Abschnitten erfolgt ist, könnte sich in der Tat die Frage der Auslegung von Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 auch insoweit stellen(<a href="#Footnote12" name="Footref12">12</a>). Aus Gründen, die ich in den Nrn. 75 bis 77 der vorliegenden Schlussanträge näher darlegen werde, bin ich jedoch der Auffassung, dass es nicht Sache des Gerichtshofs ist, auf eine Frage zu antworten, die ihm nicht gestellt worden ist und die das vorlegende Gericht ausdrücklich vom Bereich des Vorabentscheidungsersuchens ausgenommen hat. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point33">33.</a>      Demzufolge werde ich in einem ersten Schritt und in erster Linie die Vorlagefrage, wie sie das vorlegende Gericht gestellt hat, unter Beachtung der von diesem Gericht vorgenommenen Eingrenzung beantworten. In einem zweiten Schritt, aber nur hilfsweise, werde ich die Probleme prüfen, die durch die nach der Ankunft in Deutschland erfolgten Verbringungen aufgeworfen werden. Über die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage hinaus werde ich also klären, ob Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 auf die späteren Verbringungen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Abfälle anwendbar ist.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">A.      <b>Haupterwägungen</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point34">34.</a>      Die Antwort auf die Frage in ihrer vom vorlegenden Gericht gestellten Form und in dem von diesem selbst abgesteckten Rahmen ist meines Erachtens offensichtlich.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point35">35.</a>      Zunächst weise ich darauf hin, dass die Einstufung der zur Beseitigung bestimmten Rückstände an Bord der MSC Flaminia als Abfälle vor dem Gerichtshof nicht erörtert worden ist(<a href="#Footnote13" name="Footref13">13</a>) und im Übrigen auch nicht wirklich umstritten zu sein scheint. Nach Art. 2 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1013/2006 gelten nämlich als Abfälle im Sinne dieser Verordnung die der Definition in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/12(<a href="#Footnote14" name="Footref14">14</a>) entsprechenden Gegenstände. Wie die Kommission zutreffend ausgeführt hat, sind die in Rede stehenden Rückstände zur Beseitigung oder zur Verwertung bestimmt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point36">36.</a>      Hinsichtlich der Anwendbarkeit von Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 sind zur Beantwortung der Frage des vorlegenden Gerichts die für die Auslegung des Unionsrechts geltenden Regeln in Erinnerung zu rufen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point37">37.</a>      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind bei der Auslegung einer Unionsrechtsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden(<a href="#Footnote15" name="Footref15">15</a>). Da zudem Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 eine Ausnahme vom Geltungsbereich dieser Verordnung vorsieht, ist er grundsätzlich strikt auszulegen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point38">38.</a>      Während das Land Niedersachsen (Deutschland) und die Kommission geltend gemacht haben, dass der Wortlaut von Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 allein keine Antwort auf die Vorlagefrage erlaube, halte ich dagegen diesen Wortlaut nicht für unklar.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point39">39.</a>      Es ist nämlich festzustellen, dass sich der Unionsgesetzgeber auf die Angabe beschränkt hat, dass die Verordnung Nr. 1013/2006 nicht für „Abfälle [gilt], die … an Bord von … Schiffen anfallen, und zwar bis zum Zeitpunkt des Abladens dieser Abfälle zwecks Verwertung oder Beseitigung“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point40">40.</a>      Der Sinn der einzelnen Begriffe ist aber meines Erachtens eindeutig. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point41">41.</a>      Der Begriff „Abfälle“ ist im Sinne seiner Definition in den Rechtsvorschriften der Union auf dem Gebiet der Abfallbewirtschaftung zu verstehen. Demgemäß erfasst Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 notwendig alle Arten von Abfällen, sofern sie zur Beseitigung oder zur Verwertung bestimmt sind. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point42">42.</a>      Zu dem Umstand, dass die hier in Rede stehenden Rückstände bei einer Havarie angefallen sind, weise ich darauf hin, dass der Unionsgesetzgeber für die Geltung der Ausnahme nur verlangt, dass die Abfälle „an Bord [eines] Schiffe[s] an[ge]fallen“ sind. Im vorliegenden Fall haben sich die Havarie und die Brände unstreitig an Bord der MSC Flaminia ereignet, so dass diese Rückstände an Bord dieses Schiffes angefallen sind.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point43">43.</a>      Da das vorlegende Gericht zu bezweifeln scheint, dass der Ausdruck „Abfälle, die … an Bord … anfallen“ solche Abfälle einschließt, die zufällig oder außerhalb des normalen Betriebs eines Schiffes anfallen, haben die Parteien des Ausgangsverfahrens und die Kommission erörtert, welche Bedeutung dem Umstand, dass die in Rede stehenden Abfälle nicht beim „normalen“ Betrieb des Schiffes, sondern „zufällig“ bei einer Havarie angefallen sind, für die Auslegung von Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 zukommt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point44">44.</a>      Hierzu hat das Land Niedersachsen insbesondere geltend gemacht, die Entstehung von Abfällen bei einer Havarie sei derart ungewöhnlich, dass dieser Tatbestand zur Begründung einer Ausnahme von der Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 1013/2006 gesondert erwähnt werden müsste. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point45">45.</a>      Dieses Vorbringen überzeugt mich nicht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point46">46.</a>      Die in der spanischen, der dänischen, der deutschen, der englischen, der französischen und der schwedischen Fassung von Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 verwendeten Begriffe – „generados“, „opstået“, „anfallen“, „generated“, „produits“ und „uppkommit“ – sprechen nicht für diese Auffassung. Keiner dieser Begriffe impliziert, dass die Abfälle im Rahmen des normalen Betriebs von Schiffen angefallen sein müssen. Im Gegenteil enthält der in der dänischen Sprachfassung verwendete Begriff „opstået“ eine Nuance, wonach die Abfälle nicht auf normale, sondern auf unvorhersehbare Art und Weise angefallen sind.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point47">47.</a>      Zudem hat sich der Unionsgesetzgeber auf die Angabe des Ortes beschränkt, an dem die Abfälle angefallen sein müssen, ohne dass er besondere Anforderungen bezüglich der Umstände aufgestellt hätte, unter denen sie angefallen sein müssen. Somit kann der Ausdruck „Abfälle, die … an Bord … anfallen“ seiner gewöhnlichen Bedeutung nach nicht so verstanden werden, dass die Abfälle sich aus dem normalen Betrieb des Schiffes ergeben müssen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point48">48.</a>      Dies gilt umso mehr, als nicht geltend gemacht werden kann, dass der Unionsgesetzgeber den Fall von außerhalb des normalen Betriebs von Schiffen anfallenden Abfällen nicht ins Auge gefasst habe, denn er hat eine solche Klarstellung in Art. 1 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 1013/2006 vorgenommen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point49">49.</a>      Der von der Kommission hervorgehobene Umstand, dass hier die Abfälle zu Beginn der Fahrt des Schiffes noch nicht vorgelegen hätten, ist meines Erachtens nicht entscheidend. Denn der Ausdruck „an Bord … anfallen“ setzt voraus, dass die Abfälle während der Fahrt angefallen sind. Im Übrigen verlangt der in Art. 2 Nr. 34 der Verordnung Nr. 1013/2006 definierte Begriff „Verbringung“ nicht, dass sich die Abfälle vor Beginn der Fahrt an Bord des Schiffes befunden haben müssen, und bedeutet daher, dass auch unvorhergesehene Verbringungen und zufällig angefallene Abfälle erfasst sind.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point50">50.</a>      Da der Unionsgesetzgeber demnach keine Unterscheidung nach Maßgabe der Art der Abfälle oder der Umstände ihres Anfallens getroffen hat, ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006, dass diese Bestimmung auf havariebedingte Rückstände in Form von Metallschrott und des mit Schlämmen und Ladungsrückständen versetzten Löschwassers anwendbar ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point51">51.</a>      Diese Auslegung wird durch die Vorarbeiten zur Verordnung Nr. 1013/2006 sowie deren System und Zweck bestätigt. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point52">52.</a>      Auch wenn, erstens, die Analyse der Vorarbeiten zu dieser Verordnung als solche allein für die Auslegung ihres Art. 1 Abs. 3 Buchst. b nicht ausschlaggebend ist, ist sie doch insoweit nicht ohne Bedeutung.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point53">53.</a>      Nachdem in Art. 1 Abs. 3 Buchst. b des Vorschlags der Kommission, der zum Erlass der Verordnung Nr. 1013/2006 führte(<a href="#Footnote16" name="Footref16">16</a>), vorgesehen gewesen war, dass die Verordnung nicht für „die Verbringung von Abfällen, die an Bord ziviler Luftfahrzeuge beim Flug anfallen, für die Dauer des Fluges bis zur Landung“(<a href="#Footnote17" name="Footref17">17</a>) gelten sollte, schlug das Parlament in zweiter Lesung vor, diese Ausnahme auf Abfälle zu erstrecken, die in Fahrzeugen und Zügen sowie an Bord von Schiffen anfallen, und zwar mit der Begründung, dass „[d]ie Ausnahmeregelung für Abfälle, die an Bord von Luftfahrzeugen anfallen, … auf sämtliche Transportmittel ausgeweitet werden [sollte], da ansonsten die Anforderungen dieser Verordnung für Abfälle, die in Fahrzeugen anfallen, die keine Flugzeuge sind, unangemessen wären“(<a href="#Footnote18" name="Footref18">18</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point54">54.</a>      Weder im ursprünglichen Vorschlag der Kommission noch in den vom Parlament vorgeschlagenen Änderungen, noch in den Erläuterungen zu diesen Vorschlägen ist indes von einem Willen des Unionsgesetzgebers die Rede, bestimmte Abfälle vom Geltungsbereich des Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 auszunehmen und diesen auf die im Rahmen des normalen Betriebs der genannten Transportmittel anfallenden Abfälle zu begrenzen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point55">55.</a>      Wie das Land Niedersachsen vorgetragen hat, deutet zwar die Formulierung der in der Verordnung Nr. 259/93 normierten Ausnahme für die Zivilluftfahrt darauf hin, dass vor allem die an Bord von Luftfahrzeugen und während des Fluges anfallenden Abfälle erfasst sein sollten. Ich stelle jedoch fest, dass der Unionsgesetzgeber in keiner Weise die Art dieser Abfälle noch auch die Umstände, unter denen sie angefallen sein müssen, festgelegt hat. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point56">56.</a>      Ferner weise ich darauf hin, dass die Ausnahme erheblich erweitert wurde und nicht nur mehr die Zivilluftfahrt, sondern die an Bord verschiedener Transportmittel, darunter Luftfahrzeuge, anfallenden Abfälle erfasst. Mit der Erstreckung der in Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 vorgesehenen Ausnahme auf andere Transportmittel hat daher der Unionsgesetzgeber meines Erachtens notwendig die Abfälle einbezogen, die speziell an Bord jedes dieser Transportmittel anfallen können. Somit kann die vom vorlegenden Gericht angestellte Erwägung, dass Havarien im Luftverkehr wegen ihrer Seltenheit nicht unter diese Verordnung fielen, nichts an der sich aus dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 ergebenden Auslegung dieser Bestimmung ändern.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point57">57.</a>      Zweitens bestätigt auch die systematische Auslegung von Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 die aus dessen Wortlaut folgende Auslegung. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point58">58.</a>      Zum einen bin ich wie Conti der Ansicht, dass sich aus dem Vergleich zwischen der Ausnahme nach Buchst. a und der nach Buchst. b des Art. 1 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1013/2006 ergibt, dass der Unionsgesetzgeber bei der zweiten Ausnahme keine Beschränkung hinsichtlich der Art des Anfallens der Abfälle vornehmen wollte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point59">59.</a>      Zum anderen stimme ich mit der Kommission darin überein, dass die Ausnahme nach Art. 1 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 1013/2006, da mit ihr ein Überlappen zwischen den Rechtsvorschriften über die Verbringung von Abfällen und der Richtlinie 2000/59/EG(<a href="#Footnote19" name="Footref19">19</a>) verhindert werden soll, für die vom vorlegenden Gericht erbetene Auslegung nicht relevant ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point60">60.</a>      Die Reichweite von Art. 1 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 1013/2006 wird nämlich unter Bezugnahme auf das Marpol-Übereinkommen bestimmt. Die Richtlinie 2000/59, die auf die von diesem Übereinkommen erfassten durch den normalen Schiffsbetrieb anfallenden Abfälle anwendbar ist(<a href="#Footnote20" name="Footref20">20</a>), verpflichtet aber die Mitgliedstaaten zur Bereitstellung und Inanspruchnahme von Hafenauffangeinrichtungen für Schiffsabfälle. Damit gewährleistet der Wortlaut von Art. 1 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 1013/2006, dass für aus dem normalen Betrieb eines Schiffes stammende Abfälle ausschließlich die Richtlinie 2000/59 gilt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point61">61.</a>      Drittens kann auch die Berücksichtigung der Ziele der Verordnung Nr. 1013/2006 und insbesondere des Ziels des Umweltschutzes(<a href="#Footnote21" name="Footref21">21</a>) nichts an der sich aus dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 ergebenden Auslegung dieser Bestimmung ändern.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point62">62.</a>      In dieser Hinsicht halte ich das Vorbringen der Kommission für besonders überzeugend.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point63">63.</a>      So bin ich wie die Kommission der Ansicht, dass es wegen des plötzlichen und unvorhersehbaren Eintritts einer Havarie in der Praxis für den Kapitän eines Schiffes sehr schwer, wenn nicht unmöglich wäre, vor dem Einlaufen in einen Hafen über die Informationen zu verfügen, die für die Notifizierung nach der Verordnung Nr. 1013/2006 erforderlich sind(<a href="#Footnote22" name="Footref22">22</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point64">64.</a>      Zudem erfordert es der Zweck der Ausnahme nach Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006, diese Bestimmung so auszulegen, dass die Verweildauer von bei einer Havarie angefallenen Abfällen an Bord eines Schiffes begrenzt wird.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point65">65.</a>      Die Annahme ist nämlich nicht abwegig, dass die Anwendung dieser Verordnung auf Abfälle, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede stehen, eine Verzögerung des Einlaufens des diese Abfälle befördernden Schiffes in den nächstgelegenen Hafen und so faktisch eine Erhöhung des Risikos eines Verbleibs der Abfälle auf See bewirken würde. Wie die Kommission zu Recht geltend gemacht hat, würde dies aber dem mit der Verordnung Nr. 1013/2006 verfolgten Ziel des Umweltschutzes zuwiderlaufen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point66">66.</a>      Dagegen halte ich das vom Land Niedersachsen angesprochene Risiko für hypothetisch.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point67">67.</a>      Unter Berufung auf das Ziel dieser Verordnung und den Grundsatz der strikten Auslegung von Ausnahmebestimmungen hat das Land Niedersachsen insbesondere ausgeführt, bei fehlender Kenntnis des Mitgliedstaats von diesen Abfällen könne dieser die davon ausgehenden Risiken, insbesondere für die Umwelt, nicht abschätzen. Somit müsse verhindert werden, dass der Kapitän des Schiffes allein über den Umgang mit den Abfällen entscheide, denn dies würde die Gefahr heraufbeschwören, dass mit Abfällen beladene Schiffe weiterführen, um diese anderswo kostengünstiger oder illegal zu entsorgen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point68">68.</a>      Hierzu weise ich zum einen darauf hin, dass das Notifizierungsverfahren nach der Verordnung Nr. 1013/2006 keineswegs vor der Gefahr schützt, dass mit Abfällen beladene Schiffe ihre Fahrt fortsetzen, um diese anderswo kostengünstiger oder illegal zu entsorgen. Demnach kann die Anwendung dieses Verfahrens nicht bewirken, dass der Kapitän eines Schiffes davon abgeschreckt wird, Abfälle illegal zu entsorgen oder zu versuchen, sie kostengünstiger als innerhalb der Union zu entsorgen. Im Gegenteil ist nicht ausgeschlossen, dass die Kosten dieses Verfahrens als Anreiz für ein solches Verhalten wirken.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point69">69.</a>      Zum anderen dürfen angesichts der Verpflichtungen, die das internationale Recht sowohl den Staaten als auch den im maritimen Bereich tätigen Privaten auferlegt und die mitunter in Rechtsakte der Union übernommen worden sind(<a href="#Footnote23" name="Footref23">23</a>), die durch die Nichtanwendung der Verordnung Nr. 1013/2006 geschaffenen Risiken(<a href="#Footnote24" name="Footref24">24</a>) meines Erachtens nicht übertrieben werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point70">70.</a>      Was zunächst die absichtliche Einleitung von Abfällen angeht, sollen nämlich mit der Londoner Konvention vom 29. Dezember 1972 über die Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen in der durch das Londoner Protokoll von 1996 geänderten Fassung eine wirksame Kontrolle der verschiedenen Quellen der Meeresverschmutzung und Maßnahmen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen, verstanden als absichtliches Einbringen, von Abfällen eingeführt werden. Im Rahmen dieser Konvention ist das Einbringen grundsätzlich verboten, kann aber ausnahmsweise genehmigt werden. Die Beachtung der Bestimmungen dieser Konvention obliegt u. a. dem Flaggenstaat, der jedenfalls verpflichtet ist, im Fall von Verstößen gegen die Bestimmungen der Konvention(<a href="#Footnote25" name="Footref25">25</a>) Sanktionen zu verhängen. Im Unionsrecht verpflichtet die Richtlinie 2005/35/EG(<a href="#Footnote26" name="Footref26">26</a>) die Mitgliedstaaten, sicherzustellen, dass von Schiffen ausgehende Einleitungen von Schadstoffen in einem der in ihr genannten Gebiete als Verstöße betrachtet werden, wenn sie auf Vorsatz, Leichtfertigkeit oder grobe Fahrlässigkeit zurückzuführen sind, und so zu gewährleisten, dass solche Einleitungen nicht straflos bleiben(<a href="#Footnote27" name="Footref27">27</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point71">71.</a>      Sodann wird das vom Land Niedersachsen angeführte Risiko auch durch die Pflichten begrenzt, die das internationale Recht und insbesondere Art. 94 des Übereinkommens von Montego Bay dem Flaggenstaat auferlegen(<a href="#Footnote28" name="Footref28">28</a>). Nach dieser Bestimmung muss der Flaggenstaat neben dem Erlass von Maßnahmen, die zur Gewährleistung der Sicherheit auf See durch Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen erforderlich sind, über jeden Seeunfall oder jedes andere mit der Führung eines Schiffes zusammenhängende Ereignis auf hoher See, an dem ein seine Flagge führendes Schiff beteiligt war und wodurch schwere Schäden an der Meeresumwelt verursacht wurden, eine Untersuchung durchführen. Im Unionsrecht ist den Pflichten des Flaggenstaats nach internationalem Recht und insbesondere im Rahmen der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation durch die Richtlinie 2009/21/EG(<a href="#Footnote29" name="Footref29">29</a>) größere Wirksamkeit verschafft worden, deren Ziel es nach ihrem Art. 1 Abs. 1 ist, sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten ihren Pflichten als Flaggenstaaten wirksam und beständig nachkommen, sowie die Sicherheit zu erhöhen und die Umweltverschmutzung durch Schiffe, die die Flagge eines Mitgliedstaats führen, zu vermeiden. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point72">72.</a>      Schließlich erlauben es auch andere Regelungen wie der Internationale Code für die Beförderung gefährlicher Güter mit Seeschiffen oder der Internationale Code für Maßnahmen zur Organisation eines sicheren Schiffsbetriebs und zur Verhütung der Meeresverschmutzung(<a href="#Footnote30" name="Footref30">30</a>), die Verschmutzungsrisiken durch den Erlass von Regeln für die Seeschifffahrtsunternehmen oder für die Schiffskapitäne zu verringern.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point73">73.</a>      Aus allen diesen Gründen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Frage des Landgerichts München I in erster Linie zu antworten, dass havariebedingte Rückstände in Form von Metallschrott und des mit Schlämmen und Ladungsrückständen versetzten Löschwassers an Bord eines Schiffes „Abfälle, die in Fahrzeugen und Zügen sowie an Bord von Luftfahrzeugen und Schiffen anfallen“, gemäß Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 sind.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point74">74.</a>      Hilfsweise werde ich im folgenden Abschnitt auf die Auslegung dieser Bestimmung in Bezug auf den zweiten Teil der Beförderung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Abfälle eingehen.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">B.      <b>Hilfserwägungen</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point75">75.</a>      Was zum einen die Verbringung des abgepumpten Löschwassers nach Dänemark und zum anderen die der nicht in Deutschland abgeladenen Abfälle nach Rumänien betrifft, hat das vorlegende Gericht wie bereits dargelegt diesen Teil der durch den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens aufgeworfenen Problematik vom Bereich des Vorabentscheidungsersuchens ausgenommen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point76">76.</a>      Nach ständiger Rechtsprechung obliegt es zwar dem Gerichtshof, im Rahmen des in Art. 267 AEUV vorgesehenen Verfahrens der Zusammenarbeit mit den nationalen Gerichten dem vorlegenden Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben, indem er aus der Begründung der Vorlageentscheidung diejenigen Elemente des Unionsrechts, die angesichts des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen, herausarbeitet und gegebenenfalls die Vorlagefragen umformuliert(<a href="#Footnote31" name="Footref31">31</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point77">77.</a>      Angesichts des Gegenstands des Rechtsstreits im Ausgangsverfahren darf allerdings gefragt werden, ob die Auslegung von Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 durch den Gerichtshof zum Zweck der Feststellung, ob diese Bestimmung auf die an das Auslaufen aus dem deutschen Hafen anschließende Verbringung der in Rede stehenden Abfälle anwendbar ist, für das vorlegende Gericht wirklich sachdienlich wäre. Wie nämlich aus der Darstellung dieses Rechtsstreits hervorzugehen scheint, begehrt Conti vor den deutschen Gerichten Ersatz verschiedener Schäden, darunter des Schadens, der den Kosten des von den deutschen Behörden vorgeschriebenen Notifizierungsverfahrens entspricht. Was hingegen die Fahrt zwischen Deutschland und Rumänien angeht, so betrifft die Frage der Erforderlichkeit eines Notifizierungsverfahrens nur die rumänischen Behörden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point78">78.</a>      Sollte sich der Gerichtshof gleichwohl gehalten sehen, Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 im Hinblick darauf auszulegen, ob diese Bestimmung auf die weitere Verbringung der Abfälle aus dem deutschen Hafen nach Dänemark und nach Rumänien anwendbar ist, weise ich auf deren sehr klaren Wortlaut hin.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point79">79.</a>      So gilt die Ausnahme nach Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 „bis zum Zeitpunkt des Abladens dieser Abfälle zwecks Verwertung oder Beseitigung“. Nach der Bedeutung des Begriffs „Abladen“(<a href="#Footnote32" name="Footref32">32</a>) setzt diese Bestimmung notwendig voraus, dass die Abfälle das Schiff verlassen haben und an Land gebracht worden sind, um verwertet oder beseitigt zu werden(<a href="#Footnote33" name="Footref33">33</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point80">80.</a>      Demnach ist der von der Kommission befürworteten Auslegung dahin, dass der Begriff „Abladen“ im Sinne von „bis zum ersten Heimathafen“ zu verstehen sei, weil die Verordnung Nr. 1013/2006 im Einklang mit dem Basler Übereinkommen ausgelegt werden müsse, nicht zu folgen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point81">81.</a>      Nach ständiger Rechtsprechung gebietet es zwar der Vorrang der von der Union geschlossenen völkerrechtlichen Verträge vor den Bestimmungen des abgeleiteten Rechts, Letztere in Übereinstimmung mit diesen Verträgen auszulegen(<a href="#Footnote34" name="Footref34">34</a>), doch wird eine solche konforme Auslegung nur „nach Möglichkeit“ verlangt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point82">82.</a>      Im vorliegenden Fall lässt sich aber Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 meines Erachtens nicht so auslegen, dass sein Wortlaut mit dem Basler Übereinkommen in Einklang gebracht werden kann. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point83">83.</a>      Nach seinen Art. 1 und 2 Nr. 3 findet dieses Übereinkommen nämlich Anwendung auf Abfälle, die aus einem der Hoheitsgewalt eines Staates unterstehenden Gebiet in ein der Hoheitsgewalt eines anderen Staates unterstehendes Gebiet verbracht werden, was hier bei der Verbringung von Deutschland nach Dänemark(<a href="#Footnote35" name="Footref35">35</a>) und nach Rumänien der Fall ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point84">84.</a>      Dagegen ergibt die Auslegung von Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006, dass dieser seinem Wortlaut nach nicht für die Verbringung der an Bord der MSC Flaminia verbliebenen Abfälle gilt, da diese erst bei ihrer Ankunft in Rumänien abgeladen wurden(<a href="#Footnote36" name="Footref36">36</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point85">85.</a>      Demzufolge würde eine Auslegung von Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 im Einklang mit dem Basler Übereinkommen den Sinn dieser Bestimmung grundlegend verändern, dem vom Unionsgesetzgeber gewählten Wortlaut zuwiderlaufen(<a href="#Footnote37" name="Footref37">37</a>) und zudem ein echtes Problem der Rechtssicherheit aufwerfen(<a href="#Footnote38" name="Footref38">38</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point86">86.</a>      Im Übrigen scheint mir die Kommission mit der Bemerkung in ihren schriftlichen Erklärungen, dass „[e]ine Gleichsetzung der Einfahrt in einen Hafen mit dem ,Abladen‘ … schwerlich mit diesem eindeutigen Wortlaut vereinbar [erscheint]“, einzuräumen, dass eine solche Auslegung im Einklang mit dem Basler Übereinkommen nicht in Betracht kommt. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point87">87.</a>      Aus allen diesen Gründen könnte sich die Frage stellen, ob Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 im Einklang mit den Bestimmungen des Basler Übereinkommens steht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point88">88.</a>      Gleichwohl lege ich dem Gerichtshof nicht nahe, von Amts wegen die Gültigkeit von Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 im Hinblick auf das Basler Übereinkommen zu prüfen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point89">89.</a>      Erstens stelle ich nämlich fest, dass dann, wenn die Frage der Gültigkeit einer unionsrechtlichen Bestimmung offensichtlich oder zwischen den Zeilen aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, die Mitgliedstaaten und die Betroffenen sich für die Abgabe von Erklärungen entscheiden können, damit diese Frage nicht nur zwischen den Parteien erörtert wird(<a href="#Footnote39" name="Footref39">39</a>), sondern sich auch der Urheber des Unionsrechtsakts am Verfahren beteiligt und Erklärungen hierzu abgeben kann(<a href="#Footnote40" name="Footref40">40</a>). Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft aber ausschließlich die Auslegung der Ausnahmebestimmung des Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006, und die Frage der Gültigkeit dieser Bestimmung geht weder offensichtlich noch implizit aus der Vorlageentscheidung hervor, so dass sie zum einen nicht zwischen den Verfahrensbeteiligten erörtert worden ist(<a href="#Footnote41" name="Footref41">41</a>) und zum anderen weder das Parlament noch der Rat, die indes die Urheber dieser Verordnung sind, am Verfahren vor dem Gerichtshof beteiligt waren.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point90">90.</a>      Zweitens ist die Gültigkeit dieser Bestimmung nur hinsichtlich der Verbringung der Abfälle zwischen Deutschland und Rumänien erheblich. Wie ich in Nr. 77 der vorliegenden Schlussanträge hervorgehoben habe, begehrt Conti Ersatz des Schadens, der ihr wegen der Kosten des von den deutschen Behörden vorgeschriebenen Notifizierungsverfahrens entstanden ist. Abgesehen davon, dass Conti keinerlei Interesse daran hätte, dass der Gerichtshof die Ungültigkeit von Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 und die Notwendigkeit eines Notifizierungsverfahrens für die nach Rumänien verbrachten Abfälle feststellte, wäre eine solche Feststellung somit im Ausgangsverfahren auch in keiner Weise sachdienlich(<a href="#Footnote42" name="Footref42">42</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point91">91.</a>      Unter diesen Umständen erscheint es mir mit der Rolle des Gerichtshofs nach Art. 267 AEUV unvereinbar, dass dieser von Amts wegen über die Gültigkeit dieser Bestimmung entscheidet.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point92">92.</a>      Im Übrigen bin ich der Ansicht, dass unter Berücksichtigung der Natur und des Systems des Basler Übereinkommens sowie der Tatsache, dass Privaten aus diesem Übereinkommen grundsätzlich keine eigenständigen Rechte und Freiheiten erwachsen, dessen Bestimmungen nicht als Grundlage für eine Prüfung der Gültigkeit von Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 dienen können(<a href="#Footnote43" name="Footref43">43</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point93">93.</a>      Da die an Bord der MSC Flaminia von Deutschland nach Rumänien verbrachten Abfälle nicht abgeladen worden sind, gilt somit die Ausnahme nach Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 fort, so dass diese Verordnung auf diese Verbringung nicht anwendbar ist.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">IV.    <b>Ergebnis</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point94">94.</a>      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefrage des Landgerichts München I (Deutschland) wie folgt zu beantworten:</p>
<p class="C02AlineaAltA">Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Verbringung von Abfällen ist dahin auszulegen, dass havariebedingte Rückstände in Form von Metallschrott und des mit Schlämmen und Ladungsrückständen versetzten Löschwassers an Bord eines Schiffes „Abfälle, die in Fahrzeugen und Zügen sowie an Bord von Luftfahrzeugen und Schiffen anfallen“, gemäß dieser Bestimmung sind.</p>
<hr/>
<p class="C40FootnoteLangue">
<a href="#Footref1" name="Footnote1">1</a>      Originalsprache: Französisch.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref2" name="Footnote2">2</a>      ABl. 2006, L 190, S. 1.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref3" name="Footnote3">3</a>      Vgl. meine Schlussanträge vom heutigen Tag.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref4" name="Footnote4">4</a>      Im Sinne von Art. 86 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen, unterzeichnet in Montego Bay am 10. Dezember 1982, in Kraft getreten am 16. November 1994 und im Namen der Gemeinschaft genehmigt durch den Beschluss des Rates 98/392/EG vom 23. März 1998 (ABl. 1998, L 179, S. 1, im Folgenden: Übereinkommen von Montego Bay). Nach diesem Artikel erstreckt sich die Hohe See auf alle Teile des Meeres mit Ausnahme des Küstenmeers, der ausschließlichen Wirtschaftszone, der inneren Gewässer und der Archipelgewässer. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref5" name="Footnote5">5</a>      ABl. 1993, L 39, S. 1, im Folgenden: Basler Übereinkommen. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref6" name="Footnote6">6</a>      Verordnung des Rates vom 1. Februar 1993 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft (ABl. 1993, L 30, S. 1).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref7" name="Footnote7">7</a>      Unterzeichnet am 2. November 1973 in London und ergänzt durch das Protokoll vom 17. Februar 1978 (im Folgenden: Marpol-Übereinkommen). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref8" name="Footnote8">8</a>      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2006 über Abfälle (ABl. 2006, L 114, S. 9). Nach diesem Artikel sind „,Abfall‘: alle Stoffe oder Gegenstände, die unter die in Anhang I aufgeführten Gruppen fallen und deren sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss“.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref9" name="Footnote9">9</a>      ABl. 1991, L 377, S. 20. Das Verzeichnis der gefährlichen Abfälle ist in der Entscheidung 2000/532/EG der Kommission vom 3. Mai 2000 zur Ersetzung der Entscheidung 94/3/EG über ein Abfallverzeichnis gemäß Artikel 1 Buchstabe a) der Richtlinie 75/442/EWG des Rates über Abfälle und der Entscheidung 94/904/EG des Rates über ein Verzeichnis gefährlicher Abfälle im Sinne von Artikel 1 Absatz 4 der Richtlinie 91/689/EWG über gefährliche Abfälle (ABl. 2000, L 226, S. 3) enthalten.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref10" name="Footnote10">10</a>      Hervorgegangen aus der Regelung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und dem Basler Übereinkommen. Die Einstufung der Abfälle in zwei Listen, eine „grüne“ und eine „gelbe“, hängt von der Gefährlichkeit der Abfälle, und der auf ihre Verbringung anwendbaren Verfahren ab. Zu der Einstufung und ihren Folgen vgl. Sadeleer, N., <i>Droit des déchets de l’UE, De l’élimination à l’économie circulaire</i>, Bruylant, Brüssel, 2016, S. 360, 364 und 378 bis 382. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref11" name="Footnote11">11</a>      Im Folgenden: Conti.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref12" name="Footnote12">12</a>      So geht aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten hervor, dass die im Rahmen der Havarie angefallenen Abfälle zunächst vom Ort der Havarie nach Deutschland verbracht wurden. Sodann wurde ein Teil des Löschwassers abgepumpt und nach Dänemark verbracht, wobei sich aus der Vorlageentscheidung klar ergibt, dass diese Verbringung nicht an Bord der MSC Flaminia erfolgte. Schließlich lief das Schiff am 15. Mai 2013 nach Rumänien aus, wo es zum einen instand gesetzt werden sollte und wo zum anderen die an Bord verbliebenen Abfälle behandelt werden sollten.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref13" name="Footnote13">13</a>      Es lässt sich zwar nicht ermitteln, inwieweit die Klägerin des Ausgangsverfahrens vor den deutschen Behörden und Gerichten geltend gemacht hat, dass die Gegenstände nicht als „Abfälle“ einzustufen seien, doch ist festzustellen, dass sie sich vor dem Gerichtshof darauf beschränkt hat, zur Bedeutung und zur Anwendbarkeit von Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 Stellung zu nehmen, wobei sie grundsätzlich davon auszugehen scheint, dass die in Rede stehenden Rückstände als „Abfälle“ einzustufen sind. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref14" name="Footnote14">14</a>      Die Richtlinie 2006/12 ist durch die Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter Richtlinien (ABl. 2008, L 312, S. 3) aufgehoben und ersetzt worden. Nach deren Art. 3 Nr. 1 bezeichnet „,Abfall‘ jeden Stoff oder Gegenstand, dessen sich sein Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss“, so dass in der neuen Richtlinie die Definition nahezu unverändert belassen und nur die Bezugnahme auf Anhang I gestrichen worden ist (siehe Fn. 8 der vorliegenden Schlussanträge). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref15" name="Footnote15">15</a>      Vgl. Urteil vom 17. Oktober 2018, Günter Hartmann Tabakvertrieb (C‑425/17, EU:C:2018:830, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref16" name="Footnote16">16</a>      Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verbringung von Abfällen (KOM[2003] 379 endgültig).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref17" name="Footnote17">17</a>      Ich weise darauf hin, dass mit dieser Bestimmung im Wesentlichen die in Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 259/93 vorgesehene Ausnahme übernommen worden ist.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref18" name="Footnote18">18</a>      Empfehlung für die zweite Lesung vom 10. Oktober 2005 betreffend den Gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verbringung von Abfällen (15311/4/2004 – C6-0223/2005 – 2003/0139[COD]).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref19" name="Footnote19">19</a>      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2000 über Hafenauffangeinrichtungen für Schiffsabfälle und Ladungsrückstände (ABl. 2000, L 332, S. 81).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref20" name="Footnote20">20</a>      Gemäß Art. 2 Buchst. c dieser Richtlinie in Verbindung mit dem Marpol-Übereinkommen.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref21" name="Footnote21">21</a>      Vgl. Erwägungsgründe 1 und 7 der Verordnung Nr. 1013/2006.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref22" name="Footnote22">22</a>      Nach Art. 4 dieser Verordnung erfolgt die Notifizierung anhand der Formulare gemäß deren Anhängen I A und I B. In diesen Formularen werden zahlreiche Informationen zu den betreffenden Abfällen verlangt. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref23" name="Footnote23">23</a>      Vgl. hierzu Bissuel, J‑L., „L’Union européenne et l’application des normes adoptées par l’OMI“, <i>Droit international de la mer et droit de l’Union européenne Cohabitation, Confrontation, Coopération?</i>, Pedone, Paris, 2014, S. 115 bis 141, insbesondere S. 121 und 122, sowie Langlais, P., <i>Sécurité maritime et intégration européenne</i>, Bruylant, Brüssel, 2018, S. 189 bis 196.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref24" name="Footnote24">24</a>      Insoweit ist auch zu beachten, dass die ursprüngliche Fahrt der MSC Flaminia nicht unter das Basler Übereinkommen fällt. Nimmt man zudem an, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Abfälle als „gefährliche Abfälle“ eingestuft werden – was nach den dem Gerichtshof vorgelegten Akten und den Erklärungen der Verfahrensbeteiligten nicht abwegig erscheint –, wäre dieses Übereinkommen auf eine Verbringung gefährlicher Abfälle von der hohen See in einen Mitgliedstaat der Union nicht anwendbar. Denn zum einen ist das Übereinkommen nach seinen Art. 1 und 2 nur auf Verbringungen zwischen der Hoheitsgewalt von Vertragsstaaten unterstehenden Gebieten anwendbar, während im vorliegenden Fall die Verbringung im Anschluss an eine Havarie auf Hoher See begonnen hat. Zum anderen sollen nach den Dokumenten „Coopération entre la Convention de Bâle et l’Organisation maritime internationale“ (UNEP/CHW.11/17) und „Legal analysis of the application of the Basel Convention to hazardous and other wastes generated on board ships“ (UNEP/CHW.11/INF/22, nur in englischer Sprache verfügbar), hervorgegangen aus der elften Konferenz der Vertragsstaaten des Basler Übereinkommens, die vom 28. April bis 10. Mai 2013 in Genf stattfand, mit Art. 1 Abs. 4 dieses Übereinkommens Abfälle, die außerhalb des üblichen Betriebs entstehen, vom Geltungsbereich des Übereinkommens ausgenommen werden. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref25" name="Footnote25">25</a>      Vgl. zu dieser Konvention Vincent, P., <i>Droit de la mer</i>, Larcier, Brüssel, 2008, S. 179 bis 181, sowie Rothwell, D. R., und Stephens, T., <i>The International Law of the Sea</i>, 2. Aufl., Hart Publishing, Oxford, 2016, S. 402 bis 406.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref26" name="Footnote26">26</a>      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Meeresverschmutzung durch Schiffe und die Einführung von Sanktionen für Verstöße (ABl. 2005, L 255, S. 11). Zur Erreichung des mit dieser Richtlinie verfolgten Zieles sieht der Rahmenbeschluss 2005/667/JI des Rates vom 12. Juli 2005 zur Verstärkung des strafrechtlichen Rahmens zur Bekämpfung der Verschmutzung durch Schiffe (ABl. 2005, L 255, S. 164) den Erlass einer Reihe von Maßnahmen auf dem Gebiet des Strafrechts durch die Mitgliedstaaten vor.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref27" name="Footnote27">27</a>      Vgl. Art. 4 dieser Richtlinie. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref28" name="Footnote28">28</a>      Ich füge hinzu, dass nach Teil XII „Schutz und Bewahrung der Meeresumwelt“ die Staaten allgemein verpflichtet sind, die Meeresumwelt zu schützen und zu bewahren. Im Einzelnen ergeben sich die Befugnisse und Pflichten des Flaggenstaats, des Hafenstaats und des Küstenstaats aus den Art. 217, 218 und 220. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref29" name="Footnote29">29</a>      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über die Erfüllung der Flaggenstaatpflichten (ABl. 2009, L 131, S. 132).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref30" name="Footnote30">30</a>      Die Anforderungen dieses Codes sind zudem mit der Verordnung (EG) Nr. 336/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Februar 2006 zur Umsetzung des Internationalen Codes für Maßnahmen zur Organisation eines sicheren Schiffsbetriebs innerhalb der Gemeinschaft und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 3051/95 des Rates (ABl. 2006, L 64, S. 1) auf alle die Flagge eines Mitgliedstaats der Union führenden Schiffe erstreckt worden. Nach dieser Verordnung müssen die Mitgliedstaaten auch Vorschriften über wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen festlegen.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref31" name="Footnote31">31</a>      Vgl. u. a. Urteile vom 13. Februar 2014, Crono Service u. a. (C‑419/12 und C‑420/12, EU:C:2014:81, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 21. Dezember 2016, Ucar und Kilic (C‑508/15 und C‑509/15, EU:C:2016:986, Rn. 51).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref32" name="Footnote32">32</a>      Dem <i>Petit Robert </i>zufolge bedeutet das [in der französischen Sprachfassung dem Begriff „Abladen“ entsprechende] Verb „débarquer“ „(Personen, Gegenstände) von einem Schiff bringen, an Land absetzen“. Andere Sprachfassungen von Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006 bestätigen dieses Verständnis, denn die dort verwendeten Begriffe sind noch spezifischer. So vermitteln die in der spanischen, der dänischen, der deutschen, der englischen und der schwedischen Fassung verwendeten Begriffe „descargado“, „losses“, „Abladen“, „offloaded“ und „lastas“ den Gedanken, dass die die Ladung des Schiffes bildenden Abfälle von diesem entfernt worden sind. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref33" name="Footnote33">33</a>      Ich weise im Übrigen darauf hin, dass das vorlegende Gericht diese Begriffe ebenso zu verstehen scheint, denn es führt aus, dass „[n]ach dem eindeutigen Wortlaut … die Ausnahmevorschrift Anwendung [findet] ,bis zum Zeitpunkt des Abladens dieser Abfälle‘, also gerade nicht bis zum Abladen irgendwelcher Abfälle oder bis zum Zeitpunkt einer Ablademöglichkeit“. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref34" name="Footnote34">34</a>      Vgl. u. a. Urteil vom 8. März 2014, Z. (C‑363/12, EU:C:2014:159, Rn. 72 und die dort angeführte Rechtsprechung). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref35" name="Footnote35">35</a>      Das nach Dänemark verbrachte Löschwasser war abgepumpt und somit vom Schiff abgeladen worden.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref36" name="Footnote36">36</a>      Ich hebe hervor, dass die Kommission selbst in Rn. 44 ihrer Erklärungen einräumt, dass diese Abfälle „vor Antritt dieser zweiten Reise wohl nicht im üblichen Wortsinn als ,abgeladen‘ gelten [können]“. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref37" name="Footnote37">37</a>      Wie Conti in der Sitzung zutreffend ausgeführt hat, hat der Unionsgesetzgeber den Begriff „Abladen“ und nicht „nächster Hafen“ verwendet, was einen erheblichen Unterschied für die Anwendung der Ausnahme macht.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref38" name="Footnote38">38</a>      Hier ist meines Erachtens eine Parallele zur Verpflichtung der nationalen Gerichte zu unionsrechtskonformer Auslegung zu ziehen, die „ihre Schranken in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen [findet] und … nicht als Grundlage für eine Auslegung <i>contra legem</i> des nationalen Rechts dienen [darf]“ (vgl. u. a. Urteil vom 13. Juli 2016, Pöpperl, C‑187/15, EU:C:2016:550, Rn. 44).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref39" name="Footnote39">39</a>      Naômé, C., <i>Le renvoi préjudiciel en droit européen – Guide pratique</i>, 2. Aufl., Larcier, Brüssel, 2010, S. 272.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref40" name="Footnote40">40</a>      Wie es in der Rechtssache der Fall war, in der das Urteil vom 6. Oktober 2015, Schrems (C‑362/14, EU:C:2015:650), ergangen ist und in der sich die Kommission als Urheber des Rechtsakts am Verfahren beteiligt hat. In diesem Zusammenhang verweise ich auf die Verpflichtung des Gerichtshofs, sicherzustellen, dass die Regierungen der Mitgliedstaaten und die Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit haben, gemäß Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union Erklärungen abzugeben, wobei zu berücksichtigen ist, dass den Verfahrensbeteiligten nach dieser Vorschrift nur die Vorlageentscheidungen zugestellt werden (vgl. Urteil vom 14. April 2011, Vlaamse Dierenartsenvereniging und Janssens, C‑42/10, C‑45/10 und C‑57/10, EU:C:2011:253, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref41" name="Footnote41">41</a>      In der Sitzung ist diese Frage ganz kurz angesprochen worden, ohne dass die Verfahrensbeteiligten allerdings Argumente hierzu ausgetauscht hätten.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref42" name="Footnote42">42</a>      Nach der Rechtsprechung setzt die Prüfung der Gültigkeit einer Bestimmung des Unionsrechts von Amts wegen voraus, dass sie für das vorlegende Gericht sachdienlich ist. Wie Caroline Naômé darlegt, geht der Gerichtshof so vor, wenn die Frage formal auf die Auslegung einer unionsrechtlichen Bestimmung gerichtet ist, sich aber erweist, dass das vorlegende Gericht in Wirklichkeit Zweifel an der Gültigkeit dieser Bestimmung hat (vgl. Naômé, C., a. a. O., S. 272). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref43" name="Footnote43">43</a>      Vgl. zu den Voraussetzungen, unter denen die Bestimmungen eines internationalen Vertrags, dessen Vertragspartei die Union ist, zur Begründung einer Klage auf Nichtigerklärung einer Handlung des Sekundärrechts der Union oder einer Einrede der Rechtswidrigkeit einer solchen Handlung geltend gemacht werden können, Urteil vom 13. Januar 2015, Rat u. a./Vereniging Milieudefensie und Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht (C‑401/12 P bis C‑403/12 P, EU:C:2015:4, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
|
175,023 | eugh-2019-01-24-c-45815 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-458/15 | 2019-01-24T00:00:00 | 2019-01-31T19:20:48 | 2019-01-31T19:20:48 | Schlussantrag des Generalanwalts | ECLI:EU:C:2019:66 | <p class="C36Centre">SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN</p>
<p class="C36Centre">ELEANOR SHARPSTON</p>
<p class="C36Centre">vom 24. Januar 2019(<a href="#Footnote1" name="Footref1">1</a>)</p>
<p class="C38Centregrasgrandespacement">
<b>Rechtssache C</b>‑<b>458/15</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Staatsanwaltschaft Saarbrücken</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>gegen</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>K. P.</b>
</p>
<p class="C39Centreespacement">(Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Saarbrücken [Deutschland])</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen zur Bekämpfung des Terrorismus – Einfrieren von Geldern – Gemeinsamer Standpunkt 2001/931/GASP – Art. 1 Abs. 4 und 6 – Aufrechterhaltung der Aufnahme von Personen, Vereinigungen und Körperschaften in die Liste nach Art. 2 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 des Rates – Gültigkeit“</p>
<br/>
<br/>
<br/>
<br/>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point1">1.</a>        Eine Person, die Gelder für eine mutmaßliche terroristische Organisation vereinnahmt hat, hat möglicherweise eine Freiheitsstrafe in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union zu erwarten. Die Person stellt die rechtliche Gültigkeit der nationalen Rechtsvorschriften, gegen die sie verstoßen haben soll, in Frage, weil die Instrumente des Unionsrechts, die mit ihnen umgesetzt werden, ohne hinreichende Begründung erlassen worden seien. Es ist nicht das erste Mal, dass die Begründung der „Listung“ oder Aufnahme einer mutmaßlichen terroristischen Gruppierung in eine Liste eingehend überprüft wird. Mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen wird die Überprüfung neu ausgerichtet.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point2">2.</a>        Das Landgericht Saarbrücken (Deutschland) ersucht um eine Entscheidung des Gerichtshofs über die Rechtmäßigkeit bestimmter Unionsrechtsakte, durch die die Aufnahme der als Liberation Tigers of Tamil Eelam (im Folgenden: LTTE) bekannten Organisation in die Liste der Personen, Vereinigungen oder Körperschaften nach der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 des Rates vom 27. Dezember 2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus(<a href="#Footnote2" name="Footref2">2</a>) aufrechterhalten wird. Das Vorabentscheidungsersuchen ergeht in einem Strafverfahren gegen Herrn K. P. (im Folgenden: Angeklagter). Im Verfahren vor dem Gerichtshof hat Herr K. P. außerdem die Frage aufgeworfen, ob die Begründung des ursprünglichen Beschlusses des Rates über die Aufnahme der LTTE in die Liste der verbotenen Organisationen ausreichend ist und ob dies Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der vom vorlegenden Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen angeführten unionsrechtlichen Folgerechtsakte hat.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Völkerrecht</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point3">3.</a>        Der UN-Sicherheitsrat verabschiedete am 28. September 2001 als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York, Washington und Pennsylvania die Resolution 1373 (2001)(<a href="#Footnote3" name="Footref3">3</a>) (im Folgenden: Resolution 1373 [2001]) auf der Grundlage von Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen. In der Präambel dieser Resolution wird „die Notwendigkeit“ bekräftigt, „durch terroristische Handlungen verursachte Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit mit allen Mitteln im Einklang mit der Charta [der Vereinten Nationen] zu bekämpfen“. In Ziff. 5 wird erklärt, dass „die Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen und … die wissentliche Finanzierung und Planung terroristischer Handlungen sowie die Anstiftung dazu ebenfalls im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point4">4.</a>        Die Resolution 1373 (2001) stellt keine Liste von Einrichtungen oder Personen auf, für die Maßnahmen zur Bekämpfung terroristischer Handlungen gelten. </p>
<p class="C05Titre2"> <b>Gemeinsame Standpunkte 2001/931/GASP und 2006/380/GASP</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point5">5.</a>        Am 27. Dezember 2001 nahm der Rat der Europäischen Union den Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus(<a href="#Footnote4" name="Footref4">4</a>) an.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point6">6.</a>        In den Erwägungsgründen des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 finden sich u. a. die folgenden Erklärungen: Der Europäische Rat hat erklärt, dass der Terrorismus eine wirkliche Herausforderung für die Welt und für Europa darstellt und dass die Bekämpfung des Terrorismus eines der vorrangigen Ziele der Europäischen Union sein wird; der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat die Resolution 1373 (2001) verabschiedet, mit der umfassende Strategien zur Bekämpfung des Terrorismus und insbesondere für den Kampf gegen die Finanzierung des Terrorismus festgelegt werden; zur Umsetzung dieser Resolution sollte die Europäische Union zusätzliche Maßnahmen treffen(<a href="#Footnote5" name="Footref5">5</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point7">7.</a>        Art. 1 Abs. 1 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 sieht u. a. vor, dass diese Maßnahme für die im Anhang aufgeführten „Personen, Vereinigungen und Körperschaften, die an terroristischen Handlungen beteiligt sind“, gilt. Nach Art. 1 Abs. 2 sind „Personen, Vereinigungen und Körperschaften, die an terroristischen Handlungen beteiligt sind“, definiert als</p>
<p class="C03Tiretlong">–        Personen, die terroristische Handlungen begehen, zu begehen versuchen oder sich an deren Begehung beteiligen oder diese erleichtern;</p>
<p class="C03Tiretlong">–        Vereinigungen oder Körperschaften, die unmittelbar oder mittelbar Eigentum dieser Personen sind oder unter deren Kontrolle stehen; ferner Personen, Vereinigungen und Körperschaften, die im Namen oder auf Weisung dieser Personen, Vereinigungen und Körperschaften handeln, einschließlich der Gelder, die aus Vermögen stammen oder hervorgehen, das unmittelbar oder mittelbar Eigentum dieser Personen und mit ihnen assoziierter Personen, Vereinigungen und Körperschaften ist oder unter deren Kontrolle steht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point8">8.</a>        Nach Art. 1 Abs. 3 ist eine „terroristische Handlung“ definiert als „eine der … aufgeführten vorsätzlichen Handlungen, die durch ihre Art oder durch ihren Kontext ein Land oder eine internationale Organisation ernsthaft schädigen kann und im innerstaatlichen Recht als Straftat definiert ist, wenn sie mit dem Ziel begangen wird, … </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">iii)       die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören: … </p>
<p class="C02AlineaAltA">k)       Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung einschließlich durch Bereitstellung von Informationen oder materiellen Mitteln oder durch jegliche Art der Finanzierung ihrer Aktivitäten in dem Wissen, dass diese Beteiligung zu den kriminellen Aktivitäten der Gruppe beiträgt“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point9">9.</a>        Nach Art. 1 Abs. 4 „[wird] die Liste im Anhang … auf der Grundlage genauer Informationen bzw. der einschlägigen Akten erstellt, aus denen sich ergibt, dass eine zuständige Behörde – gestützt auf ernsthafte und schlüssige Beweise oder Indizien – gegenüber den betreffenden Personen, Vereinigungen oder Körperschaften einen Beschluss gefasst hat, bei dem es sich um die Aufnahme von Ermittlungen oder um Strafverfolgung wegen einer terroristischen Handlung oder des Versuchs, eine terroristische Handlung zu begehen, daran teilzunehmen oder sie zu erleichtern oder um eine Verurteilung für derartige Handlungen handelt. … Im Sinne dieses Absatzes bezeichnet der Ausdruck ‚zuständige Behörde‘ eine Justizbehörde oder, sofern die Justizbehörden keine Zuständigkeit in dem von diesem Absatz erfassten Bereich haben, eine entsprechende zuständige Behörde in diesem Bereich.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point10">10.</a>      Nach Art. 1 Abs. 6 „[werden] die Namen von Personen oder Körperschaften, die in der Liste im Anhang aufgeführt sind, … mindestens einmal pro Halbjahr einer regelmäßigen Überprüfung unterzogen, um sicherzustellen, dass ihr Verbleib auf der Liste nach wie vor gerechtfertigt ist“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point11">11.</a>      Nach Art. 3 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 „stellt [die Europäische Union] im Rahmen der ihr durch den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten sicher, dass den im Anhang aufgeführten Personen, Vereinigungen und Körperschaften keine Gelder, Vermögenswerte oder wirtschaftliche Ressourcen oder Finanz- oder andere damit zusammenhängende Dienstleistungen unmittelbar oder mittelbar zur Verfügung gestellt werden“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point12">12.</a>      Im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 findet sich eine Liste mit der Überschrift „Erste Liste der in Artikel 1 genannten Personen, Vereinigungen und Körperschaften …“. Die LTTE steht nicht auf dieser Liste. Dieser Anhang wurde mehrfach geändert. Er wurde nachfolgend durch den Gemeinsamen Standpunkt 2006/380/GASP des Rates vom 29. Mai 2006 zur Aktualisierung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung des Gemeinsamen Standpunkts 2006/231/GASP(<a href="#Footnote6" name="Footref6">6</a>) ersetzt. Die LTTE wurde mit dem Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt 2006/380 erstmals in die Liste aufgenommen(<a href="#Footnote7" name="Footref7">7</a>).</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Verordnung Nr. 2580/2001</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point13">13.</a>      In den Erwägungsgründen der Verordnung Nr. 2580/2001 finden sich die folgenden Erklärungen:</p>
<p class="C03Tiretlong">–        Der Europäische Rat hat erklärt, dass die Verhinderung der Finanzierung des Terrorismus ein entscheidender Aspekt im Kampf gegen den Terrorismus ist, und den Rat ersucht, die erforderlichen Maßnahmen zur Bekämpfung aller Formen der Finanzierung terroristischer Aktivitäten zu treffen.</p>
<p class="C03Tiretlong">–        Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat in der Resolution 1373 (2001) beschlossen, dass alle Staaten Gelder und sonstige finanzielle Vermögenswerte oder wirtschaftliche Ressourcen von Personen einfrieren sollten, die terroristische Handlungen begehen, zu begehen versuchen oder sich an deren Begehung beteiligen oder diese erleichtern.</p>
<p class="C03Tiretlong">–        Ferner hat der Sicherheitsrat beschlossen, dass Maßnahmen getroffen werden sollen, um zu untersagen, dass Gelder und sonstige finanzielle Vermögenswerte oder wirtschaftliche Ressourcen zum Nutzen dieser Personen zur Verfügung gestellt werden und Finanzdienstleistungen oder damit zusammenhängende Dienstleistungen zum Nutzen dieser Personen erbracht werden.</p>
<p class="C03Tiretlong">–        Es ist erforderlich, dass die Union tätig wird, um die GASP-Aspekte des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 umzusetzen.</p>
<p class="C03Tiretlong">–        Die Mitgliedstaaten sollten Bestimmungen über Sanktionen für Verstöße gegen die Bestimmungen der Verordnung Nr. 2580/2001 erlassen und ihre Anwendung gewährleisten.</p>
<p class="C03Tiretlong">–        Die Liste nach Art. 2 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2580/2001 kann sowohl Personen und Körperschaften umfassen, die mit Drittstaaten in Verbindung oder in Bezug zu Drittstaaten stehen, als auch solche, die in anderer Weise im Mittelpunkt der GASP-Aspekte des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 stehen(<a href="#Footnote8" name="Footref8">8</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point14">14.</a>      Nach Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2580/2001 sind „‚Gelder, andere finanzielle Vermögenswerte und wirtschaftliche Ressourcen‘ [definiert als] Vermögenswerte jeder Art, unabhängig davon, ob sie materiell oder immateriell und beweglich oder unbeweglich sind und wie sie erworben wurden …“. Nach Art. 1 Abs. 4 ist die Definition einer „terroristischen Handlung“ die gleiche wie in Art. 1 Abs. 3 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point15">15.</a>      Art. 2 bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1) Sofern nicht eine Ausnahme nach Artikel 5 oder 6 vorliegt,</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)       werden alle Gelder, andere finanzielle Vermögenswerte und wirtschaftliche Ressourcen, die einer in der Liste nach Artikel 2 Absatz 3 aufgeführten natürlichen oder juristischen Person, Vereinigung oder Körperschaft gehören oder in deren Eigentum stehen oder von ihr verwahrt werden, eingefroren;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)       werden weder direkt noch indirekt Gelder, andere finanzielle Vermögenswerte und wirtschaftliche Ressourcen für eine in der Liste nach Artikel 2 Absatz 3 aufgeführte natürliche oder juristische Person, Vereinigung oder Körperschaft oder zu ihren Gunsten bereitgestellt.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)       Sofern nicht eine Ausnahme nach Artikel 5 oder 6 vorliegt, ist die Erbringung von Finanzdienstleistungen für eine in der Liste nach Artikel 2 Absatz 3 aufgeführte natürliche oder juristische Person, Vereinigung oder Körperschaft oder zu ihren Gunsten untersagt.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)       Der Rat erstellt, überprüft und ändert einstimmig und im Einklang mit Artikel 1 Absätze 4, 5 und 6 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP die Liste der dieser Verordnung unterfallenden Personen, Vereinigungen oder Körperschaften. In dieser Liste [(im Folgenden: Liste nach Art. 2 Abs. 3)] sind aufgeführt:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">i)       natürliche Personen, die eine terroristische Handlung begehen oder zu begehen versuchen oder sich an deren Begehung beteiligen oder diese erleichtern;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">ii)       juristische Personen, Vereinigungen oder Körperschaften, die eine terroristische Handlung begehen oder zu begehen versuchen oder sich an deren Begehung beteiligen oder diese erleichtern;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">iii)       juristische Personen, Vereinigungen oder Körperschaften, die im Eigentum oder unter der Kontrolle einer oder mehrerer der unter Ziffer i) oder ii) genannten natürlichen oder juristischen Personen, Vereinigungen oder Körperschaften stehen, oder</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">iv)       natürliche oder juristische Personen, Vereinigungen oder Körperschaften, die im Namen oder auf Anweisung einer oder mehrerer der unter Ziffer i) oder ii) genannten natürlichen oder juristischen Personen, Vereinigungen oder Körperschaften handeln.“</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Aufnahme der LTTE in die Liste nach Art. 2 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2580/2001</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point16">16.</a>      Durch Art. 1 des Beschlusses 2006/379/EG des Rates(<a href="#Footnote9" name="Footref9">9</a>) wurde die LTTE erstmals in die Liste nach Art. 2 Abs. 3 aufgenommen (im Folgenden: Beschluss über die erstmalige Aufnahme)(<a href="#Footnote10" name="Footref10">10</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point17">17.</a>      Diese Aufnahme wurde durch den Beschluss 2007/445/EG des Rates(<a href="#Footnote11" name="Footref11">11</a>) aufrechterhalten. In den Erwägungsgründen dieses Beschlusses heißt es, dass der Rat – soweit praktisch möglich – allen einzelnen betroffenen Personen, Vereinigungen und Körperschaften eine Begründung zukommen gelassen habe, in der jeweils dargelegt werde, warum sie u. a. im Beschluss 2006/379 aufgeführt seien(<a href="#Footnote12" name="Footref12">12</a>). Es sei eine Mitteilung im <i>Amtsblatt der Europäischen Union</i> veröffentlicht worden, mit der den Betroffenen mitgeteilt worden sei, dass der Rat beabsichtige, ihre Aufnahme in die Liste nach Art. 2 Abs. 3 aufrechtzuerhalten. Diesen Personen sei ferner mitgeteilt worden, dass sie beantragen könnten, dass ihnen die Begründung des Rates für ihren Verbleib auf der Liste übermittelt werde(<a href="#Footnote13" name="Footref13">13</a>). Der Rat übermittelte der LTTE ein Schreiben vom 29. Juni 2007, dem er eine Begründung beifügte, die die Entscheidung zur Aufrechterhaltung der Aufnahme dieser Organisation in die Liste nach Art. 2 Abs. 3 erläuterte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point18">18.</a>      Die Aufnahme der LTTE in die Liste nach Art. 2 Abs. 3 wurde sodann durch die im Folgenden aufgeführten Folgerechtsakte aufrechterhalten(<a href="#Footnote14" name="Footref14">14</a>): Beschluss 2007/868/EG des Rates(<a href="#Footnote15" name="Footref15">15</a>), Beschluss 2008/583/EG des Rates(<a href="#Footnote16" name="Footref16">16</a>), Beschluss 2009/62/EG des Rates(<a href="#Footnote17" name="Footref17">17</a>) und Verordnung (EG) Nr. 501/2009 des Rates(<a href="#Footnote18" name="Footref18">18</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point19">19.</a>      Bei jedem dieser Rechtsakte folgte der Rat dem Muster, das er bei der Entscheidung zur Aufrechterhaltung der Aufnahme der LTTE in die Liste durch den Beschluss 2007/445 zugrunde gelegt hatte. Der Rat veröffentlichte somit vor Erlass des Rechtsakts eine Mitteilung im <i>Amtsblatt der Europäischen Union</i>, wonach er beabsichtige, die Aufnahme aufrechtzuerhalten, und übermittelte nach Erlass des betreffenden Rechtsakts ein Schreiben, in dem er seine Begründung für die Verlängerung der Aufnahme erläuterte.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Deutsches Recht</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point20">20.</a>      Das Außenwirtschaftsgesetz (im Folgenden: AWG) in der von 2006 bis 2009 geltenden Fassung verbot die Weitergabe von Spendengeldern an verbotene Organisationen wie die LTTE. Es sah im Wesentlichen vor, dass eine Zuwiderhandlung gegen ein Ausfuhr‑, Verkaufs‑, Liefer‑, Bereitstellungs‑, Weitergabe‑, Dienstleistungs‑, Investitions‑, Unterstützungs- oder Umgehungsverbot eines Rechtsakts der „Europäischen Gemeinschaften“, der der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient, mit einer Freiheitsstrafe geahndet werden konnte(<a href="#Footnote19" name="Footref19">19</a>).</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefrage</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point21">21.</a>      Aufgrund einer Anklage der Staatsanwaltschaft Saarbrücken vom 12. März 2015 wurde gegen Herrn K. P. vor dem vorlegenden Gericht die Hauptverhandlung eröffnet. In dem vorgenannten Verfahren wirft die Staatsanwaltschaft ihm vor, in der Zeit vom 22. August 2007 bis zum 27. November 2009 durch Bereitstellung von Geldern an die LTTE einem unmittelbar geltenden Verbot eines Rechtsakts der Europäischen Union zuwidergehandelt zu haben, mit dem eine vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossene wirtschaftliche Sanktionsmaßnahme durchgesetzt wird. Weiterhin sei Herr K. P. von 2007 bis 2009 Bezirksverantwortlicher für den Bezirk „Saarland“ des Tamil Coordination Committee (im Folgenden: TCC) gewesen, welches im Auftrag der LTTE bei in Deutschland lebenden Tamilen Spendengelder eingetrieben habe, die in der Folge nach Sri Lanka transferiert und dort durch die LTTE zur Finanzierung des militärischen Kampfes gegen die Zentralregierung verwendet worden seien. Herr K. P. sei in die hierarchisch aufgebaute Organisationsstruktur eingebunden und verantwortlich dafür gewesen, ihm nachgeordnete Gebietsverantwortliche und weitere, als Spendeneintreiber vor Ort tätige Personen zu beaufsichtigen, und habe selbst direkt den Deutschlandverantwortlichen der TCC unterstanden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point22">22.</a>      Die von Herrn K. P. nachgeordneten Personen in seinem Bezirk vereinnahmten Gelder habe er nach Entgegennahme mindestens monatlich gegen entsprechende Quittungen an die TCC weitergeleitet; sie seien dann jeweils an die LTTE nach Sri Lanka weitergeleitet worden. Insbesondere habe Herr K. P. im Zeitraum vom 11. August 2007 bis 27. November 2009 (im Folgenden: maßgeblicher Zeitraum) in insgesamt 43 Fällen Spendengelder in Höhe von 69 385 Euro eingetrieben und an die TCC weitergeleitet, wobei er gewusst und auch beabsichtigt habe, dass die Gelder nach Sri Lanka transferiert und dort zur Finanzierung der Ziele der LTTE verwendet würden. Dabei sei ihm bewusst gewesen, dass die LTTE vom Rat der Europäischen Union auf die Liste der der Verordnung Nr. 2580/2001 unterfallenden Vereinigungen gesetzt worden sei, ein Embargo bestanden habe und daher das Eintreiben und Weiterleiten dieser Spendengelder nach Sri Lanka wie auch jede andere finanzielle und materielle Unterstützung der LTTE strafbar gewesen sei.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point23">23.</a>      In der Hauptverhandlung vom 1. Juli 2015 wurde von dem Verteidiger von Herrn K. P. die Ungültigkeit der streitigen Unionsrechtsakte, durch die die LTTE ab dem 28. Juni 2007 als verbotene Organisation im Sinne von Art. 2 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2580/2001 in die Liste aufgenommen wurde, geltend gemacht. Hierfür wurden zwei Gründe angeführt. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point24">24.</a>      Erstens zog der Verteidiger von Herrn K. P. eine Parallele zum Urteil E und F(<a href="#Footnote20" name="Footref20">20</a>). Der Gerichtshof habe dort entschieden, dass die Aufnahme der Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi (DHKP-C) in die Liste nach Art. 2 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2580/2001 rechtswidrig gewesen sei und eine strafrechtliche Verurteilung, die an einen vermeintlichen Verstoß gegen diese Verordnung anknüpfe, nicht habe stützen können. Der Grund hierfür sei gewesen, dass vom Rat keine Begründung für die erstmalige Entscheidung zur Aufnahme der DHKP-C in die Liste nach Art. 2 Abs. 3 und die daran anschließende Kette von Verlängerungsentscheidungen abgegeben worden sei. Der Gerichtshof habe festgestellt, dass zwar der Beschluss 2007/445 (mit dem die Aufnahme der DHKP-C in die Liste nach Art. 2 Abs. 3 erneut verlängert worden sei) selbst mit einer Begründung erlassen worden sei, sämtliche früheren Maßnahmen, einschließlich der erstmaligen Aufnahme, indes ungültig gewesen seien, da sie nicht mit einer Begründung versehen gewesen seien. Neben dem Umstand, dass die DHKP-C nicht über „die nötigen Anhaltspunkte“ verfügt habe, „um die Begründetheit der Aufnahme der DHKP‑C in die Liste … in der Zeit vor dem 29. Juni 2007 … zu prüfen“, „[vereitele somit] das Fehlen einer Begründung … eine angemessene gerichtliche Kontrolle ihrer materiellen Rechtmäßigkeit“(<a href="#Footnote21" name="Footref21">21</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point25">25.</a>      Zweitens habe das Gericht im Urteil LTTE/Rat(<a href="#Footnote22" name="Footref22">22</a>) eine Reihe von Unionsrechtsakten, die den Zeitraum von Januar 2011 bis Oktober 2014 abgedeckt hätten(<a href="#Footnote23" name="Footref23">23</a>), für nichtig erklärt, soweit sie die LTTE betroffen hätten. Aus der Begründung des Urteils ergebe sich zwingend, dass auch die in der vorliegenden Rechtssache streitigen Unionsrechtsakte jedenfalls insoweit nichtig seien, als sie die LTTE beträfen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point26">26.</a>      Da das Strafverfahren gegen Herrn K. P. nur zu einer Verurteilung führen kann, wenn die streitigen Unionsrechtsakte gültig sind, stellt das vorlegende Gericht folgende Frage:</p>
<p class="C02AlineaAltA">Ist die Aufnahme der Liberation Tigers of Tamil Eelam (im Folgenden: LTTE) in die Liste nach Art. 2 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2580/2001 für den Zeitraum vom 11. August 2007 bis zum 27. November 2009 einschließlich, insbesondere aufgrund der Beschlüsse des Rates vom 28. Juni 2007 (2007/445/EG), vom 20. Dezember 2007 (2007/868/EG in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom gleichen Tag), vom 15. Juli 2008 (2008/583/EG), vom 26. Januar 2009 (2009/62/EG) und der Verordnung (EG) Nr. 501/2009 vom 15. Juni 2009, ungültig?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point27">27.</a>      Der Rat und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Herr K. P. hat später einen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt, der schriftliche Stellungnahmen zur Vorlagefrage enthielt und auch ausdrücklich die Frage der Gültigkeit des Beschlusses über die erstmalige Aufnahme aufwarf. Nach Art. 62 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs habe ich daher die Beteiligten gebeten, zu zwei Fragen in der mündlichen Verhandlung Stellung zu nehmen. Dies waren i) die Frage, ob der Gerichtshof auch den <i>ersten</i> Aufnahmebeschluss auf seine angebliche Ungültigkeit hin zu überprüfen habe und ii), soweit dies zu bejahen ist, welche Auswirkungen eine Ungültigerklärung dieser ersten Maßnahme (gegebenenfalls) auf die Gültigkeit von Folgemaßnahmen (insbesondere der streitigen Unionsrechtsakte) hätte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point28">28.</a>      Herr K. P., der Rat und die Kommission haben in der mündlichen Verhandlung vom 12. September 2018 mündliche Ausführungen gemacht und Fragen beantwortet.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Würdigung</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zulässigkeit</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point29">29.</a>      Wird durch ein Vorabentscheidungsersuchen die Gültigkeit einer unionsrechtlichen Maßnahme in Frage gestellt, ist zu prüfen, ob die Partei, die diese Frage vor dem nationalen Gericht aufgeworfen hat, „zweifellos“ klagebefugt gewesen wäre, um die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme nach Art. 263 AEUV direkt anzufechten. Wäre dies der Fall, wäre ihr verwehrt, die Gültigkeit dieser Maßnahme im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV anzufechten(<a href="#Footnote24" name="Footref24">24</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point30">30.</a>      Hier erscheint eindeutig, dass Herr K. P. die beiden Voraussetzungen der individuellen und unmittelbaren Betroffenheit <i>nicht</i> „zweifellos“ hätte erfüllen können. Das Vorabentscheidungsersuchen stellt die Funktion von Herrn K. P. als diejenige eines „Gebietsverantwortlichen“ dar, der in die „streng hierarchisch aufgebaute Organisationsstruktur“ eingebunden gewesen sei, „ihm nachgeordnete Gebietsverantwortliche und weitere, als Spendeneintreiber vor Ort tätige Personen beaufsichtigt und selbst direkt den … Deutschlandverantwortlichen unterstanden“ habe. Diese tatsächlichen Umstände sprechen sehr dafür, dass Herr K. P. keine hinreichende individuelle Betroffenheit hätte darlegen können, um die zu diesem Zeitpunkt geltende besonders hohe Schwelle zu überwinden(<a href="#Footnote25" name="Footref25">25</a>). Es spricht ferner auch nichts dafür, dass Herr K. P. die Möglichkeit gehabt (aber nicht wahrgenommen) hätte, die Maßnahmen als Vertreter der LTTE direkt anzufechten(<a href="#Footnote26" name="Footref26">26</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point31">31.</a>      Das Vorabentscheidungsersuchen ist demnach zulässig.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Gültigkeit des ursprünglichen Beschlusses zur Aufnahme der LTTE in die Liste nach Art. 2 Abs. 3</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point32">32.</a>      Mit seiner einzigen Frage möchte das vorlegende Gericht die Gültigkeit der streitigen Unionsrechtsakte geklärt wissen. Jeder dieser Rechtsakte hat eine <i>Verlängerung</i> der Aufnahme der LTTE in die Liste zum Gegenstand.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point33">33.</a>      In seinen schriftlichen Stellungnahmen wiederholt der Verteidiger von Herrn K. P. indes die ausweislich des Vorabentscheidungsersuchens im Namen seines Mandanten in der Hauptverhandlung vor dem vorlegenden Gericht vorgebrachten Argumente. Er macht also geltend, i) dass der Beschluss über die erstmalige Aufnahme wegen fehlender Begründung ungültig sei und ii) dass nach dem Urteil E und F(<a href="#Footnote27" name="Footref27">27</a>) auch alle nach dem Erlass eines Beschlusses über die erstmalige Aufnahme ergangenen Entscheidungen über dessen Verlängerung, die nicht mit einer Begründung versehen seien, ungültig seien (angeblicher Domino-Effekt, im Folgenden: Domino-Effekt). Der Kern dieses Vorbringens ist, dass Verlängerungsentscheidungen wie die streitigen Unionsrechtsakte „im Wesentlichen eine Verlängerung der erstmaligen Aufnahme in die Liste“ darstellen(<a href="#Footnote28" name="Footref28">28</a>). Herr K. P. hat ferner geltend gemacht, dass er den Beschluss über die erstmalige Aufnahme zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht hätte anfechten können (was, wie oben in Nr. 30 festgehalten, wahrscheinlich zutreffend ist) und dass das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen ihm jetzt diese Möglichkeit gebe.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point34">34.</a>      Meines Erachtens sollte der Gerichtshof jedoch hier aus den folgenden Gründen die Frage der Gültigkeit des Beschlusses über die erstmalige Aufnahme nicht erörtern.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point35">35.</a>      <i>Erstens</i> und allem voran hat das vorlegende Gericht diese Entscheidung in seine dem Gerichtshof vorgelegte Frage nicht einbezogen. Es hat dem Gerichtshof hierzu auch keine detaillierten Ansichten und keine einschlägigen Hintergrundangaben an die Hand gegeben. Demzufolge verfügt der Gerichtshof nicht über die erforderlichen Angaben, um die formelle oder materielle Gültigkeit der Verordnung Nr. 2580/2001 in geeigneter Weise prüfen zu können.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point36">36.</a>      <i>Zweitens</i> würde der Gerichtshof dann, wenn er eine solche Prüfung von Amts wegen vornähme, die Rechte der betreffenden Mitgliedstaaten und Organe missachten, die nach Art. 23 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs zu Vorabentscheidungsersuchen Erklärungen abgeben können. Auch wenn das Vorabentscheidungsersuchen in der Tat das Vorbringen des Verteidigers von Herrn K. P. in der Hauptverhandlung wiedergibt, enthält es weder eine direkte Frage nach der Gültigkeit des Beschlusses über die erstmalige Aufnahme noch die notwendigen Angaben, die dem Gerichtshof ermöglichen würden, zu dieser Frage Stellung zu nehmen. In der mündlichen Verhandlung haben der Rat und die Kommission bestätigt, dass sie auf diese Frage in ihren Stellungnahmen nicht eingegangen seien, weil sie das Vorabentscheidungsersuchen nicht dahin verstanden hätten, dass es diese Frage aufwerfe. Auch wenn das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV Beteiligten wie Herrn K. P. in der Tat die <i>Möglichkeit</i> gibt, eine solche Frage später noch aufzuwerfen, ist<i/>dem Gerichtshof somit, wenn das Vorabentscheidungsersuchen insofern schweigt oder bestenfalls mehrdeutig ist, <i>verwehrt,</i> von Amts wegen darauf einzugehen. Andernfalls würden anderen Beteiligten <i>ihre</i> Verteidigungsrechte genommen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point37">37.</a>      <i>Drittens</i> ist Ausgangspunkt für eine Prüfung der Gültigkeit einer unionsrechtlichen Maßnahme, dass diese gesondert und für sich genommen zu beurteilen ist. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Beschluss über die erstmalige Aufnahme und die streitigen Unionsrechtsakte voneinander <i>zu trennende</i> rechtliche Maßnahmen sind, die auf <i>verschiedenen</i> Rechtsgrundlagen erlassen wurden (Art. 1 Abs. 4 bzw. 6 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931) und <i>unterschiedliche </i>rechtliche Kriterien zur Anwendung bringen. Ferner sind trotz der Entscheidung des Gerichtshofs im Urteil LTTE, wonach eine Verlängerungsentscheidung im Wesentlichen eine Verlängerung der erstmaligen Aufnahme darstelle, beide miteinander rechtlich nicht so verwoben, dass die Ungültigkeit des Ersteren automatisch die Gültigkeit des Letzteren in Zweifel zieht. Vielmehr gibt es meines Erachtens offenbar eine Rangfolge der Maßnahmen. Der erste (und wichtigste) Schritt zum Zeitpunkt eines Beschlusses über die erstmalige Aufnahme ist die Prüfung, ob eine angemessene einschlägige Entscheidung einer zuständigen Behörde im Sinne von Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 vorliegt(<a href="#Footnote29" name="Footref29">29</a>). Dagegen setzt eine Entscheidung zur Verlängerung einer erstmaligen Aufnahme <i>keine</i> erneute Überprüfung dieser Entscheidung voraus(<a href="#Footnote30" name="Footref30">30</a>). Zum Zeitpunkt der Verlängerung muss der Rat lediglich nachweisen, dass die bestehende Gefahr die „<i>gleiche</i>“ ist wie zum Zeitpunkt der erstmaligen Aufnahme(<a href="#Footnote31" name="Footref31">31</a>). Der Beschluss über die erstmalige Aufnahme und die streitigen Unionsrechtsakte sind daher meines Erachtens eindeutig <i>voneinander zu trennende und unabhängige</i> Rechtsvorschriften. Demzufolge muss der Gerichtshof den Beschluss über die erstmalige Aufnahme, durch die eine bestimmte Person oder Vereinigung auf die Liste nach Art. 2 Abs. 3 gesetzt wird, nicht automatisch jedes Mal dann überprüfen, wenn eine Verlängerungsentscheidung angefochten wird.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point38">38.</a>      Ich schließe gleichwohl nicht aus, dass es für den Gerichtshof angezeigt sein <i>kann</i>, die Frage der materiellen Ungültigkeit der erstmaligen Aufnahme und die entsprechenden Auswirkungen auf anschließend erlassene Verlängerungsentscheidungen in Betracht zu ziehen, <i>aber nur dann, wenn er hierum ausdrücklich ersucht wird.</i> In der mündlichen Verhandlung hat der Rat zugestanden, dass (beispielsweise) für den Fall, dass die Entscheidung der zuständigen nationalen Behörde sich darauf bezogen hätte, dass ein im Eigentum der LTTE stehender PKW einen Fahrzeugsicherheitstest nicht bestanden hätte, dies den Erlass des Beschlusses über die erstmalige Aufnahme durch den Rat nicht hätte rechtfertigen können. Dies würde dann die Rechtsfolge nach sich ziehen, dass die Folgemaßnahmen zur Verlängerung beeinträchtigt würden. Solche Umstände werden vorliegend jedoch nicht vorgetragen.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Parallele zum Urteil E und F</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point39">39.</a>      Sowohl im nationalen Verfahren als auch im Verfahren vor dem Gerichtshof hat der Verteidiger von Herrn K. P. sich vor allem auf die Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache E und F gestützt und, hierzu eine Parallele ziehend, die Ansicht vertreten, dass Mängel des ursprünglichen Beschlusses zur Aufnahme der LTTE in die Liste (Beschluss 2006/379) einen „Domino-Effekt“ hätten, so dass alle Folgeentscheidungen, durch die die Aufnahme der LTTE in die Liste nach Art. 2 Abs. 3 aufrechterhalten werde, für nichtig zu erklären seien. Es ist jedoch eindeutig, dass der dem Urteil E und F zugrunde liegende Sachverhalt sich von demjenigen der vorliegenden Rechtssache stark unterscheidet(<a href="#Footnote32" name="Footref32">32</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point40">40.</a>      Hinzuweisen ist darauf, dass in der Rechtssache E und F <i>keine</i> Begründung für die Aufnahme der DHKP-C in die Liste abgegeben worden war, weder für die erstmalige Aufnahme noch für die einzelnen Entscheidungen der daran anschließenden Kette von Verlängerungsentscheidungen. Eine Begründung wurde erstmals für den Beschluss 2007/445 abgegeben, dies kam jedoch zu spät, um die Ungültigerklärung der vorangegangenen Kette von Unionsrechtsakten, soweit sie die Aufnahme dieser Organisation bewirkten, verhindern zu können(<a href="#Footnote33" name="Footref33">33</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point41">41.</a>      Dagegen wurde der LTTE in der vorliegenden Rechtssache eine Begründung sowohl für die erstmalige Aufnahme als auch für jede der nachfolgenden Entscheidungen über die Aufrechterhaltung ihrer Aufnahme in die Liste nach Art. 2 Abs. 3 übermittelt. Wie bereits erläutert, wurde insoweit das Muster verfolgt, interessierten Personen (soweit praktisch umsetzbar) eine Begründung dafür zu übersenden, warum sie in die Liste aufgenommen worden <i>waren</i>, und dann eine Mitteilung im <i>Amtsblatt der Europäischen Union </i>zu veröffentlichen, mit der die Betroffenen darüber unterrichtet wurden, dass der Rat beabsichtige, ihre Aufnahme in die Liste nach Art. 2 Abs. 3 <i>aufrechtzuerhalten</i>, und mit der sie darüber unterrichtet wurden, dass sie hierzu auf Anfrage den Begründungsentwurf des Rates erhalten könnten. Nach ihrer erneuten Aufnahme übersandte der Rat den Betroffenen dann die endgültige Fassung der Begründung hierfür(<a href="#Footnote34" name="Footref34">34</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point42">42.</a>      Die <i>erste</i> Begründung für ihre Aufnahme in die Liste nach Art. 2 Abs. 3 durch den Beschluss 2006/379 vom 29. Mai 2006 wurde der LTTE zwar erst am 23. April 2007 übermittelt(<a href="#Footnote35" name="Footref35">35</a>), fast <i>elf Monate nach der erstmaligen Aufnahme</i>. Es bleibt aber dabei, dass diese Mitteilung erfolgte, <i>bevor</i> der Beschluss 2006/379 durch den Beschluss 2007/445 vom 28. Juni 2007 ersetzt und aufgehoben wurde, also in dem Zeitraum, in dem der frühere Beschluss in Kraft war(<a href="#Footnote36" name="Footref36">36</a>). Der Rat übersandte der LTTE am auf den Erlass des letzteren Beschlusses folgenden Tag, nämlich am 29. Juni 2007, eine Begründung dafür, warum sie weiterhin in der Liste geführt wurde. Anschließend erfolgte die Mitteilung der Begründung für die erneute Aufnahme nach dem von mir oben soeben dargestellten Muster.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point43">43.</a>      Offenkundig ist eine derart spät nach dem Erlass der erstmaligen Aufnahme erfolgende Mitteilung der Begründung mit der Anforderung des Gerichtshofs schwer vereinbar, dass der Rat eine solche Begründung „unmittelbar“ nach dem Erlass einer erstmaligen Aufnahme zu übermitteln hat(<a href="#Footnote37" name="Footref37">37</a>). Es bleibt jedoch ganz einfach dabei, dass die LTTE auf die im <i>Amtsblatt der Europäischen Union</i> veröffentlichte erstmalige Aufnahme nicht in der Weise reagiert hat, dass sie, wozu sie eindeutig berechtigt war, innerhalb der vorgesehenen Frist Klage nach Art. 230 EG (jetzt Art. 263 AEUV) erhoben hätte. Und bevor die an die Stelle tretende Maßnahme (Beschluss 2007/445) erlassen wurde, wurde das Versäumnis vom Rat behoben(<a href="#Footnote38" name="Footref38">38</a>). Hinzuzufügen ist, dass der Rat über ein weites Ermessen verfügt, wie er Verfahrensfehler seiner Handlungen behebt. Hätte er sich (beispielsweise) dafür entschieden, die erforderliche Begründung in den Erwägungsgründen einer Maßnahme zur erneuten Aufnahme anzugeben, hätte dies das Problem meines Erachtens ebenfalls behoben.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point44">44.</a>      Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, die Frage einer materiellen oder formellen Ungültigkeit des Beschlusses über die erstmalige Aufnahme und/oder die Frage, ob sich hieraus möglicherweise Auswirkungen auf die Gültigkeit der streitigen unionsrechtlichen Vorschriften ergeben, nicht zu prüfen.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Gültigkeit der streitigen Unnionsrechtsakte, mit denen die LTTE in die Liste nach Art. 2 Abs. 3 (Beschlüsse 2007/445, 2007/868, 2008/583 und 2009/62 und Verordnung Nr. 501/2009) aufgenommen werden</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point45">45.</a>      War die Begründung jeder einzelnen der streitigen Unionsrechtsakte insbesondere im Licht des Urteils LTTE(<a href="#Footnote39" name="Footref39">39</a>) ausreichend?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point46">46.</a>      Der Gemeinsame Standpunkt 2001/931 selbst enthält keine ausdrückliche Regelung der Begründung. Dieses Erfordernis ergibt sich daher aus Art. 296 AEUV, wonach die Rechtsakte mit einer Begründung zu versehen sind. Nach ständiger Rechtsprechung muss die Begründung „die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann“(<a href="#Footnote40" name="Footref40">40</a>). Diese Verpflichtung ist Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes der Wahrung der Verteidigungsrechte und des entsprechenden Grundrechts nach Art. 47 der Charta(<a href="#Footnote41" name="Footref41">41</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point47">47.</a>      Aus dem Inhalt der Begründung müssen die tatsächlichen und konkreten Gründe erkennbar sein, aus denen der Entscheidungsträger der Auffassung ist, dass die betreffende Regelung auf den Betroffenen Anwendung findet(<a href="#Footnote42" name="Footref42">42</a>), und sie muss „die Tatsachen und rechtlichen Erwägungen anführen, denen nach dem Aufbau der Entscheidung eine wesentliche Bedeutung zukommt“(<a href="#Footnote43" name="Footref43">43</a>). In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich und rechtlich einschlägigen Aspekte genannt zu werden, da eine Begründung auch anhand ihres tatsächlichen und rechtlichen Kontexts zu beurteilen ist(<a href="#Footnote44" name="Footref44">44</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point48">48.</a>      Bei Verlängerungsentscheidungen wie den streitigen Unionsrechtsakten ergibt sich der <i>Regelungskontext</i> aus dem rechtlichen Erfordernis, dass der Rat die Liste nach Art. 2 Abs. 3 „mindestens einmal pro Halbjahr“ einer Überprüfung unterzieht (Art. 1 Abs. 6 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931). Wenn sich die Sachlage in diesen sechs Monaten nicht geändert hat, „ist es nicht notwendig, näher darzulegen, weshalb der Rat der Überzeugung“ ist, „dass die Gründe, die die Aufnahme“ der Betroffenen „in die streitige Liste gerechtfertigt hatten, noch immer gültig“ sind(<a href="#Footnote45" name="Footref45">45</a>). Es ist ferner ausreichend, wenn sich die angegebene Begründung auf einen Rechtsakt bezieht, der in einem Zusammenhang ergangen ist, der dem Betroffenen „bekannt“ war und „ihm gestattet, die Tragweite der ihm gegenüber getroffenen Maßnahme zu verstehen“(<a href="#Footnote46" name="Footref46">46</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point49">49.</a>      Zum <i>tatsächlichen Kontext </i>von Verlängerungsentscheidungen kann die Frage gehören, ob der Rat aufgrund der verstrichenen Zeit und/oder einer Veränderung der Umstände dazu verpflichtet ist, die Belassung der betroffenen Person oder Vereinigung auf der Liste nach Art. 2 Abs. 3 auf eine „aktualisierte Lagebeurteilung zu stützen und neuere Tatsachen zu berücksichtigen, die das Fortbestehen“ der Gefahr „belegen“(<a href="#Footnote47" name="Footref47">47</a>). Zur Rechtfertigung einer Verlängerungsentscheidung ist es jedoch nicht erforderlich, dass der Rat einen „neuen Umstand“ anführt, der „Gegenstand eines nationalen Beschlusses war, den die zuständige Behörde … erlassen hat“(<a href="#Footnote48" name="Footref48">48</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point50">50.</a>      Die Begründungen der streitigen Unionsrechtsakte sind offenbar – abgesehen von unbedeutenden Unterschieden wie einem geänderten Datum – identisch. Als stellvertretendes Beispiel werde ich die Begründung des Beschlusses 2007/445 prüfen. Klargestellt sei, dass meine Würdigung im vorliegenden Teil der Schlussanträge sich <i>nicht</i> auf die Begründung der Verordnung Nr. 501/2009 des Rates bezieht, die ich unten in den Nrn. 63 ff. gesondert prüfe.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point51">51.</a>      Die Gründe für die Verlängerung der Aufnahme der LTTE durch den Beschluss 2007/445 ergeben sich aus drei Quellen: der Mitteilung im <i>Amtsblatt der Europäischen Union</i> vom 25. April 2007, den Erwägungsgründen des Beschlusses 2007/445 und der endgültigen Fassung der der LTTE übersandten Begründung vom 29. Juni 2007. Aus einer Gesamtbetrachtung dieser drei Quellen ergibt sich, dass der Rat i) der LTTE einen Begründungsentwurf mitgeteilt hat, ii) die LTTE (und alle anderen Betroffenen) darüber unterrichtet hat, dass sie der Kommission Stellungnahmen dazu übermitteln könnten, warum eine Verlängerung nicht angemessen sei, iii) in dieser Begründung die Gründe dafür zusammengefasst hat, warum die Bedingungen für die Verlängerung der Aufnahme weiterhin gerechtfertigt seien, und iv) nach Erlass der Verlängerungsentscheidung der LTTE eine endgültige Fassung der Begründung, die die Rechtfertigung der Verlängerung der Aufnahme enthielt(<a href="#Footnote49" name="Footref49">49</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point52">52.</a>      In diesem Dokument wurde die LTTE als terroristische Vereinigung bezeichnet, die 1976 gegründet worden sei, und eine Serie von zwölf, von der LTTE verübten Handlungen aufgeführt, die nach Ansicht des Rates unter die Definition einer terroristischen Handlung nach Art. 1 Abs. 3 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 fielen. Sodann wurde verwiesen auf einen Beschluss des Secretary of State des Vereinigten Königreichs vom 29. März 2001 über das Verbot der LTTE nach dem Terrorism Act 2000 des Vereinigten Königreichs (Gesetz von 2000 über den Terrorismus), einen Beschluss des Treasury (Finanzministerium) des Vereinigten Königreichs vom 6. Dezember 2001 über das Einfrieren von Geldern der LTTE und einen Beschluss der indischen Behörden über das Verbot der LTTE von 1992 (die nach Ansicht des Rates alle drei unter die Definition eines „Beschlusses“ in Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 fielen und alle drei weiterhin in Kraft seien).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point53">53.</a>      Die drei, oben in Nr. 51 genannten Quellen enthielten meines Erachtens hinreichende Angaben, um der LTTE eine Kenntnisnahme von den tatsächlichen und konkreten Gründen, aus denen der Rat die einschlägigen Regelungen auf sie für anwendbar hielt, sowie den Tatsachen und rechtlichen Erwägungen, die für die Verlängerung der Aufnahme von maßgebender Bedeutung waren, zu ermöglichen. Es gab mit anderen Worten hinreichende Gesichtspunkte, die es der LTTE ermöglichten, die gegen sie erhobenen Vorwürfe und den Umfang der ergriffenen Maßnahmen nachzuvollziehen. Die LTTE wurde somit in die Lage versetzt, die Begründetheit der Verlängerungsmaßnahme wirksam zu bestreiten. <i>Hätte</i> sie dies getan, hätte sie von ihren Verteidigungsrechten Gebrauch machen können, indem sie zum einen <i>vor</i> dem Erlass der Verlängerungsmaßnahme Stellungnahmen abgegeben hätte – wozu sie in der Mitteilung im <i>Amtsblatt der Europäischen Union</i> aufgefordert wurde – und/oder <i>nach</i> ihrem Erlass gegen die Verlängerungsmaßnahme innerhalb der vorgesehenen Frist vor dem Gericht Klage nach Art. 230 EG (jetzt Art. 263 AEUV) erhoben hätte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point54">54.</a>      Zwar hat der Gerichtshof eindeutig allgemein festgestellt, dass Begründungen <i>vor </i>dem Erlass einer Verlängerungsmaßnahme mitgeteilt werden müssen(<a href="#Footnote50" name="Footref50">50</a>), wohingegen die verschiedenen <i>endgültigen Fassungen</i> der Begründungen <i>nach</i> dem Erlass der jeweiligen angefochtenen Maßnahme ergangen und versandt worden sind. Meines Erachtens hat der Rat indes gleichwohl den <i>Sinn und Zweck</i> der Anforderung des Gerichtshofs erfüllt. Insbesondere ist der <i>Kontext</i> hervorzuheben, in dem der Beschluss 2007/445 (und die anderen Verlängerungsmaßnahmen) erlassen wurde. In Wirklichkeit lag der LTTE <i>stets vor</i> dem Erlass der jeweiligen Verlängerungsmaßnahme eine unveränderte Begründung vor. Es kann daher keine Rede davon sein, dass die LTTE jemals in einer Lage gewesen wäre, in der sie von den Tatsachen und Gründen <i>keine</i> Kenntnis gehabt hätte, die hinter dem Beschluss zur Aufrechterhaltung ihrer Aufnahme in die Liste nach Art. 2 Abs. 3 standen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point55">55.</a>      Durften die Tatsachen und Gründe jeder der Verlängerungsmaßnahmen jedes Halbjahr einfach wörtlich wiederholt werden, oder mussten sie aktualisiert werden, weil sie aufgrund einer Veränderung der Umstände und/oder der verstrichenen Zeit überholt waren?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point56">56.</a>      Dem Gerichtshof zur Kenntnis gebracht worden ist lediglich eine wesentliche Veränderung der Umstände: die militärische Niederlage der LTTE im Mai 2009. Diese Veränderung ereignete sich <i>nach</i> dem Erlass der Beschlüsse 2007/445, 2007/868, 2008/583 und 2009/62. Dem Rat kann daher nicht vorgeworfen werden, sie beim Erlass dieser Beschlüsse nicht berücksichtigt zu haben.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point57">57.</a>      Herr K. P. konzentriert seine Beanstandungen der Begründung erstens darauf, dass der Rat einen angeblichen Waffenstillstand zwischen der LTTE und der sri-lankischen Regierung außer Betracht gelassen habe, der 2002 begonnen habe, und zweitens darauf, dass eine der terroristischen Handlungen, die der Rat in seiner Begründung aufführe (der Mord an einem Minister der sri-lankischen Regierung), nach seinem Vorbringen nicht von der LTTE verübt worden sei. Meines Erachtens stellt keine dieser behaupteten Tatsachen eine zwischen dem Beschluss über die erstmalige Aufnahme und einem dieser vier Beschlüsse eingetretene Veränderung der Umstände dar, in deren Folge ihr Urheber zu einer Änderung seiner Begründung verpflichtet wäre. Im Gegenteil ist aus den elf weiteren, vom Rat angeführten terroristischen Handlungen der naheliegende Schluss zu ziehen, dass der angebliche Waffenstillstand die terroristischen Aktivitäten der LTTE nicht beendete.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point58">58.</a>      Ich komme daher zu dem Ergebnis, dass dem Gerichtshof keine wesentliche Veränderung der Umstände zur Kenntnis gebracht worden ist, in deren Folge der Rat zu einer Änderung des Inhalts seiner Begründung für die Beschlüsse 2007/445, 2007/868, 2008/583 und 2009/62 gegenüber demjenigen des Beschlusses über die erstmalige Aufnahme verpflichtet gewesen wäre.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point59">59.</a>      Machte die verstrichene Zeit an sich eine Änderung der Begründung erforderlich?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point60">60.</a>      In den Urteilen Rat/Hamas(<a href="#Footnote51" name="Footref51">51</a>) und Kadi II(<a href="#Footnote52" name="Footref52">52</a>)<i/>war der Gerichtshof der Auffassung, dass ein Abstand von neun bis 13 Jahren bzw. ein Abstand von 16 Jahren dazu führte, dass eine Berufung auf die „alten“ Gründe nicht mehr möglich war. Betrachten wir somit die Zeiträume, um die es in der vorliegenden Rechtssache geht. Ich nehme den 16. Oktober 2006 – das Datum der letzten terroristischen Handlung, auf die der Rat sich in seinen verschiedenen Begründungen für die streitigen unionsrechtlichen Vorschriften gestützt hat – als Ausgangspunkt. Die erste Verlängerungsentscheidung nach dem ersten Aufnahmebeschluss (nämlich der Beschluss 2007/445 vom 28. Juni 2007) wurde achteinhalb Monate später getroffen. Der Beschluss 2009/62 vom 26. Januar 2009 wurde 27 Monate später erlassen. (Der Beschluss 2007/868 des Rates vom 20. Dezember 2007 und der Beschluss 2008/583 des Rates vom 15. Juli 2008 wurden zwischen diesen beiden Zeitpunkten erlassen.) Meines Erachtens kann keine Rede davon sein, dass die terroristischen Handlungen von 2005/2006, in Verbindung mit den Entscheidungen der zuständigen Behörde von 2001, als Referenzpunkte für diese vier Unionsrechtsakte überholt gewesen wären.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point61">61.</a>      Es ist an dieser Stelle auf den Kontext des Erlasses von Verlängerungsmaßnahmen hinzuweisen. Ein halbes Jahr ist ein kurzer zeitlicher Rahmen, um eine zwingende Überprüfung vorzunehmen. Dass innerhalb eines bestimmten Zeitraums von einem halben Jahr <i>keine</i> terroristische Aktivität stattgefunden haben mag, könnte bedeuten, dass die verhängten restriktiven Maßnahmen tatsächlich die von ihnen beabsichtigte Wirkung entfalten. Alternativ könnte es jedoch auch bedeuten, dass die Betroffenen den Eindruck zu vermitteln hoffen, dass die Aktivität eingestellt wurde, während in Wirklichkeit weitere terroristische Handlungen geplant und vorbereitet werden. Eine Verlängerung um einen oder vielleicht mehrere Halbjahreszeiträume könnte aus Gründen der Vorsicht erfolgen, selbst wenn es keine neuen terroristischen Handlungen gibt, insbesondere angesichts des insoweit bestehenden weiten Ermessens des Rates(<a href="#Footnote53" name="Footref53">53</a>) und des öffentlichen Interesses an der Ergreifung präventiver Maßnahmen zur Unterbindung terroristischer Aktivitäten(<a href="#Footnote54" name="Footref54">54</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point62">62.</a>      Demnach sind meines Erachtens in der Mitteilung im <i>Amtsblatt der Europäischen Union</i>, den Erwägungsgründen des Beschlusses 2007/445 und der endgültigen Begründung in ihrer Gesamtbetrachtung so hinreichende Angaben zu sehen, dass die Anforderungen des Art. 296 AEUV an die Untermauerung der Einschätzung des Rates, dass die LTTE im Kontext eine „fortbestehende Gefahr“ darstellte, erfüllt sind. Zu diesem Ergebnis komme ich auch für die Beschlüsse 2007/868, 2008/583 und 2009/62. Da die Tatsachen und Rahmenumstände in Bezug auf die LTTE sich in dem Zeitraum, in dem diese Beschlüsse in Kraft waren, offenbar <i>nicht </i>erheblich geändert haben, hätte sich vielmehr der Eindruck eines Widerspruchs ergeben, wenn die Begründungen des Rates sich, wenn überhaupt, wesentlich unterschieden hätten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point63">63.</a>      Anderer Ansicht bin ich jedoch im Hinblick auf die Verordnung Nr. 501/2009, die am 15. Juni 2009 erlassen wurde, um den Beschluss 2009/62 zu ersetzen und aufzuheben. Diese Verordnung weist Ähnlichkeiten mit den Maßnahmen auf, die der Gerichtshof in seinem Urteil LTTE für nichtig erklärt hat(<a href="#Footnote55" name="Footref55">55</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point64">64.</a>      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die vom Gerichtshof im Urteil LTTE angeführte erhebliche und wesentliche Lageveränderung – nämlich die militärische Niederlage der LTTE im Mai 2009(<a href="#Footnote56" name="Footref56">56</a>) – bis zum Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung Nr. 501/2009 tatsächlich eingetreten <i>war</i>. Diese Niederlage ereignete sich <i>vor</i> dem Erlass der Verordnung Nr. 501/2009 am 15. Juni 2009. Die Begründung für diese Maßnahme führt ebenso wie ihre Vorgängerregelungen eine Liste von terroristischen Handlungen auf, die alle <i>vor</i> dieser militärischen Niederlage stattfanden. Hinzuweisen ist auch darauf, dass zwischen dem Zeitpunkt der letzten, vom Rat angeführten terroristischen Handlung (Oktober 2006) und dem Erlass der Verordnung Nr. 501/2009 mehr als 31 Monate vergangen waren. Dieser Abstand ist größer als bei einer der Maßnahmen, die der Gerichtshof im Urteil LTTE für nichtig erklärt hat (Verordnung Nr. 83/2011)(<a href="#Footnote57" name="Footref57">57</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point65">65.</a>      Der Rat hat in der mündlichen Verhandlung zutreffend darauf hingewiesen, dass ihm nicht einmal ein Kalendermonat zur Verfügung gestanden hätte (vom 17. Mai 2009 bis zum 15. Juni 2009), um seinen Entwurf der Verordnung Nr. 501/2009 zu ändern. Dies ist jedoch der Kontext, in dem die zwingenden halbjährlichen Überprüfungen stattfinden müssen. Wäre die militärische Niederlage lediglich Tage vor dem Zeitpunkt erklärt worden, zu dem die Verordnung Nr. 501/2009 erlassen werden sollte, hätte ich ohne Weiteres anerkannt, dass vom Rat vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte, diese Tatsache zu berücksichtigen. Hier hatte der Rat jedoch genug Zeit, um die Verlängerung erneut zu prüfen; der Begründung ist indes nichts dafür zu entnehmen, dass dies geschehen wäre.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point66">66.</a>      Der Rat hat die Ansicht vertreten, es sei unerheblich, dass die Begründung zu dieser wichtigen neuen Entwicklung nichts enthalten habe. Er trägt vor, dass, wenn der Begründung ein Satz hinzugefügt worden wäre, wonach dem Rat die militärische Niederlage bekannt sei, es seiner Ansicht nach jedoch verfrüht sei, die LTTE von der Liste nach Art. 2 Abs. 3 zu streichen, das Ergebnis im Wesentlichen dasselbe gewesen wäre: Die Entscheidung zur Verlängerung wäre gleichermaßen getroffen worden. Dies mag durchaus so sein; das Vorbringen des Rates geht jedoch an der Sache vorbei. Dadurch, dass die Veränderung der Umstände <i>nicht erwähnt</i> und die Gründe dafür <i>nicht erläutert</i> wurden, warum die Aufnahme trotzdem verlängert werden sollte, hat der Rat seine Pflichten nach Art. 296 AEUV in seiner Auslegung durch den Gerichtshof im Kontext von Maßnahmen zur Verlängerung der Aufnahme in Listen im Bereich Terrorismus verletzt(<a href="#Footnote58" name="Footref58">58</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point67">67.</a>      Der Rat hat in der mündlichen Verhandlung ferner die Ansicht vertreten, dass es der LTTE oblegen habe, die notwendigen Schritte zu unternehmen, um den Rat über die militärische Niederlage zu unterrichten, und nicht dem Rat, sich aktiv um eine Kenntnisverschaffung hiervon zu bemühen. Dieses Vorbringen ist mit dem (öffentlich bekannten) Umstand schwer in Einklang zu bringen, dass der Rat Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen am 18. und 19. Mai 2009 <i>gerade</i> zur Erörterung „der jüngsten Entwicklungen“ in Sri Lanka zusammentrat und neun Absätze der Schlussfolgerungen des Rates sich konkret mit der Situation befassen, dass „die Kampfhandlungen … ihrem Ende zugehen“(<a href="#Footnote59" name="Footref59">59</a>). Zudem hat der Gerichtshof ausdrücklich entschieden, dass der Rat sich zur Rechtfertigung der <i>Verlängerung </i>einer Aufnahme auch auf aktuelle Angaben aus der Presse und dem Internet stützen kann(<a href="#Footnote60" name="Footref60">60</a>). Gleiches muss auch für den Fall gelten, dass der Rat eine mögliche <i>Streichung</i> von der Liste erwägt. Zu ergänzen ist, dass für eine Vereinigung, die gerade eine militärische Niederlage erlitten hat, in deren Verlauf ihr Anführer offenbar ums Leben gekommen ist(<a href="#Footnote61" name="Footref61">61</a>), ein sofortiger juristischer Kontakt mit Verwaltungsbehörden auf einem anderen Kontinent unmöglich oder jedenfalls keine vorrangige Priorität sein könnte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point68">68.</a>      Meines Erachtens ist die Verordnung Nr. 501/2009 daher aus im Wesentlichen den gleichen Gründen, wie sie der Gerichtshof in seinem Urteil LTTE angeführt hat, ungültig. Hinzuzufügen ist, dass, auch wenn der Mangel möglicherweise geheilt werden kann, eine Heilung im Rahmen des Strafverfahrens gegen Herrn K. P. nicht rückwirkend eintreten kann(<a href="#Footnote62" name="Footref62">62</a>).</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Ergebnis</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point69">69.</a>      Demnach schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Landgericht Saarbrücken (Deutschland) zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage wie folgt zu beantworten:</p>
<p class="C02AlineaAltA">Die Verordnung (EG) Nr. 501/2009 des Rates vom 15. Juni 2009 zur Durchführung von Artikel 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/62/EG ist ungültig, soweit sie für die Liberation Tigers of Tamil Eelam gilt.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Die Prüfung der dem Gerichtshof vorliegenden Angaben hat nichts ergeben, was die Gültigkeit des Beschlusses 2007/445/EG des Rates vom 28. Juni 2007 zur Durchführung von Artikel 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung der Beschlüsse 2006/379/EG und 2006/1008/EG, des Beschlusses 2007/868/EG des Rates vom 20. Dezember 2007 zur Durchführung von Artikel 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung des Beschlusses 2007/445/EG, des Beschlusses 2008/583/EG des Rates vom 15. Juli 2008 zur Durchführung von Artikel 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung des Beschlusses 2007/868/EG oder des Beschlusses 2009/62/EG des Rates vom 26. Januar 2009 zur Durchführung von Artikel 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung des Beschlusses 2008/583/EG in Zweifel ziehen könnte.</p>
<hr/>
<p class="C40FootnoteLangue">
<a href="#Footref1" name="Footnote1">1</a><sup/>      Originalsprache: Englisch.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref2" name="Footnote2">2</a><sup/>      ABl. 2001, L 344, S. 70. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref3" name="Footnote3">3</a><sup/>      S/RES/1373 (2001).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref4" name="Footnote4">4</a><sup/>      ABl. 2001, L 344, S. 93. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref5" name="Footnote5">5</a><sup/>      Erwägungsgründe 1, 2 und 5. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref6" name="Footnote6">6</a><sup/>      ABl. 2006, L 144, S. 25. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref7" name="Footnote7">7</a><sup/>      Die Aufnahme dieser Organisation in die Liste nach Art. 1 Abs. 6 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 wurde nachfolgend beibehalten, zuletzt durch den Beschluss (GASP) 2018/1084 des Rates vom 30. Juli 2018 zur Aktualisierung der Liste der Personen, Vereinigungen und Körperschaften, auf die die Artikel 2, 3 und 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus Anwendung finden, und zur Aufhebung des Beschlusses (GASP) 2018/475 (ABl. 2018, L 194, S. 144).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref8" name="Footnote8">8</a><sup/>      Erwägungsgründe 2, 3, 4, 5, 12 und 14. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref9" name="Footnote9">9</a><sup/>      Beschluss vom 29. Mai 2006 zur Durchführung von Artikel 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung des Beschlusses 2005/930/EG (ABl. 2006, L 144, S. 21). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref10" name="Footnote10">10</a><sup/>      Die LTTE steht derzeit weiterhin auf der Liste nach Art. 2 Abs. 3, und zwar aufgrund der Durchführungsverordnung (EU) 2018/1071 des Rates vom 30. Juli 2018 zur Durchführung des Artikels 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung der Durchführungsverordnung (EU) 2018/468 (ABl. 2018, L 194, S. 23).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref11" name="Footnote11">11</a><sup/>      Beschluss       vom 28. Juni 2007 zur Durchführung von Artikel 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung der Beschlüsse 2006/379/EG und 2006/1008/EG (ABl. 2007, L 169, S. 58). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref12" name="Footnote12">12</a><sup/>      Dritter Erwägungsgrund des Beschlusses 2007/445.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref13" name="Footnote13">13</a><sup/>      Vierter Erwägungsgrund des Beschlusses 2007/445.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref14" name="Footnote14">14</a><sup/>      Den Beschluss 2007/445 und die in Nr. 18 aufgeführten Folgerechtsakte bezeichne ich als „streitige unionsrechtliche Vorschriften“.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref15" name="Footnote15">15</a><sup/>      Beschluss vom 20. Dezember 2007 zur Durchführung von Artikel 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung des Beschlusses 2007/445/EG (ABl. 2007, L 340, S. 100). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref16" name="Footnote16">16</a><sup/>      Beschluss vom 15. Juli 2008 zur Durchführung von Artikel 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung des Beschlusses 2007/868/EG (ABl. 2008, L 188, S. 21).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref17" name="Footnote17">17</a><sup/>      Beschluss vom 26. Januar 2009 zur Durchführung von Artikel 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung des Beschlusses 2008/583/EG (ABl. 2009, L 23, S. 25).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref18" name="Footnote18">18</a><sup/>      Verordnung vom 15. Juni 2009 zur Durchführung von Artikel 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/62/EG (ABl. 2009, L 151, S. 14). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref19" name="Footnote19">19</a><sup/>      Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts lautete § 34 Abs. 4 Nr. 2 und Abs. 6 Nr. 2 AWG wie folgt: „(4) Mit Freiheits[s]trafen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer … 2. einem im Bundesanzeiger veröffentlichten, unmittelbar geltenden Ausfuhr‑, Verkaufs‑, Liefer‑, Bereitstellung[s]‑, Weitergabe‑, Dienstleistungs‑, Investitions‑, Unterstützungs- oder Umgehungsverbot eines Rechtsaktes der Europäischen Gemeinschaften zuwiderhandelt, der der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient … (6) Mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren wird bestraft, wer … 2. eine in Absatz 1, 2 oder 4 bezeichnete Handlung gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Straftaten verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds begeht …“. In der vom 24. April 2009 bis 11. November 2010 geltenden Fassung lautete § 34 Abs. 4 Nr. 2 und Abs. 6 Nr. 2 AWG wie folgt: „(4) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft[,] wer … 2. einem im Bundesanzeiger veröffentlichten, unmittelbar geltenden Ausfuhr‑, Einfuhr‑, Durchfuhr‑, Verbringungs‑, Verkaufs‑, Liefer‑, Bereitstellungs‑, Weitergabe‑, Dienstleistungs‑, Investitions‑, Unterstützungs- oder Umgehungsverbot eines Rechtsaktes der Europäischen Gemeinschaften zuwiderhandelt, der der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient … (6) Mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren wird bestraft, wer … 2. eine in Absatz 1, 2 oder 4 bezeichnete Handlung gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Straftaten verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds begeht. …“ Nach Änderungen der nationalen Rechtsvorschriften sind diese Bestimmungen seit dem 1. September 2013 in § 18 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 8 AWG geregelt.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref20" name="Footnote20">20</a><sup/>      Urteil vom 29. Juni 2010 (C‑550/09, EU:C:2010:382). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref21" name="Footnote21">21</a><sup/>      Urteil vom 29. Juni 2010 (C‑550/09, EU:C:2010:382, Rn. 56 und 57). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref22" name="Footnote22">22</a><sup/>      Urteil vom 16. Oktober 2014 (T‑208/11 und T‑508/11, EU:T:2014:885). Diese Entscheidung wurde vom Gerichtshof mit Urteil vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE (C‑599/14 P, EU:C:2017:583), bestätigt.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref23" name="Footnote23">23</a><sup/>      Durchführungsverordnungen des Rates (EU) Nr. 83/2011 vom 31. Januar 2011, Nr. 687/2011 vom 18. Juli 2011, Nr. 1375/2011 vom 22. Dezember 2011, Nr. 542/2012 vom 25. Juni 2012, Nr. 1169/2012 vom 10. Dezember 2012, Nr. 714/2013 vom 25. Juli 2013, Nr. 125/2014 vom 10. Februar 2014 und Nr. 790/2014 vom 22. Juli 2014 zur Durchführung des Artikels 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung der Durchführungsverordnungen (EU) Nrn. 610/2010, 83/2011, 687/2011, 1375/2011, 542/2012, 1169/2012, 714/2013 bzw. 125/2014 (ABl. 2011, L 28, S. 14).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref24" name="Footnote24">24</a><sup/>      Urteil vom 9. März 1994, TWD Textilwerke Deggendorf (C‑188/92, EU:C:1994:90, Rn. 17, 18 und 24). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref25" name="Footnote25">25</a><sup/>      Vgl. u. a. Urteil vom 15. Juli 1963, Plaumann/Kommission (25/62, EU:C:1963:17). Vgl. auch meine Erörterung der Zulässigkeit in einer entsprechenden Fallgestaltung, allerdings auf der Grundlage der im AEUV ab 1. Dezember 2009 eingeführten großzügigeren Regelung der Klagebefugnis, in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache A u. a. (C‑158/14, EU:C:2016:734, Nrn. 58 bis 88), die vom Gerichtshof in seinem Urteil vom 14. März 2017, A. u. a. (C‑158/14, EU:C:2017:202, Rn. 59 bis 75), bestätigt wurde.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref26" name="Footnote26">26</a><sup/>      Vgl. entsprechend Urteil vom 29. Juni 2010, E und F (C‑550/09, EU:C:2010:382, Rn. 49). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref27" name="Footnote27">27</a><sup/>      Urteil vom 29. Juni 2010 (C‑550/09, EU:C:2010:382). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref28" name="Footnote28">28</a><sup/>      Urteil vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE (C‑599/14 P, EU:C:2017:583, Rn. 51 und 61). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref29" name="Footnote29">29</a><sup/>      Urteil vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE (C‑599/14 P, EU:C:2017:583 Rn. 59 und 60). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref30" name="Footnote30">30</a><sup/>      Urteil vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE (C‑599/14 P, EU:C:2017:583, Rn. 60). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref31" name="Footnote31">31</a><sup/>      Urteile vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE (C‑599/14 P, EU:C:2017:583, Rn. 46), und vom 26. Juli 2017, Rat/Frankreich (im Folgenden: Urteil Hamas) (C‑79/15 P, EU:C:2017:584, Rn. 25).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref32" name="Footnote32">32</a><sup/>      Urteil vom 29. Juni 2010 (C‑550/09, EU:C:2010:382). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref33" name="Footnote33">33</a><sup/>      Siehe oben, Nr. 24. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref34" name="Footnote34">34</a><sup/>      Siehe oben, Nrn. 16 bis 19. Der Rat verfügte nicht zwangsläufig über Kontaktanschriften für alle von einer bestimmten Aufnahmeentscheidung betroffenen Personen; es kann jedoch bei der Veröffentlichung einer Mitteilung im <i>Amtsblatt der Europäischen Union</i> in Verbindung mit der Möglichkeit, auf Anfrage die Begründung hierfür erhalten zu können, vernünftigerweise davon ausgegangen werden, dass das Erfordernis der Abgabe einer Begründung erfüllt ist. Meines Erachtens ist nichts dafür ersichtlich, dass ein solches Vorgehen an sich allgemein rechtswidrig wäre.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref35" name="Footnote35">35</a><sup/>      Im dritten Erwägungsgrund des Beschlusses 2007/445 heißt es: „Der Rat hat – soweit dies praktisch möglich war – allen einzelnen betroffenen Personen, Vereinigungen und Körperschaften eine Begründung zukommen lassen, in der er jeweils darlegt, warum sie in den Beschlüssen 2006/379/EG … aufgeführt sind.“ In der mündlichen Verhandlung hat der Rat (unwidersprochen) auch bestätigt, dass der LTTE am 23. April 2007 eine Begründung übermittelt worden sei.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref36" name="Footnote36">36</a><sup/>      Die Gültigkeit aller Rechtsakte der Unionsorgane – selbst wenn sie vorschriftswidrig sind – wird vermutet, solange sie nicht zurückgenommen, aufgehoben, für nichtig erklärt oder für ungültig erklärt worden sind. Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 1. April 1982, Dürbeck/Kommission (11/81, EU:C:1982:120, Rn. 17), und vom 5. Oktober 2004, Kommission/Griechenland (C‑475/01, EU:C:2004:585, Rn. 18).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref37" name="Footnote37">37</a><sup/>      Urteil vom 21. Dezember 2011, Frankreich/People’s Mojahedin Organization of Iran (C‑27/09 P, EU:C:2011:853, Rn. 61).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref38" name="Footnote38">38</a><sup/>      Es mag auch der Hinweis darauf angebracht sein, dass der Gerichtshof im Kontext dieser konkreten Art von Maßnahme, auch wenn seiner Auffassung nach der Beschluss über die erstmalige Aufnahme wegen Fehlens einer hinreichenden Begründung ungültig ist, von seinem Ermessen Gebrauch machen kann, die Wirkung der „vorschriftswidrigen“ Maßnahme für einen bestimmten Zeitraum aufrechtzuerhalten, um dem Rat die Ergreifung von Schritten zu ermöglichen, das Fehlen der Begründung zu beheben. Vgl. z. B. Urteil vom 3. September 2008, Kadi und Al Barakaat Foundation (C‑402/05 P und C‑415/05 P, EU:C:2008:461, Rn. 375 und 376 und die dritte Feststellung des Gerichtshofs im Tenor).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref39" name="Footnote39">39</a><sup/>      Urteil vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE (C‑599/14 P, EU:C:2017:583). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref40" name="Footnote40">40</a><sup/>      Vgl. z. B. Urteil vom 15. November 2012, Al-Aqsa/Rat und Niederlande/Al-Aqsa (C‑539/10 P und C‑550/10 P, EU:C:2012:711, Rn. 138). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref41" name="Footnote41">41</a><sup/>      Urteil vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi (im Folgenden: Urteil Kadi II) (C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 100 und die dort angeführte Rechtsprechung); vgl. auch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. 2012, C 326, S. 391).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref42" name="Footnote42">42</a><sup/>      Vgl. z. B. Urteil vom 18. Juli 2013, Kadi II (C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 116 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref43" name="Footnote43">43</a><sup/>      Urteil vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE (C‑599/14 P, EU:C:2017:583, Rn. 30). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref44" name="Footnote44">44</a><sup/>      Urteil vom 15. November 2012, Al-Aqsa/Rat und Niederlande/Al-Aqsa (C‑539/10 P und C‑550/10 P, EU:C:2012:711, Rn. 139 bis 140). Vgl. auch Urteil vom 15. November 2012, Rat/Bamba (C‑417/11 P, EU:C:2012:718, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref45" name="Footnote45">45</a><sup/>      Urteil vom 15. November 2012, Al-Aqsa/Rat und Niederlande/Al-Aqsa (C‑539/10 P und C‑550/10 P, EU:C:2012:711, Rn. 146). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref46" name="Footnote46">46</a><sup/>      Urteil vom 15. November 2012, Rat/Bamba (C‑417/11 P, EU:C:2012:718, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref47" name="Footnote47">47</a><sup/>      Urteile vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE (C‑599/14 P, EU:C:2017:583, Rn. 54), und vom 26. Juli 2017, Rat/Hamas (C‑79/15 P, EU:C:2017:584, Rn. 32); vgl. auch Urteil vom 18. Juli 2013, Kadi II (C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 156).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref48" name="Footnote48">48</a><sup/>      Urteile vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE (C‑599/14 P, EU:C:2017:583, Rn. 62), und vom 26. Juli 2017, Rat/Hamas (C‑79/15 P, EU:C:2017:584, Rn. 40). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref49" name="Footnote49">49</a><sup/>      Der Rat trägt in seinen schriftlichen Erklärungen vor, dass nur sein Schreiben (vom 16. Juni 2009), in dem die Begründungen für die Verordnung Nr. 501/2009 mitgeteilt worden seien, an den Absender zurückgesandt worden sei.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref50" name="Footnote50">50</a><sup/>      Vgl. u. a. Urteil vom 18. Juli 2013, Kadi II (C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 113).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref51" name="Footnote51">51</a><sup/>      Urteil vom 26. Juli 2017 (C‑79/15 P, EU:C:2017:584, Rn. 33). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref52" name="Footnote52">52</a><sup/>      Urteil vom 18. Juli 2013 (C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 156). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref53" name="Footnote53">53</a><sup/>      Vgl. Urteil vom 23. Oktober 2008, People’s Mojahedin Organisation of Iran/Rat (T‑256/07, EU:T:2008:461, Rn. 112 und die dort angeführte Rechtsprechung). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref54" name="Footnote54">54</a><sup/>      Urteil vom 18. Juli 2013, Kadi II (C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 130). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref55" name="Footnote55">55</a><sup/>      Urteil vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE (C‑599/14 P, EU:C:2017:583). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref56" name="Footnote56">56</a><sup/>      Laut der Zeitung <i>The Guardian</i> im Vereinigten Königreich wurde der 25-jährige Bürgerkrieg in einer Siegesansprache vom 19. Mai 2009 für beendet erklärt. Siehe https://www.theguardian.com/world/2009/may/18/tamil-tigers-killed-sri-lanka. In der mündlichen Verhandlung wurde von den Beteiligten nicht bestritten, dass dieses Ereignis Mitte Mai 2009 stattfand.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref57" name="Footnote57">57</a><sup/>      Durchführungsverordnung (EU) Nr. 83/2011 des Rates vom 31. Januar 2011 zur Durchführung des Artikels 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 610/2010 (ABl. 2011, L 28, S. 14). Vgl. Urteil vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE (C‑599/14 P, EU:C:2017:583, Rn. 78 bis 80).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref58" name="Footnote58">58</a><sup/>      Urteil vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE (C‑599/14 P, EU:C:2017:583, Rn. 33). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref59" name="Footnote59">59</a><sup/>      Vgl. http://europa.eu/rapid/press-release_PRES-09-137_de.htm. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref60" name="Footnote60">60</a><sup/>      Vgl. Urteil vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE (C‑599/14 P, EU:C:2017:583, Rn. 72). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref61" name="Footnote61">61</a><sup/>      Der Verteidiger von Herrn K. P. hat in der mündlichen Verhandlung unwidersprochen vorgetragen, dass sich dies ereignet habe. Vgl. auch den oben in Fn. 56 genannten Artikel. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref62" name="Footnote62">62</a><sup/>      Vgl. Urteil vom 29. Juni 2010, E und F (C‑550/09, EU:C:2010:382, Rn. 59), und Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi in jener Rechtssache (C‑550/09, EU:C:2010:272, Nrn. 115 bis 123).</p>
|
175,022 | eugh-2019-01-24-c-72017 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-720/17 | 2019-01-24T00:00:00 | 2019-01-31T19:20:47 | 2019-01-31T19:20:47 | Schlussantrag des Generalanwalts | ECLI:EU:C:2019:63 | <p class="C36Centre">SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS</p>
<p class="C36Centre">YVES BOT</p>
<p class="C36Centre">vom 24. Januar 2019(<a href="#Footnote1" name="Footref1">1</a>)</p>
<p class="C38Centregrasgrandespacement">
<b>Rechtssache C</b>‑<b>720/17</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Mohammed Bilali</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>gegen</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl</b>
</p>
<p class="C39Centreespacement">(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofs [Österreich])</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Richtlinie 2011/95/EU – Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz – Subsidiärer Schutz – Art. 19 – Aberkennung des subsidiären Schutzstatus – Reichweite der Gründe – Nationale Rechtsvorschriften, die eine Aberkennung des Status aufgrund eines Irrtums der Verwaltung über die tatsächlichen Umstände vorsehen – Zulässigkeit – Aufhebung des Rechtsakts über die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus – Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten – Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität“</p>
<br/>
<br/>
<br/>
<br/>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C21Titrenumerote1">I.      <b>Einleitung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point1">1.</a>        Darf sich eine zuständige nationale Behörde auf die Bestimmungen von Art. 19 der Richtlinie 2011/95/EU(<a href="#Footnote2" name="Footref2">2</a>) stützen, um den subsidiären Schutzstatus eines Staatenlosen abzuerkennen, und dies wegen einer fehlerhaften Beurteilung des Bedarfs an internationalem Schutz, für die sie allein verantwortlich ist?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point2">2.</a>        Darum geht es im Wesentlichen in der Vorlagefrage des Verwaltungsgerichtshofs (Österreich).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point3">3.</a>        Diese Frage wird im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Mohammed Bilali, der sich als staatenlos bezeichnet, und dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Österreich) (im Folgenden: Amt) über dessen Entscheidung aufgeworfen, den Herrn Bilali zuerkannten subsidiären Schutzstatus aufgrund einer unzutreffenden Bestimmung seines Herkunftslandes von Amts wegen abzuerkennen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point4">4.</a>        Die Frage ist neu, und die Antwort des Gerichtshofs wird es ermöglichen, eine vorhandene Unbestimmtheit in den einzelstaatlichen Gepflogenheiten zu beseitigen, die der letzte Bericht des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen(<a href="#Footnote3" name="Footref3">3</a>) besonders anschaulich beleuchtet(<a href="#Footnote4" name="Footref4">4</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point5">5.</a>        Die Prüfung der gestellten Frage wird es in einem ersten Schritt erforderlich machen, die Bedeutung und die Tragweite der Bestimmungen von Art. 19 der Richtlinie 2011/95 zu analysieren, in dem die Gründe abschließend aufgezählt sind, aus denen die Mitgliedstaaten den subsidiären Schutzstatus aberkennen können bzw. müssen. Nach Vornahme dieser Prüfung werde ich zu dem Ergebnis gelangen, dass der genannte Artikel einer Aberkennung des besagten Status in einem Fall wie dem in Rede stehenden, in dem der Betroffene den Schutz aufgrund eines Fehlers der zuständigen nationalen Behörde zu Unrecht erhalten hat, entgegensteht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point6">6.</a>        Die Prüfung der gestellten Frage wird es in einem zweiten Schritt erforderlich machen, den Gegenstand und die Rechtsnatur der Entscheidung zu klären, die die zuständige nationale Behörde unter diesen Umständen zu erlassen hat.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point7">7.</a>        Ich werde insoweit erläutern, dass in einem Fall wie dem in Rede stehenden, in dem die Entscheidung über die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus unter Verstoß gegen Rechtsvorschriften, insbesondere gegen die geforderten Zuerkennungskriterien, ergangen ist und sich dieser Verstoß entscheidend auf den Ausgang der Prüfung des Antrags auf Gewährung internationalen Schutzes ausgewirkt hat, die Aufhebung des subsidiären Schutzstatus erfolgen muss. Diese Lösung weist nämlich den doppelten Vorteil auf, dass die sehr strengen Bestimmungen des am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge in der durch das Protokoll vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ergänzten Fassung(<a href="#Footnote5" name="Footref5">5</a>) nicht extensiv ausgelegt zu werden brauchen und zugleich ein Maximum an Verfahrensgarantien und die vollständige Einhaltung der Fairness sichergestellt sind, die einer Person zusteht, die keinerlei Verantwortung für den von der Verwaltung begangenen Fehler trägt. Sie ist auch geboten, wenn die Integrität des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems gewahrt werden soll, da fehlerhafte Zuerkennungen korrigiert werden müssen, um zu gewährleisten, dass der internationale Schutz nur Personen gewährt wird, die ihn wirklich benötigen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point8">8.</a>        Da das Unionsrecht keine spezifischen Bestimmungen hinsichtlich der Verfahrensvorschriften und ‑modalitäten vorsieht, die für die Aufhebung des subsidiären Schutzstatus aufgrund eines Fehlers der Verwaltung gelten, werde ich erläutern, dass diese Vorschriften nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten der nationalen Rechtsordnung unterliegen, wobei dies jedoch unter dem Vorbehalt steht, dass die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität eingehalten werden.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">II.    <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C22Titrenumerote2">A.      <b>Unionsrecht</b>
</p>
<p class="C23Titrenumerote3">1.      <b>Richtlinie 2011/95</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point9">9.</a>        Die Bestimmungen von Kapitel V („Voraussetzungen für subsidiären Schutz“) der Richtlinie 2011/95 sowie deren in Kapitel VI („Subsidiärer Schutzstatus“) vorgesehene Bestimmungen sollen gewährleisten, dass nur Personen, die die speziell vorgeschriebenen materiellen Voraussetzungen erfüllen, der internationale Schutzstatus und die damit verbundenen Rechte zuerkannt werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point10">10.</a>      Kapitel V der Richtlinie 2011/95 enthält die Art. 15 bis 17. Während Art. 15 dieser Richtlinie einen „[e]rnsthafte[n] Schaden“ definiert, beinhaltet Art. 16 eine mit „Erlöschen“ überschriebene Klausel, die bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser hat keinen Anspruch auf subsidiären Schutz mehr, wenn die Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, nicht mehr bestehen oder sich in einem Maße verändert haben, dass ein solcher Schutz nicht mehr erforderlich ist.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Bei Anwendung des Absatzes 1 berücksichtigen die Mitgliedstaaten, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass die Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat, tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point11">11.</a>      Art. 17 der Richtlinie 2011/95 beinhaltet seinerseits eine mit „Ausschluss“ überschriebene Klausel. Dieser Artikel lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser ist von der Gewährung subsidiären Schutzes ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      eine schwere Straftat begangen hat;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">c)      sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">d)      eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Absatz 1 findet auf Personen Anwendung, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)      Die Mitgliedstaaten können einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen von der Gewährung subsidiären Schutzes ausschließen, wenn er vor seiner Aufnahme in dem betreffenden Mitgliedstaat ein oder mehrere nicht unter Absatz 1 fallende Straftaten begangen hat, die mit Freiheitsstrafe bestraft würden, wenn sie in dem betreffenden Mitgliedstaat begangen worden wären, und er sein Herkunftsland nur verlassen hat, um einer Bestrafung wegen dieser Straftaten zu entgehen.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point12">12.</a>      In Kapitel VI dieser Richtlinie bestimmt Art. 18 die Voraussetzungen für die „Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus“ wie folgt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Mitgliedstaaten erkennen einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen, der die Voraussetzungen der Kapitel II und V erfüllt, den subsidiären Schutzstatus zu.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point13">13.</a>      Dagegen legt Art. 19 der Richtlinie 2011/95, um dessen Auslegung hier ersucht wird, die Voraussetzungen fest, unter denen die Mitgliedstaaten diesen Status aberkennen, beenden oder seine Verlängerung ablehnen müssen. Er lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Bei Anträgen auf internationalen Schutz, die nach Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG[(<a href="#Footnote6" name="Footref6">6</a>)] gestellt wurden, erkennen die Mitgliedstaaten einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen den von einer Regierungs- oder Verwaltungsbehörde, einem Gericht oder einer gerichtsähnlichen Behörde zuerkannten subsidiären Schutzstatus ab, beenden diesen oder lehnen seine Verlängerung ab, wenn die betreffende Person gemäß Artikel 16 nicht länger Anspruch auf subsidiären Schutz erheben kann.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Die Mitgliedstaaten können einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen den von einer Regierungs- oder Verwaltungsbehörde, einem Gericht oder einer gerichtsähnlichen Behörde zuerkannten subsidiären Schutzstatus aberkennen, diesen beenden oder seine Verlängerung ablehnen, wenn er nach der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß Artikel 17 Absatz 3 von der Gewährung subsidiären Schutzes hätte ausgeschlossen werden müssen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)      Die Mitgliedstaaten erkennen einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen den subsidiären Schutzstatus ab, beenden diesen oder lehnen eine Verlängerung ab, wenn</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      er nach der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß Artikel 17 Absätze 1 und 2 von der Gewährung subsidiären Schutzes hätte ausgeschlossen werden müssen oder ausgeschlossen ist;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      eine falsche Darstellung oder das Verschweigen von Tatsachen seinerseits, einschließlich der Verwendung falscher oder gefälschter Dokumente, für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ausschlaggebend war.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(4)      Unbeschadet der Pflicht des Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, gemäß Artikel 4 Absatz 1 alle maßgeblichen Tatsachen offen zu legen und alle maßgeblichen, ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen vorzulegen, weist der Mitgliedstaat, der ihm den subsidiären Schutzstatus zuerkannt hat, in jedem Einzelfall nach, dass die betreffende Person gemäß den Absätzen 1 bis 3 dieses Artikels keinen oder nicht mehr Anspruch auf subsidiären Schutz hat.“</p>
<p class="C23Titrenumerote3">2.      <b>Richtlinie 2013/32/EU</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point14">14.</a>      Gemäß ihrem Art. 1 werden mit der Richtlinie 2013/32/EU(<a href="#Footnote7" name="Footref7">7</a>) gemeinsame Verfahrensvorschriften für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes gemäß der Richtlinie 2011/95 eingeführt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point15">15.</a>      Art. 2 Buchst. o der Richtlinie 2013/32 bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA"> „Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">o)      ‚Aberkennung des internationalen Schutzes‘ die Entscheidung einer zuständigen Behörde, einer Person die Flüchtlingseigenschaft oder den subsidiären Schutzstatus gemäß der Richtlinie [2011/95] abzuerkennen, diese zu beenden oder nicht mehr zu verlängern“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point16">16.</a>      In ihrem Kapitel IV („Verfahren zur Aberkennung des internationalen Schutzes“) lautet Art. 44 der Richtlinie 2013/32:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass eine Prüfung zur Aberkennung des internationalen Schutzes einer bestimmten Person eingeleitet werden kann, wenn neue Elemente oder Erkenntnisse zutage treten, die darauf hindeuten, dass Gründe für eine Überprüfung der Berechtigung ihres internationalen Schutzes bestehen.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point17">17.</a>      Art. 45 dieser Richtlinie führt die Garantien auf, über die die betreffende Person in Fällen verfügt, in denen die zuständige nationale Behörde in Erwägung zieht, den dieser Person zuerkannten internationalen Schutz nach Maßgabe der Art. 14 und 19 der Richtlinie 2011/95 abzuerkennen.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">B.      <b>Österreichisches Recht</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point18">18.</a>      § 8 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl(<a href="#Footnote8" name="Footref8">8</a>) vom 16. August 2005 sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird …</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(6)      Kann der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden, ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen. Diesfalls ist eine Rückkehrentscheidung zu verfügen, wenn diese gemäß § 9 Abs. 1 und 2 [des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (Verfahrensgesetz für das [Amt])(<a href="#Footnote9" name="Footref9">9</a>) vom 16. August 2012] nicht unzulässig ist.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point19">19.</a>      § 9 AsylG 2005 bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      einer der in Art. 1 Abschnitt F der [Genfer Konvention] genannten Gründe vorliegt;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">3.      der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens … rechtskräftig verurteilt worden ist. …</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C21Titrenumerote1">III. <b>Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits und Vorlagefrage</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point20">20.</a>      Herr Bilali, der sich als staatenlos bezeichnet, stellte am 27. Oktober 2009 beim Amt einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point21">21.</a>      Das Amt, das der Ansicht war, dass das Herkunftsland von Herrn Bilali Algerien sei, lehnte den Antrag mit Bescheid vom 15. März 2010 ab und ordnete darüber hinaus die Abschiebung des Betroffenen in dieses Land an. Mit Urteil vom 8. April 2010 hob der Asylgerichtshof (Österreich) den Bescheid über die Ablehnung des Antrags auf Gewährung internationalen Schutzes auf und verwies die Rechtssache zur erneuten Prüfung an das Amt zurück.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point22">22.</a>      Mit Bescheid vom 27. Oktober 2010 lehnte das Amt den Antrag des Betroffenen auf Anerkennung als Flüchtling ab, erkannte ihm aber gleichwohl den subsidiären Schutzstatus zu. Aus diesem Bescheid geht hervor, dass die Identität des Betroffenen nicht feststeht und er „vermutlich Staatsangehöriger von Algerien“ ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point23">23.</a>      Gegen den Bescheid über die Ablehnung seines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling legte der Betroffene Beschwerde ein. Der Bescheid, mit dem ihm der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden war, ist inzwischen rechtskräftig geworden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point24">24.</a>      Mit Urteil vom 16. Juli 2012 hob der Asylgerichtshof den Bescheid über die Ablehnung seines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling erneut auf und begründete dies u. a. damit, dass zum Herkunftsland des Betroffenen lediglich Vermutungen angestellt worden seien. Er verwies die Rechtssache wiederum zur erneuten Prüfung an das Amt zurück.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point25">25.</a>      Im Rahmen dieser erneuten Prüfung und nach Erstattung einer Anfragebeantwortung durch die Staatendokumentation (Österreich) kam das Amt zu dem Schluss, dass der Betroffene nicht das algerische, sondern aufgrund seiner Abstammung das marokkanische und das mauretanische Staatsangehörigkeitsrecht beanspruchen könne.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point26">26.</a>      Daher lehnte es den Antrag des Betroffenen auf Anerkennung als Flüchtling mit Bescheid vom 24. Oktober 2012(<a href="#Footnote10" name="Footref10">10</a>) ab. Außerdem erkannte das Amt, nachdem es festgestellt hatte, dass „die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes niemals vorgelegen [haben]“ und sich auf „die irrige Annahme“, dass Algerien das Herkunftsland des Betroffenen sei, gegründet hätten, diesem den am 27. Oktober 2010 zuerkannten subsidiären Schutzstatus von Amts wegen ab und entzog ihm die im Rahmen des genannten Status erteilte befristete Aufenthaltsgenehmigung. Schließlich lehnte das Amt den Antrag des Betroffenen auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus in Bezug auf das Herkunftsland Marokko ab und ordnete seine Abschiebung in dieses Land an.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point27">27.</a>      Der Betroffene legte Beschwerde vor dem Bundesverwaltungsgericht (Österreich) ein, die lediglich zur Aufhebung des Bescheids führte, mit dem seine Abschiebung angeordnet worden war.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point28">28.</a>      In diesem Kontext legte der Betroffene eine außerordentliche Revision vor dem Verwaltungsgerichtshof ein.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point29">29.</a>      Dieser hat Zweifel an der Auslegung von Art. 19 der Richtlinie 2011/95, der vorsieht, in welchen Fällen der subsidiäre Schutzstatus aberkannt werden kann.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point30">30.</a>      Daher hat der Verwaltungsgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:</p>
<p class="C02AlineaAltA">Stehen die unionsrechtlichen Bestimmungen, insbesondere Art. 19 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 einer nationalen Bestimmung eines Mitgliedstaats entgegen, wonach auf Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erkannt werden kann, ohne dass sich die für die Zuerkennung relevanten Tatsachenumstände selbst geändert haben, sondern nur der diesbezügliche Kenntnisstand der Behörde eine Änderung erfahren hat und dabei weder eine falsche Darstellung noch das Verschweigen von Tatsachen seitens des Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen für die Zuerkennung dieses Status ausschlaggebend waren?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point31">31.</a>      Der Kläger, die österreichische, die ungarische, die niederländische und die polnische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">IV.    <b>Vorbemerkungen</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point32">32.</a>      Vor der Prüfung der Frage, die das vorlegende Gericht an den Gerichtshof richtet, ist es wichtig, deren Wortlaut zu klären sowie insbesondere die genannten Rechtsnormen und den Grund zu präzisieren, auf dem der streitige Bescheid beruht. Dieser Grund hat durchaus Folgen für die Rechtsnatur des Bescheids und die Anwendbarkeit der Richtlinie 2011/95.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point33">33.</a>      Was erstens die Rechtsnormen angeht, um deren Auslegung hier ersucht wird, befragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof zu den Voraussetzungen, unter denen ein Mitgliedstaat den subsidiären Schutzstatus im Hinblick auf die „unionsrechtlichen Bestimmungen“, insbesondere Art. 19 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95, aberkennen kann. Unter Berücksichtigung des Wortlauts des Vorlagebeschlusses verstehe ich den Verwaltungsgerichtshof so, dass er sich konkret auf die Bestimmungen von Art. 19 Abs. 3 Buchst. b dieser Richtlinie bezieht, der die Aberkennung des subsidiären Schutzstatus aufgrund eines betrügerischen Verhaltens der betreffenden Person vorsieht. Das vorlegende Gericht vertritt insoweit die Ansicht, die in dieser Vorschrift angesprochene Fallkonstellation erfasse nicht von vornherein den Fall, dass die Aberkennung des subsidiären Schutzstatus aufgrund neuer Ermittlungsergebnisse, aber ohne betrügerische Handlungen des Betroffenen verfügt werde.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point34">34.</a>      Außerdem stelle ich bei Lektüre des Vorlagebeschlusses fest, dass das vorlegende Gericht auch und vor allem eine Auslegung von Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95 anstrebt, der die Aberkennung des besagten Status aufgrund der Anwendung der Beendigungsklausel von Art. 16 dieser Richtlinie vorsieht. Es fragt sich nämlich, ob die in Art. 19 Abs. 1 der genannten Richtlinie angesprochene Fallkonstellation nicht auch den Fall erfassen kann, dass der Betroffene aufgrund eines „geänderten Kenntnisstandes der Behörde über die … Tatsachenumstände“ nicht länger Anspruch auf subsidiären Schutz erheben kann.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point35">35.</a>      Was zweitens den Grund betrifft, auf dem der streitige Bescheid beruht, so geht aus dem Wortlaut der gestellten Frage zwar hervor, dass der dem Betroffenen zuerkannte Status aufgrund eines geänderten „Kenntnisstandes“ des Amtes aberkannt worden ist; aus dem Vorlagebeschluss und den Unterlagen in der nationalen Akte, über die der Gerichtshof verfügt, ergibt sich in Wirklichkeit allerdings sehr klar, dass diese Änderung nicht auf neue Tatsachen oder Umstände zurückzuführen ist, sondern auf die umfassenderen Untersuchungsmaßnahmen, die das Amt ergriffen hat, um die Mängel seiner Erstprüfung zu beheben sowie den „Irrtum“ und die „irrige Annahme“, von der es hinsichtlich des Herkunftslandes des Betroffenen ausgegangen war, zu korrigieren(<a href="#Footnote11" name="Footref11">11</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point36">36.</a>      So lässt sich dem Vorlagebeschluss entnehmen, dass es dem Amt aufgrund der unzulänglichen bzw. unangemessenen Nachforschungen, die es angestellt hatte, nicht gelungen ist, die Staatsangehörigkeit des Betroffenen ordnungsgemäß nachzuweisen, so dass der Sachverhalt erst nach der Entscheidungsfindung bekannt war. Wie das vorlegende Gericht feststellt, haben „die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes <i>niemals</i> vorgelegen“(<a href="#Footnote12" name="Footref12">12</a>). In der vorliegenden Rechtssache steht somit fest, dass das Amt Herrn Bilali den besagten Status von Anfang des Verfahrens an nicht hätte zuerkennen dürfen, da er unter Berücksichtigung seines Herkunftslandes nicht für diesen internationalen Schutz in Betracht kam.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point37">37.</a>      Vor diesem Hintergrund glaube ich daher, dass sich die Frage, die das vorlegende Gericht an den Gerichtshof richtet, im Wesentlichen auf die Feststellung bezieht, ob das Unionsrecht, insbesondere Art. 19 Abs. 1 und Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2011/95, dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat den subsidiären Schutzstatus aberkennen kann, wenn die zuständige nationale Behörde einen allein von ihr zu vertretenden Fehler hinsichtlich der Umstände begangen hat, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">V.      <b>Würdigung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point38">38.</a>      Die Antwort auf die gestellte Frage gliedert sich nach meinem Dafürhalten in zwei Teile. Erstens ist darzulegen, weshalb Art. 19 der Richtlinie 2011/95 unter Berücksichtigung der Bedeutung und der Tragweite dieses Artikels einer Aberkennung des subsidiären Schutzstatus aufgrund eines Beurteilungsfehlers der zuständigen nationalen Behörde hinsichtlich der Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, entgegensteht. Zweitens ist zu prüfen, welche Rechtsnatur die Entscheidung hat, die in einem Fall wie dem in Rede stehenden zu erlassen ist, und welcher Rechtsrahmen für diese Entscheidung gilt.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">A.      <b>Tragweite des in Art. 19 der Richtlinie 2011/95 vorgesehenen Aberkennungsverfahrens</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point39">39.</a>      Das Gemeinsame Europäische Asylsystem beruht auf einem Gesamtsystem auf Unionsebene harmonisierter Vorschriften. Gemäß Art. 78 Abs. 1 AEUV und Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stützt sich dieses System auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Genfer Konvention, die einen „wesentlichen Bestandteil“ des internationalen Rechtsrahmens für den Schutz von Flüchtlingen darstellt(<a href="#Footnote13" name="Footref13">13</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point40">40.</a>      Die Richtlinie 2011/95 bezweckt daher, die zuständigen nationalen Behörden bei der Anwendung dieser Konvention zu leiten, indem sie sich auf gemeinsame Begriffe und Kriterien für die Zuerkennung und Aberkennung eines internationalen Schutzes stützt(<a href="#Footnote14" name="Footref14">14</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point41">41.</a>      Nach ständiger Rechtsprechung sind die Bestimmungen der Richtlinie 2011/95 somit nicht nur im Licht der allgemeinen Systematik und des Zwecks dieser Richtlinie auszulegen, sondern auch in Übereinstimmung mit der Genfer Konvention(<a href="#Footnote15" name="Footref15">15</a>), da die Konsultationen mit dem Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge(<a href="#Footnote16" name="Footref16">16</a>) hier eine wertvolle Hilfsquelle darstellen(<a href="#Footnote17" name="Footref17">17</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point42">42.</a>      Die im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems vorgesehenen Vorschriften über die Aberkennung des internationalen Schutzes beruhen daher in erster Linie auf den in der Genfer Konvention genannten Grundsätzen für die Beendigung des internationalen Schutzes und den Ausschluss von der Anerkennung als Person mit Anspruch auf diesen Schutz. Da in der Genfer Konvention keine Verfahrensmechanismen festgelegt sind, die eine Aberkennung des erwähnten Schutzes ermöglichen, beruhen die besagten Vorschriften zweitens auf Verfahren, deren Wesen in den Art. 14 und 19 der Richtlinie 2011/95 erläutert wird und deren Modalitäten den Art. 44 und 45 der Richtlinie 2013/32 unterliegen.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">1.      <b>Gründe für die Aberkennung des internationalen Schutzes</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point43">43.</a>      Art. 19 der Richtlinie 2011/95 legt die Verfahrensmechanismen fest, die es ermöglichen, die Aberkennung(<a href="#Footnote18" name="Footref18">18</a>) des subsidiären Schutzstatus im Einklang mit der Genfer Konvention sicherzustellen. So werden in diesem Artikel die Gründe, aus denen die Mitgliedstaaten den genannten Status aberkennen, beenden oder nicht verlängern können bzw. müssen, erschöpfend aufgezählt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point44">44.</a>      Diese Gründe ergeben sich zum einen aus den Beendigungsklauseln in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Konvention und zum anderen aus den Ausschlussklauseln in Art. 1 Abschnitte D bis F dieser Konvention.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point45">45.</a>      Nach den UNHCR-Richtlinien sind diese Klauseln erschöpfend aufgezählt und eng auszulegen, da die Aberkennung des internationalen Schutzstatus und der Ausschluss von der Anerkennung als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz diesen Schutz und die damit verbundenen Rechte aufheben. Daher darf – mit Ausnahme der in Art. 1 Abschnitte C bis F der Genfer Konvention ausdrücklich genannten – keine Klausel geltend gemacht werden, um die Tatsache zu rechtfertigen, dass der internationale Schutz nicht mehr erforderlich ist(<a href="#Footnote19" name="Footref19">19</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point46">46.</a>      Der Unionsgesetzgeber hat die erwähnten Klauseln in den Art. 11 und 12 der Richtlinie 2011/95, die Gründe für das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft und den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling vorsehen, in Unionsrecht umgesetzt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point47">47.</a>      Da das Unionsrecht eine subsidiäre Form internationalen Schutzes bereitstellt, hat der Unionsgesetzgeber in den Art. 16 und 17 der Richtlinie 2011/95 darüber hinaus Gründe für die Aberkennung des subsidiären Schutzstatus und den Ausschluss von der Anerkennung als Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz vorgesehen, die den in Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und f und Abs. 2 sowie Art. 12 Abs. 2 und 3 dieser Richtlinie genannten Gründen nachgebildet sind.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point48">48.</a>      Da der Unionsgesetzgeber sicherstellen will, dass die beiden Formen internationalen Schutzes kohärent und einheitlich sind(<a href="#Footnote20" name="Footref20">20</a>), müssen auch die Gründe für die Aberkennung des subsidiären Schutzes im Licht der Genfer Konvention ausgelegt werden. Demnach sind die Gründe, aus denen ein Mitgliedstaat den subsidiären Schutzstatus aberkennen kann oder muss, eng und im Einklang mit dieser Konvention auszulegen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point49">49.</a>      Wie wir jedoch sehen werden, ist ein Mitgliedstaat durch keinen der vom Unionsgesetzgeber in Art. 19 der Richtlinie 2011/95 genannten Gründe ermächtigt, einen internationalen Schutzstatus aus einem anderen Grund als den von diesem Gesetzgeber in besagter Vorschrift ausdrücklich und abschließend genannten – insbesondere bei einem Fehler, für den seine Verwaltung allein verantwortlich ist – abzuerkennen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point50">50.</a>      Erstens kann der subsidiäre Schutzstatus gemäß Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95 aberkannt werden, wenn die betreffende Person im Sinne von Art. 16 der Richtlinie nicht länger Anspruch auf diesen internationalen Schutz erheben kann.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point51">51.</a>      Es sei in Erinnerung gerufen, dass Art. 16 Abs. 1 der genannten Richtlinie vorsieht:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser hat keinen Anspruch auf subsidiären Schutz mehr, wenn die Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, nicht mehr bestehen oder sich in einem Maße verändert haben, dass ein solcher Schutz nicht mehr erforderlich ist.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point52">52.</a>      Mit dieser Vorschrift werden die fünfte und die sechste Beendigungsklausel von Art. 1 Abschnitt C der Genfer Konvention in Unionsrecht umgesetzt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point53">53.</a>      Außerdem heißt es in Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95: „Bei Anwendung des Absatzes 1 berücksichtigen die Mitgliedstaaten, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass die Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat, tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point54">54.</a>      In der vorliegenden Rechtssache wählt das vorlegende Gericht eine weite Auslegung des Begriffs „Umstände“, da es die Ansicht vertritt, die in Art. 19 Abs. 1 dieser Richtlinie angesprochene Fallkonstellation könne auch den Fall erfassen, dass der Betroffene aufgrund eines „geänderten Kenntnisstandes der Behörde über die … Tatsachenumstände“ nicht länger Anspruch auf subsidiären Schutz erheben kann.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point55">55.</a>      Diese Auslegung ist von vornherein zurückzuweisen, da sie der sehr engen Auslegung der Beendigungsklauseln von Art. 1 Abschnitt C der Genfer Konvention entgegensteht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point56">56.</a>      Wie der UNHCR in seinen Richtlinien(<a href="#Footnote21" name="Footref21">21</a>) ausdrücklich festgestellt hat, sind „[d]ie Beendigungsklauseln … ihrem Wesen nach ‚negativ‘ und … erschöpfend aufgezählt. Sie sollten daher restriktiv ausgelegt werden, und es dürfen keine anderen Gründe analog zur Rechtfertigung der Zurücknahme des Flüchtlingsstatus herangezogen werden“(<a href="#Footnote22" name="Footref22">22</a>). Der UNHCR fügt daher hinzu, dass in Fällen, in denen Fakten bekannt werden, denen zufolge eine Person nie hätte als Flüchtling anerkannt werden dürfen – etwa wenn erst später bekannt wird, dass der Flüchtlingsstatus auf der Grundlage einer falschen Auslegung der Tatsachen zuerkannt worden ist oder die betreffende Person eine andere Staatsangehörigkeit besitzt –, nicht die Aberkennung des Flüchtlingsstatus, sondern seine Aufhebung zu verfügen ist(<a href="#Footnote23" name="Footref23">23</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point57">57.</a>      Die vom vorlegenden Gericht vorgeschlagene Auslegung verkennt die ausgesprochen präzise Bedeutung des Begriffs „Umstände“, der im Rahmen der Beendigungsklausel verwendet wird, sowie die Systematik und den Zweck des Rechtstextes, in den sich dieser Begriff einfügt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point58">58.</a>      Bei den genannten „Umständen“ handelt es sich um diejenigen, die die zuständige nationale Behörde gemäß Art. 2 Buchst. f der Richtlinie 2011/95 veranlasst haben, den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen(<a href="#Footnote24" name="Footref24">24</a>). Es geht um objektive Umstände im Herkunftsland der betreffenden Person, aufgrund deren das Vorliegen einer tatsächlichen Gefahr geprüft wird, bei Rückkehr in dieses Land einen ernsthaften Schaden zu erleiden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point59">59.</a>      Diese Umstände sind demnach entscheidend für die Gewährung des subsidiären Schutzes, weil sie die Unfähigkeit des Herkunftslandes des Antragstellers belegen, Schutz vor solchen Schäden sicherzustellen, und die Befürchtungen des Antragstellers begründen(<a href="#Footnote25" name="Footref25">25</a>). In symmetrischer Weise ist eine Änderung dieser Umstände entscheidend für das Erlöschen des genannten Schutzes(<a href="#Footnote26" name="Footref26">26</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point60">60.</a>      Nach dem Vorbild von Art. 1 Abschnitt C Abs. 5 und 6 der Genfer Konvention und zur Wahrung der Integrität des internationalen Schutzsystems sieht Art. 16 der Richtlinie 2011/95 somit das Erlöschen des subsidiären Schutzes vor, wenn die Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, „nicht mehr bestehen“ oder sich derart „verändert haben“, dass dadurch die Ursachen behoben worden sind, aufgrund deren dieser Status zuerkannt worden war. Nach dem Willen des Unionsgesetzgebers muss die Veränderung mithin „so wesentlich und nicht nur vorübergehend“ sein, dass zuerkannte Status nicht ständig in Frage gestellt werden, wenn sich die Lage im Herkunftsland der Begünstigten kurzfristig ändert, was diesen die Stabilität ihrer Situation garantiert.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point61">61.</a>      Vor diesem Hintergrund ist offensichtlich, dass die Aberkennung des subsidiären Schutzstatus nur solche Personen betreffen kann, denen der Status aufgrund der Umstände in ihrem Herkunftsland berechtigterweise zuerkannt worden ist, die aber – aus objektiven Gründen im Zusammenhang mit einer Veränderung dieser Umstände – zukünftig keinen internationalen Schutz mehr benötigen. Das Erlöschen des subsidiären Schutzes soll somit nicht die Fehler der Verwaltung korrigieren und kann selbstverständlich nicht von einem so subjektiven und veränderlichen Kriterium wie dem Kenntnisstand der zuständigen nationalen Behörde über die genannten Umstände abhängen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point62">62.</a>      Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen ermächtigt der Widerrufsgrund des Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95 die zuständige nationale Behörde meiner Meinung nach nicht dazu, den subsidiären Schutzstatus in einem Fall wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden abzuerkennen, in dem die Behörde einen Fehler hinsichtlich der Bestimmung des Herkunftslandes des Betroffenen begangen hat, für den sie allein verantwortlich ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point63">63.</a>      Zweitens kann der subsidiäre Schutzstatus gemäß Art. 19 Abs. 2 und Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2011/95 aberkannt werden, wenn die betreffende Person, obwohl sie die Voraussetzungen erfüllt, um als Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz anerkannt zu werden, aufgrund der Gefahr, die sie für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, oder aufgrund der besonders schweren Straftaten im Sinne von Art. 17 dieser Richtlinie, die sie begangen haben oder an denen sie beteiligt gewesen sein soll, gleichwohl von der Gewährung des subsidiären Schutzes ausgeschlossen ist (Ausschlussklausel).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point64">64.</a>      Mit dieser Vorschrift wird Art. 1 Abschnitt F der Genfer Konvention in Unionsrecht umgesetzt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point65">65.</a>      Eine Prüfung der Vorschrift erübrigt sich, da sich der Betroffene offensichtlich weder strafbar gemacht hat noch irgendeine Gefahr für Österreich darstellt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point66">66.</a>      Drittens und letztens kann der subsidiäre Schutzstatus aufgrund eines betrügerischen Verhaltens des Statusinhabers aberkannt werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point67">67.</a>      Gemäß Art. 19 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2011/95, auf den sich das vorlegende Gericht ausdrücklich bezieht, sind die Mitgliedstaaten nämlich verpflichtet, den subsidiären Schutzstatus abzuerkennen, wenn die zuständige nationale Behörde diesen Status aufgrund einer falschen Darstellung oder des Verschweigens von Tatsachen, deren bzw. dessen sich die betreffende Person schuldig gemacht hat, zu Unrecht zuerkannt hat.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point68">68.</a>      Da der Grund für die in dieser Vorschrift vorgesehene Aberkennung in der vorliegenden Rechtssache nicht gegeben ist – Herr Bilali hat die ihn betreffenden Tatsachen weder falsch dargestellt noch verschwiegen –, ist eine Aberkennung seines Status nach dem Wortlaut der Vorschrift offensichtlich nicht zulässig.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point69">69.</a>      Somit ist festzustellen, dass – nach dem Vorbild der in Art. 1 Abschnitte D bis F der Genfer Konvention aufgeführten Gründe – keiner der in Art. 19 der Richtlinie 2011/95 ausdrücklich vorgesehenen und erschöpfend aufgezählten Widerrufsgründe die zuständige nationale Behörde dazu ermächtigt, dem Betroffenen den subsidiären Schutzstatus aufgrund eines Fehlers hinsichtlich der Bestimmung seines Herkunftslandes, der allein ihr zurechenbar ist, abzuerkennen.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">2.      <b>Verfahrensmechanismen zur Aberkennung des internationalen Schutzes</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point70">70.</a>      Mit Art. 19 der Richtlinie 2011/95 sollen, wie wir gesehen haben, Verfahrensmechanismen eingeführt werden, die es ermöglichen, den subsidiären Schutzstatus im Einklang mit den Vorschriften der Genfer Konvention abzuerkennen. So werden in diesem Artikel die Gründe, aus denen die Mitgliedstaaten den genannten Status aberkennen, beenden oder nicht verlängern können bzw. müssen, erschöpfend aufgezählt, wobei die anwendbaren Verfahrensvorschriften in den Art. 44 und 45 der Richtlinie 2013/32 festgelegt sind.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point71">71.</a>      Aus dem Wortlaut von Art. 19 der Richtlinie 2011/95 sowie aus der Rechtsnatur der Entscheidungen, auf die sich der Unionsgesetzgeber bezieht, geht sehr klar hervor, dass diese die Behandlung von Personen betreffen, denen der Status berechtigterweise zuerkannt worden ist, die aufgrund einer Entwicklung in ihrem Herkunftsland (Beendigungsklausel) oder ihres eigenen Verhaltens (Ausschlussklausel) zukünftig aber nicht länger Anspruch auf subsidiären Schutz erheben können. Die Entscheidungen, auf die der Unionsgesetzgeber in Art. 19 der Richtlinie 2011/95 verweist, sollen somit nicht die Situation von Personen regeln, die – beispielsweise aufgrund einer fehlerhaften Ermittlung ihres Bedarfs an internationalem Schutz – einen solchen Schutz nicht hätten erhalten dürfen. Ein Fall wie der in Rede stehende kann somit von vornherein nicht unter die Bestimmungen von Art. 19 der Richtlinie fallen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point72">72.</a>      Auch die Verfahrensvorschriften über die „Aberkennung des internationalen Schutzes“ in Kapitel IV der Richtlinie 2013/32 lassen das nicht zu.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point73">73.</a>      Es sei daran erinnert, dass die Mitgliedstaaten gemäß Art. 44 dieser Richtlinie „sicher[stellen], dass eine Prüfung zur Aberkennung des internationalen Schutzes einer bestimmten Person eingeleitet werden kann, wenn neue Elemente oder Erkenntnisse zutage treten, die darauf hindeuten, dass Gründe für eine Überprüfung der Berechtigung ihres internationalen Schutzes bestehen“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point74">74.</a>      Auch wenn der Unionsgesetzgeber hier einen Rechtsbegriff (den Begriff „Aberkennung“) verwendet, der sich von den in den Art. 14 und 19 der Richtlinie 2011/95 genannten unterscheidet, und sich auf bemerkenswert weite Art und Weise auf das Zutagetreten „neue[r] Elemente oder Erkenntnisse“ bezieht, ist festzustellen, dass der Begriff „Aberkennung des internationalen Schutzes“ in Art. 2 Buchst. o der Richtlinie 2013/32 definiert ist als die „Entscheidung einer zuständigen Behörde, einer Person die Flüchtlingseigenschaft oder den subsidiären Schutzstatus gemäß der Richtlinie [2011/95] abzuerkennen, diese zu beenden oder nicht mehr zu verlängern“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point75">75.</a>      Dies wird durch den Verweis in Art. 45 Abs. 1 und Art. 46 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2013/32 ausdrücklich bestätigt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point76">76.</a>      Vor diesem Hintergrund lässt sich der Schluss ziehen, dass der Unionsgesetzgeber den Mitgliedstaaten lediglich in den in Art. 19 der Richtlinie 2011/95 genannten Fällen hat gestatten wollen, den subsidiären Schutzstatus abzuerkennen oder zu entziehen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point77">77.</a>      Die erwähnte Vorschrift steht somit einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegen, die es der zuständigen nationalen Behörde gestattet, den subsidiären Schutzstatus aus einem anderen Grund als den vom Unionsgesetzgeber in besagter Vorschrift ausdrücklich genannten und erschöpfend aufgezählten Gründen abzuerkennen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point78">78.</a>      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof daher vor, für Recht zu erkennen, dass Art. 19 der Richtlinie 2011/95 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, nach der ein Mitgliedstaat den subsidiären Schutzstatus aberkennen kann, wenn die zuständige nationale Behörde einen allein ihr zurechenbaren Fehler hinsichtlich der Umstände begangen hat, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">B.      <b>Anwendbare Rechtsvorschriften</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point79">79.</a>      Damit dem vorlegenden Gericht alle sachdienlichen Informationen an die Hand gegeben werden, die es ihm ermöglichen, über den Rechtsstreit, mit dem es befasst ist, zu entscheiden, glaube ich, dass die Prüfung der gestellten Frage es erforderlich macht, den Gegenstand und die Rechtsnatur der Entscheidung zu klären, die die zuständige nationale Behörde zu erlassen hat, wenn dem Betroffenen aufgrund eines ihr zurechenbaren Beurteilungsfehlers zu Unrecht der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist. Der für diese Entscheidung geltende Rechtsrahmen hängt nämlich von der rechtlichen Einstufung der Entscheidung ab.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point80">80.</a>      In der vorliegenden Rechtssache hat das Amt den genannten Status gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point81">81.</a>      Es steht jedoch fest, dass das Amt dem Betroffenen den subsidiären Schutzstatus von Anfang des Verfahrens an nicht hätte zuerkennen dürfen. So geht aus dem Vorlagebeschluss hervor, dass es dem Amt nicht gelungen ist, das Herkunftsland des Betroffenen ordnungsgemäß nachzuweisen, weil es die angemessenen Nachforschungen nicht durchgeführt und eine „irrige Annahme“ getroffen hat, so dass „die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes niemals vorgelegen [haben]“(<a href="#Footnote27" name="Footref27">27</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point82">82.</a>      Unter Umständen wie den in Rede stehenden, unter denen die Entscheidung über die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus unter Verstoß gegen Rechtsvorschriften, insbesondere gegen die in den Kapiteln II und V der Richtlinie 2011/95 aufgeführten Zuerkennungskriterien, ergangen ist und sich dieser Verstoß entscheidend auf den Ausgang der Prüfung des Antrags auf Gewährung internationalen Schutzes ausgewirkt hat, muss nach meinem Dafürhalten die Aufhebung des subsidiären Schutzstatus erfolgen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point83">83.</a>      Diese Lösung weist den Vorteil auf, dass die sehr strengen Bestimmungen der Genfer Konvention nicht extensiv ausgelegt zu werden brauchen, mit der Folge einer Ausdehnung des Wortlauts und des Zwecks von Art. 19 der Richtlinie 2011/95, und zugleich ein Maximum an Verfahrensgarantien und die vollständige Einhaltung der Fairness, die einer Person zusteht, die keinerlei Verantwortung für den von der Verwaltung begangenen Fehler trägt, sichergestellt sind.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point84">84.</a>      Sie ist auch geboten, um die Integrität des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems zu wahren, da fehlerhafte Zuerkennungen korrigiert werden müssen, um zu gewährleisten, dass der internationale Schutz nur Personen gewährt wird, die ihn wirklich benötigen. Wird der Status aufgrund eines Rechts- oder Tatsachenfehlers der mit der Angelegenheit befassten Stelle zuerkannt, empfiehlt der UNHCR insoweit die Aufhebung oder Ungültigkeitserklärung des Rechtsakts über die Zuerkennung dieses Status im Rahmen eines Verfahrens, in dem die allgemeinen Rechtsgrundsätze eingehalten werden. Auch wenn eine Aufhebung oder Ungültigkeitserklärung in der Genfer Konvention nicht ausdrücklich vorgesehen ist, steht sie nach Auffassung des UNHCR voll und ganz mit Ziel und Zweck dieses Übereinkommens in Einklang und ist geboten, um die Integrität der Flüchtlingsdefinition zu wahren(<a href="#Footnote28" name="Footref28">28</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point85">85.</a>      Das Aufhebungsverfahren ist in der vorliegenden Rechtssache umso mehr geboten, als die Vermutungen, auf die sich die zuständige nationale Behörde gestützt hat, das gesamte Verfahren zur Prüfung des Antrags auf Gewährung internationalen Schutzes betreffen, d. h. nicht nur die Rechtmäßigkeit der Entscheidung über die Ablehnung der Flüchtlingseigenschaft, sondern auch die Rechtmäßigkeit der Entscheidung über die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Es sei nämlich darauf hingewiesen, dass mit Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 ein einheitliches Verfahren eingeführt wird, in dessen Rahmen die zuständige nationale Behörde einen Antrag im Licht beider Formen internationalen Schutzes prüft, zunächst unter dem Blickwinkel der Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling und anschließend unter dem Blickwinkel der Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes, wobei die Bestimmung des Herkunftslandes des Antragstellers überdies ein Bezugskriterium darstellt, das beiden Formen internationalen Schutzes gemein ist(<a href="#Footnote29" name="Footref29">29</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point86">86.</a>      Im Rahmen der vor ihm erhobenen Klage hat der Asylgerichtshof im Übrigen die Aufhebung der Entscheidung verfügt, mit der das Amt es aufgrund der Vermutungen, auf denen seine Prüfung beruhte, abgelehnt hatte, den Betroffenen als Flüchtling anzuerkennen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point87">87.</a>      Unter solchen Umständen, unter denen das gesamte Verfahren zur Prüfung des Antrags auf Gewährung internationalen Schutzes mit Mängeln behaftet war und die Person mit Anspruch auf diesen Schutz die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes letztlich nicht erfüllte, wäre es nach meinem Dafürhalten richtiger gewesen, die Aufhebung der Entscheidung über die Zuerkennung des genannten Status auszusprechen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point88">88.</a>      Das Unionsrecht sieht keine spezifischen Bestimmungen hinsichtlich der Verfahrensvorschriften und ‑modalitäten vor, die für die Aufhebung des subsidiären Schutzstatus aufgrund eines Fehlers der Verwaltung gelten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point89">89.</a>      In Ermangelung ausdrücklicher unionsrechtlicher Bestimmungen unterliegen diese Vorschriften nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten daher der nationalen Rechtsordnung, insbesondere den verwaltungsrechtlichen Bestimmungen dieser Rechtsordnung. Eine Rechtssache wie die in Rede stehende gehört somit zu den klassischen Rechtsstreitigkeiten über die Nichtigerklärung einer rechtsbegründenden Handlung aufgrund eines Fehlers der Verwaltung.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point90">90.</a>      Gleichwohl ist die Handlung von besonderer Art, da mit ihr nach dem Unionsrecht internationaler Schutz gewährt wird, der u. a. mit den Rechten auf Aufenthalt und Familienzusammenführung einhergeht, die ebenfalls unter das Unionsrecht fallen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point91">91.</a>      Dieser Verweis auf die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten ist somit durch die Pflicht zu relativieren, die Grundrechte einerseits und die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität andererseits zu beachten(<a href="#Footnote30" name="Footref30">30</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point92">92.</a>      Der Grundsatz der Äquivalenz bedeutet, dass Personen, die durch die Unionsrechtsordnung verliehene Rechte geltend machen, gegenüber solchen, die Rechte rein innerstaatlicher Natur geltend machen, nicht benachteiligt werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point93">93.</a>      In einem Fall wie dem in Rede stehenden verlangt die Einhaltung dieses Grundsatzes somit, dass die für die Aufhebung des Rechtsakts über die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus geltenden Verfahrensvorschriften und ‑modalitäten nicht ungünstiger sind als die für die Aufhebung eines Rechtsakts über die Zuerkennung eines vergleichbaren Status nach nationalem Recht geltenden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point94">94.</a>      Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, die Vergleichbarkeit der Status zu beurteilen, wobei u. a. der Gegenstand dieser Status sowie die mit ihnen verbundenen Rechte und Vergünstigungen, insbesondere die wirtschaftlichen und sozialen Vergünstigungen, etwa die Erteilung von Aufenthaltstiteln sowie der Zugang zu Sozialschutz, zur medizinischen Versorgung und zum Arbeitsmarkt, zu berücksichtigen sind. Da die Richtlinie 2011/95 eine abschließende Harmonisierung auf dem Gebiet des internationalen Schutzes herbeiführt, wird es erforderlich sein, auf die Status Bezug zu nehmen, die von den Mitgliedstaaten aus familiären oder humanitären Ermessensgründen zuerkannt werden(<a href="#Footnote31" name="Footref31">31</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point95">95.</a>      Was die geltenden Verfahrensvorschriften und ‑modalitäten betrifft, ist außerdem bekannt, dass die meisten Mitgliedstaaten an die Nichtigerklärung einer rechtsbegründenden Handlung aufgrund eines Fehlers, für den die Verwaltungsbehörde allein verantwortlich ist, strenge Anforderungen stellen. Hat ein Antragsteller seinen Antrag gutgläubig gestellt und am Prüfverfahren mitgewirkt und durfte er auf die Richtigkeit und Gültigkeit der Entscheidung vertrauen, überwiegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes normalerweise gegenüber dem Interesse, das ein Staat an der Berichtigung von Fehlern seiner Entscheidungsorgane haben kann.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point96">96.</a>      Unter diesen Umständen ist es Sache des nationalen Gerichts, sich insbesondere zu vergewissern, dass die Aufhebung des internationalen Schutzstatus unter strikter Einhaltung der Garantien für die Fairness des Verfahrens und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgt. Um zu vermeiden, dass die Aufhebung unverhältnismäßige Folgen nach sich zieht und zu schweren Schäden für die betreffende Person führt, sind nach meinem Dafürhalten alle relevanten Umstände und insbesondere die Rechte und Vergünstigungen, in deren Genuss diese Person seit der Zuerkennung ihres Status gekommen ist – vor allem eine ihr ermöglichte Familienzusammenführung, die Dauer ihres Aufenthalts und der Grad der wirtschaftlichen und sozialen Integration innerhalb des Mitgliedstaats sowie die Schwierigkeiten, denen sie bei Aufhebung ihres Status ausgesetzt zu werden droht –, zu berücksichtigen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point97">97.</a>      Was nun den Grundsatz der Effektivität angeht, so verlangt dessen Einhaltung, dass die für die Aufhebung eines Rechtsakts über die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus geltenden Verfahrensvorschriften und ‑modalitäten die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren(<a href="#Footnote32" name="Footref32">32</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point98">98.</a>      Der Grundsatz der Effektivität ist eng mit dem Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz verbunden und setzt voraus, dass die Mitgliedstaaten, wenn Privatpersonen nach dem Unionsrecht ein Recht eingeräumt wird, dessen effektiven Schutz sicherzustellen haben, was grundsätzlich bedeutet, dass es einen Rechtsbehelf geben muss.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point99">99.</a>      Auch wenn es Sache des vorlegenden Gerichts ist, die Einhaltung dieses Grundsatzes zu überprüfen, stelle ich fest, dass der Betroffene im Rahmen der Ausgangsrechtssache einen Rechtsbehelf vor dem Bundesverwaltungsgericht und anschließend eine außerordentliche Revision vor dem Verwaltungsgerichtshof betreffend das Verfahren zur Aberkennung seines subsidiären Schutzstatus in Bezug auf das Herkunftsland Algerien hat einlegen können.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point100">100.</a> Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, für Recht zu erkennen, dass unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, unter denen die Entscheidung über die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus unter Verstoß gegen Rechtsvorschriften, insbesondere gegen die in den Kapiteln II und V der Richtlinie 2011/95 aufgeführten Zuerkennungskriterien, ergangen ist und sich dieser Verstoß entscheidend auf den Ausgang der Prüfung des Antrags auf Gewährung internationalen Schutzes ausgewirkt hat, der Mitgliedstaat verpflichtet ist, die Aufhebung des subsidiären Schutzstatus vorzunehmen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point101">101.</a> Außerdem ist in Ermangelung ausdrücklicher unionsrechtlicher Bestimmungen klarzustellen, dass die Verfahrensvorschriften und ‑modalitäten, die für die Aufhebung des subsidiären Schutzstatus aufgrund eines Fehlers der Verwaltung gelten, nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten der nationalen Rechtsordnung unterliegen, wobei dies jedoch unter dem Vorbehalt steht, dass die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität eingehalten werden.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">VI.    <b>Ergebnis</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point102">102.</a> In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefrage des Verwaltungsgerichtshofs (Österreich) wie folgt zu beantworten:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Art. 19 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes steht einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegen, nach der ein Mitgliedstaat den subsidiären Schutzstatus aberkennen kann, wenn die zuständige nationale Behörde einen allein ihr zurechenbaren Fehler hinsichtlich der Umstände begangen hat, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Unter Umständen wie den in Rede stehenden, unter denen die Entscheidung über die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus unter Verstoß gegen Rechtsvorschriften, insbesondere gegen die in den Kapiteln II und V der Richtlinie 2011/95 aufgeführten Zuerkennungskriterien, ergangen ist und sich dieser Verstoß entscheidend auf den Ausgang der Prüfung des Antrags auf Gewährung internationalen Schutzes ausgewirkt hat, ist der Mitgliedstaat verpflichtet, die Aufhebung des subsidiären Schutzstatus vorzunehmen.</p>
<p class="C10Marge1">In Ermangelung ausdrücklicher unionsrechtlicher Bestimmungen unterliegen die Verfahrensvorschriften und ‑modalitäten, die für die Aberkennung des subsidiären Schutzstatus aufgrund eines Fehlers der Verwaltung gelten, nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten der nationalen Rechtsordnung, vorausgesetzt, die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität werden eingehalten.</p>
<hr/>
<p class="C40FootnoteLangue">
<a href="#Footref1" name="Footnote1">1</a>      Originalsprache: Französisch.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref2" name="Footnote2">2</a>      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref3" name="Footnote3">3</a>      Vgl. Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (ABl. 2010, L 132, S. 11).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref4" name="Footnote4">4</a>      Vgl. Richterliche Analyse von 2018 mit dem Titel „Beendigung des internationalen Schutzes: Artikel 11, 14, 16 und 19 der Anerkennungsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU)“ (insbesondere Kapitel 4.1.3, S. 36).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref5" name="Footnote5">5</a>      Im Folgenden: Genfer Konvention.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref6" name="Footnote6">6</a>      Richtlinie des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2004, L 304, S. 12).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref7" name="Footnote7">7</a>      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref8" name="Footnote8">8</a>      BGBl. I, 100/2005 (im Folgenden: AsylG 2005).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref9" name="Footnote9">9</a>      BGBl. I, 87/2012.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref10" name="Footnote10">10</a>      Im Folgenden: streitiger Bescheid.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref11" name="Footnote11">11</a>      Vgl. u. a. Rn. 7, 20 und 22 des Vorlagebeschlusses.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref12" name="Footnote12">12</a>      Hervorhebung nur hier.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref13" name="Footnote13">13</a>      Vgl. Erwägungsgründe 3 und 4 der Richtlinie 2011/95.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref14" name="Footnote14">14</a>      Vgl. Erwägungsgründe 23 und 24 der Richtlinie 2011/95.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref15" name="Footnote15">15</a>      Vgl. entsprechend Urteil vom 31. Januar 2017, Lounani (C‑573/14, EU:C:2017:71, Rn. 41 und 42 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref16" name="Footnote16">16</a>      Im Folgenden: UNHCR.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref17" name="Footnote17">17</a>      Vgl. 22. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref18" name="Footnote18">18</a>      Ich verwende den Begriff „Aberkennung des internationalen Schutzes“, um mich der Definition anzupassen, die der Unionsgesetzgeber in Art. 2 Buchst. o der Richtlinie 2013/32 gewählt hat, wobei sich dieser Begriff auf die verschiedenen in Art. 19 der Richtlinie 2011/95 genannten Verfahren, nämlich die „Aberkennung“, die „Beendigung“ oder die „Ablehnung der Verlängerung“ des subsidiären Schutzstatus, bezieht.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref19" name="Footnote19">19</a>      UNHCR-Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gemäß dem Abkommen von 1951 und dem Protokoll von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Rn. 116 und 117). Vgl. auch – zur Auslegung der Beendigungsklausel – UNHCR-Richtlinien zum internationalen Schutz: Beendigung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Artikels 1 C (5) und (6) des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge („Wegfall der Umstände“-Klauseln).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref20" name="Footnote20">20</a>      Im Rahmen der Richtlinie 2011/95 führt der Unionsgesetzgeber ein einheitliches Verfahren zur Prüfung des Bedarfs an internationalem Schutz ein und strebt danach, die vorhandenen Unterschiede bei den Rechten, die Flüchtlingen und Personen mit Anspruch auf subsidiären Schutz zuerkannt werden, zu beseitigen.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref21" name="Footnote21">21</a>      Vgl. Fn. 19 der vorliegenden Schlussanträge.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref22" name="Footnote22">22</a>      Rn. 116 dieser Richtlinien.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref23" name="Footnote23">23</a>      Vgl. auch die in Fn. 19 der vorliegenden Schlussanträge angeführten UNHCR-Richtlinien zum internationalen Schutz (Rn. 4).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref24" name="Footnote24">24</a>      Vgl. entsprechend Urteil vom 2. März 2010, Salahadin Abdulla u. a. (C‑175/08, C‑176/08, C‑178/08 und C‑179/08, EU:C:2010:105), das sich auf die Auslegung der in Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83 vorgesehenen Klausel über das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft bezieht.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref25" name="Footnote25">25</a>      In Art. 15 der Richtlinie 2011/95 führt der Unionsgesetzgeber im Übrigen von vornherein die „ernsthafte[n] Sch[ä]den“ auf, die zur Gewährung dieses Schutzes führen können.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref26" name="Footnote26">26</a>      Vgl. Urteil vom 2. März 2010, Salahadin Abdulla u. a. (C‑175/08, C‑176/08, C‑178/08 und C‑179/08, EU:C:2010:105, Rn. 68).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref27" name="Footnote27">27</a>      Vgl. Rn. 7 der Vorlageentscheidung.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref28" name="Footnote28">28</a>      Vgl. Vermerk des UNHCR vom 22. November 2004 über die Aufhebung des Flüchtlingsstatus, Kapferer, S., „Cancellation of refugee Status“, UNHCR, <i>Legal and Protection Policy Research Series</i>, März 2003, und Informationsvermerk des UNHCR vom 4. September 2003 über die Anwendung der Ausschlussklauseln: Art. 1 F des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Kapitel I Buchst. F).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref29" name="Footnote29">29</a>      Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 sieht vor: „Bei der Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz stellt die Asylbehörde zuerst fest, ob der Antragsteller die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling erfüllt; ist dies nicht der Fall, wird festgestellt, ob der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat.“ Ferner sei darauf hingewiesen, dass eine „Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz“ gemäß Art. 2 Buchst. f der Richtlinie 2011/95 eine Person ist, die u. a. die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllt.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref30" name="Footnote30">30</a>      Vgl. entsprechend Urteile vom 15. Januar 2013, Križan u. a. (C‑416/10, EU:C:2013:8, Rn. 85 sowie die dort angeführte Rechtsprechung), vom 10. September 2013, G. und R. (C‑383/13 PPU, EU:C:2013:533, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung), vom 8. Mai 2014, N. (C‑604/12, EU:C:2014:302, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung), vom 26. September 2018, Belastingdienst/Toeslagen (aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs) (C‑175/17, EU:C:2018:776, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung), sowie vom 4. Oktober 2018, Kantarev (C‑571/16, EU:C:2018:807, Rn. 123 ff. und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref31" name="Footnote31">31</a>      Vgl. insoweit 15. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref32" name="Footnote32">32</a>      Vgl. u. a. Urteil vom 27. Juni 2018, Diallo (C‑246/17, EU:C:2018:499, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
|
175,021 | eugh-2019-01-24-c-32617 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-326/17 | 2019-01-24T00:00:00 | 2019-01-31T19:20:47 | 2019-01-31T19:20:47 | Urteil | ECLI:EU:C:2019:59 | <p>Vorläufige Fassung</p>
<p class="C19Centre">URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)</p>
<p class="C19Centre">24. Januar 2019(<a href="#Footnote*" name="Footref*">*</a>)</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 1999/37/EG – Zulassungsdokumente für Fahrzeuge – Fehlende Einträge in den Zulassungsbescheinigungen – Gegenseitige Anerkennung – Richtlinie 2007/46/EG – Fahrzeuge, die hergestellt wurden, bevor die technischen Anforderungen auf der Ebene der Europäischen Union harmonisiert wurden – Änderungen, die sich auf die technischen Merkmale des Fahrzeugs auswirken“</p>
<p class="C02AlineaAltA">In der Rechtssache C‑326/17</p>
<p class="C02AlineaAltA">betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Raad van State (Staatsrat, Niederlande) mit Entscheidung vom 24. Mai 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 31. Mai 2017, in dem Verfahren</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Directie van de Dienst Wegverkeer (RDW)</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">gegen</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>X,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Y</b>
</p>
<p class="C19Centre">
<b>und</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>X,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Y</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">gegen</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Directie van de Dienst Wegverkeer (RDW)</b>
</p>
<p class="C19Centre">
<b>und</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Directie van de Dienst Wegverkeer (RDW)</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">gegen</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Z</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">erlässt</p>
<p class="C19Centre">DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Mitwirkung des Präsidenten der Siebten Kammer T. von Danwitz in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, der Richterin K. Jürimäe sowie der Richter C. Lycourgos, E. Juhász (Berichterstatter) und C. Vajda,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Generalanwalt: N. Wahl,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. Juni 2018,</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Berücksichtigung der Erklärungen</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Directie van de Dienst Wegverkeer (RDW), vertreten durch C. B. J. Maenhout als Bevollmächtigten im Beistand von M. van Heezik, advocaat,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        von X und Y, vertreten durch C. B. Krol Dobrov als Bevollmächtigten,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        von Z, vertreten durch S. J. C. van Keulen, advocaat,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman, M. Noort, M. Gijzen und P. Huurnink als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von F. Meloncelli, avvocato dello Stato,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der norwegischen Regierung, vertreten durch R. Nordeide und C. Anker als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Huttunen, A. Nijenhuis und N. Yerrell als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C02AlineaAltA">nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. September 2018</p>
<p class="C02AlineaAltA">folgendes</p>
<p class="C75Debutdesmotifs">
<b>Urteil</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point1">1</a>        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Bestimmungen der Richtlinie 1999/37/EG des Rates vom 29. April 1999 über Zulassungsdokumente für Fahrzeuge (ABl. 1999, L 138, S. 57) und der Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Rahmenrichtlinie) (ABl. 2007, L 263, S. 1).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point2">2</a>        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Directie van de Dienst Wegverkeer (RDW) (Direktion des Straßenverkehrsamts, Niederlande, im Folgenden: RDW) auf der einen Seite und X und Y auf der anderen Seite sowie zwischen diesen beiden auf der einen Seite und dem RDW auf der anderen Seite und im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem RDW und Z wegen der Weigerung des RDW, die von anderen Mitgliedstaaten ausgestellten Zulassungsbescheinigungen für Fahrzeuge anzuerkennen und die Fahrzeuge in den Niederlanden zuzulassen.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Unionsrecht</b>
</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Richtlinie 70/156</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point3">3</a>        Die Richtlinie 70/156/EWG des Rates vom 6. Februar 1970 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Betriebserlaubnis für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger (ABl. 1970, L 42, S. 1) in der durch die Richtlinie 92/53/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 (ABl. 1992, L 225, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 70/156) sieht in Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C12Marge1avectiretlong">–        ‚Fahrzeug‘: mit Ausnahme von Schienenfahrzeugen, land- und forstwirtschaftlichen Zug- und Arbeitsmaschinen sowie allen anderen Arbeitsmaschinen, alle zur Teilnahme am Straßenverkehr bestimmten vollständigen oder unvollständigen Kraftfahrzeuge, mit mindestens vier Rädern und einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von mehr als 25 km/h, sowie ihre Anhänger;</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Richtlinie 1999/37</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point4">4</a>        Die Erwägungsgründe 3 bis 6 und 9 der Richtlinie 1999/37 lauten:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">„(3)      Die Harmonisierung der Aufmachung und des Inhalts der Zulassungsbescheinigung erleichtert das Verständnis der Zulassungsbescheinigung und trägt auf diese Weise dazu bei, dass die in einem Mitgliedstaat zugelassenen Fahrzeuge ungehindert im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten verkehren können.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(4)      Anhand des Inhalts der Zulassungsbescheinigung muss sich überprüfen lassen, ob der Inhaber eines Führerscheins, der gemäß der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein [(ABl. 1991, L 237, S. 1)] ausgestellt wurde, ausschließlich Fahrzeuge der Klassen führt, für die er eine Fahrerlaubnis besitzt. Hierdurch wird ein Beitrag zur Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr geleistet.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(5)      Als notwendige Voraussetzung für die erneute Zulassung eines zuvor in einem anderen Mitgliedstaat zugelassenen Fahrzeugs verlangen alle Mitgliedstaaten insbesondere die Vorlage einer Bescheinigung, in der diese Zulassung sowie die technischen Merkmale des Fahrzeugs bestätigt werden.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(6)      Die Harmonisierung der Zulassungsbescheinigung erleichtert die erneute Zulassung von Fahrzeugen, die zuvor in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen waren, und trägt zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts bei.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(9)      Zur Erleichterung von Kontrollen insbesondere zur Bekämpfung von betrügerischen Praktiken und der Verschiebung von gestohlenen Fahrzeugen sollte mittels eines wirksamen Informationsaustauschsystems eine enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten herbeigeführt werden.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point5">5</a>        Art. 1 dieser Richtlinie bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Diese Richtlinie gilt für die von den Mitgliedstaaten bei der Zulassung von Fahrzeugen ausgestellten Dokumente.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Sie lässt das Recht der Mitgliedstaaten unberührt, für die vorübergehende Zulassung von Fahrzeugen Dokumente zu verwenden, die die Anforderungen dieser Richtlinie gegebenenfalls nicht in allen Punkten erfüllen.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point6">6</a>        Art. 2 der Richtlinie sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      ‚Fahrzeug‘ jedes Fahrzeug gemäß der Begriffsbestimmung des Artikels 2 der Richtlinie 70/156/EWG … und des Artikels 1 der Richtlinie 92/61/EWG des Rates vom 30. Juni 1992 über die Betriebserlaubnis für zweirädrige oder dreirädrige Kraftfahrzeuge [(ABl. 1992, L 225, S. 72)];</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      ‚Zulassung‘ die behördliche Genehmigung für den Betrieb eines Fahrzeugs im Straßenverkehr einschließlich der Identifizierung des Fahrzeugs und der Zuteilung einer als Zulassungsnummer bezeichneten laufenden Nummer;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">c)      ‚Zulassungsbescheinigung‘ das Dokument, mit dem die Zulassung eines Fahrzeugs in einem Mitgliedstaat bescheinigt wird;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">d)      ‚Inhaber der Zulassungsbescheinigung‘ die Person, auf deren Name ein Fahrzeug zugelassen ist.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point7">7</a>        Art. 3 der Richtlinie 1999/37 lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Die Mitgliedstaaten stellen für Fahrzeuge, die gemäß ihren einzelstaatlichen Rechtsvorschriften einer Zulassung bedürfen, eine Zulassungsbescheinigung aus. Diese Bescheinigung besteht entweder aus einem Teil im Sinne des Anhangs I oder aus zwei Teilen im Sinne der Anhänge I und II.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Die Mitgliedstaaten können den von ihnen hierzu ermächtigten Stellen, insbesondere den entsprechenden Stellen der Hersteller, gestatten, die technischen Teile der Zulassungsbescheinigung auszufüllen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Wird für ein Fahrzeug, das vor der Anwendung dieser Richtlinie zugelassen wurde, eine neue Zulassungsbescheinigung ausgestellt, so verwenden die Mitgliedstaaten für diese Bescheinigung ein Modell gemäß dieser Richtlinie; sie können sich dabei auf die Eintragungen beschränken, für die die erforderlichen Angaben vorliegen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)      Die gemäß den Anhängen I und II in der Zulassungsbescheinigung enthaltenen Angaben werden mit Hilfe der in diesen Anhängen aufgeführten harmonisierten gemeinschaftlichen Codes eingetragen.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point8">8</a>        Art. 4 dieser Richtlinie bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Für die Zwecke dieser Richtlinie werden die von einem Mitgliedstaat ausgestellten Zulassungsbescheinigungen im Hinblick auf die Identifizierung des Fahrzeugs im grenzüberschreitenden Straßenverkehr oder dessen erneute Zulassung in einem anderen Mitgliedstaat gegenseitig anerkannt.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point9">9</a>        Nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie setzen die Mitgliedstaaten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie vor dem 1. Juni 2004 nachzukommen.</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Richtlinie 2007/46</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point10">10</a>      Art. 1 („Gegenstand“) der Richtlinie 2007/46 sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Diese Richtlinie schafft einen harmonisierten Rahmen mit den Verwaltungsvorschriften und allgemeinen technischen Anforderungen für die Genehmigung aller in ihren Geltungsbereich fallenden Neufahrzeuge und der zur Verwendung in diesen Fahrzeugen bestimmten Systeme, Bauteile und selbstständigen technischen Einheiten; damit sollen ihre Zulassung, ihr Verkauf und ihre Inbetriebnahme in der [Europäischen Union] erleichtert werden.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point11">11</a>      Art. 2 („Geltungsbereich“) dieser Richtlinie bestimmt in Abs. 1:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Diese Richtlinie gilt für die Typgenehmigung von Fahrzeugen, die in einer oder mehreren Stufen zur Teilnahme am Straßenverkehr konstruiert und gebaut werden, sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten, die für derartige Fahrzeuge konstruiert und gebaut sind.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Sie gilt auch für die Einzelgenehmigung derartiger Fahrzeuge.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Diese Richtlinie gilt auch für Teile und Ausrüstungen für Fahrzeuge, die unter diese Richtlinie fallen.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point12">12</a>      In Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie heißt es:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Im Sinne dieser Richtlinie und der in Anhang IV aufgeführten Rechtsakte – soweit dort nichts anderes bestimmt ist – bezeichnet der Ausdruck</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">11.      ‚Kraftfahrzeug‘ ein vollständiges, vervollständigtes oder unvollständiges Fahrzeug mit eigener Antriebsmaschine, mindestens vier Rädern und einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von mehr als 25 km/h.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">12.      ‚Anhänger‘ ein Fahrzeug auf Rädern ohne eigenen Antrieb, das dafür konstruiert und gebaut ist, von einem Kraftfahrzeug gezogen zu werden;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">13.      ‚Fahrzeug‘ ein Kraftfahrzeug oder einen Anhänger im Sinne der Nummern 11 und 12;</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">19.      ‚unvollständiges Fahrzeug‘ ein Fahrzeug, das mindestens einer weiteren Vervollständigungsstufe unterzogen werden muss, damit es den einschlägigen technischen Anforderungen dieser Richtlinie entspricht;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">20.      ‚vervollständigtes Fahrzeug‘ ein Fahrzeug, das einem Mehrstufen-Typgenehmigungsverfahren unterzogen wurde und den einschlägigen technischen Anforderungen dieser Richtlinie entspricht;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">21.      ‚vollständiges Fahrzeug‘ ein Fahrzeug, das keiner Vervollständigung bedarf, um die einschlägigen technischen Anforderungen dieser Richtlinie zu erfüllen;</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point13">13</a>      Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2007/46 sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Mitgliedstaaten gestatten die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme von Fahrzeugen, Bauteilen und selbsständigen technischen Einheiten nur, wenn diese den Anforderungen dieser Richtlinie entsprechen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Die Mitgliedstaaten dürfen die Zulassung, den Verkauf, die Inbetriebnahme oder die Teilnahme am Straßenverkehr von Fahrzeugen, Bauteilen oder selbständigen technischen Einheiten nicht unter Verweis auf die von dieser Richtlinie erfassten Aspekte des Baus oder der Wirkungsweise untersagen, beschränken oder behindern, wenn diese den Anforderungen dieser Richtlinie entsprechen.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point14">14</a>      Art. 24 („Einzelgenehmigungen“) dieser Richtlinie bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Die Mitgliedstaaten können ein bestimmtes Fahrzeug oder ein Fahrzeug, das eine Einzelausführung darstellt, von einer oder mehreren Bestimmungen dieser Richtlinie oder eines oder mehrerer der in Anhang IV oder Anhang XI aufgeführten Rechtsakte ausnehmen, sofern sie entsprechende alternative Anforderungen festlegen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Von der Anwendung der in Unterabsatz 1 genannten Bestimmungen darf nur dann abgesehen werden, wenn ein Mitgliedstaat dies stichhaltig begründen kann.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Unter ‚alternativen Anforderungen‘ sind Verwaltungsvorschriften und technische Anforderungen zu verstehen, die – so weit, wie es praktisch machbar ist – das gleiche Maß an Verkehrssicherheit und Umweltschutz gewährleisten sollen wie die jeweiligen Vorschriften des Anhangs IV oder des Anhangs XI.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(6)      Die Einzelgenehmigung gilt nur für das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, der sie erteilt hat.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Möchte ein Antragsteller ein Fahrzeug, für das eine Einzelgenehmigung erteilt worden ist, in einem anderen Mitgliedstaat verkaufen, zulassen oder in Betrieb nehmen, so fertigt ihm der Mitgliedstaat, der die Genehmigung erteilt hat, auf Ersuchen eine Erklärung über die technischen Vorschriften aus, nach denen das Fahrzeug genehmigt wurde.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Hat ein Mitgliedstaat eine Einzelgenehmigung für ein Fahrzeug nach diesem Artikel erteilt, so gestattet ein anderer Mitgliedstaat den Verkauf, die Zulassung oder die Inbetriebnahme dieses Fahrzeugs, es sei denn, er hat begründeten Anlass zu der Annahme, dass die technischen Vorschriften, nach denen das Fahrzeug genehmigt wurde, seinen eigenen Vorschriften nicht gleichwertig sind.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(7)      Auf Antrag des Herstellers oder des Besitzers des Fahrzeugs erteilen die Mitgliedstaaten für ein Fahrzeug, das den Bestimmungen dieser Richtlinie und den jeweiligen in Anhang IV oder Anhang XI aufgeführten Rechtsakten entspricht, eine Einzelgenehmigung.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Die Mitgliedstaaten erkennen in diesem Fall die Einzelgenehmigung an und gestatten den Verkauf, die Zulassung und das Inverkehrbringen des Fahrzeugs.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point15">15</a>      In Art. 26 („Zulassung, Verkauf und Inbetriebnahme von Fahrzeugen“) der Richtlinie heißt es:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Unbeschadet der Artikel 29 und 30 gestatten die Mitgliedstaaten die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme von Fahrzeugen nur dann, wenn sie mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung nach Artikel 18 versehen sind.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Die Mitgliedstaaten gestatten den Verkauf von unvollständigen Fahrzeugen; sie können jedoch ihre unbefristete Zulassung und ihre Inbetriebnahme verweigern, solange sie nicht vervollständigt sind.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point16">16</a>      Art. 48 („Umsetzung“) der Richtlinie 2007/46 bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Die Mitgliedstaaten erlassen und veröffentlichen vor dem 29. April 2009 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um den wesentlichen Änderungen dieser Richtlinie nachzukommen. Sie setzen die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Sie wenden diese Vorschriften ab dem 29. April 2009 an.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point17">17</a>      Art. 49 („Aufhebung“) der Richtlinie 2007/46 sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Richtlinie 70/156/EWG wird mit Wirkung vom 29. April 2009 aufgehoben; hiervon unberührt bleibt die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die in Anhang XX Teil B aufgeführten Richtlinien zu den festgelegten Terminen in innerstaatliches Recht umzusetzen und anzuwenden.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Verweisungen auf die aufgehobene Richtlinie gelten als Verweisungen auf die vorliegende Richtlinie und sind nach Maßgabe der Entsprechungstabelle in Anhang XXI zu lesen.“</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Richtlinie 2009/40/EG</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point18">18</a>      Nach dem zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/40/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 über die technische Überwachung der Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger (ABl. 2009, L 141, S. 12) ist es „[i]m Rahmen der gemeinsamen Verkehrspolitik … erforderlich, dass für den Verkehr bestimmter Fahrzeuge in der Gemeinschaft sowohl hinsichtlich der Sicherheit als auch der Bedingungen des Wettbewerbs zwischen den Verkehrsunternehmen der einzelnen Mitgliedstaaten die besten Voraussetzungen gegeben sind“.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point19">19</a>      Art. 1 dieser Richtlinie bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      In jedem Mitgliedstaat sind die in diesem Staat zugelassenen Kraftfahrzeuge, Kraftfahrzeuganhänger und Sattelanhänger einer regelmäßigen technischen Überwachung entsprechend dieser Richtlinie zu unterziehen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Die zu untersuchenden Fahrzeuggruppen, die Zeitabstände der Untersuchungen und die Punkte, die geprüft werden müssen, sind in den Anhängen I und II aufgeführt.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point20">20</a>      Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Jeder Mitgliedstaat erkennt den in einem anderen Mitgliedstaat erteilten Nachweis darüber, dass ein im Hoheitsgebiet des betreffenden anderen Mitgliedstaats zugelassenes Kraftfahrzeug, ein Kraftfahrzeuganhänger oder ein Sattelanhänger einer technischen Untersuchung, die mindestens den Anforderungen dieser Richtlinie entspricht, mit positivem Ergebnis unterzogen worden ist, in der gleichen Weise an, als hätte er diesen Nachweis selbst erteilt.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point21">21</a>      Art. 5 Buchst. a der Richtlinie bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Unbeschadet der Anhänge I und II können die Mitgliedstaaten</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      den Zeitpunkt für die erste obligatorische technische Untersuchung vorverlegen und gegebenenfalls eine Untersuchung vor der Zulassung des Fahrzeugs vorschreiben“.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Niederländisches Recht</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point22">22</a>      Nach Art. 52a Abs. 1 der Wegenverkeerswet 1994 (Straßenverkehrsgesetz von 1994) stellt der „RDW … zur Bestätigung der Eintragung in das Zulassungsregister auf den Namen des Inhabers der Zulassungsbescheinigung eine Zulassungsbescheinigung aus“.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point23">23</a>      Art. 25b des Kentekenreglement (Zulassungsverordnung) sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„1.      Der Eigentümer oder Halter eines Fahrzeugs, für das die erste Zulassung und Eintragung auf den Namen des Inhabers der Zulassungsbescheinigung beantragt wird und das zuvor in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zugelassen war, legt Teil I der in diesem Mitgliedstaat ausgestellten Zulassungsbescheinigung und, soweit dieser ausgestellt worden ist, auch Teil II vor.</p>
<p class="C02AlineaAltA">2.      Die in Abs. 1 vorgesehene Zulassung und Eintragung auf den Namen des Inhabers der Zulassungsbescheinigung wird versagt, wenn Teil II der Zulassungsbescheinigung, soweit dieser ausgestellt worden ist, fehlt.</p>
<p class="C02AlineaAltA">3.      In Ausnahmefällen kann der RDW abweichend von Abs. 2 ein Fahrzeug zulassen und auf den Namen des Inhabers der Zulassungsbescheinigung eintragen, wenn die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem das Fahrzeug zuvor zugelassen war, schriftlich oder auf elektronischem Weg bestätigen, dass der Antragsteller berechtigt ist, das Fahrzeug in einem anderen Mitgliedstaat zuzulassen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">4.      Der RDW bewahrt die erhaltenen Zulassungsdokumente oder Teile davon für sechs Monate auf und setzt die Behörden des Mitgliedstaats, die die Zulassungsbescheinigung ausgestellt haben, innerhalb von zwei Monaten nach dem Erhalt hiervon in Kenntnis. Auf Antrag sendet der RDW die Zulassungsdokumente zurück an die Behörden des Mitgliedstaats, die die Zulassungsbescheinigung ausgestellt haben.“</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Ausgangsverfahren und Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point24">24</a>      X und Y beantragten am 14. Januar 2014 und Z beantragte am 10. Juni 2014 beim RDW die Eintragung eines Kraftfahrzeugs im niederländischen Zulassungsregister. Eines der Fahrzeuge wurde 1950 von der Bentley Motors Limited hergestellt, die das Fahrzeug mit der Fahrzeug‑Identifizierungsnummer (Vehicle identification number, im Folgenden: VIN) B28J0 versah. Es wurde im selben Jahr in England zugelassen. Das andere Fahrzeug wurde 1938 von der Alvis Car and Engineering Company Limited hergestellt, die das Fahrzeug mit der VIN 14827 versah.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point25">25</a>      Das Fahrzeug der Marke Bentley wurde 2013 erheblich umgebaut. Am 29. Oktober 2013 stellten die belgischen Behörden eine Zulassungsbescheinigung für dieses Fahrzeug aus, die zusammengefasste Fahrzeugdaten enthielt. Das vorlegende Gericht führt aus, eine Untersuchung dieses Fahrzeugs im Februar 2014 habe ergeben, dass es nunmehr aus einem originalen Bentley Mark VI‑Fahrgestell, einem Achtzylinder-Reihenmotor von Rolls-Royce und einer anders aussehenden neuen Karosserie nach dem Vorbild eines Bentley Speed Six zusammengestellt sei. Das Fahrgestell und der Antriebsstrang seien zum großen Teil beibehalten worden. Mit Bescheid vom 10. Februar 2014 lehnte der RDW den Antrag von X und Y auf Eintragung in das Zulassungsregister wegen der Änderungen gegenüber dem ursprünglichen Modell ab.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point26">26</a>      Auf der Grundlage einer zweiten Zulassungsbescheinigung, die von der zuständigen belgischen Behörde am 19. Mai 2014 ausgestellt wurde, stellten X und Y am 4. Juni 2014 einen neuen Zulassungsantrag. Mit Schreiben vom 18. Juli 2014 teilte der RDW mit, dass ein Auskunftsersuchen an die belgischen Behörden gestellt worden sei. Aus den daraufhin erteilten Auskünften gehe hervor, dass die belgischen Behörden für die Ausstellung der Zulassungsbescheinigung die ursprüngliche englische Zulassungsbescheinigung von 1950 herangezogen hätten. Wegen dieser Sachlage wies der RDW den zweiten Eintragungsantrag mit Bescheid vom 27. August 2014 ab.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point27">27</a>      Das Kraftfahrzeug der Marke Alvis, für das am 14. Oktober 2013 auf der Grundlage der Angaben in der Begleitdokumentation des Herstellers eine englische Zulassungsbescheinigung ausgestellt wurde, hatte ebenfalls einige erhebliche Änderungen erfahren. Der RDW ersuchte daher für die Entscheidung über den Zulassungsantrag von Z die zuständige englische Behörde um Auskünfte. Diese teilte ihm mit, dass sie das Fahrzeug auf der Grundlage der Angaben in der Begleitdokumentation des Herstellers sowie von Fotos und Informationen eines Fahrzeugeigentümervereins zugelassen habe. Keine Auskunft erhielt der RDW zu der Frage, auf welcher Datengrundlage die englische Zulassungsbescheinigung für den Alvis ausgestellt worden war. Mit Bescheid vom 29. September 2014 lehnte der RDW den Zulassungsantrag von Z ab.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point28">28</a>      Der RDW gab in seinen Bescheiden vom 10. Februar 2014 und 29. September 2014 an, dass er die Zulassungen deshalb abgelehnt habe, weil die betreffenden Fahrzeuge, da sie nicht die technischen Anforderungen der Richtlinie 2007/46 erfüllten, keine Fahrzeuge im Sinne von Art. 3 dieser Richtlinie und Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 1999/37 seien, so dass die Richtlinie 1999/37 im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei. Sollten die Fahrzeuge doch unter die Richtlinie 1999/37 fallen, seien die von den Behörden anderer Mitgliedstaaten bereits ausgestellten Zulassungsbescheinigungen jedenfalls keine harmonisierten Zulassungsbescheinigungen im Sinne dieser Richtlinie und müssten somit nicht auf ihrer Grundlage anerkannt werden. Außerdem ließen diese Bescheinigungen keine Identifizierung der Fahrzeuge zu. In ihrer gegenwärtigen Zusammenstellung wären die Fahrzeuge zu dem Zeitpunkt, zu dem sie ihre erste Zulassungsbescheinigung erhalten hätten, 1950 bzw. 1938, nicht zum Straßenverkehr zugelassen worden. Aus den ihm vorliegenden Dokumenten ergebe sich auch nicht klar, ob die Fahrzeuge nach ihrem Umbau eine Einzelgenehmigung für eine solche Zulassung erhalten hätten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point29">29</a>      X und Y sowie Z erhoben jeweils Klage gegen die sie betreffenden Bescheide über die Ablehnung der Zulassung. Nach Auffassung der in erster Instanz angerufenen Gerichte fallen die Fahrzeuge in den Geltungsbereich der Richtlinie 1999/37. Die Richtlinie sei somit anwendbar und die Fahrzeuge seien anhand ihrer Zulassungsbescheinigungen, bei denen es sich um harmonisierte Bescheinigungen im Sinne der Richtlinie handele, identifizierbar. Daher sei der RDW verpflichtet gewesen, X und Y eine niederländische Zulassungsbescheinigung auszustellen, und müsse über den Zulassungsantrag von Z noch einmal entscheiden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point30">30</a>      Gegen diese Urteile legte der RDW beim vorlegenden Gericht Rechtsmittel ein. Auch X und Y legten gegen das sie betreffende Urteil beim vorlegenden Gericht Rechtsmittel ein.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point31">31</a>      Das vorlegende Gericht führt aus, der Rechtsstreit betreffe die Frage, ob der RDW gegen Art. 25b der Zulassungsverordnung in ihrer Auslegung anhand von Art. 4 der Richtlinie 1999/37 verstoßen habe, als er die Zulassungsbescheinigungen für die Fahrzeuge der Marken Bentley und Alvis im Hinblick auf die Zulassung in den Niederlanden nicht anerkannt habe. Dafür sei die Anwendbarkeit dieser Richtlinie zu klären. Im vorliegenden Fall entsprächen diese Dokumente zwar formell dem in der Richtlinie vorgegebenen Modell, doch seien einige Pflichtangaben, die bei einer Untersuchung des Fahrzeugs leicht ermittelt werden könnten, nicht darin enthalten. Schließlich sei fraglich, ob der RDW anlässlich eines Antrags auf Anerkennung der von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Zulassungsbescheinigung die betreffenden Fahrzeuge untersuchen dürfe, um zu klären, ob sie die technischen Anforderungen der Richtlinie 2007/46 erfüllten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point32">32</a>      Da der Raad van State (Staatsrat, Niederlande) davon ausging, dass die Entscheidung über die bei ihm anhängigen und von ihm verbundenen Rechtsstreitigkeiten eine Auslegung der Bestimmungen der Richtlinien 1999/37 und 2007/46 erfordere, hat er beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Ist die Richtlinie 1999/37 auf Kraftfahrzeuge anwendbar, die schon vor dem 29. April 2009 existierten, dem Zeitpunkt, seit dem die Mitgliedstaaten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2007/46/EG anwenden müssen?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Ist ein Kraftfahrzeug, das einerseits aus wesentlichen Bauteilen zusammengestellt ist, die vor dem Beginn der Anwendung der Richtlinie 2007/46 angefertigt wurden, und andererseits aus wesentlichen Bauteilen, die erst nach dem Beginn der Anwendung dieser Richtlinie hinzugefügt wurden, ein Kraftfahrzeug, das bereits vor dem Beginn der Anwendung der Richtlinie existierte, oder ist ein solches Kraftfahrzeug erst nach dem Beginn der Anwendung der Richtlinie hergestellt worden?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">3.      Gilt aufgrund von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 1999/37 das Zulassungserfordernis im Sinne von Art. 4 dieser Richtlinie uneingeschränkt, wenn in der Zulassungsbescheinigung bei bestimmten (nach den Anhängen der Richtlinie zwingend anzugebenden) Gemeinschaftscodes keine Daten eingetragen worden sind, sofern diese Daten einfach zu ermitteln sind?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">4.      Ist es nach Art. 4 der Richtlinie 1999/37 zulässig, eine Zulassungsbescheinigung eines anderen Mitgliedstaats anzuerkennen, das Fahrzeug aber dennoch einer technischen Kontrolle im Sinne von Art. 24 Abs. 6 der Richtlinie 2007/46 zu unterziehen und, wenn das Fahrzeug nicht den technischen Vorschriften des Mitgliedstaats entspricht, daran die Folge zu knüpfen, dass die Ausstellung der Zulassungsbescheinigung verweigert wird?</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Zu den Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur ersten Frage</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point33">33</a>      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 1999/37 in Verbindung mit Art. 3 Nrn. 11 und 13 der Richtlinie 2007/46 dahin auszulegen ist, dass die Richtlinie 1999/37 auf Dokumente anwendbar ist, die von den Mitgliedstaaten bei der Zulassung von vor dem 29. April 2009 hergestellten Fahrzeugen – dem Zeitpunkt des Fristablaufs für die Umsetzung der Richtlinie 2007/46 – ausgestellt werden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point34">34</a>      Nach Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 1999/37 bezeichnet der Ausdruck „Fahrzeug“ im Sinne dieser Richtlinie jedes Fahrzeug gemäß der Begriffsbestimmung des Art. 2 der Richtlinie 70/156.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point35">35</a>      Somit war die Richtlinie 1999/37 ab dem Zeitpunkt ihres Erlasses auf Fahrzeuge anwendbar, die vor dem 29. April 2009 in den Verkehr gebracht wurden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point36">36</a>      Diese Feststellung wird durch Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 1999/37 bestätigt, wonach, wenn für ein Fahrzeug, das vor der Anwendung dieser Richtlinie zugelassen wurde, eine neue Zulassungsbescheinigung ausgestellt wird, die Mitgliedstaaten für diese Bescheinigung ein Modell gemäß dieser Richtlinie verwenden und sie sich dabei auf die Eintragungen beschränken können, für die die erforderlichen Angaben vorliegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point37">37</a>      Es handelt sich bei dieser Bestimmung nämlich um eine Sonderregelung für Fahrzeuge, die vor der Anwendung der Richtlinie 1999/37 zugelassen wurden, deren Umsetzungsfrist in Art. 8 dieser Richtlinie auf den 1. Juni 2004 festgesetzt war.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point38">38</a>      Die Feststellung wird auch durch das mit der Richtlinie 1999/37 verfolgte Ziel bestätigt, das nach dem sechsten Erwägungsgrund darin besteht, durch die Harmonisierung der Zulassungsbescheinigung die erneute Zulassung von Fahrzeugen zu erleichtern, die zuvor in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen waren. Der Ausschluss der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Zulassungsdokumente für Fahrzeuge, die vor dem 29. April 2009 hergestellt wurden, vom Geltungsbereich dieser Richtlinie liefe diesem Ziel nämlich zuwider.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point39">39</a>      Der Umstand allein, dass die Richtlinie 70/156 mit Wirkung vom 29. April 2009 durch die Richtlinie 2007/46 aufgehoben wurde, deren Art. 49 bestimmt, dass Verweisungen auf die aufgehobene Richtlinie als Verweisungen auf die Richtlinie 2007/46 gelten und nach Maßgabe der Entsprechungstabelle in Anhang XXI zu lesen sind, steht der Feststellung nicht entgegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point40">40</a>      Zwar ergibt sich aus diesem Anhang XXI, dass die Verweisungen auf Art. 2 der Richtlinie 70/156 als Verweisungen auf Art. 3 der Richtlinie 2007/46 gelten. Auch trifft es zu, dass nach Art. 3 Nr. 11 in Verbindung mit Nr. 13 ein Kraftfahrzeug entweder vollständig, vervollständigt oder unvollständig ist und gemäß den Nrn. 19 bis 21 dieses Artikels das unvollständige Fahrzeug einer Vervollständigung gemäß den technischen Anforderungen der Richtlinie 2007/46 bedarf, während vollständige und vervollständigte Fahrzeuge diesen Anforderungen entsprechen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point41">41</a>      Jedoch kann dieser Verweis auf Art. 3 der Richtlinie 2007/46, der allein zum Ziel hat, den Begriff „Fahrzeug“ zu definieren, nicht dahin ausgelegt werden, dass er für die vor dem 29. April 2009 in Betrieb genommenen Fahrzeuge vorschreibt, dass sie die technischen Anforderungen der Richtlinie 2007/46 erfüllen müssen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point42">42</a>      Es ist nämlich in Übereinstimmung mit der Kommission festzustellen, dass solche technischen Anforderungen schon nach Art. 1 der Richtlinie 2007/46 nur für Genehmigungen von Neufahrzeugen ab dem 29. April 2009 gelten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point43">43</a>      Es ist daher auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 1999/37 in Verbindung mit Art. 3 Nrn. 11 und 13 der Richtlinie 2007/46 dahin auszulegen ist, dass die Richtlinie 1999/37 auf Dokumente anwendbar ist, die von den Mitgliedstaaten bei der Zulassung von vor dem 29. April 2009 hergestellten Fahrzeugen – dem Zeitpunkt des Fristablaufs für die Umsetzung der Richtlinie 2007/46 – ausgestellt werden.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur zweiten Frage</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point44">44</a>      In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage nicht zu beantworten.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur dritten Frage</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point45">45</a>      Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 4 der Richtlinie 1999/37 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass sich die Behörden des Mitgliedstaats, in dem eine erneute Zulassung eines Gebrauchtfahrzeugs beantragt wird, weigern dürfen, die Zulassungsbescheinigung anzuerkennen, die von dem Mitgliedstaat ausgestellt wurde, in dem das Fahrzeug zuvor zugelassen war, und zwar mit der Begründung, dass einige Pflichtangaben von Zulassungsbescheinigungen fehlten, aber einfach zu ermitteln seien.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point46">46</a>      Zunächst ergibt sich schon aus dem Wortlaut von Art. 4 der Richtlinie 1999/37, wonach eine Zulassungsbescheinigung, die von einem Mitgliedstaat gemäß dem im Anhang dieser Richtlinie enthaltenen Modell erteilt wurde, von den anderen Mitgliedstaaten im Hinblick auf die erneute Zulassung des Fahrzeugs in diesen Staaten anerkannt wird, dass dieser Artikel den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Beachtung des Grundsatzes der Anerkennung der Zulassungsbescheinigungen von Fahrzeugen keinen Ermessensspielraum lässt (Urteil vom 6. September 2012, Kommission/Belgien, C‑150/11, EU:C:2012:539, Rn. 73).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point47">47</a>      Der Gerichtshof hat entschieden, dass die Richtlinie 1999/37 es den Mitgliedstaaten nicht erlaubt, bei der Zulassung eines zuvor in einem anderen Mitgliedstaat zugelassenen Fahrzeugs ein anderes Dokument als die Zulassungsbescheinigung zu verlangen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2012, Kommission/Belgien, C‑150/11, EU:C:2012:539, Rn. 79).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point48">48</a>      Der Gerichtshof hat jedoch festgestellt, dass ein Mitgliedstaat vor der Zulassung eines Fahrzeugs, das zuvor in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen war, das Fahrzeug identifizieren und dafür verlangen darf, dass es vorgeführt und dabei technisch untersucht wird, um festzustellen, ob sich das Fahrzeug tatsächlich in seinem Hoheitsgebiet befindet und den Angaben in der Zulassungsbescheinigung entspricht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. September 2007, Kommission/Niederlande, C‑297/05, EU:C:2007:531‚ Rn. 54, 55 und 57 bis 63).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point49">49</a>      Eine solche Vorführung ist vom Gerichtshof als einfache administrative Formalität angesehen worden, die keine zusätzliche Untersuchung einführt, sondern mit der Bearbeitung des Zulassungsantrags selbst und dem Ablauf des Verfahrens einhergeht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. September 2007, Kommission/Niederlande, C‑297/05, EU:C:2007:531‚ Rn. 58).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point50">50</a>      Zu den Zielen der Richtlinie 1999/37 ist darauf hinzuweisen, dass mit dieser Richtlinie dazu beigetragen werden soll, dass Fahrzeuge ungehindert im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten verkehren können, indem die Richtlinie als notwendige Voraussetzung für die erneute Zulassung eines zuvor in einem anderen Mitgliedstaat zugelassenen Fahrzeugs die Vorlage einer Bescheinigung vorsieht, in der diese Zulassung sowie die technischen Merkmale des Fahrzeugs bestätigt werden, um die erneute Zulassung dieser Fahrzeuge in einem anderen Mitgliedstaat zu erleichtern und auf diese Weise zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts beizutragen (Urteil vom 6. September 2012, Kommission/Belgien, C‑150/11, EU:C:2012:539, Rn. 74).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point51">51</a>      Ferner muss sich nach dem vierten Erwägungsgrund dieser Richtlinie anhand des Inhalts der Zulassungsbescheinigung überprüfen lassen, ob der Inhaber eines Führerscheins ausschließlich Fahrzeuge der Klassen führt, für die er eine Fahrerlaubnis besitzt, wodurch ein Beitrag zur Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr geleistet wird.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point52">52</a>      Die zuvor von einem Mitgliedstaat erteilte Zulassungsbescheinigung muss die Identifizierung des betreffenden Fahrzeugs ermöglichen und dieses muss für seine erneute Zulassung in einem anderen Mitgliedstaat den Angaben in dieser Bescheinigung entsprechen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. September 2007, Kommission/Niederlande, C‑297/05, EU:C:2007:531‚ Rn. 54 bis 56), um sicherzustellen, dass die Anforderungen der Straßenverkehrssicherheit eingehalten werden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point53">53</a>      Es ist hinzuzufügen, dass sich die Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 1999/37, wenn – wie in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten – für ein Fahrzeug, das vor der Anwendung dieser Richtlinie, also vor dem 1. Juni 2004, zugelassen wurde, eine neue Zulassungsbescheinigung ausgestellt wird, auf die Eintragungen beschränken können, für die die erforderlichen Angaben vorliegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point54">54</a>      Wie der Generalanwalt in Nr. 67 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, bedeutet die Nutzung dieser Ausnahme durch die Mitgliedstaaten nicht, dass die betreffende Zulassungsbescheinigung später nicht mehr anerkannt werden müsste.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point55">55</a>      Da sich dem Vorabentscheidungsersuchen jedoch entnehmen lässt, dass zumindest einige der Pflichtangaben, die in den Zulassungsbescheinigungen, um die es im Ausgangsverfahren geht, wie z. B. die Zahl der Sitzplätze, fehlen, einfach ermittelt werden können, sind diese Angaben als zum Zeitpunkt der Ausstellung dieser Zulassungsbescheinigungen verfügbar anzusehen. Wegen der erheblichen Änderungen an den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Fahrzeugen waren einige wesentliche technische Merkmale in diesen Zulassungsbescheinigungen nicht aufgeführt und sah sich der RDW nicht in der Lage, diese Fahrzeuge zu identifizieren.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point56">56</a>      Wie insoweit aus Rn. 48 des vorliegenden Urteils hervorgeht, müssen die Angaben in einer vor der Anwendung dieser Richtlinie erteilten Zulassungsbescheinigung dem Fahrzeug entsprechen, das in dieser Bescheinigung beschrieben ist, und die Identifizierung des betreffenden Fahrzeugs auf der Grundlage einer einfachen Prüfung wie der in den Rn. 48 und 49 des vorliegenden Urteils genannten zulassen, die keine zusätzliche Untersuchung umfasst.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point57">57</a>      Ist das nicht der Fall, dürfen die Behörden des Mitgliedstaats, in dem die erneute Zulassung eines zuvor in einem anderen Mitgliedstaat zugelassenen Fahrzeugs beantragt wird, die Anerkennung einer solchen Bescheinigung verweigern.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point58">58</a>      Was die Sachverhalte in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten anbelangt, ist es Sache des vorlegenden Gerichts, nicht nur zu prüfen, ob die Angaben in den Zulassungsbescheinigungen, um die es im Ausgangsverfahren geht, den Fahrzeugen entsprechen, die in ihnen beschrieben sind, sondern auch, ob sie zu ihrer Identifizierung ausreichen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point59">59</a>      Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 4 der Richtlinie 1999/37 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass sich die Behörden des Mitgliedstaats, in dem die erneute Zulassung eines Gebrauchtfahrzeugs beantragt wird, weigern dürfen, die Zulassungsbescheinigung anzuerkennen, die von dem Mitgliedstaat ausgestellt wurde, in dem das Fahrzeug zuvor zugelassen war, wenn einige Pflichtangaben fehlen, die Angaben in der Zulassungsbescheinigung nicht diesem Fahrzeug entsprechen und die Zulassungsbescheinigung keine Identifizierung des Fahrzeugs zulässt.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur vierten Frage</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point60">60</a>      Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 24 Abs. 6 der Richtlinie 2007/46 dahin auszulegen ist, dass er es erlaubt, ein in einem Mitgliedstaat zugelassenes Fahrzeug einer technischen Untersuchung zu unterziehen, wenn dieses für die erneute Zulassung in einem anderen Mitgliedstaat vorgeführt wird.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point61">61</a>      Wie in Rn. 42 des vorliegenden Urteils ausgeführt, gilt die Richtlinie 2007/46 und damit auch Art. 24 dieser Richtlinie nur für Neufahrzeuge.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point62">62</a>      Die im Ausgangsverfahren in Frage stehenden Fahrzeuge sind jedoch Gebrauchtfahrzeuge, die 1950 und 1938 hergestellt wurden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point63">63</a>      Wie die Kommission zutreffend dargelegt hat, stellt sich die Frage, ob diese Fahrzeuge seit ihrem Herstellungsjahr so verändert wurden, dass sie Neufahrzeugen gleichzustellen und damit eventuell einer Einzelgenehmigung zugänglich wären, in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten deshalb nicht, weil die Fahrzeuge unstreitig zwischen dem Zeitpunkt, zu dem die Zulassungsbescheinigungen ausgestellt wurden, und dem Zeitpunkt, zu dem die Eintragungen in das niederländische Zulassungsregister beantragt wurden, nicht wesentlich verändert wurden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point64">64</a>      Daher können solche Fahrzeuge nicht als Neufahrzeuge im Sinne der Richtlinie 2007/46 angesehen werden, so dass Art. 24 Abs. 6 dieser Richtlinie nicht auf sie anwendbar sein kann.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point65">65</a>      Jedoch hindert der Umstand, dass ein einzelstaatliches Gericht sein Vorabentscheidungsersuchen seiner Form nach unter Bezugnahme auf bestimmte Vorschriften des Unionsrechts formuliert hat, den Gerichtshof nicht daran, diesem Gericht unabhängig davon, worauf es in seinen Fragen Bezug genommen hat, alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die ihm bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von Nutzen sein können. Der Gerichtshof hat insoweit aus dem gesamten von dem einzelstaatlichen Gericht vorgelegten Material, insbesondere der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (Urteil vom 29. September 2016, Essent Belgium, C‑492/14, EU:C:2016:732, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point66">66</a>      Im vorliegenden Fall ist der Vorlageentscheidung zu entnehmen, dass nach den Feststellungen des RDW die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Fahrzeuge seit ihrer Erstinbetriebnahme erheblich verändert wurden und die vorgelegten Bescheinigungen einige Lücken aufwiesen. Wie die Kommission ausgeführt hat, könnte der Sachverhalt in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten unter die Richtlinie 2009/40 fallen, wenn diese Feststellungen Zweifel hinsichtlich der Straßenverkehrssicherheit aufwerfen würden, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point67">67</a>      Art. 3 Abs. 2 dieser Richtlinie bestimmt insoweit, dass jeder Mitgliedstaat den in einem anderen Mitgliedstaat erteilten Nachweis darüber, dass ein im Hoheitsgebiet des betreffenden anderen Mitgliedstaats zugelassenes Kraftfahrzeug einer technischen Untersuchung, die mindestens den Anforderungen dieser Richtlinie entspricht, mit positivem Ergebnis unterzogen worden ist, in der gleichen Weise anerkennt, als hätte er diesen Nachweis selbst erteilt. Art. 5 Buchst. a dieser Richtlinie sieht hingegen ausdrücklich vor, dass die Mitgliedstaaten den Zeitpunkt für die erste obligatorische technische Untersuchung vorverlegen und gegebenenfalls eine Untersuchung vor der Zulassung des Fahrzeugs vorschreiben können.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point68">68</a>      Wie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, sind die Mitgliedstaaten grundsätzlich verpflichtet, für Fahrzeuge, die zuvor in anderen Mitgliedstaaten zugelassen waren, die Ergebnisse der in diesen anderen Mitgliedstaaten durchgeführten technischen Untersuchungen zu berücksichtigen, und darf die technische Untersuchung für diese Fahrzeuge nicht allgemein und systematisch vorgeschrieben werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Juni 2008, Kommission/Polen, C‑170/07, nicht veröffentlicht, EU:C:2008:322‚ Rn. 39 und 44, sowie vom 6. September 2012, Kommission/Belgien, C‑150/11, EU:C:2012:539‚ Rn. 62). In Anbetracht der Bedeutung des Ziels, die Straßenverkehrssicherheit in der Union zu gewährleisten, das mit der Richtlinie 2009/40, wie sich aus ihrem zweiten Erwägungsgrund ergibt, verfolgt wird, darf der Mitgliedstaat ein eingeführtes Fahrzeug vor seiner Zulassung in diesem Staat gleichwohl einer Untersuchung unterziehen, wenn trotz Berücksichtigung der Ergebnisse der in einem anderen Mitgliedstaat vorgenommenen technischen Untersuchungen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dieses Fahrzeug tatsächlich ein Risiko für die Straßenverkehrssicherheit darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2012, Kommission/Belgien, C‑150/11, EU:C:2012:539‚ Rn. 59 bis 61).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point69">69</a>      Somit ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art. 24 Abs. 6 der Richtlinie 2007/46 dahin auszulegen ist, dass die in ihm enthaltene Regelung nicht auf ein Gebrauchtfahrzeug anwendbar ist, das bereits in einem Mitgliedstaat zugelassen war, wenn dieses auf der Grundlage von Art. 4 der Richtlinie 1999/37 der dafür zuständigen Behörde eines anderen Mitgliedstaats für eine erneute Zulassung vorgeführt wird. Liegen jedoch Anhaltspunkte dafür vor, dass dieses Fahrzeug ein Risiko für die Straßenverkehrssicherheit darstellt, kann diese Behörde nach Art. 5 Buchst. a der Richtlinie 2009/40 vor der Zulassung des Fahrzeugs eine Untersuchung verlangen.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Kosten</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point70">70</a>      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.</p>
<p class="C41DispositifIntroduction">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:</p>
<p class="C08Dispositif">1.      <b>Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 1999/37/EG des Rates vom 29. April 1999 über Zulassungsdokumente für Fahrzeuge in Verbindung mit Art. 3 Nrn. 11 und 13 der Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge ist dahin auszulegen, dass die Richtlinie 1999/37 auf Dokumente anwendbar ist, die von den Mitgliedstaaten bei der Zulassung von vor dem 29. April 2009 hergestellten Fahrzeugen – dem Zeitpunkt des Fristablaufs für die Umsetzung der Richtlinie 2007/46 – ausgestellt werden.</b>
</p>
<p class="C08Dispositif">2.      <b>Art. 4 der Richtlinie 1999/37 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 dieser Richtlinie ist dahin auszulegen, dass sich die Behörden des Mitgliedstaats, in dem die erneute Zulassung eines Gebrauchtfahrzeugs beantragt wird, weigern dürfen, die Zulassungsbescheinigung anzuerkennen, die von dem Mitgliedstaat ausgestellt wurde, in dem das Fahrzeug zuvor zugelassen war, wenn einige Pflichtangaben fehlen, die Angaben in der Zulassungsbescheinigung nicht diesem Fahrzeug entsprechen und die Zulassungsbescheinigung keine Identifizierung des Fahrzeugs zulässt.</b>
</p>
<p class="C08Dispositif">3.      <b>Art. 24 Abs. 6 der Richtlinie 2007/46 ist dahin auszulegen, dass die in ihm enthaltene Regelung nicht auf ein Gebrauchtfahrzeug anwendbar ist, das bereits in einem Mitgliedstaat zugelassen war, wenn dieses auf der Grundlage von Art. 4 der Richtlinie 1999/37 der dafür zuständigen Behörde eines anderen Mitgliedstaats für eine erneute Zulassung vorgeführt wird. Liegen jedoch Anhaltspunkte dafür vor, dass dieses Fahrzeug ein Risiko für die Straßenverkehrssicherheit darstellt, kann diese Behörde nach Art. 5 Buchst. a der Richtlinie 2009/40/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 über die technische Überwachung der Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger vor der Zulassung des Fahrzeugs eine Untersuchung verlangen.</b>
</p>
<p class="C77Signatures">Unterschriften</p>
<hr/>
<p class="C42FootnoteLangue">
<a href="#Footref*" name="Footnote*">*</a>      Verfahrenssprachen: Englisch und Niederländisch.</p>
|
175,020 | eugh-2019-01-24-c-16517 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-165/17 | 2019-01-24T00:00:00 | 2019-01-31T19:20:46 | 2019-01-31T19:20:46 | Urteil | ECLI:EU:C:2019:58 | <p>Vorläufige Fassung</p>
<p class="C19Centre">URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)</p>
<p class="C19Centre">24. Januar 2019(<a href="#Footnote*" name="Footref*">*</a>)</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerrecht – Mehrwertsteuer – Sechste Richtlinie 77/388/EWG – Richtlinie 2006/112/EG – Vorsteuerabzug – Gegenstände und Dienstleistungen, die sowohl für steuerpflichtige als auch für steuerfreie Umsätze verwendet werden (gemischt verwendete Gegenstände und Dienstleistungen) – Bestimmung des anwendbaren Pro‑rata‑Satzes des Vorsteuerabzugs – In einem anderen Mitgliedstaat als dem der Hauptniederlassung der Gesellschaft befindliche Zweigniederlassung – Ausschließlich für die Bewirkung von Umsätzen der Hauptniederlassung bestimmte Ausgaben der Zweigniederlassung – Allgemeine Kosten der Zweigniederlassung, die zur Bewirkung sowohl ihrer Umsätze als auch jener der Hauptniederlassung beitragen“</p>
<p class="C02AlineaAltA">In der Rechtssache C‑165/17</p>
<p class="C02AlineaAltA">betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d'État (Staatsrat, Frankreich) mit Entscheidung vom 29. März 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 3. April 2017, in dem Verfahren</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Morgan Stanley & Co International plc</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">gegen</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Ministre de l’Économie et des Finances</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">erlässt</p>
<p class="C19Centre">DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Mitwirkung des Präsidenten der Siebten Kammer T. von Danwitz in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, der Richterin K. Jürimäe sowie der Richter C. Lycourgos, E. Juhász und C. Vajda (Berichterstatter),</p>
<p class="C02AlineaAltA">Generalanwalt: P. Mengozzi,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. März 2018,</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Berücksichtigung der Erklärungen</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Morgan Stanley & Co International plc, vertreten durch C. Aldebert und C. Reinbold, avocats,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas, E. de Moustier, A. Alidière und S. Ghiandoni als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, M. Figueiredo und R. Campos Laires als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Europäischen Kommission, vertreten durch N. Gossement und R. Lyal als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C02AlineaAltA">nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. Oktober 2018</p>
<p class="C02AlineaAltA">folgendes</p>
<p class="C75Debutdesmotifs">
<b>Urteil</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point1">1</a>        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 17 Abs. 2, 3 und 5 und Art. 19 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie) sowie der Art. 168, 169 und 173 bis 175 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point2">2</a>        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Morgan Stanley & Co International plc (im Folgenden: Morgan Stanley) und dem Ministre de l’Économie et des Finances (Minister für Wirtschaft und Finanzen, Frankreich, im Folgenden: Finanzverwaltung) wegen des Abzugs der Mehrwertsteuer, die die Pariser Zweigniederlassung von Morgan Stanley (im Folgenden: Pariser Zweigniederlassung) erstens für die Ausgaben, die für die Bewirkung von Umsätzen der im Vereinigten Königreich befindlichen Hauptniederlassung bestimmt sind, und zweitens für die allgemeinen Kosten, die zur Bewirkung sowohl der Umsätze der Hauptniederlassung als auch jener der Zweigniederlassung beitragen, entrichtet hat.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Sechste Richtlinie</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point3">3</a>        Nach Art. 4 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie galt als Steuerpflichtiger, wer eine der in Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten selbständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point4">4</a>        Nach Art. 13 Teil B Buchst. d der Sechsten Richtlinie waren die darin genannten Finanzumsätze von der Mehrwertsteuer befreit.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point5">5</a>        Art. 13 Teil C der Sechsten Richtlinie sah vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Mitgliedstaaten können ihren Steuerpflichtigen das Recht einräumen, für eine Besteuerung zu optieren:</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      bei den Umsätzen nach Teil B Buchstabe d) …</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point6">6</a>        Art. 17 Abs. 2, 3 und 5 der Sechsten Richtlinie bestimmte:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(2)      Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden,</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)      Die Mitgliedstaaten gewähren jedem Steuerpflichtigen darüber hinaus den Abzug oder die Erstattung der in Absatz 2 genannten Mehrwertsteuer, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen verwendet werden für Zwecke:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      seiner Umsätze, die sich aus den im Ausland ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeiten im Sinne des Artikels 4 Absatz 2 ergeben, für die das Recht auf Vorsteuerabzug bestünde, wenn diese Umsätze im Inland bewirkt worden wären;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(5)      Soweit Gegenstände und Dienstleistungen von einem Steuerpflichtigen sowohl für Umsätze verwendet werden, für die nach den Absätzen 2 und 3 ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, als auch für Umsätze, für die dieses Recht nicht besteht, ist der Vorsteuerabzug nur für den Teil der Mehrwertsteuer zulässig, der auf den Betrag der erstgenannten Umsätze entfällt.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Dieser Pro-rata-Satz wird nach Artikel 19 für die Gesamtheit der vom Steuerpflichtigen bewirkten Umsätze festgelegt.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point7">7</a>        Art. 19 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie lautete:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Der Pro-rata-Satz des Vorsteuerabzugs nach Artikel 17 Absatz 5 Unterabsatz 1 ergibt sich aus einem Bruch; dieser enthält:</p>
<p class="C03Tiretlong">–        im Zähler den je Jahr ermittelten Gesamtbetrag der zum Vorsteuerabzug nach Artikel 17 Absätze 2 und 3 berechtigenden Umsätze, abzüglich der Mehrwertsteuer;</p>
<p class="C03Tiretlong">–        im Nenner den je Jahr ermittelten Gesamtbetrag der im Zähler stehenden sowie der nicht zum Vorsteuerabzug berechtigenden Umsätze, abzüglich der Mehrwertsteuer. Die Mitgliedstaaten können in den Nenner auch die Subventionen einbeziehen, die nicht in Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a) genannt sind.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Der Pro-rata-Satz wird auf Jahresbasis in Prozent festgesetzt und auf einen vollen Prozentsatz aufgerundet.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point8">8</a>        Im Rahmen der Neufassung der Sechsten Richtlinie wurden ihre Bestimmungen mit Wirkung vom 1. Januar 2007 durch die Bestimmungen der Richtlinie 2006/112 ersetzt.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Richtlinie 2006/112</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point9">9</a>        Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2006/112 lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Als ‚Steuerpflichtiger‘ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point10">10</a>      Nach Art. 137 Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie können die Mitgliedstaaten ihren Steuerpflichtigen das Recht einräumen, sich bei den in Art. 135 Abs. 1 Buchst. b bis g der Richtlinie genannten Finanzumsätzen für eine Besteuerung zu entscheiden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point11">11</a>      In Art. 168 der Richtlinie 2006/112 heißt es:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point12">12</a>      Art. 169 der Richtlinie 2006/112 bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Über den Vorsteuerabzug nach Artikel 168 hinaus hat der Steuerpflichtige das Recht, die in jenem Artikel genannte Mehrwertsteuer abzuziehen, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke folgender Umsätze verwendet werden:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      für seine Umsätze, die sich aus den in Artikel 9 Absatz 1 Unterabsatz 2 genannten Tätigkeiten ergeben, die außerhalb des Mitgliedstaats, in dem diese Steuer geschuldet oder entrichtet wird, bewirkt werden und für die das Recht auf Vorsteuerabzug bestünde, wenn sie in diesem Mitgliedstaat bewirkt worden wären;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point13">13</a>      Art. 173 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Soweit Gegenstände und Dienstleistungen von einem Steuerpflichtigen sowohl für Umsätze verwendet werden, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug gemäß den Artikeln 168, 169 und 170 besteht, als auch für Umsätze, für die kein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, darf nur der Teil der Mehrwertsteuer abgezogen werden, der auf den Betrag der erstgenannten Umsätze entfällt.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Der Pro-rata-Satz des Vorsteuerabzugs wird gemäß den Artikeln 174 und 175 für die Gesamtheit der von dem Steuerpflichtigen bewirkten Umsätze festgelegt.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point14">14</a>      In Art. 174 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 heißt es:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Der Pro-rata-Satz des Vorsteuerabzugs ergibt sich aus einem Bruch, der sich wie folgt zusammensetzt:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      im Zähler steht der je Jahr ermittelte Gesamtbetrag – ohne Mehrwertsteuer – der Umsätze, die zum Vorsteuerabzug gemäß den Artikeln 168 und 169 berechtigen;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      im Nenner steht der je Jahr ermittelte Gesamtbetrag – ohne Mehrwertsteuer – der im Zähler stehenden Umsätze und der Umsätze, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigen.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point15">15</a>      Nach Art. 175 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 wird der <i>Pro-rata</i>-Satz des Vorsteuerabzugs auf Jahresbasis in Prozent festgesetzt und auf einen vollen Prozentsatz aufgerundet.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point16">16</a>      Der Vorlageentscheidung zufolge unterliegt die Pariser Zweigniederlassung – als feste Niederlassung – in Frankreich der Mehrwertsteuer. Bei ihr wurden zwei Buchprüfungen bezüglich der Mehrwertsteuer für die Zeiträume vom 1. Dezember 2002 bis zum 30. April 2005 und vom 1. Dezember 2005 bis zum 30. April 2009 vorgenommen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point17">17</a>      Anlässlich dieser Prüfungen wurde festgestellt, dass diese Zweigniederlassung zum einen für ihre örtlichen Kunden Bank- und Finanzumsätze tätigte, hinsichtlich deren sie sich für eine Besteuerung mit der Mehrwertsteuer entschieden hatte, und zum anderen zugunsten der im Vereinigten Königreich gelegenen Hauptniederlassung Dienstleistungen erbrachte, für die sie als Gegenleistung Zahlungen erhielt. Die auf die Ausgaben im Zusammenhang mit diesen beiden Kategorien von Leistungen entfallene Mehrwertsteuer brachte die Zweigniederlassung in vollem Umfang als Vorsteuer in Abzug.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point18">18</a>      Die Steuerverwaltung vertrat die Auffassung, dass für die Mehrwertsteuer, die auf den Erwerb von Gegenständen und Dienstleistungen entfallen sei, die ausschließlich für die mit der im Vereinigten Königreich befindlichen Hauptniederlassung getätigten internen Umsätze verwendet worden seien, kein Recht auf Vorsteuerabzug bestehen könne, da diese Umsätze außerhalb des Anwendungsbereichs der Mehrwertsteuer lägen. Als erleichternde Maßnahme gestattete sie jedoch den Abzug eines Teils der fraglichen Steuer durch Anwendung des für die Hauptniederlassung geltenden <i>Pro-rata</i>-Satzes des Vorsteuerabzugs, vorbehaltlich der in Frankreich geltenden Ausschlüsse des Rechts auf Vorsteuerabzug. In Bezug auf die gemischten Ausgaben im Zusammenhang sowohl mit Umsätzen mit der im Vereinigten Königreich befindlichen Hauptniederlassung als auch solchen mit den Kunden der Pariser Zweigniederlassung ging die Steuerverwaltung davon aus, dass diese nur teilweise abzugsfähig seien, und wandte den für die Hauptniederlassung geltenden <i>Pro-rata</i>-Satz des Vorsteuerabzugs an, korrigiert um den Umsatz der Pariser Zweigniederlassung, für den ein Recht auf Vorsteuerabzug bestand, und vorbehaltlich der in Frankreich geltenden Ausschlüsse des Rechts auf Vorsteuerabzug.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point19">19</a>      Angesichts dieser Berichtigungen forderte die Steuerverwaltung Morgan Stanley zur Nachzahlung der beanspruchten Mehrwertsteuer auf. Das Tribunal administratif de Montreuil (Verwaltungsgericht Montreuil, Frankreich) wies die von Morgan Stanley erhobene Klage auf Erlass der erhobenen Nachforderungen ab. Die Berufungen gegen die Entscheidungen dieses Gerichts wurden von der Cour administrative d’appel de Versailles (Verwaltungsgerichtshof Versailles, Frankreich) zurückgewiesen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point20">20</a>      Für den mit einem Rechtsmittel gegen das Berufungsurteil befassten Conseil d’État (Staatsrat, Frankreich) ist zum einen fraglich, ob hinsichtlich der Ausgaben einer in einem ersten Mitgliedstaat befindlichen Zweigniederlassung, die ausschließlich für die Bewirkung von Umsätzen ihrer in einem anderen Mitgliedstaat befindlichen Hauptniederlassung bestimmt sind, die Bestimmungen der Sechsten Richtlinie und der Richtlinie 2006/112 bedeuten, dass der Mitgliedstaat, in dem die Zweigniederlassung registriert ist, auf diese Ausgaben den für die Zweigniederlassung oder den für die Hauptniederlassung geltenden <i>Pro-rata</i>-Satz des Vorsteuerabzugs anzuwenden hat oder aber – in Anlehnung an die im Urteil vom 13. Juli 2000, Monte Dei Paschi di Siena (C‑136/99, EU:C:2000:408), in Bezug auf einen Erstattungsanspruch gewählte Lösung – einen spezifischen <i>Pro</i>‑<i>rata</i>‑Satz des Vorsteuerabzugs, der die in den Mitgliedstaaten der Registrierung der Zweigniederlassung und der Hauptniederlassung anwendbaren Regeln kombiniert, insbesondere unter Berücksichtigung einer eventuell bestehenden Optionsregelung hinsichtlich der Besteuerung der Umsätze mit der Mehrwertsteuer.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point21">21</a>      Zum anderen möchte das vorlegende Gericht wissen, welche Regeln für Ausgaben einer Zweigniederlassung gelten, die zur Bewirkung ihrer Umsätze im Mitgliedstaat ihrer Registrierung und der Umsätze der Hauptniederlassung beitragen, insbesondere im Hinblick auf den Begriff „allgemeine Kosten“ und den <i>Pro</i>‑<i>rata</i>‑Satz des Vorsteuerabzugs.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point22">22</a>      Unter diesen Umständen hat der Conseil d’État (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Wenn die Ausgaben einer in einem ersten Mitgliedstaat befindlichen Zweigniederlassung ausschließlich für die Bewirkung von Umsätzen ihrer in einem anderen Mitgliedstaat befindlichen Hauptniederlassung bestimmt sind, sind dann die in Art. 17 Abs. 2, 3 und 5 sowie Art. 19 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie enthaltenen Bestimmungen, die in die Art. 168, 169 und 173 bis 175 der Richtlinie 2006/112 übernommen wurden, dahin auszulegen, dass der Mitgliedstaat der Zweigniederlassung auf diese Ausgaben den für die Zweigniederlassung geltenden <i>Pro-rata</i>-Satz des Vorsteuerabzugs anzuwenden hat, der auf der Grundlage der im Staat ihrer Registrierung bewirkten Umsätze und der in diesem Staat anwendbaren Regeln bestimmt wird, oder den für die Hauptniederlassung geltenden <i>Pro-rata</i>-Satz des Vorsteuerabzugs oder einen spezifischen <i>Pro-rata</i>-Satz des Vorsteuerabzugs, der die in den Mitgliedstaaten der Registrierung der Zweigniederlassung und der Hauptniederlassung anwendbaren Regeln kombiniert, insbesondere im Hinblick auf eine eventuell bestehende Optionsregelung hinsichtlich der Besteuerung der Umsätze mit der Mehrwertsteuer?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Welche Regeln sind in dem besonderen Fall, dass die Ausgaben der Zweigniederlassung zur Bewirkung sowohl ihrer Umsätze im Staat ihrer Registrierung als auch der Umsätze der Hauptniederlassung beitragen, anzuwenden, insbesondere im Hinblick auf den Begriff „allgemeine Kosten“ und den <i>Pro-rata</i>-Satz des Vorsteuerabzugs?</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Zu den Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur ersten Frage</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point23">23</a>      Zunächst ist festzustellen, dass der Ausgangsrechtsstreit die Besteuerungszeiträume von 2002 bis 2009 betrifft. Daher sind auf den Rechtsstreit sowohl die Sechste Richtlinie als auch die Richtlinie 2006/112, mit der die Sechste Richtlinie mit Wirkung vom 1. Januar 2007 neu gefasst wurde, anwendbar.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point24">24</a>      Des Weiteren ist insofern, als die erste Frage den <i>Pro-rata</i>-Satz des Vorsteuerabzugs betrifft, den die Pariser Zweigniederlassung auf die Ausgaben anzuwenden hat, die sie zur Bewirkung der Umsätze der im Vereinigten Königreich befindlichen Hauptniederlassung getätigt hat, davon auszugehen, dass sich diese Frage auf die von dieser Zweigniederlassung getätigten Ausgaben bezieht, die – ausschließlich –sowohl für im Mitgliedstaat der Hauptniederlassung mehrwertsteuerpflichtige als auch für in diesem Mitgliedstaat mehrwertsteuerfreie Umsätze bestimmt waren (im Folgenden: gemischt verwendete Ausgaben), was übrigens in den schriftlichen Erklärungen von Morgan Stanley bestätigt wurde.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point25">25</a>      Aus diesen Erklärungen geht zudem hervor, dass sich die in der ersten Frage erwähnte Optionsregelung auf die Option bezieht, die die Pariser Zweigniederlassung gemäß der nationalen Regelung zur Umsetzung von Art. 13 Teil C Abs. 1 der Sechsten Richtlinie und Art. 137 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 ausgeübt hat, um die Bank- und Finanzumsätze von Morgan Stanley in Frankreich, die ohne Ausübung dieser Option von der Mehrwertsteuer befreit wären, der Mehrwertsteuer zu unterwerfen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point26">26</a>      Daher möchte das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage wissen, ob Art. 17 Abs. 2, 3 und 5 und Art. 19 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie sowie die Art. 168, 169 und 173 bis 175 der Richtlinie 2006/112 in dem Fall, dass sich eine Zweigniederlassung dafür entschieden hat, die im Mitgliedstaat ihrer Registrierung bewirkten Umsätze, die ohne die Ausübung dieser Option von der Mehrwertsteuer befreit gewesen wären, der Mehrwertsteuer zu unterwerfen, dahin auszulegen sind, dass auf Ausgaben der Zweigniederlassung, die – ausschließlich – sowohl für mehrwertsteuerpflichtige als auch für mehrwertsteuerfreie Umsätze bestimmt sind, die jeweils von der in einem anderen Mitgliedstaat befindlichen Hauptniederlassung, der diese Zweigniederlassung zugeordnet ist, bewirkt werden, der für die Zweigniederlassung geltende <i>Pro-rata</i>-Satz des Vorsteuerabzugs anzuwenden ist, der auf Grundlage der im Mitgliedstaat ihrer Registrierung bewirkten Umsätze und der in diesem Staat anwendbaren Regeln bestimmt wird, oder der für die Hauptniederlassung geltende <i>Pro-rata</i>-Satz des Vorsteuerabzugs oder aber ein spezifischer <i>Pro-rata</i>-Satz des Vorsteuerabzugs, der die Regeln kombiniert, die im Mitgliedstaat der Registrierung der Zweigniederlassung und im Mitgliedstaat der Hauptniederlassung gelten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point27">27</a>      Für die Beantwortung dieser Frage ist als Erstes darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs das Recht der Steuerpflichtigen, von der von ihnen geschuldeten Mehrwertsteuer die Mehrwertsteuer abzuziehen, die für die von ihnen auf der Eingangsstufe erworbenen Gegenstände und empfangenen Dienstleistungen als Vorsteuer geschuldet wird oder entrichtet wurde, ein Grundprinzip des durch das Unionsrecht geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ist. Dieses Recht auf Vorsteuerabzug ist integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer und kann grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. Es kann für die gesamte Steuerbelastung der Eingangsumsätze sofort ausgeübt werden (Urteil vom 15. September 2016, Barlis 06 – Investimentos Imobiliários e Turísticos, C‑516/14, EU:C:2016:690, Rn. 37 und 38 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point28">28</a>      Durch die Regelung über den Vorsteuerabzug soll der Unternehmer vollständig von der im Rahmen aller seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet somit die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck oder ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten selbst grundsätzlich der Mehrwertsteuer unterliegen (Urteil vom 15. September 2016, Barlis 06 – Investimentos Imobiliários e Turísticos, C‑516/14, EU:C:2016:690, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point29">29</a>      Insoweit geht aus Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie und Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 hervor, dass der Steuerpflichtige berechtigt ist, in dem Mitgliedstaat, in dem er seine besteuerten Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer die in diesem Mitgliedstaat für Gegenstände und Dienstleistungen geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer abzuziehen, soweit er die Gegenstände oder Dienstleistungen auf der Ausgangsstufe für die Zwecke dieser Umsätze verwendet hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2016, Barlis 06 – Investimentos Imobiliários e Turísticos, C‑516/14, EU:C:2016:690, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point30">30</a>      So hat der Gerichtshof entschieden, dass die Mehrwertsteuer nur abgezogen werden kann, wenn die Eingangsumsätze direkt und unmittelbar mit zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätzen zusammenhängen. Das Recht auf Abzug der für den Bezug von Gegenständen oder Dienstleistungen auf der Eingangsstufe entrichteten Mehrwertsteuer ist nämlich nur gegeben, wenn die hierfür getätigten Aufwendungen zu den Kostenelementen der auf der Ausgangsstufe versteuerten, zum Abzug berechtigenden Umsätze gehören (Urteil vom 16. Juli 2015, Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt, C‑108/14 und C‑109/14, EU:C:2015:496, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point31">31</a>      Zudem hat der Steuerpflichtige nach Art. 17 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie und Art. 169 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 das Recht zum Abzug der Mehrwertsteuer, die für Gegenstände und Dienstleistungen geschuldet oder entrichtet wird, die für die Zwecke von außerhalb des Mitgliedstaats im Sinne von Rn. 29 des vorliegenden Urteils bewirkten Umsätzen verwendet werden, für die das Recht auf Vorsteuerabzug bestünde, wenn sie in diesem Mitgliedstaat bewirkt worden wären.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point32">32</a>      Das in den in der vorstehenden Randnummer angeführten Bestimmungen vorgesehene Recht auf Vorsteuerabzug hängt also von zwei Voraussetzungen ab, nämlich zum einen davon, dass die Umsätze, die ein Steuerpflichtiger in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen bewirkt, in dem die Mehrwertsteuer für die zur Bewirkung dieser Umsätze verwendeten Gegenstände und Dienstleistungen geschuldet oder entrichtet wird, in diesem anderen Mitgliedstaat steuerpflichtig sind, und zum anderen davon, dass diese Umsätze auch steuerpflichtig wären, wenn sie in dem Mitgliedstaat, in dem die Mehrwertsteuer geschuldet oder entrichtet wird, bewirkt worden wären (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Juli 2000, Monte Dei Paschi Di Siena, C‑136/99, EU:C:2000:408, Rn. 28, und vom 22. Dezember 2010, RBS Deutschland Holdings, C‑277/09, EU:C:2010:810, Rn. 31 und 32).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point33">33</a>      Was die zweite Voraussetzung betrifft, ist angesichts dessen, dass sich Art. 17 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie und Art. 169 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 nichts anderes entnehmen lässt, davon auszugehen, dass sie insbesondere in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden erfüllt ist, in der die im Mitgliedstaat der Hauptniederlassung besteuerten Umsätze auch im Mitgliedstaat der Registrierung der Zweigniederlassung, die die entsprechenden Ausgaben getätigt hat, besteuert werden, da die Zweigniederlassung eine Option gemäß der nationalen Regelung zur Umsetzung von Art. 13 Teil C Abs. 1 der Sechsten Richtlinie und Art. 137 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 ausgeübt hat.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point34">34</a>      Als Zweites ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 4 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie und Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2006/112 als „Steuerpflichtiger“ im Sinne des Mehrwertsteuerrechts gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit „selbständig“ ausübt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 23. März 2006, FCE Bank, C‑210/04, EU:C:2006:196, Rn. 33, und vom 7. August 2018, TGE Gas Engineering, C‑16/17, EU:C:2018:647, Rn. 40).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point35">35</a>      Was eine Gesellschaft mit Hauptniederlassung in einem Mitgliedstaat und einer in einem anderen Mitgliedstaat registrierten Zweigniederlassung betrifft, so ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die Hauptniederlassung und die Zweigniederlassung mehrwertsteuerrechtlich als ein einziger Steuerpflichtiger anzusehen sind, es sei denn, es wird nachgewiesen, dass die Zweigniederlassung einer selbständigen Wirtschaftstätigkeit nachgeht, was insbesondere dann der Fall wäre, wenn sie das wirtschaftliche Risiko ihrer Tätigkeit trüge (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. August 2018, TGE Gas Engineering, C‑16/17, EU:C:2018:647, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point36">36</a>      Im vorliegenden Fall findet sich in der dem Gerichtshof vorliegenden Akte keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass die Pariser Zweigniederlassung gegenüber der im Vereinigten Königreich befindlichen Hauptniederlassung im Sinne der in Rn. 35 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung selbständig handelt. Daher ist vorbehaltlich einer Prüfung durch das vorlegende Gericht davon auszugehen, dass die Zweigniederlassung und die Hauptniederlassung mehrwertsteuerrechtlich als ein einziger Steuerpflichtiger anzusehen sind.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point37">37</a>      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass eine Leistung nur dann steuerbar ist, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden (Urteile vom 23. März 2006, FCE Bank, C‑210/04, EU:C:2006:196, Rn. 34, und vom 17. September 2014, Skandia America [USA], filial Sverige, C‑7/13, EU:C:2014:2225, Rn. 24).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point38">38</a>      Demnach ist festzustellen, dass in Ermangelung eines Rechtsverhältnisses zwischen einer Zweigniederlassung und der Hauptniederlassung, die zusammen einen einzigen Steuerpflichtigen bilden, die wechselseitigen Leistungen zwischen ihnen – im Gegensatz zu besteuerten Umsätzen mit Dritten – nicht steuerbare interne Transaktionen darstellen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point39">39</a>      Folglich ist eine in einem Mitgliedstaat registrierte Zweigniederlassung berechtigt, in diesem Mitgliedstaat die Mehrwertsteuer abzuziehen, die auf erworbene Gegenstände und Dienstleistungen entfällt, die direkt und unmittelbar mit der Bewirkung besteuerter Umsätze zusammenhängen, einschließlich derjenigen der in einem anderen Mitgliedstaat befindlichen Hauptniederlassung – mit der sie einen einzigen Steuerpflichtigen bildet –, sofern für diese Umsätze das Recht auf Vorsteuerabzug auch dann bestünde, wenn sie im Staat der Registrierung der Zweigniederlassung bewirkt worden wären.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point40">40</a>      Als Drittes darf, soweit Gegenstände und Dienstleistungen von einem Steuerpflichtigen sowohl für Umsätze verwendet werden, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, als auch für Umsätze, für die kein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, nach Art. 173 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112, der Art. 17 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie entspricht, nur der Teil der Mehrwertsteuer abgezogen werden, der auf den Betrag der erstgenannten Umsätze entfällt. Hierfür ist gemäß den Art. 174 und 175 der Richtlinie 2006/112 „für die Gesamtheit der von dem Steuerpflichtigen bewirkten Umsätze“ ein <i>Pro-rata</i>-Satz des Vorsteuerabzugs festzulegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point41">41</a>      Diese <i>Pro-rata</i>-Regelung ist insbesondere dann anwendbar, wenn eine in einem Mitgliedstaat registrierte Zweigniederlassung Ausgaben tätigt, die sowohl den Zwecken mehrwertsteuerpflichtiger Umsätze als auch denen mehrwertsteuerfreier Umsätze dienen, die jeweils von der in einem anderen Mitgliedstaat befindlichen Hauptniederlassung bewirkt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Juli 2000, Monte Dei Paschi Di Siena, C‑136/99, EU:C:2000:408, Rn. 26 bis 28).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point42">42</a>      Der Gerichtshof hat Gelegenheit zur Klarstellung gehabt, dass die in Art. 17 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie und Art. 173 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2006/112 vorgesehene Abzugsregelung und die damit einhergehenden Abzugsmethoden nur auf die Gegenstände und Dienstleistungen anwendbar sind, die der Steuerpflichtige sowohl für wirtschaftliche Tätigkeiten, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, als auch für wirtschaftliche Tätigkeiten, für die dieses Recht nicht besteht, verwendet, also gemischt nutzt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. September 2012, Portugal Telecom, C‑496/11, EU:C:2012:557, Rn. 40, vom 16. Juli 2015, Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt, C‑108/14 und C‑109/14, EU:C:2015:496, Rn. 26, sowie vom 9. Juni 2016, Wolfgang und Dr. Wilfried Rey Grundstücksgemeinschaft, C‑332/14, EU:C:2016:417, Rn. 26).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point43">43</a>      Hingegen fallen Gegenstände und Dienstleistungen, die der Steuerpflichtige einzig und allein für wirtschaftliche Tätigkeiten verwendet, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, nicht in den Anwendungsbereich von Art. 17 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie oder Art. 173 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112, sondern unter die Vorsteuerabzugsregelung des Art. 17 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie bzw. des Art. 168 der Richtlinie 2006/112 (Urteil vom 6. September 2012, Portugal Telecom, C‑496/11, EU:C:2012:557, Rn. 41).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point44">44</a>      Wie aus dieser Rechtsprechung hervorgeht und die Kommission in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen festgestellt hat, bezieht sich die Klarstellung in Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie und Art. 173 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/112, wonach für Gegenstände und Dienstleistungen, die von einem Steuerpflichtigen sowohl für mehrwertsteuerpflichtige als auch für mehrwertsteuerfreie Umsätze verwendet werden, der <i>Pro-rata</i>-Satz des Vorsteuerabzugs „für die Gesamtheit der von dem Steuerpflichtigen bewirkten Umsätze“ festzulegen ist, auf die Gesamtheit der oben genannten Umsätze, für die die vom Steuerpflichtigen erworbenen gemischt verwendeten Gegenstände und Dienstleistungen bestimmt sind, unter Ausschluss anderer Umsätze des Steuerpflichtigen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point45">45</a>      Soweit daher ein Steuerpflichtiger über die gemischt verwendeten Ausgaben hinaus Gegenstände und Dienstleistungen erwirbt, die ausschließlich für mehrwertsteuerpflichtige Umsätze verwendet werden, kann die Mehrwertsteuer auf diese Gegenstände und Dienstleistungen gemäß Art. 17 Abs. 2 und 3 der Sechsten Richtlinie sowie den Art. 168 und 169 der Richtlinie 2006/112 vollständig abgezogen werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. September 2017, Iberdrola Inmobiliaria Real Estate Investments, C‑132/16, EU:C:2017:683, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dagegen kann die Mehrwertsteuer auf Gegenstände und Dienstleistungen, die ausschließlich für die Zwecke etwaiger von dieser Steuer befreiter Umsätze verwendet werden, nicht abgezogen werden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point46">46</a>      Folglich ist hinsichtlich gemischt verwendeter Ausgaben einer in einem Mitgliedstaat registrierten Zweigniederlassung, die – ausschließlich – sowohl für mehrwertsteuerpflichtige als auch für mehrwertsteuerfreie Umsätze der in einem anderen Mitgliedstaat befindlichen Hauptniederlassung bestimmt sind, ein <i>Pro-rata</i>-Satz des Vorsteuerabzugs anzuwenden, wobei im Nenner der Umsatz – ohne Mehrwertsteuer –, der auf die Gesamtheit dieser Umsätze unter Ausschluss anderer Umsätze des Steuerpflichtigen entfällt, zu stehen hat und der Methode nach Art. 19 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie bzw. nach den Art. 174 und 175 der Richtlinie 2006/112 zu folgen ist. In diesem Zusammenhang ist zu präzisieren, dass gemäß Art. 17 Abs. 3 der Sechsten Richtlinie und Art. 169 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 sowie der in Rn. 32 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung im Zähler des den <i>Pro-rata</i>-Satz des Vorsteuerabzugs bildenden Bruchs nur der Umsatz – ohne Mehrwertsteuer – stehen darf, der auf die besteuerten Umsätze der Hauptniederlassung entfällt, für die das Recht auf Vorsteuerabzug auch dann bestünde, wenn sie im Mitgliedstaat der Registrierung der Zweigniederlassung bewirkt worden wären.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point47">47</a>      Es ist noch darauf hinzuweisen, dass der in der vorstehenden Randnummer angegebene <i>Pro-rata</i>-Satz nicht unbedingt als der „für die Hauptniederlassung geltende <i>Pro-rata</i>-Satz des Vorsteuerabzugs“ im Sinne der ersten Vorlagefrage angesehen werden kann. Es sind nämlich nur jene Umsätze der Hauptniederlassung betroffen, für die die gemischt verwendeten Ausgaben der Zweigniederlassung bestimmt sind.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point48">48</a>      Morgan Stanley vertritt die Ansicht, dass der Mitgliedstaat der Registrierung der Zweigniederlassung auf die Gesamtheit der von dieser auf der Eingangsstufe getätigten Ausgaben – unabhängig von ihrem Zusammenhang mit der Tätigkeit der in einem anderen Mitgliedstaat befindlichen Hauptniederlassung – den für die Zweigniederlassung geltenden <i>Pro-rata</i>-Satz anzuwenden habe, der nur anhand der Umsätze zu bestimmen sei, die die Zweigniederlassung im Staat ihrer Registrierung bewirke. Dieser Auslegung kann jedoch nicht gefolgt werden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point49">49</a>      Für die Berechnung des auf gemischt verwendete Ausgaben einer Zweigniederlassung anwendbaren <i>Pro-rata</i>-Satzes berücksichtigt diese Lösung nämlich – entgegen der in Rn. 30 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung – keine Umsätze der Hauptniederlassung, mit denen diese Ausgaben direkt und unmittelbar zusammenhängen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point50">50</a>      Diese Auslegung wird nicht durch die Rechtsprechung entkräftet, die sich aus dem Urteil vom 12. September 2013, Le Crédit Lyonnais (C‑388/11, EU:C:2013:541), ergibt und auf die Morgan Stanley ihr Vorbringen stützt. Zwar hat der Gerichtshof in den Rn. 40 und 55 jenes Urteils entschieden, dass eine Gesellschaft, deren Hauptniederlassung sich in einem Mitgliedstaat befindet, für die Bestimmung des für sie gemäß der Abzugsregelung nach Art. 17 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie geltenden <i>Pro-rata</i>-Satzes des Vorsteuerabzugs nicht den Umsatz berücksichtigen kann, den ihre in anderen Mitgliedstaaten befindlichen Zweigniederlassungen erzielt haben.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point51">51</a>      Jedoch ist hierzu festzustellen, dass der Gerichtshof in jener Rechtssache – wie insbesondere aus Rn. 19 des erwähnten Urteils hervorgeht – mit der Frage befasst wurde, ob der Gesamtumsatz – im Sinne sämtlicher Einnahmen – dieser Zweigniederlassungen berücksichtigt werden kann. So hat der Gerichtshof insbesondere in Rn. 38 des Urteils vom 12. September 2013, Le Crédit Lyonnais (C‑388/11, EU:C:2013:541), darauf hingewiesen, dass die Berücksichtigung des Umsatzes, der von allen festen Niederlassungen des Steuerpflichtigen in anderen Mitgliedstaaten erzielt wurde, zur Bestimmung des <i>Pro-rata</i>-Satzes des für die Hauptniederlassung geltenden Vorsteuerabzugs bei sämtlichen Anschaffungen, die der Steuerpflichtige in dem Mitgliedstaat seiner Hauptniederlassung getätigt hat, einen Anstieg des Teils der Mehrwertsteuer zur Folge hätte, den die genannte Hauptniederlassung in Abzug bringen kann, auch wenn einige dieser Anschaffungen in keinem Zusammenhang mit den Tätigkeiten der außerhalb dieses Staates befindlichen festen Niederlassungen stehen. Dadurch würde die Höhe des anwendbaren <i>Pro-rata</i>-Satzes des Vorsteuerabzugs verfälscht.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point52">52</a>      Daraus folgt, dass der Gerichtshof in dem genannten Urteil die Berücksichtigung des Umsatzes der in anderen Mitgliedstaaten befindlichen Zweigniederlassungen bei der Berechnung des für die Hauptniederlassung eines Steuerpflichtigen geltenden <i>Pro-rata</i>-Satzes des Vorsteuerabzugs ausgeschlossen hat, weil zumindest ein Teil dieses Umsatzes keinen Zusammenhang mit den von der Hauptniederlassung auf der Eingangsstufe getätigten Erwerben aufwies. Demnach wollte der Gerichtshof bei der Bestimmung des Umfangs des Rechts auf Vorsteuerabzug einer in einem Mitgliedstaat befindlichen festen Niederlassung eines Steuerpflichtigen die Berücksichtigung der von einer in einem anderen Mitgliedstaat befindlichen festen Niederlassung des Steuerpflichtigen bewirkten Umsätze, die mit den von der erstgenannten festen Niederlassung getätigten Ausgaben direkt und unmittelbar zusammenhängen, nicht ausschließen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point53">53</a>      Außerdem kann die Berechnung des für die von der Hauptniederlassung getätigten Umsätze geltenden <i>Pro-rata</i>-Satzes auch nicht auf den Umsatz gestützt werden, den die Zweigniederlassung mit der Hauptniederlassung erzielt, wie dies die französische Regierung vorschlägt. Wie in Rn. 38 des vorliegenden Urteils erwähnt, besteht dieser Umsatz nämlich aus nicht steuerbaren internen Transaktionen des Steuerpflichtigen, während gemäß Art. 17 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie und Art. 173 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 bei der Berechnung des <i>Pro-rata</i>-Satzes des Vorsteuerabzugs die mehrwertsteuerpflichtigen und die mehrwertsteuerfreien Umsätze zu berücksichtigen sind, die ein Steuerpflichtiger mit Dritten bewirkt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point54">54</a>      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 17 Abs. 2, 3 und 5 und Art. 19 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie sowie die Art. 168, 169 und 173 bis 175 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen sind, dass auf Ausgaben einer in einem Mitgliedstaat registrierten Zweigniederlassung, die – ausschließlich – sowohl für mehrwertsteuerpflichtige als auch für mehrwertsteuerfreie Umsätze bestimmt sind, die jeweils von der in einem anderen Mitgliedstaat befindlichen Hauptniederlassung, der diese Zweigniederlassung zugeordnet ist, bewirkt werden, ein <i>Pro-rata</i>-Satz des Vorsteuerabzugs anzuwenden ist, der sich aus einem Bruch ergibt, wobei im Nenner der allein aus diesen Umsätzen bestehende Umsatz – ohne Mehrwertsteuer – und im Zähler die besteuerten Umsätze, für die das Recht auf Vorsteuerabzug auch dann bestünde, wenn sie im Mitgliedstaat der Registrierung der Zweigniederlassung bewirkt worden wären, zu stehen haben; dies gilt auch dann, wenn das Recht auf Vorsteuerabzug deshalb besteht, weil die Zweigniederlassung für die Mehrwertsteuerpflicht der im Staat ihrer Registrierung bewirkten Umsätze optiert hat.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur zweiten Frage</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point55">55</a>      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, wie Art. 17 Abs. 2, 3 und 5 und Art. 19 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie sowie die Art. 168, 169 und 173 bis 175 der Richtlinie 2006/112 auszulegen sind, um den <i>Pro-rata</i>-Satz des Vorsteuerabzugs zu bestimmen, der auf die von einer in einem Mitgliedstaat registrierten Zweigniederlassung getragenen allgemeinen Kosten anwendbar ist, die zur Bewirkung sowohl der Umsätze der Zweigniederlassung in diesem Staat als auch der Umsätze der in einem anderen Mitgliedstaat befindlichen Hauptniederlassung beitragen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point56">56</a>      Insoweit ist zum einen darauf hinzuweisen, dass grundsätzlich ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren Ausgangsumsätzen, die das Recht auf Vorsteuerabzug eröffnen, im Sinne der in Rn. 30 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung bestehen muss, damit der Steuerpflichtige zum Vorsteuerabzug berechtigt ist und der Umfang dieses Rechts bestimmt werden kann. Das Recht auf Abzug der für den Erwerb von Gegenständen oder Dienstleistungen auf der Eingangsstufe entrichteten Mehrwertsteuer ist nur gegeben, wenn die hierfür getätigten Ausgaben zu den Kostenelementen der besteuerten, zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätze gehören (Urteil vom 14. September 2017, Iberdrola Inmobiliaria Real Estate Investments, C‑132/16, EU:C:2017:683, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point57">57</a>      Zum anderen wird jedoch ein Recht auf Vorsteuerabzug zugunsten des Steuerpflichtigen auch bei Fehlen eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätzen dann angenommen, wenn die Kosten für die fraglichen Dienstleistungen zu den allgemeinen Aufwendungen des Steuerpflichtigen gehören und – als solche – Kostenelemente der von ihm gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen sind. Derartige Kosten hängen nämlich direkt und unmittelbar mit der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen zusammen(Urteil vom 14. September 2017, Iberdrola Inmobiliaria Real Estate Investments, C‑132/16, EU:C:2017:683, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point58">58</a>      Wenn zur wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen sowohl mehrwertsteuerpflichtige als auch mehrwertsteuerfreie Umsätze gehören, ist daher auf seine allgemeinen Kosten die Abzugsregelung nach Art. 17 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie und nach Art. 173 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 anzuwenden. Entsprechend den Erwägungen in den Rn. 40 bis 46 des vorliegenden Urteils ist bei der Bestimmung des auf die allgemeinen Kosten anwendbaren <i>Pro-rata</i>-Satzes des Vorsteuerabzugs auf die Gesamtheit der wirtschaftlichen Tätigkeiten des Steuerpflichtigen abzustellen, wobei der Methode nach Art. 19 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie bzw. nach den Art. 174 und 175 der Richtlinie 2006/112 zu folgen ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point59">59</a>      Was den auf die allgemeinen Kosten einer in einem Mitgliedstaat registrierten Zweigniederlassung anwendbaren <i>Pro-rata</i>-Satz des Vorsteuerabzugs in dem Fall betrifft, dass der Steuerpflichtige sowohl in diesem Staat als auch im Mitgliedstaat seiner Hauptniederlassung Umsätze bewirkt, so haben im Zähler des den <i>Pro-rata</i>-Satz des Vorsteuerabzugs bildenden Bruchs neben den von der Zweigniederlassung getätigten besteuerten Umsätzen nur diejenigen von der Hauptniederlassung bewirkten besteuerten Umsätze zu stehen, für die das Recht auf Vorsteuerabzug auch dann bestünde, wenn sie im Staat der Registrierung der Zweigniederlassung bewirkt worden wären.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point60">60</a>      Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 17 Abs. 2, 3 und 5 und Art. 19 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie sowie die Art. 168, 169 und 173 bis 175 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen sind, dass für die Bestimmung des <i>Pro-rata</i>-Satzes des Vorsteuerabzugs, der auf die von einer in einem Mitgliedstaat registrierten Zweigniederlassung getragenen allgemeinen Kosten anwendbar ist, die zur Bewirkung sowohl der Umsätze der Zweigniederlassung in diesem Staat als auch der Umsätze der in einem anderen Mitgliedstaat befindlichen Hauptniederlassung beitragen, im Nenner des den <i>Pro-rata</i>-Satz des Vorsteuerabzugs bildenden Bruchs sowohl von der Zweigniederlassung als auch von der Hauptniederlassung bewirkte Umsätze zu berücksichtigen sind, wobei im Zähler des Bruchs neben den von der Zweigniederlassung getätigten besteuerten Umsätzen nur diejenigen von der Hauptniederlassung bewirkten besteuerten Umsätze zu stehen haben, für die das Recht auf Vorsteuerabzug auch dann bestünde, wenn sie im Staat der Registrierung der Zweigniederlassung bewirkt worden wären.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Kosten</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point61">61</a>      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.</p>
<p class="C41DispositifIntroduction">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:</p>
<p class="C08Dispositif">1.      <b>Art. 17 Abs. 2, 3 und 5 und Art. 19 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage sowie die Art. 168, 169 und 173 bis 175 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass auf Ausgaben einer in einem Mitgliedstaat registrierten Zweigniederlassung, die – ausschließlich – sowohl für mehrwertsteuerpflichtige als auch für mehrwertsteuerfreie Umsätze bestimmt sind, die jeweils von der in einem anderen Mitgliedstaat befindlichen Hauptniederlassung, der diese Zweigniederlassung zugeordnet ist, bewirkt werden, ein </b><i>Pro-rata</i><b>-Satz des Vorsteuerabzugs anzuwenden ist, der sich aus einem Bruch ergibt, wobei im Nenner der allein aus diesen Umsätzen bestehende Umsatz – ohne Mehrwertsteuer – und im Zähler die besteuerten Umsätze, für die das Recht auf Vorsteuerabzug auch dann bestünde, wenn sie im Mitgliedstaat der Registrierung der Zweigniederlassung bewirkt worden wären, zu stehen haben; dies gilt auch dann, wenn das Recht auf Vorsteuerabzug deshalb besteht, weil die Zweigniederlassung für die Mehrwertsteuerpflicht der im Staat ihrer Registrierung bewirkten Umsätze optiert hat.</b>
</p>
<p class="C08Dispositif">2.      <b>Art. 17 Abs. 2, 3 und 5 und Art. 19 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388 sowie die Art. 168, 169 und 173 bis 175 der Richtlinie 2006/112 sind dahin auszulegen, dass für die Bestimmung des </b><i>Pro-rata</i><b>-Satzes des Vorsteuerabzugs, der auf die von einer in einem Mitgliedstaat registrierten Zweigniederlassung getragenen allgemeinen Kosten anwendbar ist, die zur Bewirkung sowohl der Umsätze der Zweigniederlassung in diesem Staat als auch der Umsätze der in einem anderen Mitgliedstaat befindlichen Hauptniederlassung beitragen, im Nenner des den </b><i>Pro-rata</i><b>-Satz des Vorsteuerabzugs bildenden Bruchs sowohl von der Zweigniederlassung als auch von der Hauptniederlassung bewirkte Umsätze zu berücksichtigen sind, wobei im Zähler des Bruchs neben den von der Zweigniederlassung getätigten besteuerten Umsätzen nur diejenigen von der Hauptniederlassung bewirkten besteuerten Umsätze zu stehen haben, für die das Recht auf Vorsteuerabzug auch dann bestünde, wenn sie im Staat der Registrierung der Zweigniederlassung bewirkt worden wären.</b>
</p>
<p class="C77Signatures">Unterschriften</p>
<hr/>
<p class="C42FootnoteLangue">
<a href="#Footref*" name="Footnote*">*</a>      Verfahrenssprache: Französisch.</p>
|
175,019 | eugh-2019-01-24-c-4318 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-43/18 | 2019-01-24T00:00:00 | 2019-01-31T19:20:46 | 2019-01-31T19:20:46 | Schlussantrag des Generalanwalts | ECLI:EU:C:2019:56 | <p>Vorläufige Fassung</p>
<p class="C36Centre">SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN</p>
<p class="C36Centre">JULIANE KOKOTT</p>
<p class="C36Centre">vom 24. Januar 2019(<a href="#Footnote1" name="Footref1">1</a>)</p>
<p class="C38Centregrasgrandespacement">Rechtssache C‑43/18</p>
<p class="C37Centregras">Compagnie d’entreprises CFE SA</p>
<p class="C37Centregras">gegen</p>
<p class="C37Centregras">Région de Bruxelles-Capitale</p>
<p class="C39Centreespacement">(Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d’État (Staatsrat, Belgien])</p>
<p class="C38Centregrasgrandespacement">
<b>Rechtssache C</b>‑<b>321/18</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Terre wallonne ASBL</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>gegen</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Région wallonne</b>
</p>
<p class="C39Centreespacement">(Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d’État (Staatsrat, Belgien])</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorabentscheidungsersuchen – Umwelt – Richtlinie 2001/42/EG – Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme – Richtlinie 92/43/EWG – Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen – Maßnahmen zur Verwaltung von Schutzgebieten – Ausweisung eines besonderen Schutzgebiets – Begriff der Pläne und Programme – Verpflichtung, eine Umweltprüfung durchzuführen – Festlegung der Erhaltungsziele für die Region Wallonien“</p>
<br/>
<br/>
<br/>
<br/>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C21Titrenumerote1">I.      <b>Einleitung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point1">1.</a>        In welchem Verhältnis stehen die SUP-Richtlinie (SUP steht für strategische Umweltprüfung)(<a href="#Footnote2" name="Footref2">2</a>) und die Habitatrichtlinie(<a href="#Footnote3" name="Footref3">3</a>) zueinander? Diese Frage werfen die beiden Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d’État (Staatsrat, Belgien) auf, die ich gemeinsam untersuche.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point2">2.</a>        Hintergrund sind die verschiedenen Prüfungen von Umweltauswirkungen, die das Unionsrecht vorsieht, im vorliegenden Fall insbesondere die in Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie geregelte Verträglichkeitsprüfung von Plänen und Projekten, die Natura-2000-Gebiete beeinträchtigen können, und die Umweltprüfung von Plänen und Programmen nach der SUP-Richtlinie. Dagegen spielt die bekannteste Prüfung, die Umweltverträglichkeitsprüfung von Projekten nach der UVP-Richtlinie(<a href="#Footnote4" name="Footref4">4</a>), im vorliegenden Fall keine besondere Rolle.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point3">3.</a>        Dabei geht es in der Rechtssache CFE um die Umsetzung der Habitatrichtlinie im Wege der innerstaatlichen Ausweisung eines besonderen Schutzgebiets, die den Erlass verschiedener Schutzregelungen mit sich bringt, und in der Rechtssache Terre wallonne um die Festlegung von Erhaltungszielen für alle Natura-2000-Gebiete der Region Wallonien, womit ebenfalls die Habitatrichtlinie durchgeführt werden soll. Gegen beide Rechtsakte wird eingewandt, dass vor ihrem Erlass eine Umweltprüfung gemäß der SUP-Richtlinie hätte durchgeführt werden müssen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point4">4.</a>        Insofern ist insbesondere zu klären, ob Maßnahmen, die unmittelbar mit der Verwaltung von Natura-2000-Gebieten in Verbindung stehen oder hierfür notwendig sind, vorliegend die Ausweisung eines Schutzgebiets und die Festlegung von Erhaltungszielen, grundsätzlich vom Anwendungsbereich der Umweltprüfung nach der SUP-Richtlinie, ausgeschlossen sind. Für dieses Ergebnis wird vor allem vorgetragen, dass derartige Maßnahmen ausdrücklich nicht der Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie unterliegen. Doch was bedeutet das für die Umweltprüfung nach der SUP-Richtlinie?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point5">5.</a>        Daneben ist zu erörtern, ob die genannten Maßnahmen konkret die Voraussetzungen für eine Umweltprüfung erfüllen. Insoweit ist vor allem zu klären, ob sie einen Rahmen für die spätere Genehmigung von Projekten setzen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point6">6.</a>        Hervorzuheben ist die praktische Bedeutung der vorliegenden Verfahren. Natura 2000 umfasst etwa 18 % der Landfläche sowie 6 % der Meeresfläche der Europäischen Union in vielen Tausenden Einzelgebieten. Da bislang Verwaltungsmaßnahmen anscheinend häufig ohne eine Umweltprüfung getroffen werden, könnte eine Verpflichtung zur Umweltprüfung von Maßnahmen zur Verwaltung von Natura-2000-Gebieten dieses Netzwerk in Frage stellen.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">II.    <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C22Titrenumerote2">A.      <b>Unionsrecht</b>
</p>
<p class="C23Titrenumerote3">1.      <b>SUP-Richtlinie</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point7">7.</a>        Die Ziele der SUP-Richtlinie ergeben sich insbesondere aus Art. 1:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Ziel dieser Richtlinie ist es, im Hinblick auf die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und dazu beizutragen, dass Umwelterwägungen bei der Ausarbeitung und Annahme von Plänen und Programmen einbezogen werden, indem dafür gesorgt wird, dass bestimmte Pläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, entsprechend dieser Richtlinie einer Umweltprüfung unterzogen werden.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point8">8.</a>        Pläne und Programme werden durch Art. 2 Buchst. a der SUP-Richtlinie definiert:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      ‚Pläne und Programme‘ Pläne und Programme, einschließlich der von der Europäischen Gemeinschaft mitfinanzierten, sowie deren Änderungen,</p>
<p class="C12Marge1avectiretlong">–        die von einer Behörde auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene ausgearbeitet und/oder angenommen werden oder die von einer Behörde für die Annahme durch das Parlament oder die Regierung im Wege eines Gesetzgebungsverfahrens ausgearbeitet werden und</p>
<p class="C12Marge1avectiretlong">–        die aufgrund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften erstellt werden müssen“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point9">9.</a>        Für die Ausgangsfälle ist insbesondere die Verpflichtung zur Durchführung einer strategischen Umweltprüfung nach Art. 3 Abs. 1 bis 5 der SUP-Richtlinie von Interesse:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Die unter die Abs. 2 bis 4 fallenden Pläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, werden einer Umweltprüfung nach den Art. 4 bis 9 unterzogen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Vorbehaltlich des Abs. 3 wird eine Umweltprüfung bei allen Plänen und Programmen vorgenommen,</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      die in den Bereichen Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei, Energie, Industrie, Verkehr, Abfallwirtschaft, Wasserwirtschaft, Telekommunikation, Fremdenverkehr, Raumordnung oder Bodennutzung ausgearbeitet werden und durch die der Rahmen für die künftige Genehmigung der in den Anhängen I und II der [UVP-Richtlinie] aufgeführten Projekte gesetzt wird oder</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      bei denen angesichts ihrer voraussichtlichen Auswirkungen auf Gebiete eine Prüfung nach Art. 6 oder 7 der [Habitatrichtlinie] für erforderlich erachtet wird.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)      Die unter Abs. 2 fallenden Pläne und Programme, die die Nutzung kleiner Gebiete auf lokaler Ebene festlegen, sowie geringfügige Änderungen der unter Absatz 2 fallenden Pläne und Programme bedürfen nur dann einer Umweltprüfung, wenn die Mitgliedstaaten bestimmen, dass sie voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(4)      Die Mitgliedstaaten befinden darüber, ob nicht unter Abs. 2 fallende Pläne und Programme, durch die der Rahmen für die künftige Genehmigung von Projekten gesetzt wird, voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(5)      Die Mitgliedstaaten bestimmen entweder durch Einzelfallprüfung oder durch Festlegung von Arten von Plänen und Programmen oder durch eine Kombination dieser beiden Ansätze, ob die in den Abs. 3 und 4 genannten Pläne oder Programme voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben. Zu diesem Zweck berücksichtigen die Mitgliedstaaten in jedem Fall die einschlägigen Kriterien des Anhangs II, um sicherzustellen, dass Pläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, von dieser Richtlinie erfasst werden.“</p>
<p class="C23Titrenumerote3">2.      <b>Habitatrichtlinie</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point10">10.</a>      Natura 2000, das Netz europäischer Schutzgebiete, wird in Art. 3 Abs. 1 der Habitatrichtlinie definiert:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Es wird ein kohärentes europäisches ökologisches Netz besonderer Schutzgebiete mit der Bezeichnung ‚Natura 2000‘ errichtet. Dieses Netz besteht aus Gebieten, die die natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I sowie die Habitate der Arten des Anhang[s] II umfassen, und muss den Fortbestand oder gegebenenfalls die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes dieser natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet gewährleisten.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point11">11.</a>      Art. 4 der Habitatrichtlinie enthält die konkreten Regelungen zur Gebietsausweisung:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Anhand der in Anhang III (Phase 1) festgelegten Kriterien und einschlägiger wissenschaftlicher Informationen legt jeder Mitgliedstaat eine Liste von Gebieten vor, in der die in diesen Gebieten vorkommenden natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I und einheimischen Arten des Anhangs II aufgeführt sind. … </p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Auf der Grundlage der in Anhang III (Phase 2) festgelegten Kriterien und im Rahmen der neun in Art. 1 Buchst. c) Ziffer iii) erwähnten biogeographischen Regionen sowie des in Art. 2 Abs. 1 genannten Gesamtgebietes erstellt die Kommission jeweils im Einvernehmen mit den Mitgliedstaaten aus den Listen der Mitgliedstaaten den Entwurf einer Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung, … </p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">Die Liste der Gebiete, die als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung ausgewählt wurden und in der die Gebiete mit einem oder mehreren prioritären natürlichen Lebensraumtyp(en) oder einer oder mehreren prioritären Art(en) ausgewiesen sind, wird von der Kommission nach dem Verfahren des Art. 21 festgelegt.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)      …</p>
<p class="C02AlineaAltA">(4)      Ist ein Gebiet aufgrund des in Abs. 2 genannten Verfahrens als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung bezeichnet worden, so weist der betreffende Mitgliedstaat dieses Gebiet so schnell wie möglich – spätestens aber binnen sechs Jahren – als besonderes Schutzgebiet aus und legt dabei die Prioritäten nach Maßgabe der Wichtigkeit dieser Gebiete für die Wahrung oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes eines natürlichen Lebensraumtyps des Anhangs I oder einer Art des Anhangs II und für die Kohärenz des Netzes Natura 2000 sowie danach fest, inwieweit diese Gebiete von Schädigung oder Zerstörung bedroht sind.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(5)      Sobald ein Gebiet in die Liste des Abs. 2 Unterabs. 3 aufgenommen ist, unterliegt es den Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2, 3 und 4.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point12">12.</a>      Der Gebietsschutz ist in Art. 6 Abs. 1 bis 3 der Habitatrichtlinie wie folgt geregelt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Für die besonderen Schutzgebiete legen die Mitgliedstaaten die nötigen Erhaltungsmaßnahmen fest, die gegebenenfalls geeignete, eigens für die Gebiete aufgestellte oder in andere Entwicklungspläne integrierte Bewirtschaftungspläne und geeignete Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art umfassen, die den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II entsprechen, die in diesen Gebieten vorkommen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Die Mitgliedstaaten treffen die geeigneten Maßnahmen, um in den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden, sofern solche Störungen sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)      Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich des Abs. 4 stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw. Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben.“</p>
<p class="C22Titrenumerote2">B.      <b>Innerstaatliches Recht</b>
</p>
<p class="C23Titrenumerote3">1.      <b>Die Ausweisungsentscheidung der Region Brüssel-Hauptstadt für das Gebiet Forêt de Soignes</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point13">13.</a>      Gegenstand des Verfahrens, das zur Rechtssache CFE geführt hat, ist der Arrêté du Gouvernement de la Région de Bruxelles-Capitale portant désignation du site Natura 2000 – BE1000001: « La Forêt de Soignes avec lisières et domaines boisés avoisinants et la Vallée de la Woluwe – complexe Forêt de Soignes – Vallée de la Woluwe » du 14 avril 2016 (Erlass der Regierung der Region Brüssel-Hauptstadt vom 14. April 2016 über die Ausweisung des Natura-2000-Gebiets BE1000001 „Wald von Soignes mit Randbeständen und benachbarten Waldgebieten und Woluwe-Tal. Komplex Wald von Soignes – Woluwe-Tal“)(<a href="#Footnote5" name="Footref5">5</a>). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point14">14.</a>      Dieser Erlass bestimmt im Wesentlichen, welche Flächen Teil des besonderen Schutzgebiets sind, welche Lebensraumtypen und Arten dort vorkommen, in welchem Erhaltungszustand sie sich bei der Identifizierung des Gebiets befanden, welcher Erhaltungszustand erreicht werden soll und warum das Gebiet geschützt wird.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point15">15.</a>      Art. 15 des Erlasses enthält bestimmte Verbote zum Schutz des Gebiets: </p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Gemäß Art. 47 Abs. 2 der [Naturschutzverordnung vom 1. März 2012] legt dieser Artikel allgemeine Verbote für das durch diesen Erlass ausgewiesene Natura 2000-Gebiet fest.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Vorbehaltlich besonderer Bestimmungen, die eine Freistellung oder Abweichung zulassen, ist sie für Projekte, die weder der Erlaubnis noch der Genehmigung im Sinne von Art. 47 Abs. 2 [der Naturschutzverordnung vom 1. März 2012] unterliegen, verboten:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      einheimische Pflanzenarten, einschließlich Moose, Pilze und Flechten, zu entfernen, zu entwurzeln, zu beschädigen oder zu zerstören und den Pflanzenbestand zu zerstören, zu verschlechtern oder zu verändern;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      …“</p>
<p class="C23Titrenumerote3">2.      <b>Die Festlegung der Erhaltungsziele in der Region Wallonien</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point16">16.</a>      Im Ausgangsverfahren zu der Rechtssache Terre wallonne geht es um den Erlass der Wallonischen Regierung vom 1. Dezember 2016 zur Festlegung der Erhaltungsziele für das Natura 2000-Netz(<a href="#Footnote6" name="Footref6">6</a>). Darin werden quantitative und qualitative Erhaltungsziele für Lebensraumtypen und Arten in der gesamten Region festgelegt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point17">17.</a>      Die Grundlage für den Erlass liegt in Art. 25bis<i/>des Gesetzes vom 12. Juli 1973 über die Erhaltung der Natur:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Art. 25<i>bis</i>. § 1. Die Regierung legt auf der Ebene der Wallonischen Region Erhaltungsziele für jeden natürlichen Lebensraumtyp und jeden Artentyp fest, für die Gebiete auszuweisen sind.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Die Erhaltungsziele werden auf der Grundlage des Erhaltungszustands der natürlichen Lebensraumtypen und der Arten, für die Gebiete auszuweisen sind, auf der Ebene der Wallonischen Region bestimmt und sollen die natürlichen Lebensraumtypen und die Arten, für die Gebiete auszuweisen sind, erhalten oder gegebenenfalls wiederherstellen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Diese Erhaltungsziele sind Richtwerte. </p>
<p class="C02AlineaAltA">§ 2. Auf der Grundlage der in § 1 erwähnten Erhaltungsziele legt die Regierung Erhaltungsziele fest, die auf der Ebene der Natura 2000-Gebiete anwendbar sind. </p>
<p class="C02AlineaAltA">Diese Erhaltungsziele haben den Charakter von Vorschriften. Sie sind anhand der in Art. 26 § 1 Abs. 2, 2° und 3° genannten Angaben auszulegen.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point18">18.</a>      In den Erwägungsgründen des Erlasses wird die Zielsetzung insbesondere wie folgt dargestellt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„…</p>
<p class="C02AlineaAltA">Gemäß Art. 1<i>bis</i>, 21<i>bis, </i>und Art. 25<i>bis </i>§ 1 Abs. 1 des Gesetzes [vom 12. Juli 1973 über die Erhaltung der Natur] sind auf der Ebene des gesamten wallonischen Gebiets (und nicht nur für das Natura 2000-Netz) Erhaltungsziele festzulegen, um einen Gesamtüberblick darüber zu haben, was zu erhalten ist oder was in der Wallonischen Region gegebenenfalls wiederherzustellen ist, damit die Lebensräume und Arten, für die das Natura 2000-Netz geschaffen wird, in einem günstigen Erhaltungszustand bewahrt werden oder ein solcher wiederhergestellt wird; diese Ziele sind Richtwerte.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Die Erhaltungsziele auf Gebietsebene sind auf der Grundlage der auf der Ebene des gesamten wallonischen Territoriums festgelegten Erhaltungsziele festzulegen; diese Ziele haben den Charakter von Vorschriften. …</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">Diese Ziele sind in einem bestimmten Natura 2000-Gebiet nur dann anwendbar, wenn dieses Gebiet für diese Art oder diesen Lebensraum ausgewiesen wird.“</p>
<p class="C21Titrenumerote1">III. <b>Sachverhalte und Vorabentscheidungsersuchen</b>
</p>
<p class="C22Titrenumerote2">A.      <b>Rechtssache C</b>‑<b>43/18 – CFE</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point19">19.</a>      Die Aktiengesellschaft C.F.E. (im Folgenden: CFE) ist seit 1983 Eigentümerin eines Grundstücks, das den größten Teil des Plateau de la Foresterie in Watermael-Boitsfort, einer Gemeinde im Süden der Region Brüssel-Hauptstadt in Belgien, umfasst.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point20">20.</a>      Am 7. Dezember 2004 verabschiedete die Europäische Kommission in Anwendung der Habitatrichtlinie die erste Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der atlantischen biogeografischen Region, in der das Natura-2000-Gebiet BE1000001 „La Forêt de Soignes avec lisières et domaines boisés avoisinants et la Vallée de la Woluwe. Complexe Forêt de Soignes – Vallée de la Woluwe“<i/>(Wald von Soignes mit Randbeständen und benachbarten Waldgebieten und Woluwe-Tal. Komplex Wald von Soignes – Woluwe-Tal) enthalten war(<a href="#Footnote7" name="Footref7">7</a>). Das Grundstück von CFE ist Teil dieses Gebiets.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point21">21.</a>      CFE erhob gegen diese Entscheidung der Kommission eine Klage, die mit Beschluss des Gerichts der Europäischen Union vom 19. September 2006 zurückgewiesen wurde(<a href="#Footnote8" name="Footref8">8</a>). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point22">22.</a>      CFE gibt an, erstmals am 9. Oktober 2007 davon erfahren zu haben, dass ein erheblicher Teil ihres Grundstücks von 1937 bis 1987 durch die Gemeinde Watermael-Boitsfort als illegale Deponie genutzt worden sei. Zu diesem Zeitpunkt habe ihr nämlich das I.B.G.E. (Institut Bruxellois pour la Gestion de l’Environnement, Brüsseler Institut für Umweltmanagement, Belgien) einen Warnhinweis übermittelt, verbunden mit der Aufforderung, ein Sanierungskonzept für ihr Grundstück vorzulegen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point23">23.</a>      Am 9. Juli 2015 genehmigte die Regierung der Region Brüssel-Hauptstadt in erster Lesung den Vorentwurf des Erlasses zur Ausweisung des genannten Natura-2000-Gebiets. Eine öffentliche Anhörung zu diesem Vorentwurf des Erlasses fand vom 24. September bis zum 7. November 2015 statt. Sie führte zu 202 Beschwerden, darunter eine der CFE. Gleichwohl verabschiedete die Regierung den Erlass zur Ausweisung des genannten Natura-2000-Gebiets am 14. April 2016.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point24">24.</a>      Mit einer am 12. Juli 2016 eingereichten Klage begehrt CFE nunmehr die Nichtigerklärung des Erlasses vom 14. April 2016. Dabei beanstandet sie insbesondere, dass keine Umweltprüfung nach der SUP-Richtlinie durchgeführt worden sei.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point25">25.</a>      In diesem Verfahren richtet der Conseil d’État (Staatsrat) daher die folgenden Fragen an den Gerichtshof:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Stellt ein Erlass, mit dem eine Einrichtung eines Mitgliedstaats gemäß der Habitatrichtlinie ein besonderes Schutzgebiet ausweist und der Erhaltungsziele und allgemeine Präventivmaßnahmen mit Regelungscharakter enthält, einen Plan oder ein Programm im Sinne der SUP-Richtlinie dar? </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Wird ein solcher Erlass insbesondere von Art. 3 Abs. 4 der SUP-Richtlinie als Plan oder Programm erfasst, durch den oder das der Rahmen für die künftige Genehmigung von Projekten gesetzt wird, so dass die Mitgliedstaaten unter Beachtung von Abs. 5 darüber befinden müssen, ob der Plan oder das Programm voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen hat? </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">3.      Ist Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der SUP-Richtlinie dahin auszulegen, dass der genannte Erlass zur Schutzgebietsausweisung der Anwendung ihres Art. 3 Abs. 4 entzogen ist?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point26">26.</a>      Schriftlich haben sich die Compagnie d’entreprises CFE, die Region Brüssel-Hauptstadt, Irland, die Tschechische Republik und die Europäische Kommission geäußert.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">B.      <b>Rechtssache C</b>‑<b>321/18 – Terre wallonne</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point27">27.</a>      Am 8. November 2012 begann das Verfahren zur Annahme eines Erlasses zur Festlegung der Erhaltungsziele für das Natura-2000-Netz für die Region Wallonien. Vom 10. Dezember 2012 bis zum 8. Februar 2013 fand eine öffentliche Untersuchung in den 218 vom Natura-2000-Netz betroffenen Gemeinden statt. Am 1. Dezember 2016 erließ die wallonische Regierung den Erlass.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point28">28.</a>      Mit einer am 9. Februar 2017 eingereichten Klageschrift beantragt die Vereinigung ohne Gewinnerzielungsabsicht (A.S.B.L.) Terre wallonne die Nichtigerklärung des Erlasses vom 1. Dezember 2016.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point29">29.</a>      In diesem Verfahren richtet der Conseil d’État (Staatsrat) nunmehr die folgenden Fragen an den Gerichtshof:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Ist der Erlass, mit dem ein Organ eines Mitgliedstaats im Einklang mit der Habitatrichtlinie die Erhaltungsziele für das Natura 2000-Netz festlegt, ein Plan oder Programm im Sinne der SUP-Richtlinie und insbesondere im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a oder im Sinne von Art. 3 Abs. 4 dieser Richtlinie?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Wenn ja, ist ein solcher Erlass dann einer Umweltprüfung gemäß der SUP-Richtlinie zu unterziehen, obwohl es einer solchen Prüfung nach der Habitatrichtlinie, auf deren Grundlage der Erlass ergangen ist, nicht bedarf?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point30">30.</a>      Schriftlich haben sich Terre wallonne, das Königreich Belgien, Irland, die Tschechische Republik und die Europäische Kommission geäußert. </p>
<p class="C22Titrenumerote2">C.      <b>Gemeinsame mündliche Verhandlung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point31">31.</a>      Der Gerichtshof führte am 13. Dezember 2018 eine gemeinsame mündliche Verhandlung durch, an der sich CFE, die Region Brüssel-Hauptstadt, Belgien und die Kommission beteiligten.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">IV.    <b>Rechtliche Würdigung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point32">32.</a>      Die beiden Vorabentscheidungsersuchen sollen klären, ob Maßnahmen, die im Sinne von Art. 6 Abs. 3 Satz 1 der Habitatrichtlinie unmittelbar mit der Verwaltung von Natura-2000-Gebieten in Verbindung stehen oder hierfür notwendig sind, als Pläne oder Programme einer Umweltprüfung nach der SUP-Richtlinie bedürfen. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point33">33.</a>      Konkret geht es in der Rechtssache CFE um einen Rechtsakt, der für ein bereits vorläufig geschütztes Gebiet einen spezifischen innerstaatlichen Schutzstatus begründet, und in der Rechtssache Terre wallonne um eine Maßnahme, mit der die Erhaltungsziele für alle Natura-2000-Gebiete der Region Wallonien zusammengefasst werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point34">34.</a>      Der Staatsrat geht zutreffend davon aus, dass diese Maßnahmen unmittelbar mit der Verwaltung von Natura-2000-Gebieten in Verbindung stehen und hierfür notwendig sind. Die Ausweisung eines besonderen Schutzgebiets begründet den innerstaatlichen Schutzstatus des Gebiets und setzt den Rahmen für die Gebietsverwaltung. Die Zusammenfassung der Erhaltungsziele aller Natura-2000-Gebiete der Region Wallonien stellt den jeweiligen gebietsspezifischen Rahmen in einen größeren Zusammenhang.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point35">35.</a>      Es steht außer Streit, dass diese beiden Maßnahmen die Voraussetzungen von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der SUP-Richtlinie erfüllen. Sie wurden von Behörden auf regionaler Ebene angenommen und mussten aufgrund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften erstellt werden, nämlich aufgrund der Habitatrichtlinie und des jeweiligen Umsetzungsrechts.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point36">36.</a>      Die Fragen des Staatsrats richten sich auf zwei andere Problemkomplexe, nämlich primär, ob Maßnahmen zum Schutz und zur Verwaltung von Natura-2000-Gebieten in jedem Fall von der strategischen Umweltprüfung nach der SUP-Richtlinie ausgeschlossen sind, und falls nicht, ob sie die übrigen Voraussetzungen einer strategischen Umweltprüfung nach Art. 3 der SUP-Richtlinie erfüllen, insbesondere, ob sie einen Rahmen für die spätere Genehmigung von Projekten setzen.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">A.      <b>Die strategische Umweltprüfung von Maßnahmen zur Verwaltung von Natura-2000-Gebieten</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point37">37.</a>      Brüssel, Belgien, Irland und die Kommission gehen davon aus, dass Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der SUP-Richtlinie und die Ausnahme für Maßnahmen der Gebietsverwaltung nach Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie die strategische Umweltprüfung im Zusammenhang mit Natura-2000-Gebieten auf die Prüfung von Plänen und Projekten beschränken, die auch einer Verträglichkeitsprüfung nach der Habitatrichtlinie unterliegen. Maßnahmen zur Verwaltung von Natura-2000-Gebieten bedürften danach niemals einer Umweltprüfung.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point38">38.</a>      Nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der SUP-Richtlinie wird eine Umweltprüfung bei Plänen und Programmen vorgenommen, bei denen angesichts ihrer voraussichtlichen Auswirkungen auf Gebiete eine Prüfung nach Art. 6 oder 7 der Habitatrichtlinie für erforderlich erachtet wird. Diese Prüfung soll alle Umweltauswirkungen der jeweiligen Maßnahme darstellen, doch die SUP-Richtlinie verbindet mit diesen Auswirkungen keine Rechtsfolgen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point39">39.</a>      Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie schließt jedoch Pläne oder Projekte, die unmittelbar mit der Verwaltung des Gebiets in Verbindung stehen oder hierfür notwendig sind, von der dort vorgesehenen Verträglichkeitsprüfung aus. Die zuständigen innerstaatlichen Stellen dürfen dagegen andere Pläne und Projekte nur zulassen, wenn die Verträglichkeitsprüfung zeigt, dass sie das Gebiet als solches nicht beeinträchtigen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point40">40.</a>      Da die streitgegenständlichen Maßnahmen unmittelbar mit der Verwaltung von Natura-2000-Gebieten in Verbindung stehen, unterliegen sie nicht der Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie und bedürfen daher auch nicht nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der SUP-Richtlinie einer Umweltprüfung.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point41">41.</a>      Doch damit ist noch nicht entschieden, ob eine Umweltprüfung aufgrund von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a oder Art. 3 Abs. 4 der SUP-Richtlinie ausgeschlossen ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point42">42.</a>      Nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der SUP-Richtlinie wird eine Umweltprüfung bei allen Plänen und Programmen vorgenommen, die in den Bereichen Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei, Energie, Industrie, Verkehr, Abfallwirtschaft, Wasserwirtschaft, Telekommunikation, Fremdenverkehr, Raumordnung oder Bodennutzung ausgearbeitet werden und durch die der Rahmen für die künftige Genehmigung der in den Anhängen I und II der UVP-Richtlinie aufgeführten Projekte gesetzt wird.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point43">43.</a>      Die Zweifel verschiedener Beteiligte, ob die Ausweisung eines besonderen Schutzgebiets oder die Festlegung von Erhaltungszielen für die Natura-2000-Gebiete einer Region einem dieser Bereiche zugeordnet werden kann, sind gut nachvollziehbar.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point44">44.</a>      Dies muss jedoch nicht weiter vertieft werden, denn gemäß Art. 3 Abs. 4 der SUP-Richtlinie befinden die Mitgliedstaaten ferner darüber, ob nicht unter Abs. 2 fallende Pläne und Programme, durch die der Rahmen für die künftige Genehmigung von (anderen) Projekten gesetzt wird, voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben(<a href="#Footnote9" name="Footref9">9</a>). Ist dies der Fall, so muss ebenfalls eine Umweltprüfung durchgeführt werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point45">45.</a>      Zwar betonen die oben genannten Beteiligten zutreffend, dass der Unionsgesetzgeber Maßnahmen zur Gebietsverwaltung in Art. 3 der SUP-Richtlinie nicht erwähnt hat. Doch andererseits besagt auch keine der genannten Bestimmungen ausdrücklich, dass Maßnahmen der Gebietsverwaltung von der strategischen Umweltprüfung ausgeschlossen sind.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point46">46.</a>      Wenn allerdings die Ausnahme für die Gebietsverwaltung nicht auch für die SUP-Richtlinie gelten sollte, könnte auf den ersten Blick ein Wertungswiderspruch zwischen den beiden Richtlinien entstehen. Warum sollte der Unionsgesetzgeber die Maßnahmen zur Gebietsverwaltung ausdrücklich von der Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie ausnehmen, sie aber zugleich der Pflicht zur Umweltprüfung nach der SUP-Richtlinie unterwerfen?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point47">47.</a>      Tatsächlich besteht aber kein solcher Widerspruch, denn die beiden Prüfungen haben unterschiedliche Funktionen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point48">48.</a>      Die Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 Satz 1 der Habitatrichtlinie soll klären, ob ein Plan oder ein Projekt nach Art. 6 Abs. 3 Satz 2 oder Abs. 4 genehmigt werden kann. Denn die zuständigen Stellen dürfen einem Plan oder Programm nach Art. 6 Abs. 3 Satz 2 nur zustimmen, wenn die Verträglichkeitsprüfung vollständige, präzise und endgültige Feststellungen enthält, die geeignet sind, jeden vernünftigen wissenschaftlichen Zweifel hinsichtlich der Auswirkungen der Arbeiten auszuräumen, die das betreffende Schutzgebiet beeinträchtigen könnten(<a href="#Footnote10" name="Footref10">10</a>). Und die Ausnahme von diesen strengen Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie kommt erst zur Anwendung, nachdem die Auswirkungen eines Plans oder Projekts gemäß Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie analysiert worden sind(<a href="#Footnote11" name="Footref11">11</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point49">49.</a>      Insbesondere die Anforderungen an eine Zustimmung nach Art. 6 Abs. 3 Satz 2 der Habitatrichtlinie schließen eine Anwendung auf Maßnahmen zur Gebietsverwaltung aus. Denn bei der Gebietsverwaltung wird es oft unmöglich sein, die jeweiligen Maßnahmen so zu strukturieren, dass jeder vernünftige wissenschaftliche Zweifel an einer Beeinträchtigung von Erhaltungszielen ausgeschlossen werden kann. Speziell für die Ausweisung von besonderen Schutzgebieten verlangt Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie sogar ausdrücklich, dass die zuständigen Stellen insbesondere bei der Gebietsausweisung Prioritäten setzen müssen, also bestimmten Zielen gegenüber anderen den Vorrang einräumen(<a href="#Footnote12" name="Footref12">12</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point50">50.</a>      Beispielsweise verlangt der Schutz von Offenlandlebensraumtypen, also insbesondere von Wiesen, in der Regel, dass Büsche oder Bäume beseitigt werden, die ihrerseits Lebensraum für geschützte Arten bieten könnten oder sich zu anderen geschützten Lebensraumtypen entwickeln könnten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point51">51.</a>      Darüber hinaus wird es oft notwendig sein, bestimmte Maßnahmen zum Schutz von Lebensraumtypen und Arten zu treffen, obwohl nicht jeder vernünftige wissenschaftliche Zweifel an damit verbundenen Nachteilen für die Erhaltungsziele des Gebiets ausgeschlossen werden kann. So geht man davon aus, dass viele Lebensraumtypen auf bestimmte Formen der Bewirtschaftung angewiesen sind(<a href="#Footnote13" name="Footref13">13</a>), ohne aber Beeinträchtigungen durch eine solche Bewirtschaftung in jedem Fall ausschließen zu können.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point52">52.</a>      Im Gegensatz zur Habitatrichtlinie enthält die SUP-Richtlinie selbst keine materiell-rechtlichen Anforderungen an die Genehmigung eines Projekts(<a href="#Footnote14" name="Footref14">14</a>). Sie soll vor allem sicherstellen, dass Umweltauswirkungen von Plänen und Programmen bei ihrer Annahme berücksichtigt werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point53">53.</a>      Eine solche Berücksichtigung muss zwar in jedem Fall die Beachtung zwingender umweltrechtlicher Vorgaben einschließen, doch diese können sich nur aus anderen Regelungen als der SUP-Richtlinie ergeben, etwa aus der Habitatrichtlinie oder der Wasserrahmenrichtlinie(<a href="#Footnote15" name="Footref15">15</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point54">54.</a>      Insbesondere Irland und die Kommission stützen sich allerdings auch darauf, dass Maßnahmen zur Verwaltung von Natura-2000-Gebieten ihrer Natur nach keine nachteiligen Umweltauswirkungen hätten, während die SUP-Richtlinie darauf abzielt, solche Auswirkungen zu identifizieren und zu berücksichtigen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point55">55.</a>      In der Tat ist die strategische Umweltprüfung nach dem vierten Erwägungsgrund der SUP-Richtlinie ein Instrument, um den Schutz der Umwelt in andere Aktivitäten zu integrieren. Sie zielt dagegen nicht vorrangig darauf ab, Maßnahmen zum Umweltschutz einer Prüfung zu unterwerfen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point56">56.</a>      Wie allerdings bereits in der mündlichen Verhandlung angesprochen wurde, hat der Gerichtshof bereits im Urteil Terre wallonne aus dem Jahr 2010(<a href="#Footnote16" name="Footref16">16</a>) entschieden, dass auch eine Maßnahme zum Umweltschutz eine Umweltprüfung erfordern kann. Dabei ging es um das Aktionsprogramm der Region Wallonien zur Durchführung der Nitratrichtlinie(<a href="#Footnote17" name="Footref17">17</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point57">57.</a>      In Bezug auf Maßnahmen zur Verwaltung von Natura-2000-Gebieten zeigt schon die Möglichkeit von Zielkonflikten bei Maßnahmen zur Gebietsverwaltung, dass diese die Umwelt nicht zwangsläufig schützen oder verbessern, sondern auch beeinträchtigen können.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point58">58.</a>      Hinzu kommt das Risiko, dass Maßnahmen zur Gebietsverwaltung schlecht oder unzureichend gestaltet werden und daher entweder selbst die Gebiete beeinträchtigen oder drohende Beeinträchtigungen nicht verhindern. Außerdem ist die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Gebietsverwaltung häufig nicht zweifelsfrei geklärt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point59">59.</a>      Solche Zweifel an der Qualität des Erlasses der Region Wallonien haben vermutlich die Umweltvereinigung Terre wallonne dazu veranlasst, im vorliegenden Verfahren gegen diesen Erlass vorzugehen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point60">60.</a>      Folglich zwingt das abstrakte Ziel von Maßnahmen der Gebietsverwaltung, den Gebietsschutz nach der Habitatrichtlinie zu verwirklichen, nicht zu der Schlussfolgerung, dass diese Maßnahmen keine nachteiligen Auswirkungen auf die Umwelt haben können.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point61">61.</a>      Vor diesem Hintergrund liegt ein Wertungswiderspruch eher in der Habitatrichtlinie selbst. Sie unterwirft im Zusammenhang mit Natura-2000-Gebieten die Genehmigung von Plänen und Projekten einer strengen Prüfung, die auf der Basis der besten wissenschaftlichen Erkenntnisse vorgenommen werden muss(<a href="#Footnote18" name="Footref18">18</a>). Dagegen erfordert die Gebietsverwaltung – zumindest nach dem Wortlaut der Habitatrichtlinie – keine wissenschaftlichen Grundlagen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point62">62.</a>      Aber auch daraus kann nicht geschlossen werden, dass der Unionsgesetzgeber die Gebietsverwaltung von jeglicher Umweltprüfung ausschließen wollte. Vielmehr zeigt dieser Widerspruch vor allem, dass der Unionsgesetzgeber beim Erlass der Habitatrichtlinie keine Notwendigkeit sah, diese Frage abschließend und detailliert zu regeln. Er ging offenbar davon aus, dass die Mitgliedstaaten in eigener Verantwortung die nötigen Maßnahmen ergreifen würden. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point63">63.</a>      Solche Maßnahmen sind notwendig, denn die Gebietsverwaltung kann die Erhaltungsziele der Gebiete ebenfalls erheblich beeinträchtigen und sollte daher wissenschaftlich mindestens genauso gut abgesichert werden wie Entscheidungen über andere Pläne und Projekte(<a href="#Footnote19" name="Footref19">19</a>). Der Umstand, dass die zuständigen Stellen beim Erlass der streitgegenständlichen Maßnahmen die Öffentlichkeit beteiligten, bestätigt im Übrigen diese Einschätzung.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point64">64.</a>      Wenn aber der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Habitatrichtlinie Regelungen über die Umweltprüfung und die Öffentlichkeitsbeteiligung im Zusammenhang mit der Gebietsverwaltung nicht für notwendig erachtete, bedeutet das noch nicht, dass er beim späteren Erlass von allgemeinen Regeln für die Umweltprüfung die Verwaltung von Natura-2000-Gebieten ausschließen wollte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point65">65.</a>      Vielmehr können die Umweltprüfung nach der SUP-Richtlinie, eine Umweltverträglichkeitsprüfung nach der UVP-Richtlinie oder für sonstige Fälle eine Öffentlichkeitsbeteiligung mit Prüfung der Umweltauswirkungen nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b des Übereinkommens von Aarhus(<a href="#Footnote20" name="Footref20">20</a>) die Regeln der Habitatrichtlinie zur Gebietsverwaltung in Bezug auf die Prüfung möglicher Umweltauswirkungen und die Öffentlichkeitsbeteiligung sinnvoll ergänzen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point66">66.</a>      Diese Überlegungen sind schließlich auch dem Argument entgegenzuhalten, eine Anwendung der SUP-Richtlinie würde die Durchführung der Habitatrichtlinie unerträglich verzögern. Denn es birgt erhebliche Risiken, Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Effizienz zu opfern. Welchen Nutzen hat Natura 2000, wenn die Gebiete zwar der Form nach zügig festgelegt werden, der tatsächliche Schutz von Arten und Lebensraumtypen aber unzureichend ist, weil die einzelnen Maßnahmen ohne hinreichende Fundierung und Beteiligung der Öffentlichkeit getroffen wurden?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point67">67.</a>      Somit stehen Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der SUP-Richtlinie und die Ausnahme für Maßnahmen der Gebietsverwaltung nach Art. 6 Abs. 3 Satz 1 der Habitatrichtlinie einer Verpflichtung zur Durchführung einer strategischen Umweltprüfung nicht entgegen.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">B.      <b>Zu den Begriffen Plan und Programm im Rahmen von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a und Abs. 4 der SUP-Richtlinie</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point68">68.</a>      Aufgrund der bisherigen Überlegungen steht fest, dass die Ausweisung eines besonderen Schutzgebiets und die Festlegung von Erhaltungszielen für die Natura-2000-Gebiete einer Region nicht aufgrund von Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der SUP-Richtlinie einer Umweltprüfung unterzogen werden müssen. Wie oben in den Nrn. 42 und 44 gezeigt, könnte eine Verpflichtung zur Umweltprüfung jedoch insbesondere aus Art. 3 Abs. 4 der SUP-Richtlinie folgen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point69">69.</a>      Diese Verpflichtung – genau wie die Prüfungspflicht nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der SUP-Richtlinie – hängt davon ab, dass der jeweilige Plan oder das Programm den Rahmen für die künftige Genehmigung von <i>Projekten</i> setzt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point70">70.</a>      Dazu hat der Gerichtshof festgestellt, dass der Begriff „Pläne und Programme“ sich auf jeden Rechtsakt bezieht, der dadurch, dass er die in dem betreffenden Bereich anwendbaren Regeln und Verfahren zur Kontrolle festlegt, eine signifikante Gesamtheit von Kriterien und Modalitäten für die Genehmigung und Durchführung eines oder mehrerer Projekte aufstellt, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben(<a href="#Footnote21" name="Footref21">21</a>). In dieser Hinsicht ist der Begriff „signifikante Gesamtheit von Kriterien und Modalitäten“ qualitativ und nicht quantitativ zu verstehen. Es sollen nämlich mögliche Strategien zur Umgehung der in der SUP-Richtlinie genannten Verpflichtungen, die die Maßnahmen zerstückeln und so die praktische Wirksamkeit dieser Richtlinie verringern könnten, vermieden werden(<a href="#Footnote22" name="Footref22">22</a>).</p>
<p class="C23Titrenumerote3">1.      <b>Zur Ausweisung eines besonderen Schutzgebiets</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point71">71.</a>      Die Ausweisung eines besonderen Schutzgebiets, wie sie Gegenstand der Rechtssache CFE ist, kann auf zweierlei Art und Weise einen Rahmen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a oder Abs. 4 der SUP-Richtlinie setzen. Erstens kann bereits die Festlegung eines Schutzgebiets mit bestimmten Erhaltungszielen einen Rahmen für die Genehmigung von Vorhaben setzen, und zweitens können mit der Ausweisung spezifische Schutzregelungen verbunden sein, die einen solchen Rahmen enthalten.</p>
<p class="C24Titrenumerote4">a)      <b>Zur Festlegung eines Schutzgebiets mit bestimmten Erhaltungszielen</b>
</p>
<p class="C26Titrenumerote6">i)      <i>Die Ausweisung als solche</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point72">72.</a>      Die Festlegung eines Schutzgebiets mit bestimmten Erhaltungszielen setzt zweifelsohne einen strengen Rahmen für die Genehmigung von Projekten innerhalb und in der Umgebung des Schutzgebiets. Denn solche Vorhaben – unabhängig davon, ob sie der UVP-Richtlinie unterliegen oder nicht(<a href="#Footnote23" name="Footref23">23</a>) – können nur nach Maßgabe von Art. 6 Abs. 3 und 4 der Habitatrichtlinie zugelassen werden. Maßstab für die notwendige Prüfung sind die für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungsziele. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point73">73.</a>      Vorhaben innerhalb dieses Rahmens sind zwar bereits Gegenstand von Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der SUP-Richtlinie. Doch das schließt es nicht aus, die Festlegung des Rahmens selbst Art. 3 Abs. 2 Buchst. a und Abs. 4 der Richtlinie zuzuweisen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point74">74.</a>      Somit ergibt sich aus der Festlegung eines besonderen Schutzgebiets im Zusammenspiel mit Art. 6 Abs. 3 und 4 der Habitatrichtlinie eine qualitativ signifikante Gesamtheit von Kriterien und Modalitäten für die Genehmigung und Durchführung eines oder mehrerer Projekte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point75">75.</a>      Allerdings entsteht dieser Rahmen nicht zwangsläufig erst mit der Ausweisung des besonderen Schutzgebiets. Zwar sind Art. 6 Abs. 3 und 4 der Habitatrichtlinie, wenn man sie isoliert liest, nur auf besondere Schutzgebiete anzuwenden, doch Art. 4 Abs. 5 sieht vor, dass ein Gebiet den Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2, 3 und 4 bereits unterliegt, sobald es in die Gemeinschaftsliste nach Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 3 aufgenommen ist. In diese Liste nimmt die Kommission nach Art. 4 Abs. 2 der Habitatrichtlinie die Gebiete auf, die sie aus den Gebietsvorschlägen auswählt, die die Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 1 vorlegen. Die in die Liste aufgenommenen Gebiete müssen die Mitgliedstaaten zwar als besondere Schutzgebiete ausweisen, doch dafür haben sie nach Art. 4 Abs. 4 bis zu sechs Jahre Zeit. Der Schutz durch Art. 6 Abs. 3 und 4 erfasst die Natura-2000-Gebiete daher in der Regel schon lange, bevor sie den Status eines besonderen Schutzgebiets erhalten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point76">76.</a>      Zum Zeitpunkt der Aufnahme in die Gemeinschaftsliste werden zwar noch nicht ausdrücklich bestimmte Erhaltungsziele festgelegt, doch diese ergeben sich aus der Gesamtheit der Lebensräume und Arten, für die das Gebiet nach den Angaben des Mitgliedstaats beim Vorschlag des Gebiets geschützt wurde(<a href="#Footnote24" name="Footref24">24</a>). Der durch die Festlegung des Schutzgebiets gesetzte Rahmen für die Genehmigung von Projekten entsteht somit regelmäßig lange vor der Ausweisung des besonderen Schutzgebiets. Wenn die Ausweisung eines besonderen Schutzgebiets diesen Rahmen nur bestätigt, verpflichtet sie somit nicht zur Durchführung einer Umweltprüfung.</p>
<p class="C26Titrenumerote6">ii)    <i>Änderung der Erhaltungsziele aus Anlass der Ausweisung</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point77">77.</a>      Allerdings ist nicht auszuschließen, dass die Gebietsausweisung als Änderung eines Plans oder Programms einer Umweltprüfung bedarf.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point78">78.</a>      Nach Art. 2 Buchst. a der SUP-Richtlinie schließt der Begriff der „Pläne und Programme“ auch ihre Änderung ein. Wie Art. 3 Abs. 3 zeigt, kommt es für eine Prüfungspflicht außerdem darauf an, ob die Änderungen voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point79">79.</a>      Die Ausweisung eines besonderen Schutzgebiets kann insbesondere die Erhaltungsziele des Gebiets beeinflussen. So verlangt Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie, dass bei der Ausweisung Prioritäten gesetzt werden. Daneben ist es vorstellbar, dass die Liste der geschützten Lebensraumtypen und Arten bei der Ausweisung oder dass der räumliche Umfang des Gebiets geändert wird.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point80">80.</a>      Vergleichsmaßstab, ob es Änderungen gibt, sind die Lebensräume und Arten, für die das Gebiet bei der Aufnahme in die Gemeinschaftsliste geschützt wurde, sowie die ursprünglich in dem Gebiet enthaltenen Flächen, falls die Lebensräume, Arten und Flächen nicht bereits zwischenzeitlich gemäß Art. 4 Abs. 1 der Habitatrichtlinie geändert wurden(<a href="#Footnote25" name="Footref25">25</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point81">81.</a>      Eine Änderung der Erhaltungsziele ändert den Rahmen, den das Schutzgebiet für Projekte setzt. Wenn bestimmte Lebensraumtypen, Arten oder auch Flächen in den Schutz einbezogen oder dort herausgenommen werden, ändern sich zwangsläufig die Bedingungen für die Zulassung von Vorhaben, die Auswirkungen auf das Gebiet haben können.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point82">82.</a>      In der Rechtssache CFE wäre insbesondere zu prüfen, ob die Einbeziehung von Lebensraumtypen und Arten von regionalem Interesse in den Schutz des Gebiets durch die Art. 8 und 9 und Anhang 4 des Erlasses den Rahmen für die Genehmigung von Projekten hinreichend verändert hat. Ihr Schutz ergibt sich nicht aus der Habitatrichtlinie, sondern nur aus dem Recht der Region Brüssel-Hauptstadt. Auch sind die betreffenden Vorkommen für die Aufnahme des Gebiets in die Gemeinschaftsliste ohne Bedeutung. Daher ist nicht auszuschließen, dass der entsprechende Gebietsvorschlag vor der Ausweisung des besonderen Schutzgebiets noch nicht den Schutz dieser Lebensraumtypen und Arten einschloss.</p>
<p class="C26Titrenumerote6">iii) <i>Teleologische Reduktion der Umweltprüfung in Bezug auf den von Art. 6 Abs. 3 und 4 gesetzten Rahmen?</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point83">83.</a>      Man könnte sich speziell für den durch Art. 6 Abs. 3 und 4 der Habitatrichtlinie gesetzten Rahmen zwar fragen, ob die Ziele der SUP-Richtlinie tatsächlich eine Umweltprüfung verlangen. Doch letztlich steht auch diese Überlegung der Umweltprüfung nicht entgegen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point84">84.</a>      Neben dem bereits erwähnten Ziel der Integration von Umwelterwägungen in die Entscheidung ist ein strukturelles Ziel der SUP-Richtlinie zu nennen, das sich daraus ergibt, dass sie die mehr als zehn Jahre ältere UVP-Richtlinie ergänzt, die die Berücksichtigung von Umweltauswirkungen bei der Genehmigung von Projekten zum Gegenstand hat. Bei der Anwendung der UVP-Richtlinie zeigte sich nämlich, dass zum Zeitpunkt der Prüfung von Projekten wichtige Umweltauswirkungen oft bereits aufgrund früherer Planungsmaßnahmen feststehen(<a href="#Footnote26" name="Footref26">26</a>). Diese Auswirkungen können daher zwar in der Umweltverträglichkeitsprüfung untersucht, aber bei der Genehmigung des Vorhabens nicht mehr umfassend berücksichtigt werden. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, derartige Umweltauswirkungen bereits bei vorbereitenden Planungsmaßnahmen zu untersuchen und ihnen in diesem Zusammenhang Rechnung zu tragen(<a href="#Footnote27" name="Footref27">27</a>). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point85">85.</a>      Aus dieser Zielsetzung könnte man schließen, dass die Umweltprüfung nicht nötig ist, wenn alle Umweltauswirkungen im Zusammenhang mit der Projektgenehmigung geprüft und dabei umfassend berücksichtigt werden können. Und im Prinzip verlangt Art. 6 Abs. 3 und 4 der Habitatrichtlinie eine umfassende Berücksichtigung der Auswirkungen von Plänen und Projekten auf die Erhaltungsziele der jeweiligen Gebiete.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point86">86.</a>      Das Risiko nachteiliger Umweltauswirkungen bei Festlegung von Natura-2000-Gebieten und der Änderung des Schutzumfangs liegt allerdings gerade in der Festlegung unzureichender Erhaltungsziele. Ihm kann auf der Ebene der Zulassung von Plänen und Projekten nicht mehr ausreichend begegnet werden.</p>
<p class="C26Titrenumerote6">iv)    <i>Zwischenergebnis</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point87">87.</a>      Somit bedarf die Ausweisung eines besonderen Schutzgebiets einer Umweltprüfung nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a und Abs. 3 oder nach Art. 3 Abs. 4 der SUP-Richtlinie, wenn sie mit Änderungen des Schutzumfangs des betreffenden Schutzgebiets verbunden ist, insbesondere Änderungen der Erhaltungsziele oder der geschützten Flächen, welche die Anwendung von Art. 6 Abs. 3 und 4 der Habitatrichtlinie oder weiter reichender innerstaatlicher Schutzbestimmungen berühren, wenn diese Änderungen erhebliche Umweltauswirkungen haben können. </p>
<p class="C24Titrenumerote4">b)      <b>Zur Festlegung besonderer Schutzregelungen in der Gebietsausweisung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point88">88.</a>      Neben den Schutzbestimmungen, die sich aus Art. 6 Abs. 3 und 4 der Habitatrichtlinie ergeben, können in einer Gebietsausweisung auch spezielle Schutzregelungen festgelegt werden, um etwa besonderen Risiken zu begegnen, denen das Gebiet unterliegt. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point89">89.</a>      So enthält Art. 15 des Erlasses, der Gegenstand des Verfahrens C‑43/18 ist, bestimmte Verbote, z. B. in Abs. 2 Nr. 1 das Verbot, einheimische Pflanzenarten, einschließlich Moose, Pilze und Flechten, zu entfernen, zu entwurzeln, zu schädigen oder zu vernichten sowie den Pflanzenbestand zu zerstören, zu verschlechtern oder zu verändern.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point90">90.</a>      Im Prinzip können derartige Verbote zusätzlich zu den Vorgaben von Art. 6 Abs. 3 und 4 der Habitatrichtlinie eine signifikante Gesamtheit von Kriterien und Modalitäten für die Genehmigung und Durchführung eines oder mehrerer Projekte enthalten, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, also einen Rahmen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a oder Abs. 4 der SUP-Richtlinie setzen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point91">91.</a>      Nach dem Wortlaut des Art. 15 des Erlasses haben die dort aufgestellten Verbote allerdings nicht diese Wirkung, denn sie gelten nur für Aktivitäten, die keiner Genehmigung bedürfen. Der für eine Anwendung von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a oder Abs. 4 der SUP-Richtlinie notwendige Rahmen muss dagegen für die Genehmigung von Projekten gelten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point92">92.</a>      Andere Verbote, die im Zusammenhang mit Genehmigungen zu beachten wären, sind aber nicht ersichtlich.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point93">93.</a>      Also bedarf die Ausweisung eines besonderen Schutzgebiets einer Umweltprüfung nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a oder nach Art. 3 Abs. 4 der SUP-Richtlinie, wenn sie spezielle Schutzregelungen festlegt, die neben Art. 6 Abs. 3 und 4 der Habitatrichtlinie anzuwenden sind und einen Rahmen für die Genehmigung von Projekten setzen, die der UVP-Richtlinie unterliegen, oder wenn diese speziellen Schutzregelungen einen Rahmen für die Genehmigung von anderen Projekten setzen und voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">2.      <b>Zur Festlegung der regionalen Erhaltungsziele </b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point94">94.</a>      Der Erlass der Wallonischen Regierung vom 1. Dezember 2016 zur Festlegung der Erhaltungsziele für das Natura 2000-Netz, d. h. der Rechtsakt, der Gegenstand der Rechtssache Terre wallonne ist, betrifft zwar auch die Durchführung der Habitatrichtlinie, hat aber eine ganz andere Funktion und Wirkungsweise als die Ausweisung eines besonderen Schutzgebiets. Er legt nicht die Erhaltungsziele für bestimmte Gebiete fest, sondern fasst sie gewissermaßen für die gesamte Region Wallonien zusammen. So summiert er die in der gesamten Region und in den verschiedenen Natura-2000-Gebieten bereits vorhandenen Flächen bestimmter Lebensraumtypen und legt fest, ob die Flächen dieser Lebensraumtypen in den Natura-2000-Gebieten im Umfang erhalten oder vergrößert werden sollen. Der Erlass enthält aber keine Vorgaben, wie und in welchen Gebieten der Region diese Erhaltungsziele verwirklicht werden sollen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point95">95.</a>      Damit zeigt der Erlass zweifelsohne im untechnischen Sinn den Rahmen für alle Pläne und Projekte auf, die irgendein Gebiet des Natura-2000-Netzes berühren könnten. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point96">96.</a>      Allerdings sieht die Habitatrichtlinie keine regionalen Erhaltungsziele vor, sondern ausschließlich Erhaltungsziele für die einzelnen Gebiete. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point97">97.</a>      Dementsprechend sind die regionalen Erhaltungsziele nach Art. 25bis § 1 des Gesetzes vom 12. Juli 1973 lediglich Richtwerte. Nur die für die einzelnen Gebiete festgelegten Erhaltungsziele haben nach Art. 25bis § 2 den Charakter von Vorschriften.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point98">98.</a>      Der achte Erwägungsgrund des Erlasses erläutert die Funktion der regionalen Erhaltungsziele dahin gehend, dass sie einen Gesamtüberblick darüber ermöglichen sollen, was zu erhalten ist oder was in der Wallonischen Region gegebenenfalls wiederherzustellen ist, damit die Lebensräume und Arten, für die das Natura-2000-Netz geschaffen wird, in einem günstigen Erhaltungszustand bewahrt werden oder ein solcher wiederhergestellt wird.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point99">99.</a>      Somit kommt den regionalen Erhaltungszielen des Erlasses vor allem eine informierende und koordinierende Funktion für die Verwaltung der Natura-2000-Gebiete in der Region zu. Sie enthalten aber keine signifikante Gesamtheit von Kriterien und Modalitäten für die Genehmigung und Durchführung eines oder mehrerer Projekte, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point100">100.</a> Ein Erlass, mit dem ein Organ eines Mitgliedstaats im Einklang mit der Habitatrichtlinie die Erhaltungsziele für das Natura-2000-Netz in seinem Zuständigkeitsbereich insgesamt, aber nicht für einzelne Natura-2000-Gebiete festlegt und somit keine Vorgaben für die Genehmigung von Projekten macht, ist daher kein Plan oder Programm im Sinne der SUP-Richtlinie.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">C.      <b>Schlussbemerkung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point101">101.</a> Abschließend ist anzumerken, dass der hier verfolgte Ansatz darauf hinausläuft, dass die Festlegung eines Natura-2000-Gebiets bzw. bestimmte Änderungen seiner Erhaltungsziele oder seines Umfangs im Prinzip einer Umweltprüfung bedürfen, wenn sie voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point102">102.</a> Zwar ist anzunehmen, dass die Aufnahme vieler Gebiete in die Gemeinschaftsliste und vermutlich auch einige zwischenzeitliche Änderungen ihres Schutzumfangs zeitlich noch nicht in den Anwendungsbereich der SUP-Richtlinie fallen. Jedoch dürfte es mittlerweile auch eine große Zahl von Gebietsfestlegungen und Änderungen geben, die im Prinzip einer Umweltprüfung bedurften, aber dieser nicht unterzogen wurden. Wenn solche Festlegungen und Änderungen noch nicht bestandskräftig, d. h. unanfechtbar, geworden sind, besteht somit das Risiko, dass sie vor Gericht in Frage gestellt werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point103">103.</a> Gleichwohl dürfen etwaige Anfechtungen wegen einer fehlenden Umweltprüfung nicht dazu führen, den Schutzumfang für Natura-2000-Gebiete einzuschränken. Vielmehr erscheint es zwingend, in solchen Fällen die Wirkung der Mitteilung an die Kommission aufrechtzuerhalten, bis der Mangel geheilt wurde(<a href="#Footnote28" name="Footref28">28</a>). Lediglich bei Änderungen, die eine Einschränkung des Gebietsschutzes bewirken, kommt eine Aufhebung oder Aussetzung bis zur Heilung des Mangels in Betracht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point104">104.</a> Im Übrigen wird in jedem Fall zu prüfen sein, ob den Anforderungen der SUP-Richtlinie nicht dennoch genügt wurde(<a href="#Footnote29" name="Footref29">29</a>). So wurde in den vorliegenden Fällen zumindest eine Öffentlichkeitsbeteiligung durchgeführt. Ob auch ein Umweltbericht oder äquivalente Dokumente vorgelegt wurden, ergibt sich aus der Akte dagegen nicht.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">V.      <b>Ergebnis</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point105">105.</a> Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, in der Rechtssache C‑43/18, CFE, wie folgt zu entscheiden:</p>
<p class="C02AlineaAltA">Die Ausweisung eines besonderen Schutzgebiets bedarf einer Umweltprüfung nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a und Abs. 3 oder Abs. 4 der SUP-Richtlinie, </p>
<p class="C03Tiretlong">–        wenn sie mit Änderungen des Schutzumfangs des betreffenden Schutzgebiets verbunden ist, insbesondere Änderungen der Erhaltungsziele oder der geschützten Flächen, welche die Anwendung von Art. 6 Abs. 3 und 4 der Habitatrichtlinie oder weiter reichender innerstaatlicher Schutzbestimmungen berühren, falls diese Änderungen erhebliche Umweltauswirkungen haben können, oder</p>
<p class="C03Tiretlong">–        wenn sie spezielle Schutzregelungen festlegt, die neben Art. 6 Abs. 3 und 4 der Habitatrichtlinie anzuwenden sind und einen Rahmen für die Genehmigung von Projekten setzen und voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point106">106.</a> In der Rechtssache C‑321/18, Terre wallonne, schlage ich dem Gerichtshof vor, wie folgt zu antworten:</p>
<p class="C02AlineaAltA">Ein Erlass, mit dem ein Organ eines Mitgliedstaats im Einklang mit der Habitatrichtlinie die Erhaltungsziele für das Natura-2000-Netz in seinem Zuständigkeitsbereich insgesamt, aber nicht für einzelne Natura-2000-Gebiete festlegt und somit keine Vorgaben für die Genehmigung von Projekten macht, ist kein Plan oder Programm im Sinne der SUP-Richtlinie.</p>
<hr/>
<p class="C40FootnoteLangue">
<a href="#Footref1" name="Footnote1">1</a>      Originalsprache: Deutsch.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref2" name="Footnote2">2</a>      Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (ABl. 2001, L 197, S. 30).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref3" name="Footnote3">3</a>      Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. 1992, L 206, S. 7) in der durch die Richtlinie 2013/17/EU des Rates vom 13. Mai 2013 (ABl. 2013, L 158, S. 193) geänderten Fassung.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref4" name="Footnote4">4</a>      Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. 2012, L 26, S. 1).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref5" name="Footnote5">5</a>      <i>Moniteur belge</i> Nr. 136 vom 13. Mai 2016, S. 31558.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref6" name="Footnote6">6</a>      <i>Moniteur belge</i> Nr. 340 vom 22. Dezember 2016, S. 88148.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref7" name="Footnote7">7</a>      Entscheidung 2004/813/EG (ABl. 2004, L 387, S. 1).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref8" name="Footnote8">8</a>      Beschluss vom 19. September 2006, CFE/Kommission (T‑100/05, nicht veröffentlicht, EU:T:2006:260).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref9" name="Footnote9">9</a>      Vgl. Urteile vom 22. September 2011, Valčiukienė u. a. (C‑295/10, EU:C:2011:608, Rn. 45 bis 47), und vom 21. Dezember 2016, Associazione Italia Nostra Onlus (C‑444/15, EU:C:2016:978, Rn. 52 bis 54).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref10" name="Footnote10">10</a>      Urteile vom 11. April 2013, Sweetman u. a. (C‑258/11, EU:C:2013:220, Rn. 44), vom 21. Juli 2016, Orleans u. a. (C‑387/15 und C‑388/15, EU:C:2016:583, Rn. 50), und vom 17. April 2018, Kommission/Polen (Waldgebiet Białowieża) (C‑441/17, EU:C:2018:255, Rn. 114).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref11" name="Footnote11">11</a>      Urteile vom 21. Juli 2016, Orleans u. a. (C‑387/15 und C‑388/15, EU:C:2016:583, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung), sowie vom 17. April 2018, Kommission/Polen (Wald von Białowieża) (C‑441/17, EU:C:2018:255, Rn. 189).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref12" name="Footnote12">12</a>      Urteil vom 4. März 2010, Kommission/Frankreich (C‑241/08, EU:C:2010:114, Rn. 53). Siehe auch meine Schlussanträge in der Rechtssache Kommission/Frankreich (C‑241/08, EU:C:2009:398, Nrn. 43, 44 sowie 71).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref13" name="Footnote13">13</a>      Vgl. Halada, L., Evans, D., Romão, C., Petersen, J. E., „Which habitats of European importance depend on agricultural practices?“, <i>Biodiversity and Conservation</i> 20 (2011), 2365 bis 2378.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref14" name="Footnote14">14</a>      Siehe zur UVP-Richtlinie Urteile vom 13. Dezember 2007, Kommission/Irland (C‑418/04, EU:C:2007:780, Rn. 231), und vom 14. März 2013, Leth (C‑420/11, EU:C:2013:166, Rn. 46).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref15" name="Footnote15">15</a>      Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik (ABl. 2000, L 327, S. 1).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref16" name="Footnote16">16</a>      Urteil vom 17. Juni 2010, Terre wallonne und Inter-Environnement Wallonie (C‑105/09 und C‑110/09, EU:C:2010:355).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref17" name="Footnote17">17</a>      Richtlinie 91/676/EWG des Rates vom 12. Dezember 1991 zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen (ABl. 1991, L 375, S. 1).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref18" name="Footnote18">18</a>      Urteile vom 21. Juli 2016, Orleans u. a. (C‑387/15 und C‑388/15, EU:C:2016:583, Rn. 51), vom 26. April 2017, Kommission/Deutschland (Moorburg) (C‑142/16, EU:C:2017:301, Rn. 57), und vom 17. April 2018, Kommission/Polen (Waldgebiet Białowieża) (C‑441/17, EU:C:2018:255, Rn. 113).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref19" name="Footnote19">19</a>      Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Kommission/Frankreich (C‑241/08, EU:C:2009:398, Nrn. 70 und 71).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref20" name="Footnote20">20</a>      Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten von 1998 (ABl. 2005, L 124, S. 4), angenommen mit Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17. Februar 2005 (ABl. 2005, L 124, S. 1). Siehe dazu Urteile vom 8. November 2016, Lesoochranárske zoskupenie VLK (C‑243/15, EU:C:2016:838, Rn. 57 und 59), sowie vom 20. Dezember 2017, Protect Natur-, Arten- und Landschaftsschutz Umweltorganisation (C‑664/15, EU:C:2017:987, Rn. 38 und 39).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref21" name="Footnote21">21</a>      Urteile vom 27. Oktober 2016, D’Oultremont u. a. (C‑290/15, EU:C:2016:816, Rn. 49), und vom 7. Juni 2018, Inter-Environnement Bruxelles u. a. (C‑671/16, EU:C:2018:403, Rn. 53) sowie Thybaut u. a. (C‑160/17, EU:C:2018:401, Rn. 54).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref22" name="Footnote22">22</a>      Urteile vom 7. Juni 2018, Inter-Environnement Bruxelles u. a. (C‑671/16, EU:C:2018:403, Rn. 55) sowie Thybaut u. a. (C‑160/17, EU:C:2018:401, Rn. 55).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref23" name="Footnote23">23</a>      Vgl. Urteil vom 7. November 2018, Coöperatie Mobilisation for the Environment u. a. (C‑293/17 und C‑294/17, EU:C:2018:882, Rn. 65 und 66).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref24" name="Footnote24">24</a>      Urteil vom 7. November 2018, Holohan u. a. (C‑461/17, EU:C:2018:883, Rn. 37), und meine Schlussanträge in der Rechtssache Waddenvereniging und Vogelbeschermingsvereniging (C‑127/02, EU:C:2004:60, Nr. 97).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref25" name="Footnote25">25</a>      Siehe zu einer Gebietsverkleinerung Urteil vom 19. Oktober 2017, Vereniging Hoekschewaards Landschap (C‑281/16, EU:C:2017:774, Rn. 16 bis 20 und 30).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref26" name="Footnote26">26</a>      Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (KOM(96) 511 endg., S. 6).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref27" name="Footnote27">27</a>      Vgl. meine Schlussanträge in den verbundenen Rechtssachen Terre wallonne und Inter-Environnement Wallonie (C‑105/09 und C‑110/09, EU:C:2010:120, Nrn. 31 und 32).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref28" name="Footnote28">28</a>      Vgl. Urteile vom 28. Februar 2012, Inter-Environnement Wallonie und Terre wallonne (C‑41/11, EU:C:2012:103, Rn. 42 ff.), und vom 28. Juli 2016, Association France Nature Environnement (C‑379/15, EU:C:2016:603, Rn. 29 ff.).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref29" name="Footnote29">29</a>      Urteil vom 11. August 1995, Kommission/Deutschland (Großkrotzenburg) (C‑431/92, EU:C:1995:260, Rn. 43 bis 45).</p>
|
175,018 | eugh-2019-01-24-c-31317 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-313/17 | 2019-01-24T00:00:00 | 2019-01-31T19:20:45 | 2019-01-31T19:20:45 | Urteil | ECLI:EU:C:2019:57 | <p>Vorläufige Fassung</p>
<p class="C19Centre">URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)</p>
<p class="C19Centre">24. Januar 2019(<a href="#Footnote*" name="Footref*">*</a>)</p>
<p class="C71Indicateur">„Rechtsmittel – Art. 86 der Verfahrensordnung des Gerichts – Zulässigkeit – Verfahren der Anpassung der Klageschrift – Erfordernis, die Klagegründe und Argumente anzupassen – Restriktive Maßnahmen gegenüber der Arabischen Republik Syrien – Liste der Personen, deren Gelder und wirtschaftliche Ressourcen eingefroren wurden – Aufnahme des Namens des Rechtsmittelführers“</p>
<p class="C02AlineaAltA">In der Rechtssache C‑313/17 P</p>
<p class="C02AlineaAltA">betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 26. Mai 2017,</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>George Haswani,</b> wohnhaft in Yabroud (Syrien), Prozessbevollmächtigter: G. Karouni, avocat,</p>
<p class="C72Alineadroite">Rechtmittelführer,</p>
<p class="C02AlineaAltA">andere Parteien des Verfahrens:</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Rat der Europäischen Union,</b> vertreten durch A. Sikora-Kalėda und S. Kyriakopoulou als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C72Alineadroite">Beklagter im ersten Rechtszug,</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Europäische Kommission,</b> vertreten durch L. Havas und R. Tricot als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C72Alineadroite">Streithelferin im ersten Rechtszug,</p>
<p class="C02AlineaAltA">erlässt</p>
<p class="C19Centre">DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Mitwirkung der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer sowie der Richter J.‑C. Bonichot (Berichterstatter), A. Arabadjiev, E. Regan und S. Rodin, </p>
<p class="C02AlineaAltA">Generalanwalt: P. Mengozzi,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Kanzler: A. Calot Escobar,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund des schriftlichen Verfahrens,</p>
<p class="C02AlineaAltA">nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. September 2018</p>
<p class="C02AlineaAltA">folgendes</p>
<p class="C75Debutdesmotifs">
<b>Urteil</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point1">1</a>        Mit seinem Rechtsmittel beantragt Herr George Haswani die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 22. März 2017, Haswani/Rat (T‑231/15, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2017:200), soweit damit sein Antrag auf Nichtigerklärung des Beschlusses (GASP) 2016/850 des Rates vom 27. Mai 2016 zur Änderung des Beschlusses 2013/255/GASP über restriktive Maßnahmen gegen Syrien (ABl. 2016, L 141, S. 125) und der Durchführungsverordnung (EU) 2016/840 des Rates vom 27. Mai 2016 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 36/2012 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien (ABl. 2016, L 141, S. 30) (im Folgenden zusammen: Rechtsakte vom 27. Mai 2016) als unzulässig zurückgewiesen wurde.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point2">2</a>        In Art. 86 („Anpassung der Klageschrift“) der Verfahrensordnung des Gerichts in seiner auf den Rechtsstreit im ersten Rechtszug anwendbaren Fassung (im Folgenden: Verfahrensordnung des Gerichts) heißt es: </p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Wird ein Rechtsakt, dessen Nichtigerklärung beantragt wird, durch einen anderen Rechtsakt mit demselben Gegenstand ersetzt oder geändert, so kann der Kläger vor Abschluss des mündlichen Verfahrens oder vor der Entscheidung des Gerichts, ohne mündliches Verfahren zu entscheiden, die Klageschrift anpassen, um diesem neuen Umstand Rechnung zu tragen. </p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Die Anpassung der Klageschrift muss mit gesondertem Schriftsatz und innerhalb der in Artikel 263 Absatz 6 AEUV vorgesehenen Frist erfolgen, innerhalb deren die Nichtigerklärung des die Anpassung der Klageschrift rechtfertigenden Rechtsakts beantragt werden kann. </p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)      Der Anpassungsschriftsatz muss enthalten:</p>
<p class="C02AlineaAltA">a)      die angepassten Anträge;</p>
<p class="C02AlineaAltA">b)      erforderlichenfalls die angepassten Klagegründe und Argumente;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">c)      erforderlichenfalls die mit der Anpassung der Anträge in Zusammenhang stehenden Beweise und Beweisangebote. </p>
<p class="C02AlineaAltA">(4)      Dem Anpassungsschriftsatz ist der die Anpassung der Klageschrift rechtfertigende Rechtsakt beizufügen. Wird dieser Rechtsakt nicht vorgelegt, so setzt der Kanzler dem Kläger eine angemessene Frist zur Vorlage. Bei Ausbleiben einer fristgemäßen Mängelbehebung entscheidet das Gericht, ob die Nichtbeachtung dieses Erfordernisses die Unzulässigkeit des Schriftsatzes zur Anpassung der Klageschrift zur Folge hat. </p>
<p class="C02AlineaAltA">(5)      Unbeschadet der späteren Entscheidung des Gerichts über die Zulässigkeit des Schriftsatzes zur Anpassung der Klageschrift setzt der Präsident dem Beklagten eine Frist zur Erwiderung auf den Anpassungsschriftsatz. </p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Vorgeschichte des Rechtsstreits, Klage vor dem Gericht und angefochtenes Urteil</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point3">3</a>        Der Rechtsmittelführer ist Unternehmer, syrischer Staatsangehöriger, Gründer und Miteigentümer der Öl- und Gasgesellschaft HESCO.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point4">4</a>        Mit zwei Rechtsakten vom 6. März 2015 (im Folgenden: Rechtsakte vom 6. März 2015) wurde sein Name auf die Liste in Anhang I des Beschlusses 2013/255/GASP des Rates vom 31. Mai 2013 über restriktive Maßnahmen gegen Syrien (ABl. 2013, L 147, S. 14) gesetzt, ebenso wie auf diejenige in Anhang II der Verordnung (EU) Nr. 36/2012 des Rates vom 18. Januar 2012 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 442/2011 (ABl. 2012, L 16, S. 1), und zwar aus folgenden Gründen:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Bekannter syrischer Geschäftsmann, Miteigentümer der ‚HESCO Engineering and Construction Company‘, eines großen Ingenieur- und Bauunternehmens in Syrien. Er hat enge Verbindungen zum syrischen Regime.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Durch seine Rolle als Mittelsmann beim Ankauf von Erdöl von ISIS durch das syrische Regime ist George Haswani Unterstützer und Nutznießer des syrischen Regimes.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Ferner profitiert er von dem Regime durch Vorzugsbehandlung, unter anderem durch die Vergabe eines Auftrags (als Subunternehmer) mit Stroytransgaz, einem großen russischen Erdölunternehmen.“ </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point5">5</a>        Am 5. Mai 2015 erhob der Rechtsmittelführer beim Gericht Klage auf Nichtigerklärung der Rechtsakte vom 6. März 2015.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point6">6</a>        Am 28. Mai 2015 erließ der Rat den Beschluss (GASP) 2015/837 zur Änderung des Beschlusses 2013/255 (ABl. 2015, L 132, S. 82), mit dem der Beschluss 2013/255 bis 1. Juni 2016 verlängert und Anhang I dieses Beschlusses geändert wurde. Am gleichen Tag erließ der Rat auch die Durchführungsverordnung (EU) 2015/828 zur Durchführung der Verordnung Nr. 36/2012 (ABl. 2015, L 132, S. 3), die Anhang II dieser Verordnung Nr. 36/2012 änderte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point7">7</a>        Mit Schriftsatz, der am 23. Juni 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht wurde, passte der Rechtsmittelführer die Klageschrift mit dem Ziel der Nichtigerklärung auch des Beschlusses 2015/837 und der Durchführungsverordnung 2015/828 an.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point8">8</a>        Am 12. Oktober 2015 erließ der Rat zum einen den Beschluss (GASP) 2015/1836 zur Änderung des Beschlusses 2013/255 (ABl. 2015, L 266, S. 75) und zum anderen die Durchführungsverordnung (EU) 2015/1828 zur Änderung der Verordnung Nr. 36/2012 (ABl. 2015, L 266, S. 1), die Anhang II der genannten Verordnung änderte (im Folgenden: Rechtsakte vom 12. Oktober 2015). </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point9">9</a>        Die Änderungen betrafen bei Art. 28 Abs. 2 des Beschlusses 2013/255 und Art. 15 Abs. 1a der Verordnung Nr. 36/2012 u. a. die Kriterien für die Aufnahme in die beigefügten Listen. Insbesondere wurden die Kriterien der Verantwortlichkeit für die Repression bzw. der Verbindung zum Regime durch eine Liste von Personen ergänzt, die in sieben Kategorien, u. a. „führende Geschäftsleute, die in Syrien tätig sind“, fallen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point10">10</a>      Mit Schreiben vom 29. April 2016 teilte der Rat dem Rechtsmittelführer seine Absicht mit, ihn auf den fraglichen Listen zu belassen, und informierte ihn über die Änderung der ihn betreffenden Begründung. Der Rechtsmittelführer antwortete dem Rat über seinen Rechtsanwalt mit Schreiben vom 12. Mai 2016.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point11">11</a>      Mit den Rechtsakten vom 27. Mai 2016 nahm der Rat den Namen des Rechtsmittelführers mit der folgenden Begründung in die Anhänge dieser Rechtsakte auf:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Führender, in Syrien tätiger Geschäftsmann mit Beteiligungen und/oder Tätigkeiten in den Branchen Ingenieur- und Bauwesen sowie in der Erdöl- und Erdgasbranche. Er besitzt Beteiligungen an und/oder hat maßgeblichen Einfluss auf eine Reihe von Unternehmen und Organisationen in Syrien, insbesondere HESCO Engineering and Construction Company, ein großes Ingenieur- und Bauunternehmen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">George Haswani hat enge Verbindungen zum syrischen Regime. Durch seine Rolle als Mittelsmann beim Ankauf von Erdöl von ISIS durch das syrische Regime ist George Haswani Unterstützer und Nutznießer des syrischen Regimes. Ferner profitiert er von dem Regime durch Vorzugsbehandlung, unter anderem durch die Vergabe eines Auftrags (als Subunternehmer) mit Stroytransgaz, einem großen russischen Erdölunternehmen.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point12">12</a>      Mit Schriftsatz, der am 7. Juli 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht wurde, beantragte der Rechtsmittelführer die Anpassung seiner Klageschrift mit dem Ziel der Nichtigerklärung auch der Rechtsakte vom 27. Mai 2016 (im Folgenden: zweiter Anpassungsschriftsatz oder zweiter Anpassungsantrag).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point13">13</a>      Mit Schreiben vom 22. Juli 2016 legte der Rat seine Erklärungen zum zweiten Anpassungsschriftsatz vor; er hielt diesen für lückenhaft und ungenau.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point14">14</a>      Mit dem angefochtenen Urteil wies das Gericht insbesondere den zweiten Anpassungsantrag als unzulässig zurück, weil der Rechtsmittelführer im zweiten Anpassungsschriftsatz gemäß Art. 86 Abs. 4 der Verfahrensordnung des Gerichts die angepassten Klagegründe und Argumente zur Stützung der Nichtigkeitsanträge hätte angeben müssen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point15">15</a>      Deshalb hat das Gericht in den Rn. 41 bis 47 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass, soweit sich der rechtliche Rahmen für die restriktiven Maßnahmen oder die Kriterien für die Aufnahme in die Listen geändert hätten, der Rechtsmittelführer seine Klagegründe und Argumente hätte anpassen müssen, um dieser Änderung Rechnung zu tragen, und dass dieses Erfordernis im vorliegenden Fall nicht erfüllt sei, da im zweiten Anpassungsantrag lediglich die Ausdehnung der Anträge der Klageschrift beantragt worden sei, ohne Anführung anderer Erklärungen oder neuer tatsächlicher oder rechtlicher Gesichtspunkte unter Berücksichtigung der Änderung des geltenden rechtlichen Rahmens, insbesondere der Einführung neuer Aufnahmekriterien.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Anträge der Parteien vor dem Gerichtshof</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point16">16</a>      Herr Haswani beantragt,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit damit der zweite Anpassungsantrag für unzulässig erklärt wird;</p>
<p class="C03Tiretlong">–        dementsprechend die Streichung des Namens von „Herrn George Haswani“ in den den Rechtsakten vom 27. Mai 2016 beigefügten Anhängen anzuordnen;</p>
<p class="C03Tiretlong">–        die Rechtsakte vom 12. Oktober 2015 für nichtig zu erklären;</p>
<p class="C03Tiretlong">–        den Rat der Europäischen Union zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 700 000 Euro als Ersatz für alle Schäden zu verurteilen;</p>
<p class="C03Tiretlong">–        dem Rat die Kosten für das Verfahren vor dem Gerichtshof und die gesamten Kosten für das Verfahren vor dem Gericht aufzuerlegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point17">17</a>      Der Rat beantragt,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        das Rechtsmittel zurückzuweisen;</p>
<p class="C03Tiretlong">–        dem Rechtsmittelführer die Kosten aufzuerlegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point18">18</a>      Die Europäische Kommission, Streithelferin im ersten Rechtszug, hat gemäß Art. 172 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs eine Rechtsmittelbeantwortung eingereicht, in der sie sich den Schlussfolgerungen des Rates anschließt und beantragt, das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen und dem Rechtsmittelführer die Kosten aufzuerlegen.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Zum Rechtsmittel</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point19">19</a>      Mit seinen Rechtsmittelgründen, die zusammen zu prüfen sind, macht Herr Haswani im Wesentlichen geltend, das Gericht habe in seinem Urteil drei Rechtsfehler begangen, indem es den zweiten Anpassungsantrag aus den in Rn. 15 des vorliegenden Urteils genannten Gründen für unzulässig erklärt habe.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Vorbringen der Parteien</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point20">20</a>      Herr Haswani wirft dem Gericht einen ersten Rechtsfehler dahin vor, dass es gegen Art. 86 Abs. 4 und 5 der Verfahrensordnung des Gerichts verstoßen habe. Nach diesen Bestimmungen habe der Kanzler des Gerichts den Kläger, wenn dieser seinem Antrag keine Abschrift des die beantragte Anpassung rechtfertigenden Rechtsakts beigefügt habe, ausdrücklich aufzufordern, den Mangel dieses Antrags innerhalb zuvor festgelegter Fristen zu beheben; andernfalls könne er vom Gericht nicht als unzulässig zurückgewiesen werden. Wenn die fehlende Vorlage des die Anpassung der Klageschrift rechtfertigenden Rechtsakts nicht von Amts wegen die Unzulässigkeit eines Anpassungsantrags zur Folge habe, müsse dies deshalb erst recht für die Nichtvorlage angepasster Klagegründe gelten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point21">21</a>      Das angefochtene Urteil sei mit einem zweiten Rechtsfehler behaftet, da das Gericht angenommen habe, es könne die im zweiten Anpassungsschriftsatz des Rechtsmittelführers gestellten Anträge als unzulässig zurückweisen, ohne auch nur zu prüfen, ob der Kanzler eine Aufforderung zur Mängelbehebung an ihn gerichtet habe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point22">22</a>      Der dritte vom Gericht begangene Rechtsfehler betreffe die Nichtbeachtung des eingeschobenen Satzteils „erforderlichenfalls“ in Art. 86 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts, aus dem sich ergebe, dass es nicht notwendig sei, angepasste Klagegründe und Argumente vorzubringen, da sich die Kriterien für die Aufnahme in die Listen zwischen den zunächst angefochtenen Rechtsakten und den mit dem Anpassungsantrag der Klageschrift hinzugefügten Rechtsakten geändert hätten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point23">23</a>      In diesem Zusammenhang beanstandet Herr Haswani zwar nicht, dass durch die Rechtsakte vom 12. Oktober 2015 die Anzahl der Personen, die Gegenstand restriktiver Maßnahmen sein könnten, größer geworden sei, meint aber, es sei „offensichtlich“, dass die Gründe für die Maßnahmen gegen ihn im Jahr 2016 abgesehen von geringfügigen Formulierungsunterschieden im Wesentlichen die gleichen seien wie die für die Maßnahmen im Jahr 2015. Das Gericht habe selbst angenommen, dass diese Gründe nicht belegt seien, da kein vom Rat vorgelegtes Dokument hinreichend beweiskräftig sei; es handele sich dabei um ungenaue Presseartikel oder um Auszüge aus Internetseiten. Nach Auffassung von Herrn Haswani konnte er daher nicht verpflichtet sein, zur Vermeidung der Unzulässigkeit des Anpassungsantrags angepasste Klagegründe vorzubringen, da dies „überflüssig“ gewesen sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point24">24</a>      Der Rat hat Zweifel hinsichtlich der Zulässigkeit des Rechtsmittels, mit dem die Vorschriften des Unionsrechts, gegen die verstoßen worden sei, nicht hinreichend genau angegeben würden, und führt aus, der geltend gemachte zweite Rechtsfehler sei nicht hinreichend belegt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point25">25</a>      Darüber hinaus hält der Rat das Rechtsmittel für offensichtlich unbegründet. Er verweist auf die Argumentation, die er im erstinstanzlichen Verfahren in seiner Einrede der Unzulässigkeit des zweiten Anpassungsschriftsatzes erfolgreich vorgebracht habe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point26">26</a>      Diese Argumentation besteht darin, die Anforderungen an die Gründe der Klageschrift, der zur Vermeidung ihrer Unzulässigkeit gemäß Art. 76 Buchst. d der Verfahrensordnung des Gerichts eine, wenn auch nur kurze, Darstellung der geltend gemachten Klagegründe hinzuzufügen sei, auf den Anpassungsantrag zu übertragen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point27">27</a>      Der Rat trägt vor, was für den hier in Rede stehenden Anpassungsantrag entschieden worden sei, sei ständige Praxis des Gerichts, das bereits einen anderen Anpassungsantrag in gleicher Weise zurückgewiesen habe (Urteil vom 28. Januar 2016, Klyuyev/Rat, T‑341/14, EU:T:2016:47, Rn. 71 bis 73).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point28">28</a>      Der Rat stützt sich auf die Schlussanträge der Generalanwältin in der dem Urteil vom 9. November 2017, HX/Rat (C‑423/16 P, EU:C:2017:848, Rn. 33), zugrunde liegenden Rechtssache und führt aus, die aus dem eingeschobenen Satzteil „erforderlichenfalls“ in Art. 86 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts folgende Regel sei individuell auf den Einzelfall anzuwenden und erfordere, dass das Gericht hinsichtlich der Notwendigkeit, angepasste Klagegründe und Argumente vorzubringen, eine Sachprüfung vornehme. Diese Auslegung ergebe sich daraus, dass formale Anforderungen wie diejenige in Art. 86 Abs. 3 Buchst. b der Verfahrensordnung des Gerichts dazu da seien, den kontradiktorischen Charakter des Verfahrens zu gewährleisten und es dem Gericht zu ermöglichen, in Kenntnis der Sachlage zu entscheiden, und nicht „um ihrer selbst willen“ gälten. Das Gericht habe hierbei einen gewissen Beurteilungsspielraum.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point29">29</a>      Die Kommission ist mit der gleichen Argumentationsweise als Streithelferin zur Unterstützung der schriftlichen Erklärungen des Rates beigetreten. Sie besteht vor allem auf dem „besonders lückenhaften“ Charakter des zweiten Anpassungsschriftsatzes. Wenn ein Schriftsatz „derartig lückenhaft“ sei, hindere das Gericht nichts daran, den Anpassungsantrag, dessen Begründetheit zu beurteilen es nicht die Möglichkeit gehabt habe, für unzulässig zu erklären.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Würdigung durch den Gerichtshof</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point30">30</a>      Zunächst sind die vom Rat und von der Kommission vorgetragenen Einwände hinsichtlich der Zulässigkeit des vorliegenden Rechtsmittels zurückzuweisen. Aus diesem geht nämlich eindeutig hervor, dass der Rechtsmittelführer dem Gericht mit seinen Rechtsmittelgründen vorwirft, gegen Art. 86 Abs. 4 und 5 seiner Verfahrensordnung verstoßen zu haben, als es in den Rn. 39 bis 47 des angefochtenen Urteils entschieden habe, dass der zweite Anpassungsantrag zurückzuweisen sei, da er keine angepassten Klagegründe und Argumente enthalte. Diese Gründe werfen somit eine Rechtsfrage auf, die dem Gerichtshof mit einem Rechtsmittel zur Prüfung vorgelegt werden kann.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point31">31</a>      Art. 86 der Verfahrensordnung des Gerichts regelt die Voraussetzungen, unter denen der Kläger als Ausnahme vom Grundsatz der Unveränderlichkeit der Anträge seine Klageschrift anpassen kann, wenn ein Rechtsakt, dessen Nichtigerklärung beim Gericht beantragt wird, durch einen anderen Rechtsakt mit demselben Gegenstand ersetzt oder geändert wird (vgl. u. a. Urteil vom 9. November 2017, HX/Rat, C‑423/16 P, EU:C:2017:848, Rn. 18).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point32">32</a>      Insbesondere ergibt sich aus Art. 86 Abs. 3 Buchst. b der Verfahrensordnung des Gerichts, dass der Schriftsatz zur Anpassung der Klageschrift erforderlichenfalls gegenüber denen der Klageschrift angepasste Klagegründe und Argumente enthalten muss.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point33">33</a>      Die Verwendung des eingeschobenen Satzteils „erforderlichenfalls“ im Wortlaut dieser Bestimmung deutet unmissverständlich darauf hin, dass dem Schriftsatz zur Anpassung der Klageschrift nur dann ihrerseits angepasste Klagegründe und Argumente hinzuzufügen sind, wenn sich dies als notwendig erweist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point34">34</a>      Diese Schlussfolgerung wird im Licht der Ziele von Art. 86 der Verfahrensordnung des Gerichts bestätigt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point35">35</a>      In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass es zwar durchaus gerechtfertigt ist, an eine Klageanpassung gewisse formale Anforderungen zu stellen, dass jedoch solche Anforderungen nicht um ihrer selbst willen gelten, sondern dazu da sind, den kontradiktorischen Charakter des Verfahrens und eine geordnete Rechtspflege zu gewährleisten (Urteil vom 9. November 2017, HX/Rat, C‑423/16 P, EU:C:2017:848, Rn. 23).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point36">36</a>      Wie der Generalanwalt in Nr. 61 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, würde es dem Grundsatz der geordneten Rechtspflege und der Prozessökonomie zuwiderlaufen, von einem Kläger, der seine Anträge angepasst hat, zu verlangen, dass er in einem Schriftsatz zur Anpassung der Klageschrift Klagegründe und Argumente wiederholt, die mit denen identisch sind, auf die er seine Anträge gegen den ursprünglich angefochtenen Rechtsakt gestützt hat.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point37">37</a>      Deshalb kann, wenn ein mit der Anpassung der Klageschrift angefochtener späterer Rechtsakt im Wesentlichen derselbe ist wie ein ursprünglich angefochtener Rechtsakt oder sich nur durch rein formale Unterschiede von diesem unterscheidet, nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Kläger dadurch, dass er seinem Anpassungsantrag keine ihrerseits angepassten Klagegründe und Argumente hinzugefügt hat, zwar implizit, aber eindeutig an die Klagegründe und Argumente seiner Klageschrift halten wollte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point38">38</a>      In einem solchen Fall hat das Gericht, wenn es die Zulässigkeit des Schriftsatzes zur Anpassung der Klageschrift prüft, festzustellen, ob der mit der Anpassung der Klageschrift angefochtene Rechtsakt gegenüber dem mit der Klageschrift angefochtenen Rechtsakt so wesentliche Unterschiede aufweist, dass sie eine Anpassung der Klagegründe und Argumente, auf die die Klageschrift gestützt wurde, notwendig machten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point39">39</a>      Wenn das Gericht nach dieser Prüfung zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger dem Schriftsatz zur Anpassung der Klageschrift zu Unrecht keine ihrerseits angepassten Klagegründe und Argumente hinzugefügt habe, ist es entgegen dem Vorbringen von Herrn Haswani auf der Grundlage von Art. 86 Abs. 6 seiner Verfahrensordnung befugt, diesen Schriftsatz wegen Nichtbeachtung der Formvorschrift in dessen Abs. 3 Buchst. b ebenso wie wegen jeder Nichtbeachtung einer Vorschrift in diesem Artikel für unzulässig zu erklären.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point40">40</a>      Im Rahmen der genannten Prüfung ist das Gericht nicht verpflichtet, den Kläger zuvor aufzufordern, den Mangel der Nichtvorlage angepasster Klagegründe und Argumente zu beheben. Wie der Generalanwalt in den Nrn. 48 bis 57 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, hat nämlich der Kläger, der das Initiativrecht für einen Prozess hat und den Umfang des Streitgegenstands insbesondere durch seine Anträge und die von ihm vorgebrachten Klagegründe im Rahmen des Anpassungsantrags wie im Rahmen der Klageschrift festlegt, zu beurteilen, ob es notwendig ist, die Klagegründe und Argumente der Klageschrift anzupassen (vgl. entsprechend Urteil vom 14. November 2017, British Airways/Kommission, C‑122/16 P, EU:C:2017:861, Rn. 86 und 87). </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point41">41</a>      In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof zwar mit Urteil vom 9. November 2017, HX/Rat (C‑423/16 P, EU:C:2017:848, Rn. 22 bis 27), beanstandet, dass das Gericht dem Rechtsmittelführer nicht zuvor Gelegenheit gegeben hat, den Mangel eines Anpassungsantrags aufgrund Nichtvorlage des in Art. 86 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichts geforderten gesonderten Schriftsatzes zu beheben, dies geschah jedoch im Hinblick auf die besonderen Umstände des Falles, dort eine Mehrdeutigkeit der Sprachfassung der Verfahrensordnung des Gerichts, die der vom Kläger gewählten Verfahrenssprache entsprach. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point42">42</a>      In der Rechtssache, die dem im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels angefochtenen Urteil zugrunde liegt, hat das Gericht für seine Schlussfolgerung, dass Herr Haswani seinem Antrag auf Anpassung der Klageschrift angepasste Klagegründe und Argumente hätte hinzufügen müssen, in den Rn. 41 bis 47 seines Urteils lediglich festgestellt, dass sich der rechtliche Rahmen der restriktiven Maßnahmen, insbesondere die Gründe für die Aufnahme der betroffenen Personen in die fraglichen Listen, seit der Einreichung der ursprünglichen Klageschrift geändert habe und die im zweiten Anpassungsschriftsatz angefochtenen Rechtsakte u. a. diese Änderung berücksichtigten, ohne zu klären, ob ein wesentlicher Unterschied zwischen den individuellen Gründen, die Herrn Haswani in den mit der Klageschrift angefochtenen Rechtsakten, d. h. den Rechtsakten vom 6. März 2015 und der Durchführungsverordnung 2015/828, entgegengehalten wurden, und denen, die ihm in den im zweiten Anpassungsschriftsatz angefochtenen Rechtsakten, d. h. den Rechtsakten vom 27. Mai 2016 im Licht der Rechtsakte vom 12. Oktober 2015, entgegengehalten wurden, bestand. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point43">43</a>      Damit hat das Gericht nicht die in Rn. 38 des vorliegenden Urteils genannte Prüfung vorgenommen. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point44">44</a>      Demnach ist Nr. 1 des Tenors des angefochtenen Urteils aufzuheben. </p>
<p class="C04Titre1"> <b>Zur Klage vor dem Gericht </b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point45">45</a>      Nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann der Gerichtshof, wenn er die Entscheidung des Gerichts aufhebt, den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist, oder die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point46">46</a>      Da das Gericht den zweiten Antrag auf Anpassung der Klageschrift ohne die in Rn. 38 des vorliegenden Urteils genannte Prüfung und ohne Anhörung der Parteien hierzu als unzulässig zurückgewiesen hat, hält der Gerichtshof den Rechtsstreit nicht für entscheidungsreif. </p>
<p class="C04Titre1"> <b>Kosten</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point47">47</a>      Da die Sache an das Gericht zurückverwiesen wird, ist die Kostenentscheidung vorzubehalten. </p>
<p class="C41DispositifIntroduction">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:</p>
<p class="C08Dispositif">1.      <b>Nr. 1 des Tenors des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 22. März 2017, Haswani/Rat (T</b>‑<b>231/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:200), wird aufgehoben. </b>
</p>
<p class="C08Dispositif">2.      <b>Die Sache wird an das Gericht der Europäischen Union zurückverwiesen. </b>
</p>
<p class="C08Dispositif">3.      Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten. </p>
<p class="C77Signatures">Unterschriften</p>
<hr/>
<p class="C42FootnoteLangue">
<a href="#Footref*" name="Footnote*">*</a>      Verfahrenssprache: Französisch.</p>
|
175,017 | eugh-2019-01-24-c-47717 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-477/17 | 2019-01-24T00:00:00 | 2019-01-31T19:20:45 | 2019-01-31T19:20:45 | Urteil | ECLI:EU:C:2019:60 | <p>Vorläufige Fassung</p>
<p class="C19Centre">URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)</p>
<p class="C19Centre">24. Januar 2019(<a href="#Footnote*" name="Footref*">*</a>)</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Soziale Sicherheit – Verordnung (EU) Nr. 1231/2010 – Anzuwendende Rechtsvorschriften – A 1-Bescheinigung – Art. 1 – Ausdehnung der A 1-Bescheinigung auf Drittstaatsangehörige, die ihren rechtmäßigen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben – Rechtmäßiger Wohnsitz – Begriff“</p>
<p class="C02AlineaAltA">In der Rechtssache C‑477/17</p>
<p class="C02AlineaAltA">betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Centrale Raad van Beroep (Berufungsgericht in Sachen der sozialen Sicherheit und des öffentlichen Dienstes, Niederlande) mit Entscheidung vom 4. August 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 8. August 2017, in dem Verfahren</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Raad van bestuur van de Sociale Verzekeringsbank</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">gegen</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>D. Balandin,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>I. Lukachenko,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Holiday on Ice Services BV</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">erlässt</p>
<p class="C19Centre">DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Mitwirkung der Vizepräsidentin des Gerichtshofs R. Silva de Lapuerta in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer sowie der Richter J.‑C. Bonichot, E. Regan (Berichterstatter), C. G. Fernlund und S. Rodin,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Generalanwalt: N. Wahl,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juli 2018,</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Berücksichtigung der Erklärungen</p>
<p class="C03Tiretlong">–        des Raad van bestuur van de Sociale Verzekeringsbank, vertreten durch H. van der Most als Bevollmächtigten,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Holiday on Ice Services BV, I. Lukachenko und D. Balandin, vertreten durch F. J. Webbink, advocaat,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Noort, M. Bulterman und J. Langer als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und J. Pavliš als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und C. David als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. van Beek und D. Martin als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C02AlineaAltA">nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. September 2018</p>
<p class="C02AlineaAltA">folgendes</p>
<p class="C75Debutdesmotifs">Urteil</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point1">1</a>        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1231/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Ausdehnung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 und der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 auf Drittstaatsangehörige, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter diese Verordnungen fallen (ABl. 2010, L 344, S. 1). </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point2">2</a>        Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen dem Raad van bestuur van de Sociale Verzekeringsbank (Verwaltungsrat der Sozialversicherungsbank, Niederlande, im Folgenden: SVB) auf der einen Seite und Herrn D. Balandin, Herrn I. Lukachenko sowie der Holiday on Ice Services BV, vormals Stage Entertainment Touring Services BV (im Folgenden: HOI), auf der anderen Seite über die Weigerung der SVB, Herrn Balandin und Herrn Lukachenko als bei HOI angestellten Drittstaatsangehörigen eine Bescheinigung nach Art. 19 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2009, L 284, S. 1) (im Folgenden: A 1-Bescheinigung) auszustellen. </p>
<p class="C04Titre1"> Rechtlicher Rahmen</p>
<p class="C05Titre2"> Unionsrecht</p>
<p class="C06Titre3"> Verordnung Nr. 1231/2010</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point3">3</a>        Die Erwägungsgründe 6 bis 8, 10 und 11 der Verordnung Nr. 1231/2010 lauten:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(6)      Die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1, Berichtigung ABl. 2004, L 200, S. 1)] und die Verordnung … Nr. 987/2009 bringen sowohl für die Versicherten als auch für die Träger der sozialen Sicherheit eine beträchtliche Aktualisierung und Vereinfachung der Koordinierungsregelungen mit sich. Den Trägern sollen die aktualisierten Koordinierungsregelungen die schnellere und einfachere Verarbeitung der Daten ermöglichen, die sich auf die Ansprüche der Versicherten beziehen; ferner sollen sie die entsprechenden Verwaltungskosten senken. </p>
<p class="C02AlineaAltA">(7)      Die Förderung eines hohen Maßes an sozialem Schutz und die Hebung des Lebensstandards und der Lebensqualität in den Mitgliedstaaten zählen zu den Zielen der Union.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(8)      Um zu vermeiden, dass Arbeitgeber und staatliche Träger der sozialen Sicherheit mit rechtlich und verwaltungstechnisch komplexen Sachverhalten konfrontiert werden, die nur eine kleine Gruppe von Personen betreffen, ist es wichtig, dass die Vorteile der Modernisierung und Vereinfachung im Bereich der sozialen Sicherheit uneingeschränkt genutzt werden können, indem nur ein einziges Rechtsinstrument angewendet wird, das die Verordnung … Nr. 883/2004 und die Verordnung … Nr. 987/2009 miteinander kombiniert. </p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(10)      Die Anwendung der Verordnung … Nr. 883/2004 und der Verordnung … Nr. 987/2009 auf Drittstaatsangehörige, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter diese Verordnungen fallen, darf diese Personen in keiner Weise dazu berechtigen, in einen Mitgliedstaat einzureisen, sich dort aufzuhalten oder ihren Wohnsitz zu nehmen bzw. dort eine Arbeit aufzunehmen. Entsprechend sollte die Anwendung der Verordnung … Nr. 883/2004 und der Verordnung … Nr. 987/2009 das Recht der Mitgliedstaaten, die Erteilung einer Einreise‑, Aufenthalts‑, Niederlassungs- oder Arbeitserlaubnis für den betreffenden Mitgliedstaat gemäß dem Unionsrecht zu verweigern, eine solche zurückzuziehen oder deren Verlängerung zu verweigern, unberührt lassen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(11)      Die Verordnung … Nr. 883/2004 und die Verordnung … Nr. 987/2009 sollten kraft der vorliegenden Verordnung nur Anwendung finden, wenn die betreffende Person bereits ihren rechtmäßigen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat. Die Rechtmäßigkeit des Wohnsitzes sollte somit eine Voraussetzung für die Anwendung der genannten Verordnungen sein.“ </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point4">4</a>        Art. 1 dieser Verordnung sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Verordnung … Nr. 883/2004 und die Verordnung … Nr. 987/2009 gelten für Drittstaatsangehörige, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter die genannten Verordnungen fallen, sowie für ihre Familienangehörigen und ihre Hinterbliebenen, wenn sie ihren rechtmäßigen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben und sich in einer Lage befinden, die nicht ausschließlich einen einzigen Mitgliedstaat betrifft.“</p>
<p class="C06Titre3"> Verordnung Nr. 883/2004</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point5">5</a>        Art. 1 Buchst. j und k der Verordnung Nr. 883/2004 in der durch die Verordnung (EU) Nr. 465/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 (ABl. 2012, L 149, S. 4) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 883/2004) lautet: </p>
<p class="C02AlineaAltA">„Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck </p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">j)      ‚Wohnort‘ den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts einer Person; </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">k)      ‚Aufenthalt‘ den vorübergehenden Aufenthalt.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point6">6</a>        Art. 13 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Eine Person, die gewöhnlich in zwei oder mehr Mitgliedstaaten eine Beschäftigung ausübt, unterliegt: </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats, wenn sie dort einen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit ausübt, oder </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      wenn sie im Wohnmitgliedstaat keinen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit ausübt, </p>
<p class="C11Marge1avecretrait">i)      den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem das Unternehmen oder der Arbeitgeber seinen Sitz oder Wohnsitz hat, sofern sie bei einem Unternehmen bzw. einem Arbeitgeber beschäftigt ist, oder</p>
<p class="C11Marge1avecretrait">ii)      den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem die Unternehmen oder Arbeitgeber ihren Sitz oder Wohnsitz haben, wenn sie bei zwei oder mehr Unternehmen oder Arbeitgebern beschäftigt ist, die ihren Sitz oder Wohnsitz in nur einem Mitgliedstaat haben, oder </p>
<p class="C11Marge1avecretrait">iii)      den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem das Unternehmen oder der Arbeitgeber außerhalb des Wohnmitgliedstaats seinen Sitz oder Wohnsitz hat, sofern sie bei zwei oder mehr Unternehmen oder Arbeitgebern beschäftigt ist, die ihre Sitze oder Wohnsitze in zwei Mitgliedstaaten haben, von denen einer der Wohnmitgliedstaat ist, oder</p>
<p class="C11Marge1avecretrait">iv)      den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats, sofern sie bei zwei oder mehr Unternehmen oder Arbeitgebern beschäftigt ist, von denen mindestens zwei ihren Sitz oder Wohnsitz in verschiedenen Mitgliedstaaten außerhalb des Wohnmitgliedstaats haben.“</p>
<p class="C06Titre3"> Verordnung Nr. 987/2009</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point7">7</a>        Art. 16 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 987/2009 bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Eine Person, die in zwei oder mehreren Mitgliedstaaten eine Tätigkeit ausübt, teilt dies dem von der zuständigen Behörde ihres Wohnmitgliedstaats bezeichneten Träger mit.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Der bezeichnete Träger des Wohnorts legt unter Berücksichtigung von Artikel 13 der [Verordnung Nr. 883/2004] und von Artikel 14 der [vorliegenden Verordnung] unverzüglich fest, welchen Rechtsvorschriften die betreffende Person unterliegt. Diese erste Festlegung erfolgt vorläufig. Der Träger unterrichtet die bezeichneten Träger jedes Mitgliedstaats, in dem die Person eine Tätigkeit ausübt, über seine vorläufige Festlegung.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point8">8</a>        Art. 19 Abs. 2 dieser Verordnung sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Auf Antrag der betreffenden Person oder ihres Arbeitgebers bescheinigt der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften nach Titel II der [Verordnung Nr. 883/2004] anzuwenden sind, dass und gegebenenfalls wie lange und unter welchen Umständen diese Rechtsvorschriften anzuwenden sind.“ </p>
<p class="C06Titre3"> Richtlinie 2011/98</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point9">9</a>        Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2011/98/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über ein einheitliches Verfahren zur Beantragung einer kombinierten Erlaubnis für Drittstaatsangehörige, sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufzuhalten und zu arbeiten, sowie über ein gemeinsames Bündel von Rechten für Drittstaatsarbeitnehmer, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten (ABl. 2011, L 343, S. 1), sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      ‚Drittstaatsarbeitnehmer‘ jeden Drittstaatsangehörigen, der in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zugelassen wurde, sich dort rechtmäßig aufhält und in diesem Mitgliedstaat im Rahmen eines unselbstständigen Beschäftigungsverhältnisses im Einklang mit dem einzelstaatlichen Recht oder den einzelstaatlichen Gepflogenheiten arbeiten darf;</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point10">10</a>      Art. 3 („Geltungsbereich“) dieser Richtlinie bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Diese Richtlinie gilt für</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      Drittstaatsangehörige, die in einem Mitgliedstaat zu anderen als zu Arbeitszwecken nach Unionsrecht oder einzelstaatlichem Recht zugelassen wurden und die eine Arbeitserlaubnis sowie einen Aufenthaltstitel im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1030/2002 [des Rates vom 13. Juni 2002 zur einheitlichen Gestaltung des Aufenthaltstitels für Drittstaatenangehörige (ABl. 2002, L 157, S. 1)] besitzen, und </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">c)      Drittstaatsangehörige, die in einem Mitgliedstaat zu Arbeitszwecken nach Unionsrecht oder einzelstaatlichem Recht zugelassen wurden.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)       Diese Richtlinie gilt nicht für Drittstaatsangehörige,</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">i)      die langfristig Aufenthaltsberechtigte gemäß der Richtlinie 2003/109/EG [des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. 2004, L 16, S. 44)] sind;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)      Die Mitgliedstaaten können beschließen, dass Kapitel II nicht für Drittstaatsangehörige gilt, denen … die Erlaubnis erteilt wurde, für einen Zeitraum von höchstens sechs Monaten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu arbeiten …</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point11">11</a>      In Art. 12 („Recht auf Gleichbehandlung“) dieser Richtlinie heißt es: </p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Drittstaatsarbeitnehmer im Sinne des Artikels 3 Absatz 1 Buchstaben b und c haben ein Recht auf Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des Mitgliedstaats, in dem sie sich aufhalten, in Bezug auf</p>
<p class="C02AlineaAltA">… </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">e)      Zweige der sozialen Sicherheit nach der Verordnung … Nr. 883/2004;</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Die Mitgliedstaaten können die Gleichbehandlung wie folgt einschränken:</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      sie können die gemäß Absatz 1 Buchstabe e eingeräumten Rechte für Drittstaatsarbeitnehmer beschränken, wobei solche Rechte nicht für solche Drittstaatsarbeitnehmer beschränkt werden dürfen, die in einem Beschäftigungsverhältnis stehen oder die mindestens sechs Monate beschäftigt waren und als arbeitslos gemeldet sind.</p>
<p class="C10Marge1">Zusätzlich können die Mitgliedstaaten beschließen, dass Absatz 1 Buchstabe e hinsichtlich Familienleistungen nicht für Drittstaatsangehörige gilt, denen die Erlaubnis erteilt wurde, für einen Zeitraum von höchstens sechs Monaten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu arbeiten, für Drittstaatsangehörige, die zu Studienzwecken zugelassen wurden oder für Drittstaatsangehörige, die aufgrund eines Visums die Erlaubnis haben zu arbeiten; </p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C05Titre2"> Niederländisches Recht</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point12">12</a>      Die beleidsregel van de Svb met betrekking tot de onderdanen van landen buiten de Europese Unie (SB2124) (Leitlinien der SVB für Angehörige von Staaten außerhalb der Europäischen Union [SB2124]) sehen vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Der persönliche Geltungsbereich der Verordnung [Nr. 883/2004] ist grundsätzlich auf Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der EU, von Ländern des [Europäischen Wirtschaftsraums (EWR)] und der Schweiz beschränkt. Drittstaatsangehörige fallen nur dann in den persönlichen Geltungsbereich dieser Verordnung, wenn sie als Flüchtling oder in ihrer Eigenschaft als Familienangehöriger oder Hinterbliebener anerkannt sind. Die Verordnung [Nr. 1231/2010] bestimmt jedoch, dass für Drittstaatsangehörige, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht unter die Verordnung [Nr. 883/2004] fallen, die letztgenannte Verordnung dennoch gilt, wenn diese Staatsangehörigen ihren rechtmäßigen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben und rechtmäßig innerhalb der Union zu- und abwandern.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Der Begriff ‚rechtmäßiger Aufenthalt‘ ist in der Verordnung [Nr. 1231/2010] nicht definiert. Die [SVB] geht von einem rechtmäßigen Aufenthalt in den Niederlanden aus, wenn dieser Aufenthalt rechtmäßig im Sinne von Art. 8 der [Vreemdelingenwet 2000 (Ausländergesetz 2000)] ist, wobei die [SVB] allerdings nicht von einem rechtmäßigen Aufenthalt ausgeht, wenn sich der Ausländer in Erwartung der Entscheidung über einen Antrag auf erstmalige Aufnahme in den Niederlanden aufhält. </p>
<p class="C02AlineaAltA">Aus dem Titel, den Erwägungsgründen und den Bestimmungen der Verordnung [Nr. 1231/2010] ergibt sich, dass Drittstaatsangehörige das Aufenthaltswechselkriterium im Sinne [der beleidsregel van de Svb met betrekking tot de verplaatsingscriterium (SB2120) (Leitlinien der SVB für das Aufenthaltswechselkriterium [SB2120]) in gleicher Weise wie Gemeinschaftsangehörige erfüllen müssen. </p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point13">13</a>      Nach den Leitlinien der SVB für das Aufenthaltswechselkriterium (SB2120) gilt die Verordnung Nr. 883/2004 für Personen, deren Situation Anknüpfungspunkte mit mehreren Mitgliedstaaten aufweist. Sie kann weder für rein nationale Sachverhalte gelten noch für den Fall, dass die Situation der betreffenden Person ausschließlich Anknüpfungspunkte mit einem Drittstaat und einem einzigen Mitgliedstaat aufweist. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point14">14</a>      Nach der beleidsregel van de Svb met betrekking tot de territoriale werkingssfeer (SB2135) (Leitlinien der SVB über den räumlichen Geltungsbereich [SB2135]) gilt die Verordnung Nr. 883/2004 grundsätzlich nur, wenn eine Person im Hoheitsgebiet der Europäischen Union wohnt und arbeitet. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs geht jedoch hervor, dass diese Verordnung Anwendung finden kann, wenn eine Person in den persönlichen Geltungsbereich fällt, aber außerhalb des Hoheitsgebiets der Union wohnt oder arbeitet. </p>
<p class="C04Titre1"> Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point15">15</a>      Herr Balandin und Herr Lukachenko sind Drittstaatsangehörige, die bei HOI angestellt sind, einem Unternehmen mit Gesellschaftssitz in Amsterdam (Niederlande) und Geschäftssitz in Utrecht (Niederlande); sie organisiert jedes Jahr in den Monaten von Oktober bis Mai Eiskunstlaufvorstellungen in verschiedenen Ländern, u. a. einigen Mitgliedstaaten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point16">16</a>      Alle Mitarbeiter von HOI befinden sich mehrere Wochen in den Niederlanden, um zur Vorbereitung der Vorstellungen zu trainieren. Ein Teil der Schlittschuhläufer absolviert anschließend in den Niederlanden eine Reihe von Auftritten, während die übrigen Läufer in verschiedenen Mitgliedstaaten, u. a. in Frankreich und Deutschland, Vorstellungen geben. Die Drittstaatsangehörigen halten sich während der Probezeiten und der etwaigen Auftritte allesamt rechtmäßig in den Niederlanden auf, da für sie erforderlichenfalls eine Arbeitserlaubnis ausgestellt wird. Auch in den übrigen Mitgliedstaaten, in denen sie auftreten, halten sie sich auf der Grundlage eines „Schengen-Visums“ rechtmäßig auf. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point17">17</a>      Viele Jahre lang stellte die SVB für Drittstaatsangehörige, die bei HOI angestellt waren, A 1-Bescheinigungen aus, aus denen sich ergibt, dass auf die Angestellten die niederländischen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit Anwendung finden und die Zahlung der Pflichtbeiträge ebenfalls in den Niederlanden erfolgt. Seit der Saison 2015/2016 lehnte es die SVB aber mit dem Argument, sie seien in der Vergangenheit zu Unrecht ausgegeben worden, ab, solche Bescheinigungen auszustellen. Sie wies die entsprechenden Anträge von HOI daher zurück. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point18">18</a>      Auch aufgrund einer im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen einstweiligen Anordnung des Voorzieningenrechter Amsterdam (für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständiger Richter, Amsterdam, Niederlande) stellte die SVB A 1-Bescheinigungen mit Gültigkeit bis zum 1. Mai 2016 aus. Die Saison 2015/2016 endete jedoch am 22. Mai 2016, so dass in Bezug auf diese letzten Wochen des Monats Mai 2016 ein Rechtsstreit besteht. In einem Urteil vom 28. April 2016 vertrat die Rechtbank Amsterdam (Bezirksgericht Amsterdam, Niederlande) u. a. unter Berufung auf den Grundsatz des rechtmäßigen Vertrauens die Auffassung, dass die SVB A 1-Bescheinigungen für die letzten Wochen dieser Saison hätte ausstellen müssen. Die SVB legte beim vorlegenden Gericht Rechtsmittel gegen dieses Urteil ein. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point19">19</a>      Dieses stellt fest, dass Herr Balandin und Herr Lukachenko nicht unmittelbar in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 883/2004, wie er in deren Art. 2 bestimmt werde, fielen, da sie weder Staatsangehörige eines Mitgliedstaats noch Staatenlose oder Flüchtlinge seien. Sie könnten in den Genuss der Bestimmungen dieser Verordnung nur nach der Verordnung Nr. 1231/2010 kommen, die unter bestimmten Bedingungen den Geltungsbereich der Verordnungen Nrn. 883/2004 und 987/2009 auf Drittstaatsangehörige ausgedehnt habe, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter diese Verordnungen fielen. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point20">20</a>      Unstreitig sei, dass Herr Balandin und Herr Lukachenko nicht dauerhaft in den Niederlanden oder in einem anderen Mitgliedstaat lebten, sondern dass sie sich im Sinne von Art. 1 Buchst. k der Verordnung Nr. 883/2004 vorübergehend in der Union aufhielten und dort arbeiteten. Es sei daher unklar, ob nur Drittstaatsangehörige mit tatsächlichem Wohnort im Sinne von Art. 1 Buchst. j der Verordnung Nr. 883/2004 oder auch Drittstaatsangehörige in der Situation von Herrn Balandin und Herrn Lukachenko dazu berechtigt seien, sich auf Art. 1 der Verordnung Nr. 1231/2010 zu berufen. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point21">21</a>      Das vorlegende Gericht hält nämlich die Anwendung dieser Vorschrift für problematisch, da Unterschiede zwischen ihren verschiedenen Sprachfassungen bestünden, indem der Begriff „rechtmäßiger Wohnsitz“ offenbar sowohl einer nicht notwendigerweise langfristigen Anwesenheit als auch einem Aufenthalt von einer gewissen Dauer entsprechen könne. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point22">22</a>      Unter diesen Umständen hat der Centrale Raad van Beroep (Berufungsgericht in Sachen der sozialen Sicherheit und des öffentlichen Dienstes) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:</p>
<p class="C02AlineaAltA">Ist Art. 1 der Verordnung Nr. 1231/2010 dahin auszulegen, dass sich Drittstaatsangehörige mit Wohnsitz außerhalb der Europäischen Union, die für einen in den Niederlanden ansässigen Arbeitgeber vorübergehend in verschiedenen Mitgliedstaaten arbeiten, auf die Verordnungen Nrn. 883/2004 und 987/2009 (bzw. deren Titel II) berufen können? </p>
<p class="C04Titre1"> Zur Vorlagefrage</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point23">23</a>      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 der Verordnung Nr. 1231/2010 dahin auszulegen ist, dass sich Drittstaatsangehörige wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die sich in verschiedenen Mitgliedstaaten vorübergehend aufhalten und dort für einen in einem Mitgliedstaat ansässigen Arbeitgeber arbeiten, für die Festlegung, welchen Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit sie unterliegen, auf die Koordinierungsregelungen der Verordnungen Nrn. 883/2004 und 987/2009 berufen können. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point24">24</a>      Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnungen Nrn. 883/2004 und 987/2009 nach Art. 1 der Verordnung Nr. 1231/2010 für Drittstaatsangehörige gelten, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter die genannten Verordnungen fallen, sowie für ihre Familienangehörigen und ihre Hinterbliebenen, wenn sie ihren rechtmäßigen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben und sich in einer Situation befinden, die nicht ausschließlich einen einzigen Mitgliedstaat betrifft. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point25">25</a>      Die Verordnung Nr. 1231/2010 soll damit den persönlichen Geltungsbereich der Verordnungen Nrn. 883/2004 und 987/2009 auf Drittstaatsangehörige ausdehnen, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter diese Verordnungen fallen. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point26">26</a>      Wie aus ihrem siebten Erwägungsgrund hervorgeht, trägt die Verordnung Nr. 1231/2010 durch diese Ausdehnung zu dem von der Union verfolgten Ziel der Förderung eines hohen Maßes an sozialem Schutz bei, indem sie sicherstellt, dass Drittstaatsangehörigen – wie im sechsten und achten Erwägungsgrund zum Ausdruck gebracht – die Vorteile der Modernisierung und Vereinfachung der Koordinierungsregelungen im Bereich der sozialen Sicherheit zugutekommen, die die Verordnungen Nrn. 883/2004 und 987/2009 sowohl für die Versicherten als auch für die Träger der sozialen Sicherheit mit sich bringen. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point27">27</a>      Im vorliegenden Fall steht fest, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Personen als Drittstaatsangehörige aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter die Verordnungen Nrn. 883/2004 und 987/2009 fallen, da sie weder Staatsangehörige der Mitgliedstaaten sind, noch Flüchtlinge oder Staatenlose. Darüber hinaus ist auch unstreitig, dass sich diese Personen nicht in einer Situation befinden, die ausschließlich einen einzigen Mitgliedstaat betrifft, da sie einen Teil ihrer Eiskunstlaufauftritte in anderen Mitgliedstaaten als dem Königreich der Niederlande absolvieren. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point28">28</a>      Daher sind diese Personen nach Art. 1 der Verordnung Nr. 1231/2010 offensichtlich berechtigt, sich auf die Anwendung der Verordnungen Nrn. 883/2004 und 987/2009 zu berufen, wenn sie „ihren rechtmäßigen Wohnsitz“ im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point29">29</a>      Sowohl aus den Anforderungen der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch aus dem Gleichheitsgrundsatz ergibt sich, dass die Begriffe einer Bestimmung des Unionsrechts, die, wie Art. 1 der Verordnung Nr. 1231/2010, für die Ermittlung ihres Sinns und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Europäischen Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. September 2013, Brey, C‑140/12, EU:C:2013:565, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung). </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point30">30</a>      Das vorlegende Gericht vertritt die Auffassung, dass die genaue Bedeutung des Begriffs „rechtmäßige[r] Wohnsitz“ im Sinne dieser Bestimmung wegen der Unterschiede zwischen ihren verschiedenen Sprachfassungen unklar sei. Auch wenn in der niederländischen Sprachfassung der Begriff „verblijven“ verwendet werde, was auf eine nicht notwendigerweise langfristige Anwesenheit hinzudeuten scheine, könnte die deutsche oder die englische Sprachfassung, die „rechtmäßige[r] Wohnsitz“ bzw. „legally resident“ verwende, so verstanden werden, dass damit ein Aufenthalt von einer gewissen Dauer gemeint sei. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point31">31</a>      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die in einer der Sprachfassungen einer Vorschrift des Unionsrechts verwendete Formulierung nicht als alleinige Grundlage für die Auslegung dieser Vorschrift herangezogen werden oder Vorrang vor den anderen Sprachfassungen beanspruchen kann. Die Bestimmungen des Unionsrechts müssen nämlich im Licht der Fassungen in allen Sprachen der Union einheitlich ausgelegt und angewandt werden. Weichen diese verschiedenen Sprachfassungen voneinander ab, muss die fragliche Vorschrift nach der allgemeinen Systematik und dem Zweck der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört (Urteil vom 20. Dezember 2017, Gusa, C‑442/16, EU:C:2017:1004, Rn. 34 und die dort angeführt Rechtsprechung). </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point32">32</a>      Was als Erstes den rechtlichen Kontext betrifft, in den die Verordnung Nr. 1231/2010 eingebunden ist, ist darauf hinzuweisen, dass sie, wie bereits aus Rn. 25 des vorliegenden Urteils hervorgeht, die Anwendung der Verordnungen Nrn. 883/2004 und 987/2009 auf Drittstaatsangehörige ausdehnen soll, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht in deren Genuss kommen. Soweit Art. 1 Buchst. j der Verordnung Nr. 883/2004 den Begriff „Wohnort“ definiert, ist daher zunächst festzustellen, ob der Begriff „rechtmäßige[r] Wohnsitz“, in Art. 1 der Verordnung Nr. 1231/2010 dieselbe Bedeutung aufweist wie der Begriff „Wohnort“ im Sinne von Art. 1 der Verordnung Nr. 883/2004. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point33">33</a>      Nach Art. 1 Buchst. j der Verordnung Nr. 883/2004 bezeichnet der Begriff „Wohnort“ den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts einer Person. Er unterscheidet sich von dem Begriff „Aufenthalt“, den Art. 1 Buchst. k dieser Verordnung als den vorübergehenden Aufenthalt definiert. Der Wohnort der betreffenden Person im Sinne von Art. 1 Buchst. j der Verordnung ist daher Gegenstand einer Tatsachenbewertung, und seine Bestimmung erfolgt nach Maßgabe des Ortes, an dem sich der gewöhnliche Mittelpunkt ihrer Interessen befindet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Juni 2014, I, C‑255/13, EU:C:2014:1291, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung). </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point34">34</a>      Der Begriff „Wohnort“ im Sinne dieser Verordnung und der Begriff „rechtmäßiger Wohnsit[z]“ im Sinne der Verordnung Nr. 1231/2010 werden in diesen beiden Verordnungen jedoch nicht für dieselben Zwecke verwendet. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point35">35</a>      Die Verordnung Nr. 883/2004 soll nämlich, wie ihrem 15. Erwägungsgrund zu entnehmen ist, verhindern, dass die Betroffenen in Ermangelung einer auf sie anwendbaren Rechtsordnung in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht schutzlos bleiben, und ferner bezwecken, dass diese Personen dem System der sozialen Sicherheit nur eines Mitgliedstaats unterliegen, um die Kumulierung anwendbarer nationaler Rechtsvorschriften und die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben könnten, zu vermeiden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Juni 2014, I, C‑255/13, EU:C:2014:1291, Rn. 40 bis 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point36">36</a>      In diesem Kontext ist es, wie der Generalanwalt in Nr. 63 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, Zweck der Unterscheidung zwischen dem Begriff „Wohnort“ und dem Begriff „Aufenthalt“, festzustellen, zu welchem Mitgliedstaat die Unionsbürger die engsten Bindungen haben und dessen Rechtsvorschriften sie daher unterliegen. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point37">37</a>      Dagegen soll, wie bereits in Rn. 25 des vorliegenden Urteils dargelegt, die Verordnung Nr. 1231/2010 den persönlichen Geltungsbereich der Verordnungen Nrn. 883/2004 und 987/2009 auf Drittstaatsangehörige ausdehnen, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter diese Verordnungen fallen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point38">38</a>      In diesem Kontext ist, wie aus dem elften Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1231/2010 hervorgeht, der Begriff „rechtmäßige[r] Wohnsitz“ im Sinne dieser Verordnung Ausdruck der Entscheidung des Unionsgesetzgebers, die Ausdehnung des persönlichen Geltungsbereichs der Verordnungen Nrn. 883/2004 und 987/2009 auf Drittstaatsangehörige von der Vorbedingung abhängig zu machen, dass diese sich ordnungsgemäß im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhalten. Dieser Begriff ist daher von dem des „Wohnorts“ im Sinne von Art. 1 Buchst. j der Verordnung Nr. 883/2004 zu unterscheiden. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point39">39</a>      Dies folgt auch aus dem zehnten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1231/2010, nach dem die Anwendung der Verordnungen Nrn. 883/2004 und 987/2009 auf Drittstaatsangehörige zum einen diese Personen in keiner Weise dazu berechtigen darf, in einen Mitgliedstaat einzureisen, sich dort aufzuhalten oder ihren Wohnsitz zu nehmen bzw. dort eine Arbeit aufzunehmen, und zum anderen das Recht der Mitgliedstaaten unberührt lässt, die Erteilung einer Einreise‑, Aufenthalts- Niederlassungs- oder Arbeitserlaubnis gemäß dem Unionsrecht zu verweigern, eine solche zurückzuziehen oder deren Verlängerung zu verweigern. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point40">40</a>      Dass ein Kriterium gewählt wurde, das auf den rechtlichen Bedingungen für die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats beruht, wird durch die Vorarbeiten zur Verordnung Nr. 1231/2010 bestätigt. Der Begründung des Vorschlags für eine Verordnung zur Ausdehnung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 883/2004 und der Verordnung Nr. 987/2009 auf Drittstaatsangehörige, die nicht bereits ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit unter diese Bestimmungen fallen (KOM[2007] 439 endg., S. 6), lässt sich entnehmen, dass die Drittstaatsangehörigen ihren rechtmäßigen Wohnsitz im Gebiet eines Mitgliedstaats haben müssen und infolgedessen berechtigt sein müssen, sich dort vorübergehend oder dauernd aufzuhalten. Ferner wird in dieser Begründung ausgeführt, dass ein Drittstaatsangehöriger, um sich in einem zweiten Mitgliedstaat auf die Bestimmungen der Verordnung Nr. 883/2004 berufen zu können, nicht unbedingt die Wohnsitzvoraussetzung erfüllen muss, sondern sich auch nur vorübergehend dort aufhalten kann, sofern seine Anwesenheit im Hoheitsgebiet dieses zweiten Staates dessen Rechtsvorschriften für die Einreise und den Aufenthalt entspricht. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point41">41</a>      Weder die Dauer der Anwesenheit der Drittstaatsangehörigen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats als solche noch der Umstand als solcher, dass sie den gewöhnlichen Mittelpunkt ihrer Interessen in einem Drittland beibehalten, ist daher maßgebend, um zu bestimmen, ob sie im Sinne von Art. 1 der Verordnung Nr. 1231/2010 „ihren rechtmäßigen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats“ haben. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point42">42</a>      Diese Auslegung wird durch die Richtlinie 2011/98 bestätigt, die u. a. ein gemeinsames Bündel von Rechten für Drittstaatsarbeitnehmer einführt, die ihren rechtmäßigen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat haben. Wie sich nämlich aus Art. 12 Abs. 1 Buchst. e und Abs. 2 Buchst. b dieser Richtlinie in Verbindung mit Art. 2 Buchst. b sowie Art. 3 Abs. 1 Buchst b und c, Abs. 2 Buchst. i und Abs. 3 dieser Richtlinie ergibt, haben Drittstaatsarbeitnehmer, auch wenn sie nur vorübergehend in einem Mitgliedstaat arbeiten dürfen, grundsätzlich, was die Zweige der sozialen Sicherheit im Sinne der Verordnung Nr. 883/2004 betrifft, einen Anspruch auf Gleichbehandlung. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point43">43</a>      Es ist festzustellen, dass sich eine solche Auslegung zudem besser eignet, die Verwirklichung der oben in Rn. 26 dargelegten Zwecke zu gewährleisten. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point44">44</a>      Im vorliegenden Fall ist jedoch darauf hinzuweisen, dass, wie aus dem Vorabentscheidungsersuchen folgt, die im Ausgangsverfahren betroffenen Personen, die bei einem Unternehmen mit Gesellschaftssitz in den Niederlanden angestellt sind, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten, in denen sie auftreten, rechtmäßig aufhalten und arbeiten. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point45">45</a>      Daraus folgt, dass auf Drittstaatsangehörige in der Situation der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Personen für die Festlegung der im Bereich der sozialen Sicherheit anwendbaren Rechtsvorschriften die Koordinierungsregelungen der Verordnungen Nrn. 883/2004 und 987/2009 Anwendung finden. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point46">46</a>      In Anbetracht der in Rn. 44 des vorliegenden Urteils getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist insoweit darauf hinzuweisen, dass Art. 13 der Verordnung Nr. 883/2004 u. a. Anknüpfungskriterien vorsieht, die für die Personen gelten, die in zwei oder mehr Mitgliedstaaten beschäftigt sind. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob eines dieser Anknüpfungskriterien auf die im Ausgangsverfahren betroffenen Personen für die Festlegung, ob sie den niederländischen Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit unterliegen, anwendbar ist. Sollte dies der Fall sein, bestätigt die zuständige Behörde des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften anwendbar werden, nach Art. 19 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 durch Ausstellung einer A 1-Bescheinigung, dass und gegebenenfalls wie lange und unter welchen Umständen diese Rechtsvorschriften anzuwenden sind. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point47">47</a>      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 1 der Verordnung Nr. 1231/2010 dahin auszulegen ist, dass sich Drittstaatsangehörige wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die sich in verschiedenen Mitgliedstaaten vorübergehend aufhalten und dort für einen in einem Mitgliedstaat ansässigen Arbeitgeber arbeiten, für die Festlegung, welchen Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit sie unterliegen, auf die Koordinierungsregelungen der Verordnungen Nrn. 883/2004 und 987/2009 berufen können, sofern sie sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten aufhalten und dort rechtmäßig arbeiten. </p>
<p class="C04Titre1"> Kosten</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point48">48</a>      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig. </p>
<p class="C41DispositifIntroduction">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:</p>
<p class="C30Dispositifalinea">
<b>Art. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1231/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Ausdehnung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 und der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 auf Drittstaatsangehörige, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter diese Verordnungen fallen, ist dahin auszulegen, dass sich Drittstaatsangehörige wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die sich in verschiedenen Mitgliedstaaten vorübergehend aufhalten und dort für einen in einem Mitgliedstaat ansässigen Arbeitgeber arbeiten, für die Festlegung, welchen Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit sie unterliegen, auf die Koordinierungsregelungen der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung Nr. 883/2004 berufen können, sofern sie sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten aufhalten und dort rechtmäßig arbeiten. </b>
</p>
<p class="C77Signatures">Unterschriften</p>
<hr/>
<p class="C42FootnoteLangue">
<a href="#Footref*" name="Footnote*">*</a>      Verfahrenssprache: Niederländisch.</p>
|
180,278 | vg-munchen-2019-01-23-m-9-s-1752280 | {
"id": 289,
"name": "Verwaltungsgericht München",
"slug": "vg-munchen",
"city": 158,
"state": 4,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | M 9 S 17.52280 | 2019-01-23T00:00:00 | 2019-02-07T14:19:26 | 2019-02-13T12:21:06 | Beschluss | <h2>Tenor</h2>
<div>
<p>I. Der Antrag wird abgelehnt.</p>
<p>II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.</p>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
<p>I.</p>
<p><rd nr="1"/>Die Antragstellerin wendet sich gegen einen sog. Dublin-Bescheid.</p>
<p><rd nr="2"/>Sie wurde nach sich widersprechenden Geburtsurkunden vom 8. Mai 2017 (Bl. 112 d. BA) und vom 26. Juni 2018 (im Gerichtsakt) entweder am 17. Juni 1997 oder am 17. Juli 1998 in Nigeria geboren. Die Antragstellerin reiste nach eigenen Angaben am 18. April 2017 u.a. über Italien in das Bundesgebiet ein (Bl. 4 und Bl. 34 d. Behördenakts - i.F.: BA -). Sie beantragte am 11. Mai 2017 förmlich Asyl (Bl. 10 d. BA).</p>
<p><rd nr="3"/>Aufgrund eines Eurodac-Treffers der Kategorie 2 für Italien - „IT2…“ - vom 25. April 2017 (Bl. 86 d. BA) wurde am 12. Juni 2017 ein Aufnahmegesuch an Italien gerichtet (Bl. 87ff. d. BA); eine Zugangsbestätigung liegt vor (Bl. 95ff. des BA). Die italienischen Behörden haben bis dato nicht geantwortet. Eine im Verwaltungsvorgang befindliche Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender (i.F.: BÜMA) ging dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (i.F.: Bundesamt) laut Eingangsstempel am 2. Mai 2017 zu (Bl. 43 d. BA).</p>
<p><rd nr="4"/>Mit Bescheid vom 16. August 2017, Gz. 7113847-232, bekanntgegeben am 19. August 2017 (Bl. 152 d. BA), lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Ziff. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach <verweis.norm>§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 <v.abk ersatz="AufenthG">AufenthG</v.abk></verweis.norm> nicht vorliegen (Ziff. 2), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Ziff. 3) und befristete das Verbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziff. 4). Wegen der Begründung wird auf den Bescheid Bezug genommen, <verweis.norm>§ 77 Abs. 2 <v.abk ersatz="AsylG">AsylG</v.abk></verweis.norm>.</p>
<p><rd nr="5"/>Die Bevollmächtigte der Antragstellerin hat am 23. August 2017 Klage gegen den Bescheid erhoben und Eilantrag gestellt. Vorliegend beantragt sie,</p>
<p>die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.</p>
<p><rd nr="6"/>Das italienische Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für die Antragstellerin litten an systemischen Mängeln. Der VGH Baden-Württemberg habe mit Entscheidung vom 15. März 2017 in einem vergleichbaren Fall das Verfahren ausgesetzt und eine Vorabentscheidung des EuGH nach <verweis.norm>Art. 267 <v.abk ersatz="AEUV">AEUV</v.abk></verweis.norm> eingeholt. Es bestehe nicht nur danach Klärungsbedarf hinsichtlich der Frage, ob eine Unzulässigkeitsentscheidung auch dann getroffen werden dürfe, wenn die Lebensbedingungen für anerkannte Flüchtlinge in dem anderen Mitgliedstaat gegen <verweis.norm>Art. 3 <v.abk ersatz="EMRK">EMRK</v.abk></verweis.norm> verstießen. Drohten bereits Menschen mit Schutzstatus in Italien Menschenrechtsverletzungen, so gelte dies erst recht für Menschen ohne Schutzstatus. Aufgrund der Verhältnisse in Italien sei zumindest ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 bzw. <verweis.norm>§ 60 Abs. 7 <v.abk ersatz="AufenthG">AufenthG</v.abk></verweis.norm> festzustellen.</p>
<p><rd nr="7"/>Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichtssowie die beigezogene Behördenakte.</p>
<p>II.</p>
<p><rd nr="8"/>Der Eilantrag hat keinen Erfolg.</p>
<p><rd nr="9"/>Nach <verweis.norm>§ 80 Abs. 5 <v.abk ersatz="VwGO">VwGO</v.abk></verweis.norm> kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts einerseits und das private Aussetzungsinteresse, also das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu.</p>
<p><rd nr="10"/>An der Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt zutreffend auf <verweis.norm>§ 34a Abs. 1 Satz 1 <v.abk ersatz="AsylG">AsylG</v.abk></verweis.norm> gestützten Abschiebungsanordnung bestehen bei summarischer Prüfung keine Zweifel. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.</p>
<p><rd nr="11"/>Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (i.F.: Dublin III-VO) für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Italien ist hier für die Prüfung zuständig. Dies ergibt sich aus Art. 13 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1 lit. a, <verweis.norm>Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1, Unterabs. 2, Art. 22 Abs. 1, Abs. 7 <v.abk ersatz="Dublin III">Dublin III</v.abk></verweis.norm>-Von i.V.m. <verweis.norm>Art. 24 Abs. 4, Art. 14 Abs. 1 <v.abk ersatz="Verordnung (EU">Verordnung (EU</v.abk></verweis.norm>) Nr. 603/2013. Die italienischen Behörden haben auf das Aufnahmegesuch, das am 12. Juni 2017 (Bl. 91 d. BA) und damit rechtzeitig innerhalb der 2-Monats-Frist des <verweis.norm>Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 2 <v.abk ersatz="Dublin III-VO">Dublin III-VO</v.abk></verweis.norm> gestellt wurde, nicht reagiert. Auch die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U.v. 26.7.2017 - C-670/16 - juris) parallel einzuhaltende 3-Monats-Frist des <verweis.norm>Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 <v.abk ersatz="Dublin III-VO">Dublin III-VO</v.abk></verweis.norm> wurde gewahrt: Der Eingang der BÜMA als frühestmögliches Datum einer „Antragstellung“ i.S.v. <verweis.norm>Art. 20 Abs. 2 <v.abk ersatz="Dublin III-VO datiert vom 2">Dublin III-VO datiert vom 2</v.abk></verweis.norm>. Mai 2017 (Bl. 43 d. BA).</p>
<p><rd nr="12"/>Die Überstellung an Italien ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinn des <verweis.norm>Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 <v.abk ersatz="Dublin III-VO">Dublin III-VO</v.abk></verweis.norm>. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Italien infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des <verweis.norm>Art. 4 der <v.abk ersatz="Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU">Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU</v.abk></verweis.norm>-GRCharta) ausgesetzt wäre. Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (BVerfG, U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 - juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GRCharta) entspricht. Diese Vermutung ist zwar nicht unwiderleglich, vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Betroffenen führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EU-GRCharta ausgesetzt zu werden. Eine Widerlegung der Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten anzunehmen, an die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B.v. 19.3.2014 - 10 B 6.14 - juris).</p>
<p><rd nr="13"/>Das Gericht geht nach den vorliegenden aktuellen Erkenntnissen davon aus, dass in Italien keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im oben genannten Sinne gegeben sind. Dazu wird Bezug genommen auf die einhellige Rechtsprechung, die keine systemischen Mängel hinsichtlich Italiens (an-)erkennt (NdsOVG, B.v. 6.6.2018 - 10 LB 167/18 - juris, bestätigt von BVerwG, B.v. 12.9.2018 - 1 B 50/18, 1 PKH 39/18 - juris; NdsOVG, U.v. 4.4.2018 - 10 LB 96/17 - juris, bestätigt von BVerwG, B.v. 3.9.2018 - 1 B 41/18 - juris; VG Cottbus, B.v. 4.1.2019 - VG 5 L 535/18.A - juris; B.v. 12.7.2017 - 5 L 442/17.A - juris; VG München, B.v. 6.7.2017 - M 9 S 16.51285 - juris; B.v. 20.2.2017 - M 9 S 17.50105 - juris; B.v. 29.12.2016 - M 1 S 16.50997 - juris; VG Hamburg, B.v. 8.2.2017 - 9 AE 5887/16 - juris; VG Düsseldorf, B.v. 18.1.2017 - 12 L 3754/16.A - juris; BayVGH, U.v. 28.2.2014 - 13a B 13.30295 - juris; OVG NW, U.v. 21.6.2016 - 13 A 1896/14.A - juris; NdsOVG, U.v. 25.6.2015 - 11 LB 248/14 - juris; zumeist mit Bezug u.a. auf die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das OVG NW vom 23. Februar 2016 und auf den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016: „Aufnahmebedingungen in Italien - Zur aktuellen Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden in Italien“, einsehbar z.B. über MILO oder Asylfact bzw. in der Gerichtsbibliothek - Dublin-Sammlung: Italien - bzw. teils frei zugänglich im Internet abrufbar). Nach dieser Erkenntnislage erhalten Asylsuchende (Neuankömmlinge und Rückkehrer gleichermaßen) zuverlässig eine Unterkunft - u.a. über die CAS- bzw. über die SPRAR-Einrichtungen - und sonstige Versorgung (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23. Februar 2016, a.a.O., S. 4ff.; Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016, a.a.O., S. 18ff., insb. S. 28ff.). Es werden stetig zusätzliche Aufnahmezentren geschaffen; das Aufnahmesystem in Italien ist innerhalb von vier Jahren von ca. 5.000 Plätzen auf ca. 120.000 Plätze angewachsen (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016, a.a.O., S. 15). Es ist mithin nichts dafür ersichtlich, dass die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung überschritten wäre; dies wäre erst dann der Fall, wenn absehbar wäre, dass auf die erhöhte Zahl von Einwanderern keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung des Problems ergriffen würden (z.B. VG Schwerin, U.v. 26.9.2016 - 16 A 1757/15 As SN - juris; VG Hamburg, B.v. 8.2.2017 - 9 AE 5887/16 - juris; OVG NW, U.v. 18.7.2016 - 13 A 1859/14.A - juris). Probleme bei der Unterbringung in der zweiten Jahreshälfte 2015 rechtfertigen keine andere Einschätzung, da diesbezügliche Schwierigkeiten nicht nur in Italien, sondern in weiten Teilen Europas bestanden. Auch der insgesamt eher kritische Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016, a.a.O., sieht diesbezüglich in erster Linie nur die Aufnahmesituation von „Personen mit Schutzstatus“ in Italien als problematisch an, nicht aber die Bedingungen für Asylsuchende und Dublin-Rückkehrer (vgl. S. 18ff. einerseits und S. 33ff. andererseits). Für Erstere wird, ohne dass es vorliegend tragend darauf ankommt, darauf hingewiesen, dass die Gruppe der „Personen mit Schutzstatus“ hinsichtlich der Versorgungssituation schlicht den Einheimischen gleichgestellt ist (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23. Februar 2016, a.a.O., S. 5; Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016, a.a.O., S. 35 und 50); unabhängig davon ist klarzustellen, dass die Frage „systemischer Mängel“ nur die Durchführung des Asylverfahrens betrifft und dass eine Anwendung dieser Rechtsfigur auf bereits anerkannte Flüchtlinge deshalb ausscheiden muss (ebenso z.B. VG Hamburg, U.v. 9.1.2017 - 16 A 5546/14 - juris in Auseinandersetzung mit anderen Ansichten). Weiter ist festzuhalten, dass die Dublin III-VO gerade nicht zu einem „forum shopping“ dergestalt verhelfen soll, dass der Betroffene ein Recht darauf habe, sich einen Mitgliedstaat für die Prüfung seines Asylantrags auszusuchen, der beispielsweise ein besseres soziales Sicherungssystem oder bessere Unterbringungsmöglichkeiten bietet (statt aller OVG NW, U.v. 10.3.2016 - 13 A 1657/15.A - juris). Auch der Umstand, dass sich die Situation des Antragstellers in Italien eventuell schlechter darstellt als im Bundesgebiet, begründet keinen systemischen Mangel des dortigen Asylverfahrens (vgl. EGMR, E.v. 2.4.2013 - Nr. 27725/10 - juris; VG München, B.v. 9.11.2016 - M 6 S 16.50638 - juris). Alle Asylbewerber haben in Italien kostenfreien Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem (OVG NW, U.v. 22.9.2016 - 13 A 2448/15.A - juris; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23. Februar 2016, a.a.O., S. 6). Alle, auch irregulär anwesende Personen und Rückkehrer, haben ein Recht auf medizinische Grund- und Notfallversorgung bei Krankheit oder Unfall, auch ohne Selbstbehalt (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016, a.a.O., S. 54f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23. Februar 2016, a.a.O., S. 6). Das sog. ticket - der Selbstbehalt - muss darüber hinaus auch langfristig nicht bezahlt werden, solange eine nicht erwerbstätige Person bspw. in einer SPRAR-Einrichtung untergebracht ist oder eine sog. STP-Karte besitzt (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016, a.a.O., S. 56f.). Zugang zu einem Hausarzt und zu weiteren medizinischen Leistungen erhält man über eine Gesundheitskarte, die man ohne weiteres über eine Registrierung bei den lokalen Institutionen erlangt (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016, a.a.O., S. 55).</p>
<p><rd nr="14"/>Bei der zitierten Vorlage des VGH BW, B.v. 15.3.2017 - A 11 S 2151/16 - juris, über die vom Europäischen Gerichtshof noch nicht entschieden wurde (anhängig unter C-163/17), geht es um die Frage, ob eine Überstellung des Asylbewerbers in den zuständigen Mitgliedstaat unzulässig ist, wenn er für den Fall einer Zuerkennung eines internationalen Schutzstatus dort im Hinblick auf die dann zu erwartenden Lebensumstände einem ernsthaften Risikos ausgesetzt wäre, eine Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-GRCharta zu erfahren - d.h. um eine Situation, zu der es möglicherweise nach der Gewährung internationalen Schutzes im zuständigen Mitgliedstaat, hier Italien, kommen kann. Das aber hat nach hiesiger Auffassung mit der Dublin III-VO bereits nichts mehr zu tun (auch BVerwG, B.v. 8.8.2018 - 1 B 25/18 - juris betrifft eine andere Konstellation, nämlich eine Unzulässigkeitsentscheidung aufgrund Zuerkennung internationalen Schutzes in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union). Systemische Mängel sind nur i.R.d. Bestimmung des für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen EU-Mitgliedstaates von Bedeutung, nicht aber für die Phase nach Abschluss des Asylverfahrens (vgl. den Wortlaut von <verweis.norm>Art. 3 Abs. 2 Satz 2 <v.abk ersatz="Dublin III-VO">Dublin III-VO</v.abk></verweis.norm> und bspw. VG Hamburg, U.v. 9.1.2017 - 16 A 5546/14 - juris). Auch der Erst-Recht-Schluss der Bevollmächtigten - „drohen bereits Menschen mit Schutzstatus in Italien Menschenrechtsverletzungen, so gilt dies erst recht für Menschen ohne Schutzstatus“ - ist nach Obenstehendem, u.a. auch nach dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016, a.a.O., verfehlt. Unabhängig davon schließt sich das Gericht ohnehin der - auch in Auseinandersetzung mit dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016, a.a.O., ergangenen - obergerichtlichen Rechtsprechung an, wonach die Aufnahmebedingungen in Italien auch für bereits anerkannte Schutzberechtigte keine Mängel aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCharta und <verweis.norm>Art. 3 <v.abk ersatz="EMRK">EMRK</v.abk></verweis.norm> bei ihrer Rücküberstellung begründen könnten (vgl. NdsOVG, B.v. 21.12.2018 - 10 LB 201/18 - juris; B.v. 6.4.2018 - 10 LB 109/18 - juris; OVG Rh-Pf, B.v. 20.12.2018 - 10 A 11029/18 - juris; OVG NW, U.v. 24.8.2016 - 13 A 63/16.A - juris). Insofern war die aufschiebende Wirkung also nicht anzuordnen, die der Vorlage zugrunde liegende Fragestellung ist nicht entscheidungserheblich (ebenso bspw. VG München, U.v. 7.11.2018 - M 1 K 17.51257 - juris). Nach alledem scheidet auch ein Abschiebungsverbot nach <verweis.norm>§ 60 Abs. 5 <v.abk ersatz="AufenthG">AufenthG</v.abk></verweis.norm> i.V.m. <verweis.norm>Art. 3 <v.abk ersatz="EMRK">EMRK</v.abk></verweis.norm> aus.</p>
<p><rd nr="15"/>Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis nach <verweis.norm>§ 60 Abs. 7 <v.abk ersatz="AufenthG">AufenthG</v.abk></verweis.norm> oder ein inlandsbezogenes Vollzugshindernis (BayVGH, B.v. 12.3.2014 - 10 CE 14.427 - juris) wurden nicht behauptet und/oder nach <verweis.norm>§ 60a Abs. 2c Satz 2 <v.abk ersatz="AufenthG">AufenthG</v.abk></verweis.norm> glaubhaft gemacht (zur Heranziehung des § 60a Abs. 2c AufenthG auch i.R.v. zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen vgl. nur BayVGH, B.v. 26.4.2018 - 9 ZB 18.30178 - juris). Die Antragstellerin gab i.R. ihrer Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags an, nicht an Beschwerden, Erkrankungen, Gebrechen oder an einer Behinderung zu leiden (Bl. 76 d. BA). Auch die allgemeinen Verhältnisse in Italien begründen kein Abschiebungsverbot. Unabhängig davon, dass die Versorgungslage in Italien nach Obenstehendem ohnehin unproblematisch ist, handelte es sich bei den angeblich schlechten humanitären Verhältnissen um eine Situation, der die gesamte Bevölkerungsgruppe „Asylbewerber“ (EGMR, U.v. 4.11.2014 - 29217/12, Tarakhel /Schweiz - NVwZ 2015, 127) ausgesetzt wäre, weshalb Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG ausschließlich durch eine generelle Regelung nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt würde. Eine extreme Gefährdungslage, bei der aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus <verweis.norm>Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 <v.abk ersatz="Satz 1 GG">Satz 1 GG</v.abk></verweis.norm> die Sperrwirkung des <verweis.norm>§ 60 Abs. 7 Satz 5 <v.abk ersatz="AufenthG">AufenthG</v.abk></verweis.norm> ausnahmsweise nicht greift (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.1995 - 9 C 9/95 - juris; U.v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - juris), bei der ein Einzelner - hier: die Antragstellerin - mithin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (vgl. 60.7.3.1 AufenthGAVwV; BVerwG, B.v. 8.8.2018 - 1 B 25/18 - juris; U.v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - juris; Göbel-Zimmermann u.a., Asyl- und Flüchtlingsrecht, Stand: 1. Auflage 2017, Rn. 324), liegt in Italien nicht vor.</p>
<p><rd nr="16"/>Die Kostenentscheidung folgt aus <verweis.norm>§ 154 Abs. 1 <v.abk ersatz="VwGO">VwGO</v.abk></verweis.norm>; Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.</p>
<p><rd nr="17"/>Der Beschluss ist unanfechtbar, <verweis.norm>§ 80 <v.abk ersatz="AsylG">AsylG</v.abk></verweis.norm>.</p>
</div>
|
|
175,033 | eugh-2019-01-23-c-69717 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-697/17 | 2019-01-23T00:00:00 | 2019-01-31T19:20:53 | 2019-01-31T19:20:53 | Schlussantrag des Generalanwalts | ECLI:EU:C:2019:54 | <p>Vorläufige Fassung</p>
<p class="C36Centre">SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS</p>
<p class="C36Centre">MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA</p>
<p class="C36Centre">vom23. Januar 2019(<a href="#Footnote1" name="Footref1">1</a>)</p>
<p class="C38Centregrasgrandespacement">
<b>Rechtssache C</b>‑<b>697/17</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Telecom Italia SpA</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>gegen</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Ministero dello Sviluppo Economico,</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Infrastrutture e telecomunicazioni per l’Italia SpA (Infratel Italia SpA),</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Beteiligte:</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Open Fiber SpA</b>
</p>
<p class="C39Centreespacement">(Vorabentscheidungsersuchen des Consiglio di Stato [Staatsrat, Italien])</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorabentscheidungsverfahren – Öffentliche Aufträge – Richtlinie 2014/24/EU – Nicht offenes Verfahren – Wirtschaftsteilnehmer, die zur Abgabe eines Angebots zugelassen sind – Während des Vergabeverfahrens durchgeführte Verschmelzung durch Aufnahme – Notwendigkeit der Wahrung der rechtlichen Identität zwischen der Vorauswahlphase und der Angebotsabgabe“</p>
<br/>
<br/>
<br/>
<br/>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point1">1.</a>        Der Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) stellt in diesem Vorabentscheidungsverfahren die Frage, ob nach der Richtlinie 2014/24/EU(<a href="#Footnote2" name="Footref2">2</a>) die „rechtliche und wirtschaftliche Identität“ einer zunächst im Rahmen eines nicht offenen Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträge ausgewählten Gesellschaft gewahrt bleibt, wenn diese Gesellschaft ihre Verschmelzung mit einer anderen, ebenfalls ausgewählten Gesellschaft, die am Ende kein Angebot abgegeben hat, einleitet.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point2">2.</a>        In gewisser Weise ist die vorliegende Streitigkeit die Kehrseite der dem Urteil MT Højgaard und Züblin(<a href="#Footnote3" name="Footref3">3</a>) zugrunde liegenden Rechtssache, in der ein Bieter bei seiner Vorauswahl einer später aufgelösten Bietergemeinschaft angehörte. Damals war fraglich, ob dieser Bieter nach Auflösung der Gemeinschaft weiterhin im eigenen Namen am Verhandlungsverfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags teilnehmen konnte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point3">3.</a>        Der Gerichtshof hat mithin erneut Gelegenheit, seine Rechtsprechung zu dem Grundsatz, dass die in der Vorauswahl berücksichtigten Wirtschaftsteilnehmer mit denen identisch sein müssen, die Angebote vorlegen, zu vertiefen.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">I.      <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C22Titrenumerote2">A.      <b>Unionsrecht. Richtlinie 2014/24</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point4">4.</a>        Art. 8 bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Diese Richtlinie gilt nicht für öffentliche Aufträge und Wettbewerbe, die hauptsächlich den Zweck haben, dem öffentlichen Auftraggeber die Bereitstellung oder den Betrieb öffentlicher Kommunikationsnetze oder die Bereitstellung eines oder mehrerer elektronischer Kommunikationsdienste für die Öffentlichkeit zu ermöglichen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Für die Zwecke dieses Artikels haben die Ausdrücke ‚öffentliches Kommunikationsnetz‘ und ‚elektronischer Kommunikationsdienst‘ die gleiche Bedeutung wie in der Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates[(<a href="#Footnote4" name="Footref4">4</a>)].“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point5">5.</a>        Art. 18 Abs. 1 sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die öffentlichen Auftraggeber behandeln alle Wirtschaftsteilnehmer in gleicher und nichtdiskriminierender Weise und handeln transparent und verhältnismäßig.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Das Vergabeverfahren darf nicht mit der Absicht konzipiert werden, es vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie auszunehmen oder den Wettbewerb künstlich einzuschränken. Eine künstliche Einschränkung des Wettbewerbs gilt als gegeben, wenn das Vergabeverfahren mit der Absicht konzipiert wurde, bestimmte Wirtschaftsteilnehmer auf unzulässige Weise zu bevorzugen oder zu benachteiligen.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point6">6.</a>        Art. 28 lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Bei nichtoffenen Verfahren kann jeder Wirtschaftsteilnehmer auf einen Aufruf zum Wettbewerb hin einen Teilnahmeantrag, der die in Anhang V Teil B beziehungsweise Teil C festgelegten Informationen enthält, einreichen, indem er die Informationen für eine qualitative Auswahl vorlegt, die von dem öffentlichen Auftraggeber verlangt werden.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Lediglich jene Wirtschaftsteilnehmer, die von dem öffentlichen Auftraggeber infolge seiner Bewertung der bereitgestellten Informationen dazu aufgefordert werden, können ein Angebot übermitteln. Die öffentlichen Auftraggeber können die Zahl geeigneter Bewerber, die zur Teilnahme am Verfahren aufgefordert werden, gemäß Artikel 65 begrenzen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C22Titrenumerote2">B.      <b>Nationales Recht. Codice dei contratti pubblici (Gesetzbuch über öffentliche Aufträge)</b>(<a href="#Footnote5" name="Footref5">5</a>)</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point7">7.</a>        Art. 61 Abs. 3 lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Nach der Bewertung der bereitgestellten Informationen durch den öffentlichen Auftraggeber können lediglich jene Wirtschaftsteilnehmer ein Angebot übermitteln, die dazu aufgefordert werden.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point8">8.</a>        Art. 48 Abs. 11 sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„In nicht offenen Verfahren oder Verhandlungsverfahren oder bei wettbewerblichen Dialogen kann der einzeln aufgeforderte Wirtschaftsteilnehmer oder der einzeln zum Verfahren des wettbewerblichen Dialogs zugelassene Bewerber das Angebot entweder für sich allein oder als Bevollmächtigter der zusammengeschlossenen Wirtschaftsteilnehmer abgeben.“</p>
<p class="C21Titrenumerote1">II.    <b>Sachverhalt und Vorlagefrage</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point9">9.</a>        Die Infratel Italia SpA (im Folgenden: Infratel) führte im Namen des Ministero dello Sviluppo Economico (Ministerium für Wirtschaftsentwicklung, Italien) ein nicht offenes Verfahren zur Vergabe einer Konzession für den Bau, die Unterhaltung und den Betrieb der passiven Infrastruktur für ein im öffentlichen Eigentum stehendes Ultrabreitbandnetz in bestimmten Gebieten durch.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point10">10.</a>      Das in fünf Lose (für ebenso viele geografische Gebiete) aufgeteilte nicht offene Verfahren fand in folgenden Verfahrensabschnitten statt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">a)      Abgabe des Teilnahmeantrags (bis zum 18. Juli 2016),</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      Versand von Einladungsschreiben an die in der Vorauswahl berücksichtigten Wirtschaftsteilnehmer (bis zum 9. August 2016), </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">c)      Übermittlung der Angebote (bis zum 17. Oktober 2016).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point11">11.</a>      Die Telecom Italia SpA (Telecom Italia), die Metroweb Sviluppo SpA (Metroweb Sviluppo) und die Enel Open Fiber SpA (Enel Open Fiber)(<a href="#Footnote6" name="Footref6">6</a>) gaben neben weiteren Wirtschaftsteilnehmern Teilnahmeanträge ab (erster Verfahrensabschnitt). Infratel ließ diese zu und forderte die Unternehmen zur Teilnahme (zweiter Verfahrensabschnitt) als ausgewählte Bieter auf.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point12">12.</a>      Metroweb Sviluppo gab, obwohl sie im zweiten Verfahrensabschnitt in der Vorauswahl berücksichtigt worden war, kein Angebot ab und verzichtete damit auf eine Teilnahme am Vergabeverfahren.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point13">13.</a>      Infratel veröffentlichte am 9. Januar 2017 das Verzeichnis der ausgewählten Wettbewerber und am 24. Januar 2017 die vorläufige Rangliste der erfolgreichen Bieter. Bei allen fünf Losen stand Enel Open Fiber an erster Stelle und Telecom Italia an zweiter Stelle, außer bei Los 4, bei dem sie den dritten Platz belegte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point14">14.</a>      Nach Abschluss des Verfahrens erhielt Telecom Italia Zugang zu den Verwaltungsakten. Die Einsichtnahme ergab, dass zwischen dem Verfahrensabschnitt der Vorauswahl und der Frist für die Abgabe der Angebote (17. Oktober 2016) Metroweb Sviluppo und Enel Open Fiber an einem komplexen gesellschaftsrechtlichen Vorgang beteiligt waren.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point15">15.</a>      Dieser Vorgang ging auf einen Unternehmenszusammenschluss zurück, durch den die Gesellschaften Enel SpA (Enel) und Cassa Depositi e Prestiti SpA (CDP) über ihre Tochtergesellschaft CDP Equity SpA (CDPE) die gemeinsame Kontrolle über das aus der Verschmelzung von Enel Open Fiber mit der Metroweb Italia SpA (Metroweb Italia) entstandene Unternehmen erlangten. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point16">16.</a>      Nach der am 10. Oktober 2016 zwischen der Holdinggesellschaft Enel (die Enel Open Fiber kontrollierte) und Metroweb Italia (die Metroweb Sviluppo kontrollierte) geschlossenen „Investitionsrahmenvereinbarung“ hatte der Vorgang zur Folge, dass</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">–      Enel und CDPE jeweils 50 % des Gesellschaftskapitals von Enel Open Fiber übernahmen;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">–      Enel Open Fiber 100 % des Gesellschaftskapitals von Metroweb Italia erwarb;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">–      Metroweb Italia durch Aufnahme die Verschmelzung einiger Gesellschaften der Gruppe Metroweb Italia, u. a. Metroweb Sviluppo, herbeiführte und</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">–      Enel Open Fiber mit der aus der Verschmelzung der Gruppe Metroweb Italia entstandenen Gesellschaft zu einer „neuen Enel Open Fiber“ verschmolzen wurde(<a href="#Footnote7" name="Footref7">7</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point17">17.</a>      In Umsetzung dieser Vereinbarung wurde Metroweb Sviluppo (eine Teilnehmerin des Vergabeverfahrens) am 17. Oktober 2016 von der Metroweb-Gruppe übernommen. Am 23. Januar 2017 wurde die Verschmelzung durch Aufnahme von Metroweb durch Open Fiber beschlossen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point18">18.</a>      Das Verschmelzungsvorhaben wurde am 10. November 2016(<a href="#Footnote8" name="Footref8">8</a>) gemäß der Verordnung (EG) Nr. 139/2004(<a href="#Footnote9" name="Footref9">9</a>) bei der Europäischen Kommission angemeldet. Am 15. Dezember 2016 entschied die Kommission, keine Einwände gegen den Vorgang zu erheben(<a href="#Footnote10" name="Footref10">10</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point19">19.</a>      Telecom Italia ging gegen die Vergabe der fünf Lose, in die das nicht offene Verfahren aufgeteilt war, mit fünf Klagen beim Tribunale amministrativo regionale del Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien) vor. Dieses wies die Klagen mit fünf Urteilen vergleichbaren Inhalts ab.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point20">20.</a>      Vor diesem Hintergrund hat Telecom Italia fünf Berufungen zum Consiglio di Stato (Staatsrat) gegen diese Urteile eingelegt, der das Verfahren ausgesetzt und folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hat:</p>
<p class="C02AlineaAltA">Ist Art. 28 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen, dass er eine umfassende rechtliche und wirtschaftliche Identität zwischen den in der Vorauswahl berücksichtigten Wirtschaftsteilnehmern und den Wirtschaftsteilnehmern verlangt, die im nicht offenen Verfahren Angebote vorlegen, und ist er insbesondere dahin auszulegen, dass er einer Vereinbarung entgegensteht, die zwischen den Holdinggesellschaften, die zwei in der Vorauswahl berücksichtigte Wirtschaftsteilnehmer kontrollieren, zu einem Zeitpunkt zwischen der Vorauswahl und der Angebotsabgabe geschlossen wird, wenn: a) diese Vereinbarung (u. a.) das Ziel und die Wirkung hat, eine Verschmelzung durch Aufnahme eines der in der Vorauswahl berücksichtigten Unternehmen durch ein anderes dieser Unternehmen herbeizuführen (ein Vorgang, der im Übrigen von der Europäischen Kommission genehmigt wurde); b) die Verschmelzung erst nach der Angebotsabgabe durch das übernehmende Unternehmen vollständig wirksam wurde (weshalb dessen Zusammensetzung zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe gegenüber derjenigen zum Zeitpunkt der Vorauswahl unverändert geblieben war); c) das später übertragende Unternehmen (dessen Zusammensetzung zum Zeitpunkt des Fristablaufs für die Angebotsabgabe unverändert geblieben war) von einer Teilnahme am nicht offenen Verfahren jedoch abgesehen hat, wahrscheinlich in Umsetzung der in der Vereinbarung zwischen den Holdinggesellschaften festgelegten vertraglichen Planung?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point21">21.</a>      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass sich das streitige Verfahren nicht vollständig nach der Richtlinie 2014/24 oder der Richtlinie 2014/23/EU(<a href="#Footnote11" name="Footref11">11</a>) richte, sondern nur nach den Regeln der Ausschreibung, nach denen Art. 61 CCP anwendbar sei, mit dem Art. 28 der Richtlinie 2014/24 umgesetzt werde.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point22">22.</a>      Die Ausschreibung sehe außerdem vor, dass der Auftrag zugunsten des wirtschaftlich günstigsten Angebots auf der Grundlage des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses im Sinne des Art. 95 CCP, mit dem Art. 67 der Richtlinie umgesetzt werde, vergeben werden sollte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point23">23.</a>      Es sei zweifelhaft, ob in einem nicht offenen Verfahren gemäß Art. 28 der Richtlinie 2014/24 der vom Gerichtshof in der Rechtssache MT Højgaard und Züblin(<a href="#Footnote12" name="Footref12">12</a>) aufgestellte Grundsatz der rechtlichen und wirtschaftlichen Identität anwendbar sei. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point24">24.</a>      Die im Januar 2017 vollzogene Verschmelzung sei zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe (Oktober 2016) gerade eingeleitet worden, so dass sich die Struktur von Enel Open Fiber noch nicht verändert habe. Schließlich sei es nicht möglich, nachzuweisen, dass die beteiligten Parteien mit der Verschmelzungsvereinbarung – die zu einer strukturellen und dauerhaften Veränderung der betroffenen Gesellschaften geführt habe – eine Wettbewerbsabsprache im Rahmen des Vergabeverfahrens hätten treffen wollen.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">III. <b>Verfahren vor dem Gerichtshof und Vorbringen der Verfahrensbeteiligten</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point25">25.</a>      Die Vorlageentscheidung ist am 11. Dezember 2017 beim Gerichtshof eingegangen. Telecom Italia, Infratel, Open Fiber, die EFTA-Überwachungsbehörde, die italienische Regierung und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. In der mündlichen Verhandlung vom 15. November 2018 sind alle Beteiligten mit Ausnahme der EFTA-Überwachungsbehörde erschienen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point26">26.</a>      Telecom Italia vertritt die Ansicht, dass sich bei einer geplanten Verschmelzung durch Aufnahme eher die tatsächliche als die rechtliche Identität des in der Vorauswahl berücksichtigten übernehmenden Unternehmens verändere und die Verschmelzung dadurch mit dem Grundsatz des Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 unvereinbar werde.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point27">27.</a>      Außerdem habe das vorlegende Gericht die Komplexität des streitigen Vorgangs unterschätzt, da es sich auf die Prüfung der subjektiven und förmlichen Identität von Enel Open Fiber zum Zeitpunkt des Ablaufs der Frist für die Angebotsabgabe beschränkt und so die gemeinsame Planung zur schrittweisen Aufnahme von Metroweb Sviluppo fragmentiert habe. Tatsächlich habe es sich um eine gemeinsame Planung gehandelt, die unter Außerachtlassung sämtlicher Grundsätze der Bekämpfung kollusiver Absprachen mit der zwischen der Vorauswahl und dem Angebotsabgabetermin geschlossenen bindenden Rahmenvereinbarung eingeleitet, während des laufenden Vergabeverfahrens in Gang gesetzt und nach dem endgültigen Zuschlag, aber noch vor Unterzeichnung des Vertrags, abgeschlossen worden sei. Durch die Rahmenvereinbarung seien beide Gesellschaften ab der Phase der Bekanntmachung zu einem einzigen Entscheidungszentrum verschmolzen gewesen und Metroweb Sviluppo habe daher kein Angebot einreichen müssen, während gleichzeitig die Möglichkeit gewährleistet gewesen sei, dass sie ausgewählt werde, und zwar so, als ob sie ein Angebot abgegeben hätte. Diese Situation müsse genauso behandelt werden wie wenn ein und dasselbe Entscheidungszentrum zwei Angebote abgegeben hätte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point28">28.</a>      Infratel hält die Vorlagefrage für unzulässig, weil sie hypothetisch sei, denn das vorlegende Gericht habe keine Zweifel an der Auslegung des anzuwendenden Unionsrechts und habe zum Gegenstand des Ausgangsverfahrens bereits Stellung genommen. Hilfsweise macht sie geltend, es habe bei den in der Vorauswahl berücksichtigten Unternehmen gegenüber denen, die Angebote abgegeben hätten, keine Veränderungen gegeben. Bei der Abgabe ihres Angebots habe Enel Open Fiber als ein einziger Wirtschaftsteilnehmer in derselben Zusammensetzung wie in der Phase der Vorauswahl gehandelt. Durch die Verschmelzung habe sich ihre Rechtspersönlichkeit nicht geändert, und ihre Identität stimme daher mit der des in der Vorauswahl berücksichtigten Unternehmens überein.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point29">29.</a>      Open Fiber spricht sich ebenfalls für die Unzulässigkeit der Vorlagefrage aus, und zwar</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">–      erstens, weil es um die Vereinbarkeit der Rahmenvereinbarung mit der Richtlinie 2014/24 gehe, obwohl ihre Rechtmäßigkeit im Ausgangsverfahren nicht in Frage gestellt werde;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">–      zweitens, weil die Richtlinie 2014/23 zwar einschlägig wäre, sie aber insoweit, als es um eine Konzession für den Bau eines Kommunikationsnetzes gehe, ebenso wie die Richtlinie 2014/24 wegen der in ihnen in Bezug auf Kommunikationsnetze und ‑dienste vorgesehenen Ausnahme unanwendbar sei. Eine Verweisung auf Art. 28 der Richtlinie 2014/24 in den Verfahrensunterlagen sei nicht ersichtlich;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">–      drittens, weil das angebliche Verbot einer Verschmelzung von in der Vorauswahl berücksichtigten Unternehmen keinen unionsrechtlichen Grundsatz darstelle; </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">–      viertens, weil das vorlegende Gericht keinerlei Zweifel hinsichtlich der Auslegung des Unionsrechts habe.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point30">30.</a>      In der Sache teilt Open Fiber den Standpunkt, den das vorlegende Gericht dargelegt hat, und kommt zu dem Ergebnis, dass ihre Einladung zur Phase der Bewertung der Angebote weder Art. 28 der Richtlinie 2014/24 noch der Rechtsprechung des Gerichtshofs widerspreche.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point31">31.</a>      Die italienische Regierung hält die Vorlagefrage ebenfalls für unzulässig. Das vorlegende Gericht beziehe sich nur allgemein auf eine Vorschrift des Unionsrechts und räume ein, dass kein Zusammenhang zwischen dem streitigen Sachverhalt und dieser Vorschrift bestehe, denn das Angebot von Enel Open Fiber sei von derselben juristischen Person abgegeben worden, die zur Teilnahme an dem nicht offenen Verfahren zugelassen gewesen sei.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point32">32.</a>      In der Sache trägt die italienische Regierung vor, dass sich aus Art. 51 Abs. 2 der Richtlinie 2004/17/EG(<a href="#Footnote13" name="Footref13">13</a>) ergebe, dass zwischen dem zur Teilnahme aufgeforderten Wirtschaftsteilnehmer und dem Wirtschaftsteilnehmer, der das Angebot abgebe, eine vollständige wirtschaftliche und rechtliche Identität bestehen müsse. Durch Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 sei aber eine weniger strenge Anforderung eingeführt worden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point33">33.</a>      Weder den nationalen Rechtsvorschriften noch den allgemeinen unionsrechtlichen Grundsätzen lasse sich entnehmen, dass es sich bei der von der Kommission genehmigten und nach der Angebotsabgabe durch die übernehmende Gesellschaft endgültig vollzogenen Verschmelzung durch Aufnahme der in der Vorauswahl berücksichtigten Unternehmen um einen rechtswidrigen Vorgang handele.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point34">34.</a>      Die EFTA-Überwachungsbehörde sieht keinen Verstoß gegen die Anforderung der Identität, wenn – wie es vorliegend der Fall sei – einerseits der Wirtschaftsteilnehmer, der letztendlich das Angebot abgebe, die von dem öffentlichen Auftraggeber aufgestellten Bedingungen erfülle, und andererseits bei der Zulassung der Abgabe seines Angebots die übrigen Wettbewerber nicht in eine ungünstige Position versetzt würden. Das Erfordernis der Identität – bei dem es sich jedenfalls nicht um ein absolutes Erfordernis handele – stehe dem Abschluss einer Vereinbarung, durch die zwei Wirtschaftsteilnehmer verschmolzen würden, die in einem öffentlichen Vergabeverfahren in der Vorauswahl berücksichtigt worden seien, nicht entgegen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point35">35.</a>      Nach Auffassung der Kommission sollte die Vorlagefrage umformuliert werden, denn sie könne dahin verstanden werden, dass der Gerichtshof nach der Rechtmäßigkeit der Verschmelzungsvereinbarung gefragt werde.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point36">36.</a>      Die Kommission führt aus, dass die im Urteil MT Højgaard und Züblin(<a href="#Footnote14" name="Footref14">14</a>) zur Richtlinie 2004/17 aufgestellten Kriterien unter vergleichbaren, in der Richtlinie 2014/24 geregelten Umständen entsprechend angewendet werden könnten. Sie weist jedoch darauf hin, dass sich der Sachverhalt, der diesem Urteil zugrunde gelegen habe, von dem hier vorliegenden stark unterscheide. Im vorliegenden Fall habe es anders als damals zwischen dem Zeitpunkt der Vorauswahl der Wirtschaftsteilnehmer, die zur Abgabe eines Angebots aufgefordert worden seien, und der Angebotsabgabe keine Identitätsänderung gegeben.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point37">37.</a>      Die Kommission verneint, dass der Abschluss einer Vereinbarung über eine Verschmelzung durch Aufnahme <i>per se</i> eine Verschlechterung der Wettbewerbsposition der anderen Bieter oder einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz mit sich bringe. Diese Gefahr lasse sich ausschließen, wenn zum einen die Parteien gemäß Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 den Zusammenschluss nicht – nicht einmal teilweise – durchgeführt noch vorab sensible Informationen ausgetauscht hätten, die ihr Verhalten während des öffentlichen Vergabeverfahrens beeinflussen könnten, und zum anderen alle Wirtschaftsteilnehmer, die am Vergabeverfahren beteiligt seien, Kenntnis vom Abschluss der Verschmelzungsvereinbarung hätten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point38">38.</a>      Die Kommission hält es für unerheblich, dass das übernommene Unternehmen auf die Teilnahme am nicht offenen Verfahren verzichtet habe. Dieser Umstand könne keinen Einfluss auf die Zulassung des übernehmenden Unternehmens zur Phase der Bewertung haben, es sei denn, es komme darin zum Ausdruck, dass die Parteien die Verschmelzungsvereinbarung teilweise umgesetzt hätten, indem sie sensible Informationen, die ihr Verhalten während des Vergabeverfahrens beeinflussen könnten, ausgetauscht und dabei gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen hätten.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">IV.    <b>Prüfung </b>
</p>
<p class="C22Titrenumerote2">A.      <b>Zur Zulässigkeit der Vorlagefrage</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point39">39.</a>      Infratel, Open Fiber und die italienische Regierung sind der Ansicht, die Vorlagefrage sei sowohl aufgrund ihrer angeblichen Irrelevanz für das Ausgangsverfahren als auch wegen ihres angeblich hypothetischen Charakters bzw. weil ihr in Wirklichkeit kein echter Zweifel des vorlegenden Gerichts zugrunde liege, unzulässig.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point40">40.</a>      Ich meine jedoch, dass diesem Einwand nicht gefolgt werden kann.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point41">41.</a>      Der Consiglio di Stato (Staatsrat) hat darauf hingewiesen, dass sich das Vergabeverfahren nach den Ausschreibungsregeln richte und eine von ihnen auf Art. 61 CCP verweise, durch den Art. 28 der Richtlinie 2014/24 umgesetzt werde. Zudem hat Telecom Italia neben anderen Berufungsgründen, die das nationale Recht betreffen, einen Verstoß gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der Identität gerügt(<a href="#Footnote15" name="Footref15">15</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point42">42.</a>      Nachdem es die von der Berufungsführerin geltend gemachten Verstöße gegen innerstaatliches Recht verneint hat, führt das vorlegende Gericht aus, dass es nur noch den auf eine mögliche Verletzung des Unionsrechts gestützten Grund prüfen müsse, der „für die Entscheidung der geprüften Streitigkeit relevant und entscheidend ist, und hinsichtlich dessen die Kammer ein Vorabentscheidungsersuchen im Sinne von Art. 267 AEUV für erforderlich hält“(<a href="#Footnote16" name="Footref16">16</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point43">43.</a>      Vor diesem Hintergrund meine ich, dass die Vermutung der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen gelten muss. Es handelt sich bekanntermaßen um eine Vermutung, die widerlegt werden kann, wenn auch nur, wenn sehr genau bestimmte Voraussetzungen vorliegen: a) wenn die erbetene Auslegung oder Beurteilung der Gültigkeit einer unionsrechtlichen Regelung offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, b) wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder c) wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind(<a href="#Footnote17" name="Footref17">17</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point44">44.</a>      In dieser Rechtssache ist meines Erachtens keine dieser drei Voraussetzungen erfüllt. Auch wenn der Consiglio di Stato (Staatsrat) die Gründe darlegt, die seiner Meinung nach für eine bestimmte Auslegung von Art. 28 der Richtlinie 2014/24 sprechen, bedeutet das nicht, dass er keine Zweifel hinsichtlich des Sinns dieser Vorschrift hegt(<a href="#Footnote18" name="Footref18">18</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point45">45.</a>      Das vorlegende Gericht meint, dass seine Auslegung dieser Vorschrift tragfähig sei, dass aber möglicherweise eine andere Auslegung denkbar und deshalb die autorisierte Mitwirkung des Gerichtshofs erforderlich sei. Auf diese Weise arbeitet es gemäß dem Nr. 17 der Empfehlungen an die nationalen Gerichte bezüglich der Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen(<a href="#Footnote19" name="Footref19">19</a>) zugrunde liegenden Geist bei der Rechtsprechung loyal mit dem Gerichtshof zusammen.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">B.      <b>Zur Beantwortung der Fragen</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point46">46.</a>      Die Kommission legt zu Recht nahe, dass es zweckmäßig sei, die Frage des Consiglio di Stato (Staatsrat) umzuformulieren, da der – irrige – Eindruck entstehen könne, dass sie sich auf die Vereinbarkeit der Verschmelzungsvereinbarung mit dem Unionsrecht beziehe. Tatsächlich hat das Gericht aber weder Zweifel hinsichtlich dieser Vereinbarung noch stellt es ihre Gültigkeit in Frage.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point47">47.</a>      Demnach beschränkt sich der Streit auf die Klärung der Frage, ob Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 der Zulassung eines Wirtschaftsteilnehmers, der gerade durch Aufnahme mit einem anderen, ebenfalls vorausgewählten Wirtschaftsteilnehmer verschmolzen wird, zur Phase der Bewertung der Angebote (in einem nicht offenen Verfahren) entgegensteht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point48">48.</a>      Das ist die Frage, die das vorlegende Gericht spezifisch stellt, das, wie ich oben ausgeführt habe(<a href="#Footnote20" name="Footref20">20</a>), Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 für eine Bestimmung hält, die (aufgrund Verweisung in den nationalen Vorschriften) auf den von ihm zu entscheidenden Fall anwendbar ist und von deren Auslegung der Ausgang des Rechtsstreits abhängt, nachdem die Fragen des innerstaatlichen Rechts, die in ihm zu entscheiden waren, geklärt sind.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point49">49.</a>      Zwar haben Infratel, Open Fiber und die italienische Regierung in der mündlichen Verhandlung diese vom Consiglio di Stato (Staatsrat) vorgenommene Beurteilung ausführlich erörtert, aber ich bin der Auffassung, dass er seine Auslegung des auf den Fall anzuwendenden Rechts vernünftig und hinreichend begründet hat.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point50">50.</a>      Angesichts der klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof, auf der das Verfahren nach Art. 267 AEUV beruht, hat nur der Consiglio di Stato (Staatsrat), der mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der Fragen zu beurteilen, die er dem Gerichtshof stellt(<a href="#Footnote21" name="Footref21">21</a>). Diese Beurteilung setzt eine vorherige Eingrenzung der auf den Fall anwendbaren Regelung voraus, ein Vorgang, gegen den aus den genannten Gründen im vorliegenden Fall unter dem Gesichtspunkt der Vernünftigkeit und der Begründetheit kein Einwand besteht.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">1.      <b>Die rechtliche und tatsächliche Identität der in einem nicht offenen Verfahren ausgewählten Wirtschaftsteilnehmer</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point51">51.</a>      Letzten Endes geht es darum, in einem Kontext, in dem zwei in der Vorauswahl berücksichtigte Wirtschaftsteilnehmer ihre Verschmelzung durch Aufnahme eines von ihnen vereinbart haben, festzustellen, ob Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 „eine umfassende rechtliche und wirtschaftliche Identität zwischen den in der Vorauswahl berücksichtigten Wirtschaftsteilnehmern und den Wirtschaftsteilnehmern verlangt, die im nicht offenen Verfahren Angebote vorlegen“. Dabei gelten folgende Besonderheiten:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">–      Das Verschmelzungsvorhaben war zu einem Zeitpunkt, der zwischen der Vorauswahl und der Angebotsabgabe liegt, vereinbart und später von der Kommission genehmigt worden;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">–      die Verschmelzung wird erst nach der Angebotsabgabe durch das übernehmende Unternehmen vollständig wirksam, und</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">–      das später übertragene Unternehmen verzichtet auf eine Teilnahme an dem nicht offenen Verfahren.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point52">52.</a>      Das sogenannte „Erfordernis der rechtlichen und tatsächlichen Identität zwischen den in der Vorauswahl berücksichtigten Wirtschaftsteilnehmern und den Wirtschaftsteilnehmern, die die Angebote vorlegen“ findet seine Grundlage in Art. 51 Abs. 3 der Richtlinie 2004/17, wonach die Auftraggeber „die Übereinstimmung der von den ausgewählten Bietern vorgelegten Angebote [prüfen]“. Dies hat der Gerichtshof im Urteil MT Højgaard und Züblin(<a href="#Footnote22" name="Footref22">22</a>), auf das das vorlegende Gericht ausdrücklich Bezug nimmt, festgestellt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point53">53.</a>      Dieselbe Regel ist in Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 niedergelegt worden, nach dem „[l]ediglich jene Wirtschaftsteilnehmer, die von dem öffentlichen Auftraggeber infolge seiner Bewertung der bereitgestellten Informationen … dazu aufgefordert werden, [im nicht offenen Verfahren] ein Angebot übermitteln [können]“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point54">54.</a>      Dieses Erfordernis dient letztendlich der Wahrung des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Bieter(<a href="#Footnote23" name="Footref23">23</a>). Seine strikte Anwendung würde „zu dem Schluss führen, dass nur die Wirtschaftsteilnehmer, die als solche bei der Vorauswahl berücksichtigt worden sind, Angebote vorlegen und den Zuschlag erhalten können“(<a href="#Footnote24" name="Footref24">24</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point55">55.</a>      Mit Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 soll sichergestellt werden, dass nicht offene Verfahren wirklich nicht offen sind, in ihnen also nur die Wirtschaftsteilnehmer Angebote abgeben können, die von dem öffentlichen Auftraggeber dazu aufgefordert worden sind. Durch diese Aufforderung wird der Bereich festgelegt, in dem das Vergabeverfahren subjektiv <i>nicht offen </i>durchgeführt wird.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point56">56.</a>      Würde einem nicht in der Vorauswahl berücksichtigten Wirtschaftsteilnehmer die Angebotsabgabe gestattet, würde er gegenüber den übrigen Wirtschaftsteilnehmern bevorzugt behandelt. Letztere könnten ihre Angebote nämlich erst übermitteln, nachdem sie förmlich die Teilnahme am (nicht offenen) Verfahren beantragt und sich der entsprechenden Bewertung durch den öffentlichen Auftraggeber unterzogen hätten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point57">57.</a>      In der Rechtssache MT Højgaard und Züblin hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Identitätsanforderung „gesenkt werden [kann], um in einem Verhandlungsverfahren einen angemessenen Wettbewerb … zu gewährleisten“(<a href="#Footnote25" name="Footref25">25</a>). Diese Feststellung ist im Kontext jener Rechtssache zu sehen, der, wie ich bereits ausgeführt habe, ein Sachverhalt zugrunde lag, der sich gegenüber dem hier erörterten genau umgekehrt darstellt. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point58">58.</a>      Generalanwalt Mengozzi beschrieb treffend die Umstände jener Rechtssache, als er sie „in einem tatsächlichen Kontext [ansiedelte], in dem eine Gemeinschaft zweier Unternehmen, die als Handelsgesellschaft gegründet und in einem Vergabeverfahren in der Vorauswahl berücksichtigt wurde, nach Insolvenz eines ihrer beiden Mitglieder aufgelöst wird und der öffentliche Auftraggeber das verbliebene Mitglied anstelle der Gemeinschaft an dem Verfahren weiterhin teilnehmen lässt und diesem Mitglied schließlich, obwohl es als solches nicht vorausgewählt worden ist, den Zuschlag erteilt“(<a href="#Footnote26" name="Footref26">26</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point59">59.</a>      Hätte man den Grundsatz der Identität damals strikt angewandt und wäre folglich zu dem Schluss gelangt, dass das verbliebene Mitglied der Bietergemeinschaft als anderes Rechtssubjekt an dem Verfahren nicht weiter teilnehmen könne, hätte sich die Zahl der Bewerber um den Auftrag auf drei verringert. Dieses Ergebnis widersprach aber der Ausschreibung, bei der der Auftraggeber der Ansicht war, dass es mindestens vier Bewerber geben müsse, um den Wettbewerb zu gewährleisten(<a href="#Footnote27" name="Footref27">27</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point60">60.</a>      Im Rahmen einer ausgeglichenen Abwägung zwischen dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter – dem der Grundsatz der Identität dient – und der Gewährleistung eines wirksamen Wettbewerbs – in einem Fall, in dem die Verringerung der Zahl der Bieter zudem die Vergabe verhindern könnte – gelangte der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass kein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung vorliegt, „wenn … es einem der beiden Wirtschaftsteilnehmer einer Bietergemeinschaft, die als solche … zur Vorlage eines Angebots aufgefordert wurde, gestattet [wird], nach der Auflösung dieser Bietergemeinschaft an deren Stelle zu treten und im eigenen Namen an dem Verhandlungsverfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags teilzunehmen, sofern erwiesen ist, dass dieser Wirtschaftsteilnehmer die von dem Auftraggeber festgelegten <i>Anforderungen allein erfüllt</i> und dass seine weitere Teilnahme an diesem Verfahren <i>nicht zu einer Beeinträchtigung der Wettbewerbssituation</i> der übrigen Bieter <i>führt</i>“(<a href="#Footnote28" name="Footref28">28</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point61">61.</a>      Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass sich der Ausschluss des übernehmenden Unternehmens (den Telecom Italia in Wirklichkeit verfolgt) gemeinsam mit dem freiwilligen Rückzug des übernommenen Unternehmens in einer Beschränkung der Zahl der Bieter niederschlagen könnte, die die Vergabe des Auftrags unmöglich machen könnte, weil sie die erforderliche Mindestzahl unterschreitet.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point62">62.</a>      Daher wäre die Änderung der Anforderungen des Grundsatzes der Identität nicht nur um des Wettbewerbs zwischen Bietern, sondern auch um des Grundsatzes der Aufrechterhaltung des Verfahrens selbst willen nicht streitentscheidend. Da der konkrete und besondere Umstand, der der im Urteil MT Højgaard und Züblin(<a href="#Footnote29" name="Footref29">29</a>) gewählten Lösung zugrunde liegt, hier nicht vorliegt, bestehen grundsätzlich keine Gründe, die Identitätsanforderung zu „senken“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point63">63.</a>      Damals hielt es der Gerichtshof jedoch für sachdienlich, die Identitätsanforderung zu „senken“, da es nicht darum ging, dass ein von den in der Vorauswahl berücksichtigten Bietern vollkommen verschiedener Bieter ein Angebot vorlegen wollte (was, wie ich betonen möchte, der typische Fall ist, den der Gesetzgeber bei Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 vor Augen hatte). Er stelle fest, dass eine Gesellschaft, die wegen ihrer Verbindung mit einem der in der Vorauswahl berücksichtigten Bieter (vom dem sie in Wirklichkeit ein Bestandteil gewesen war) am Verfahren nicht völlig unbeteiligt war, dies tun konnte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point64">64.</a>      Wir haben es auch hier mit einem Fall zu tun, in dem eine Änderung der Vermögensstruktur von zwei in der Vorauswahl berücksichtigten Wirtschaftsteilnehmern, von denen einer den anderen übernimmt, erfolgte oder dabei war, zu erfolgen. Es geht also auch hier nicht um die mögliche Beteiligung eines Dritten, der mit dem nicht offenen Verfahren rein gar nichts zu tun hat.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">2.      <b>Die Auswirkung der Verschmelzung durch Aufnahme auf die rechtliche und tatsächliche Identität des ausgewählten Bieters</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point65">65.</a>      Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts hatte sich die Rechtspersönlichkeit von Enel Open Fiber an dem Tag, an dem diese Gesellschaft, nachdem sie ausgewählt worden war, ihr Angebot einreichte, bei dem es sich genau um den Zeitpunkt des Vergabeverfahrens handelt, nach dem das vorlegende Gericht fragt, nicht geändert. Mit seinen Worten war ihre „Zusammensetzung zum Zeitpunkt des Fristablaufs für die Angebotsabgabe unverändert“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point66">66.</a>      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass, wie die Kommission hervorgehoben hat(<a href="#Footnote30" name="Footref30">30</a>), die Verschmelzung durch Aufnahme, da sie im Rahmen eines Zusammenschlusses mit unionsweiter Bedeutung erfolgte, nicht ohne vorherige Zustimmung (genau genommen: Unbedenklichkeitserklärung und Erklärung ihrer Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt) der Kommission durchgeführt werden konnte, die am 15. Dezember 2016, also zwei Monate nach Ablauf der Frist für die Angebotsabgabe, erteilt wurde.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point67">67.</a>      Was das vorlegende Gericht allerdings wirklich interessiert, ist, ob der Umstand, dass die Verhandlungen über die Verschmelzung bereits liefen, als die zu verschmelzenden Wirtschaftsteilnehmer vom öffentlichen Auftraggeber ausgewählt wurden, in gewisser Weise zu einer <i>tatsächlichen</i> Veränderung der Persönlichkeit von Enel Open Fiber geführt hat, die ausreicht, um festzustellen, dass diese Gesellschaft als Rechtssubjekt <i>de facto</i> nicht mit der in der Vorauswahl berücksichtigten Enel Open Fiber übereinstimmt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point68">68.</a>      Mit anderen Worten besteht der Zweifel darin, ob es für einen Ausschluss vom (nicht offenen) Vergabeverfahren ausreicht, dass der in der Vorauswahl berücksichtigte Bieter, der einen anderen, ebenfalls in der Vorauswahl berücksichtigten Bieter übernimmt oder übernehmen will, <i>gerade</i><i>dabei ist,</i> seine Vermögensstruktur zu ändern(<a href="#Footnote31" name="Footref31">31</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point69">69.</a>      Für einen Ausschluss spräche, dass die Verschmelzung in einer strukturellen Veränderung der übernehmenden und der übernommenen Gesellschaft ihren Abschluss finden soll und die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung von Bietern daher zwingend verlangen, dass dieses Ergebnis auf den Zeitpunkt vorgezogen wird, in dem mit dem Entwurf der Verschmelzungsvereinbarung bereits eine <i>tatsächliche Vermischung</i> der betroffenen Gesellschaften eingesetzt hat. Es wäre folglich zu einem Bruch der <i>tatsächlichen</i> Identität zwischen demjenigen, der ausgewählt wurde, und demjenigen, der ein Angebot abgegeben hat, gekommen, der insoweit nicht mehr dasselbe Rechtssubjekt wäre.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point70">70.</a>      Ich halte dieses Argument aber nicht für überzeugend. Zum einen lässt es außer Acht, dass in dieser Rechtssache beide Wirtschaftsteilnehmer (der übernehmende und der übernommene) vor der Verschmelzung in der Vorauswahl für die Angebotsabgabe berücksichtigt worden waren, so dass sich sowohl von einem Bruch ihrer <i>tatsächlichen</i><i>Identität</i> als auch von ihrem – ebenfalls <i>tatsächlichen</i> – Fortbestand sprechen ließe.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point71">71.</a>      Zum anderen erscheint mir eine solch weite Ausdehnung der Anforderung der <i>tatsächlichen</i><i>Identität</i> bei einer Verschmelzung von Gesellschaften durch Aufnahme unverhältnismäßig. Bei einem derartigen Vorgang behält die übernehmende Gesellschaft ihre Rechtspersönlichkeit und erhöht ihr Vermögen, indem sie das Vermögen der übernommenen Gesellschaft in ihres aufnimmt(<a href="#Footnote32" name="Footref32">32</a>). In Wirklichkeit unterscheidet sich diese Änderung des Vermögens des übernehmenden Unternehmens in <i>tatsächlicher </i>Hinsicht nicht von derjenigen, die durch eine Erhöhung des Gesellschaftskapitals oder andere, ähnliche Vorgänge bewirkt würde. Könnten in der Vorauswahl berücksichtigte Bieter solche gesellschaftsrechtlichen Vorgänge während eines nicht offenen Ausschreibungsverfahrens nicht einleiten, weil sie sonst ihre <i>tatsächliche Identität</i> verfälschen würden, würde ihre unternehmerische Fähigkeit in unnötiger und unverhältnismäßiger Weise beeinträchtigt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point72">72.</a>      In der mündlichen Verhandlung hat sich Telecom Italia abweichend von ihren schriftlichen Erklärungen geäußert und eingeräumt, dass diese Art von Vorgängen (einschließlich der Verschmelzungen) unter dem hier wesentlichen Gesichtspunkt unbeachtlich sei, wenn sie Wirtschaftsteilnehmer einbezöge, die am Ausschreibungsverfahren nicht beteiligt seien. Damit erkennt sie meines Erachtens an, dass ihre Rüge in Wirklichkeit weniger die Wahrung der tatsächlichen Identität des in der Vorauswahl berücksichtigten Bieters betrifft (denn würde man ihrer ursprünglichen These folgen, würde sie sich auch bei einer Verschmelzung mit jedem anderen Unternehmen ändern), als vielmehr die Gefahren kollusiver Verhaltensweisen, die mit der Verschmelzung mit einem anderen Bewerber, der an derselben Ausschreibung beteiligt ist, verbunden sein könnten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point73">73.</a>      Das Verbot von Veränderungen in der Aktionärsstruktur des in der Vorauswahl berücksichtigten Unternehmens während eines laufenden nicht offenen Vergabeverfahrens könnte darüber hinaus zu Rechtsunsicherheit führen, wie der Consiglio di Stato (Staatsrat) in seinem Vorlagebeschluss hervorhebt(<a href="#Footnote33" name="Footref33">33</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point74">74.</a>      Die Richtlinie 2014/24 selbst sieht die Möglichkeit vor, dass ein neuer Auftragnehmer aufgrund einer Unternehmensumstrukturierung (u. a. wegen einer Verschmelzung) den ausgewählten Auftragnehmer ersetzt, ohne dass ein neues Vergabeverfahren eingeleitet werden müsste(<a href="#Footnote34" name="Footref34">34</a>). Werden die Bedingungen erfüllt, die der Gesetzgeber hierfür aufgestellt hat(<a href="#Footnote35" name="Footref35">35</a>), vermag ich nicht zu erkennen, warum diese Bestimmung nicht auch auf den Fall eines laufenden Verfahrens angewendet werden kann(<a href="#Footnote36" name="Footref36">36</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point75">75.</a>      Schließlich sollte darauf hingewiesen werden, dass ein möglicher darauf gestützter Ausschlussgrund <i>ausdrücklich</i> in den Verfahrensdokumenten, den nationalen Bestimmungen oder dem einschlägigen Unionsrecht vorgesehen seien muss. Dies ist vorliegend nicht der Fall, so dass die Ausführungen im Urteil Specializuotas transportas(<a href="#Footnote37" name="Footref37">37</a>), wonach „[d]en Bietern … eine … Verpflichtung [aufzuerlegen, die] weder im anwendbaren nationalen Recht noch in der Ausschreibung oder den Verdingungsunterlangen enthalten ist, … keine eindeutig festgelegte Bedingung im Sinne der … angeführten Rechtsprechung [wäre]“(<a href="#Footnote38" name="Footref38">38</a>), uneingeschränkt gelten.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">3.      <b>Der Grundsatz der Gleichbehandlung mit den (übrigen) ausgewählten Wirtschaftsteilnehmern</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point76">76.</a>      Ausgehend vom Fortbestand der beiden in der Vorauswahl berücksichtigten Wirtschaftsteilnehmer (der übernehmenden und der übernommenen Gesellschaft) bin ich der Ansicht, dass keine Gründe für die Feststellung einer Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in Bezug auf die übrigen Bieter ersichtlich sind. Keiner dieser Bieter muss mit einem Wirtschaftsteilnehmer, der am nicht offenen Verfahren völlig unbeteiligt ist, in Wettbewerb treten, sondern nur mit einem Wettbewerber, der eine unbestreitbare <i>tatsächliche</i> Verbindung zu den beiden Wirtschaftsteilnehmern aufweist, die in der Vorauswahl berücksichtigt wurden und sich derselben Bewertung unterziehen mussten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point77">77.</a>      Daher liegt keine Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung <i>zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe</i> vor, der hier vor allem von Bedeutung ist. Unabhängig davon, dass Enel Open Fiber später mit einem anderen der in der Vorauswahl berücksichtigten Wirtschaftsteilnehmer verschmolzen wurde, hat sie jedenfalls auch das Verfahren zur Vorauswahl erfolgreich durchlaufen, so dass ihre Umstände sich von Grund auf von denen eines Dritten unterscheiden, der zur Angebotsabgabe aufgefordert wird, ohne an dem Verfahren, das die zum nicht offenen Verfahren zugelassenen Wirtschaftsteilnehmer durchlaufen mussten, teilnehmen zu müssen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point78">78.</a>      Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter, der die Entwicklung eines gesunden und effektiven Wettbewerbs zwischen den sich um einen öffentlichen Auftrag bewerbenden Unternehmen fördern soll, gebietet, dass alle Bieter bei der Abfassung ihrer Angebote die gleichen Chancen haben. Er setzt also voraus, dass die Angebote aller Wettbewerber den gleichen Bedingungen unterworfen sein müssen(<a href="#Footnote39" name="Footref39">39</a>), und seine Wirkung erstreckt sich auf das gesamte Vergabeverfahren, insbesondere den Zeitpunkt, zu dem die Bieter ihre Angebote vorbereiten, und den Zeitpunkt, zu dem diese vom öffentlichen Auftraggeber beurteilt werden(<a href="#Footnote40" name="Footref40">40</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point79">79.</a>      Konnte der Umstand, dass die Verschmelzung der beiden Wirtschaftsteilnehmer zwar nach dem Ablauf der Frist für die Abgabe der Angebote, aber <i>vor ihrer endgültigen Bewertung</i> erfolgte(<a href="#Footnote41" name="Footref41">41</a>), die übrigen Bieter benachteiligen, weil sie in eine Situation der Ungleichheit versetzt wurden? Das glaube ich nicht. Entscheidend ist, dass der Auftrag schlussendlich an denjenigen vergeben wird, der die Ausschreibungsbedingungen erfüllt, immer vorausgesetzt, dass der Auftragnehmer während des Verfahrens nicht bevorzugt behandelt wurde.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point80">80.</a>      Soweit hier von Belang, sind, da es sich um ein nicht offenes Verfahren handelt, insbesondere folgende Faktoren relevant:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">–      Zum einen wurde Enel Open Fiber ordnungsgemäß in der Vorauswahl berücksichtigt und erhielt ihre Rechtspersönlichkeit auch dann unverändert aufrecht, als sich ihre Aktionärsstruktur durch die Übernahme eines anderen Bieters veränderte.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">–      Zum anderen gab Metroweb Sviluppo, der übernommene Bieter, schließlich kein Angebot ab, obwohl sie in der Vorauswahl berücksichtigt worden war. Dies bedeutet letztlich, dass sich die Verschmelzung der beiden Wirtschaftsteilnehmer in der Abgabe eines einzigen Angebots niederschlug.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point81">81.</a>      Tatsächlich war der Verzicht von Metroweb auf ihre Bewerbung im Hinblick auf die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht einmal unbedingt erforderlich, denn der Gerichtshof hat festgestellt, dass miteinander verbundene Bieter in demselben Verfahren gleichzeitig Angebote abgeben können, sofern es sich nicht um „abgesprochene oder abgestimmte, d. h. weder eigenständige noch unabhängige, und ihnen deshalb gegenüber den anderen Bietern möglicherweise ungerechtfertigte Vorteile verschaffende Angebote“(<a href="#Footnote42" name="Footref42">42</a>) handelt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point82">82.</a>      In Wahrheit hätten die möglichen Risiken einer kollusiven Absprache im Rahmen des Verschmelzungsvorgangs genau genommen nichts mit einer Veränderung der tatsächlichen Identität von Enel Open Fiber zu tun, sondern mit der Tatsache, dass es unzulässige Kontakte zwischen zwei Bietern gegeben haben könnte, und zwar unabhängig davon, ob sie gerade an einer Verschmelzung beteiligt waren oder nicht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point83">83.</a>      Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich bei den Angeboten von Metroweb Sviluppo und Enel Open Fiber um abgesprochene oder abgestimmte Angebote gehandelt hätte. Jedenfalls wurde am Ende nur eines von ihnen abgegeben und dadurch die Gefahr einer kollusiven Absprache ausgeräumt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point84">84.</a>      Der Consiglio di Stato (Staatsrat) schließt zudem ausdrücklich aus, dass die Verschmelzungsvereinbarung auf eine Umgehung der Regeln des Wettbewerbs abzielt und mit ihr „im Wesentlichen das Gleichgewicht des Vergabeverfahrens zulasten der übrigen Wettbewerber und der Vergabestelle gestört werden soll … Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der aufgrund der Rahmenvereinbarung vom 10. Oktober 2016 erfolgte Zusammenschluss für sich ein Kartellvergehen der an der Ausschreibung Beteiligten darstellt“(<a href="#Footnote43" name="Footref43">43</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point85">85.</a>      Man könnte sich allerdings fragen, in welchen Fällen eine Verschmelzung, die noch im Werden begriffen ist, geeignet ist, den Gleichheitsgrundsatz zu beeinträchtigen. Ich schließe nicht aus, dass diese Möglichkeit abstrakt besteht, wenn die Verschmelzung unter Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 der Fusionskontrollverordnung(<a href="#Footnote44" name="Footref44">44</a>) begonnen hat, <i>de facto</i> wirksam zu werden und einen Informationsaustausch zwischen den beteiligten – und in der Vorauswahl berücksichtigten – Wirtschaftsteilnehmern ermöglicht, der ihnen einen Vorteil gegenüber den übrigen Bietern verschaffen könnte(<a href="#Footnote45" name="Footref45">45</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point86">86.</a>      Ob dies hier der Fall war, ist vom vorlegenden Gericht festzustellen, das allerdings – wie bereits ausgeführt – im Vorlagebeschluss dargelegt hat, dass die strukturelle Verschmelzung der beiden Gesellschaften seiner Ansicht nach „weit entfernt ist von einer kollusiven Absprache zwischen zwei Bietern, die das Gleichgewicht innerhalb einer einzigen Ausschreibung verändern wollen“(<a href="#Footnote46" name="Footref46">46</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point87">87.</a>      Zusammenfassend ist die Abgabe eines Angebots durch einen Bieter während seiner Verschmelzung mit einem anderen, ebenfalls ausgewählten Bieter mit Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 vereinbar, es sei denn, die beiden Wirtschaftsteilnehmer sprechen oder stimmen ihr Vorgehen im Rahmen des nicht offenen Vergabeverfahrens in einer Weise ab, die es ihnen ermöglicht, gegenüber den anderen Bietern ungerechtfertigte Vorteile zu erlangen, was festzustellen Sache des nationalen Gerichts ist.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">V.      <b>Ergebnis</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point88">88.</a>      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, dem Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) wie folgt zu antworten:</p>
<p class="C02AlineaAltA">Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG ist dahin auszulegen, dass es ihm nicht zuwiderläuft, dass in einem nicht offenen Verfahren in der Phase der Bewertung der Angebote ein Wirtschaftsteilnehmer zugelassen wird, der eine Vereinbarung über eine Verschmelzung durch Aufnahme eines anderen, ebenfalls ausgewählten Wirtschaftsteilnehmers geschlossen hat, sofern</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">–      diese Verschmelzungsvereinbarung vor der Phase der Angebotsabgabe weder rechtlich noch tatsächlich vollzogen worden ist und</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">–      die beiden Wirtschaftsteilnehmer ihr Vorgehen im Rahmen des nicht offenen Vergabeverfahrens nicht in einer Weise abgesprochen oder abgestimmt haben, die es ihnen ermöglicht, gegenüber den anderen Bietern ungerechtfertigte Vorteile zu erlangen, was festzustellen Sache des nationalen Gerichts ist.</p>
<hr/>
<p class="C40FootnoteLangue">
<a href="#Footref1" name="Footnote1">1</a>      Originalsprache: Spanisch.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref2" name="Footnote2">2</a>      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref3" name="Footnote3">3</a>      Urteil vom 24. Mai 2016 (C‑396/14, EU:C:2016:347).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref4" name="Footnote4">4</a>      Richtlinie vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste (Rahmenrichtlinie) (ABl. 2002, L 108, S. 33).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref5" name="Footnote5">5</a>      Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 50 vom 18. April 2016 (GURI Nr. 91 vom 19. April 2016) zur Schaffung eines Gesetzbuchs über öffentliche Aufträge, durch das u. a. die Bestimmungen der Richtlinie 2014/24 umgesetzt werden (im Folgenden: CCP).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref6" name="Footnote6">6</a>      Open Fiber ist seit Dezember 2016 die Bezeichnung von Enel Open Fiber.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref7" name="Footnote7">7</a>      Vgl. Rn. 9 der Entscheidung der Kommission vom 15. Dezember 2016 zur Feststellung der Vereinbarkeit des Zusammenschlusses mit dem Binnenmarkt und dem EWR-Abkommen (Sache M.8234 – Enel/CDP Equity/Cassa Depositi e Prestiti/Enel Open Fiber/Metroweb Italia).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref8" name="Footnote8">8</a>      ABl. 2016, C 427, S. 5.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref9" name="Footnote9">9</a>      Verordnung des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („EG-Fusionskontrollverordnung“) (ABl. 2004, L 24, S. 1).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref10" name="Footnote10">10</a>      ABl. 2017, C 15, S. 1.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref11" name="Footnote11">11</a>      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe (ABl. 2014, L 94, S. 1).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref12" name="Footnote12">12</a>      Rechtssache C‑396/14, EU:C:2016:347.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref13" name="Footnote13">13</a>      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser‑, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (ABl. 2004, L 134, S. 1).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref14" name="Footnote14">14</a>      Rechtssache C‑396/14, EU:C:2016:347.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref15" name="Footnote15">15</a>      Konkret machte Telecom Italia eine „Verletzung des sich aus Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU und der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebenden, im Rahmen des nicht offenen Verfahrens geltenden Grundsatzes der rechtlichen und wirtschaftlichen Identität zwischen den Subjekten, die bei der Vorauswahl berücksichtigt wurden, und denen, die Angebote abgeben“, geltend (Nr. 7.3 des Vorlagebeschlusses). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref16" name="Footnote16">16</a>      Nr. 7.4 des Vorlagebeschlusses.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref17" name="Footnote17">17</a>      So z. B. die Urteile vom 16. Juni 2015, Gauweiler u. a. (C‑62/14, EU:C:2015:400, Rn. 24 und 25), vom 4. Mai 2016, Pillbox 38 (C‑477/14, EU:C:2016:324, Rn. 15 und 16), vom 5. Juli 2016, Ognyanov (C‑614/14, EU:C:2016:514, Rn. 19), vom 15. November 2016, Ullens de Schooten (C‑268/15, EU:C:2016:874, Rn. 54), vom 28. März 2017, Rosneft (C‑72/15, EU:C:2017:236, Rn. 50 und 155), vom 10. Juli 2018, Jehovan todistajat (C‑25/17, EU:C:2018:551, Rn. 31), und vom 4. Oktober 2018, Kantarev (C‑571/16, EU:C:2018:807, Rn. 44).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref18" name="Footnote18">18</a>      In Nr. 8.4 a. E. des Vorlagebeschlusses wird ausgeführt: „Etwas anderes ergäbe sich nur, wenn der Gerichtshof entscheiden würde, dass das Unionsrecht den Abschluss von Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern in ein- und demselben laufenden Vergabeverfahren verbietet, auf deren Grundlage ein nach dem Unionsrecht grundsätzlich zulässiger Vorgang wie die Verschmelzung durch Aufnahme erfolgt.“</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref19" name="Footnote19">19</a>      „Das vorlegende Gericht kann auch knapp darlegen, wie die zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen seines Erachtens beantwortet werden sollten.“ Dies kann sich „für den Gerichtshof … als nützlich erweisen“ (ABl. 2018, C 257, S. 1). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref20" name="Footnote20">20</a>      Vgl. Nrn. 21 bis 23, 41 und 42 der vorliegenden Schlussanträge.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref21" name="Footnote21">21</a>      Statt aller Urteil vom 26. Juni 2007, Ordre des barreaux francophones et germanophone u. a. (C‑305/05, EU:C:2007:383, Rn. 18<b>)</b>.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref22" name="Footnote22">22</a>      Rechtssache C‑396/14, EU:C:2016:347, Rn. 40.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref23" name="Footnote23">23</a>      Dieser Grundsatz, „der die Entwicklung eines gesunden und effektiven Wettbewerbs zwischen den sich um einen öffentlichen Auftrag bewerbenden Unternehmen fördern soll, gebietet, dass alle Bieter bei der Abfassung ihrer Angebote die gleichen Chancen haben, was voraussetzt, dass die Angebote aller Wettbewerber den gleichen Bedingungen unterworfen sein müssen“. Urteil MT Højgaard und Züblin (C‑396/14, EU:C:2016:347, Rn. 38).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref24" name="Footnote24">24</a>      Ebd., Rn. 39.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref25" name="Footnote25">25</a>      Ebd., Rn. 41.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref26" name="Footnote26">26</a>      Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache MT Højgaard und Züblin (C‑396/14, EU:C:2015:774, Nr. 48).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref27" name="Footnote27">27</a>      Vgl. die Ausführungen in den Rn. 10 und 42 des Urteils MT Højgaard und Züblin (C‑396/14, EU:C:2016:347).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref28" name="Footnote28">28</a>      Urteil MT Højgaard und Züblin (C‑396/14, EU:C:2016:347, Rn. 44, Hervorhebung nur hier). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref29" name="Footnote29">29</a>      Rechtssache C‑396/14, EU:C:2016:347.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref30" name="Footnote30">30</a>      Rn. 31 ihrer schriftlichen Erklärungen.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref31" name="Footnote31">31</a>      Telecom Italia hat in ihren schriftlichen Erklärungen (Rn. 31) ausgeführt, dass „vor diesem Hintergrund das [spätere] formal-rechtliche Schicksal der übernommenen Gesellschaft (Metroweb Sviluppo) … uninteressant ist; vielmehr reicht es für die Unvereinbarkeit der Verschmelzung mit … dem in Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 niedergelegten Grundsatz aus, dass sich weniger die rechtliche als die tatsächliche Identität der aufnehmenden Gesellschaft (Open Fiber) ändert“.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref32" name="Footnote32">32</a>      Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2011/35/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Verschmelzung von Aktiengesellschaften (ABl. 2011, L 110, S. 1) ist „Verschmelzung durch Aufnahme“ der Vorgang, durch den „eine oder mehrere Gesellschaften ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen im Wege der Auflösung ohne Abwicklung auf eine andere Gesellschaft übertragen, und zwar gegen Gewährung von Aktien der übernehmenden Gesellschaft an die Aktionäre der übertragenden Gesellschaft oder Gesellschaften und gegebenenfalls einer baren Zuzahlung, die den zehnten Teil des Nennbetrags oder, wenn ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, des rechnerischen Wertes der gewährten Aktien nicht übersteigt“.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref33" name="Footnote33">33</a>      „Würden die aus Art. 28 Abs. 2 ableitbaren Grundsätze derart weit ausgelegt, wären die Konsequenzen für die öffentlichen Auftraggeber nur schwer zu handhaben, und es bestünde fortwährend die Gefahr, dass die Vergabeunterlagen nachträglich rechtswidrig werden könnten. Eine solche Situation widerspräche eindeutig dem allgemeinen Grundsatz der Beständigkeit rechtlicher Sachverhalte“ (Nr. 8.3 a. E. des Vorlagebeschlusses). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref34" name="Footnote34">34</a>      Konkret ist in Art. 72 Abs. 1 Buchst. d Ziff. ii der Sachverhalt geregelt, „dass ein anderer Wirtschaftsteilnehmer, der die ursprünglich festgelegten qualitativen Eignungskriterien erfüllt, im Zuge einer Unternehmensumstrukturierung – einschließlich Übernahme, Fusion, Erwerb oder Insolvenz – ganz oder teilweise an die Stelle des ursprünglichen Auftragnehmers tritt, sofern dies keine weiteren wesentlichen Änderungen des Auftrags zur Folge hat und nicht dazu dient, die Anwendung dieser Richtlinie zu umgehen“.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref35" name="Footnote35">35</a>      Diese Möglichkeit beruht sowohl auf dem Grundsatz des Fortbestehens des Vertrags als auch auf dem Erfordernis, etwaige Anteilseignerwechsel nicht zu beeinträchtigen, indem in die normale Abwicklung gesellschaftsrechtlicher Vorgänge eingegriffen wird. Letztere könnten davon abhängen, ob sich die in den Beteiligungsverhältnissen eingetretenen Änderungen negativ auf die nicht offenen Vergabeverfahren auswirken können. Die Gesellschaften wären mithin daran gehindert, Verfahren zur unternehmerischen Neustrukturierung einzuleiten.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref36" name="Footnote36">36</a>      Im 110. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24 heißt es: „… Der erfolgreiche Bieter, der den Auftrag ausführt, sollte jedoch – insbesondere wenn der Auftrag an mehr als ein Unternehmen vergeben wurde – während des Zeitraums der Auftragsausführung gewisse strukturelle Veränderungen durchlaufen können, wie etwa eine rein interne Umstrukturierung, eine Übernahme, einen Zusammenschluss oder Unternehmenskauf oder eine Insolvenz. Derartige strukturelle Veränderungen sollten nicht automatisch neue Vergabeverfahren für sämtliche von dem betreffenden Bieter ausgeführten öffentlichen Aufträge erfordern.“</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref37" name="Footnote37">37</a>      Urteil vom 17. Mai 2018 (C‑531/16, EU:C:2018:324).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref38" name="Footnote38">38</a>      Ebd., Rn. 24.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref39" name="Footnote39">39</a>      Urteil vom 12. März 2015, eVigilo (C‑538/13, EU:C:2015:166, Rn. 33, und die dort angeführte Rechtsprechung). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref40" name="Footnote40">40</a>      Statt aller Urteil vom 16. Dezember 2008, Michaniki (C‑213/07, EU:C:2008:731, Rn. 45).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref41" name="Footnote41">41</a>      Wie ich bereits ausgeführt habe (Nr. 17), fand die Verschmelzung am 23. Januar 2017 statt, während die vorläufige Rangliste der Bieter, auf die die fünf Lose entfielen, am 24. Januar 2017 veröffentlicht wurde.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref42" name="Footnote42">42</a>      Specializuotas transportas (C‑531/16, EU:C:2018:324, Rn. 29).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref43" name="Footnote43">43</a>      Vorlagebeschluss, Nr. 8.4.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref44" name="Footnote44">44</a>      Wonach „[e]in Zusammenschluss von gemeinschaftsweiter Bedeutung … oder ein Zusammenschluss, der von der Kommission … geprüft werden soll, … weder vor der Anmeldung noch so lange vollzogen werden [darf], bis er aufgrund einer Entscheidung … für vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklärt worden ist“.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref45" name="Footnote45">45</a>      Es würde sich um die in der oben wiedergegebenen Rn. 29 des Urteils Specializuotas transportas (C‑531/16, EU:C:2018:324) angeführten Fälle handeln. Eine solche Konstellation wäre denkbar, wenn die vor Erlass der Kommissionsentscheidung erfolgende tatsächliche (und rechtswidrige) Durchführung einer Verschmelzung, die vor Angebotsabgabe eingeleitet worden war, den Inhalt des Angebots von Enel Open Fiber in derselben Weise beeinflusst hätte wie wenn dieses Unternehmen und Metroweb Sviluppo abgesprochen hätten, ihre Verhaltensweisen während der aufeinanderfolgenden Verfahrensabschnitte zum Nachteil der übrigen Wirtschaftsteilnehmer aufeinander abzustimmen.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref46" name="Footnote46">46</a>      Vorlagebeschluss, Nr. 8.4.</p>
|
175,032 | eugh-2019-01-23-c-41917 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-419/17 | 2019-01-23T00:00:00 | 2019-01-31T19:20:52 | 2019-01-31T19:20:52 | Urteil | ECLI:EU:C:2019:52 | <p>Vorläufige Fassung</p>
<p class="C19Centre">URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)</p>
<p class="C19Centre">23. Januar 2019(<a href="#Footnote*" name="Footref*">*</a>)</p>
<p class="C71Indicateur">„Rechtsmittel – Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH-Verordnung) – Anhang XIV – Festlegung einer Liste der zulassungspflichtigen Stoffe – Aufnahme in die Liste der für die Aufnahme in Anhang XIV in Frage kommenden Stoffe – Aktualisierung des Eintrags von Bis(2-ethylhexyl)phthalat (DEHP) in der Liste – Fehler bei der Auslegung und Anwendung der REACH-Verordnung und des Grundsatzes der Rechtssicherheit – Verfälschung von Tatsachen und Beweisen – Umfang der Kontrolle“</p>
<p class="C02AlineaAltA">In der Rechtssache C‑419/17 P</p>
<p class="C02AlineaAltA">betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 11. Juli 2017,</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Deza, a.s.</b> mit Sitz in Valašské Meziříčí (Tschechische Republik), Prozessbevollmächtigter: P. Dejl, advokát,</p>
<p class="C72Alineadroite">Rechtsmittelführerin,</p>
<p class="C02AlineaAltA">andere Parteien des Verfahrens:</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Europäische Chemikalienagentur</b><b>(ECHA),</b> vertreten durch W. Broere, N. Herbatschek und M. Heikkilä im Beistand von M. Procházka und M. Mašková, advokáti,</p>
<p class="C72Alineadroite">Beklagte im ersten Rechtszug,</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Königreich Dänemark,</b> vertreten durch J. Nymann-Lindegren und M. Wolff als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Königreich der Niederlande,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Königreich Schweden,</b> vertreten durch A. Falk, C. Meyer-Seitz, H. Shev und L. Zettergren als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Königreich Norwegen,</b>
</p>
<p class="C72Alineadroite">Streithelfer im ersten Rechtszug,</p>
<p class="C02AlineaAltA">erlässt</p>
<p class="C19Centre">DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Mitwirkung der Vizepräsidentin des Gerichtshofs R. Silva de Lapuerta in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer sowie der Richter J.‑C. Bonichot, A. Arabadjiev, E. Regan und S. Rodin (Berichterstatter),</p>
<p class="C02AlineaAltA">Generalanwalt: M. Szpunar,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Kanzler: A. Calot Escobar,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund des schriftlichen Verfahrens,</p>
<p class="C02AlineaAltA">nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. Juni 2018</p>
<p class="C02AlineaAltA">folgendes</p>
<p class="C75Debutdesmotifs">
<b>Urteil</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point1">1</a>        Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Deza a.s. die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 11. Mai 2017, Deza/ECHA (T‑115/15, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2017:329), mit dem das Gericht ihre Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung ED/108/2014 des Direktors der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) vom 12. Dezember 2014 abgewiesen hat, mit der der bestehende Eintrag des chemischen Stoffes Bis(2-ethylhexyl)phthalat (EG-Nr. 204-211-0, CAS-Nr. 117-81-7) (im Folgenden: DEHP) in die Liste der Stoffe aktualisiert und ergänzt wurde (im Folgenden: streitige Entscheidung), die für eine Aufnahme in Anhang XIV der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Agentur für chemische Stoffe, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission (ABl. 2006, L 396, S. 1, und Berichtigung ABl. 2007, L 136, S. 3) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 895/2014 der Kommission vom 14. August 2014 (ABl. 2014, L 244, S. 6) geänderten Fassung (im Folgenden: REACH-Verordnung) in Frage kommen.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point2">2</a>        Art. 57 („In Anhang XIV aufzunehmende Stoffe“) der REACH-Verordnung bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Folgende Stoffe können nach dem Verfahren des Artikels 58 in Anhang XIV aufgenommen werden:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      Stoffe, die die Kriterien für die Einstufung in die Gefahrenklasse Karzinogenität der Kategorie 1A oder 1B gemäß Anhang I Abschnitt 3.6 der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 erfüllen;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      Stoffe, die die Kriterien für die Einstufung in die Gefahrenklasse Keimzellmutagenität der Kategorie 1A oder 1B gemäß Anhang I Abschnitt 3.5 der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 erfüllen;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">c)      Stoffe, die wegen Beeinträchtigung der Sexualfunktion und Fruchtbarkeit sowie der Entwicklung die Kriterien für die Einstufung in die Gefahrenklasse Reproduktionstoxizität der Kategorie 1A oder 1B gemäß Anhang I Abschnitt 3.7 der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 erfüllen;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">d)      Stoffe, die nach den Kriterien des Anhangs XIII der vorliegenden Verordnung persistent, bioakkumulierbar und toxisch sind;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">e)      Stoffe, die nach den Kriterien des Anhangs XIII der vorliegenden Verordnung sehr persistent und sehr bioakkumulierbar sind;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">f)      Stoffe – wie etwa solche mit endokrinen Eigenschaften oder solche mit persistenten, bioakkumulierbaren und toxischen Eigenschaften oder sehr persistenten und sehr bioakkumulierbaren Eigenschaften, die die Kriterien der Buchstaben d oder e nicht erfüllen – die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen wahrscheinlich schwerwiegende Wirkungen auf die menschliche Gesundheit oder auf die Umwelt haben, die ebenso besorgniserregend sind wie diejenigen anderer in den Buchstaben a bis e aufgeführter Stoffe, und die im Einzelfall gemäß dem Verfahren des Artikels 59 ermittelt werden.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point3">3</a>        Art. 59 („Ermittlung von in Artikel 57 genannten Stoffen“) der REACH-Verordnung bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1) Das Verfahren der Absätze 2 bis 10 des vorliegenden Artikels gilt für die Ermittlung von Stoffen, die die Kriterien des Artikels 57 erfüllen, und für die Festlegung einer Liste der für eine Aufnahme in Anhang XIV in Frage kommenden Stoffe. … </p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)      Jeder Mitgliedstaat kann ein Dossier nach Anhang XV für Stoffe ausarbeiten, die seiner Auffassung nach die Kriterien des Artikels 57 erfüllen, und dieses der [ECHA] übermitteln. …</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(7)      Gehen Bemerkungen ein bzw. gibt die [ECHA] selbst Bemerkungen ab, so überweist sie das Dossier innerhalb von 15 Tagen nach Ablauf der 60-Tage-Frist nach Absatz 5 an den Ausschuss der Mitgliedstaaten.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(8)      Erzielt der Ausschuss der Mitgliedstaaten innerhalb von 30 Tagen nach der Überweisung einstimmig eine Einigung über die Ermittlung, so nimmt die [ECHA] den Stoff in die in Absatz 1 genannte Liste auf. Die [ECHA] kann diesen Stoff in ihre Empfehlungen nach Artikel 58 Absatz 3 aufnehmen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(9)      Gelangt der Ausschuss der Mitgliedstaaten zu keiner einstimmigen Einigung, so arbeitet die Kommission innerhalb von drei Monaten nach Eingang der Stellungnahme des Ausschusses der Mitgliedstaaten einen Entwurf für einen Vorschlag zur Ermittlung des Stoffes aus. Eine endgültige Entscheidung über die Ermittlung des Stoffes wird nach dem in Artikel 133 Absatz 3 genannten Verfahren erlassen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(10)      Die [ECHA] veröffentlicht und aktualisiert die Liste nach Absatz 1 unverzüglich auf ihrer Website, nachdem über die Aufnahme eines Stoffes entschieden wurde.“</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitige Entscheidung</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point4">4</a>        Die Klägerin, Deza, eine Aktiengesellschaft tschechischen Rechts, ist im Chemiesektor tätig. Sie erzeugt, vertreibt und verwendet u. a. DEHP.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point5">5</a>        Mit Entscheidung vom 28. Oktober 2008 nahm der Direktor der ECHA das DEPH in die Kandidatenliste, d. h. die Liste für die Aufnahme in Anhang XIV der REACH-Verordnung in Frage kommenden Stoffe, auf.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point6">6</a>        Infolge des Erlasses der Verordnung (EU) Nr. 143/2011 der Kommission vom 17. Februar 2011 (ABl. 2011, L 44, S. 2) wurde das DEHP in Anhang XIV der REACH-Verordnung aufgenommen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point7">7</a>        Am 12. August 2013 reichte die Rechtsmittelführerin einen Antrag auf Zulassung für die Verwendung des DEHP ein und fügte diesem eine Reihe von Studien und detaillierten Unterlagen bei, zu denen ein Stoffsicherheitsbericht, eine Bewertung von Alternativen und eine sozioökonomische Analyse gehörten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point8">8</a>        Am 26. August 2014 legte das Königreich Dänemark vier Dossiers nach Anhang XV dieser Verordnung vor und schlug zum einen vor, das DEHP und drei andere chemische Stoffe, nämlich Dibutylphthalat (DBP), Benzylbutylphtalat (BBP) und Diisobutylphthalat (DIBP), ebenfalls als endokrinschädigende Stoffe, die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen wahrscheinlich schwerwiegende Wirkungen auf die menschliche Gesundheit oder auf die Umwelt haben, einzustufen, und zum anderen die Kandidatenliste insoweit zu ergänzen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point9">9</a>        Der ursprüngliche Vorschlag des Königreichs Dänemark wurde den interessierten Kreisen zur Beratung vorgelegt. Mehrere Mitgliedstaaten und einige nicht staatliche Subjekte, zu denen die Rechtsmittelführerin gehört, gaben Erklärungen ab.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point10">10</a>      Bei der Prüfung dieser Dossiers zeigte sich, dass der ursprüngliche Vorschlag des Königreichs Dänemark aufgrund des Widerstands mehrerer Vertreter der Mitgliedstaaten nicht einstimmig angenommen werden würde. Nur die Einstufung des DEHP als endokrinschädigender Stoff, der wahrscheinlich schwerwiegende Wirkungen auf die Umwelt hat, stieß bei den Mitgliedern des Ausschusses der Mitgliedstaaten auf keinen Widerspruch.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point11">11</a>      Angesichts dieses Ergebnisses teilte das Königreich Dänemark seinen ursprünglichen Vorschlag in acht Teile auf, und zwar: </p>
<p class="C03Tiretlong">–        in vier Teile, nach denen die vier chemischen Stoffe DBP, BBP, DIBP und DEHP als endokrinschädigende Stoffe, die wahrscheinlich schwerwiegende Wirkungen auf die menschliche Gesundheit im Sinne von Art. 57 Buchst. f der REACH-Verordnung haben, eingestuft und der bestehende Eintrag für diese vier Stoffe in der Kandidatenliste durch diese neue Einstufung ergänzt werden sollte;</p>
<p class="C03Tiretlong">–        in vier Teile, nach denen diese vier chemischen Stoffe als endokrinschädigende Stoffe, die wahrscheinlich schwerwiegende Wirkungen auf die Umwelt im Sinne von Art. 57 Buchst. f der REACH-Verordnung haben, eingestuft und der bestehende Eintrag für diese vier Stoffe in der Kandidatenliste durch diese neue Einstufung ergänzt werden sollte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point12">12</a>      Der Ausschuss der Mitgliedstaaten gelangte zu keiner einstimmigen Einigung über die Teile des ursprünglichen Vorschlags des Königreichs Dänemark, nach denen die Stoffe DEHP, DBP, BBP und DIBP als endokrinschädigende Stoffe eingestuft werden sollten, die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen wahrscheinlich schwerwiegende Wirkungen auf die menschliche Gesundheit haben.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point13">13</a>      Dagegen nahm dieser Ausschuss den Teil des Vorschlags an, mit dem das DEHP als endokrinschädigender Stoff, der nach wissenschaftlichen Erkenntnissen wahrscheinlich schwerwiegende Wirkungen auf die Umwelt hat, eingestuft werden sollte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point14">14</a>      Am 12. Dezember 2014 erließ der Direktor der ECHA die streitige Entscheidung, mit der der bestehende Eintrag für den Stoff DEHP in der Kandidatenliste aktualisiert und ergänzt und dieser Stoff als Stoff mit endokrinen Eigenschaften, der nach wissenschaftlichen Erkenntnissen wahrscheinlich schwerwiegende Wirkungen auf die Umwelt hat, die ebenso besorgniserregend sind wie diejenigen anderer in der REACH-Verordnung aufgeführter Stoffe, eingestuft wurde.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Klage vor dem Gericht und angefochtenes Urteil</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point15">15</a>      Mit Klageschrift, die am 5. März 2015 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob Deza Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point16">16</a>      Mit dem angefochtenen Urteil hat das Gericht diese Klage abgewiesen.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Anträge der Parteien</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point17">17</a>      Die Rechtsmittelführerin beantragt,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        das angefochtene Urteil aufzuheben;</p>
<p class="C03Tiretlong">–        die streitige Entscheidung für nichtig zu erklären;</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der ECHA die Kosten des vorliegenden Rechtsmittelverfahrens und des Verfahrens vor dem Gericht aufzuerlegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point18">18</a>      Die ECHA beantragt,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        das Rechtsmittel als unbegründet zurückzuweisen;</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Rechtsmittelführerin die Kosten des vorliegenden Rechtsmittelverfahrens sowie des Verfahrens vor dem Gericht einschließlich der Kosten für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes aufzuerlegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point19">19</a>      Das Königreich Dänemark und das Königreich Schweden unterstützen die Anträge der ECHA.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Zum Rechtsmittel</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zum ersten Rechtsmittelgrund: Rechtsfehler des Gerichts bei der Auslegung und Anwendung der REACH-Verordnung</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point20">20</a>      Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund, der sich in drei Teile gliedert, macht Deza geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es in den Rn. 48 bis 82 sowie 85 bis 98 und 105 bis 132 des angefochtenen Urteils befunden habe, die ECHA sei befugt, die streitige Entscheidung zu erlassen, und diese Entscheidung sei am Ende eines ordnungsgemäßen Verfahrens ergangen.</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Zum ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes: Das Gericht habe der ECHA fälschlich eine implizite Befugnis zuerkannt, eine bestehende Einstufung von DEHP zu ergänzen</i>
</p>
<p class="C07Titre4">–       <i>Vorbringen der Parteien</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point21">21</a>      Die Rechtsmittelführerin macht geltend, die ECHA verfüge weder über eine ausdrückliche noch über eine implizite Befugnis, eine bestehende Einstufung des DEHP zu ergänzen. Hervorzuheben sei, dass das Gericht anerkannt habe, dass weder das allgemeine Recht der Union noch die REACH-Verordnung, und insbesondere deren Art. 59 Abs. 8, der Agentur eine solche Befugnis ausdrücklich zuwiesen. Sie macht geltend, dass das Gericht einen Rechtsfehler begangen habe, indem es davon ausgegangen sei, aus Art. 59 Abs. 8 der REACH-Verordnung über das Verfahren der Ermittlung von in Art. 57 dieser Verordnung genannten Stoffen ergebe sich, dass die ECHA implizit ermächtigt sei, die bestehende Einstufung des DEHP zu ergänzen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point22">22</a>      Die Rechtsmittelführerin macht insoweit geltend, dass das Gericht die Urteile des Gerichtshofs vom 15. März 2017, Polynt/ECHA (C‑323/15 P, EU:C:2017:207), und vom 15. März 2017, Hitachi Chemical Europe und Polynt/ECHA (C‑324/15 P, EU:C:2017:208), missachte, aus denen sich ergebe, dass ein chemischer Stoff nicht mehr als ein Stoff, der die in Art. 57 Buchst. f dieser Verordnung festgelegten Kriterien erfülle, eingestuft werden könne, wenn er als Stoff angesehen worden sei, der deshalb in das Verzeichnung der zulassungspflichtigen Stoffe aufgenommen werden könne, weil er eines der in den Buchst. a bis e dieses Artikels genannten Kriterien erfülle.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point23">23</a>      Art. 57 Buchst. f der REACH-Verordnung betreffe die Ermittlung der Stoffe, die nicht aufgrund der in Art. 57 Buchst. a bis e dieser Verordnung genannten Kriterien ermittelt werden könnten, oder die aufgrund dieser Kriterien noch nicht ermittelt oder in die Kandidatenliste aufgenommen worden seien. Das sei jedoch bei dem Stoff DEHP nicht der Fall, der in Anwendung von Art. 57 Buchst. c dieser Verordnung sechs Jahre vor dem Erlass der streitigen Entscheidung eingestuft worden sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point24">24</a>      Nach Ansicht der Rechtmittelführerin hat das Gericht einen Rechtsfehler begangen, indem es der ECHA eine solche implizite Befugnis zuerkannt habe, obschon die Existenz einer impliziten Ermächtigung eine Abweichung von dem in Art. 13 Abs. 2 EUV verankerten Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung darstelle, der eng aufzufassen sei und voraussetze, dass die implizite Befugnis, die zuerkannt werde, erforderlich sei, um das Ziel der REACH-Verordnung zu erreichen und insbesondere deren praktische Wirksamkeit sicherzustellen. Sie macht geltend, durch die Übertragung einer solchen impliziten Befugnis an die ECHA würden die Befugnisse dieser Agentur, wie diese in der REACH-Verordnung umschrieben seien, unter Verstoß gegen den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung substanziell erweitert.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point25">25</a>      Die Rechtsmittelführerin macht auch geltend, dass das Gericht, indem es davon ausgegangen sei, dass die ECHA die bestehende Einstufung des DEHP habe ergänzen können, die Lehre der internen impliziten Befugnisse falsch angewandt habe. Das Gericht habe in Rn. 52 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass die in Art. 59 Abs. 8 der REACH-Verordnung enthaltene Wendung „so nimmt die Agentur den Stoff in die [Kandidatenliste] auf“ zunächst die Situation betreffe, in der ein gemäß Anhang XV der Verordnung ausgearbeitetes Dossier, das einen Stoff zum Inhalt habe, der dem Ausschuss der Mitgliedstaaten noch nicht zur Prüfung vorgelegt worden sei, an den Ausschuss überwiesen werde. Das Gericht habe in Rn. 53 dieses Urteils zu Unrecht entschieden, dass daraus „nicht entnommen werden [kann], dass der Ausschuss der Mitgliedstaaten nur für die Einstufung der Stoffe zuständig ist, die noch nicht in die Kandidatenliste aufgenommen wurden“.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point26">26</a>      Sie macht geltend, wenn diese implizite Befugnis der Agentur notwendig wäre, um die praktische Wirksamkeit der REACH-Verordnung sicherzustellen, dann hätte der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung nicht die Einstufung des Stoffes in Anwendung von Art. 57 Buchst. f dieser Verordnung ausgeschlossen, wenn dieser Stoff bereits zuvor nach einem der Buchst. a bis e des Art. 57 der Verordnung ermittelt worden sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point27">27</a>      Darüber hinaus ergebe sich aus Art. 58 Abs. 8 der REACH-Verordnung, der die Befugnis, aus Anhang XIV dieser Verordnung die Stoffe zu streichen, die nicht mehr die Kriterien des Art. 57 der Verordnung erfüllten, der Kommission und nicht der ECHA zuweise, dass der Unionsgesetzgeber, hätte er in dieser Verordnung ein Verfahren, durch das sich die Liste von Stoffen ergänzen oder ändern lasse, vorsehen und dies einer Agentur wie der ECHA überantworten wollen, dies ausdrücklich vorgesehen hätte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point28">28</a>      Die ECHA ist der Ansicht, dass das Vorbringen der Rechtsmittelführerin, dem zufolge die Ermittlung nach Art. 57 Buchst. a bis e der REACH-Verordnung einer Einstufung nach Art. 57 Buchst. f entgegenstehe, unzulässig sei, da es nicht vor dem Gericht vorgetragen worden sei. Sie schließt daraus, dass das gesamte Vorbringen jedenfalls unbegründet sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point29">29</a>      Das Königreich Dänemark und das Königreich Schweden sind der Ansicht, das Vorbringen der Rechtsmittelführerin sei unbegründet.</p>
<p class="C07Titre4">–       <i>Würdigung durch den Gerichtshof</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point30">30</a>      Was die von der Rechtsmittelführerin geltend gemachte und in Rn. 22 des vorliegenden Urteils angeführte Rechtsprechung angeht, so ist zunächst daran zu erinnern, dass die streitige Entscheidung aufgrund von Art. 59 Abs. 8 der REACH-Verordnung ergangen ist. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 59 der REACH-Verordnung das Verfahren der Einstufung der Stoffe beschreibt, die für eine Aufnahme in die Kandidatenliste in Frage kommen, die als Grundlage für die Erstellung des Anhangs XIV dieser Verordnung dient. Wenn der betreffende Stoff in diesen Anhang XIV aufgenommen ist, kann dieser Stoff nicht mehr verwendet oder in Verkehr gebracht werden, es sei denn, es wurde eine Zulassung für eine spezifische Verwendung nach Art. 60 dieser Verordnung erteilt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point31">31</a>      Die von der Rechtsmittelführerin vorgeschlagene Auslegung der Urteile vom 15. März 2017, Polynt/ECHA (C‑323/15 P, EU:C:2017:207), sowie vom 15. März 2017, Hitachi Chemical Europe und Polynt/ECHA (C‑324/15 P, EU:C:2017:208), beruht indessen auf einem Fehlverständnis dieser Urteile. Jeweils in Rn. 24 dieser beiden Urteile hat der Gerichtshof ausgeführt, dass Art. 57 Buchst. a bis e zunächst auf die Stoffe zielt, die die Kriterien für die Einstufung in die Gefahrenklassen Karzinogenität, Keimzellmutagenität oder Reproduktionstoxizität der Kategorie 1A oder 1B gemäß den Abschnitten 3.5 bis 3.7 des Anhangs I der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen, zur Änderung und Aufhebung der Richtlinien 67/548/EWG und 1999/45/EG und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (ABl. 2008, L 353, S. 1) erfüllen. Sodann betrifft dieser Art. 57 in seinen Buchst. d und e die Stoffe, die nach den Kriterien des Anhangs XIII der REACH-Verordnung persistent, bioakkumulierbar und toxisch oder sehr persistent und sehr bioakkumulierbar sind. Diese Kriterien beruhen auf der Bewertung der von diesen Stoffen ausgehenden Gefahren. Schließlich erfasst Art. 57 Buchst. f dieser Verordnung alle anderen Stoffe, die nicht die vorstehenden Kriterien erfüllen, die aber „nach wissenschaftlichen Erkenntnissen wahrscheinlich schwerwiegende Wirkungen auf die menschliche Gesundheit oder auf die Umwelt haben, die ebenso besorgniserregend sind wie diejenigen anderer in den Buchstaben a bis e aufgeführter Stoffe, und die im Einzelfall gemäß dem Verfahren des Artikels 59 ermittelt werden“ (Urteil vom 15. März 2017, Polynt/ECHA, C‑323/15 P, EU:C:2017:207, Rn. 24).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point32">32</a>      Der Gerichtshof hat klargestellt, dass in Art. 57 Buchst. f der REACH-Verordnung ein autonomes Verfahren vorgesehen ist, mit dem Stoffe als besonders besorgniserregend ermittelt werden können, die nach der genannten Bestimmung noch nicht als solche ermittelt worden sind (Urteile vom 15. März 2017, Polynt/ECHA, C‑323/15 P, EU:C:2017:207, Rn. 25, und vom 15. März 2017, Hitachi Chemical Europe und Polynt/ECHA, C‑324/15 P, EU:C:2017:208, Rn. 25). Wie der Gerichtshof jeweils in Rn. 29 dieser Urteile ausgeführt hat, erfasst der Anwendungsbereich von Art. 57 Buchst. f der REACH-Verordnung ausdrücklich Stoffe mit endokriner Wirkung, obwohl diese Art der Wirkungen zu keiner der Gefahrenklassen dieses Anhangs gehört.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point33">33</a>      Hierzu hat der Gerichtshof in den Rn. 24 bis 40 der Urteile vom 15. März 2017, Polynt/ECHA (C‑323/15 P, EU:C:2017:207), und vom 15. März 2017, Hitachi Chemical Europe und Polynt/ECHA (C‑324/15 P, EU:C:2017:208), dargelegt, dass die Ermittlung eines Stoffes nach dieser Bestimmung die kumulative Erfüllung zweier Bedingungen, nämlich zum einen, dass der betreffende Stoff wahrscheinlich schwerwiegende Wirkungen auf die menschliche Gesundheit oder auf die Umwelt hat, und zum anderen, dass diese Wirkungen „ebenso besorgniserregend sind“ wie diejenigen anderer, in den Buchst. a bis e dieses Art. 57 aufgeführter Stoffe. Zwar nahm er für die erste Bedingung an, sie erfordere eine Prüfung der durch die inhärenten Eigenschaften des betreffenden Stoffes bedingten Gefahren; dies galt jedoch nicht auch für die zweite Bedingung. Um festzustellen, ob ein Stoff „ebenso besorgniserregend“ im Sinne von Art. 57 Buchst. f der REACH-Verordnung ist, ist nach Ansicht des Gerichtshofs die Natur der Besorgnisse, die berücksichtigt werden können, nicht auf allein die Gefahren beschränkt, die sich aus den inhärenten Eigenschaften des betreffenden Stoffes ergeben.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point34">34</a>      Entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin ergibt sich daher, wie dies auch der Generalanwalt in den Nrn. 50 bis 56 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, aus den Urteilen vom 15. März 2017, Polynt/ECHA (C‑323/15 P, EU:C:2017:207), und vom 15. März 2017, Hitachi Chemical Europe und Polynt/ECHA (C‑324/15 P, EU:C:2017:208), nicht, dass Art. 57 Buchst. f der REACH-Verordnung dahin auszulegen ist, dass ein chemischer Stoff wie das DEHP, der aufgrund einer die Kriterien in Art. 57 Buchst. c der REACH-Verordnung erfüllenden gefährlichen Eigenschaft bereits in die Kandidatenliste aufgenommen wurde, nicht anschließend wegen einer anderen inhärenten Eigenschaft nach Art. 57 Buchst. f dieser Verordnung eingestuft werden kann.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point35">35</a>      In den Rn. 24 bis 40 dieser Urteile hat der Gerichtshof nämlich die Kriterien dargelegt, aufgrund deren ein Stoff nach einem der Buchst. a bis f des Art. 57 der REACH-Verordnung ermittelt werden kann, ohne dabei eine Beschränkung der Gründe vorzusehen, derentwegen ein Stoff in die Kandidatenliste aufgenommen werden kann. Daher konnte das Gericht rechtsfehlerfrei davon ausgehen, dass es nicht ausgeschlossen sei, dass die inhärenten Eigenschaften eines Stoffes mehrere der in Art. 57 Buchst. a bis f der REACH-Verordnung aufgeführte Gründe erfüllen könnten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point36">36</a>      Das Vorbringen der Rechtsmittelführerin hinsichtlich der fehlerhaften Anwendung der Lehre der impliziten Befugnisse durch das Gericht kann ebenfalls keinen Erfolg haben. Wie der Generalanwalt in Nr. 63 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ergibt sich aus Rn. 54 des angefochtenen Urteils, dass das Gericht für die Anerkennung der Befugnis der ECHA, die streitige Entscheidung zu erlassen, davon ausgegangen ist, dass der ECHA weder nach dem Wortlaut von Art. 57 noch dem von Art. 59 Abs. 8 der REACH-Verordnung oder einer anderen Bestimmung dieser Verordnung die Prüfung untersagt sei, ob ein Stoff andere inhärente Eigenschaften als die besitze, die zur ursprünglichen Aufnahme dieses Stoffes in die Kandidatenliste geführt hätten. In Rn. 55 des angefochtenen Urteils hat das Gericht zudem festgestellt, dass die Ermittlung eines Stoffes als Stoff, der die Voraussetzungen eines anderen Buchstabens von Art. 57 der REACH-Verordnung als desjenigen erfülle, der zur ursprünglichen Aufnahme in die Kandidatenliste geführt habe, in technischer Hinsicht die Form einer Ergänzung des bestehenden Eintrags habe. Nach Auffassung des Gerichts ist in diesem Sinne auch das Vorbringen der ECHA zu verstehen, wonach sie über eine „implizite Befugnis“ zur Ergänzung eines bestehenden Eintrags verfüge.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point37">37</a>      Im vorliegenden Fall reichten zum Zeitpunkt der Ermittlung des DEHP nach Art. 57 Buchst. c der REACH-Verordnung die zur Verfügung stehenden Informationen nicht aus, um zu dem Schluss zu gelangen, dass die schädlichen Wirkungen des Stoffes auf die Umwelt den in Art. 57 Buchst. f dieser Verordnung genannten Einstufungskriterien entsprechen. Wie das Gericht in den Rn. 57 und 58 des angefochtenen Urteils festgestellt hat, besitzt ein chemischer Stoff verschiedene Eigenschaften, die Gefahren unterschiedlicher Art hervorrufen können.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point38">38</a>      Hierzu ist anzumerken, wie der Generalanwalt in den Nrn. 76 und 77 seiner Schlussanträge dargelegt hat, dass die Befugnis der ECHA, eine bestehende Einstufung eines chemischen Stoffes zu ergänzen, mit der Begründung zu verneinen, dass dieser Stoff bereits eingestuft worden sei, zu einem falschen und den Zielen der REACH-Verordnung zuwiderlaufenden Ergebnis führen würde. Denn eine solche Auslegung dieser Verordnung hätte zur Folge, dass die wissenschaftliche Bewertung des fraglichen Stoffes zum Zeitpunkt seiner ursprünglichen Einstufung festgeschrieben würde und liefe der der ECHA obliegenden Aufgabe einer „Beurteilung von Stoffen ausgehender Gefahren“ zuwider, wie sie in der Verordnung vorgesehen ist, obwohl diese Beurteilung, um wirksam und effektiv zu sein, auch nach der ursprünglichen Einstufung vorgenommen werden können muss, damit sie durch neue wissenschaftliche Daten ergänzt werden kann.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point39">39</a>      Daher hat das Gericht rechtsfehlerfrei entscheiden können, dass die ECHA befugt war, die bestehenden Einträge in der Kandidatenliste mit neuen Gründen im Sinne von Art. 57 der REACH-Verordnung zu ergänzen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point40">40</a>      Folglich ist der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Zum zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes: Falsche Beurteilung des Gerichts in Bezug auf das Nichtvorliegen eines Verstoßes gegen das Verfahren zum Erlass der streitigen Entscheidung</i>
</p>
<p class="C07Titre4">–       <i>Vorbringen der Parteien</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point41">41</a>      Die Rechtsmittelführerin macht geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es davon ausgegangen sei, dass das Verfahren zum Erlass der streitigen Entscheidung rechtmäßig sei, obschon das Königreich Dänemark, das ein Dossier zum Zweck der Aufnahme von vier chemischen Stoffen, darunter das DEHP, in die Kandidatenliste eingereicht habe, seinen ursprünglichen Vorschlag durch einen neuen Vorschlag ersetzt habe, in dem nur der Vorschlag zur Aufnahme des DEHP aufrechterhalten worden sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point42">42</a>      Der ursprüngliche Vorschlag, mit dem die REACH-Verordnung dahin um eine neue, einer gemeinsamen Abstimmung unterliegende Einstufung von vier Stoffen, darunter DEHP, nach Art. 57 Buchst. f dieser Verordnung habe ergänzt werden sollen, sei durch einen neuen Vorschlag ersetzt worden, der in acht Teilen vorgelegt worden sei, mit denen chemische Stoffe hätten ergänzend eingestuft werden sollen und über die gesondert habe abgestimmt werden müssen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point43">43</a>      Die Rechtsmittelführerin macht geltend, diese Änderung des dänischen Vorschlags habe dazu geführt, dass der Erlass der streitigen Entscheidung möglich gewesen sei. Denn der Ausschuss der Mitgliedstaaten sei nicht zu einer einstimmigen Einigung über die Grundlage des ursprünglichen Vorschlags gelangt. In diesem Zusammenhang erinnert die Rechtsmittelführerin daran, dass nach einer ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ein Verfahrensfehler nur dann zur vollständigen oder teilweisen Nichtigerklärung einer Entscheidung führe, wenn feststehe, dass die angefochtene Entscheidung ohne diesen Fehler einen anderen Inhalt hätte haben können. Das fragliche Verfahren des Erlasses verstoße gegen die REACH-Verordnung und die Rechtsprechung des Gerichtshofs, und das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es angenommen habe, dies sei nicht der Fall.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point44">44</a>      Die ECHA und das Königreich Dänemark sind der Ansicht, dass der zweite Teil dieses Rechtsmittelgrundes nicht begründet sei.</p>
<p class="C07Titre4">–       <i>Würdigung durch den Gerichtshof</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point45">45</a>      Zunächst ist anzumerken, dass das Gericht in Rn. 85 des angefochtenen Urteils darauf hingewiesen hat, dass das in Art. 59 der REACH-Verordnung vorgesehene Verfahren zur Ermittlung der in Art. 57 der dieser Verordnung genannten Stoffe gewährleisten solle, dass die Mitgliedstaaten und die an diesem Verfahren beteiligten Kreise vor Ausarbeitung einer Entscheidung über die Aufnahme eines Stoffes in die Kandidatenliste gehört werden könnten. Wie das Gericht zudem in Rn. 86 dieses Urteils ausgeführt hat, regelt die REACH-Verordnung nicht, wie mehrere Vorschläge zur Einstufung eines Stoffes als besonders besorgniserregend im Sinne von Art. 57 der Verordnung einzureichen sind.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point46">46</a>      Wie das Gericht in Rn. 86 des angefochtenen Urteils ebenfalls zutreffend festgestellt hat, enthält die REACH-Verordnung keine Bestimmung, wonach es verboten ist, dass ein Mitgliedstaat einen oder mehrere seiner Vorschläge zur Aufnahme der Stoffe, die seines Erachtens die in Art. 57 dieser Verordnung genannten Kriterien erfüllen, während eines Verfahrens zurückzieht oder ändert.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point47">47</a>      Außerdem stellen diese beiden Artikel keine Verpflichtung auf, die Vorschläge in ein und demselben Dokument zusammenzufassen, wenn diese Vorschläge gleichzeitig vom selben Verfasser vorgelegt werden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point48">48</a>      Wie das Gericht in Rn. 88 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat, teilte im vorliegenden Fall das Königreich Dänemark lediglich seinen ursprünglichen Vorschlag in acht verschiedene Teile auf. Dieser Aufteilung folgte eine teilweise Rücknahme der Vorschläge bezüglich des DBP, des BBP und des DIBP, soweit diese Vorschläge schwerwiegende Wirkungen auf die Umwelt betrafen, während der Vorschlag bezüglich des DEHP aufrechterhalten wurde.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point49">49</a>      In Bezug auf den Teil des Vorschlags, der das DEHP betraf, ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht in Rn. 89 des angefochtenen Urteils festgestellt hat, die Rechtsmittelführerin habe nicht dargelegt, worin sich der materielle Inhalt des ursprünglichen Vorschlags des Königreichs Dänemark von dem des Vorschlags unterscheide, über den in der Sitzung des Ausschusses der Mitgliedstaaten vom 8. bis zum 11. Dezember 2014 abgestimmt worden sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point50">50</a>      Schließlich hat das Gericht in den Rn. 93 und 94 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass die einstimmige Einigung des Ausschusses der Mitgliedstaaten über das DEHP nicht deshalb einen Rechtsverstoß beinhalte, weil dieser Einigung nur die „schwerwiegenden Wirkungen auf die Umwelt“ zugrunde lägen, während der ursprüngliche Einstufungsvorschlag und das gemäß Anhang XV der REACH-Verordnung eingereichte Dossier mit „schwerwiegenden Wirkungen auf die menschliche Gesundheit und auf die Umwelt“ begründet worden seien. Denn aus dem Wortlaut von Art. 57 Buchst. f dieser Verordnung geht hervor, dass die dort angeführten Eigenschaften solche sind, die wahrscheinlich schwerwiegende Wirkungen auf die menschliche Gesundheit oder auf die Umwelt haben, wobei diese Kriterien alternativ zueinander sind.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point51">51</a>      Folglich ist der zweite Teil des ersten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Zum dritten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes: Das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, soweit es das Vorliegen eines Ermessensmissbrauchs der ECHA nicht anerkannt habe</i>
</p>
<p class="C07Titre4">–       <i>Vorbringen der Parteien</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point52">52</a>      Die Rechtsmittelführerin ist der Auffassung, dass die streitige Entscheidung und das von der ECHA vor dem Erlass dieser Entscheidung geführte Verfahren nicht dem rechtlich verbindlichen Verfahren entsprächen, dass vom Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union vorgesehen sei, und dass das Gericht demzufolge einen Rechtsfehler begangen habe, indem es ihr insoweit vor diesem vorgetragenes Vorbringen zurückgewiesen habe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point53">53</a>      Der Beschluss Nr. 1386/2013/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. November 2013 über ein allgemeines Umweltaktionsprogramm der Union für die Zeit bis 2020 „Gut leben innerhalb der Belastbarkeitsgrenzen unseres Planeten“ (ABl. 2013, L 354, S. 171) sehe vor, dass „die Union … harmonisierte gefahrenorientierte Kriterien für die Ermittlung endokriner Wirkungen entwickeln [wird]“, indem sie sich mit „sämtlichen einschlägigen Rechtsvorschriften der Union“ befasse. Aus dem Beschluss ergebe sich im Übrigen, dass die Kriterien für die harmonisierte Anwendung, die von der Union für die Ermittlung der endokrinschädigenden Stoffe ausgearbeitet worden seien, im Rahmen sämtlicher Vorschriften des Unionsrechts einschließlich der REACH-Verordnung angewandt werden müssten. Es sei Aufgabe der Kommission, diese Kriterien zu erlassen. Die Rechtsmittelführerin macht in diesem Zusammenhang geltend, dass die Kommission nach Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten (ABl. 2012, L 167, S. 1) verpflichtet gewesen sei, spätestens bis zum 13. Dezember 2013 Rechtsakte zur Festlegung wissenschaftlicher Kriterien zur Bestimmung der endokrinschädigenden Eigenschaften zu erlassen. Auch sei die Kommission verpflichtet gewesen, bis spätestens 14. Dezember 2013 Vorschläge für Maßnahmen in Bezug auf konkrete wissenschaftliche Kriterien zur Bestimmung der endokrinschädlichen Eigenschaften vorzulegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point54">54</a>      Die Rechtsmittelführerin macht daher geltend, dass die Befugnis zur Festlegung der Kriterien für die Ermittlung gefährlicher Stoffe bei der Kommission liege, die diese Befugnis nicht ausgeübt habe. Die ECHA verfüge in einer solchen Situation daher nicht über die Befugnis, selbst diese Kriterien zu bestimmen. Daher sei die Einstufung des DEHP nach Art. 57 Buchst. c der REACH-Verordnung auf der Grundlage eigener <i>Ad</i>‑<i>hoc</i>-Kriterien rechtswidrig.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point55">55</a>      Das Gericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die ECHA ihr Ermessen nicht missbraucht habe, indem sie selbst ihre eigenen Einstufungskriterien aufgestellt habe, obwohl bestimmte Vorschriften des Unionsrechts dieser Agentur keine solche Befugnis übertrügen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point56">56</a>      Die ECHA, das Königreich Dänemark und das Königreich Schweden treten dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin entgegen.</p>
<p class="C07Titre4">–       <i>Würdigung durch den Gerichtshof</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point57">57</a>      Was den Beschluss Nr. 1386/2013 betrifft, ist das Gericht, wie der Generalanwalt in den Nrn. 100 und 101 seiner Schlussanträge festgestellt hat, rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass dieser Beschluss einen weitgehend programmatischen Charakter hat, der sich eindeutig aus der in Rn. 50 Abs. 3 Satz 2 des Anhangs dieses Beschlusses gewählten Syntax ergibt, nämlich dass „… die Union harmonisierte Kriterien entwickeln [wird]“.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point58">58</a>      Was die Verordnung Nr. 528/2012 betrifft, hat das Gericht in Rn. 109 des angefochtenen Urteils zu Recht darauf hingewiesen, dass die genannte Verordnung, wie sich aus ihrem Art. 2 Abs. 3 Buchst. j ergibt, unbeschadet der REACH-Verordnung gilt. Ebenso wie der Beschluss Nr. 1386/2013 soll die Verordnung Nr. 528/2012 daher die Anwendbarkeit der Kriterien für die Ermittlung der Stoffe mit endokriner Wirkung, die in Art. 57 der REACH-Verordnung angeführt und von der ECHA im Rahmen des Verfahrens nach Art. 59 der Verordnung angewandt werden, nicht in Frage stellen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point59">59</a>      Das gilt auch für Nr. 3.6.5 des Anhangs II der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG des Rates (ABl. 2009, L 309, S. 1). Wie der Generalanwalt in Nr. 103 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, hat das Gericht in den Rn. 117 und 118 des angefochtenen Urteils zu Recht festgestellt, dass nach dieser Regelung nicht nur „auf der Grundlage der von der [Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit] überprüften Auswertung von Versuchen nach [Unions]leitlinien oder international vereinbarten Leitlinien“, sondern auch auf der Grundlage „von anderen verfügbaren Daten und Informationen, einschließlich einer Überprüfung der wissenschaftlichen Literatur“ untersucht werden dürfe, ob ein Stoff endokrinschädigende Wirkungen und nachteilige Auswirkungen habe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point60">60</a>      Schließlich hat das Gericht keinen Rechtsfehler begangen, als es angenommen hat, dass es sich bei dem Fahrplan der Kommission für das Jahr 2014 nicht um einen Text mit rechtsverbindlicher Wirkung handele.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point61">61</a>      Mangels einer harmonisierten Definition ermächtigt die REACH-Verordnung die ECHA, weiterhin ein integriertes System zur Kontrolle chemischer Stoffe zu verwalten, das ihre Registrierung, Bewertung und Zulassung sowie gegebenenfalls Beschränkungen ihrer Verwendung umfasst (Urteil vom 15. März 2017, Hitachi Chemical Europe und Polynt/ECHA, C‑324/15 P, EU:C:2017:208, Rn. 20), das im Bemühen um Wirksamkeit und Effizienz Stoffe mit endokriner Wirkung einbeziehen muss.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point62">62</a>      Aus dem Vorstehenden folgt, dass der dritte Teil des ersten Rechtsmittelgrundes und mithin der erste Rechtsmittelgrund insgesamt zurückzuweisen ist.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zum zweiten Rechtsmittelgrund: Falsche Auslegung und Anwendung des Grundsatzes der Rechtssicherheit durch das Gericht </b>
</p>
<p class="C07Titre4">–       <i>Vorbringen der Parteien</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point63">63</a>      Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund macht die Rechtsmittelführerin geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es in den Rn. 135 bis 153 des angefochtenen Urteils entschieden habe, dass die streitige Entscheidung den Grundsatz der Rechtssicherheit nicht verletze, obwohl sie zu einer unklaren und für die Rechtsmittelführerin unvorhersehbaren Situation geführt habe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point64">64</a>      Die Rechtsmittelführerin macht geltend, die gegenwärtige Einstufung des DEHP in Anhang XIV der REACH-Verordnung nach Art. 57 Buchst. c dieser Verordnung, die durch eine neue Einstufung nach Art. 57 Buchst. f der Verordnung ergänzt werde, sei problematisch. Sie fragt sich in diesem Zusammenhang, ob neue Fristen für die Einreichung eines Zulassungsantrags für nach Art. 57 Buchst. f der REACH-Verordnung eingestuftes DEHP festgesetzt würden, da die Frist für die Einreichung eines solchen Antrags nach den geltenden Vorschriften am 21. August 2013 abgelaufen sei. Sie ist auch unsicher hinsichtlich des „Schicksals“ des aktuellen Zulassungsantrags, den sie für das DEHP nach Art. 57 Buchst. c der REACH-Verordnung gestellt habe, sowie hinsichtlich der Auswirkungen auf die Verwendung des DEHP in von dieser Verordnung nicht allgemein erfassten Medizinprodukten, obwohl eine solche Verwendung nach den gegenwärtigen Rechtstexten keine Zulassung nach Titel VII dieser Verordnung erfordere.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point65">65</a>      Das Gericht habe in Rn. 146 des angefochtenen Urteils selbst ausdrücklich eingeräumt, dass dann, wenn Anhang XIV dieser Verordnung durch eine neue Einstufung des DEHP nach Art. 57 Buchst. f der Verordnung ergänzt werde, „der [von der Rechtsmittelführerin eingereichte] Zulassungsantrag [für diesen nach Art. 57 Buchst. c der REACH-Verordnung eingestuften Stoff] zu ändern [ist], um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen“, und „die [Rechtsmittelführerin] diese Änderung des Anhangs XIV berücksichtigen [muss].“ Das Gericht nenne aber weder die Art und Weise, in der diese „Änderung“ erfolgen müsse, noch verweise es auf eine konkrete Bestimmung der REACH-Verordnung oder eines anderen Texts, in dem diese Frage geregelt würde.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point66">66</a>      Die ECHA tritt dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin entgegen.</p>
<p class="C07Titre4">–       <i>Würdigung durch den Gerichtshof</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point67">67</a>      Es ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht in den Rn. 133 bis 153 des angefochtenen Urteils geprüft hat, ob die streitige Entscheidung gegen die Grundsätze der Vorhersehbarkeit, der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes verstößt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point68">68</a>      Nachdem das Gericht darauf hingewiesen hat, dass die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes allgemeine Grundsätze des Unionsrechts darstellen, hat es geprüft, ob die streitige Entscheidung den sich aus diesen Grundsätzen ergebenden Anforderungen nachkommt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point69">69</a>      So hat es in den Rn. 135 bis 137 des angefochtenen Urteils hervorgehoben, aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs gehe hervor, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit insbesondere gebiete, dass Rechtsvorschriften – vor allem dann, wenn sie nachteilige Folgen für Einzelne und Unternehmen haben könnten – klar, bestimmt und in ihren Auswirkungen vorhersehbar seien und dass der Gerichtshof zum Grundsatz des Vertrauensschutzes entschieden habe, dass niemand eine Verletzung dieses Grundsatzes geltend machen könne, dem die Verwaltung keine bestimmten Zusicherungen gegeben habe (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Dezember 2017, Global Starnet, C‑322/16, EU:C:2017:985, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point70">70</a>      Daher steht die Möglichkeit, sich auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes zu berufen, jedem Wirtschaftsteilnehmer offen, bei dem ein Organ begründete Erwartungen geweckt hat. Zusicherungen, die solche Erwartungen wecken können, sind präzise, nicht an Bedingungen geknüpfte und übereinstimmende Auskünfte von zuständiger und zuverlässiger Seite, unabhängig von der Form ihrer Mitteilung (Urteil vom 14. März 2013, Agrargenossenschaft Neuzelle, C‑545/11, EU:C:2013:169, Rn. 24 und 25 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point71">71</a>      Ist dagegen ein umsichtiger und besonnener Wirtschaftsteilnehmer in der Lage, den Erlass einer Unionsmaßnahme, die seine Interessen berühren kann, vorherzusehen, so kann er sich im Fall ihres Erlasses nicht auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen (Urteil vom 14. März 2013, Agrargenossenschaft Neuzelle, C‑545/11, EU:C:2013:169, Rn. 26).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point72">72</a>      Das Gericht hat geprüft, ob die streitige Entscheidung entsprechend den Anforderungen des Grundsatzes der Rechtssicherheit klar ihre Rechtsgrundlage sowie ihre rechtlichen Wirkungen genannt hat. Es hat festgestellt, dass diese Entscheidung eindeutig auf Art. 59 Abs. 8 der REACH-Verordnung als Rechtsgrundlage für ihren Erlass verweist. Es hat ebenfalls zu Recht festgestellt, dass die Rechtsmittelführerin in der Lage gewesen sei, die Tragweite dieser Entscheidung zweifelsfrei zu erkennen, da aus dieser klar hervorgegangen sei, dass mit ihr der bestehende Eintrag für das DEHP in der Kandidatenliste durch eine Einstufung nach Art. 57 Buchst. f der REACH-Verordnung habe ergänzen sollen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point73">73</a>      Im Übrigen ist dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen, dass das Gericht selbst eine Situation der Rechtsunsicherheit geschaffen hätte. Nach diesem Urteil wurde die Einstufung des DEHP bestätigt, und dieser Stoff wird weiterhin nach der REACH-Verordnung beurteilt werden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point74">74</a>      Daher hat das Gericht zu Recht befunden, dass die Rechtsmittelführerin keinen Gesichtspunkt vorgetragen habe, mit dem sich nachweisen ließe, dass ein Organ oder eine Agentur der Union ihr unmittelbar Zusicherungen gemacht hätten. Das Gericht konnte somit davon ausgehen, dass die streitige Entscheidung nicht die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes verletzte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point75">75</a>      Unter diesen Umständen ist der zweite Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zum dritten Rechtsmittelgrund: Das Gericht habe den Umfang seiner gerichtlichen Kontrolle verkannt und die Beweise verfälscht</b>
</p>
<p class="C07Titre4">–       <i>Vorbringen der Parteien</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point76">76</a>      Mit ihrem dritten Rechtsmittelgrund macht die Rechtsmittelführerin geltend, dass das Gericht in den Rn. 163 bis 202 des angefochtenen Urteils die streitige Entscheidung geprüft habe, ohne die Anforderungen an den Umfang der gerichtlichen Kontrolle bei Entscheidungen der Einrichtungen und Organe einzuhalten, und dass es außerdem die ihm unterbreiteten Tatsachen und Beweise verfälscht habe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point77">77</a>      Zwar unterliege das weite Ermessen der Unionsorgane, insbesondere bei der Prüfung sehr komplexer wissenschaftlicher und technischer Gesichtspunkte, einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle, diese gerichtliche Kontrolle verlange jedoch, dass die Unionsorgane, die Urheber des fraglichen Rechtsakts seien, vor dem Gerichtshof nachweisen könnten, dass dieser Rechtsakt „im Wege einer tatsächlichen Ausübung ihres Ermessens“ erlassen worden sei, welche die Berücksichtigung aller erheblichen Gesichtspunkte und Umstände der Situation voraussetze, die dieser Rechtsakt habe regeln wollen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point78">78</a>      Die Rechtsmittelführerin ist auch der Auffassung, das Gericht habe die Beweise verfälscht, indem es davon ausgegangen sei, dass die Studien, auf die sich das nach Anhang XV der REACH-Verordnung ausgearbeitete Dossier (im Folgenden: Belegunterlagen) gestützt habe, nur einen Teil aller vom Ausschuss der Mitgliedstaaten geprüften Beweise dargestellt hätten. Sie macht geltend, dass nach keiner der nach 2008 durchgeführten Studien über Fische das DEHP nachteilige Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und auf die Umwelt habe, was – auch nach Ansicht des Gerichts – eine Voraussetzung dafür sei, dass dieser Stoff nach Art. 57 Buchst. f der REACH-Verordnung eingestuft werde.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point79">79</a>      Die Rechtsmittelführerin macht außerdem geltend, die Belegunterlagen beruhten auf wissenschaftlichen Studien, die an Ratten vorgenommen worden seien und die sich auf die Wirkungen des DEHP nicht auf die Umwelt, sondern auf die menschliche Gesundheit im Fall einer unmittelbaren Exposition an das DEHP bezogen hätten; es sei jedoch darum gegangen, die Wirkung dieses Stoffes auf die Umwelt „nachzuweisen“. Ein derartiges Vorgehen sei wissenschaftlich unkorrekt. Das Gericht habe es zu Unrecht unterlassen, diesen Umstand im angefochtenen Urteil zu berücksichtigen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point80">80</a>      Die ECHA entgegnet hierauf, dass der dritte Rechtsmittelgrund einer Grundlage entbehre und dass die Beweise ordnungsgemäß geprüft worden seien.</p>
<p class="C07Titre4">–       <i>Würdigung durch den Gerichtshof</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point81">81</a>      Das Gericht hat die Beweise und die wissenschaftlichen Studien, die als Grundlage für die streitige Entscheidung dienten, in den Rn. 157 bis 202 des angefochtenen Urteils im Rahmen einer langen und sorgfältigen Prüfung, die den Anforderungen an eine wirksamen gerichtliche Kontrolle genügt, gewürdigt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point82">82</a>      Nach einem Hinweis auf die Grundsätze der Rechtsprechung, die die gerichtliche Kontrolldichte in Bezug auf die Beurteilung hochgradig komplexer tatsächlicher Elemente wissenschaftlicher und technischer Art regeln, hat sich das Gericht auf sämtliche zu den Belegunterlagen gehörende wissenschaftliche Studien über Fische und Ratten bezogen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point83">83</a>      Das Gericht hat sich insbesondere ausdrücklich auf die Schlussfolgerungen zahlreicher Studien über Fische, die bei ihnen infolge einer Exposition an das DEHP auftretende endokrine Wirkungen betreffen, bezogen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point84">84</a>      In Rn. 166 des angefochtenen Urteils hat das Gericht jedoch festgestellt: „… wie sich aus Nr. 5.1.6 der Belegunterlagen ergibt, [ist es] aufgrund einer umfassenden Bewertung eines Teils der verwendeten Studien sehr wahrscheinlich, dass die östrogene Wirkung des DEHP schädigende Folgen für die phänotypischen Geschlechts- und Fortpflanzungsmerkmale der männlichen und weiblichen Fische hat. Dieser Umstand sowie die Wirkungen des Stoffes DEHP, die in den Studien über Ratten festgestellt wurden und die in Kapitel 4 der Belegunterlagen angeführt werden, reichen für die Schlussfolgerung aus, dass das DEHP schädigende Wirkungen auf die Umwelt haben kann“.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point85">85</a>      Aus den Akten, über die der Gerichtshof verfügt, scheint indes hervorzugehen, dass die Studien über Ratten die Wirkungen des DEHP auf die menschliche Gesundheit und nicht auf die Umwelt nachweisen sollen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point86">86</a>      Folglich hat das Gericht die Beweise verfälscht, indem es sich auf die Studien über Ratten, die die Wirkungen des DEHP auf die menschliche Gesundheit im Fall einer direkten Exposition an das DEHP betrafen, bezogen hat, um daraus abzuleiten, dass dieser Stoff Wirkungen auf die Umwelt habe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point87">87</a>      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs kann jedoch eine Verletzung des Unionsrechts in einem Urteil des Gerichts, wenn zwar dessen Gründe eine solche Verletzung enthalten, die Urteilsformel sich aber aus anderen Rechtsgründen als richtig erweist, nicht zur Aufhebung dieses Urteils führen, und die Begründung ist durch eine andere zu ersetzen (Urteil vom 26. Januar 2017, Mamoli Robinetteria/Kommission, C‑619/13 P, EU:C:2017:50, Rn. 107 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point88">88</a>      Wenn sich das Gericht in Rn. 166 des angefochtenen Urteils fälschlich auf die Studien über Ratten bezogen hat, so hat es sich doch ebenfalls in dieser Randnummer auf die Studien über Fische bezogen, die die Wirkungen des DEHP auf die Umwelt belegen. Die vom Gericht vorgenommene Würdigung der großen Zahl von Studien über Fische und die Wirkung des DEHP auf ihr endokrines System reichte daher aus, um es zu rechtfertigen, dass das Gericht den auf die nicht ausreichenden wissenschaftlichen Nachweise gestützten Klagegrund zurückgewiesen hat.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point89">89</a>      In Anbetracht dessen ist der dritte Rechtsmittelgrund als ins Leere gehend zurückzuweisen.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zum vierten Rechtsmittelgrund: Verletzung der Grundrechte der Rechtsmittelführerin durch das Gericht</b>
</p>
<p class="C07Titre4">–       <i>Vorbringen der Parteien</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point90">90</a>      Die Rechtsmittelführerin macht geltend, dass das Gericht die Grundrechte und die Grundsätze verletzt habe, die in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verankert seien. Indem das Gericht das Unionsrecht falsch ausgelegt und angewandt habe, habe es auch die Rechte der Rechtsmittelführerin und die in der EMRK und der Charta niedergelegten Grundsätze, insbesondere das Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK und Art. 47 der Charta, das Recht auf Achtung ihres Eigentums nach Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK und Art. 17 der Charta sowie den Grundsatz der Rechtssicherheit, verletzt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point91">91</a>      Die ECHA tritt dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin entgegen.</p>
<p class="C07Titre4">–       <i>Würdigung durch den Gerichtshof</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point92">92</a>      Zunächst ist festzustellen, dass dieser Rechtsmittelgrund offensichtlich jeder Begründung und Klarstellung entbehrt, da er nur eine abstrakte Nennung von Rechtsvorschriften enthält, die das Gericht missachtet haben soll, und ihm keinerlei Ausführungen beigefügt sind.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point93">93</a>      Aus Art. 256 AEUV, Art. 58 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union sowie Art. 168 Abs. 1 Buchst. d und Art. 169 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs geht indes hervor, dass ein Rechtsmittel die beanstandeten Teile des Urteils, dessen Aufhebung beantragt wird, sowie die rechtlichen Argumente, die diesen Antrag speziell stützen, genau bezeichnen muss (Urteil vom 4. Juli 2000, Bergaderm und Goupil/Kommission, C‑352/98 P, EU:C:2000:361, Rn. 34).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point94">94</a>      Zudem genügen nach ständiger Rechtsprechung die Teile eines Rechtsmittels, die keine Ausführungen zur Bezeichnung eines Rechtsfehlers enthalten, mit dem das angefochtene Urteil behaftet sein soll, diesem Erfordernis nicht und sind folglich als offensichtlich unzulässig zurückzuweisen (Beschluss vom 24. November 2016, Petraitis/Kommission, C‑137/16 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:904, Rn. 17).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point95">95</a>      Demnach ist der vierte Rechtsmittelgrund als unzulässig und somit das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Kosten</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point96">96</a>      Nach Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist. Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der gemäß deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point97">97</a>      Nach Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, tragen die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point98">98</a>      Da die ECHA die Verurteilung von Deza zur Tragung der Kosten beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind Deza die Kosten aufzuerlegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point99">99</a>      Das Königreich Dänemark und das Königreich Schweden tragen ihre eigenen Kosten.</p>
<p class="C41DispositifIntroduction">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:</p>
<p class="C08Dispositif">1.      <b>Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.</b>
</p>
<p class="C08Dispositif">2.      <b>Die Deza, a.s. trägt neben ihren eigenen Kosten die Kosten der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA).</b>
</p>
<p class="C08Dispositif">3.      <b>Das Königreich Dänemark und das Königreich Schweden tragen ihre eigenen Kosten.</b>
</p>
<p class="C77Signatures">Unterschriften</p>
<hr/>
<p class="C42FootnoteLangue">
<a href="#Footref*" name="Footnote*">*</a>      Verfahrenssprache: Tschechisch.</p>
|
175,031 | eugh-2019-01-23-c-38717 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-387/17 | 2019-01-23T00:00:00 | 2019-01-31T19:20:52 | 2019-01-31T19:20:52 | Urteil | ECLI:EU:C:2019:51 | <p>Vorläufige Fassung</p>
<p class="C19Centre">URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)</p>
<p class="C19Centre">23. Januar 2019(<a href="#Footnote*" name="Footref*">*</a>)</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Staatliche Beihilfen – Bestehende Beihilfen und neue Beihilfen – Einstufung – Verordnung (EG) Nr. 659/1999 – Art. 1 Buchst. b Ziff. iv und v – Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes – Anwendbarkeit – Beihilfen, die vor der Liberalisierung eines ursprünglich dem Wettbewerb entzogenen Marktes eingeführt wurden – Schadensersatzklage eines Wettbewerbers der von den Beihilfen begünstigten Gesellschaft gegen den Mitgliedstaat“</p>
<p class="C02AlineaAltA">In der Rechtssache C‑387/17</p>
<p class="C02AlineaAltA">betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien) mit Entscheidung vom 10. April 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Juni 2017, in dem Verfahren</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Presidenza del Consiglio dei Ministri</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">gegen</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Fallimento Traghetti del Mediterraneo SpA</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">erlässt</p>
<p class="C19Centre">DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Mitwirkung der Vizepräsidentin des Gerichtshofs R. Silva de Lapuerta in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer sowie der Richter A. Arabadjiev (Berichterstatter), E. Regan, C. G. Fernlund und S. Rodin,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Generalanwalt: N. Wahl,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. Juni 2018,</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Berücksichtigung der Erklärungen</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Fallimento Traghetti del Mediterraneo SpA, vertreten durch M. Contaldi, P. Canepa, V. Roppo und S. Sardano, avvocati,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. De Bellis, avvocato dello Stato,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der französischen Regierung, vertreten durch J. Bousin, P. Dodeller, D. Colas und R. Coesme als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Stancanelli und D. Recchia als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C02AlineaAltA">nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. September 2018</p>
<p class="C02AlineaAltA">folgendes</p>
<p class="C75Debutdesmotifs">
<b>Urteil</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point1">1</a>        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Buchst. b Ziff. iv und v der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel [108 AEUV] (ABl. 1999, L 83, S. 1), Art. 93 Abs. 3 des EWG-Vertrags (nach Änderung Art. 88 Abs. 3 EG, jetzt Art. 108 Abs. 3 AEUV) sowie der Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point2">2</a>        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Presidenza del Consiglio dei Ministri (Präsidentschaft des Ministerrats, Italien) und der Fallimento Traghetti del Mediterraneo SpA (im Folgenden: FTDM) über eine Klage auf Ersatz des Schadens, der dieser Gesellschaft nach ihrem Vorbringen durch die in den Jahren 1976 bis 1980 erfolgte Gewährung von Zuschüssen an die Tirrenia di Navigazione SpA (im Folgenden: Tirrenia), ein mit FTDM im Wettbewerb stehendes Unternehmen, entstanden ist.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Unionsrecht</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point3">3</a>        Art. 1 („Definitionen“) der Verordnung Nr. 659/1999 bestimmte:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      ‚bestehende Beihilfen‘</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C11Marge1avecretrait">iv)      Beihilfen, die gemäß Artikel 15 als bereits bestehende Beihilfen gelten;</p>
<p class="C11Marge1avecretrait">v)      Beihilfen, die als bestehende Beihilfen gelten, weil nachgewiesen werden kann, dass sie zu dem Zeitpunkt, zu dem sie eingeführt wurden, keine Beihilfe waren und später aufgrund der Entwicklung des Gemeinsamen Marktes zu Beihilfen wurden, ohne dass sie eine Änderung durch den betreffenden Mitgliedstaat erfahren haben. Werden bestimmte Maßnahmen im Anschluss an die Liberalisierung einer Tätigkeit durch gemeinschaftliche Rechtsvorschriften zu Beihilfen, so gelten derartige Maßnahmen nach dem für die Liberalisierung festgelegten Termin nicht als bestehende Beihilfen;</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point4">4</a>        Art. 15 („Frist“) dieser Verordnung sah vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Die Befugnisse der Kommission zur Rückforderung von Beihilfen gelten für eine Frist von zehn Jahren.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem die rechtswidrige Beihilfe dem Empfänger entweder als Einzelbeihilfe oder im Rahmen einer Beihilferegelung gewährt wird. Jede Maßnahme, die die Kommission oder ein Mitgliedstaat auf Antrag der Kommission bezüglich der rechtswidrigen Beihilfe ergreift, stellt eine Unterbrechung der Frist dar. Nach jeder Unterbrechung läuft die Frist von neuem an. Die Frist wird ausgesetzt, solange die Entscheidung der Kommission Gegenstand von Verhandlungen vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ist.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)      Jede Beihilfe, für die diese Frist ausgelaufen ist, gilt als bestehende Beihilfe.“</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Italienisches Recht</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point5">5</a>        Die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zuschüsse wurden Tirrenia, einem mit FTDM im Wettbewerb stehenden Unternehmen, gemäß der Legge n. 684 – Ristrutturazione dei servizi maritimi di preminente interesse nazionale (Gesetz Nr. 684 über die Umstrukturierung von Schifffahrtsunternehmen von herausragender nationaler Bedeutung) vom 20. Dezember 1974 (GURI Nr. 336 vom 24. Dezember 1974, im Folgenden: Gesetz Nr. 684) gewährt. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point6">6</a>        Art. 7 des Gesetzes Nr. 684 sieht Folgendes vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Der Minister für die Handelsmarine kann im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen und dem Minister für die staatlichen Beteiligungen durch entsprechende jährliche Vereinbarung Zuschüsse für die Erbringung der im vorstehenden Artikel genannten Dienstleistungen gewähren.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Durch die Zuschüsse gemäß Abs. 1 ist innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren ein wirtschaftlich ausgeglichener Betrieb der Dienste zu gewährleisten; vorläufig sind die Zuschüsse auf der Grundlage der Nettoerträge, der Abschreibungen auf das Anlagevermögen, der Kosten des laufenden Betriebs, der Verwaltungskosten sowie der Finanzierungskosten zu veranschlagen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point7">7</a>        Art. 8 des Gesetzes Nr. 684 bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Fährverbindungen zu den größeren und kleineren Inseln gemäß Art. 1 Buchst. c sowie die möglichen technisch oder wirtschaftlich erforderlichen Verlängerungen müssen die Erfüllung der mit der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der betroffenen Regionen und insbesondere des Mezzogiorno verbundenen Anforderungen gewährleisten.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Der Minister für die Handelsmarine kann daher im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen und dem Minister für die staatlichen Beteiligungen durch entsprechende Vereinbarung Zuschüsse mit einer Laufzeit von 20 Jahren gewähren.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point8">8</a>        Art. 9 des Gesetzes Nr. 684 lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„In der Vereinbarung gemäß vorstehendem Artikel sind anzugeben:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      die Liste der zu gewährleistenden Verbindungen,</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      die Häufigkeit jeder Verbindung,</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">3.      die jeder Verbindung zuzuteilenden Schiffstypen,</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">4.      der Zuschuss, der auf der Grundlage der Nettoerträge, der Abschreibungen auf das Anlagevermögen, der Kosten des laufenden Betriebs, der Verwaltungskosten und der Finanzierungskosten festzusetzen ist.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Spätestens zum 30. Juni jeden Jahres wird der Zuschuss für das laufende Jahr angepasst, wenn sich im vorangegangenen Jahr mindestens eine der in der Vereinbarung angegebenen wirtschaftlichen Komponenten um mehr als ein Zwanzigstel des Wertes geändert hat, der bei Festsetzung des vorangegangenen Zuschusses für diesen Posten zugrunde gelegt worden ist.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point9">9</a>        Art. 18 des Gesetzes Nr. 684 lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die durch Anwendung dieses Gesetzes entstehenden Kosten werden in Höhe von 93 Mrd. Lire durch die bereits in Kapitel 3061 des Ausgabenvoranschlags des Ministeriums der Handelsmarine für das Haushaltsjahr 1975 ausgewiesenen Mittel sowie durch die in den entsprechenden Kapiteln für die folgenden Haushaltsjahre ausgewiesenen Mittel gedeckt.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point10">10</a>      Art. 19 des Gesetzes Nr. 684 lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Bis zur Genehmigung der in diesem Gesetz vorgesehenen Vereinbarungen verfügt der Minister für die Handelsmarine im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen monatlich nachschüssige Abschlagszahlungen, die zusammen 90 % des in Art. 18 genannten Gesamtbetrags nicht übersteigen.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point11">11</a>      Nach Art. 7 des Dekrets des Präsidenten der Republik Nr. 501 vom 1. Juni 1979 (GURI Nr. 285 vom 18. Oktober 1979), das zur Durchführung des Gesetzes Nr. 684 erlassen wurde, werden die Abschlagszahlungen im Sinne von Art. 19 dieses Gesetzes bis zur Registrierung neuer Vereinbarungen durch die Corte dei conti (Rechnungshof, Italien) an Unternehmen von herausragender nationaler Bedeutung gezahlt.</p>
<p class="C04Titre1"> Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point12">12</a>      Wie aus den Urteilen vom 13. Juni 2006, Traghetti del Mediterraneo (C‑173/03, EU:C:2006:391), und vom 10. Juni 2010, Fallimento Traghetti del Mediterraneo (C‑140/09, EU:C:2010:335), hervorgeht, handelt es sich bei FTDM und Tirrenia um zwei Seeschifffahrtsunternehmen, die in den Siebzigerjahren regelmäßige Fährverbindungen zwischen dem italienischen Festland und den Inseln Sardinien und Sizilien unterhielten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point13">13</a>      Im Verlauf des Jahres 1981 verklagte FTDM Tirrenia beim Tribunale di Napoli (Gericht Neapel, Italien) auf Ersatz des Schadens, der ihr zwischen 1976 und 1980 aufgrund der von Tirrenia angewandten Niedrigpreispolitik entstanden sein soll. Tirrenia habe ihre beherrschende Stellung auf dem fraglichen Markt missbraucht, indem sie dank der Zahlung unionsrechtswidriger staatlicher Zuschüsse weit unter dem Gestehungspreis liegende Preise angewandt habe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point14">14</a>      Die Klage von FTDM wurde mit Urteil des Tribunale di Napoli (Gericht Neapel) vom 26. Mai 1993 abgewiesen, das mit Urteil der Corte d’appello di Napoli (Appellationsgerichtshof Neapel, Italien) vom 13. Dezember 1996 bestätigt wurde.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point15">15</a>      Das dagegen eingelegte Rechtsmittel des Insolvenzverwalters von FTDM, die sich inzwischen in Liquidation befand, wurde mit Urteil der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien) vom 19. April 2000 zurückgewiesen, die es insbesondere ablehnte, dem Antrag des Rechtsmittelführers nachzukommen, dem Gerichtshof Fragen zur Vereinbarkeit des Gesetzes Nr. 684 mit dem Unionsrecht vorzulegen, da die Entscheidung der Tatsachenrichter die einschlägigen Vorschriften beachte und mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs im Einklang stehe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point16">16</a>      Mit Schriftsatz vom 15. April 2002 verklagte der Insolvenzverwalter von FTDM den italienischen Staat beim Tribunale di Genova (Gericht Genua, Italien) und machte die Haftung dieses Staates unter verschiedenen Gesichtspunkten geltend: in seiner Gesetzgebungsfunktion, weil er nach Maßgabe des Gesetzes Nr. 684 mit dem EWG-Vertrag unvereinbare Beihilfen gewährt habe, in seiner Rechtsprechungsfunktion, weil er mit dem Urteil der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof) vom 19. April 2000 der Verpflichtung, den Gerichtshof mit Vorlagefragen zur Vereinbarkeit des Gesetzes Nr. 684 mit dem Unionsrecht zu befassen, nicht nachgekommen sei, und schließlich in seiner Verwaltungsfunktion, weil er es unterlassen habe, die Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof) über die Eröffnung eines Vertragsverletzungsverfahrens vor der Europäischen Kommission in Bezug auf dieses Gesetz zu unterrichten, und damit die Verpflichtungen zur loyalen Zusammenarbeit mit den europäischen Organen verletzt habe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point17">17</a>      FTDM beantragte, den italienischen Staat zu verurteilen, an sie zum Ersatz des ihr entstandenen Schadens 9 240 000 Euro zu zahlen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point18">18</a>      Am 14. April 2003 befasste das Tribunale di Genova (Gericht Genua) den Gerichtshof mit einem Vorabentscheidungsersuchen. Daraufhin erging das Urteil vom 13. Juni 2006, Traghetti del Mediterraneo (C‑173/03, EU:C:2006:391).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point19">19</a>      Im Anschluss an dieses Urteil stellte das Tribunale di Genova (Gericht Genua) mit Urteil vom 27. Februar 2009 fest, „dass der Staat in Ausübung der Gerichtsbarkeit eine Rechtsverletzung begangen [hat]“, und verfügte mit gesondertem Beschluss die Fortsetzung des Verfahrens bezüglich des Antrags auf Ersatz des wegen dieser Rechtsverletzung entstandenen Schadens. In diesem Verfahrensstadium rief das Gericht, das Zweifel an der Auslegung des Unionsrechts über staatliche Beihilfen hatte, den Gerichtshof erneut an.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point20">20</a>      Mit Urteil vom 10. Juni 2010, Fallimento Traghetti del Mediterraneo (C‑140/09, EU:C:2010:335), entschied der Gerichtshof, dass „[d]as Unionsrecht … dahin auszulegen [ist], dass Zuschüsse, die unter den das Ausgangsverfahren kennzeichnenden Umständen aufgrund nationaler Rechtsvorschriften gezahlt werden, die vor der Genehmigung einer Vereinbarung Abschlagszahlungen vorsehen, staatliche Beihilfen darstellen, wenn diese Zuschüsse geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, und den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen; dies zu prüfen ist Sache des nationalen Gerichts“.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point21">21</a>      Mit Urteil vom 30. Juli 2012 verurteilte das Tribunale di Genova (Gericht Genua) die Präsidentschaft des Ministerrats zur Zahlung von 2 330 355,78 Euro zuzüglich monetären Wertverlustausgleichs und der gesetzlichen Zinsen an FTDM als Ersatz für den aufgrund des rechtswidrigen Verhaltens des Staates in seiner Rechtsprechungsfunktion entstandenen Schaden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point22">22</a>      Gegen diese Entscheidung legten die Präsidentschaft des Ministerrats Berufung und FTDM Anschlussberufung ein.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point23">23</a>      Mit Urteil vom 24. Juli 2014 hob die Corte di appello di Genova (Appellationsgerichtshof Genua, Italien) das Urteil auf und entschied in der Sache.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point24">24</a>      Dieses Gericht wies die auf die Haftung des italienischen Staates in seiner Rechtsprechungs- und Verwaltungsfunktion gestützten Schadensersatzanträge von FTDM zurück, gab gleichzeitig aber dem auf die Haftung des Staates in seiner Gesetzgebungsfunktion gestützten Schadensersatzantrag aufgrund der Verabschiedung des Gesetzes Nr. 684 durch das italienische Parlament statt. Es verurteilte den Staat folglich, an FTDM zum Ersatz des dieser Gesellschaft entstandenen Schadens 2 330 355,78 Euro zuzüglich des monetären Wertausgleichs und der gesetzlichen Zinsen zu zahlen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point25">25</a>      Die Corte di appello di Genova (Appellationsgerichtshof Genua) ging insbesondere davon aus, dass die Tirrenia gewährten Zuschüsse geeignet gewesen seien, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, da „aufgrund der geografischen Nähe auf den von Tirrenia bedienten Routen Beförderer anderer Mitgliedstaaten (insbesondere [des Königreichs Spanien] und der [Französischen Republik]) hätten tätig werden können, die jedoch im Vergleich zu Tirrenia abschreckende Bedingungen vorgefunden hätten“.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point26">26</a>      Zudem sei von der Kommission in der Entscheidung 2001/851/EWG vom 21. Juni 2001 über eine staatliche Beihilfe Italiens zugunsten der Seeverkehrsgesellschaft Tirrenia di Navigazione (ABl. 2001, L 318, S. 9) festgestellt worden, dass Betreiber aus anderen Mitgliedstaaten auf den von Tirrenia bedienten Strecken präsent gewesen seien.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point27">27</a>      Außerdem fielen die in den fraglichen Jahren geleisteten Zuschüsse in Anbetracht ihres hohen Wertes, nämlich etwa 400 Mrd. italienische Lire (ITL), und des Umstands, dass Tirrenia auch internationale Verbindungen betreibe, unter die Verbotsregelung sogenannter Quersubventionen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point28">28</a>      Unter diesen Umständen war die Corte d’appello di Genova (Appellationsgerichtshof Genua) der Auffassung, die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden staatlichen Beihilfen seien, da sie nicht vor Inkrafttreten des Vertrags zur Gründung des EWG-Vertrags gewährt worden seien, als neue Beihilfen anzusehen, die der Anmeldepflicht gemäß Art. 93 Abs. 3 des EWG-Vertrags unterlägen, so dass – mangels einer solchen Anmeldung – ein Verstoß gegen Unionsrecht vorliege.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point29">29</a>      Die Präsidentschaft des Ministerrats legte gegen dieses Urteil Kassationsbeschwerde beim vorlegenden Gericht ein und machte u. a. geltend, dass die Tirrenia gewährten Zuschüsse fälschlicherweise als neue Beihilfen und nicht als bestehende Beihilfen eingestuft worden seien.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point30">30</a>      Das vorlegende Gericht weist zunächst darauf hin, dass bei der rechtlichen Einstufung einer im Kontext eines nicht liberalisierten Marktes gezahlten staatlichen Beihilfe wie der im Ausgangsverfahren fraglichen als bestehende oder neue Beihilfe die zeitliche Anwendbarkeit von Art. 1 Buchst. b Ziff. v der Verordnung Nr. 659/1999 sowie sein Anwendungsbereich zu prüfen seien.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point31">31</a>      Sodann hebt dieses Gericht die Bedeutung eines der Merkmale des betreffenden Marktes hervor, nämlich seine fehlende Liberalisierung. So vertritt es die Ansicht, das Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften habe in Rn. 143 seines Urteils vom 15. Juni 2000, Alzetta u. a./Kommission (T‑298/97, T‑312/97, T‑313/97, T‑315/97, T‑600/97 bis T‑607/97, T‑1/98, T‑3/98 bis T‑6/98 und T‑23/98, EU:T:2000:151), einen Grundsatz aufgestellt, wonach eine Beihilferegelung für einen Markt, der ursprünglich dem Wettbewerb entzogen gewesen sei, bei der Liberalisierung dieses Marktes als bereits bestehende Beihilferegelung anzusehen sei. Dieser Grundsatz sei überdies vom Gerichtshof in den Rn. 66 bis 69 des Urteils vom 29. April 2004, Italien/Kommission (C‑298/00 P, EU:C:2004:240), bestätigt worden. Daher sei bei der rechtlichen Einstufung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zuschüsse als bestehende oder neue Beihilfen auch der Anwendungsbereich des genannten Grundsatzes zu prüfen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point32">32</a>      Das vorlegende Gericht bemerkt allerdings auch, dass sich aus einer Reihe die Unternehmen der Gruppo Tirrenia di Navigazione betreffender Rechtssachen, in denen das Urteil des Gerichtshofs vom 10. Mai 2005, Italien/Kommission (C‑400/99, EU:C:2005:275), sowie die Urteile des Gerichts vom 20. Juni 2007, Tirrenia di Navigazione u. a./Kommission (T‑246/99, nicht veröffentlicht, EU:T:2007:186), und vom 4. März 2009, Tirrenia di Navigazione u. a./Kommission (T‑265/04, T‑292/04 und T‑504/04, nicht veröffentlicht, EU:T:2009:48), ergangen seien, ergebe, dass die fehlende Liberalisierung des Marktes für Seekabotage für die Einstufung einiger der in diesen Rechtssachen in Rede stehenden Maßnahmen als bestehende Beihilfen für irrelevant erachtet worden sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point33">33</a>      Schließlich wirft das vorlegende Gericht die Frage nach der Anwendbarkeit von Art. 1 Buchst. b Ziff. iv in Verbindung mit Art. 15 der Verordnung Nr. 659/1999 auf Zuschüsse auf, die vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung gewährt wurden. Aus dem Urteil vom 16. April 2015, Trapeza Eurobank Ergasias (C‑690/13, EU:C:2015:235), ergebe sich, dass diese Bestimmungen auf Sachverhalte anwendbar sein könnten, die vor dem Inkrafttreten der Verordnung lägen. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point34">34</a>      Unter diesen Umständen hat die Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Findet zur Einstufung dieser Beihilfen (als „bestehende“ und daher nicht „neue“) Art. 1 Buchst. b Ziff. v der Verordnung Nr. 659/1999 Anwendung (worin es heißt: „Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck ,bestehende Beihilfen‘ … v] Beihilfen, die als bestehende Beihilfen gelten, weil nachgewiesen werden kann, dass sie zu dem Zeitpunkt, zu dem sie eingeführt wurden, keine Beihilfe waren und später aufgrund der Entwicklung des Gemeinsamen Marktes zu Beihilfen wurden, ohne dass sie eine Änderung durch den betreffenden Mitgliedstaat erfahren haben. Werden bestimmte Maßnahmen im Anschluss an die Liberalisierung einer Tätigkeit durch gemeinschaftliche Rechtsvorschriften zu Beihilfen, so gelten derartige Maßnahmen nach dem für die Liberalisierung festgelegten Termin nicht als bestehende Beihilfen“), und falls ja, wie? Oder findet der Grundsatz (formal anderer Tragweite als der genannte positivrechtliche Grundsatz) Anwendung – und falls ja, wie –, den das Gericht mit Urteil vom 15. Juni 2000, Alzetta u. a./Kommission (T‑298/97, T‑312/97, T‑313/97, T‑315/97, T‑600/97 bis T‑607/97, T‑1/98, T‑3/98 bis T‑6/98 und T‑23/98, EU:T:2000:151, Rn. 143), aufgestellt hat, das – soweit für die hier zu erlassende Entscheidung relevant – vom Gerichtshof mit Urteil vom 29. April 2004, Italien/Kommission (C‑298/00 P, EU:C:2004:240, Rn. 66 bis 69), bestätigt worden ist und dem zufolge „eine Beihilferegelung für einen Markt, der ursprünglich dem Wettbewerb entzogen war, bei der Liberalisierung dieses Marktes als bereits bestehende Beihilferegelung anzusehen [ist], weil sie zum Zeitpunkt ihrer Einführung nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 92 Absatz 1 EWG-Vertrag [später Art. 87 Abs. 1 EG-Vertrag, jetzt Art. 107 Abs. 1 AEUV] fiel, der wegen der in ihm genannten Voraussetzungen, nämlich der Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten und der Auswirkung auf den Wettbewerb, nur für die dem Wettbewerb geöffneten Wirtschaftszweige gilt“?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Findet zur Einstufung der genannten Beihilfen Art. 1 Buchst. b Ziff. iv der Verordnung Nr. 659/1999 Anwendung – und falls ja, wie –, nach dem diejenigen Beihilfen „bestehende“ sind, „die gemäß Artikel 15 als bereits bestehende Beihilfen gelten“, wobei dieser Art. 15 für die Rückforderung rechtswidrig gewährter Beihilfen eine Verjährungsfrist von zehn Jahren bestimmt? Oder finden die vom Gerichtshof wiederholt bestätigten Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit Anwendung – und falls ja, wie (analog dem in der angeführten positivrechtlichen Vorschrift ausgedrückten Grundsatz oder nicht)?</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Zu den Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur ersten Frage</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point35">35</a>      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Zuschüsse wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die einem Unternehmen vor der Liberalisierung des betreffenden Marktes gewährt wurden, allein aus dem Grund als bestehende Beihilfen eingestuft werden können, dass dieser Markt zum Zeitpunkt ihrer Gewährung nicht förmlich liberalisiert war.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point36">36</a>      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die Einstufung einer nationalen Maßnahme als staatliche Beihilfe verlangt, dass alle folgenden Voraussetzungen erfüllt sind. Erstens muss es sich um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handeln. Zweitens muss die Maßnahme geeignet sein, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Drittens muss dem Begünstigten durch sie ein selektiver Vorteil gewährt werden. Viertens muss sie den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen (vgl. Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 53).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point37">37</a>      Dies vorausgeschickt ist zu prüfen, ob die betreffenden Zuschüsse in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, in der der betreffende Markt noch nicht förmlich für den Wettbewerb geöffnet war, zum Zeitpunkt ihrer Gewährung staatliche Beihilfen darstellten, weil sie den Voraussetzungen einer Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten und einer Verfälschung des Wettbewerbs entsprachen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point38">38</a>      Eine staatliche Beihilfe kann zwar grundsätzlich als bestehend verstanden werden, wenn festzustellen ist, dass sie zum Zeitpunkt ihrer Durchführung, u. a. wegen der fehlenden Liberalisierung auf dem betreffenden Markt, keine Beihilfe darstellte. Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass durch eine solche fehlende Liberalisierung nicht zwingend ausgeschlossen wird, dass eine Beihilfemaßnahme geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und den Wettbewerb zu verfälschen oder zu verfälschen zu drohen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Juni 2010, Fallimento Traghetti del Mediterraneo, C‑140/09, EU:C:2010:335, Rn. 49).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point39">39</a>      Eine Beihilfe ist nämlich auch dann geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und den Wettbewerb zu verfälschen oder zu verfälschen zu drohen, wenn der betreffende Markt dem Wettbewerb nur teilweise geöffnet ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point40">40</a>      Es genügt, dass auf dem betreffenden Markt bei Einführung einer Beihilfemaßnahme eine tatsächliche Wettbewerbssituation besteht, damit eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und den Wettbewerb zu verfälschen oder zu verfälschen zu drohen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point41">41</a>      Im vorliegenden Fall lässt sich, wie der Generalanwalt in Nr. 67 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, anhand des Umstands, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Seekabotagemarkt erst weit nach Zahlung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zuschüsse im Verordnungswege liberalisiert wurde, nicht ausschließen, dass diese Zuschüsse vor der Liberalisierung Beihilfen darstellten, die die in Rn. 36 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen erfüllen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point42">42</a>      Wie sich aus Rn. 50 des Urteils vom 10. Juni 2010, Fallimento Traghetti del Mediterraneo (C‑140/09, EU:C:2010:335), ergibt, kann weder ausgeschlossen werden, dass Tirrenia auf den fraglichen Binnenlinien im Wettbewerb zu Unternehmen anderer Mitgliedstaaten stand, noch, dass sie auf internationalen Linien mit solchen Unternehmen konkurrierte, noch dass mangels einer getrennten Buchführung für ihre verschiedenen Tätigkeiten die Gefahr von Quersubventionierungen bestand, d. h. die Gefahr, dass die Einnahmen aus ihrer Kabotagetätigkeit, für die die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zuschüsse vergeben worden sind, zugunsten ihrer Tätigkeit auf den internationalen Linien verwendet worden sind.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point43">43</a>      Daher lässt sich der dem Gerichtshof vorliegenden Akte entnehmen, dass der betreffende Markt, auch wenn er zur Zeit des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens nicht förmlich liberalisiert war, offensichtlich ein Wettbewerbsmarkt war und dass die Tirrenia gewährten Zuschüsse dazu geeignet waren, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und den Wettbewerb zu verfälschen oder zu verfälschen zu drohen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point44">44</a>      Unter diesen Voraussetzungen ist davon auszugehen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zuschüsse, soweit sie wegen Erfüllung aller hierzu erforderlichen Kriterien, insbesondere des Kriteriums, dass sie geeignet waren, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und den Wettbewerb zu verfälschen oder zu verfälschen zu drohen – was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist –, zum Zeitpunkt ihrer Gewährung unter den Begriff der „staatlichen Beihilfe“ fielen, grundsätzlich nicht allein aus dem Grund als bestehende Beihilfen eingestuft werden können, dass der betreffende Markt nicht förmlich liberalisiert war.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point45">45</a>      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Zuschüsse wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die einem Unternehmen vor der Liberalisierung des betreffenden Marktes gewährt wurden, wenn sie geeignet waren, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und den Wettbewerb zu verfälschen oder zu verfälschen zu drohen, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist, nicht allein aus dem Grund als bestehende Beihilfen eingestuft werden können, dass dieser Markt zum Zeitpunkt ihrer Gewährung nicht förmlich liberalisiert war.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur zweiten Frage</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point46">46</a>      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art. 1 Buchst. b Ziff. iv der Verordnung Nr. 659/1999 für die Einstufung der fraglichen Zuschüsse als bestehende Beihilfen oder als neue Beihilfen anzuwenden ist oder ob die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit als Grundlage heranzuziehen sind.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point47">47</a>      Zunächst ist zur Anwendbarkeit von Art. 1 Buchst. b Ziff. iv der Verordnung Nr. 659/1999 in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden erstens festzustellen, dass der in dieser Bestimmung genannte Begriff der „bestehenden Beihilfen“ offenbar eng mit der Rolle sowie den Aufgaben und den spezifischen, der Kommission im Rahmen des Systems zur Kontrolle staatlicher Beihilfen verliehenen Befugnissen verknüpft ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point48">48</a>      Insoweit ist zu beachten, dass der Ausdruck „bestehende Beihilfen“ nach dieser Bestimmung Beihilfen bezeichnet, die gemäß Art. 15 der Verordnung Nr. 659/1999 als bestehende Beihilfen gelten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point49">49</a>      Gemäß Art. 15 Abs. 3 der Verordnung gilt jede Beihilfe, für die die Frist von zehn Jahren ausgelaufen ist, als bestehende Beihilfe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point50">50</a>      Art. 15 Abs. 2 der Verordnung sieht seinerseits vor, dass jede Maßnahme, die die Kommission oder ein Mitgliedstaat auf Antrag der Kommission bezüglich einer rechtswidrigen Beihilfe ergreift, eine Unterbrechung der Frist darstellt und dass die Frist nach jeder Unterbrechung von Neuem anläuft.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point51">51</a>      Aus dem Wortlaut dieser Bestimmungen ergibt sich, dass die Einstufung einer staatlichen Beihilfe als bestehende Beihilfe im Sinne von Art. 1 Buchst. b Ziff. iv der Verordnung grundsätzlich von der Frage abhängt, ob die Kommission innerhalb der Verjährungsfrist Maßnahmen hinsichtlich der betreffenden Beihilfe ergriffen hat.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point52">52</a>      Nach Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 gelten die Befugnisse der Kommission zur Rückforderung staatlicher Beihilfen ihrerseits für eine Frist von zehn Jahren.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point53">53</a>      Zweitens ist hervorzuheben, dass den nationalen Gerichten im Rahmen des Systems zur Kontrolle staatlicher Beihilfen eine besondere Rolle zukommt und sie gegenüber der Kommission über einen gewissen Grad an Unabhängigkeit verfügen, insbesondere, wenn sie mit einer Schadensersatzklage befasst werden und keine Entscheidung der Kommission vorliegt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point54">54</a>      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs obliegt die Durchführung dieses Kontrollsystems zum einen der Kommission und zum anderen den nationalen Gerichten, wobei ihnen ergänzende, aber unterschiedliche Rollen zufallen (Urteil vom 21. November 2013, Deutsche Lufthansa, C‑284/12, EU:C:2013:755, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point55">55</a>      Insbesondere ist die Kommission unter der Kontrolle der Unionsgerichte für die Beurteilung der Vereinbarkeit von Beihilfemaßnahmen mit dem Gemeinsamen Markt ausschließlich zuständig; demgegenüber wachen die nationalen Gerichte über die Wahrung der Rechte des Einzelnen bei Verstößen gegen die Verpflichtung aus Art. 93 Abs. 3 EWG-Vertrag, staatliche Beihilfen der Kommission im Voraus zu melden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Oktober 2006, Transalpine Ölleitung in Österreich, C‑368/04, EU:C:2006:644, Rn. 38).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point56">56</a>      Die nationalen Gerichte können in Erfüllung ihrer Aufgabe dazu gehalten sein, Klagen auf Ersatz von Schäden stattzugeben, die den Wettbewerbern des Begünstigten durch eine rechtswidrige staatliche Beihilfe entstanden sind.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point57">57</a>      Die nationalen Gerichte genießen nämlich, wie der Generalanwalt in den Nrn. 82 bis 84 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, im Rahmen solcher Schadensersatzklagen bei der Ausübung ihrer Funktionen der Wahrung der Rechte des Einzelnen eine gewisse Unabhängigkeit im Verhältnis zu Maßnahmen der Kommission, so dass Schadensersatz grundsätzlich unabhängig davon gefordert werden kann, ob die in Rede stehende Beihilfemaßnahme zugleich Gegenstand einer Untersuchung der Kommission ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point58">58</a>      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs kann dabei die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens für staatliche Beihilfen die nationalen Gerichte nicht von ihrer Verpflichtung entbinden, die Rechte der Einzelnen gegenüber einem eventuellen Verstoß gegen Art. 93 Abs. 3 EWG-Vertrag zu schützen (Urteil vom 21. November 2013, Deutsche Lufthansa, C‑284/12, EU:C:2013:755, Rn. 32).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point59">59</a>      Ebenso ist zum Grad der Unabhängigkeit der nationalen Gerichte darauf hinzuweisen, dass eine Entscheidung der Kommission, mit der eine nicht angemeldete Beihilfe für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt wird, nicht die Heilung der unter Verstoß gegen das Verbot von Art. 93 Abs. 3 EWG-Vertrag ergangenen und deshalb ungültigen Durchführungsmaßnahmen zur Folge hat, da sie andernfalls die unmittelbare Wirkung dieser Vorschrift beeinträchtigen und die Interessen der Einzelnen, deren Wahrung Aufgabe der nationalen Gerichte ist, verletzen würde. Jede andere Auslegung würde die Missachtung dieser Vorschrift durch den betreffenden Mitgliedstaat begünstigen und der Vorschrift ihre praktische Wirksamkeit nehmen (Urteil vom 5. Oktober 2006, Transalpine Ölleitung in Österreich, C‑368/04, EU:C:2006:644, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point60">60</a>      Gelingt einem Kläger vor dem nationalen Gericht der Nachweis, dass er einen Schaden erlitten hat, der durch das vorzeitige Wirksamwerden einer staatlichen Beihilfe und, genauer, durch den rechtswidrigen zeitlichen Vorteil entstanden ist, den der Begünstigte daraus gezogen hat, so kann der Schadensersatzklage folglich auch dann stattgegeben werden, wenn die Kommission die betreffende Beihilfe im Zeitpunkt der Entscheidung des nationalen Gerichts über die Klage bereits genehmigt haben sollte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point61">61</a>      Aus den in den Rn. 47 bis 60 des vorliegenden Urteils aufgeführten Erwägungen ergibt sich in Anbetracht der Rolle, die den nationalen Gerichten im System der Kontrolle der staatlichen Beihilfen zukommt, sowie ihres Grades an Unabhängigkeit im Verhältnis zur Kommission, insbesondere, wenn sie mit einer Schadensersatzklage befasst sind und keine Entscheidung der Kommission vorliegt, dass das Verstreichen der in Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 vorgesehenen Frist von zehn Jahren – wie der Generalanwalt in Nr. 91 seiner Schlussanträge dargelegt hat – lediglich die Befugnisse der Kommission zur Rückforderung staatlicher Beihilfen in zeitlicher Hinsicht beschränkt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point62">62</a>      Daher kann das Verstreichen der in Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 vorgesehenen Frist von zehn Jahren nicht zur Folge haben, dass rechtswidrige Beihilfen allein deshalb, weil sie zu bestehenden Beihilfen im Sinne von Art. 1 Buchst. b Ziff. v werden, rückwirkend legalisiert werden und dadurch einer Schadensersatzklage von Einzelpersonen und durch die Gewährung der rechtswidrigen Beihilfe beeinträchtigten Wettbewerbern gegen den betreffenden Mitgliedstaat jede rechtliche Grundlage entzogen wird.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point63">63</a>      Jede andere Auslegung würde darauf hinauslaufen, den Umfang der Pflicht der Mitgliedstaaten zur Anmeldung von Beihilfemaßnahmen zu verringern und somit Art. 93 Abs. 3 des EWG-Vertrags seine praktische Wirksamkeit zu nehmen, insbesondere wenn diese Bestimmung keinerlei Bezugnahme auf die Rolle, die Aufgaben und die spezifischen Befugnisse der Kommission enthält.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point64">64</a>      Zu den auf das Urteil vom 16. April 2015, Trapeza Eurobank Ergasias, (C‑690/13, EU:C:2015:235), gestützten Zweifeln des vorlegenden Gerichts an der Anwendbarkeit von Art. 1 Buchst. b Ziff. iv der Verordnung Nr. 659/1999 für die Einstufung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zuschüsse als bestehende oder als neue Beihilfen ist hervorzuheben, dass die Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, wie der Generalanwalt in Nr. 102 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, keine Schadensersatzklage betraf, sondern die Frage, ob nationale Vorschriften, mit denen Vorrechte eingeführt worden waren, die mit den Unionsregeln auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen möglicherweise unvereinbar waren, nach Art. 88 Abs. 3 EG anzumelden seien, und, bejahendenfalls, ob diese Vorschriften unangewendet zu lassen seien.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point65">65</a>      Aus dieser Rechtsprechung lässt sich daher kein Argument für die Annahme herleiten, dass die in Art. 1 Buchst. b Ziff. iv der Verordnung Nr. 659/1999 genannte Definition der „bestehenden Beihilfen“ im Rahmen einer Schadensersatzklage wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden anwendbar wäre.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point66">66</a>      Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 659/1999, soweit sie Vorschriften verfahrensrechtlicher Art enthält, die auf alle bei der Kommission anhängigen, staatliche Beihilfen betreffenden Verwaltungsverfahren anwendbar sind, die Praxis der Kommission auf dem Gebiet der Prüfung staatlicher Beihilfen kodifiziert und verstärkt. Sie enthält keine Vorschrift über die Befugnisse und Verpflichtungen der nationalen Gerichte, für die weiter die Bestimmungen des Vertrags in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof gelten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Oktober 2006, Transalpine Ölleitung in Österreich, C‑368/04, EU:C:2006:644, Rn. 34 und 35).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point67">67</a>      Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die Definition des Begriffs der „bestehenden Beihilfen“ in Art. 1 Buchst. b Ziff. iv der Verordnung Nr. 659/1999 nicht für eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende gilt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point68">68</a>      Sodann ist zur Einwendbarkeit des Grundsatzes des Vertrauensschutzes darauf zu verweisen, dass sich niemand auf diesen Grundsatz berufen kann, der gegen das geltende Recht verstoßen hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Juli 2005, ThyssenKrupp/Kommission, C‑65/02 P und C‑73/02 P, EU:C:2005:454, Rn. 41).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point69">69</a>      Diese Feststellung gilt, wie der Generalanwalt in Nr. 109 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, umso mehr gegenüber staatlichen Einrichtungen, die unter Verstoß gegen das in Art. 93 Abs. 3 des EWG-Vertrags vorgesehene Verfahren eine staatliche Beihilfe gewährt haben.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point70">70</a>      Daraus folgt, dass sich staatliche Einrichtungen in Fällen, in denen Zuschüsse unter Verstoß gegen die in Art. 93 Abs. 3 des EWG-Vertrags bestimmte Pflicht zur vorherigen Anmeldung gewährt wurden, nicht auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Dezember 2005, UniCredito Italiano, C‑148/04, EU:C:2005:774, Rn. 104). </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point71">71</a>      Zur Anwendung des Grundsatzes der Rechtssicherheit in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden ist schließlich darauf hinzuweisen, dass Verjährungsfristen allgemein den Zweck erfüllen, Rechtssicherheit zu gewährleisten (Urteil vom 13. Juni 2013, Unanimes u. a., C‑671/11 bis C‑676/11, EU:C:2013:388, Rn. 31). Um ihren Zweck, die Rechtssicherheit zu gewährleisten, zu erfüllen, müssen diese Verjährungsfristen im Voraus festgelegt sein, und jede „entsprechende“ Anwendung einer Verjährungsfrist muss für den Betroffenen hinreichend vorhersehbar sein (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Mai 2011, Ze Fu Fleischhandel und Vion Trading, C‑201/10 und C‑202/10, EU:C:2011:282, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point72">72</a>      Insoweit sind mangels einer einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Regelung die Bestimmung der zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung des Verfahrens für die Klagen, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, Sache der nationalen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten; dabei dürfen freilich diese Bedingungen nicht weniger günstig sein als diejenigen, die Rechte betreffen, die ihren Ursprung in der innerstaatlichen Rechtsordnung haben (Äquivalenzgrundsatz), und sie dürfen die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) (Urteil vom 5. Oktober 2006, Transalpine Ölleitung in Österreich, C‑368/04, EU:C:2006:644, Rn. 45).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point73">73</a>      Somit sind im vorliegenden Fall ausschließlich die Verjährungsregeln des nationalen Rechts in ihrer Auslegung gemäß dem Effektivitäts- und dem Äquivalenzgrundsatz anwendbar.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point74">74</a>      In diesem Zusammenhang stünde eine entsprechende Anwendung der in Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 vorgesehenen Frist von zehn Jahren auf eine Schadensersatzklage, die ein Wettbewerber der von den staatlichen Beihilfen begünstigten Gesellschaft gegen den betreffenden Mitgliedstaat erhoben hat, im Widerspruch zum Grundsatz der Rechtssicherheit.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point75">75</a>      Einem Einzelnen kann nämlich eine in einer Bestimmung festgelegte Verjährungsfrist, die lediglich darauf abzielt, die Befugnisse der Kommission zur Rückforderung staatlicher Beihilfen zeitlich zu begrenzen, nicht entgegengehalten werden. Der Ablauf einer solchen Frist kann der Geltendmachung einer Haftung des Staates für einen Verstoß gegen die in Art. 93 Abs. 3 des EWG-Vertrags vorgesehene Pflicht zur vorherigen Anmeldung vor dem nationalen Gericht nicht entgegenstehen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point76">76</a>      Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 1 Buchst. b Ziff. iv der Verordnung Nr. 659/1999 dahin auszulegen ist, dass er auf eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht anwendbar ist. Soweit die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zuschüsse unter Verstoß gegen die in Art. 93 des EWG-Vertrags bestimmte Pflicht zur vorherigen Anmeldung gewährt wurden, können sich die staatlichen Behörden nicht auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen. In einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, in der ein Wettbewerber der begünstigten Gesellschaft eine Schadensersatzklage gegen den Mitgliedstaat erhoben hat, darf nach dem Grundsatz der Rechtssicherheit dem Kläger nicht in entsprechender Anwendung eine Verjährungsfrist wie die in Art. 15 Abs. 1 dieser Verordnung festgesetzte entgegengehalten werden.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Kosten</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point77">77</a>      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.</p>
<p class="C41DispositifIntroduction">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:</p>
<p class="C08Dispositif">1.      <b>Zuschüsse wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die einem Unternehmen vor der Liberalisierung des betreffenden Marktes gewährt wurden, können, wenn sie geeignet waren, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und den Wettbewerb zu verfälschen oder zu verfälschen zu drohen, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist, nicht allein aus dem Grund als bestehende Beihilfen eingestuft werden, dass dieser Markt zum Zeitpunkt ihrer Gewährung nicht förmlich liberalisiert war.</b>
</p>
<p class="C08Dispositif">2.      Art. 1 Buchst. b Ziff. iv der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel [108 AEUV] ist dahin auszulegen, <b>dass er auf eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht anwendbar ist.</b><b>Soweit die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zuschüsse unter Verstoß gegen die in Art. 93 des EWG-Vertrags bestimmte Pflicht zur vorherigen Anmeldung gewährt wurden, können sich die staatlichen Behörden nicht auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen. In einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, in der ein Wettbewerber der begünstigten Gesellschaft eine Schadensersatzklage gegen den Mitgliedstaat erhoben hat, darf nach dem Grundsatz der Rechtssicherheit dem Kläger nicht in entsprechender Anwendung eine Verjährungsfrist wie die in Art. 15 Abs. 1 dieser Verordnung festgesetzte entgegengehalten werden.</b>
</p>
<p class="C77Signatures">Unterschriften</p>
<hr/>
<p class="C42FootnoteLangue">
<a href="#Footref*" name="Footnote*">*</a>      Verfahrenssprache: Italienisch.</p>
|
175,030 | eugh-2019-01-23-c-69817 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-698/17 | 2019-01-23T00:00:00 | 2019-01-31T19:20:51 | 2019-01-31T19:20:51 | Urteil | ECLI:EU:C:2019:48 | <p class="C19Centre">URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)</p>
<p class="C19Centre">23. Januar 2019(<a href="#Footnote*" name="Footref*">*</a>)</p>
<p class="C71Indicateur">„Rechtsmittel – Unionsmarke – Verordnung (EG) Nr. 207/2009 – Art. 15 Abs. 1 – Antrag auf Erklärung des Verfalls einer Marke – Dreidimensionale Marke, die die Form eines Ofens darstellt – Ernsthafte Benutzung der Marke – Begründung“</p>
<p class="C02AlineaAltA">In der Rechtssache C‑698/17 P</p>
<p class="C02AlineaAltA">betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 13. Dezember 2017,</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Toni Klement,</b> wohnhaft in Dippoldiswalde (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt J. Weiser,</p>
<p class="C72Alineadroite">Rechtsmittelführer,</p>
<p class="C02AlineaAltA">andere Partei des Verfahrens:</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO),</b> vertreten durch D. Hanf, D. Botis und D. Walicka als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C72Alineadroite">Beklagter im ersten Rechtszug,</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">erlässt</p>
<p class="C19Centre">DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer M. Vilaras in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Dritten Kammer sowie der Richter J. Malenovský, L. Bay Larsen (Berichterstatter), M. Safjan und D. Šváby,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Generalanwalt: M. Szpunar,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Kanzler: A. Calot Escobar,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund des schriftlichen Verfahrens,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,</p>
<p class="C02AlineaAltA">folgendes</p>
<p class="C75Debutdesmotifs">
<b>Urteil</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point1">1</a>        Mit seinem Rechtsmittel beantragt Herr Toni Klement die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 10. Oktober 2017, Klement/EUIPO – Bullerjan (Form eines Ofens) (T‑211/14 RENV, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2017:715), mit dem dieses seine Klage gegen die Entscheidung der Ersten Beschwerdekammer des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) vom 9. Januar 2014 (Sache R 927/2013‑1) zu einem Verfallsverfahren zwischen Herrn Klement und der Bullerjan GmbH (im Folgenden: streitige Entscheidung) abgewiesen hat.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point2">2</a>        Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unionsmarke (ABl. 2009, L 78, S. 1) bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Von der Eintragung ausgeschlossen sind</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      Marken, die keine Unterscheidungskraft haben;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">e)      Zeichen, die ausschließlich bestehen</p>
<p class="C10Marge1">…</p>
<p class="C11Marge1avecretrait">ii)      aus der Form der Ware, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist;</p>
<p class="C10Marge1">…“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point3">3</a>        Art. 15 der Verordnung sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Hat der Inhaber die [Unionsmarke] für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist, innerhalb von fünf Jahren, gerechnet von der Eintragung an, nicht ernsthaft in der [Union] benutzt, oder hat er eine solche Benutzung während eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren ausgesetzt, so unterliegt die [Unionsmarke] den in dieser Verordnung vorgesehenen Sanktionen, es sei denn, dass berechtigte Gründe für die Nichtbenutzung vorliegen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Folgendes gilt ebenfalls als Benutzung im Sinne des Unterabsatzes 1:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      die Benutzung der [Unionsmarke] in einer Form, die von der Eintragung nur in Bestandteilen abweicht, ohne dass dadurch die Unterscheidungskraft der Marke beeinflusst wird;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Die Benutzung der [Unionsmarke] mit Zustimmung des Inhabers gilt als Benutzung durch den Inhaber.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point4">4</a>        Art. 51 Abs. 1 der Verordnung bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die [Unionsmarke] wird auf Antrag beim Amt oder auf Widerklage im Verletzungsverfahren für verfallen erklärt,</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      wenn die Marke innerhalb eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren in der [Union] für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist, nicht ernsthaft benutzt worden ist …</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…“</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Vorgeschichte des Rechtsstreits</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point5">5</a>        Am 22. März 2004 meldete Bullerjan, damals die Energetec Gesellschaft für Energietechnik mbH, beim EUIPO eine dreidimensionale Unionsmarke in der Form eines bestimmten Ofens an. Diese Marke wurde am 5. Juli 2005 für „Öfen“ in Klasse 11 im Sinne des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung eingetragen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point6">6</a>        Am 23. Februar 2012 stellte Herr Klement einen Antrag, diese Marke auf der Grundlage von Art. 51 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 wegen Nichtbenutzung für verfallen zu erklären, da sie innerhalb eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren nicht ernsthaft benutzt worden sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point7">7</a>        Mit Entscheidung vom 3. April 2013 wies die Nichtigkeitsabteilung des EUIPO den Antrag auf Erklärung des Verfalls zurück.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point8">8</a>        Mit der streitigen Entscheidung wies die Erste Beschwerdekammer des EUIPO (im Folgenden: Beschwerdekammer) die gegen die Entscheidung vom 3. April 2013 eingelegte Beschwerde mit der Begründung zurück, dass die fragliche Marke im Referenzzeitraum in der Union ernsthaft benutzt worden sei.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Verfahren vor dem Gericht und vor dem Gerichtshof</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point9">9</a>        Mit Klageschrift, die am 3. April 2014 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob Herr Klement Klage auf Abänderung der streitigen Entscheidung und, hilfsweise, auf deren Aufhebung.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point10">10</a>      Zur Stützung seiner Klage machte der Rechtsmittelführer einen einzigen Klagegrund geltend, mit dem er die Verletzung von Art. 51 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 in Verbindung mit deren Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a rügte, da die Beschwerdekammer zu Unrecht das Vorliegen einer ernsthaften Benutzung der fraglichen Marke im Referenzzeitraum festgestellt habe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point11">11</a>      Insoweit machte der Rechtsmittelführer geltend, die fragliche Marke sei nicht allein verwendet worden, sondern in Verbindung mit dem unterscheidungskräftigen, auf den fraglichen Waren gut sichtbar angebrachten Wortbestandteil „Bullerjan“. Zum einen erfülle eine allein aus der Form einer Ware ohne zusätzlichen Wortbestandteil bestehende dreidimensionale Marke aber nicht mehr ihre Hauptfunktion als Hinweis auf die betriebliche Herkunft der fraglichen Waren und könne daher nicht Gegenstand einer ernsthaften Benutzung sein, wenn ihr ein solcher unterscheidungskräftiger Wortbestandteil hinzugefügt werde. Zum anderen beeinflusse der Zusatz eines solchen Wortbestandteils zu einer derartigen Marke zwangsläufig deren Unterscheidungskraft in der Form, in der sie eingetragen worden sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point12">12</a>      Mit Urteil vom 24. September 2015, Klement/EUIPO – Bullerjan (Form eines Ofens) (T‑211/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:688), wies das Gericht diesen Klagegrund zurück und daher die Klage insgesamt ab.</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point13">13</a>      Das Gericht pflichtete zunächst der Beschwerdekammer bei, dass der auf der Vorderseite der Ware, deren Form die in Rede stehende Marke darstelle, zusätzlich angebrachte Wortbestandteil „Bullerjan“ die Unterscheidungskraft dieser Marke in der Form, in der sie eingetragen worden sei, nicht beeinflusst habe und der Durchschnittsverbraucher weiterhin die fragliche Form der Öfen als Hinweis auf deren betriebliche Herkunft wahrnehme, und stellte sodann fest, dass die ernsthafte Benutzung der fraglichen Marke während des Referenzzeitraums rechtlich hinreichend nachgewiesen worden sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point14">14</a>      Nachdem der Kläger ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil eingelegt hatte, hob der Gerichtshof es mit Urteil vom 1. Dezember 2016, Klement/EUIPO (C‑642/15 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:918), auf und verwies die Rechtssache an das Gericht zurück.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Angefochtenes Urteil</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point15">15</a>      Mit dem angefochtenen Urteil wies das Gericht die Klage ab.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point16">16</a>      In Bezug auf den zweiten Teil des einzigen Klagegrundes, mit dem die fehlende Benutzung der fraglichen Marke in der Form, in der sie eingetragen worden sei, gerügt worden war, wies das Gericht in Rn. 36 des angefochtenen Urteils zunächst darauf hin, dass im Rahmen der Anwendung von Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 die Form der Benutzung der fraglichen Marke mit Blick auf ihre Unterscheidungskraft zu beurteilen sei, um zu prüfen, ob diese beeinflusst werde, und dass dabei insbesondere der hohe oder weniger hohe Grad an Unterscheidungskraft der fraglichen Marke zu berücksichtigen sei. Sodann wies das Gericht bei der Prüfung der Richtigkeit der Beurteilung der Beschwerdekammer, dass der Begriff „Bullerjan“ die Unterscheidungskraft der fraglichen Marke nicht beeinflusse, in Rn. 38 des angefochtenen Urteils darauf hin, dass als Erstes der Grad an Unterscheidungskraft der in Rede stehenden Marke festzustellen sei, dann als Zweites zu bestimmen sei, ob die auf den von dieser Marke erfassten Waren angebrachte Wortmarke Bullerjan die Unterscheidungskraft dieser Marke in der Form, in der sie eingetragen worden sei, beeinflusse.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point17">17</a>      Hinsichtlich des Grades an Unterscheidungskraft der in Rede stehenden Marke stellte das Gericht in Rn. 42 des angefochtenen Urteils fest, dass sie erheblich von der Branchenüblichkeit abweiche. So sei die Konzeption des fraglichen Ofens, die gewährleiste, dass sich fast die gesamte Oberfläche der Rohre in der Brennkammer befinde, was einen maximalen Wärmeaustausch gewährleiste, nicht branchenüblich. Das Gericht schloss daraus in Rn. 46 des angefochtenen Urteils, dass die fragliche Marke hohe Unterscheidungskraft besitze.</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point18">18</a>      Hinsichtlich der Frage, ob die Verwendung der in Rede stehenden Marke in Verbindung mit der Wortmarke Bullerjan die Unterscheidungskraft der in Rede stehenden Marke in der Form, in der sie eingetragen worden sei, beeinflusse, stellte das Gericht in Rn. 47 des angefochtenen Urteils fest, dass die zusätzliche Anbringung dieser Wortmarke die Form der in Rede stehenden Marke insoweit nicht verändere, als der Verbraucher nach wie vor die Form der dreidimensionalen Marke, die dieselbe bleibe, als Hinweis auf die Herkunft der Waren erkennen könne. Die Gesamtwahrnehmung der in Rede stehenden Marke werde durch das Schild, auf dem die Wortmarke Bullerjan angebracht sei, nicht verändert. Angesichts der hohen Unterscheidungskraft der in Rede stehenden Marke beeinflusse die genannte Wortmarke folglich, auch wenn sie die Bestimmung der betrieblichen Herkunft der betreffenden Waren erleichtern könne, nicht die Unterscheidungskraft der in Rede stehenden Marke im Sinne von Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 und stelle den Umstand nicht in Frage, dass die dreidimensionale Form für sich genommen genüge, um die betriebliche Herkunft dieser Waren zu bestimmen.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Anträge der Parteien vor dem Gerichtshof</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point19">19</a>      Der Rechtsmittelführer beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und dem EUIPO die Kosten aufzuerlegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point20">20</a>      Das EUIPO beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und dem Rechtsmittelführer die Kosten aufzuerlegen.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Zum Rechtsmittel</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point21">21</a>      Der Rechtsmittelführer stützt sein Rechtsmittel auf drei Gründe, mit denen er erstens eine unzulängliche Begründung der als hoch eingestuften Unterscheidungskraft der in Rede stehenden dreidimensionalen Marke trotz technischer Funktionalität ihrer Form, zweitens eine unzulängliche Begründung der fehlenden Beeinflussung der Unterscheidungskraft dieser Marke durch den hinzugefügten Wortbestandteil und drittens die Verwendung eines fehlerhaften Maßstabs bei der Bestimmung der Unterscheidungskraft der Marke rügt.</p>
<p class="C05Titre2"> <i>Zum ersten Rechtsmittelgrund</i>
</p>
<p class="C06Titre3"> Vorbringen der Parteien</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point22">22</a>      Mit seinem ersten Rechtsmittelgrund macht der Rechtsmittelführer geltend, das Gericht habe die als hoch eingestufte Unterscheidungskraft der in Rede stehenden dreidimensionalen Marke unzulänglich begründet, ohne zu erläutern, warum der angesprochene Verkehr ihr einen besonders starken Herkunftshinweis entnehme, obgleich ihre Form rein technisch bedingt sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point23">23</a>      Der Rechtsmittelführer stützt sich auf Rn. 27 des Urteils vom 1. Dezember 2016, Klement/EUIPO (C‑642/15 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:918), und trägt vor, dass einer dreidimensionalen Marke, auch wenn sie ungewöhnlich sei, weil sie sich erheblich von den branchenüblichen Formen abhebe, gleichwohl nur eine geringe Unterscheidungskraft zukommen könne, weil der Verkehr in der ungewöhnlichen Form lediglich eine technische Funktionalität erkenne.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point24">24</a>      Das Gericht habe in Rn. 28 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass das Vorbringen des Rechtsmittelführers, wonach die in Rede stehende dreidimensionale Marke aufgrund der Funktionalität der durch sie geschützten Form eine sehr schwache Unterscheidungskraft besitze, im Rahmen der Prüfung des zweiten Teils des einzigen Klagegrundes geprüft werde. Entgegen dieser Ankündigung sei das Gericht jedoch nicht auf die Frage des Einflusses der Funktionalität der geschützten Form auf die Unterscheidungskraft der in Rede stehenden Marke eingegangen, als es in den Rn. 30 ff. des angefochtenen Urteils den zweiten Teil des einzigen Klagegrundes geprüft habe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point25">25</a>      Im Übrigen habe das Gericht in Rn. 42 des angefochtenen Urteils selbst bestätigt, dass die von der in Rede stehenden Marke geschützte Form technisch bedingt sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point26">26</a>      Die technische Funktionalität einer Form habe jedoch naturgemäß Einfluss auf die Wahrnehmung durch die angesprochenen Verkehrskreise. Der Verkehr erblicke in einer Form, die auf eine technische Funktion zurückzuführen sei, keinen Herkunftshinweis. Das Gericht hätte daher die Gründe darlegen müssen, warum der in Rede stehenden dreidimensionalen Marke trotz der Funktionalität ihrer Form eine hohe Unterscheidungskraft zukomme.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point27">27</a>      Das EUIPO entgegnet, dass das Gericht im Wesentlichen die Anwendbarkeit von Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 festgestellt habe, als es in Rn. 47 des angefochtenen Urteils bejaht habe, dass die in Rede stehende Marke trotz ihrer Kombination mit der Wortmarke Bullerjan weiterhin als selbständiger Herkunftshinweis wahrgenommen werde. Damit sei Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a der Verordnung nicht anwendbar gewesen, so dass es auf den Grad an Unterscheidungskraft der nebeneinander benutzten Marken nicht habe ankommen können.</p>
<p class="C06Titre3"> Würdigung durch den Gerichtshof</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point28">28</a>      Es ist darauf hinzuweisen, dass aus der Begründung des angefochtenen Urteils zwar die Erwägungen des Gerichts klar und eindeutig hervorgehen müssen, so dass die Betroffenen die Gründe für die getroffene Entscheidung erkennen können und der Gerichtshof seine gerichtliche Kontrolle ausüben kann (vgl. u. a. Urteil vom 1. Dezember 2016, Klement/EUIPO, C‑642/15 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:918, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung), doch verlangt die dem Gericht obliegende Begründungspflicht von ihm nicht, bei seinen Ausführungen alle von den Parteien des Rechtsstreits vorgetragenen Argumente nacheinander erschöpfend zu behandeln. Die Begründung des Gerichts kann daher implizit erfolgen, sofern sie es den Betroffenen ermöglicht, die Gründe zu erfahren, aus denen das Gericht ihrer Argumentation nicht gefolgt ist, und dem Gerichtshof ausreichende Angaben liefert, damit er seine Kontrollfunktion wahrnehmen kann (Urteil vom 19. März 2015, MEGA Brands International/HABM, C‑182/14 P, EU:C:2015:187, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point29">29</a>      Die Frage, ob die Begründung eines Urteils des Gerichts widersprüchlich oder unzulänglich ist, ist eine Rechtsfrage, die als solche im Rahmen eines Rechtsmittels aufgeworfen werden kann (vgl. u. a. Urteil vom 1. Dezember 2016, Klement/EUIPO, C‑642/15 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:918, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point30">30</a>      Im vorliegenden Fall hat das Gericht in Rn. 42 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass die in Rede stehende Marke erheblich von der Branchenüblichkeit abweiche, da die Form eines Ofens im Allgemeinen mehr oder weniger an die Form eines Kamins erinnere.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point31">31</a>      In dieser Rn. 42 hat das Gericht auch ausgeführt, dass, da der fragliche Ofen aus mehreren Stahlrohren bestehe, die so gekrümmt seien, dass sie eine horizontale zylindrische Brennkammer bildeten, eine solche Konzeption, die gewährleiste, dass sich fast die gesamte Oberfläche der Rohre in der Brennkammer befinde, was einen maximalen Wärmeaustausch gewährleiste, nicht branchenüblich sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point32">32</a>      Das Gericht hat in Rn. 43 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass dieses Ergebnis nicht durch das Vorbringen des Rechtsmittelführers in Frage gestellt werde, dass die Unterscheidungskraft der in Rede stehenden Marke dadurch abgeschwächt sei, dass zahlreiche Hersteller Öfen vertrieben, die eine mit der Form dieser Marke identische oder jedenfalls dieser hochgradig ähnliche Form aufwiesen. In Rn. 44 des angefochtenen Urteils hat es nämlich ausgeführt, dass nicht dargetan worden sei, dass mehrere Hersteller während des Referenzzeitraums Öfen vertrieben hätten, die eine mit der Form der in Rede stehenden Marke identische oder dieser ähnliche Form aufwiesen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point33">33</a>      Außerdem hat das Gericht in Rn. 27 des angefochtenen Urteils klargestellt, dass im Rahmen des vorliegenden Verfahrens davon auszugehen sei, dass die fragliche Marke nicht im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 207/2009 ausschließlich aus der Form der Ware, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich sei, bestehe.</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point34">34</a>      Somit zeigt sich, dass das Gericht bei seiner Feststellung in Rn. 46 des angefochtenen Urteils, dass die fragliche Marke hohe Unterscheidungskraft besitze, implizit, aber zwangsläufig angenommen hat, dass diese hohe Unterscheidungskraft allein auf der ungewöhnlichen Form dieser Marke beruhe, obwohl diese Form in gewissem Maß funktionell sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point35">35</a>      Unter diesen Umständen ist die Begründung insoweit ausreichend.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point36">36</a>      Daher ist der erste Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.</p>
<p class="C05Titre2"> <i>Zum zweiten Rechtsmittelgrund</i>
</p>
<p class="C06Titre3"> Vorbringen der Parteien</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point37">37</a>      Der Rechtsmittelführer macht zunächst geltend, das Gericht habe nicht die Unterscheidungskraft des Wortbestandteils „Bullerjan“ geprüft, obgleich diese Prüfung eine notwendige Voraussetzung für die Bestimmung gewesen sei, ob die Unterscheidungskraft der Marke in der Form, in der sie eingetragen worden sei, beeinflusst werde. Daher sei die Begründung des angefochtenen Urteils insoweit unzureichend.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point38">38</a>      Ferner sei die Begründung in Rn. 47 des angefochtenen Urteils widersprüchlich, weil das Gericht dort entschieden habe, dass die Wortmarke „Bullerjan“, auch wenn sie die Bestimmung der betrieblichen Herkunft der betreffenden Waren erleichtern könne, nicht die Unterscheidungskraft der in Rede stehenden Marke beeinflusse. Der Umstand, dass der Wortbestandteil „Bullerjan“ die Bestimmung der betrieblichen Herkunft erleichtere, bedeute jedoch zwangsläufig eine Beeinflussung der Unterscheidungskraft der in Rede stehenden Marke.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point39">39</a>      Schließlich habe sich das Gericht dadurch widersprochen, dass es aus der Tatsache, dass Öfen im Allgemeinen unter Hinzufügung eines Wortbestandteils vertrieben würden, gefolgert habe, dass die betreffenden Verkehrskreise die Produktform als Hinweis auf seine betriebliche Herkunft wahrnähmen. Die Vermarktung der Öfen in Verbindung mit einem Wortbestandteil zeige nämlich vielmehr, dass die betreffenden Verkehrskreise die Produktform nicht als Hinweis auf seine betriebliche Herkunft wahrnähmen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point40">40</a>      Das EUIPO trägt vor, das Gericht habe in Rn. 47 des angefochtenen Urteils geprüft, ob die in Rede stehende Marke trotz ihrer kombinierten Benutzung mit der Wortmarke „Bullerjan“ weiterhin als selbständiger Herkunftshinweis wahrgenommen werde, und dies bejaht.</p>
<p class="C06Titre3"> Würdigung durch den Gerichtshof</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point41">41</a>      Zum ersten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht in Rn. 47 des angefochtenen Urteils Folgendes ausgeführt hat:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„[Die] zusätzliche Anbringung [der Wortmarke ‚Bullerjan‘ verändert] die Form der in Rede stehenden Marke insoweit nicht …, als der Verbraucher nach wie vor die Form der dreidimensionalen Marke, die dieselbe bleibt, als Hinweis auf die Herkunft der Waren erkennen kann. Außerdem nimmt diese Wortmarke … eine kleine Fläche der Struktur ein und ist nur sichtbar, wenn die Struktur von der Vorderseite der Brennkammer aus betrachtet wird. Schließlich weist das Schild, auf dem die Wortmarke hervorgehoben ist, ebenso wie die gesamte Struktur ein metallenes Erscheinungsbild auf, so dass es sich nicht wirklich vom Rest dieser Struktur unterscheidet. Die fragliche Wortmarke fällt somit weniger auf als die Form der Ware selbst. Unter diesen Umständen wird die Gesamtwahrnehmung der in Rede stehenden Marke durch das Schild, auf dem die Wortmarke Bullerjan angebracht ist, nicht verändert.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point42">42</a>      Somit hat das Gericht rechtlich hinreichend begründet, dass die Wortmarke „Bullerjan“ im Vergleich zu der dreidimensionalen Marke eine erheblich geringere Unterscheidungskraft hat.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point43">43</a>      Infolgedessen ist der erste Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes als unbegründet zurückzuweisen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point44">44</a>      Zum zweiten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes ist festzustellen, dass der Umstand, dass die Wortmarke „Bullerjan“ die Bestimmung der betrieblichen Herkunft der fraglichen Öfen erleichtern kann, nicht im Widerspruch zu dem Umstand steht, dass sie die Unterscheidungskraft der aus der Form dieser Waren bestehenden dreidimensionalen Marke im Sinne von Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 nicht beeinflusst.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point45">45</a>      Andernfalls würde die zusätzliche Anbringung eines Wortbestandteils an eine dreidimensionale Marke, wodurch die Bestimmung der betrieblichen Herkunft der betreffenden Waren stets erleichtert werden kann, zwangsläufig eine Beeinflussung der Unterscheidungskraft der dreidimensionalen Marke bedeuten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point46">46</a>      Folglich ist der zweite Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes als unbegründet zurückzuweisen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point47">47</a>      Zum dritten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes ist festzustellen, dass eine dreidimensionale Marke in Verbindung mit einem Wortbestandteil benutzt werden kann, ohne dass dies zwangsläufig die Wahrnehmung der Form als Hinweis auf die betriebliche Herkunft der Waren durch den Verbraucher in Frage stellt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point48">48</a>      Deshalb würde die Vermarktung von Öfen in Verbindung mit einem Wortbestandteil entgegen dem Vorbringen des Rechtsmittelführers nicht zeigen, dass die betreffenden Verkehrskreise die Produktform nicht als Hinweis auf seine betriebliche Herkunft wahrnähmen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point49">49</a>      Des Weiteren hat das Gericht aus dem Umstand, dass Öfen im Allgemeinen unter Hinzufügung eines Wortbestandteils vertrieben werden, entgegen dem Vorbringen des Rechtsmittelführers nicht gefolgert, dass die betreffenden Verkehrskreise die Produktform als Hinweis auf seine betriebliche Herkunft wahrnehmen, sondern in Rn. 47 des angefochtenen Urteils insoweit lediglich festgestellt, dass die Verbindung einer dreidimensionalen Form mit einer zusätzlichen Wortmarke in der fraglichen Branche üblich sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point50">50</a>      Daher hat das Gericht das angefochtene Urteil entgegen dem Vorbringen des Rechtsmittelführers nicht widersprüchlich begründet.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point51">51</a>      Folglich ist der dritte Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes als unbegründet zurückzuweisen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point52">52</a>      Nach alledem ist der zweite Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.</p>
<p class="C05Titre2"> <i>Zum dritten Rechtsmittelgrund</i>
</p>
<p class="C06Titre3"> Vorbringen der Parteien</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point53">53</a>      Mit seinem dritten Rechtsmittelgrund, der aus drei Teilen besteht, macht der Rechtsmittelführer zunächst geltend, das Gericht habe in Rn. 42 des angefochtenen Urteils seine Bestimmung der Unterscheidungskraft der in Rede stehenden Marke zu Unrecht auf den Vergleich der von der Marke geschützten Form mit der Form eines Ofens im Allgemeinen statt auf den Vergleich der geschützten Form mit den branchenüblichen Darstellungen in ihrer ganzen Vielfalt gestützt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point54">54</a>      Ferner habe das Gericht in Rn. 45 des angefochtenen Urteils zur Verwerfung des Arguments des Rechtsmittelführers, dass die Unterscheidungskraft der in Rede stehenden Marke dadurch abgeschwächt sei, dass zahlreiche Hersteller Öfen vertrieben hätten, die eine mit der Form der in Rede stehenden Marke identische oder jedenfalls dieser hochgradig ähnliche Form aufwiesen, bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft der in Rede stehenden Marke einen falschen Prüfungsmaßstab angewandt, der auf eine hier unerhebliche Rechtsprechung gestützt sei.</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point55">55</a>      Schließlich habe das Gericht die Vorschriften über die Beweislast für die ernsthafte Benutzung einer Marke verkannt, die bei deren Inhaber liege. Es habe Bullerjan oblegen, den Beweis für die Nichtbeeinflussung der Unterscheidungskraft der eingetragenen Form durch ihre Benutzung in Verbindung mit einem Wortbestandteil zu erbringen. Somit habe das Gericht einen Rechtsfehler begangen, als es in Rn. 45 bzw. 44 des angefochtenen Urteils entschieden habe, dass „[das] Vorbringen des Klägers … nicht die Annahme [zulässt], das[s] die Form der fraglichen Marke branchenüblich ist“ und „[der] Kläger … keine anderen Beweise [vorlegt], die sein Vorbringen[, dass die Unterscheidungskraft der in Rede stehenden Marke dadurch abgeschwächt sei, dass zahlreiche Hersteller Öfen vertrieben, die eine mit der Form dieser Marke identische oder jedenfalls dieser hochgradig ähnliche Form aufwiesen,] stützen könnten“.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point56">56</a>      Das EUIPO trägt vor, dass nach den unbestrittenen und im vorliegenden Verfahren vom Gerichtshof nicht überprüfbaren Tatsachenfeststellungen des Gerichts in Rn. 47 des angefochtenen Urteils der Inhaber der in Rede stehenden Marke den Nachweis einer ernsthaften Benutzung der Marke in ihrer eingetragenen Form gemäß Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 erbracht habe.</p>
<p class="C06Titre3"> Würdigung durch den Gerichtshof</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point57">57</a>      Hinsichtlich des zunächst zu prüfenden dritten Teils des dritten Rechtsmittelgrundes bedeutet der Umstand, dass im Rahmen eines Verfallsverfahrens der Nachweis einer ernsthaften Benutzung der Marke grundsätzlich deren Inhaber obliegt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. September 2013, Centrotherm Systemtechnik/HABM und centrotherm Clean Solutions, C‑610/11 P, EU:C:2013:593, Rn. 63), nicht, dass in einer Situation, in der das Gericht auf der Grundlage von Tatsachen, die es für bekannt gehalten hat, festgestellt hat, dass die in Rede stehende Marke von den branchenüblichen Formen erheblich abweiche, es dem Markeninhaber obliegt, weitere Nachweise dafür zu erbringen, dass die Form dieser Marke nicht branchenüblich ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point58">58</a>      In einer solchen Situation obliegt es demjenigen, der die Erklärung des Verfalls der betreffenden Marke beantragt, gegebenenfalls nachzuweisen, dass die Form dieser Marke branchenüblich ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point59">59</a>      Daher ist der dritte Teil des dritten Rechtsmittelgrundes als unbegründet zurückzuweisen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point60">60</a>      Zum zweiten Teil des dritten Rechtsmittelgrundes ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht in den Rn. 42, 44 und 45 des angefochtenen Urteils Folgendes ausgeführt hat:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">„42      Es ist festzustellen, dass die in Rede stehende Marke erheblich von der Branchenüblichkeit abweicht. …</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">44      … [Anhand] der von dem Kläger vorgelegten Unterlagen [lässt sich] nicht nachweisen …, dass mehrere Hersteller während des Referenzzeitraums Öfen vertrieben, die eine mit der Form der in Rede stehenden Marke identische oder dieser ähnliche Form aufwiesen. Diese Unterlagen … können daher die oben in Rn. 42 dargelegte Würdigung nicht in Frage stellen. Der Kläger legt keine anderen Beweise vor, die sein Vorbringen stützen könnten.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">45      Außerdem … macht der Kläger [im vorliegenden Fall] zwar geltend, dass andere Hersteller Waren vertrieben, die eine der in Rede stehenden Marke sehr ähnliche Form aufwiesen, er trägt jedoch nichts vor, was belegen könnte, dass die maßgeblichen Verkehrskreise die Form der in Rede stehenden Marke mit den von ihr erfassten Waren gedanklich in Verbindung bringen. Das Vorbringen des Klägers lässt somit nicht die Annahme zu, das[s] die Form der fraglichen Marke branchenüblich ist.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point61">61</a>      Die vom Gericht in Rn. 45 des angefochtenen Urteils dargelegten Gründe sollen die in Rn. 44 des Urteils angeführten Gründe jedoch nur ergänzen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point62">62</a>      Die Feststellung in Rn. 44 des angefochtenen Urteils ist nämlich eine ausreichende Grundlage für das in Rn. 46 des Urteils genannte Ergebnis, dass die in Rede stehende Marke hohe Unterscheidungskraft besitzt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point63">63</a>      Daher könnte selbst unter der Annahme, dass das Gericht in Rn. 45 des angefochtenen Urteils einen Rechtsfehler begangen hat, dieser Fehler jedenfalls keine Auswirkung auf das in Rn. 46 des Urteils genannte Ergebnis haben.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point64">64</a>      Folglich ist der zweite Teil des dritten Rechtsmittelgrundes als ins Leere gehend zurückzuweisen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point65">65</a>      Zum ersten Teil des dritten Rechtsmittelgrundes ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nur eine Marke, die erheblich von der Norm oder der Üblichkeit der Branche abweicht und deshalb ihre wesentliche herkunftskennzeichnende Funktion erfüllt, Unterscheidungskraft besitzt (Urteil vom 4. Mai 2017, August Storck/EUIPO, C‑417/16 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:340, Rn. 35).</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point66">66</a>      In Rn. 42 des angefochtenen Urteils hat das Gericht jedoch im Wesentlichen nur festgestellt, dass die in Rede stehende Marke erheblich von der Üblichkeit und der Norm der Branche abweiche und insoweit erläutert, dass bekanntlich die Form eines Ofens im Allgemeinen aus einem Feuerungsraum, in dem die Verbrennung des Holzes stattfindet, einer Verkleidung sowie einer Verbindung zum Rauchabzug bestehe und mehr oder weniger an die Form eines Kamins erinnere.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point67">67</a>      Ferner ergibt sich aus Rn. 62 des vorliegenden Urteils, dass nicht nachgewiesen worden ist, dass mehrere Hersteller während des Referenzzeitraums Öfen vertrieben, die eine mit der Form der in Rede stehenden Marke identische oder dieser ähnliche Form aufwiesen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point68">68</a>      Folglich hat das Gericht in Rn. 46 des angefochtenen Urteils den Grad an Unterscheidungskraft der in Rede stehenden Marke nicht nur anhand des Vergleichs der von der Marke geschützten Form mit der Form eines Ofens im Allgemeinen bestimmt, sondern insoweit auch den Umstand berücksichtigt, dass während des Referenzzeitraums keine anderen Öfen existierten, die eine mit der Form der in Rede stehenden Marke identische oder dieser ähnliche Form aufwiesen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point69">69</a>      Da das Gericht seine Würdigung des Grades an Unterscheidungskraft der in Rede stehenden Marke nicht nur auf den Vergleich der von der Marke geschützten Form mit der Form eines Ofens im Allgemeinen gestützt hat, ist der vom Rechtsmittelführer gerügte Rechtsfehler jedenfalls nicht erwiesen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point70">70</a>      Folglich ist der erste Teil des dritten Rechtsmittelgrundes als unbegründet zurückzuweisen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point71">71</a>      Nach alledem ist der dritte Rechtsmittelgrund als teils unbegründet und teils ins Leere gehend zurückzuweisen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point72">72</a>      Da keiner der zur Stützung des Rechtsmittels geltend gemachten Gründe durchgreift, ist das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Kosten</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point73">73</a>      Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da Herr Klement mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm gemäß dem Antrag des EUIPO die Kosten aufzuerlegen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C41DispositifIntroduction">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:</p>
<p class="C08Dispositif">1.      <b>Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.</b>
</p>
<p class="C08Dispositif">2.      <b>Herr Toni Klement trägt die Kosten.</b>
</p>
<table width="100%">
<tr>
<td width="33%">
<p class="C77SignaturesComposition" style="text-align:left">Vilaras</p>
</td><td width="33%">
<p class="C77SignaturesComposition" style="text-align:center">Malenovský</p>
</td><td width="33%">
<p class="C77SignaturesComposition" style="text-align:right">Bay Larsen</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%">
<tr>
<td width="33%">
<p class="C77SignaturesComposition" style="text-align:left">Safjan</p>
</td><td width="33%"> </td><td width="33%">
<p class="C77SignaturesComposition" style="text-align:right">Šváby</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="C77SignaturesAlinea">Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 23. Januar 2019.</p>
<table width="100%">
<tr>
<td width="33%">
<p class="C77Signatures" style="text-align:left">Der Kanzler</p>
</td><td width="33%"> </td><td width="33%">
<p class="C77Signatures" style="text-align:right">      Der Präsident</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%">
<tr>
<td width="33%">
<p class="C77Signatures" style="text-align:left">A. Calot Escobar</p>
</td><td width="33%"> </td><td width="33%">
<p class="C77Signatures" style="text-align:right">      K. Lenaerts</p>
</td>
</tr>
</table>
<hr/>
<p class="C42FootnoteLangue">
<a href="#Footref*" name="Footnote*">*</a>      Verfahrenssprache: Deutsch.</p>
|
175,029 | eugh-2019-01-23-c-27217 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-272/17 | 2019-01-23T00:00:00 | 2019-01-31T19:20:51 | 2019-01-31T19:20:51 | Urteil | ECLI:EU:C:2019:49 | <p>Vorläufige Fassung</p>
<p class="C19Centre">URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zehnte Kammer)</p>
<p class="C19Centre">23. Januar 2019(<a href="#Footnote*" name="Footref*">*</a>)</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Freizügigkeit der Arbeitnehmer – Gleichbehandlung – Einkommensteuer – Sozialversicherungsbeiträge – Arbeitnehmer, der während des Kalenderjahrs den Beschäftigungsmitgliedstaat verlassen hat – Anwendung der Regel der zeitanteiligen Berechnung auf die Beitragsermäßigung“</p>
<p class="C02AlineaAltA">In der Rechtssache C‑272/17</p>
<p class="C02AlineaAltA">betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) mit Entscheidung vom 12. Mai 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Mai 2017, in dem Verfahren</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>K. M. Zyla</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">gegen </p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Staatssecretaris van Financiën </b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">erlässt</p>
<p class="C19Centre">DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Mitwirkung des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zehnten Kammer sowie der Richter F. Biltgen und E. Levits (Berichterstatter),</p>
<p class="C02AlineaAltA">Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 30. Mai 2018,</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Berücksichtigung der Erklärungen</p>
<p class="C03Tiretlong">–        von Frau Zyla, vertreten durch Professor S. C. W. Douma,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der niederländischen Regierung, vertreten durch M. L. Noort und M. K. Bulterman als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. van Beek und M. Kellerbauer als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C02AlineaAltA">nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Juli 2018 </p>
<p class="C02AlineaAltA">folgendes</p>
<p class="C75Debutdesmotifs">
<b>Urteil</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point1">1</a>        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 45 AEUV.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point2">2</a>        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau K. M. Zyla und dem Staatssecretaris van Financiën (Staatssekretär für Finanzen, Niederlande) über die Bestimmung der Höhe der zeitanteiligen Ermäßigung der von Frau Zyla geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Unionsrecht </b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point3">3</a>        Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1, und Berichtigung ABl. 2004, L 200, S. 1) bestimmt: </p>
<p class="C02AlineaAltA">„Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften, die folgende Zweige der sozialen Sicherheit betreffen:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      Leistungen bei Krankheit;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      Leistungen bei Mutterschaft und gleichgestellte Leistungen bei Vaterschaft;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">c)      Leistungen bei Invalidität;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">d)      Leistungen bei Alter;</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point4">4</a>        In Art. 4 dieser Verordnung heißt es:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, haben Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point5">5</a>        Art. 5 Buchst. a der Verordnung lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Sofern in dieser Verordnung nicht[s] anderes bestimmt ist, gilt unter Berücksichtigung der besonderen Durchführungsbestimmungen Folgendes:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      Hat nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats der Bezug von Leistungen der sozialen Sicherheit oder sonstiger Einkünfte bestimmte Rechtswirkungen, so sind die entsprechenden Rechtsvorschriften auch bei Bezug von nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gewährten gleichartigen Leistungen oder bei Bezug von in einem anderen Mitgliedstaat erzielten Einkünften anwendbar.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point6">6</a>        Art. 11 in Titel II („Bestimmung des anwendbaren Rechts“) der Verordnung Nr. 883/2004 sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)      Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt Folgendes: </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">e)      jede andere Person, die nicht unter die Buchstaben a) bis d) fällt, unterliegt den … Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats.“</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Niederländisches Recht</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point7">7</a>        Nach Art. 8.1 der Wet op de inkomstenbelasting 2001 (Gesetz über die Einkommensteuer von 2001) werden die Einkommensteuer und die Sozialversicherungsbeiträge von den Finanzbehörden zusammengefasst erhoben, was in diesem Artikel als kombinierte Besteuerung bezeichnet wird. Der von einer Person geschuldete Gesamtbetrag der „kombinierten Besteuerung“ ergibt sich, indem die auf Arbeitseinkommen und sonstige Einkünfte (etwa aus Vermietung oder Kapitalvermögen) geschuldete Einkommensteuer und die geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge addiert werden. Gemäß diesem Artikel ergibt sich der Satz der „kombinierten Besteuerung“ aus der Summe des Steuersatzes für die erste Tranche und der anzuwendenden Beitragssätze. Ferner kann der Betrag dieser „kombinierten Besteuerung“ nach diesem Gesetz ermäßigt werden, wobei unter der „Ermäßigung der kombinierten Besteuerung“ im Sinne von Art. 8.1 der Gesamtbetrag aus der auf die Einkommensteuer entfallenden und der auf die Sozialversicherungsbeiträge entfallenden Ermäßigung zu verstehen ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point8">8</a>        Nach Art. 8.10 des Gesetzes von 2001 über die Einkommensteuer gilt die „allgemeine Ermäßigung“ für alle Steuer- und Beitragspflichtigen. Für das Jahr 2013 belief sie sich auf 2 001 Euro. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point9">9</a>        Die Sozialversicherungsbeiträge richten sich nach der Algemene Ouderdomswet (Allgemeines Gesetz über die Altersversorgung), der Algemene Nabestaandenwet (Allgemeines Gesetz über die Hinterbliebenenversorgung) und der Algemene Wet Bijzondere Ziektekosten (Allgemeines Gesetz über besondere Krankheitskosten). In diesen drei Systemen versichert sind in den Niederlanden wohnhafte sowie dort aufgrund einer nichtselbständigen Arbeit einkommensteuerpflichtige gebietsfremde Personen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point10">10</a>      Art. 9 der Wet financiering sociale verzekeringen (Gesetz über die Finanzierung der Sozialversicherung; im Folgenden: WFSV) bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Als Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten sind die von der beitragspflichtigen Person geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge, abzüglich der auf diese anzuwendenden Beitragsermäßigung.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point11">11</a>      Art. 12 Abs. 1 Buchst. a bis c WFSV regelt, wie die „allgemeine Ermäßigung“ der Sozialversicherungsbeiträge vorzunehmen ist. Nach Abs. 3 dieses Artikels hat jede Person, die während des gesamten Kalenderjahrs Beiträge gezahlt hat, einen Anspruch auf diese Ermäßigung.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point12">12</a>      Art. 2.6a der Regeling Wet financiering sociale verzekeringen (Erlass zur Durchführung des Gesetzes über die Finanzierung der Sozialversicherung, im Folgenden: Durchführungserlass) sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Für Personen, die während eines Teils des Kalenderjahrs aus anderen Gründen als durch Tod nicht beitragspflichtig waren, wird die in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a, b und c WFSV vorgesehene Ermäßigung zeitanteilig entsprechend des Zeitraums der Beitragspflicht im Kalenderjahr berechnet.“</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Ausgangsverfahren und Vorlagefrage</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point13">13</a>      Frau Zyla, eine polnische Staatsangehörige, arbeitete vom 1. Januar bis zum 21. Juni 2013 in den Niederlanden und war während dieser Zeit im allgemeinen niederländischen Sozialversicherungssystem versichert und beitragspflichtig. Danach begab sie sich nach Polen, begründete dort ihren Wohnsitz und war im Jahr 2013 nicht mehr erwerbstätig.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point14">14</a>      Mit ihrer Erwerbstätigkeit in den Niederlanden im Jahr 2013 erzielte Frau Zyla Einkünfte in Höhe von 9 401 Euro. Hiervon wurde Einkommensteuer in Höhe von 1 399 Euro einbehalten. Es wurden außerdem Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 2 928 Euro erhoben. Bei ihrer Steuerveranlagung für das Jahr 2013 wurde Frau Zyla, weil sie in den Niederlanden gewohnt hatte, nach nationalem Recht eine allgemeine Steuerermäßigung auf die Einkommensteuer und die Sozialversicherungsbeiträge gewährt. So verringerten sich die Einkommensteuer und die Sozialversicherungsbeiträge durch die allgemeine Ermäßigung um 1 254 Euro und durch die Ermäßigung für Arbeitnehmer um weitere 840 Euro. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die Finanzverwaltung, da Frau Zyla ab dem 22. Juni 2013 nicht mehr beitrags- und steuerpflichtig gewesen sei, gemäß Art. 2.6a des Durchführungserlasses die auf diese Beiträge entfallende allgemeine Ermäßigung entsprechend der Dauer der Beitragspflicht im Jahr 2013 zeitanteilig gekürzt habe. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point15">15</a>      Die bei der Rechtbank Zeeland-West-Brabant (Gericht erster Instanz Zeeland-West-Brabant, Niederlande) gegen diesen Steuerbescheid erhobene Klage, mit der Frau Zyla geltend machte, Art. 2.6a des Durchführungserlasses führe zu einer Ungleichbehandlung von Gebietsansässigen und Gebietsfremden, die ein Hindernis für die durch Art. 45 AEUV gewährleistete Freizügigkeit der Arbeitnehmer darstelle, wurde abgewiesen. Daraufhin legte sie Berufung gegen das Urteil beim Gerechtshof 's‑Hertogenbosch (Berufungsgericht Herzogenbusch, Niederlande) ein. Das Berufungsgericht wies das Vorbringen der Klägerin des Ausgangsverfahrens ebenfalls zurück und begründete dies damit, dass diese, da sie in den Niederlanden nur während einer bestimmten Zeit als Arbeitnehmerin im Sinne von Art. 45 AEUV beschäftigt gewesen sei, nicht die volle Höhe des auf die Sozialversicherungsbeiträge entfallenden Teils der allgemeinen Ermäßigung verlangen könne. Das nationale Recht, das diese Begrenzung des Betrags der allgemeinen Ermäßigung vorsehe, begründe keine Ungleichbehandlung, weil es die Höhe der gewährten Ermäßigung an die Beitragspflicht zum nationalen Sozialversicherungssystem und die Dauer der Beitragszahlung knüpfe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point16">16</a>      Dem Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande), bei dem die von Frau Zyla eingelegte Kassationsbeschwerde anhängig ist, stellt sich die Frage, ob es mit dem Unionsrecht und insbesondere mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs vereinbar ist, dass Frau Zyla nur ein Teil der Ermäßigung gewährt wird. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point17">17</a>      Seiner Auffassung nach könnte Art. 45 AEUV dahin ausgelegt werden, dass er einer zeitanteiligen, der Versicherungsdauer des Beitragspflichtigen entsprechenden Beitragsermäßigung nicht entgegenstehe. Es sei jedoch fraglich, ob ein Arbeitnehmer, der sein gesamtes Jahreseinkommen in einem Mitgliedstaat erzielt habe, in dem er nicht oder nicht mehr wohne, nicht doch einen Anspruch auf die Ermäßigung für die Sozialversicherungsbeiträge in voller Höhe haben sollte, auch wenn er nicht während des gesamten Jahres an das Sozialversicherungssystem dieses Mitgliedstaats angeschlossen gewesen sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point18">18</a>      Unter diesen Umständen hat der Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen: </p>
<p class="C02AlineaAltA">Ist Art. 45 AEUV dahin auszulegen, dass er der Vorschrift eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach ein Arbeitnehmer, der gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung oder gemäß der Verordnung Nr. 883/2004 nur während eines Teils des Kalenderjahrs an die Einheitssozialversicherung dieses Mitgliedstaats angeschlossen ist, bei Erhebung der entsprechenden Versicherungsbeiträge nur einen zeitlich proportional zum Versicherungszeitraum bemessenen Teil des Beitragsanteils der allgemeinen Steuerermäßigung in Anspruch nehmen kann, wenn dieser Arbeitnehmer während des verbleibenden Teils des Kalenderjahrs in diesem Mitgliedstaat nicht an die Einheitssozialversicherung angeschlossen ist, in diesem Zeitraum in einem anderen Mitgliedstaat wohnt und (nahezu) seine gesamten Jahreseinkünfte im erstgenannten Mitgliedstaat erzielt hat? </p>
<p class="C04Titre1"> <b>Zur Vorlagefrage</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point19">19</a>      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 45 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die im Hinblick auf die Bestimmung der Höhe der von einem Arbeitnehmer geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge vorsieht, dass sich die diese Beiträge betreffende Ermäßigung, auf die ein Arbeitnehmer für ein Kalenderjahr Anspruch hat, nach dem Zeitraum bemisst, in dem dieser Arbeitnehmer im Sozialversicherungssystem dieses Mitgliedstaats versichert war, und somit von der jährlichen Ermäßigung den Teil ausschließt, der dem Zeitraum entspricht, in dem dieser Arbeitnehmer nicht in diesem System versichert war und in einem anderen Mitgliedstaat wohnte, ohne dort berufstätig zu sein. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point20">20</a>      Nach ständiger Rechtsprechung fällt ein Unionsbürger, der vom Recht auf Freizügigkeit der Arbeitnehmer Gebrauch macht und in einem anderen Mitgliedstaat als seinem Herkunftsstaat eine Berufstätigkeit ausgeübt hat, unabhängig von seinem Wohnort und seiner Staatsangehörigkeit in den Anwendungsbereich von Art. 45 AEUV (Urteil vom 7. März 2018, DW, C‑651/16, EU:C:2018:162, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point21">21</a>      Folglich ist die Situation von Frau Zyla, einer polnischen Staatsangehörigen, die sich in die Niederlande begeben hat, um dort vom 1. Januar bis zum 21. Juni 2013 einer nichtselbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, nach Art. 45 AEUV zu beurteilen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point22">22</a>      Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich ferner, dass sämtliche Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Freizügigkeit den Unionsbürgern die Ausübung beruflicher Tätigkeiten aller Art im Gebiet der Union erleichtern sollen und Maßnahmen entgegenstehen, die die Unionsbürger benachteiligen könnten, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben wollen (Urteil vom 7. März 2018, DW, C‑651/16, EU:C:2018:162, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung). </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point23">23</a>      Daher stellen Vorschriften, die einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats daran hindern oder davon abhalten, seinen Herkunftsstaat zu verlassen, um von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, eine Beschränkung dieser Freiheit dar, auch wenn sie unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer Anwendung finden (Urteile vom 16. Februar 2006, Rockler, C‑137/04, EU:C:2006:106, Rn. 18, und vom 16. Februar 2006, Öberg, C‑185/04, EU:C:2006:107, Rn. 15 und die dort angeführte Rechtsprechung). </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point24">24</a>      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass – wie die niederländische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat – der in Art. 45 AEUV verankerte Grundsatz der Gleichbehandlung nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit verbietet, sondern auch alle verschleierten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungskriterien <i>de facto</i> zum gleichen Ergebnis führen. Sofern eine Vorschrift des nationalen Rechts nicht objektiv gerechtfertigt ist und in angemessenem Verhältnis zum verfolgten Ziel steht, ist sie, auch wenn sie ungeachtet der Staatsangehörigkeit anwendbar ist, als mittelbar diskriminierend anzusehen, falls sie sich ihrem Wesen nach stärker auf Wanderarbeitnehmer als auf inländische Arbeitnehmer auswirken kann und folglich die Gefahr besteht, dass sie Wanderarbeitnehmer besonders benachteiligt (Urteil vom 5. Dezember 2013, Zentralbetriebsrat der gemeinnützigen Salzburger Landeskliniken, C‑514/12, EU:C:2013:799, Rn. 25 und 26). </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point25">25</a>      Im vorliegenden Fall berührt Art. 2.6a des Durchführungserlasses ohne Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit alle Personen, die während eines Teils des Kalenderjahrs nicht zur Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen verpflichtet waren, in gleicher Weise. Wie der Generalanwalt in Nr. 47 seiner Schlussanträge festgestellt hat, führt diese Bestimmung daher nicht zu einer unmittelbaren Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point26">26</a>      Um eine Maßnahme als mittelbar diskriminierend qualifizieren zu können, muss sie jedoch nicht bewirken, dass alle Inländer begünstigt werden oder dass unter Ausschluss der Inländer nur die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten benachteiligt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Dezember 2014, Larcher, C‑523/13, EU:C:2014:2458, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung). Außerdem ergibt sich aus der in den Rn. 22 und 23 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung, dass selbst nichtdiskriminierende Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV grundsätzlich verboten sind.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point27">27</a>      Um im vorliegenden Fall zu bestimmen, ob Art. 2.6a des Durchführungserlasses eine mittelbare Diskriminierung oder eine Behinderung der Arbeitnehmerfreizügigkeit darstellt, ist erstens zu prüfen, ob es sich dabei um eine steuer- oder um eine sozialrechtliche Bestimmung handelt, weil nämlich jeweils unterschiedliche unionsrechtliche Vorschriften einschlägig sind. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point28">28</a>      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die auf die Sozialversicherungsbeiträge entfallende Ermäßigung, wie in den Rn. 7 und 14 des vorliegenden Urteils ausgeführt, in einer die Festsetzung der Einkommensteuer betreffenden Rechtsvorschrift geregelt ist, die den Einzug der Einkommensteuer von entsprechend steuerpflichtigen natürlichen Personen mit dem Einzug der Sozialabgaben kombiniert. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point29">29</a>      Doch obwohl Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zusammen erhoben werden, fließt das Steueraufkommen in den allgemeinen Staatshaushalt, während das Beitragsaufkommen den Kassen der spezifischen Sozialversicherungen zugeführt wird, für die die Beiträge erhoben werden. Das vorlegende Gericht führt aus, dass nach der Systematik der Ermäßigung zwischen dem die Steuer und dem die Sozialversicherungsbeiträge betreffenden Teil der Ermäßigung unterschieden werde. Ferner bestehe nach Art. 12 Abs. 1 WFSV nur dann ein Anspruch auf den Beitragsanteil der Ermäßigung, wenn der Betreffende beitragspflichtig sei. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point30">30</a>      Folglich betrifft die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung Beiträge, die speziell und unmittelbar der Finanzierung des Systems der sozialen Sicherheit dienen. Diese Regelung weist also einen unmittelbaren und hinreichend relevanten Zusammenhang mit den Gesetzen zur Regelung der in Art. 3 der Verordnung Nr. 883/2004 aufgeführten Zweige der sozialen Sicherheit auf und fällt somit in den Anwendungsbereich dieser Verordnung (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Februar 2015, de Ruyter, C‑623/13, EU:C:2015:123‚ Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im Ausgangsverfahren geht es also um eine mögliche Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch eine sozialrechtliche Maßnahme, die Bestandteil des nationalen Systems der sozialen Sicherheit ist. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point31">31</a>      Daher sind die in der Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der Besteuerung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit entwickelten Grundsätze, wie sie sich insbesondere aus den von Frau Zyla in ihren Erklärungen angeführten Urteilen vom 14. Februar 1995, Schumacker (C‑279/93, EU:C:1995:31), und vom 16. Oktober 2008, Renneberg (C‑527/06, EU:C:2008:566), ergeben, nicht auf eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende anwendbar. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point32">32</a>      Dies wird durch den vom vorlegenden Gericht hervorgehobenen Umstand, dass, wenn der Betrag der zu entrichtenden Sozialversicherungsbeiträge niedriger ist als die darauf anzuwendende Ermäßigung, anhand eines Verrechnungsmechanismus ein Teil der Beitragsermäßigung auf die Einkommensteuerlast angerechnet werden kann, wodurch diese geringer wird, nicht in Frage gestellt. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point33">33</a>      Der Gerichtshof hat nämlich bereits entschieden, dass den im niederländischen System der sozialen Sicherheit versicherten Personen nur ausnahmsweise Steuerermäßigungen für Sozialversicherungen zugutekommen, da ein Versicherter solche Steuerermäßigungen nur dann beanspruchen kann, wenn er die Beitragsermäßigungen nicht mit den geschuldeten Beiträgen verrechnen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. September 2005, Blanckaert, C‑512/03, EU:C:2005:516‚ Rn. 47). Folglich hat das Bestehen des in Rn. 32 des vorliegenden Urteils erwähnten Verrechnungsmechanismus keinen Einfluss auf die Rechtsnatur der im niederländischen Recht vorgesehenen Ermäßigung der Sozialversicherungsbeiträge, die, wie vom Generalanwalt in Nr. 56 seiner Schlussanträge ausgeführt, speziell darauf abzielt, die finanzielle Belastung abzumildern, die diese Beiträge für den Arbeitnehmer mit sich bringen. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point34">34</a>      Nach ständiger Rechtsprechung sind die Mitgliedstaaten zwar grundsätzlich weiterhin für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit zuständig, müssen dabei jedoch das Unionsrecht und insbesondere die Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer beachten (vgl. u. a. Urteil vom 13. Juli 2016, Pöpperl, C‑187/15, EU:C:2016:550, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point35">35</a>      Da die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Vorschrift zum niederländischen System der sozialen Sicherheit gehört, ist zweitens zu prüfen, ob sie als solche eine mittelbar diskriminierende Maßnahme oder eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit darstellt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point36">36</a>      Wie bereits in Rn. 30 des vorliegenden Urteils ausgeführt, fällt die Situation von Frau Zyla in den Anwendungsbereich der sich aus der Verordnung Nr. 883/2004 ergebenden Regeln zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point37">37</a>      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass zur Gewährleistung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und Selbständigen in der Union unter Beachtung des Grundsatzes ihrer Gleichbehandlung nach den verschiedenen nationalen Rechtsvorschriften in der Verordnung Nr. 1408/71 und später in der Verordnung Nr. 883/2004 eine Koordinierungsregelung geschaffen wurde, die sich u. a. mit der Bestimmung der auf Arbeitnehmer, die unter verschiedenen Umständen von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen, anzuwendenden Rechtsvorschriften befasst (Urteil vom 26. Februar 2015, de Ruyter, C‑623/13, EU:C:2015:123‚ Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point38">38</a>      Diese Regelung bildet ein geschlossenes System von Kollisionsnormen, das den Gesetzgebern der Mitgliedstaaten die Befugnis nimmt, den Geltungsbereich und die Anwendungsvoraussetzungen ihrer nationalen Rechtsvorschriften im Hinblick darauf nach ihrem Belieben zu bestimmen, welche Personen ihnen unterliegen und in welchem Gebiet die nationalen Bestimmungen ihre Wirkung entfalten sollen (Urteil vom 26. Februar 2015, de Ruyter, C‑623/13, EU:C:2015:123‚ Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point39">39</a>      Im Ausgangsverfahren unterlag Frau Zyla gemäß Art. 11 Abs. 1 und Abs. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 während ihrer nichtselbständigen Erwerbstätigkeit in den Niederlanden dem Recht dieses Mitgliedstaats und war im niederländischen Sozialversicherungssystem versichert. Aufgrund dieser Versicherung wurde ihr für diesen Zeitraum die auf die entsprechenden Sozialversicherungsbeiträge entfallende Ermäßigung gewährt. Da Frau Zyla aber, nachdem sie die Niederlande verlassen hatte und in ihren Herkunftsmitgliedstaat zurückgekehrt war, nicht mehr im niederländischen Sozialversicherungssystem versichert und damit auch nicht mehr beitragspflichtig war, wurde ihr gemäß Art. 2.6a des Durchführungserlasses der die Sozialversicherungsbeiträge betreffende Anteil der Ermäßigung nicht in voller Höhe gewährt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point40">40</a>      Daher hat die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung nur in Bezug auf den zweiten Teil des Jahres 2013 zu einer Ungleichbehandlung zwischen Frau Zyla und einer während des gesamten Jahres im niederländischen Sozialversicherungssystem versicherten Person geführt. Eine solche Person hätte nämlich, selbst wenn sie wie Frau Zyla im zweiten Teil des Jahres kein Einkommen erzielen würde, Anspruch auf die Beitragsermäßigung in voller Höhe, die vorrangig mit ihren Sozialversicherungsbeiträgen und nachrangig mit ihren Steuern verrechnet würde. Dies bedeutet, dass – bei gleichen Einkünften – die Gewährung der auf die Sozialversicherungsbeiträge entfallenden Ermäßigung in voller Höhe bei einer Person, die während des gesamten Jahres im niederländischen Sozialversicherungssystem versichert ist, zu einer geringeren Beitrags- oder sogar Steuerlast führt als bei einer Person, deren Versicherung in diesem System während desselben Jahres endet.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point41">41</a>      In Anbetracht der in Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 verankerten Regel, dass nur das Recht eines Mitgliedstaats anwendbar sein kann, und der in Art. 11 Abs. 3 Buchst. e dieser Verordnung verankerten Regel, dass eine Person, die keine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, nur dem Sozialrecht ihres Wohnmitgliedstaats unterliegt, konnte eine Person in der Situation von Frau Zyla nach Beendigung ihrer Berufstätigkeit in den Niederlanden und ihrem Wegzug nicht mehr dem niederländischen Sozialversicherungssystem angehören.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point42">42</a>      Folglich besteht, wie der Generalanwalt in Nr. 63 seiner Schlussanträge zutreffend ausgeführt hat, angesichts der Art der in Rede stehenden Regelung ein objektiver Unterschied zwischen der Situation einer Person, deren Versicherung im niederländischen Sozialversicherungssystem – wie bei Frau Zyla – im Lauf eines bestimmten Jahres endet, und der Situation eines Arbeitnehmers, der während des gesamten Jahres in diesem Sozialversicherungssystem versichert bleibt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point43">43</a>      Der Gerichtshof hat im Übrigen entschieden, dass es der inneren Logik eines nationalen Sozialversicherungssystems entspricht, dass Beitragsermäßigungen allein den zur Beitragszahlung Verpflichteten, d. h. den in diesem System Versicherten, zugutekommen (Urteil vom 8. September 2005, Blanckaert, C‑512/03, EU:C:2005:516‚ Rn. 49).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point44">44</a>      Außerdem sollen, wie in Rn. 22 des vorliegenden Urteils ausgeführt, sämtliche die Freizügigkeit betreffenden Bestimmungen des Vertrags den Unionsbürgern die Ausübung beruflicher Tätigkeiten aller Art im Gebiet der Union erleichtern und stehen Maßnahmen entgegen, die die Unionsbürger benachteiligen könnten, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als ihres Herkunftsmitgliedstaats eine Tätigkeit ausüben wollen. In diesem Zusammenhang haben die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten insbesondere das unmittelbar aus dem AEU-Vertrag abgeleitete Recht, ihren Herkunftsmitgliedstaat zu verlassen, um sich zur Ausübung einer Tätigkeit in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zu begeben und sich dort aufzuhalten (Urteil vom 18. Juli 2017, Erzberger, C‑566/15, EU:C:2017:562, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung). </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point45">45</a>      Das Primärrecht der Union kann einem Arbeitnehmer jedoch nicht garantieren, dass ein Umzug in einen anderen Mitgliedstaat in sozialer Hinsicht neutral ist, da ein solcher Umzug aufgrund der Unterschiede, die zwischen den Systemen und Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bestehen, für die betreffende Person je nach Einzelfall Vorteile oder Nachteile in diesem Bereich haben kann (Urteil vom 18. Juli 2017, Erzberger, C‑566/15, EU:C:2017:562, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung). Das Unionsrecht garantiert lediglich, dass Arbeitnehmer, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als ihres Herkunftsmitgliedstaats eine Tätigkeit ausüben, denselben Bedingungen unterliegen wie die Arbeitnehmer in diesem anderen Staat.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point46">46</a>      Nach alledem kann Art. 2.6a des Durchführungserlasses weder als eine mittelbar diskriminierende Vorschrift noch als eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit, die nach Art. 45 AEUV verboten sind, angesehen werden. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point47">47</a>      Schließlich wird diese Beurteilung entgegen dem Vorbringen der Europäischen Kommission nicht durch das Urteil vom 26. Januar 1999, Terhoeve (C‑18/95, EU:C:1999:22), oder das Urteil vom 8. Mai 1990, Biehl (C‑175/88, EU:C:1990:186), in Frage gestellt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point48">48</a>      Im ersten dieser beiden Urteile ging es nämlich um Sozialversicherungsbeiträge, die ein lediglich aus seinem Herkunftsmitgliedstaat entsandter Arbeitnehmer zu entrichten hatte, der gemäß den Koordinierungsregeln der Verordnung Nr. 1408/71 trotz seiner Entsendung in einen anderen Mitgliedstaat während des gesamten maßgeblichen Zeitraums im Sozialversicherungssystem des Herkunftsmitgliedstaats versichert war. Eine solche Situation unterscheidet sich grundlegend von der, in der ein Arbeitnehmer, wie im vorliegenden Fall, nicht mehr in einem Mitgliedstaat sozialversichert ist, nachdem er dort seine Berufstätigkeit aufgegeben und seinen Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt hat.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point49">49</a>      In Bezug auf das zweite Urteil genügt die Feststellung, dass die dort in Rede stehende Ungleichbehandlung anders als in der vorliegenden Rechtssache nichts mit dem nationalen Sozialversicherungssystem zu tun hatte und damit nicht unter das System zur Koordinierung der Regelungen auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts fiel, das in der Verordnung Nr. 1408/71 vorgesehen ist, die inzwischen durch die Verordnung Nr. 883/2004 ersetzt wurde.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point50">50</a>      Unter diesen Umständen ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 45 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die im Hinblick auf die Bestimmung der Höhe der von einem Arbeitnehmer geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge vorsieht, dass sich die diese Beiträge betreffende Ermäßigung, auf die ein Arbeitnehmer für ein Kalenderjahr Anspruch hat, nach dem Zeitraum bemisst, in dem dieser Arbeitnehmer im Sozialversicherungssystem dieses Mitgliedstaats versichert war, und somit von der jährlichen Ermäßigung den Teil ausschließt, der dem Zeitraum entspricht, in dem dieser Arbeitnehmer nicht in diesem System versichert war und in einem anderen Mitgliedstaat wohnte, ohne dort berufstätig zu sein.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Kosten</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point51">51</a>      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.</p>
<p class="C41DispositifIntroduction">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zehnte Kammer) für Recht erkannt:</p>
<p class="C30Dispositifalinea">
<b>Art. 45 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die im Hinblick auf die Bestimmung der Höhe der von einem Arbeitnehmer geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge vorsieht, dass sich die diese Beiträge betreffende Ermäßigung, auf die ein Arbeitnehmer für ein Kalenderjahr Anspruch hat, nach dem Zeitraum bemisst, in dem dieser Arbeitnehmer im Sozialversicherungssystem dieses Mitgliedstaats versichert war, und somit von der jährlichen Ermäßigung den Teil ausschließt, der dem Zeitraum entspricht, in dem dieser Arbeitnehmer nicht in diesem System versichert war und in einem anderen Mitgliedstaat wohnte, ohne dort berufstätig zu sein. </b>
</p>
<p class="C77Signatures">Unterschriften</p>
<hr/>
<p class="C42FootnoteLangue">
<a href="#Footref*" name="Footnote*">*</a>      Verfahrenssprache: Niederländisch.</p>
|
175,028 | eugh-2019-01-23-c-66117 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-661/17 | 2019-01-23T00:00:00 | 2019-01-31T19:20:50 | 2019-01-31T19:20:50 | Urteil | ECLI:EU:C:2019:53 | <p>Vorläufige Fassung</p>
<p class="C19Centre">URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)</p>
<p class="C19Centre">23. Januar 2019(<a href="#Footnote*" name="Footref*">*</a>)</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Asylpolitik – Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist – Verordnung (EU) Nr. 604/2013 – Ermessensklauseln – Beurteilungskriterien“</p>
<p class="C02AlineaAltA">In der Rechtssache C‑661/17</p>
<p class="C02AlineaAltA">betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom High Court (Hoher Gerichtshof, Irland) mit Entscheidung vom 21. November 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 27. November 2017, in dem Verfahren</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>M.A.,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>S.A.,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>A.Z.</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">gegen</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>International Protection Appeals Tribunal,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Minister for Justice and Equality,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Attorney General,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Ireland</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">erlässt</p>
<p class="C19Centre">DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Mitwirkung der Vizepräsidentin des Gerichtshofs R. Silva de Lapuerta in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer sowie der Richter J.‑C. Bonichot, A. Arabadjiev, E. Regan und C. G. Fernlund (Berichterstatter),</p>
<p class="C02AlineaAltA">Generalanwalt: E. Tanchev,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Kanzler: A. Calot Escobar,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund des schriftlichen Verfahrens,</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Berücksichtigung der Erklärungen</p>
<p class="C03Tiretlong">–        von M.A., S.A. und A.Z., vertreten durch M. de Blacam, SC, und G. O’Halloran, BL, </p>
<p class="C03Tiretlong">–        von Irland, vertreten durch M. Browne, G. Hodge und A. Joyce als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und R. Kanitz als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der niederländischen Regierung, vertreten durch J. Hoogveld und M. K. Bulterman als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch C. Brodie, S. Brandon und D. Blundell als Bevollmächtigte im Beistand von J. Holmes, QC,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin und M. Condou-Durande als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,</p>
<p class="C02AlineaAltA">folgendes</p>
<p class="C75Debutdesmotifs">
<b>Urteil</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point1">1</a>        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 6 und 17 sowie von Art. 20 Abs. 3 und Art. 27 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. 2013, L 180, S. 31, im Folgenden: Dublin‑III-Verordnung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point2">2</a>        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen M.A., S.A. und A.Z. auf der einen Seite und dem International Protection Appeals Tribunal (Gericht für Rechtsbehelfe in Sachen des internationalen Schutzes, Irland), dem Minister for Justice and Equality (Minister für Justiz und Gleichberechtigung, Irland), dem Attorney General (Generalstaatsanwalt, Irland) und Irland auf der anderen Seite über die gegenüber M.A., S.A. und A.Z. im Rahmen der Dublin‑III-Verordnung getroffene Überstellungsentscheidung.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Völkerrecht</b>
</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Genfer Flüchtlingskonvention</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point3">3</a>        Das am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichnete Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (<i>United Nations Treaty Series</i>, Band 189, S. 150, Nr. 2545 [1954], im Folgenden: Genfer Flüchtlingskonvention) trat am 22. April 1954 in Kraft. Es wurde ergänzt durch das am 31. Januar 1967 in New York abgeschlossene Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (im Folgenden: Protokoll von 1967), das am 4. Oktober 1967 in Kraft trat.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point4">4</a>        Alle Mitgliedstaaten sowie die Republik Island, das Fürstentum Liechtenstein, das Königreich Norwegen und die Schweizerische Eidgenossenschaft sind Vertragsparteien der Genfer Flüchtlingskonvention und des Protokolls von 1967. Die Europäische Union ist weder Vertragspartei der Genfer Flüchtlingskonvention noch des Protokolls von 1967, aber die Art. 78 AEUV und 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sehen vor, dass das Recht auf Asyl u. a. nach Maßgabe dieser Konvention und dieses Protokolls gewährleistet wird.</p>
<p class="C06Titre3"> <i>EMRK</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point5">5</a>        Die am 4. November 1950 in Rom unterzeichnete Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) ist ein multilaterales internationales Abkommen, das im Rahmen des Europarats geschlossen wurde und am 3. September 1953 in Kraft trat. Alle Mitglieder des Europarats, darunter sämtliche Mitgliedstaaten der Union, zählen zu den Hohen Vertragsparteien dieser Konvention.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point6">6</a>        Art. 3 EMRK bestimmt, dass „[n]iemand … der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden [darf]“.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Unionsrecht</b>
</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Charta</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point7">7</a>        Art. 4 der Charta bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point8">8</a>        Art. 47 Abs. 1 der Charta lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point9">9</a>        Art. 52 Abs. 3 der Charta sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Soweit diese Charta Rechte enthält, die den durch die [EMRK] garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird. Diese Bestimmung steht dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt.“</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Dublin</i>‑<i>III-Verordnung</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point10">10</a>      Zunächst ist daran zu erinnern, dass mit dem Vertrag von Amsterdam vom 2. Oktober 1997 Art. 63 in den EG-Vertrag eingefügt wurde, der der Europäischen Gemeinschaft die Befugnis verlieh, die vom Europäischen Rat auf seiner Sondertagung vom 15. und 16. Oktober 1999 in Tampere (Finnland) empfohlenen Maßnahmen zur Einführung eines gemeinsamen europäischen Asylsystems zu ergreifen. Der Erlass dieser Bestimmung ermöglichte es, das am 15. Juni 1990 in Dublin unterzeichnete Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags (ABl. 1997, C 254, S. 1) zwischen den Mitgliedstaaten, mit Ausnahme des Königreichs Dänemark, durch die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. 2003, L 50, S. 1), zu ersetzen, die am 17. März 2003 in Kraft trat. Die Dublin‑III-Verordnung, die am 19. Juli 2013 in Kraft trat und auf der Grundlage von Art. 78 Abs. 2 Buchst. e AEUV erlassen wurde, hat die Verordnung Nr. 343/2003 ersetzt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point11">11</a>      Die Erwägungsgründe 1 bis 5 der Dublin‑III-Verordnung lauten:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">„(1)      Die Verordnung … Nr. 343/2003 … muss in einigen wesentlichen Punkten geändert werden. Aus Gründen der Klarheit empfiehlt sich eine Neufassung der Verordnung.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(2)      Eine gemeinsame Asylpolitik einschließlich eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) ist wesentlicher Bestandteil des Ziels der Europäischen Union, schrittweise einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts aufzubauen, der allen offen steht, die wegen besonderer Umstände rechtmäßig in der Union um Schutz nachsuchen.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(3)      Der Europäische Rat ist auf seiner Sondertagung vom 15. und 16. Oktober 1999 in Tampere übereingekommen, auf ein GEAS hinzuwirken, das sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung [der Genfer Flüchtlingskonvention] in der Fassung des … Protokolls [von 1967] stützt, damit der Grundsatz der Nichtzurückweisung gewahrt bleibt und niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist. In dieser Hinsicht gelten unbeschadet der in dieser Verordnung festgelegten Zuständigkeitskriterien die Mitgliedstaaten, die alle den Grundsatz der Nichtzurückweisung achten, als sichere Staaten für Drittstaatsangehörige.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(4)      Entsprechend den Schlussfolgerungen von Tampere sollte das GEAS auf kurze Sicht eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats umfassen.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(5)      Eine solche Formel sollte auf objektiven und für die Mitgliedstaaten und die Betroffenen gerechten Kriterien basieren. Sie sollte insbesondere eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ermöglichen, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Gewährung des internationalen Schutzes zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz nicht zu gefährden.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point12">12</a>      Die Erwägungsgründe 13 bis 17 dieser Verordnung sehen vor: </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">„(13)      Bei der Anwendung dieser Verordnung sollte das Wohl des Kindes im Einklang mit dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes von 1989 und mit der Charta … eine vorrangige Erwägung der Mitgliedstaaten sein. …</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(14)      Im Einklang mit der [EMRK] und mit der Charta … sollte die Achtung des Familienlebens eine vorrangige Erwägung der Mitgliedstaaten sein, wenn sie diese Verordnung anwenden.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(15)      Mit der gemeinsamen Bearbeitung der von den Mitgliedern einer Familie gestellten Anträge auf internationalen Schutz durch ein und denselben Mitgliedstaat kann sichergestellt werden, dass die Anträge sorgfältig geprüft werden, diesbezügliche Entscheidungen kohärent sind und dass die Mitglieder einer Familie nicht voneinander getrennt werden.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(16)      Um die uneingeschränkte Achtung des Grundsatzes der Einheit der Familie und des Wohl[s] des Kindes zu gewährleisten, sollte ein zwischen einem Antragsteller und seinem Kind, einem seiner Geschwister oder einem Elternteil bestehendes Abhängigkeitsverhältnis, das durch Schwangerschaft oder Mutterschaft, durch den Gesundheitszustand oder hohes Alter des Antragstellers begründet ist, als ein verbindliches Zuständigkeitskriterium herangezogen werden. Handelt es sich bei dem Antragsteller um einen unbegleiteten Minderjährigen, der einen Familienangehörigen oder Verwandten in einem anderen Mitgliedstaat hat, der für ihn sorgen kann, so sollte dieser Umstand ebenfalls als ein verbindliches Zuständigkeitskriterium gelten.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(17)      [Jeder Mitgliedstaat] sollt[e] insbesondere aus humanitären Gründen oder in Härtefällen von den Zuständigkeitskriterien abweichen können, um Familienangehörige, Verwandte oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen … und einen bei ihm oder einem anderen Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn [er] für eine solche Prüfung nach den in dieser Verordnung festgelegten verbindlichen Zuständigkeitskriterien nicht zuständig [ist].“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point13">13</a>      Die Erwägungsgründe 19, 32, 39 und 41 der Verordnung besagen:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">„(19)      Um einen wirksamen Schutz der Rechte der Betroffenen zu gewährleisten, sollten im Einklang insbesondere mit Artikel 47 der Charta … Rechtsgarantien und das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gegen Überstellungsentscheidungen festgeschrieben werden. Um die Einhaltung des Völkerrechts sicherzustellen, sollte ein wirksamer Rechtsbehelf gegen diese Entscheidungen sowohl die Prüfung der Anwendung dieser Verordnung als auch die Prüfung der Rechts- und Sachlage in dem Mitgliedstaat umfassen, in den der Antragsteller überstellt wird.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(32)      In Bezug auf die Behandlung von Personen, die unter diese Verordnung fallen, sind die Mitgliedstaaten an ihre Verpflichtungen aus den völkerrechtlichen Instrumenten einschließlich der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gebunden.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(39)      Diese Verordnung steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die insbesondere mit der Charta … anerkannt wurden. Diese Verordnung zielt insbesondere darauf ab, sowohl die uneingeschränkte Wahrung des in Artikel 18 der Charta verankerten Rechts auf Asyl als auch die in ihren Artikeln 1, 4, 7, 24 und 47 anerkannten Rechte zu gewährleisten. Diese Verordnung sollte daher in diesem Sinne angewandt werden.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(41)      Gemäß Artikel 3 und Artikel 4a Absatz 1 des dem EUV und dem AEUV beigefügten Protokolls Nr. 21 über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts … haben diese Mitgliedstaaten mitgeteilt, dass sie sich an der Annahme und Anwendung dieser Verordnung beteiligen möchten.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point14">14</a>      In Art. 1 der Verordnung heißt es:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Diese Verordnung legt die Kriterien und Verfahren fest, die bei der Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, zur Anwendung gelangen …“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point15">15</a>      Art. 3 der Dublin‑III-Verordnung bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der [Charta] mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat … die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)      Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie [2013/32/EU] in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point16">16</a>      Art. 6 („Garantien für Minderjährige“) der Verordnung sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Das Wohl des Kindes ist in allen Verfahren, die in dieser Verordnung vorgesehen sind, eine vorrangige Erwägung der Mitgliedstaaten.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)      Bei der Würdigung des Wohl[s] des Kindes arbeiten die Mitgliedstaaten eng zusammen und tragen dabei insbesondere folgenden Faktoren gebührend Rechnung:</p>
<p class="C02AlineaAltA">a)      Möglichkeiten der Familienzusammenführung;</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(4)      Zum Zweck der Durchführung des Artikels 8 unternimmt der Mitgliedstaat, in dem der unbegleitete Minderjährige einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, so bald wie möglich geeignete Schritte, um die Familienangehörigen, Geschwister oder Verwandte des unbegleiteten Minderjährigen im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu ermitteln, wobei er das Wohl des Kindes schützt.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point17">17</a>      Der zu Kapitel III der Verordnung gehörende Art. 7 besagt in den Abs. 1 und 2:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point18">18</a>      Art. 8 Abs. 1 der Verordnung bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Handelt es sich bei dem Antragsteller um einen unbegleiteten Minderjährigen, so ist der Mitgliedstaat zuständiger Mitgliedstaat, in dem sich ein Familienangehöriger oder eines der Geschwister des unbegleiteten Minderjährigen rechtmäßig aufhält, sofern es dem Wohl des Minderjährigen dient. Ist der Antragsteller ein verheirateter Minderjähriger, dessen Ehepartner sich nicht rechtmäßig im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten aufhält, so ist der Mitgliedstaat zuständiger Mitgliedstaat, in dem sich der Vater, die Mutter … oder ein anderer Erwachsener – der entweder nach dem Recht oder nach den Gepflogenheiten des Mitgliedstaats für den Minderjährigen zuständig ist – oder … eines seiner Geschwister aufhält.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point19">19</a>      Art. 11 („Familienverfahren“) der Dublin‑III-Verordnung sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Stellen mehrere Familienangehörige und/oder unverheiratete minderjährige Geschwister in demselben Mitgliedstaat gleichzeitig oder in so großer zeitlicher Nähe einen Antrag auf internationalen Schutz, dass die Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gemeinsam durchgeführt werden können, und könnte die Anwendung der in dieser Verordnung genannten Kriterien ihre Trennung zur Folge haben, so gilt für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats Folgendes:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      zuständig für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz sämtlicher Familienangehöriger und/oder unverheirateter minderjähriger Geschwister ist der Mitgliedstaat, der nach den Kriterien für die Aufnahme des größten Teils von ihnen zuständig ist;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      andernfalls ist für die Prüfung der Mitgliedstaat zuständig, der nach den Kriterien für die Prüfung des von dem ältesten von ihnen gestellten Antrags zuständig ist.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point20">20</a>      In Art. 17 („Ermessensklauseln“) dieser Verordnung heißt es:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.</p>
<p class="C02AlineaAltA">Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. …“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point21">21</a>      Art. 20 Abs. 3 der Verordnung bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Für die Zwecke dieser Verordnung ist die Situation eines mit dem Antragsteller einreisenden Minderjährigen, der der Definition des Familienangehörigen entspricht, untrennbar mit der Situation seines Familienangehörigen verbunden und fällt in die Zuständigkeit des Mitgliedstaats, der für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz dieses Familienangehörigen zuständig ist, auch wenn der Minderjährige selbst kein Antragsteller ist, sofern dies dem Wohl des Minderjährigen dient. Ebenso wird bei Kindern verfahren, die nach der Ankunft des Antragstellers im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten geboren werden, ohne dass ein neues Zuständigkeitsverfahren für diese eingeleitet werden muss.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point22">22</a>      Art. 27 Abs. 1 der Verordnung sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Der Antragsteller oder eine andere Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d hat das Recht auf ein wirksames Rechtsmittel gegen eine Überstellungsentscheidung in Form einer auf Sach- und Rechtsfragen gerichteten Überprüfung durch ein Gericht.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point23">23</a>      In Art. 29 Abs. 1 und 2 der Dublin‑III-Verordnung heißt es:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Die Überstellung des Antragstellers … aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung der beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten …</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. …“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point24">24</a>      Art. 35 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Jeder Mitgliedstaat teilt der Kommission unverzüglich die speziell für die Durchführung dieser Verordnung zuständigen Behörden sowie alle späteren sie betreffenden Änderungen mit. Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass diese Behörden über die nötigen Mittel verfügen, um ihre Aufgabe zu erfüllen und insbesondere die Informationsersuchen sowie die Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern innerhalb der vorgegebenen Fristen zu beantworten.“</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Irisches Recht</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point25">25</a>      Im nationalen Recht sind die European Union (Dublin System) Regulations 2014 (Verordnung von 2014 über die Europäische Union [Dublin-System]) (SI Nr. 525/2014, im Folgenden: nationale Verordnung) maßgeblich. Ihre für die vorliegende Rechtssache wichtigsten Bestimmungen sind die folgenden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point26">26</a>      Regulation 2(2) der nationalen Verordnung bestimmt, dass ein Wort oder ein Ausdruck, das oder der sowohl in dieser Verordnung als auch in der Dublin‑III-Verordnung verwendet wird, dieselbe Bedeutung wie in der Unionsverordnung hat.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point27">27</a>      Der Begriff „Überstellungsentscheidung“ wird in Regulation 2(1) der nationalen Verordnung definiert als eine vom Refugee Applications Commissioner (Flüchtlingsbeauftragter, Irland) gemäß der Dublin‑III-Verordnung getroffene Entscheidung, einen Antragsteller zu überstellen, wobei der Staat, d. h. Irland, der ersuchende Mitgliedstaat ist und der ersuchte Mitgliedstaat der Aufnahme oder Wiederaufnahme des Antragstellers zugestimmt hat.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point28">28</a>      Regulation 3(1) der nationalen Verordnung sieht vor, dass der Flüchtlingsbeauftragte die Aufgaben eines die Zuständigkeit prüfenden, eines ersuchenden und eines ersuchten Mitgliedstaats ausübt. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift nimmt der Minister für Justiz und Gleichberechtigung die Aufgaben eines überstellenden Mitgliedstaats wahr.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point29">29</a>      Nach Regulation 3(3) der nationalen Verordnung übt der Flüchtlingsbeauftragte alle Aufgaben nach Art. 6 der Dublin‑III-Verordnung aus; letztere Vorschrift verweist ihrerseits auf das Wohl des Kindes „in allen Verfahren, die in dieser Verordnung vorgesehen sind“.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point30">30</a>      Nach Regulation 6(1) der nationalen Verordnung kann ein Antragsteller gegen eine Überstellungsentscheidung klagen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point31">31</a>      Regulation 6(9) der nationalen Verordnung bestimmt, dass das mit der Klage befasste Gericht die Überstellungsentscheidung bestätigt oder aufhebt.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point32">32</a>      Der Vorlageentscheidung zufolge reiste S.A., eine Drittstaatsangehörige, 2010 mit einem Studentenvisum in das Vereinigte Königreich ein und M.A., ebenfalls ein Drittstaatsangehöriger, zog ihr im folgenden Jahr mit einem Angehörigenvisum nach. Ihr Kind A.Z. wurde im Februar 2014 im Vereinigten Königreich geboren. Die Eltern verlängerten jährlich ihre Visa, bis die Hochschule, an der S.A. studierte, geschlossen wurde, was zum Ablauf ihrer Visa führte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point33">33</a>      Daraufhin begaben sich S.A. und M.A. nach Irland, wo sie am 12. Januar 2016 Asylanträge stellten. Der das Kind betreffende Antrag wurde in den seiner Mutter einbezogen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point34">34</a>      Am 7. April 2016 ersuchte der Flüchtlingsbeauftragte das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland, die Prüfung dieser Asylanträge gemäß der Dublin‑III-Verordnung zu übernehmen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point35">35</a>      Am 1. Mai 2016 erklärte dieser Mitgliedstaat seine Zustimmung zu dieser Übernahme.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point36">36</a>      S.A. und M.A. machten beim Flüchtlingsbeauftragten Gesundheitsbeschwerden von M.A. geltend und verwiesen auch auf eine laufende Untersuchung des Kindes durch den Health Service Executive (staatlicher Gesundheitsdienst, Irland) wegen eines gesundheitlichen Problems.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point37">37</a>      Der Flüchtlingsbeauftragte empfahl die Überstellung an das Vereinigte Königreich und entschied dabei zu Ungunsten von S.A. und M.A., dass Art. 17 der Dublin‑III-Verordnung nicht anzuwenden sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point38">38</a>      S.A. und M.A. fochten die Überstellungsentscheidung vor dem International Protection Appeals Tribunal (Gericht für Rechtsbehelfe in Sachen des internationalen Schutzes) an und stützten sich dabei hauptsächlich auf den genannten Art. 17 sowie auf Klagegründe, die mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union zusammenhingen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point39">39</a>      Am 10. Januar 2017 bestätigte dieses Gericht die Überstellungsentscheidung, nachdem es darauf hingewiesen hatte, dass es nicht dafür zuständig sei, das in diesem Art. 17 vorgesehene Ermessen auszuüben. Außerdem wies es die Argumente, die sich auf den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union bezogen, mit der Begründung zurück, dass es für die Prüfung der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung auf die Situation ankomme, die zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts vorliege.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point40">40</a>      S.A. und M.A. riefen daraufhin den High Court (Hoher Gerichtshof, Irland) an.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point41">41</a>      Dieses Gericht ist der Auffassung, im Prinzip müsse für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits vorab ermittelt werden, welche Auswirkungen das Verfahren des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Union auf das Dublin-System haben könne.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point42">42</a>      Zudem sei zu beachten, dass die in der nationalen Verordnung verwendeten Begriffe, die mit denen der Dublin‑III-Verordnung übereinstimmten, dieselbe Bedeutung wie letztere Begriffe haben müssten. Daher müsse zur Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits die Dublin‑III-Verordnung ausgelegt werden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point43">43</a>      Unter diesen Umständen hat der High Court (Hoher Gerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Ist ein nationaler Entscheidungsträger, der mit der Überstellung einer Schutz beantragenden Person im Sinne der Dublin‑III-Verordnung an das Vereinigte Königreich befasst ist, bei der Prüfung von Fragen im Zusammenhang mit dem Ermessen nach Art. 17 dieser Verordnung und/oder Fragen des Grundrechtsschutzes im Vereinigten Königreich verpflichtet, Umstände, die sich aus dem geplanten Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union ergeben, in der Form, wie sie sich zum Zeitpunkt dieser Prüfung darstellen, außer Betracht zu lassen?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Umfasst der Begriff „die Zuständigkeit prüfender Mitgliedstaat“ in der Dublin‑III-Verordnung die Rolle des Mitgliedstaats bei der Ausübung der durch Art. 17 dieser Verordnung anerkannten oder verliehenen Befugnis?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">3.      Umfassen die einem Mitgliedstaat nach Art. 6 der Dublin‑III-Verordnung obliegenden Aufgaben die durch Art. 17 dieser Verordnung anerkannte oder verliehene Befugnis?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">4.      Gilt der Grundsatz des Anspruchs auf einen wirksamen Rechtsbehelf im Fall einer Ausgangsentscheidung nach Art. 17 der Dublin‑III-Verordnung, so dass eine Klage oder ein gleichwertiger Rechtsbehelf gegen eine solche Entscheidung zugelassen werden muss und/oder eine nationale Regelung, die einen Rechtsweg gegen eine Ausgangsentscheidung nach dieser Verordnung vorsieht, dahin auszulegen ist, dass sie die Anfechtung einer Entscheidung nach Art. 17 umfasst?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">5.      Hat Art. 20 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung die Wirkung, dass bei Fehlen jeglichen Beweises, der die Vermutung widerlegen könnte, dass im Interesse des Wohles des Kindes seine Situation als untrennbar mit der Situation seiner Eltern verbunden anzusehen ist, der nationale Entscheidungsträger nicht verpflichtet ist, das Wohl des Kindes unabhängig von der Situation der Eltern als eigenständige Frage oder als Ausgangspunkt für die Frage, ob die Überstellung erfolgen soll, zu prüfen?</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Verfahren vor dem Gerichtshof</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point44">44</a>      Das vorlegende Gericht hat beantragt, die Rechtssache dem in Art. 23a der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union vorgesehenen Eilvorabentscheidungsverfahren zu unterwerfen. Hilfsweise hat es beantragt, die Rechtssache gemäß Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs dem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point45">45</a>      Was erstens den Antrag bezüglich des Eilvorabentscheidungsverfahrens anbelangt, hat der Gerichtshof am 4. Dezember 2017 auf Vorschlag des Berichterstatters nach Anhörung des Generalanwalts beschlossen, diesem Antrag nicht stattzugeben.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point46">46</a>      Was zweitens den Antrag betrifft, die vorliegende Rechtssache dem in Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vorgesehenen beschleunigten Verfahren zu unterwerfen, so hat der Präsident des Gerichtshofs mit Beschluss vom 20. Dezember 2017, M.A. u. a. (C‑661/17, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:1024), entschieden, ihn abzulehnen.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Zu den Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur Zulässigkeit</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point47">47</a>      Irland trägt vor, da die Rechtsfolgen eines möglichen Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Union noch nicht bekannt seien, müssten die Fragen, die sich auf solche Folgen bezögen, als hypothetisch angesehen werden. Folglich wäre jede Entscheidung, die der Gerichtshof in diesem Stadium in Bezug auf die Situation nach dem Datum, ab dem dieser Mitgliedstaat voraussichtlich nicht mehr der Union angehöre, fällen könne, hypothetischer Natur. Nach ständiger Rechtsprechung (Urteil vom 27. Februar 2014, Pohotovost’, C‑470/12, EU:C:2014:101, Rn. 27 und 29 sowie die dort angeführte Rechtsprechung) beantworte der Gerichtshof aber keine hypothetischen oder auf die Abgabe von Gutachten gerichteten Fragen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point48">48</a>      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass das mit Art. 267 AEUV eingerichtete Verfahren nach ständiger Rechtsprechung ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten ist, mit dem der Gerichtshof diesen Gerichten Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts gibt, die sie zur Entscheidung des bei ihnen anhängigen Rechtsstreits benötigen (Urteil vom 8. Dezember 2016, Eurosaneamientos u. a., C‑532/15 und C‑538/15, EU:C:2016:932, Rn. 26 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point49">49</a>      Im Rahmen dieser Zusammenarbeit ist es allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen. Betreffen daher die vorgelegten Fragen die Auslegung des Unionsrechts, ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden (Urteil vom 8. Dezember 2016, Eurosaneamientos u. a., C‑532/15 und C‑538/15, EU:C:2016:932, Rn. 27 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point50">50</a>      Hieraus folgt, dass eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen eines nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Die Zurückweisung des Ersuchens eines nationalen Gerichts ist dem Gerichtshof nur möglich, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 8. Dezember 2016, Eurosaneamientos u. a., C‑532/15 und C‑538/15, EU:C:2016:932, Rn. 28 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point51">51</a>      Im vorliegenden Fall hat das vorlegende Gericht detailliert erläutert, weshalb es zu der Auffassung gelangt ist, dass es zur Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits erforderlich sei, die Folgen zu untersuchen, die ein möglicher Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union im Rahmen der Dublin‑III-Verordnung haben könne.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point52">52</a>      Unter diesen Umständen erscheint die vom vorlegenden Gericht erbetene Auslegung für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits nicht irrelevant. Folglich sind die Fragen des High Court (Hoher Gerichtshof) zu beantworten.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur Sache</b>
</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Zur ersten Frage</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point53">53</a>      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen ist, dass der Umstand, dass ein als „zuständig“ im Sinne dieser Verordnung bestimmter Mitgliedstaat seine Absicht mitgeteilt hat, gemäß Art. 50 EUV aus der Union auszutreten, den die Zuständigkeit prüfenden Mitgliedstaat dazu verpflichtet, in Anwendung der in diesem Art. 17 Abs. 1 vorgesehenen Ermessensklausel den fraglichen Schutzantrag selbst zu prüfen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point54">54</a>      Hierzu ist darauf zu hinzuweisen, dass die Mitteilung eines Mitgliedstaats über seine Absicht, gemäß Art. 50 EUV aus der Union auszutreten, nicht die Aussetzung der Anwendung des Unionsrechts in diesem Mitgliedstaat bewirkt, so dass die unionsrechtlichen Vorschriften in diesem Staat bis zu seinem tatsächlichen Austritt aus der Union vollumfänglich in Kraft bleiben (Urteil vom 19. September 2018, RO, C‑327/18 PPU, EU:C:2018:733, Rn. 45).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point55">55</a>      Wie in Rn. 10 des vorliegenden Urteils dargelegt, hat die Dublin‑III-Verordnung die Verordnung Nr. 343/2003 ersetzt. Hinsichtlich der in Art. 17 Abs. 1 der erstgenannten Verordnung vorgesehenen Ermessensklausel hat der Gerichtshof bereits klargestellt, dass angesichts dessen, dass der Wortlaut dieser Vorschrift im Wesentlichen mit dem der Souveränitätsklausel in Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 343/2003 übereinstimmt, die Auslegung letzterer Vorschrift auf Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung übertragbar ist (Urteil vom 16. Februar 2017, C. K. u. a., C‑578/16 PPU, EU:C:2017:127, Rn. 53).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point56">56</a>      Nach Art. 3 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung wird ein Antrag auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III dieser Verordnung als zuständiger Staat bestimmt wird.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point57">57</a>      Abweichend von diesem Art. 3 Abs. 1 kann jeder Mitgliedstaat nach Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach solchen Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point58">58</a>      Aus dem Wortlaut von Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung geht klar hervor, dass diese Vorschrift insofern fakultativ ist, als sie es dem Ermessen jedes Mitgliedstaats überlässt, zu beschließen, einen bei ihm gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung definierten Kriterien für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nicht für die Prüfung zuständig ist. Im Übrigen ist die Ausübung dieser Befugnis an keine besondere Bedingung geknüpft (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Mai 2013, Halaf, C‑528/11, EU:C:2013:342, Rn. 36). Diese Befugnis soll es jedem Mitgliedstaat ermöglichen, sich aus politischen, humanitären oder praktischen Erwägungen bereit zu erklären, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er hierfür nach den in dieser Verordnung definierten Kriterien nicht zuständig ist (Urteil vom 4. Oktober 2018, Fathi, C‑56/17, EU:C:2018:803, Rn. 53).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point59">59</a>      Angesichts des Umfangs des den Mitgliedstaaten auf diese Weise gewährten Ermessens ist es Sache des betreffenden Mitgliedstaats, die Umstände zu bestimmen, unter denen er von der Befugnis, die durch die Ermessensklausel in Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung eingeräumt wird, Gebrauch machen möchte, und zu entscheiden, ob er sich bereit erklärt, einen Antrag auf internationalen Schutz, für den er nach den in dieser Verordnung definierten Kriterien nicht zuständig ist, selbst zu prüfen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point60">60</a>      Diese Feststellung steht im Übrigen auf einer Linie zum einen mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den fakultativen Bestimmungen, der zufolge diese Bestimmungen den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen einräumen (Urteil vom 10. Dezember 2013, Abdullahi, C‑394/12, EU:C:2013:813, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung), und zum anderen mit dem Ziel dieses Art. 17 Abs. 1, die Prärogativen der Mitgliedstaaten bei der Ausübung des Rechts auf Gewährung internationalen Schutzes zu wahren (Urteil vom 5. Juli 2018, X, C‑213/17, EU:C:2018:538, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point61">61</a>      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen ist, dass der Umstand, dass ein als „zuständig“ im Sinne dieser Verordnung bestimmter Mitgliedstaat seine Absicht mitgeteilt hat, gemäß Art. 50 EUV aus der Union auszutreten, den die Zuständigkeit prüfenden Mitgliedstaat nicht dazu verpflichtet, in Anwendung der in diesem Art. 17 Abs. 1 vorgesehenen Ermessensklausel den fraglichen Schutzantrag selbst zu prüfen.</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Zur zweiten Frage</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point62">62</a>      Ausweislich der dem Gerichtshof vorliegenden Akte beruht die zweite Frage auf der Prämisse, dass in Irland der Flüchtlingsbeauftragte nach den in der Dublin‑III-Verordnung definierten Kriterien den zuständigen Mitgliedstaat bestimmt, während für die Anwendung der in Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Ermessensklausel der Minister für Justiz und Gleichberechtigung zuständig ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point63">63</a>      Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner zweiten Frage im Kern wissen möchte, ob die Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen ist, dass sie verlangt, dass für die Bestimmung des zuständigen Staates nach den in dieser Verordnung definierten Kriterien und für die Anwendung der in Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Ermessensklausel dieselbe nationale Behörde zuständig ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point64">64</a>      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das den Mitgliedstaaten durch Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung verliehene Ermessen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ein integraler Bestandteil der in dieser Verordnung vorgesehenen Verfahren zur Bestimmung des für einen Asylantrag zuständigen Mitgliedstaats ist. Die von einem Mitgliedstaat gemäß dieser Vorschrift getroffene Entscheidung, einen Antrag auf internationalen Schutz, für den er nach den Kriterien des Kapitels III dieser Verordnung nicht zuständig ist, zu prüfen oder nicht zu prüfen, stellt somit eine Durchführung des Unionsrechts dar (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Februar 2017, C. K. u. a., C‑578/16 PPU, EU:C:2017:127, Rn. 53 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point65">65</a>      Sodann ist festzustellen, dass die Dublin‑III-Verordnung allerdings keine Vorschrift enthält, aus der hervorginge, welche Behörde dazu ermächtigt ist, eine Entscheidung nach den in dieser Verordnung definierten Kriterien für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats oder gemäß der in Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Ermessensklausel zu treffen. Ebenso wenig ist in der Dublin‑III-Verordnung geregelt, ob ein Mitgliedstaat die Zuständigkeit für die Anwendung solcher Kriterien und diejenige für die Anwendung dieser Ermessensklausel derselben Behörde übertragen muss.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point66">66</a>      Hingegen sieht Art. 35 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung vor, dass jeder Mitgliedstaat der Kommission unverzüglich die speziell für die Durchführung dieser Verordnung „zuständigen Behörden“ sowie alle späteren sie betreffenden Änderungen mitteilt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point67">67</a>      Dem Wortlaut dieser Vorschrift ist erstens zu entnehmen, dass es Sache eines Mitgliedstaats ist, zu bestimmen, welche nationalen Behörden für die Anwendung der Dublin‑III-Verordnung zuständig sind. Zweitens impliziert der in diesem Art. 35 enthaltene Ausdruck „die … zuständigen Behörden“, dass es einem Mitgliedstaat freisteht, die Zuständigkeit für die Anwendung der in dieser Verordnung definierten Kriterien für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats und diejenige für die Anwendung der in Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen „Ermessensklausel“ verschiedenen Behörden zu übertragen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point68">68</a>      Diese Beurteilung wird auch durch andere Bestimmungen der Dublin‑III-Verordnung wie Art. 4 Abs. 1, Art. 20 Abs. 2 und 4 oder Art. 21 Abs. 3 gestützt, in denen die Ausdrücke „seine zuständigen Behörden“, „den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats“, „den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats“ oder auch „die Behörden des ersuchten Mitgliedstaats“ verwendet wurden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point69">69</a>      Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass die Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen ist, dass sie nicht verlangt, dass für die Bestimmung des zuständigen Staates nach den in dieser Verordnung definierten Kriterien und für die Anwendung der in Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Ermessensklausel dieselbe nationale Behörde zuständig ist.</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Zur dritten Frage</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point70">70</a>      Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 6 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen ist, dass er einen Mitgliedstaat, der nach den in dieser Verordnung genannten Kriterien für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz unzuständig ist, dazu verpflichtet, das Wohl des Kindes zu berücksichtigen und diesen Antrag in Anwendung von Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung selbst zu prüfen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point71">71</a>      Angesichts dessen, dass bereits aus den Rn. 58 und 59 des vorliegenden Urteils hervorgeht, dass die Ausübung der den Mitgliedstaaten durch die Ermessensklausel in Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung eröffnete Befugnis an keine besondere Bedingung geknüpft ist und es grundsätzlich Sache jedes Mitgliedstaats ist, die Umstände zu bestimmen, unter denen er von dieser Befugnis Gebrauch machen möchte, und zu entscheiden, ob er sich bereit erklärt, einen Antrag auf internationalen Schutz, für den er nach den in dieser Verordnung definierten Kriterien nicht zuständig ist, selbst zu prüfen, ist festzustellen, dass auch Erwägungen des Kindeswohls einen Mitgliedstaat nicht dazu verpflichten können, von dieser Befugnis Gebrauch zu machen und einen Antrag, für den er nicht zuständig ist, selbst zu prüfen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point72">72</a>      Folglich ist Art. 6 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen, dass er einen Mitgliedstaat, der nach den in dieser Verordnung genannten Kriterien für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz unzuständig ist, nicht dazu verpflichtet, das Wohl des Kindes zu berücksichtigen und diesen Antrag in Anwendung von Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung selbst zu prüfen.</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Zur vierten Frage</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point73">73</a>      Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 27 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen ist, dass er dazu verpflichtet, einen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung, von der in Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Befugnis keinen Gebrauch zu machen, vorzusehen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point74">74</a>      Nach Art. 27 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung hat die Person, die internationalen Schutz beantragt, das Recht auf ein wirksames Rechtsmittel gegen eine Überstellungsentscheidung in Form einer auf Sach- und Rechtsfragen gerichteten Überprüfung durch ein Gericht.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point75">75</a>      Dieser Artikel sieht also nicht ausdrücklich einen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung vor, von der in Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Befugnis keinen Gebrauch zu machen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point76">76</a>      Zudem legt das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz und insbesondere einer raschen Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats, das dem mit der Dublin‑III-Verordnung eingeführten Verfahren zugrunde liegt und in deren fünftem Erwägungsgrund dargelegt wird, nahe, keine weiteren Rechtsbehelfe vorzusehen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point77">77</a>      Zwar ist der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der nunmehr in Art. 47 der Charta zum Ausdruck kommt (Urteil vom 10. Juli 2014, Telefónica und Telefónica de España/Kommission, C‑295/12 P, EU:C:2014:2062, Rn. 40 sowie die dort angeführte Rechtsprechung) und nach dem jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht hat, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point78">78</a>      Wenn ein Mitgliedstaat es ablehnt, von der Ermessensklausel in Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung Gebrauch zu machen, läuft dies jedoch zwangsläufig darauf hinaus, dass er eine Überstellungsentscheidung erlässt. Die Weigerung des Mitgliedstaats, diese Klausel anzuwenden, kann also gegebenenfalls im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Überstellungsentscheidung angefochten werden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point79">79</a>      Folglich ist Art. 27 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen, dass er nicht dazu verpflichtet, einen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung, von der in Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Befugnis keinen Gebrauch zu machen, vorzusehen, wovon die Möglichkeit unberührt bleibt, diese Entscheidung im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen die Überstellungsentscheidung anzufechten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point80">80</a>      Um dem vorlegenden Gericht eine zweckdienliche Antwort zu geben, ist im Übrigen – soweit die vorgelegten Fragen mit der Mitteilung des nach den Kriterien der Dublin‑III-Verordnung als zuständig bestimmten Mitgliedstaats über seine Absicht, gemäß Art. 50 EUV aus der Union auszutreten, zusammenhängen – darauf hinzuweisen, dass diese Mitteilung, wie sich aus Rn. 54 des vorliegenden Urteils ergibt, nicht die Aussetzung der Anwendung des Unionsrechts in diesem Mitgliedstaat bewirkt und dass folglich das Unionsrecht – wozu das Gemeinsame Europäische Asylsystem sowie das gegenseitige Vertrauen und die Vermutung, dass die Mitgliedstaaten die Grundrechte achten, gehören – in diesem Mitgliedstaat bis zu seinem tatsächlichen Austritt aus der Union vollumfänglich in Kraft bleibt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point81">81</a>      Zu ergänzen ist auch, dass die Überstellung eines Antragstellers an einen solchen Mitgliedstaat nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht erfolgen darf, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass der Antragsteller aufgrund dieser Mitteilung tatsächlich Gefahr läuft, in diesem Mitgliedstaat eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta zu erleiden (Urteil vom 16. Februar 2017, C. K. u. a., C‑578/16 PPU, EU:C:2017:127, Rn. 65).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point82">82</a>      In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass eine solche Mitteilung für sich genommen nicht dahin gehend verstanden werden kann, dass sie den Betroffenen einer solchen Gefahr aussetzt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point83">83</a>      Insoweit ist erstens darauf hinzuweisen, dass das Gemeinsame Europäische Asylsystem in einem Kontext entworfen wurde, der die Annahme zulässt, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, darunter die Rechte aus der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 – nämlich der Grundsatz der Nichtzurückweisung – sowie aus der EMRK, und dass diese Staaten einander folglich Vertrauen entgegenbringen dürfen, was die Wahrung dieser Grundrechte betrifft (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a., C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:865, Rn. 78); im Übrigen sind all diese Staaten, wie in den Rn. 3 bis 5 des vorliegenden Urteils dargelegt, Vertragsparteien sowohl der Genfer Flüchtlingskonvention und des Protokolls von 1967 als auch der EMRK.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point84">84</a>      Zweitens wurde in Bezug auf die Grundrechte, die einer internationalen Schutz beantragenden Person zuerkannt sind, zum einen in Art. 3 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung die Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Bestehen systemischer Schwachstellen im Asylverfahren und in den Aufnahmebedingungen für Antragsteller im als zuständig bestimmten Staat im Sinne dieser Verordnung kodifiziert; zum anderen sind die Mitgliedstaaten, wie sich aus den Erwägungsgründen 32 und 39 der Dublin‑III-Verordnung ergibt, bei deren Anwendung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und an Art. 4 der Charta gebunden (Urteil vom 16. Februar 2017, C. K. u. a., C‑578/16 PPU, EU:C:2017:127, Rn. 63). Da Art. 4 der Charta Art. 3 EMRK entspricht, hat das in ersterer Bestimmung vorgesehene Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung nach Art. 52 Abs. 3 der Charta die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihm in der EMRK verliehen wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Februar 2017, C. K. u. a., C‑578/16 PPU, EU:C:2017:127, Rn. 67).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point85">85</a>      Drittens ist angesichts dessen, dass die Mitgliedstaaten, wie in Rn. 83 des vorliegenden Urteils dargelegt, Vertragsparteien der Genfer Flüchtlingskonvention und des Protokolls von 1967 sowie der EMRK – zwei internationale Abkommen, auf denen das Gemeinsame Europäische Asylsystem basiert – sind, die Fortdauer der Beteiligung eines Mitgliedstaats an diesen Abkommen und diesem Protokoll nicht von seiner Zugehörigkeit zur Union abhängig. Folglich hat die Entscheidung eines Mitgliedstaats, aus der Union auszutreten, keine Auswirkung auf seine Pflichten, die Genfer Flüchtlingskonvention und das Protokoll von 1967, einschließlich des Grundsatzes der Nichtzurückweisung, sowie Art. 3 EMRK einzuhalten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point86">86</a>      Nach alledem ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art. 27 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen ist, dass er nicht dazu verpflichtet, einen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung, von der in Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Befugnis keinen Gebrauch zu machen, vorzusehen, wovon die Möglichkeit unberührt bleibt, diese Entscheidung im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen die Überstellungsentscheidung anzufechten.</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Zur fünften Frage</i>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point87">87</a>      Mit seiner fünften Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 20 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen ist, dass er, soweit kein Beweis für das Gegenteil vorliegt, die Vermutung begründet, dass es dem Wohl des Kindes dient, seine Situation als untrennbar mit der seiner Eltern verbunden anzusehen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point88">88</a>      Es ist festzustellen, dass dies nach dem Wortlaut von Art. 20 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung eindeutig der Fall ist. Danach ist die Situation des Kindes nur dann unabhängig von derjenigen seiner Eltern zu behandeln, wenn eine Prüfung im Verbund mit den Eltern nachweislich nicht dem Wohl des Kindes dient.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point89">89</a>      Diese Feststellung steht im Einklang mit den Erwägungsgründen 14 bis 16 sowie u. a. mit Art. 6 Abs. 3 Buchst. a und Abs. 4, Art. 8 Abs. 1 und Art. 11 der Dublin‑III-Verordnung. Aus diesen Bestimmungen geht hervor, dass die Achtung des Familienlebens, spezieller die Wahrung der Einheit des Familienverbundes, grundsätzlich dem Wohl des Kindes dient.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point90">90</a>      Nach alledem ist auf die fünfte Frage zu antworten, dass Art. 20 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen ist, dass er, soweit kein Beweis für das Gegenteil vorliegt, die Vermutung begründet, dass es dem Wohl des Kindes dient, seine Situation als untrennbar mit der seiner Eltern verbunden anzusehen.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Kosten</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point91">91</a>      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.</p>
<p class="C41DispositifIntroduction">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:</p>
<p class="C08Dispositif">1.      <b>Art. 17 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ist dahin auszulegen, dass der Umstand, dass ein als „zuständig“ im Sinne dieser Verordnung bestimmter Mitgliedstaat seine Absicht mitgeteilt hat, gemäß Art. 50 EUV aus der Union auszutreten, den die Zuständigkeit prüfenden Mitgliedstaat nicht dazu verpflichtet, in Anwendung der in diesem Art. 17 Abs. 1 vorgesehenen Ermessensklausel den fraglichen Schutzantrag selbst zu prüfen.</b>
</p>
<p class="C08Dispositif">2.      <b>Die Verordnung Nr. 604/2013 ist dahin auszulegen, dass sie nicht verlangt, dass für die Bestimmung des zuständigen Staates nach den in dieser Verordnung definierten Kriterien und für die Anwendung der in Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Ermessensklausel dieselbe nationale Behörde zuständig ist.</b>
</p>
<p class="C08Dispositif">3.      <b>Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 ist dahin auszulegen, dass er einen Mitgliedstaat, der nach den in dieser Verordnung genannten Kriterien für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz unzuständig ist, nicht dazu verpflichtet, das Wohl des Kindes zu berücksichtigen und diesen Antrag in Anwendung von Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung selbst zu prüfen.</b>
</p>
<p class="C08Dispositif">4.      <b>Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 ist dahin auszulegen, dass er nicht dazu verpflichtet, einen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung, von der in Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Befugnis keinen Gebrauch zu machen, vorzusehen, wovon die Möglichkeit unberührt bleibt, diese Entscheidung im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen die Überstellungsentscheidung anzufechten.</b>
</p>
<p class="C08Dispositif">5.      <b>Art. 20 Abs. 3 der Verordnung Nr. 604/2013 ist dahin auszulegen, dass er, soweit kein Beweis für das Gegenteil vorliegt, die Vermutung begründet, dass es dem Wohl des Kindes dient, seine Situation als untrennbar mit der seiner Eltern verbunden anzusehen.</b>
</p>
<p class="C77Signatures">Unterschriften</p>
<hr/>
<p class="C42FootnoteLangue">
<a href="#Footref*" name="Footnote*">*</a>      Verfahrenssprache: Englisch.</p>
|
175,027 | eugh-2019-01-23-c-43017 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-430/17 | 2019-01-23T00:00:00 | 2019-01-31T19:20:50 | 2019-01-31T19:20:50 | Urteil | ECLI:EU:C:2019:47 | <p class="sum-title-1">
<a id="judgment"/>URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)</p>
<p class="sum-title-1">23. Januar 2019 (<span class="note">
<a id="c-ECR_62017CJ0430_DE_01-E0001" href="#t-ECR_62017CJ0430_DE_01-E0001">*1</a>
</span>)</p>
<p class="index">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verbraucherschutz – Richtlinie 2011/83/EU – Fernabsatzverträge – Art. 6 Abs. 1 Buchst. h – Pflicht, über das Widerrufsrecht zu informieren – Art. 8 Abs. 4 – Vertrag, der mittels eines Fernkommunikationsmittels geschlossen wird, auf dem für die Darstellung der Informationen nur begrenzter Raum bzw. begrenzte Zeit zur Verfügung steht – Begriff ‚auf dem für die Darstellung der Informationen nur begrenzter Raum bzw. begrenzte Zeit zur Verfügung steht‘ – Beilage zu einer Zeitschrift – Bestellpostkarte, die einen Hyperlink enthält, der auf die Informationen über das Widerrufsrecht verweist“</p>
<p class="normal">In der Rechtssache C‑430/17</p>
<p class="normal">betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 14. Juni 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 17. Juli 2017, in dem Verfahren</p>
<p class="normal">
<span class="bold">Walbusch Walter Busch GmbH & Co. KG</span>
</p>
<p class="pnormal">gegen</p>
<p class="normal">
<span class="bold">Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs Frankfurt am Main e. V.</span>
</p>
<p class="normal">erlässt</p>
<p class="normal">DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)</p>
<p class="normal">unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer M. Vilaras in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Dritten Kammer sowie der Richter J. Malenovský, L. Bay Larsen, M. Safjan (Berichterstatter) und D. Šváby,</p>
<p class="normal">Generalanwalt: E. Tanchev,</p>
<p class="normal">Kanzler: R. Șereș, Verwaltungsrätin,</p>
<p class="normal">aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. Juni 2018,</p>
<p class="normal">unter Berücksichtigung der Erklärungen</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der Walbusch Walter Busch GmbH & Co. KG, vertreten durch Rechtsanwalt R. Becker,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs Frankfurt am Main e. V., vertreten durch Rechtsanwalt C. Rohnke,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze, M. Hellmann, E. Lankenau und J. Techert als Bevollmächtigte,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der finnischen Regierung, vertreten durch H. Leppo als Bevollmächtigte,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Kellerbauer und N. Ruiz García als Bevollmächtigte,</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. September 2018</p>
<p class="normal">folgendes</p>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Urteil</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point1">1</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. h und Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2011:304:TOC" hreflang="de" target="CourtTab">ABl. 2011, L 304, S. 64</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point2">2</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Walbusch Walter Busch GmbH & Co. KG, einer Gesellschaft deutschen Rechts, und der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs Frankfurt am Main e. V. (im Folgenden: Zentrale) über die Information über das Widerrufsrecht des Verbrauchers in der Werbung, die von dieser Gesellschaft in Form eines Werbeprospekts als Beilage zu verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften gemacht wurde.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Rechtlicher Rahmen</span>
</p>
<p class="title-grseq-2">
<span class="bold">
<span class="italic">Unionsrecht</span>
</span>
</p>
<p class="title-grseq-3">
<span class="italic">Charta</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point3">3</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 11 („Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit“) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sieht in Abs. 1 vor:</p>
<p class="normal">„Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point4">4</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 16 („Unternehmerische Freiheit“) der Charta lautet:</p>
<p class="normal">„Die unternehmerische Freiheit wird nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point5">5</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 38 („Verbraucherschutz“) der Charta bestimmt:</p>
<p class="normal">„Die Politik der Union stellt ein hohes Verbraucherschutzniveau sicher.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="title-grseq-3">
<span class="italic">Richtlinie 2011/83</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point6">6</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In den Erwägungsgründen 3 bis 5, 7, 34, 36 und 44 der Richtlinie 2011/83 heißt es:</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">„(3)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Artikel 169 Absatz 1 und Artikel 169 Absatz 2 Buchstabe a [AEUV] sehen vor, dass die Union durch Maßnahmen, die sie nach Artikel 114 [AEUV] erlässt, einen Beitrag zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus leistet.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">(4)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">… Die Harmonisierung bestimmter Aspekte von im Fernabsatz und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verbraucherverträgen ist unabdingbar, wenn ein echter Binnenmarkt für Verbraucher gefördert werden soll, in dem ein möglichst ausgewogenes Verhältnis zwischen einem hohen Verbraucherschutzniveau und der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen bei gleichzeitiger Wahrung des Subsidiaritätsprinzips gewährleistet ist.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">(5)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">… [D]ie vollständige Harmonisierung der Verbraucherinformation und des Widerrufsrechts in Verträgen, die im Fernabsatz oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen werden, [dürfte] zu einem hohen Verbraucherschutzniveau und zum besseren Funktionieren des Binnenmarkts beitragen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">…</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">(7)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die vollständige Harmonisierung einiger wesentlicher Aspekte der einschlägigen Regelungen sollte die Rechtssicherheit für Verbraucher wie Unternehmer erheblich erhöhen. … Darüber hinaus sollten die Verbraucher in den Genuss eines hohen, einheitlichen Verbraucherschutzniveaus in der gesamten Union kommen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">…</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">(34)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Bevor der Verbraucher durch einen Fernabsatzvertrag oder einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag, durch einen anderen als einen Fernabsatzvertrag oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag oder ein entsprechendes Vertragsangebot gebunden ist, sollte der Unternehmer den Verbraucher in klarer und verständlicher Weise informieren. …</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">…</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">(36)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Bei Fernabsatzverträgen sollten die Informationspflichten so angepasst werden, dass den technischen Beschränkungen, denen bestimmte Medien unterworfen sind, Rechnung getragen werden kann, wie zum Beispiel der beschränkten Anzahl der Zeichen auf bestimmten Displays von Mobiltelefonen oder dem Zeitrahmen für Werbespots im Fernsehen. In diesen Fällen sollte sich der Unternehmer an Mindestanforderungen hinsichtlich der Information halten und den Verbraucher an eine andere Informationsquelle verweisen, beispielsweise durch Angabe einer gebührenfreien Telefonnummer oder eines Hypertext-Links zu einer Webseite des Unternehmers, auf der die einschlägigen Informationen unmittelbar abrufbar und leicht zugänglich sind. …</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">…</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">(44)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Durch Unterschiede in der Art und Weise der Ausübung des Widerrufsrechts in den Mitgliedstaaten sind den im grenzüberschreitenden Handel tätigen Unternehmern Kosten entstanden. Die Einführung eines harmonisierten Musterformulars für den Widerruf, das der Verbraucher benutzen kann, sollte das Widerrufsverfahren vereinfachen und für Rechtssicherheit sorgen. Aus diesen Gründen sollten die Mitgliedstaaten über das unionsweit einheitliche Musterformular hinaus keine weiteren Anforderungen an die optische Gestaltung des Widerrufs – etwa in Bezug auf die Schriftgröße – stellen. Dem Verbraucher sollte es jedoch nach wie vor freistehen, den Vertrag mit seinen eigenen Worten zu widerrufen, vorausgesetzt, seine an den Unternehmer gerichtete Erklärung, aus der seine Widerrufsentscheidung hervorgeht, ist unmissverständlich. Diese Anforderung könnte durch einen Brief, einen Telefonanruf oder durch die Rücksendung der Waren, begleitet von einer deutlichen Erklärung, erfüllt sein; die Beweislast, dass der Widerruf innerhalb der in der Richtlinie festgelegten Fristen erfolgt ist, sollte jedoch dem Verbraucher obliegen. …“</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point7">7</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 1 („Gegenstand“) dieser Richtlinie bestimmt:</p>
<p class="normal">„Zweck dieser Richtlinie ist es, durch Angleichung bestimmter Aspekte der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten in Bezug auf Verträge, die zwischen Verbrauchern und Unternehmern geschlossen werden, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu erreichen und damit zum ordnungsgemäßen Funktionieren des Binnenmarkts beizutragen.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point8">8</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie heißt es:</p>
<p class="normal">„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnen die Ausdrücke</p>
<p class="normal">…</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">7.</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">‚Fernabsatzvertrag‘ jeden Vertrag, der zwischen dem Unternehmer und dem Verbraucher ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit des Unternehmers und des Verbrauchers im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- bzw. Dienstleistungssystems geschlossen wird, wobei bis einschließlich zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ausschließlich ein oder mehrere Fernkommunikationsmittel verwendet wird/werden;</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">…“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point9">9</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 6 („Informationspflichten bei Fernabsatz- und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen“) dieser Richtlinie bestimmt:</p>
<p class="normal">„(1)   Bevor der Verbraucher durch einen Vertrag im Fernabsatz oder einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag oder ein entsprechendes Vertragsangebot gebunden ist, informiert der Unternehmer den Verbraucher in klarer und verständlicher Weise über Folgendes:</p>
<p class="normal">…</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">h)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">im Falle des Bestehens eines Widerrufsrechts die Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Ausübung dieses Rechts gemäß Artikel 11 Absatz 1 sowie das Muster‑Widerrufsformular gemäß Anhang I Teil B;</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">…</p>
<p class="normal">(4)   Die Informationen nach Absatz 1 Buchstabe… h … können mittels der Muster‑Widerrufsbelehrung gemäß Anhang I Teil A gegeben werden. Die Informationspflicht des Unternehmers gemäß Absatz 1 Buchstabe… h … ist erfüllt, wenn der Unternehmer dieses Informationsformular zutreffend ausgefüllt dem Verbraucher übermittelt hat.</p>
<p class="normal">(5)   Die Informationen nach Absatz 1 sind fester Bestandteil des Fernabsatzvertrags oder des außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrags und dürfen nicht geändert werden, es sei denn, die Vertragsparteien vereinbaren ausdrücklich etwas anderes.</p>
<p class="normal">…“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point10">10</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In Art. 8 („Formale Anforderungen bei Fernabsatzverträgen“) der Richtlinie 2011/83 heißt es:</p>
<p class="normal">„(1)   Bei Fernabsatzverträgen erteilt der Unternehmer die in Artikel 6 Absatz 1 vorgeschriebenen Informationen dem Verbraucher in klarer und verständlicher Sprache in einer den benutzten Fernkommunikationsmitteln angepassten Weise bzw. stellt diese Informationen entsprechend zur Verfügung. Soweit diese Informationen auf einem dauerhaften Datenträger bereitgestellt werden, müssen sie lesbar sein.</p>
<p class="normal">…</p>
<p class="normal">(4)   Wird der Vertrag mittels eines Fernkommunikationsmittels geschlossen, auf dem für die Darstellung der Informationen nur begrenzter Raum bzw. begrenzte Zeit zur Verfügung steht, so hat der Unternehmer über das jeweilige Fernkommunikationsmittel vor dem Abschluss des Vertrags zumindest diejenigen vorvertraglichen Informationen zu erteilen, die die in Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben a, b, e, h und o genannten wesentlichen Merkmale der Waren oder Dienstleistungen, die Identität des Unternehmers, den Gesamtpreis, das Widerrufsrecht, die Vertragslaufzeit und die Bedingungen der Kündigung unbefristeter Verträge betreffen. Die anderen in Artikel 6 Absatz 1 genannten Informationen hat der Unternehmer dem Verbraucher in geeigneter Weise im Einklang mit Absatz 1 dieses Artikels zu erteilen.</p>
<p class="normal">…</p>
<p class="normal">(7)   Der Unternehmer stellt dem Verbraucher die Bestätigung des geschlossenen Vertrags innerhalb einer angemessenen Frist nach dem Abschluss des Fernabsatzvertrags auf einem dauerhaften Datenträger zur Verfügung, und zwar spätestens bei der Lieferung der Waren oder bevor die Ausführung der Dienstleistung beginnt. Diese Bestätigung enthält:</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">a)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">alle in Artikel 6 Absatz 1 genannten Informationen, es sei denn, der Unternehmer hat dem Verbraucher diese Informationen bereits vor dem Abschluss des Fernabsatzvertrags auf einem dauerhaften Datenträger zukommen lassen …</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">…“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point11">11</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 9 („Widerrufsrecht“) dieser Richtlinie sieht in seinen Abs. 1 und 2 vor:</p>
<p class="normal">„(1)   Sofern nicht eine der Ausnahmen gemäß Artikel 16 Anwendung findet, steht dem Verbraucher eine Frist von 14 Tagen zu, in der er einen Fernabsatz- oder einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag ohne Angabe von Gründen und ohne andere Kosten als in Artikel 13 Absatz 2 und Artikel 14 vorgesehen widerrufen kann.</p>
<p class="normal">(2)   Unbeschadet des Artikels 10 endet die in Absatz 1 dieses Artikels vorgesehene Widerrufsfrist [14 Tage ab dem Tag]</p>
<p class="normal">…“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point12">12</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 11 („Ausübung des Widerrufsrechts“) dieser Richtlinie lautet:</p>
<p class="normal">„(1)   Der Verbraucher informiert den Unternehmer vor Ablauf der Widerrufsfrist über seinen Entschluss, den Vertrag zu widerrufen. Der Verbraucher kann zu diesem Zweck entweder</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">a)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">das Muster‑Widerrufsformular des Anhangs I Teil B verwenden oder</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">b)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">eine entsprechende Erklärung in beliebiger anderer Form abgeben, aus der sein Entschluss zum Widerruf des Vertrags eindeutig hervorgeht.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">Die Mitgliedstaaten legen für das Muster‑Widerrufsformular keine weiteren Formvorschriften außer den in Anhang I Teil B genannten fest.</p>
<p class="normal">…</p>
<p class="normal">(3)   Der Unternehmer kann dem Verbraucher zusätzlich zu den in Absatz 1 genannten Möglichkeiten auch die Wahl einräumen, entweder das Muster‑Widerrufsformular des Anhangs I Teil B oder eine entsprechende eindeutige Erklärung in beliebiger anderer Form auf der Webseite des Unternehmers elektronisch auszufüllen und abzuschicken. In diesen Fällen hat der Unternehmer dem Verbraucher unverzüglich auf einem dauerhaften Datenträger eine Bestätigung über den Eingang eines solchen Widerrufs zu übermitteln.</p>
<p class="normal">…“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point13">13</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 12 („Wirkungen des Widerrufs“) dieser Richtlinie lautet:</p>
<p class="normal">„Mit der Ausübung des Widerrufsrechts enden die Verpflichtungen der Vertragsparteien</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">a)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">zur Erfüllung des Fernabsatz- oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrags oder</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">b)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">zum Abschluss des Fernabsatz- oder außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrags, sofern der Verbraucher dazu ein Angebot abgegeben hat.“</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point14">14</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Anhang I dieser Richtlinie, der die „Informationen zur Ausübung des Widerrufsrechts“ betrifft, enthält einen Teil A („Muster‑Widerrufsbelehrung“) und einen Teil B („Muster‑Widerrufsformular“).</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="title-grseq-2">
<span class="bold">
<span class="italic">Deutsches Recht</span>
</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point15">15</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">§ 355 („Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen“) des Bürgerlichen Gesetzbuchs (im Folgenden: BGB) bestimmt in Abs. 1:</p>
<p class="normal">„Wird einem Verbraucher durch Gesetz ein Widerrufsrecht nach dieser Vorschrift eingeräumt, so sind der Verbraucher und der Unternehmer an ihre auf den Abschluss des Vertrags gerichteten Willenserklärungen nicht mehr gebunden, wenn der Verbraucher seine Willenserklärung fristgerecht widerrufen hat. Der Widerruf erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Unternehmer. Aus der Erklärung muss der Entschluss des Verbrauchers zum Widerruf des Vertrags eindeutig hervorgehen. Der Widerruf muss keine Begründung enthalten. Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point16">16</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">§ 312g („Widerrufsrecht“) BGB sieht in Abs. 1 vor:</p>
<p class="normal">„Dem Verbraucher steht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht gemäß § 355 [BGB] zu.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point17">17</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In Art. 246a („Informationspflichten bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und Fernabsatzverträgen mit Ausnahme von Verträgen über Finanzdienstleistungen“) des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch heißt es in § 1:</p>
<p class="normal">„…</p>
<p class="normal">(2)   Steht dem Verbraucher ein Widerrufsrecht nach § 312g Absatz 1 [BGB] zu, ist der Unternehmer verpflichtet, den Verbraucher zu informieren</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">1.</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts nach § 355 Absatz 1 [BGB] sowie das Muster‑Widerrufsformular in der Anlage 2,</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">…“</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point18">18</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Walbusch Walter Busch ließ 2014 einen sechsseitigen Werbeprospekt im Format von 19 x 23,7 cm als Beilage zu verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen verbreiten. Dieser Prospekt enthielt einen Bestellschein in Form einer heraustrennbaren Postkarte. Auf das Widerrufsrecht wurde sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite der Postkarte, auf der auch die Telefon- und Faxnummer, die Internetadresse und die Postanschrift von Walbusch Walter Busch genannt waren, hingewiesen. Auf der angegebenen Website www.klepper.net erschienen unter dem Link „AGB“ (Allgemeine Geschäftsbedingungen) die Widerrufsbelehrung und das Muster‑Widerrufsformular.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point19">19</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die Zentrale war der Auffassung, dass der betreffende Prospekt unlauter sei, weil es an einer ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung über das Widerrufsrecht des Verbrauchers fehle und dem Prospekt das Muster‑Widerrufsformular nicht beigefügt gewesen sei.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point20">20</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Sie erhob daher Klage beim Landgericht Wuppertal (Deutschland) auf Unterlassung der Verbreitung des Prospekts und auf Erstattung von ihr getragener vorgerichtlicher Kosten.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point21">21</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Das Landgericht Wuppertal gab der Klage statt, diese Entscheidung wurde jedoch vom Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland) teilweise abgeändert.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point22">22</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Walbusch Walter Busch legte gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf Revision zum Bundesgerichtshof (Deutschland) ein.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point23">23</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Das vorlegende Gericht führt aus, dass die Postkarte, die Teil des betreffenden Prospekts sei, auf ihrer Vorder- und Rückseite zwar auf das Bestehen eines gesetzlichen Widerrufsrechts hinweise, in dem Prospekt jedoch kein Hinweis zu den Bedingungen, den Fristen und den Verfahren für die Ausübung dieses Rechts zu finden sei und er kein Muster‑Widerrufsformular enthalte.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point24">24</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Bei der Auslegung von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2011/83 könne im Fall eines Fernkommunikationsmittels, auf dem für die Darstellung der Informationen nur begrenzter Raum bzw. begrenzte Zeit zur Verfügung stehe, hinsichtlich des Umfangs der Pflicht, den Verbraucher zu informieren, insoweit zwei verschiedenen Ansätzen gefolgt werden.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point25">25</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Gemäß einem ersten Ansatz komme diese Bestimmung zur Anwendung, wenn, abstrakt betrachtet, das Fernkommunikationsmittel seiner Art nach nur begrenzten Raum oder begrenzte Zeit zur Verfügung stelle. So müssten etwa in Katalogen und Broschüren stets sämtliche Angaben zum Widerrufsrecht gemacht werden, während bei einer Zeitungsanzeige oder einem Flyer im Postkartenformat, die eine Bestellmöglichkeit eröffneten, der bloße Hinweis auf das Bestehen eines Widerrufsrechts ausreichen könnte.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point26">26</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach einem zweiten Ansatz wäre die konkrete Ausgestaltung des Fernkommunikationsmittels durch den Unternehmer maßgeblich, insbesondere seine Entscheidung zum Design, zum Layout, zur Grafik oder zum Umfang des Werbeträgers. Die in Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2011/83 vorgesehene Ausnahme könne zur Anwendung kommen, wenn die vollständige Darstellung der Informationen zum Widerrufsrecht und seinen Modalitäten einen nennenswerten Anteil des Werbeträgers, beispielsweise mehr als 10 % seiner Fläche, einnehmen würde.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point27">27</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Zudem müsse die Auslegung dieser Bestimmung der Richtlinie 2011/83 die in Art. 16 der Charta gewährleistete unternehmerische Freiheit berücksichtigen. Wie aus dem Urteil des Gerichtshofs vom 17. Dezember 2015, Neptune Distribution (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2015%3A823&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑157/14</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2015%3A823&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2015:823</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2015%3A823&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point67" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">67</a>), hervorgehe, umfasse diese Freiheit insbesondere die Werbefreiheit, da die Freiheit des Unternehmers bei der Wahl seiner Werbemittel gemäß Art. 52 Abs. 1 der Charta nicht unverhältnismäßig eingeschränkt werden dürfe.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point28">28</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Einerseits könnte die Pflicht, in einer Werbung alle erforderlichen Informationen zum Widerrufsrecht anzugeben, den Nutzen bestimmter Formen von Werbebotschaften für den Unternehmer negativ beeinträchtigen, weil die Gefahr bestehe, dass diese Informationen die Werbebotschaften dominierten. Andererseits wäre der Verbraucher in einer solchen Situation mit einer großen Menge an Informationen konfrontiert, die er nicht in gebotener Weise zur Kenntnis nehmen könne.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point29">29</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Vor diesem Hintergrund hat der Bundesgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">1.</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Kommt es bei der Anwendung von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2011/83 für die Frage, ob bei einem Fernkommunikationsmittel (hier: Werbeprospekt mit Bestellpostkarte) für die Darstellung der Informationen nur begrenzter Raum oder begrenzte Zeit zur Verfügung steht, darauf an,</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">a)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">ob das Fernkommunikationsmittel (abstrakt) seiner Art nach nur begrenzten Raum oder begrenzte Zeit zur Verfügung stellt,</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">oder darauf,</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">b)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">ob es (konkret) in seiner vom Unternehmer gewählten Gestaltung nur begrenzten Raum oder begrenzte Zeit bietet?</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">2.</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Ist es mit Art. 8 Abs. 4 und Art. 6 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 2011/83 vereinbar, die Information über das Widerrufsrecht im Fall begrenzter Darstellungsmöglichkeit im Sinne von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2011/83 auf die Information über das Bestehen eines Widerrufsrechts zu beschränken?</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">3.</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Ist es nach Art. 8 Abs. 4 und Art. 6 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 2011/83 vor einem Vertragsabschluss im Fernabsatz auch im Fall begrenzter Darstellungsmöglichkeit stets zwingend geboten, dem Fernkommunikationsmittel das Muster‑Widerrufsformular gemäß Anhang I Teil B der Richtlinie 2011/83 beizufügen?</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Zu den Vorlagefragen</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point30">30</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, nach welchen Kriterien zu beurteilen ist, ob ein Vertrag als mittels eines Fernkommunikationsmittels im Sinne von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2011/83 geschlossen angesehen werden kann, auf dem für die Darstellung der Informationen nur begrenzter Raum bzw. begrenzte Zeit zur Verfügung steht, und gegebenenfalls, welchen Umfang die Informationspflicht zum Widerrufsrecht nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. h dieser Richtlinie hat.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point31">31</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der Unternehmer nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2011/83 den Verbraucher, bevor er durch einen Vertrag im Fernabsatz oder einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag oder ein entsprechendes Vertragsangebot gebunden ist, in klarer und verständlicher Weise über diesen Vertrag oder dieses Angebot informiert. Insbesondere verpflichtet Art. 6 Abs. 1 Buchst. h dieser Richtlinie im Fall des Bestehens des Widerrufsrechts den Unternehmer, den Verbraucher über die Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Ausübung dieses Rechts gemäß Art. 11 Abs. 1 dieser Richtlinie zu informieren und ihm das Muster‑Widerrufsformular gemäß deren Anhang I Teil B zur Verfügung zu stellen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point32">32</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2011/83 sieht vor, dass der Verbraucher, der beabsichtigt, sein Widerrufsrecht auszuüben, den Unternehmer informieren muss, indem er das Muster‑Widerrufsformular des Anhangs I Teil B dieser Richtlinie verwendet oder eine entsprechende Erklärung in beliebiger anderer Form abgibt, aus der sein Entschluss zum Widerruf des Vertrags eindeutig hervorgeht. Außerdem bestimmt Art. 11 Abs. 3 dieser Richtlinie, dass der Unternehmer dem Verbraucher zusätzlich zu den in deren Art. 11 Abs. 1 genannten Möglichkeiten auch die Wahl einräumen kann, entweder das Muster‑Widerrufsformular des Anhangs I Teil B oder eine entsprechende eindeutige Erklärung in beliebiger anderer Form auf der Website des Unternehmers elektronisch auszufüllen und abzuschicken.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point33">33</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Für den Fall, dass der Vertrag mittels eines Fernkommunikationsmittels geschlossen wird, auf dem für die Darstellung der Informationen nur begrenzter Raum bzw. begrenzte Zeit zur Verfügung steht, verpflichtet Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2011/83 den Unternehmer nur, über das jeweilige Fernkommunikationsmittel vor dem Abschluss des Vertrags bestimmte der in Art. 6 Abs. 1 dieser Richtlinie genannten vorvertraglichen Informationen zu erteilen, darunter die in Art. 6 Abs. 1 Buchst. h dieser Richtlinie genannte Information über das Widerrufsrecht. In einem solchen Fall müssen dem Verbraucher die anderen vorvertraglichen Informationen in klarer und verständlicher Sprache in einer den benutzten Fernkommunikationsmitteln angepassten Weise erteilt werden.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point34">34</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Wie aus Art. 1 der Richtlinie 2011/83 im Licht ihrer Erwägungsgründe 4, 5 und 7 hervorgeht, bezweckt sie, ein hohes Verbraucherschutzniveau dadurch sicherzustellen, dass die Information und die Sicherheit der Verbraucher bei Geschäften mit Unternehmern garantiert wird. Zudem ist der Schutz der Verbraucher in der Politik der Union in Art. 169 AEUV und in Art. 38 der Charta verankert (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. März 2017, Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs Frankfurt am Main, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A154&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑568/15</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A154&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2017:154</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A154&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point28" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">28</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point35">35</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die Richtlinie 2011/83 zielt darauf ab, den Verbrauchern einen weitreichenden Schutz zukommen zu lassen, indem ihnen insbesondere bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz bestimmte Rechte gewährt werden. Der Unionsgesetzgeber wollte verhindern, dass die Verwendung von Fernkommunikationstechniken zu einer Verringerung der dem Verbraucher vermittelten Information führt (vgl. entsprechend Urteil vom 5. Juli 2012, Content Services, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A419&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑49/11</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A419&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2012:419</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2012%3A419&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point36" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">36</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point36">36</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die Informationen, die ein Verbraucher vor Abschluss eines Vertrags über dessen Bedingungen und die Folgen des Vertragsschlusses erhalten hat, sind für ihn von grundlegender Bedeutung (Urteil vom 13. September 2018, Wind Tre und Vodafone Italia, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A710&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑54/17 und C‑55/17</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A710&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2018:710</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A710&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point46" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">46</a>). Auf der Grundlage dieser Informationen entscheidet der Verbraucher sich nämlich, ob er sich gegenüber dem Unternehmer vertraglich binden möchte.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point37">37</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Wie jedoch aus dem 36. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/83 hervorgeht, sollten bei Fernabsatzverträgen die Informationspflichten so angepasst werden, dass den technischen Beschränkungen, denen bestimmte Medien unterworfen sind, Rechnung getragen werden kann, wie zum Beispiel der beschränkten Anzahl der Zeichen auf bestimmten Displays von Mobiltelefonen oder dem Zeitrahmen für Werbespots im Fernsehen. In diesen Fällen sollte sich der Unternehmer an Mindestanforderungen hinsichtlich der Information halten und den Verbraucher an eine andere Informationsquelle verweisen, beispielsweise durch Angabe einer gebührenfreien Telefonnummer oder eines Hypertext-Links zu einer Internetseite des Unternehmers, auf der die einschlägigen Informationen unmittelbar abrufbar und leicht zugänglich sind.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point38">38</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">So kann es dem Unternehmer, wenn er für den Abschluss eines Vertrags mit einem Verbraucher auf ein bestimmtes Fernkommunikationsmittel zurückgreift, unmöglich sein, dem Verbraucher im Rahmen dieser Kommunikation alle in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2011/83 genannten Informationen zu erteilen. Zu einer solchen Situation kommt es, wenn auf dem vom Unternehmer gewählten Mittel für die Darstellung der Informationen nur begrenzter Raum bzw. begrenzte Zeit zur Verfügung steht und wenn dies entweder auf die dem betreffenden Mittel innewohnenden Eigenschaften oder auf die Begrenzungen zurückzuführen ist, die sich aus der wirtschaftlichen Entscheidung des Unternehmers u. a. bezüglich der Dauer und dem Raum der Werbebotschaft ergeben.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point39">39</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die Frage, ob in einem konkreten Fall auf dem Kommunikationsmittel für die Darstellung der Informationen nur begrenzter Raum bzw. begrenzte Zeit im Sinne von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2011/83 zur Verfügung steht, ist unter Berücksichtigung sämtlicher technischer Eigenschaften der Werbebotschaft des Unternehmers zu beurteilen. Hierbei ist zu prüfen, ob unter Berücksichtigung des Raumes und der Zeit, die von der Botschaft eingenommen werden, und der Mindestgröße des Schrifttyps, der für einen durchschnittlichen Verbraucher, an den diese Botschaft gerichtet ist, angemessen ist, alle in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2011/83 genannten Informationen objektiv in dieser Botschaft dargestellt werden könnten. Hingegen sind die vom betreffenden Unternehmer getroffenen Entscheidungen hinsichtlich der Aufteilung und der Nutzung des Raumes und der Zeit, über die er gemäß dem Kommunikationsmittel verfügt, für das er sich entschieden hat, für diese Beurteilung irrelevant.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point40">40</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Sollte festgestellt werden, dass auf dem Fernkommunikationsmittel für die Darstellung der Informationen nur begrenzter Raum bzw. begrenzte Zeit zur Verfügung steht, ist dann zu prüfen, ob der Unternehmer gemäß Art. 8 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 2011/83 dem Verbraucher die anderen in Art. 6 Abs. 1 dieser Richtlinie genannten Informationen auf andere Weise klar und verständlich erteilt hat.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point41">41</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Insoweit ist festzustellen, dass die in Art. 8 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 2011/83 gefundene Lösung, wie sie in den Rn. 37 bis 40 des vorliegenden Urteils dargestellt worden ist, darauf abzielt, ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen einem hohen Verbraucherschutzniveau und der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen sicherzustellen, wie aus dem vierten Erwägungsgrund dieser Richtlinie hervorgeht.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point42">42</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die Informationspflicht nach Art. 8 Abs.1 und 4 der Richtlinie 2011/83 ermöglicht dem Verbraucher nämlich, vor Abschluss des Fernabsatzvertrags in angemessener Form die erforderlichen Informationen zu erhalten, anhand deren er entscheiden kann, den Vertrag abzuschließen oder nicht, und so dem im Allgemeininteresse liegenden legitimen Ziel des Schutzes der Verbraucher gemäß Art. 169 AEUV, auf das im dritten Erwägungsgrund dieser Richtlinie hingewiesen wird, zu genügen, ohne jedoch den Wesensgehalt der Meinungs- und Informationsfreiheit sowie die unternehmerische Freiheit des Unternehmers, wie sie in den Art. 11 und 16 der Charta gewährleistet werden, zu beeinträchtigen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point43">43</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Insoweit ist Art. 8 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 2011/83 zum einen weit davon entfernt, den Gebrauch bestimmter Kommunikationsmittel zu verbieten, sondern begrenzt lediglich in einem klar abgegrenzten Rahmen den Inhalt der Werbebotschaft, die auf den Abschluss eines Fernabsatzvertrags mit einem Verbraucher gerichtet ist. Zum anderen betrifft die Pflicht, unter allen Umständen die in Art. 8 Abs. 4 Satz 1 dieser Richtlinie genannten Informationen zu erteilen, nur bestimmte der Informationen, deren Mitteilung an den Verbraucher vor Abschluss des Fernabsatzvertrags gemäß Art. 6 Abs. 1 dieser Richtlinie verpflichtend ist. Wie in Rn. 40 des vorliegenden Urteils ausgeführt, müssen nämlich in dem in Art. 8 Abs. 4 dieser Richtlinie genannten Fall die anderen Informationen auf andere Weise klar und verständlich erteilt werden.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point44">44</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Zu diesen Informationen, die dem Verbraucher in jedem Fall erteilt werden müssen, gehört diejenige zum Widerrufsrecht, in der in Art. 6 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 2011/83 genannten Form.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point45">45</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Das Widerrufsrecht soll den Verbraucher nämlich in der besonderen Situation eines Vertragsabschlusses im Fernabsatz schützen, in der er keine konkrete Möglichkeit hat, vor Abschluss des Vertrags das Erzeugnis zu sehen oder die Eigenschaften der Dienstleistung zur Kenntnis zu nehmen. Das Widerrufsrecht soll also den Nachteil ausgleichen, der sich für einen Verbraucher bei einem im Fernabsatz geschlossenen Vertrag ergibt, indem ihm eine angemessene Bedenkzeit eingeräumt wird, in der er die Möglichkeit hat, die gekaufte Ware zu prüfen und auszuprobieren (vgl. entsprechend Urteil vom 3. September 2009, Messner, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2009%3A502&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑489/07</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2009%3A502&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2009:502</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2009%3A502&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point20" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">20</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point46">46</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Angesichts der Bedeutung des Widerrufsrechts für den Verbraucherschutz ist die vorvertragliche Information über dieses Recht für den Verbraucher von grundlegender Bedeutung und erlaubt ihm, die Entscheidung, ob er den Fernabsatzvertrag mit dem Unternehmer abschließen soll oder nicht, in Kenntnis der Sachlage zu treffen. Um von dieser Information vollumfänglich profitieren zu können, muss der Verbraucher im Vorhinein die Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts kennen. Wird der Vertrag mittels eines Fernkommunikationsmittels geschlossen, auf dem für die Darstellung der Informationen nur begrenzter Raum bzw. begrenzte Zeit zur Verfügung steht, ist der Unternehmer nicht verpflichtet, dem Verbraucher zeitgleich mit dem Einsatz dieses Kommunikationsmittels das Muster‑Widerrufsformular gemäß Anhang I Teil B dieser Richtlinie zur Verfügung zu stellen. Zum einen ist nämlich der Umstand, anhand dieses Mittels vor dem Abschluss des Vertrags über ein solches Musterformular zu verfügen, nicht geeignet, die Entscheidung des Verbrauchers zu beeinflussen, einen Fernabsatzvertrag zu schließen oder nicht; zum anderen würde eine Pflicht, dem Verbraucher dieses Musterformular unter allen Umständen zur Verfügung zu stellen, die Gefahr in sich bergen, dem Unternehmer eine unverhältnismäßige – oder in bestimmten Fällen wie insbesondere telefonisch geschlossenen Verträgen – sogar untragbare Last aufzuerlegen. Insoweit ist die Mitteilung dieses Musterformulars auf andere Weise in klarer und verständlicher Sprache ausreichend.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point47">47</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">die Frage, ob in einem konkreten Fall auf dem Kommunikationsmittel für die Darstellung der Informationen nur begrenzter Raum bzw. begrenzte Zeit zur Verfügung steht im Sinne von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2011/83, unter Berücksichtigung sämtlicher technischer Eigenschaften der Werbebotschaft des Unternehmers zu beurteilen ist. Hierbei hat das nationale Gericht zu prüfen, ob – unter Berücksichtigung des Raumes und der Zeit, die von der Botschaft eingenommen werden, und der Mindestgröße des Schrifttyps, der für einen durchschnittlichen Verbraucher, an den diese Botschaft gerichtet ist, angemessen ist –, alle in Art. 6 Abs. 1 dieser Richtlinie genannten Informationen objektiv in dieser Botschaft dargestellt werden könnten;</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 6 Abs. 1 Buchst. h und Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2011/83 dahin auszulegen sind, dass – falls der Vertrag mittels eines Fernkommunikationsmittels geschlossen wird, auf dem für die Darstellung der Informationen nur begrenzter Raum bzw. begrenzte Zeit zur Verfügung steht, und wenn ein Widerrufsrecht besteht – der Unternehmer über das jeweilige Fernkommunikationsmittel vor dem Abschluss des Vertrags die Information über die Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Ausübung dieses Rechts erteilen muss. In einem solchen Fall muss der Unternehmer dem Verbraucher das Muster‑Widerrufsformular gemäß Anhang I Teil B dieser Richtlinie auf andere Weise in klarer und verständlicher Weise zur Verfügung stellen.</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Kosten</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point48">48</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top"> </td>
<td valign="top">
<p class="normal">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tbody>
<tr>
<td> </td>
<td>
<p class="normal">
<span class="bold">Die Frage, ob in einem konkreten Fall auf dem Kommunikationsmittel für die Darstellung der Informationen nur begrenzter Raum bzw. begrenzte Zeit zur Verfügung steht im Sinne von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ist unter Berücksichtigung sämtlicher technischer Eigenschaften der Werbebotschaft des Unternehmers zu beurteilen. Hierbei hat das nationale Gericht zu prüfen, ob – unter Berücksichtigung des Raumes und der Zeit, die von der Botschaft eingenommen werden, und der Mindestgröße des Schrifttyps, der für einen durchschnittlichen Verbraucher, an den diese Botschaft gerichtet ist, angemessen ist, – alle in Art. 6 Abs. 1 dieser Richtlinie genannten Informationen objektiv in dieser Botschaft dargestellt werden könnten.</span>
</p>
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tbody>
<tr>
<td> </td>
<td>
<p class="normal">
<span class="bold">Art. 6 Abs. 1 Buchst. h und Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2011/83 sind dahin auszulegen, dass – falls der Vertrag mittels eines Fernkommunikationsmittels geschlossen wird, auf dem für die Darstellung der Informationen nur begrenzter Raum bzw. begrenzte Zeit zur Verfügung steht, und wenn ein Widerrufsrecht besteht – der Unternehmer über das jeweilige Fernkommunikationsmittel vor dem Abschluss des Vertrags die Information über die Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Ausübung dieses Rechts erteilen muss. In einem solchen Fall muss der Unternehmer dem Verbraucher das Muster‑Widerrufsformular gemäß Anhang I Teil B dieser Richtlinie auf andere Weise in klarer und verständlicher Weise zur Verfügung stellen.</span>
</p>
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tbody>
<tr>
<td> </td>
<td>
<div class="signaturecase">
<div class="signaturecaserow">
<div class="signatory3left">
<p class="normal">Vilaras</p>
</div>
<div class="signatorycenter">
<p class="normal">Malenovský</p>
</div>
<div class="signatory3right">
<p class="normal">Bay Larsen</p>
</div>
</div>
<div class="signaturecaserow">
<div class="signatory2left">
<p class="normal">Safjan</p>
</div>
<div class="signatory2right">
<p class="normal">Šváby</p>
</div>
</div>
<p class="normal">Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 23. Januar 2019.</p>
<div class="signaturecaserow">
<div class="signatory2left">
<p class="normal">Der Kanzler</p>
<p class="normal">A. Calot Escobar</p>
</div>
<div class="signatory2right">
<p class="normal">Der Präsident</p>
<p class="normal">K. Lenaerts</p>
</div>
</div>
</div>
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<hr class="note"/>
<p class="note">(<span class="note">
<a id="t-ECR_62017CJ0430_DE_01-E0001" href="#c-ECR_62017CJ0430_DE_01-E0001">*1</a>
</span>) Verfahrenssprache: Deutsch.</p>
|
171,225 | vg-dusseldorf-2019-01-23-2-l-266118 | {
"id": 842,
"name": "Verwaltungsgericht Düsseldorf",
"slug": "vg-dusseldorf",
"city": 413,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 2 L 2661/18 | 2019-01-23T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:16 | 2019-02-13T12:21:06 | Beschluss | ECLI:DE:VGD:2019:0123.2L2661.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p><strong>Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller eine Wiederholungsprüfung im Teilmodul „Berufspraktisches Training (BPT 5), 12-Minuten-Lauf“ einzuräumen.</strong></p>
<p><strong>Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.</strong></p>
<p><strong>Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.</strong></p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe:</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der am 6. September 2018 bei Gericht sinngemäß eingegangene Antrag,</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks"><strong>den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller eine Wiederholungsprüfung im Teilmodul „Berufspraktisches Training (BPT 5), 12-Minuten-Lauf“ einzuräumen,</strong></p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">hat Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Der zulässige Antrag ist begründet.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Nach § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Sicherung eines Rechts des Antragstellers nur getroffen werden, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung dieses Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Hierbei sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2, § 294 ZPO die tatsächlichen Voraussetzungen für das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller erstrebt mit seinem Antrag eine Vorwegnahme der Hauptsache, weil eine einstweilige Anordnung, mit welcher der Antragsgegner verpflichtet wird, dem Antragsteller eine Wiederholungsprüfung im Teilmodul „Berufspraktisches Training (BPT 5), 12-Minuten-Lauf“ einzuräumen, bereits – wenn auch zeitlich begrenzt bis zur Entscheidung in der Hauptsache – genau die Rechtsposition vermitteln würde, die er in der Hauptsache erreichen könnte. Eine Anordnung solchen Inhalts würde aber grundsätzlich eine mit dem Sinn und Zweck einer einstweiligen Anordnung regelmäßig nicht zu vereinbarende und somit unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache beinhalten. Im Hinblick auf die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG ist eine Vorwegnahme der grundsätzlich dem Hauptsacheverfahren (Klageverfahren) vorbehaltenen Entscheidung allerdings dann ausnahmsweise zulässig, wenn wirksamer Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht zu erreichen ist, dem Antragsteller ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung schlechthin unzumutbare Nachteile drohen und er im Hauptsacheverfahren voraussichtlich obsiegen wird.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Vgl. nur OVG NRW, Beschluss vom 30. Juni 2008 – 6 B 971/08 –, juris, Rn. 2 f. m.w.N.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">I. Der Antragsteller wird im Hauptsacheverfahren voraussichtlich obsiegen.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Ein Anspruch auf Einräumung eines Wiederholungsversuchs ergibt sich aufgrund eines wirksamen Prüfungsrücktritts mit Blick auf die Wiederholungsprüfung vom 30. August 2018 aus § 19 Abs. 2 Satz 2 Teil A der Studienordnung der Bachelorstudiengänge an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW (im Folgenden StudO-BA Teil A) i.V.m. § 13 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 StudO-BA Teil A und § 4 Abs. 2 der Regelungen für den Studiengang Polizeivollzugsdienst B.A. Ergänzende Regelungen ab EJ 2016 (im Folgenden StudO-BA Teil B).</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">1. Der unter dem 29. August 2018 erklärte Rücktritt von der auf den 30. August 2018 anberaumten Wiederholungsprüfung ist wirksam.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Ein wirksamer Prüfungsrücktritt setzt nach § 19 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 StudO-BA Teil A voraus, dass ein triftiger Grund dem Prüfungsamt unverzüglich schriftlich angezeigt und glaubhaft gemacht wird, wobei § 19 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 StudO-BA Teil A die nähere Regelung dem Prüfungsausschuss vorbehält, der dementsprechend sog. Hinweise zum Rücktritt aus triftigem Grund veröffentlicht hat. Dort wird unter Gliederungspunkt b. die Prüfungsunfähigkeit als Sonderfall des Rücktritts aus triftigem Grund bezeichnet und insoweit konkretisiert, als dass die Leistungsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen erheblich beeinträchtigt sein muss.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Dies zugrunde gelegt, hat der Antragsteller einen triftigen Grund für den Rücktritt geltend gemacht. Er hat angegeben, an einer akuten spastischen Bronchitis gelitten zu haben, die ihm im Wege der Einengung seiner Atemwege die erfolgreiche Absolvierung der Laufprüfung unmöglich gemacht habe.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Diesen triftigen Grund hat der Antragsteller dem Prüfungsamt auch unverzüglich schriftlich angezeigt. Er hat am 29. August 2018, also am Tag vor der anberaumten Prüfung, eineE-Mail an das Prüfungsamt gerichtet und jedenfalls mit der postalischen Nachsendung der Originaldokumente auch dem Schriftformerfordernis entsprochen.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Durch die Einreichung eines ausgefüllten von der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW zur Verfügung gestellten Vordrucks („Formular für den Nachweis der Prüfungsunfähigkeit“) und eines ärztlichen Attests hat der Antragsteller den triftigen Grund auch glaubhaft gemacht. Zur Glaubhaftmachung enthält Gliederungspunkt b. der Hinweise zum Rücktritt aus triftigem Grund folgende Passage: „<strong>Hinweis: Da die Entscheidung über die Prüfungsfähigkeit eine Rechtsfrage ist, die der Prüfungsausschuss zu beurteilen hat, bedarf es im Attest genauerer Angaben zu den Krankheitssymptomen sowie deren Auswirkungen auf das Leistungsvermögen. Hilfreich kann die genaue Bezeichnung der Erkrankung sein. Der nicht näher ausgeführte Hinweis, die/der Studierende sei prüfungsunfähig, genügt den Anforderungen an einer</strong> [sic, Anmerkung der Kammer] <strong>Glaubhaftmachung der Prüfungsunfähigkeit <em>nicht</em>.</strong>“ [Hervorhebungen im Original, Anmerkung der Kammer]. Die eingereichten Unterlagen stellen sowohl die konkrete Diagnose (akute spastische Bronchitis) als auch die mit Blick auf eine Laufprüfung beeinträchtigenden Symptome schlüssig dar (Einengung der Atemwege).</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">2. Dem Anordnungsanspruch steht das zwischenzeitliche Ende des zweiten Studienjahrs mit Ablauf des 31. August 2018 nicht entgegen. Zwar regelt § 12 Abs. 2 Satz 2 Var. 2 i.V.m. Satz 1 der Verordnung über die Ausbildung und die II. Fachprüfung für den Laufbahnabschnitt II (Bachelor) der Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamten des Landes Nordrhein-Westfalen (im Folgenden VAPPol II), dass die Bachelorprüfung endgültig nicht bestanden ist, wenn der Nachweis der körperlichen Leistungsfähigkeit gemäß Studienordnung nicht bis zum Ende des zweiten Studienjahres erbracht worden ist. Auch normiert § 4 Abs. 5 StudO-BA Teil B, dass die Fortsetzung des Studiums ausgeschlossen ist (Satz 2) und eine weitere Nachholung oder Wiederholung ausscheidet, wenn die Leistungsnachweise „12-Minuten-Lauf“, „Hindernisparcours“ und „Rettungsschwimmübungen 1 und 2“ (Leistungsschein Körperliche Leistungsfähigkeit Sport/Rettungsschwimmen) nicht bis zum Ende des zweiten Studienjahres erbracht sind (Satz 1). Allerdings ergibt die Auslegung des aus der VAPPol II, der StudO-BA Teil A und der StudO-BA Teil B bestehenden normativen Gesamtgefüges, dass die soeben zitierten Regelungen und ihre Rechtsfolgen denjenigen eines wirksamen Rücktritts nachgehen.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Ausgangspunkt ist dabei § 19 Abs. 2 Satz 2 StudO-BA Teil A, der vorgibt, dass die versäumte Prüfung bei Glaubhaftmachung der Hinderungsgründe bei der nächsten angebotenen Wiederholungsmöglichkeit nachzuholen <span style="text-decoration:underline">ist</span>. Insofern sieht er als zwingende Rechtsfolge eines wirksamen Rücktritts die Nachholung der versäumten Prüfung vor.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Damit setzt er sich bei genauer Betrachtung auch nicht in Widerspruch zur höherrangigen VAPPol II. Der oben zitierte § 12 Abs. 2 Satz 2 Var. 2 VAPPol II erwähnt die Studienordnung ausdrücklich und ordnet die Rechtsfolge des endgültigen Nichtbestehens nur für den Fall an, dass der Nachweis <span style="text-decoration:underline">gemäß Studienordnung</span> nicht bis zum Ende des zweiten Studienjahres erbracht worden ist. Damit nimmt er nicht nur § 4 Abs. 5 StudO-BA Teil B, sondern die gesamte Studienordnung, mithin auch § 19 Abs. 2 Satz 2 StudO-BA Teil A in Bezug. Dafür, dass die VAPPol II das Verhältnis zwischen der Zweijahresfrist von § 4 Abs. 5 StudO-BA Teil B und § 19 Abs. 2 Satz 2 StudO-BA Teil A gar nicht regeln will, spricht weiterhin, dass sie die Regelungen zu den Folgen der Nichterbringung von Prüfungsleistungen und des Rücktritts von einer Prüfung in ihrem § 17a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 explizit der Studienordnung vorbehält. Selbst wollte man dies anders sehen und dem Wortlaut des § 12 Abs. 2 Satz 2 Var. 2 VAPPol II auch für den Fall des krankheitsbedingten Rücktritts die Rechtsfolge des endgültigen Nichtbestehens entnehmen, so würde dies zu keinem anderen Ergebnis führen. Die Norm wäre dann aus den noch unten auseinandergesetzten Gründen mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG jedenfalls verfassungskonform auszulegen.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">§ 19 Abs. 2 Satz 2 StudO-BA Teil A und § 4 Abs. 5 StudO-BA Teil B hingegen stehen sich als Bestandteile einer einheitlichen Prüfungsordnung im Ansatz gleichrangig gegenüber. Letztere Vorschrift geht ersterer auch nicht nach dem lex-specialis-Grundsatz vor. Eine spezielle Regelung für den 12-Minuten-Lauf will sie zwar gegenüber § 13 Abs. 2 Sätze 2 und 3 StudO-BA Teil A insofern treffen, als dass neben den Nichtbestehensgrund der erfolglosen Wiederholungsprüfung der Nichtbestehensgrund des nachweislosen Ablaufs des zweiten Studienjahrs treten soll. Dass demgegenüber durch ihren Inhalt auch das Verhältnis zum Prüfungsrücktritt spezifisch und in Abweichung von der StudO-BA Teil A geregelt werden soll, ist nicht ersichtlich.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Für dieses Ergebnis streiten zum einen systematische Erwägungen. Die StudO-BA Teil A enthält an mehreren Stellen Vorbehalte zu Gunsten studiengangspezifischer Regelungen – solche enthält die StudO-BA Teil B – (siehe nur § 12 Abs. 1 lit. f, Abs. 2 Satz 3, § 13 Abs. 6 Sätze 2 und 3 StudO-BA Teil A). Gerade eine solche „Öffnungsklausel“ fehlt aber bei § 19 StudO-BA Teil A. Umgekehrt beinhaltet § 4 StudO-BA Teil B zahlreiche Hinweise auf durch ihn unberührte, aber auch verdrängte Normen der StudO-BA Teil A, wobei § 19 StudO-BA Teil A gerade keine Erwähnung findet. Nach Auffassung der Kammer folgt hieraus, dass § 4 Abs. 5 StudO-BA Teil B einem Prüfungsrücktritt nach § 19 StudO-BA Teil A – auch nach Ablauf der Zweijahresfrist – nicht entgegensteht.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Zum anderen stützen teleologische Erwägungen dieses Ergebnis. Wäre die Studienordnung des streitgegenständlichen Bachelorstudiengangs in dem Sinne auszulegen, dass § 4 Abs. 5 StudO-BA Teil B einem wirksamen Prüfungsrücktritt vorginge, so würde dies Art. 12 Abs. 1 GG verletzen.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Beim streitgegenständlichen Bachelorstudiengang handelt es sich um eine berufsqualifizierende Prüfung, weshalb den Prüfungsanspruch beschränkende Regelungen wie die streitbefangene Zweijahresfrist des § 4 Abs. 5 StudO-BA Teil B als Eingriffe in die Berufswahlfreiheit im Sinne von subjektiven Zulassungsschranken an Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG zu messen sind. Weil es sich bei entsprechenden Prüfungsvorschriften um subjektive Zulassungsschranken handelt,</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">BVerwG, Beschluss vom 27. Januar 2015 – 6 B 43/14 –, juris, Rn. 16; BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2015 – 1 BvR 2218/13 –, juris, Rn. 25,</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">müssen sie – um verfassungsrechtlich gerechtfertigt zu sein – dem Schutz eines wichtigen Gemeinschaftsguts dienen. Angesichts der Tatsache, dass Prüflinge des streitgegenständlichen Bachelorstudiengangs besoldete Beamte auf Widerruf sind (§ 5 VAPPol II) kommt als wichtiges Gemeinschaftsgut ohne weiteres der Schutz der Staatsfinanzen in Betracht. Letzteren drohen finanzielle Belastungen, wenn Prüflinge länger als zur Feststellung ihrer definitiven Nichteignung erforderlich im streitgegenständlichen Bachelorstudiengang beziehungsweise im damit einhergehenden Beamtenverhältnis auf Widerruf belassen werden. Daraus folgt, dass die Zweijahresfrist des § 4 Abs. 5 StudO-BA Teil B grundsätzlich wegen des durch sie eingeräumten großzügigen Zeitraums zur Ablegung der Prüfung unbedenklich sein mag:</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">So VG Köln, Beschluss vom 18. November 2015 – 19 L 2634/15 –, juris, Rn. 6 und VG Arnsberg, Beschluss vom 14. Juli 2017 – 2 L 1221/17 –, juris, Rn. 18. OVG NRW, Beschluss vom 18. August 2017 – 6 B 918/17 –, juris, lässt die Frage hingegen unbeantwortet.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Demgegenüber rechtfertigen die bezeichneten Erwägungen nicht eine derart starre Handhabung der Zweijahresfrist, wie sie der Antragsgegner durchführt, wenn er sie sogar einem wirksamen Prüfungsrücktritt vorgehen lassen will.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Zunächst sind in Ansehung eines krankheitsbedingten Prüfungsrücktritts die den Staatsfinanzen drohenden finanziellen Nachteile von der Intensität her geringfügig. Es ist nicht erkennbar, dass die ernsthafte Möglichkeit bestünde, dass ein in Wahrheit ungeeigneter Prüfling sein Studium und die damit einhergehende Stellung als Widerrufsbeamter durch Prüfungsrücktritte in relevantem Umfang in ungerechtfertigter Weise verlängern könnte.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Dafür sorgt zum einen § 19 Abs. 2 Satz 2 StudO-BA Teil A selbst, indem er den zurückgetretenen Prüfling zur Nachholung bei der nächsten angebotenen Wiederholungsmöglichkeit verpflichtet. Damit legt er den Umfang der Zeitspanne zwischen Rücktritt und Nachholung in den Einflussbereich der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW, welche es jederzeit in der Hand hat, das Wiederholungsangebot – etwa wenige Tage nach Gesundung des Prüflings – zu schaffen. Die Kammer weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass auch im konkreten Fall eine Nachholung sehr zeitnah hätte erfolgen können. Die Gruppe B des Einstellungsjahrgangs 2016 hat gemäß „Übergangs-Studienverlaufsplan Fachbereich Polizei EJ 2016“ im direkten Anschluss an den Ablauf der Zweijahresfrist mit Ende des 31. August 2018 das Training des Moduls HS 2.6 absolviert, sodass sich ohnehin Studierende beim Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten Nordrhein-Westfalen befunden haben, bei dem die sachlichen Mittel zur Durchführung einer Laufbahnprüfung auch vorhanden sind. Der sonstige Aufwand der Durchführung einer Laufprüfung ist ohnehin sehr gering.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Zum anderen verfügt die Prüfungsbehörde mit den Hinweisen zum Rücktritt aus triftigem Grund über eine ausreichende Handhabe, um Missbrauch in Form etwaiger „Kettenrücktritte“ zu begegnen. So behält sich der Prüfungsausschuss unter Gliederungspunkt b. vor, für die Glaubhaftmachung einer Prüfungsunfähigkeit ein amts- oder polizeiärztliches Attest zu verlangen. Zudem können längerfristige oder chronische Erkrankungen nicht zu einer nicht hinnehmbaren Verlängerung des Studiums respektive des Widerrufsbeamtenverhältnisses führen. Die Hinweise zum Rücktritt aus triftigem Grund bezeichnen sog. Dauerleiden unter Gliederungspunkt b. zurecht nicht als triftigen Grund im Sinne einer Prüfungsunfähigkeit.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Zweijahresfrist letztlich nicht auf zwingenden fachlichen Erwägungen basiert. Mit anderen Worten ist die erfolgreiche Absolvierung des streitgegenständlichen Leistungsnachweises bis zum Ende des zweiten Studienjahres für die weitere Absolvierung des insgesamt dreijährigen Studiums irrelevant. Das weitere Studium baut nicht etwa auf den für die Erbringung des Leistungsnachweises notwendigen Fähigkeiten auf. Vielmehr fußt die Einziehung der Zweijahresgrenze auf der generalisierten Erfahrung, dass ein Prüfling, dem es über zwei Jahre hinweg nicht gelungen ist, seine körperliche Eignung nachzuweisen, in aller Regel auch zukünftig eine hinreichende physische Leistungsfähigkeit nicht wird erlangen können. Eine solche Einschätzungsprärogative mag dem Normgeber grundsätzlich zuzubilligen sein, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass der Prüfling nach § 4 Abs. 4 Satz 2 StudO-BA Teil B über die beiden (offiziellen) Prüfungsversuche hinaus an weiteren Leistungsabnahmen teilnehmen kann. Der Charakter der Zweijahresfrist als bloß abstrakte Prognoseentscheidung gebietet aber mit Blick auf einen Prüfungsrücktritt eine Relativierung der Zweijahresfrist. Dies deshalb, weil der in der Zweijahresfrist verkörperte Erfahrungswert nur zum Tragen kommen kann, wenn dem Prüfling auch wirklich der entsprechende Zeitraum zur Vorbereitung auf die Prüfung zur Verfügung gestanden hat. Wenn man aber dem Prüfling das Risiko einer krankheitsbedingten Prüfungsunfähigkeit aufbürden würde, zwänge ihn dies faktisch zu einer deutlichen Vorverlagerung seiner Prüfung und würde ihm mithin die vollumfängliche Ausnutzung der Zweijahresspanne gerade verwehren. Es führt auch nicht weiter, darauf abzustellen, dass eine Erkrankung in der Sphäre des Studierenden anzusiedeln ist. Dies trifft zwar im Ausgangspunkt zu. Nach allgemeinen Grundsätzen des Prüfungs- und Beamtenrechts kommt es darauf aber nicht an, weil es nicht etwa – wie im Zivilrecht – um die billige Abgrenzung von Risiko- oder Haftungsbereichen, sondern um die Verwirklichung des bei entsprechender Befähigung und Eignung bestehenden grundrechtlichen Anspruchs auf freie Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG) respektive auf Zugang zu öffentlichen Ämtern (Art. 33 Abs. 2 GG) geht. Auch mit Blick auf den in Art. 3 Abs. 1 GG wurzelnden Grundsatz der Chancengleichheit aller Prüflinge und die vom Kläger mit Recht angeführte Fürsorgepflicht des Dienstherrn ist in diesen Rechtsgebieten vielmehr maßgeblich, ob den Prüfling beziehungsweise den Beamten ein Verschulden trifft. Dies ist bei einer Erkrankung aber in aller Regel und auch in Ansehung des streitgegenständlichen Sachverhalts nicht der Fall.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">II. Dem Antragsteller drohen ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung schlechthin unzumutbare Nachteile.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Bei Verweisung des Antragstellers auf die Hauptsacheentscheidung droht diesem mit Blick auf seine berufsqualifizierende Ausbildung ein erheblicher und unwiederbringlicher Zeitverlust. Darüber hinaus läuft er Gefahr, die bislang im Rahmen des streitgegenständlichen Bachelorstudiums erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten zu vergessen beziehungsweise zu verlernen, obgleich die weitere Bachelorprüfung teilweise auf diesen Inhalten aufbaut. Damit ist letztlich sein grundrechtlich abgesichertes Recht auf freie Berufswahl aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG von einer erheblichen Verletzung bedroht.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Der hiesige Fall unterscheidet sich dabei – wie der Antragsteller zurecht anführt – in entscheidender Weise von der bereits vielfach entschiedenen Konstellation, die den vom Antragsteller zitierten Entscheidungen</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. Februar 2018 – 6 B 53/18 –, juris, Rnrn. 2 ff. und Kammerbeschluss vom 20. Dezember 2017 – 2 L 5140/17 –, juris, Rnrn. 7 ff., 14.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">zugrunde liegt.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Dort ergaben sich das endgültige Nichtbestehen und in der Konsequenz das Ende des Beamtenverhältnisses auf Widerruf aus einer für den Antragsteller negativen Prüfungsentscheidung hinsichtlich des letztmöglichen Prüfungsversuchs (§ 22 Abs. 4 Hs. 1 BeamtStG i.V.m. § 12 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 lit. b Var. 1 VAPPol II). Insoweit kann gegen die Beachtlichkeit des durch eine rechtswidrige Prüfungsentscheidung entstehenden Zeitverlustes mit Recht ins Feld geführt werden, dass es sich um eine regelmäßige und von den zitierten Regelungen in Kauf genommene Folge handelt. Denn nach diesen Regelungen endet das Beamtenverhältnis auf Widerruf – unabhängig von der Rechtmäßigkeit und dem Bestand der Prüfungsentscheidung – kraft Gesetzes an dem Tag, an dem das Prüfungsergebnis bekanntgegeben wird. Durch die Anknüpfung an dieses eindeutig fixierbare Ereignis schaffen die zitierten Normen entsprechend ihrem Sinn und Zweck sofort von einem Streit um die Rechtmäßigkeit der Prüfungsentscheidung unabhängige Verhältnisse und damit in Bezug auf den beamtenrechtlichen Status unmittelbar Rechtsklarheit. Der tragende Grund dafür, das antragstellerseitige Interesse an möglichst nahtloser Fortführung seines Studiums zurücktreten zu lassen, ist mithin, die mitunter schwierige Frage nach der inhaltlichen Richtigkeit einer Prüfungsentscheidung außerhalb des mit voller Alimentation verbundenen Widerrufsbeamtenverhältnisses zu klären.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Anders liegt es in Fällen der vorliegenden Art, in denen der Antragsgegner unter Verweigerung einer Entscheidung über die Wirksamkeit des krankheitsbedingten Prüfungsrücktritts das endgültige Nichtbestehen nicht auf ein Scheitern im letztmöglichen Prüfungsversuch, sondern auf das bloße Verstreichen der Zweijahresfrist aus § 4 Abs. 5 StudO-BA Teil B stützt. Unter Beachtung dieser Umstände kann der für den bereits entschiedenen Lebenssachverhalt tragende Grund – die Verhinderung einer langwierigen inhaltlichen Überprüfung im mit Besoldung einhergehenden Widerrufsbeamtenverhältnis – für den vorliegenden Fall nicht zum Zuge kommen. Eine aufwändige inhaltliche Kontrolle einer Prüfungsentscheidung droht in Ermangelung einer solchen überhaupt nicht. Vielmehr hätte sich der Antragsgegner lediglich mit der Frage der Wirksamkeit eines krankheitsbedingten Rücktritts auseinanderzusetzen gehabt. Davon abgesehen, fehlt es in der hiesigen Konstellation an einem klaren Anknüpfungspunkt für den Eintritt des endgültigen Nichtbestehens und die Beendigung des Beamtenverhältnisses auf Widerruf. Zum einen kommt das Ende des zweiten Studienjahres nach dem zum Anordnungsanspruch Ausgeführten insoweit nicht in Betracht, weil der wirksame krankheitsbedingte Rücktritt dem Fristablauf vorgeht, respektive die Zweijahresfrist im Einklang mit Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG nur so ausgelegt werden darf, dass sie vor Absolvierung eines rücktrittsbedingten Wiederholungsversuchs nicht auslaufen kann. Zum anderen kann nicht auf die gegenüber dem Antragsteller ergangene Mitteilung vom 31. August 2018 abgestellt werden, weil diese – mag sie auch mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen sein – allenfalls einen formellen Verwaltungsakt darstellt. Ihr Regelungsgehalt kann demgegenüber richtigerweise allenfalls kraft Gesetzes nach § 12 Abs. 2 Satz 2 Var. 2, Abs. 3 Satz 1 lit. b Var. 2 VAPPol II eintreten.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 GKG i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG. Von einer Halbierung des Auffangwertes sieht die Kammer ab, weil das Antragsbegehren des vorläufigen Rechtsschutzes hier auf eine weitgehende Vorwegnahme der Hauptsache im Klageverfahren gerichtet ist (vgl. Ziff. 1.5 Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung:</strong></p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">(1)       Gegen die Entscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) eingeht.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sind durch einen Prozessbevollmächtigten einzureichen. Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –).</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sollen möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">(2)       Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird.</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift soll möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.</p>
|
171,224 | ovgnrw-2019-01-23-4-a-25919a | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 4 A 259/19.A | 2019-01-23T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:16 | 2019-02-13T12:21:06 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0123.4A259.19A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 15.11.2018 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf wird abgelehnt.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist nicht wegen der ausschließlich geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG hat eine Rechtssache dann, wenn sie eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellung bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich in dem angestrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf. Für die Darlegung dieser Voraussetzungen ist neben der Formulierung einer Rechts- oder Tatsachenfrage erforderlich, dass der Zulassungsantrag konkret auf die Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit der Rechts- bzw. Tatsachenfrage sowie ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29.1.2016 – 4 A 2103/15.A –, juris, Rn. 2 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Diesen Darlegungsanforderungen genügt die Antragsbegründung nicht. Die von dem Kläger aufgeworfene Frage,</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">„ob im Falle einer nicht ortsbezogenen Verfolgung, nämlich aufgrund des Umstandes, dass der Kläger landesweit als Angehöriger der sunnitischen Untergruppierung des ‚Barelvi Wegs‘ Gefahr für Leib und Leben aufgrund von drohender Verfolgung durch die Hauptströmung des Sunnitentums ausgesetzt ist, überhaupt auf eine vermeintliche innerstaatliche Fluchtalternative verwiesen werden kann“,</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">führt mangels Entscheidungserheblichkeit nicht zur Berufungszulassung. Das Verwaltungsgericht hat die Zuerkennung sowohl der Flüchtlingseigenschaft als auch des subsidiären Schutzes nicht ausschließlich wegen einer internen Schutzmöglichkeit abgelehnt. Vielmehr hat es eigenständig tragend – und in erster Linie – darauf abgestellt, dass sich das Vorbringen des Klägers zu seinem Verfolgungsschicksal als unglaubhaft darstelle (Urteilsabdruck Seite 4, zweiter und dritter Absatz, sowie Seite 5, vorletzter Absatz). Wird die Entscheidung in dieser Weise selbständig tragend mehrfach begründet, ist eine Zulassung der Berufung nur gerechtfertigt, wenn im Hinblick auf jeden der Begründungsstränge ein Zulassungsgrund dargelegt wird und gegeben ist.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.10.2018 ‒ 4 A 3830/18.A ‒, juris, Rn. 10 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Daran fehlt es hier.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 83 b AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.</p>
|
171,223 | ovgnrw-2019-01-23-1-b-6019 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 1 B 60/19 | 2019-01-23T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:15 | 2019-02-13T12:21:06 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0123.1B60.19.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beschwerde wird auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.</p>
<p>Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 23.545,08 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der Senat ist bei der Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung auf die Prüfung der von dem Rechtsmittelführer fristgerecht dargelegten Gründe beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 i. V m. Satz 1 und 3 VwGO). Diese Gründe rechtfertigen es nicht, dem mit der Beschwerde weiterverfolgten Antrag zu entsprechen,</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO bis zum rechtskräftigen Abschluss des parallelen Beschwerdeverfahrens des Antragstellers gegen die Ablehnung vom 19. Februar 2018 zu untersagen, den Dienstposten G 5 im Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) Dienstort C.    (BesGr B 2) mit dem ausgewählten Bewerber Herrn Leitender Technischer Regierungsdirektor K.       T.      zu besetzen.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat diesen – in zeitlicher Hinsicht („bis zum rechtskräftigen Abschluss des parallelen Beschwerdeverfahrens“) von vornherein zu weit gehenden,</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">vgl. zuletzt OVG NRW, Beschluss vom 7. Juni 2018 – 1 B 1381/17 –, juris, Rn. 9 bis 11: Erforderlich ist die Sicherung des Bewerbungsverfahrensanspruchs nur bis zu einer erneuten und rechtsfehlerfreien, die Rechtsauffassung des Gerichts zugrunde legenden Entscheidung über diesen; ferner OVG NRW, Beschluss vom 7. Januar 2019 – 1 B 1792/18 –, juris, Rn. 4 f. –</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Antrag im Kern mit der folgenden Begründung abgelehnt: Der Antragsteller habe jedenfalls einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Er könne die begehrte Untersagung schon deshalb nicht beanspruchen, weil er Soldat sei. Der fragliche Dienstposten G 5 sei nämlich zur Besetzung durch einen Beamten ausgeschrieben. Die dem zugrunde liegende, im weiten Organisationsermessen der Antragsgegnerin stehende und gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare Organisationsentscheidung sei nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin habe insoweit weder eigene Vorgaben missachtet noch willkürliche oder sachfremde Erwägungen angestellt. Das BAAINBw sei nach dem Dresdener Erlass vom 21. März 2012 Teil der Wehrverwaltung, weshalb sein Aufgabenfeld im Ausgangspunkt zivil geprägt sei. Überwiegend ziviler Prägung seien auch die Aufgaben des Dienstpostens G 5 (Leitung der Gruppe „Prozesse Bw-Planung, Rechnungswesen, Controlling, Gesundheitsversorgung und Sondergebiete“, Steuern aller Maßnahmen des Realisierungs- und Nutzungsmanagements SASPF, Steuern und Koordinieren der fachlich-prozessualen Anforderungen; Erhalt der Einsatzreife SASPF/SigN). Unerheblich sei insoweit der Umstand, dass dieser Dienstposten zuvor militärisch besetzt gewesen sei. Die Antragsgegnerin habe dies nämlich nachvollziehbar damit erklärt, dass das Bundesamt erst im Oktober 2012 errichtet worden sei und seine Aufgaben zunächst durch das vorhandene Personal wahrgenommen worden seien. Inzwischen würden die Dienstposten der Abteilung G einer Organisationsprüfung unterzogen und abhängig vom jeweiligen Aufgabenschwerpunkt zivil oder militärisch zugeordnet. Für diese Zuordnung wesentlich seien nach den Darlegungen der Antragsgegnerin die Vorgaben der Arbeitsgruppe „Substitution“. Danach sei zu prüfen, ob militärische Dienstposten künftig zivil ausgebracht werden könnten, um den bestehenden Mangel an Soldaten, die für die Kernaufgaben der Bundeswehr zur Verfügung stehen, zu beheben. Diese Herangehensweise stehe nicht im Widerspruch zur Konzeption der Bundeswehr, nach der überall dort, wo es sinnvoll und möglich sei, die Voraussetzungen für eine statusfremde Besetzung von Dienstposten geschaffen werden sollen. Denn die Entscheidung, wo eine derartige Öffnung sinnvoll und möglich sei, obliege der Antragsgegnerin und nicht dem Antragsteller. Überdies habe die Antragsgegnerin das Trennungsgebot nach Art. 87a GG zu beachten. Ein Anspruch des Antragstellers auf Zugang zu zivilen Verwendungen und Dienstposten ergebe sich auch nicht aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz, weil ein solcher Zugang hier nicht durch Verwaltungsvorschriften eröffnet worden sei. Der Antragsteller könne sich insoweit auch nicht mit Erfolg auf eine entsprechende Verwaltungspraxis der Antragsgegnerin berufen. Der Dienstposten G 5 sei kein Wechseldienstposten. Auch treffe die Behauptung des Antragstellers nicht zu, in dem Bundesamt werde die (militärische oder zivile) Zuordnung von Dienstposten aufgehoben, wenn es gewollt sei. Die Antragsgegnerin habe nachvollziehbar dargelegt, dass der vom Antragsteller angestellte Vergleich zwischen den noch militärischen Dienstposten G 4.1 und G 1.1 mit seinem aktuellen, künftig zivil ausgewiesenen Dienstposten G 5.1 nicht weiterführe, da auch diese beiden Dienstposten einer Organisationsprüfung unterzogen werden würden, wobei allerdings nur die Aufgaben der Dienstposten G 4.1 und G 5.1 vergleichbar seien. Der Verweis des Antragstellers auf einen Leistungsvorsprung gegenüber dem ausgewählten Bewerber sei unerheblich, weil der Antragsteller aufgrund der vorgelagerten, nicht zu beanstandenden Organisationsentscheidung nicht zu dem zu betrachtenden Bewerberkreis gehöre.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Hiergegen macht der Antragsteller im Wesentlichen geltend: Das Verwaltungsgericht habe zunächst fehlerhaft die Frage, ob ein Anordnungsgrund gegeben sei, offen gelassen, obwohl sie unter dem Gesichtspunkt eines drohenden Bewährungsvorsprungs zu bejahen sei. Ferner habe es zu Unrecht das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs verneint. Die Organisationsentscheidung, den Dienstposten G 5 als zivilen Dienstposten einzuordnen und auszuschreiben, sei – erstens – auf sachfremde Kriterien gestützt. Entgegen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts bestehe eine Verwaltungspraxis, wonach die Zuordnung von Dienstposten „nach eigenem Ermessen der Verwaltung aufgehoben“ werde. Er habe bereits erstinstanzlich vorgetragen, dass die Zuordnung von Dienstposten in der Praxis des BAAINBw flexibel geändert werden könne. Die „Konzeption der Bundeswehr“ als Dachdokument fordere sogar die Schaffung organisatorischer Voraussetzungen statusfremder Besetzungsmöglichkeiten. Das zeige auch der ihn betreffende, in seiner aktuellen planmäßigen Beurteilung gemachte Vorschlag des Vizepräsidenten des BAAINBw, ihn bei der Besetzung des Dienstpostens G 5 mit zu betrachten. Ferner bestehe– zweitens – entgegen der unzureichenden Würdigung des Verwaltungsgerichts eine entgegenstehende Verwaltungspraxis in anderen gleich gelagerten Fällen. Für den ausgewählten Konkurrenten sei dessen derzeitiger Dienstposten von militärisch in zivil gewandelt worden, weil dieser sich auf diesem Dienstposten bewährt habe. Hingegen sei sein – des Antragstellers – aktueller Dienstposten (mit Wirkung zum 1. April 2019) „ohne Not“ und, was für Organisationsüberprüfungen untypisch sei, ohne frühzeitige Information des Betroffenen in einen zivilen Dienstposten gewandelt worden, was das Verwaltungsgericht in seine Bewertung hätte einbeziehen müssen. Nur unzureichend beantworte der angefochtene Beschluss auch die Frage, warum der dem Dienstposten G 5 hinsichtlich der Aufgaben vergleichbare Dienstposten G 4 als Wechseldienstposten ausgeworfen sei. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb sein aktueller Dienstposten G 5.1. vor anderen Dienstposten wie etwa dem Posten G 4.1 einer Organisationsuntersuchung unterzogen worden sei. Das Verwaltungsgericht verkenne – drittens – die Zulässigkeit gemischter zivil-militärischer Strukturen. Der „Dresdener Erlass“ und die „Konzeption der Bundeswehr“ erforderten im Sinne einer optimalen Auftragserfüllung eine statusfremde Besetzung von Dienstposten wie im vorliegenden Fall. Es sei nicht von Art. 87a GG geboten und kontraproduktiv, Soldaten nur auf militärische Dienstposten zu setzen, wenn damit vorhandenes Spezialwissen und Spezialerfahrungen auf einem Dienstposten zumindest vorübergehend verloren gingen. Im Übrigen hätte der Dienstposten G 5 schon zu Zeiten der Vakanz in einen Wechseldienstposten umgewidmet werden können, was indes nicht geschehen sei. Die vom Verwaltungsgericht im Anschluss an das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Dezember 2015 – 1 WB 48/14 – aufgestellte Forderung, der Zugang von Soldaten zu einem zivilen Dienstposten bedürfe einer entsprechenden Regelung in einer Verwaltungsvorschrift, sei wegen der aktuelleren Regelungen der „Konzeption der Bundeswehr“ obsolet. In der Summe habe die Antragsgegnerin durch ihr Verhalten gezeigt, dass sie Organisationsentscheidungen problemlos ändere, wenn dies Beamte begünstige, im Falle von Soldaten aber willkürliche Organisationsentscheidungen treffe.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Das alles greift nicht durch.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">1. Das auf das Vorliegen eines Anordnungsgrundes bezogene Beschwerdevorbringen ist schon unerheblich, weil die Beschwerde ausweislich der nachfolgenden Ausführungen unter 2. jedenfalls nicht aufzeigt, dass dem Antragsteller ein Anordnungsanspruch zusteht.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">2. Auch in Ansehung des entsprechenden Beschwerdevortrags ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs mit der Erwägung verneint hat, die Antragsgegnerin habe den Antragsteller bei ihrer Entscheidung über die Besetzung des fraglichen Dienstpostens zutreffend nicht in die Bewerberauswahl einbezogen. Die dem zugrunde liegende Organisationsentscheidung der Antragsgegnerin leidet vielmehr nicht an Rechtsfehlern.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">a) Der Antragsteller stellt mit seiner Beschwerde nicht (substantiiert) die Ausgangspunkte des angefochtenen Beschlusses in Frage, dass – erstens – die Entscheidung der Antragsgegnerin, den fraglichen Dienstposten G 5 ausschließlich für Beamte vorzusehen, in deren nur eingeschränkt überprüfbares – weites – Organisationsermessen fällt und dass dieser Dienstposten – zweitens – überwiegend zivil geprägt ist.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Allgemein dazu, dass Organisationsentscheidungen über die Einrichtung, Gestaltung und Zuordnung von Dienstposten nur einer Willkürkontrolle unterliegen: BVerwG, Urteile vom 16. Oktober 2008 – 2 A 9.07 –, juris, Rn. 49 ff. (54), und vom 12. Dezember 2017 – 2 VR 2.16 –, juris, Rn. 40, sowie Beschluss vom 27. April 2016 – 2 B 104.15 –, juris, Rn. 11 f.; ebenso OVG NRW, Beschluss vom 15. März 2013– 1 B 133/13 –, juris, Rn. 58 f., und OVG des Saarlandes, Beschluss vom 18. Oktober 2017– 1 B 563/17 –, juris, Rn. 11 f., jeweils m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">b) Er vertritt vielmehr die Ansicht, die Antragsgegnerin sei aufgrund ihrer eigenen Vorgaben bzw. wegen einer bestehenden Ermessenspraxis aus Gründen der Gleichbehandlung ausnahmsweise gehalten, den Dienstposten G 5 in militärisch besetzbar zu wandeln oder zumindest als „auch besetzbar auch mit Soldat/Soldatin“ auszuweisen (so schon deutlich in der erstinstanzlich vorgelegten persönlichen Stellungnahme vom 16. November 2018, Seite 2 oben). Nur dann könne der Dienstposten mit ihm besetzt werden, was wegen seiner außerordentlichen Expertise allein sinnvoll sei. Diese Erwägungen gehen fehl.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">aa) Zunächst verstößt die Einordnung des (unstreitig überwiegend von zivilen Aufgaben geprägten) Dienstpostens G 5 als zivil nicht gegen ministerielle Vorgaben des „Dresdner Erlasses“ vom 21. März 2012 und der „Konzeption der Bundeswehr“ (KdB) vom 20. Juli 2018, so dass insoweit auch kein willkürliches Verhalten der Antragsgegnerin vorliegen kann.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Einordnung des Dienstpostens G 5 kann nicht gegen Vorgaben des „Dresdner Erlasses“ verstoßen. Der „Dresdner Erlass“ formuliert die Grundsätze für die Spitzengliederung, Unterstellungsverhältnisse und Führungsorganisation im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) und der Bundeswehr. Vorliegend relevant ist allenfalls die Feststellung im Vorspann des Erlasses, nach dem die neuen Grundsätze berücksichtigen, „dass (…) im Sinne einer stärker bundeswehrgemeinsamen Aufgabenerfüllung die Abteilungen im BMVg – aber auch nachgeordnete Behörden und Dienststellen – verstärkt statusübergreifend mit militärischem und zivilem Personal besetzt werden“ und „fachliche und organisatorische Kompetenz auf allen Ebenen nach Möglichkeit zusammenzuführen sind“. Diese Formulierungen enthalten jedoch keine – im Erlass auch sonst nicht zu findenden – konkreten Vorgaben dazu, nach welchen Kriterien die Grundzuordnung bestimmter Dienstposten vorzunehmen ist.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Entsprechendes gilt für die „Konzeption der Bundeswehr“, die als langfristige Grundsatzanweisung das Dachdokument der Gesamtkonzeption der militärischen Verteidigung Deutschlands darstellen soll (KdB, S. 4). Die im vorliegenden Zusammenhang noch konkretesten Vorgaben finden sich dort im Abschnitt 6.2. (Personal), und zwar im Unterabschnitt „Personalmanagement der Bundeswehr“. Dort heißt es u. a. (KdB, S. 68): „Überall dort, wo sinnvoll und möglich, sind die organisatorischen und haushalterischen Voraussetzungen zu schaffen, um sowohl militärische als auch zivile Dienstposten je nach Angebot und Bedarf statusfremd besetzen zu können.“ Auch dieser Formulierung lässt sich nichts dafür entnehmen, wie Dienstposten im Einzelfall zuzuordnen sein sollen. Sie macht im Gegenteil die grundsätzlich angestrebte Ermöglichung statusfremder Besetzungen ausdrücklich von einer vorherigen Einschätzung der zuständigen Entscheidungsträger abhängig, ob dies im betroffenen Bereich („wo“) „sinnvoll und möglich“ ist. Eine solche (noch abstrakte, aber bereits konkretere) Einschätzung liegt hier im Übrigen mit den Vorgaben der ministeriellen Arbeitsgruppe „Substitution“ vor. Danach sollen alle Dienstposten mit Verwaltungsaufgaben, die aktuell (noch) als militärische Dienstposten ausgewiesen sind, auf die Möglichkeit ihrer zivilen Ausbringung hin überprüft werden. Das zielt der Sache nach erklärtermaßen darauf ab, Soldaten von administrativen Aufgaben zu entlasten und so den bestehenden Mangel an Soldaten, die zur Erfüllung der militärischen Kernaufgaben zur Verfügung stehen, zu beseitigen.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">bb) Der Antragsteller hat ferner auch in Ansehung seiner Beschwerdebegründung nicht glaubhaft gemacht, dass sich die gerügte zivile Ausweisung des Dienstpostens G 5 deshalb als willkürlich erweist, weil – wie er behauptet – die Antragsgegnerin ihr Ermessen bei der Ausbringung bzw. Umwidmung von Dienstposten in der Abteilung G des BAAINBw ansonsten (insbesondere zugunsten der Beamten) „flexibel“ ausübt.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">(1) Insoweit trägt der Antragsteller zunächst vor, der aktuell von dem ausgewählten Bewerber (LTRDir T.      ) besetzte Dienstposten des Referatsleiters G 1.2 sei von militärisch auf zivil gewandelt worden, weil sich der Beamte auf diesem Dienstposten bewährt habe. Diese durch nichts belegte Behauptung erweist sich nach den substantiierten und ohne weiteres nachvollziehbaren Erläuterungen der Antragsgegnerin als unzutreffend. Diese hat bereits mit ihrem erstinstanzlich vorgelegten Schriftsatz vom 12. November 2018 erklärt, warum die statusrechtliche Ausbringung des Dienstpostens G 1.2 mit Wirkung vom 1. Oktober 2018 von militärisch in zivil geändert worden ist. Danach war der Dienstposten mit Gründung des BAAINBw zwar militärisch ausgebracht worden, aber wegen des hauptsächlich zivilen Aufgabenprofils unter Nutzung des Wechselstellenverfahrens zivil mit LTRDir T.      besetzt worden. Mit Erhalt eines zivilen Dienstpostens der Besoldungsgruppe A 16 sei der Dienstposten umgewidmet worden, und zwar gerade auch deshalb, um den Vorgaben der Arbeitsgruppe „Substitution“ Rechnung zu tragen. Damit ist als Motiv für die erfolgte Umwandlung die keinesfalls sachwidrige, sondern sachgerechte Erwägung dargelegt, den Dienstposten seinem Aufgabenprofil (und seiner Besetzung) entsprechend auszuweisen und hiermit bezogen auf diesen Posten zugleich die Voraussetzungen dafür zu schaffen, die Verwendung von Soldaten für Verwaltungsaufgaben zu unterbinden.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">(2) Ferner hält der Antragsteller es für nicht nachvollziehbar bzw. willkürlich, dass die Antragsgegnerin den Dienstposten G 4, auf dem vergleichbare Aufgaben wie auf dem Dienstposten G 5 zur erfüllen seien, anders als diesen als „besetzbar auch mit Soldaten/Soldatin“ ausgewiesen habe. Auch insoweit liegt aber bereits eine plausible und ohne weiteres nachvollziehbare Erläuterung der Antragsgegnerin vor. Diese hat mit ihren erstinstanzlichen Schriftsätzen vom 12. November 2018 und vom 10. Dezember 2018 vorgetragen, dass die – von ihrer Grundzuordnung her immer zivilen – Dienstposten G 1 und G 4 im Zuge der Neustrukturierung und Aufstellung des BAAINBw in Ermangelung fachlich geeigneter Beamter zunächst militärisch besetzt worden seien, und zwar mit Oberst C1.         (G 1) und Oberst X.      (G 4). Dem habe das BMVg mit seinem Erlass vom 10. Oktober 2013 – AIN I 1 – Az 10-19-03 – Rechnung getragen, mit dem es die Öffnung dieser bislang nur zivil ausgebrachten Dienstposten für eine militärische Besetzung mit der Erwägung verfügt habe, die jeweilige Aufgabenstellung lasse auch eine Wahrnehmung durch Soldaten zu. Die militärische, allein aus Personalführungsgründen bis zum jeweiligen Ausscheiden der beiden Soldaten aufrechterhaltene Besetzung der Dienstposten G 1 und G 4 habe sich aber von vornherein nur als Übergangslösung dargestellt, um anfallende Aufgaben zu erfüllen. Seit dem Ausscheiden der beiden Soldaten seien die Dienstposten zivil besetzt. Letzteres entspricht im Übrigen auch den Angaben des Antragstellers in seiner Stellungnahme vom 16. November 2018. Danach ist der Dienstposten G 4 im Dezember 2015 zivil ausgeschrieben worden und seit 2016 mit DirBAAINBw L.     besetzt; der Dienstposten G 1 sei nach dem 2017 erfolgten Ausscheiden von Oberst C1.         dauerhaft (erst) im Jahr 2018 mit DirBAAINBw X1.      besetzt worden. Zudem und vor allem hat die Antragsgegnerin vorgetragen, dass für die gesamte Abteilung G eine Organisationsprüfung angewiesen sei, die u. a. bezogen auf die Gruppen G 1 und G 4 noch andauere. Damit erscheint es gerade mit Blick auf die (gegenüber dem erwähnten Erlass aktuelleren) Vorgaben der ministeriellen Arbeitsgruppe „Substitution“ ohne weiteres möglich, wenn nicht sogar naheliegend, dass der dem (schon bislang nur zivilen) Dienstposten G 5 hinsichtlich des Aufgabenprofils vergleichbare Dienstposten G 4 künftig nicht mehr als Wechseldienstposten geführt werden wird, sondern als ausschließlich zivil zu besetzender Dienstposten.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">(3) Auch die Rüge des Antragstellers, sein aktueller Dienstposten G 5.1 werde ohne Not und ohne übliche frühzeitige Information des Stelleninhabers zeitlich vorgezogen zum 31. März/1. April 2019 in einen ausschließlich zivil zu besetzenden Dienstposten umgewandelt, zeigt eine vom Antragsteller zur Stützung seines Begehrens behauptete „flexible“ Verwaltungspraxis schon im Ansatz nicht auf. Diese Umwandlung entspricht nämlich dem hauptsächlich zivilen Aufgabenprofil des Dienstpostens G 5. 1 (vgl. die Aufgabenbeschreibung in der aktuellen Beurteilung des Antragstellers) und steht zudem sachlich gerade mit der im vorliegenden Verfahren ohne Erfolg gerügten Entscheidung im Einklang, die Leitung der Gruppe G 5 wegen des im Wesentlichen zivilen Aufgabenspektrums ausschließlich zivil zu besetzen. Aus der Rüge ergibt sich auch nicht, dass die Antragsgegnerin ihre einschlägigen Organisationsentscheidung willkürlich trifft. Die Antragsgegnerin hat mit ihrem Schriftsatz vom 10. Dezember 2018 die im Verlauf der Organisationsuntersuchung frühzeitige Änderung der Grundzuordnung des Dienstpostens G 5.1. näher erläutert. Danach ist diese erfolgt, um den Vorgaben der Arbeitsgruppe „Substitution“ Rechnung zu tragen und um Nachteile für den Antragsteller zu vermeiden, dessen Verwendungsdauer seitens der Personalführung bis zum 31. März 2019 verfügt worden sei. Diese nachvollziehbaren Erwägungen lassen sachfremde Erwägungen ebenso wenig erkennen wie das einschlägige Beschwerdevorbringen.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">(4) Auch das übrige Beschwerdevorbringen stützt nicht die Annahme des Antragstellers, die (weiterhin) ausschließlich zivile Ausbringung des Dienstpostens G 5 und dessen entsprechende Ausschreibung stellten sich als willkürlich dar. Das gilt zunächst für das (weder mit dem „Dresdener Erlass“ noch mit der KdB begründbare, s. o.) Argument des Antragstellers, gerade in seinem Fall sei eine statusfremde Besetzung des Dienstpostens G 5 geboten, um dort eine optimale Aufgabenerfüllung sicherzustellen. Hiermit verkennt der Antragsteller nämlich schon, dass nicht er, sondern allein die Antragsgegnerin befugt ist, das entsprechende Organisationsermessen auszuüben und (unter Beachtung der Vorgaben der Arbeitsgruppe „Substitution“) darüber zu entscheiden, ob sie den Dienstposten G 5 für eine Besetzung mit Soldaten öffnet oder nicht. Vor diesem Hintergrund ist es auch ersichtlich unerheblich, dass die Antragsgegnerin, wie der Antragsteller meint, schon zu Zeiten der Vakanz dieses Dienstpostens die Möglichkeit gehabt hätte („hätte geändert werden können“), ihr Organisationsermessen im Sinne einer Umwidmung des Dienstpostens in einen Wechseldienstposten auszuüben. Aus dem gleichen Grund irrelevant ist die Ansicht des Antragstellers, Art. 87a GG stehe einer solchen Öffnung des Dienstpostens nicht entgegen. Entsprechendes gilt schließlich für seinen Verweis auf die Stellungnahme des (früheren) militärischen Vizepräsidenten des BAAINBw, GenMaj W.    , in der aktuellen Beurteilung des Antragstellers, nach der sich dieser neben einer vorzugsweisen Verwendung des Antragstellers in einer höheren Kommandobehörde auch dessen „Mitbetrachtung“ bei der Besetzung des Dienstpostens Gruppenleiter G 5 „sehr gut vorstellen“ konnte.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">cc) Ebenfalls unerheblich ist die verbleibende Rüge, die vom Verwaltungsgericht im Anschluss an das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Dezember 2015– 1 WB 48/14 – aufgestellte Forderung, der Zugang von Soldaten zu einem zivilen Dienstposten bedürfe einer entsprechenden Regelung in einer Verwaltungsvorschrift, sei wegen der aktuelleren Regelungen der „Konzeption der Bundeswehr“ obsolet. Sie berücksichtigt nämlich ungeachtet ihrer mangelnden Eignung, einen Anordnungsanspruch darzutun, nicht, dass das Verwaltungsgericht den behaupteten, maßgeblich auf Art. 3 Abs. 1 GG gestützten „Anspruch auf 'Durchlässigkeit'“ nicht nur mit der Erwägung verneint hat, es bestehe keine Verwaltungsvorschrift, die eine von einer Organisationsgrundentscheidung abweichende Dienstpostenbesetzung erlaube. Es hat vielmehr alternativ auch geprüft, ob (zumindest) eine entsprechende Verwaltungspraxis bestehe (BA S. 5, vorletzter Absatz, bis S. 6, zweiter Absatz).</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf den §§ 40, 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG sowie § 52 Abs. 1 i. V. m. Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 bis 4 GKG. Auszugehen ist nach diesen Vorschriften von dem Jahresbetrag (§ 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 GKG) der Bezüge, die dem jeweiligen Antragsteller nach Maßgabe des im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung bekanntgemachten, für Bundesbeamte bzw. hier für Soldaten geltenden Besoldungsrechts unter Zugrundelegung der – soweit zu berücksichtigen – jeweiligen Erfahrungsstufe fiktiv für das angestrebte Amt im Kalenderjahr der Antragstellung zu zahlen sind. Nicht zu berücksichtigen sind dabei die nach § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 und Satz 3 GKG ausgenommenen Besoldungsbestandteile. Der nach diesen Maßgaben zu bestimmende Jahresbetrag ist wegen § 52 Abs. 6 Satz 4 GKG und wegen der im Eilverfahren nur begehrten vorläufigen Sicherung auf ein Viertel zu reduzieren. Der nach den vorstehenden Grundsätzen zu ermittelnde Jahresbetrag beläuft sich hier angesichts des angestrebten Amtes des Besoldungsgruppe B 2 BBesO für das maßgebliche Jahr 2019 auf 23.545,08 Euro (3 x 7.848,36 Euro).</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Streitwertfestsetzung nach den §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG und im Übrigen gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.</p>
|
171,117 | bverfg-2019-01-23-2-bvr-242918 | {
"id": 3,
"name": "Bundesverfassungsgericht",
"slug": "bverfg",
"city": null,
"state": 2,
"jurisdiction": "Verfassungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": "Bundesgericht"
} | 2 BvR 2429/18 | 2019-01-23T00:00:00 | 2019-01-29T12:49:09 | 2019-02-13T12:21:06 | Stattgebender Kammerbeschluss | ECLI:DE:BVerfG:2019:rk20190123.2bvr242918 | <h2>Tenor</h2>
<div>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Der Beschluss des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 16. Oktober 2018 - 1 Ws 214/18 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 des Grundgesetzes.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Der Beschluss des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Das Land Rheinland-Pfalz hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000 Euro (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.</p>
</dd>
</dl>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h1>A.</h1>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_1">1</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen einen Beschluss des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 16. Oktober 2018, durch den eine Haftbeschwerde des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen wurde.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h2>I.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_2">2</a>
</dt>
<dd>
<p>1. Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 14. Mai 2016 in Untersuchungshaft. Am 16. August 2016 erhob die Staatsanwaltschaft Frankenthal (Pfalz) Anklage zum Landgericht Frankenthal (Pfalz) wegen Mordes, gefährlicher Körperverletzung und Geiselnahme in Tateinheit mit versuchtem Mord und gefährlicher Körperverletzung. Am 4. Oktober 2016 ließ die zuständige 1. Große Strafkammer - zugleich Jugendkammer I und Schwurgerichtskammer - des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) die Anklage zur Hauptverhandlung zu und ordnete die Haftfortdauer an. Die Hauptverhandlung begann zunächst am 10. November 2016.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_3">3</a>
</dt>
<dd>
<p>Bis zum 26. September 2017 waren 25 Verhandlungstage terminiert. Nach 23 Verhandlungstagen erkrankte die Vorsitzende am 19. August 2017 dauerhaft dienstunfähig. Die Kammer stellte daher zunächst am 4. September 2017 die Hemmung der Frist gemäß § 229 Abs. 2 StPO fest und setzte am 28. September 2017 die Hauptverhandlung aus.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_4">4</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Hauptverhandlung begann nach Übernahme der Kammer durch einen neuen Vorsitzenden erneut am 12. Dezember 2017. Bis zum 22. August 2018 wurde an 25 Tagen, bis zum 6. November 2018 wurde an vier weiteren Tagen verhandelt. Bis zum 31. Januar 2019 sind weitere 15 Termine bestimmt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_5">5</a>
</dt>
<dd>
<p>2. Die 1. Große Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) zeigte mehrmals ihre Überlastung an.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_6">6</a>
</dt>
<dd>
<p>a) Die erste Überlastungsanzeige vom 10. April 2017 begründete die damalige Vorsitzende der Strafkammer unter anderem damit, dass insgesamt acht Schwur- und Jugendschwurverfahren, davon sechs Haftsachen, darunter das hier gegenständliche Verfahren, anhängig seien, welche teilweise einen erheblichen Umfang aufwiesen. In Kürze sei der Eingang zweier weiterer Umfangsverfahren mit relativ zeitnahen Haftprüfungsterminen zu erwarten. Darüber hinaus seien in der Jugendkammer drei weitere Haftsachen und bei der Jugendschutzkammer neun Kindesmissbrauchsverfahren anhängig. Diese neun Jugendschutzverfahren und ein weiteres anhängiges Großverfahren wegen Sozialleistungsbetrugs seien bislang noch nicht terminiert; der Zeitpunkt der Hauptverhandlungen sei noch nicht absehbar, da die Kammer in den nächsten Monaten über keinerlei Terminkapazitäten mehr verfüge. Für den Zeitraum Januar bis August 2017 seien bereits 68 Hauptverhandlungstermine vergeben; in dem Zeitraum zwischen dem 1. April und dem 15. Juni 2017 sehe die derzeitige Planung vor, dass sich die Kammer an 33 von insgesamt 49 zur Verfügung stehenden Tagen in Sitzung befinden werde, was weder genügend Zeit für die erforderliche Aktenvorbereitung noch die im Nachgang anfallenden Urteilsabsetzungen lasse. In Anbetracht der bevorstehenden Eingänge sowie des erheblichen, durch den ständigen Eingang von vorrangig zu behandelnden Haftsachen entstehenden Rückstaus an Nichthaftsachen sei nicht erkennbar, dass sich dieser Zustand in den darauffolgenden Wochen und Monaten verbessern werde. Bei Eingang weiterer Haftsachen vermöge die Kammer nicht länger zu gewährleisten, dass diese innerhalb der Frist des § 121 StPO terminiert werden könnten. Darüber hinaus gebe sie zu bedenken, dass bereits im Spätjahr 2016 eine in ihrer Intensität annähernd ähnliche, wenngleich insgesamt kürzere Belastungsphase dazu geführt habe, dass sich sämtliche Kammermitglieder bis über ihre Belastungsgrenze hinaus überanstrengt hätten.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_7">7</a>
</dt>
<dd>
<p>Auf die Überlastungsanzeige wies das Präsidium des Landgerichts mit Beschluss vom 21. April 2017 mit Wirkung ab dem 24. April 2017 der 1. Großen Strafkammer eine weitere Beisitzerin mit einem Arbeitskraftanteil von 0,2 zu.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_8">8</a>
</dt>
<dd>
<p>b) Nach Erkrankung der Vorsitzenden zeigte die stellvertretende Vorsitzende am 12. September 2017 erneut die Überlastung der 1. Großen Strafkammer auf unabsehbare Zeit an. Derzeit seien insgesamt sieben Schwur- und Jugendschwurgerichtsverfahren, davon sechs Haftsachen, die alle noch in diesem Jahr verhandelt würden, anhängig, wobei drei dieser Verfahren einen ganz erheblichen Umfang aufwiesen. Aufgrund der Erkrankung der Vorsitzenden stehe die Aussetzung und die komplette Neuverhandlung des vorliegenden Verfahrens konkret zu befürchten; zudem sei in der Jugendkammer eine weitere Haftsache anhängig, die bereits anverhandelt worden sei, jedoch habe ausgesetzt werden müssen. Aufgrund der Vielzahl der Hauptverhandlungstermine und der erforderlichen Vor- und Nachbereitung der Verfahren verfüge die Kammer bereits jetzt über keine Terminkapazitäten mehr im Jahr 2017. In Anbetracht des durch den ständigen Eingang von vorrangig zu behandelnden Haftsachen bedingten Rückstaus an Nichthaftsachen sei nicht erkennbar, dass sich an diesem Zustand in den kommenden Monaten etwas ändern werde. Die Kammer vermöge unter Berücksichtigung all dessen nicht mehr zu gewährleisten, dass bei Eingang neuer Haftsachen diese innerhalb der Frist des § 121 StPO terminiert werden könnten.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_9">9</a>
</dt>
<dd>
<p>Darauf wies das Präsidium des Landgerichts am 14. September 2017 mit Wirkung ab dem 25. September 2017 den bisherigen Vorsitzenden der 3. Großen Strafkammer der 1. Großen Strafkammer mit einem Arbeitskraftanteil von 0,9 als Vorsitzenden zu. Die 3. Große Strafkammer übernahm anstelle der 1. Großen Strafkammer die ab dem 25. September 2017 eingehenden Anklagen und Anträge in Jugendsachen und Jugendschutzsachen erster Instanz.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_10">10</a>
</dt>
<dd>
<p>c) Der neue Vorsitzende zeigte am 12. Dezember 2017 wiederum die Überlastung der 1. Großen Strafkammer an. Gegenwärtig würden drei Umfangsverfahren als laufende Haftsachen betrieben, darunter das vorliegende Verfahren, das im August 2018 erstinstanzlich abgeschlossen werden solle. Seit Anfang 2017 müssten aufgrund der Vielzahl der anhängigen Haftsachen in der Kammer durchgängig drei Sitzungstage pro Woche geleistet werden, was bei bereits überobligatorischem Arbeitseinsatz die maximale Belastung der Kammer darstelle. Gegenwärtig und im ersten Kalenderhalbjahr 2018 könnten ausschließlich Haftsachen und Beschwerden noch sachgerecht betrieben werden. Umgekehrt bedeute dies, dass Verfahren, die keine Haftsachen seien, gegenwärtig nicht verhandelt werden könnten, beispielsweise ein seit dem 23. April 2015 anhängiges Verfahren wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge, in dem das Oberlandesgericht im Haftprüfungsverfahren am 23. September 2014 den Haftbefehl aufgehoben habe.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_11">11</a>
</dt>
<dd>
<p>Im Zuge der Jahresgeschäftsverteilung 2018 übernahm die 3. Große Strafkammer alle Anklagen und Anträge, die bei der 1. Großen Strafkammer anhängig, noch nicht eröffnet und vor dem 1. Januar 2017 eingegangen waren.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_12">12</a>
</dt>
<dd>
<p>d) In einer anderen, bei der 1. Großen Strafkammer anhängigen Haftsache entschied das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken in einem Beschluss vom 26. März 2018 - 1 Ws 48-50/18 -:</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">"Das Präsidium des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) muss unverzüglich weitere Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass die 1. Strafkammer neben den laufenden drei Haftsachen nicht mit weiteren Verfahren belastet wird. Insbesondere müssen die Maßnahmen darauf ausgerichtet sein, dass die Verhandlungskapazität der 1. Strafkammer nach Abschluss einer der derzeit laufenden drei Haftsachen ausschließlich für die dann noch laufenden zwei Haftsachen genutzt werden kann. Ohne Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot kann vor der Beendigung von zwei der derzeit drei laufenden Hauptverhandlungen keine neue Hauptverhandlung begonnen werden, soweit durch sie der Ablauf der laufenden Hauptverhandlungen beeinträchtigt wird. Weiterhin wird das Präsidium zu prüfen haben, ob die 1. Strafkammer von allen anderen Geschäften zu entlasten ist, damit die Kammer mehr als drei Verhandlungstage pro Woche ansetzen kann."</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_13">13</a>
</dt>
<dd>
<p>Hierauf teilte der Vorsitzende der 1. Großen Strafkammer durch dienstliche Äußerung vom 29. März 2018 und durch eine erneute Überlastungsanzeige vom 10. April 2018 die gegenwärtige Verfahrens- und Terminierungslage mit.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_14">14</a>
</dt>
<dd>
<p>Durch Beschluss vom 17. April 2018 bildete das Präsidium eine Hilfsstrafkammer, in die alle Haftsachen, in denen die Hauptverhandlung noch nicht begonnen hatte, und alle neu eingehenden Haftsachen, die in die Zuständigkeit des Schwurgerichts fallen, abgeleitet wurden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_15">15</a>
</dt>
<dd>
<p>e) Am 19. Juni 2018 ergingen Überlastungsanzeigen sowohl der 1. Großen Strafkammer als auch der 3. Großen Strafkammer. Der Vorsitzende der 1. Großen Strafkammer teilte mit, dass die Situation unverändert sei. Das vorliegende Verfahren werde nicht vor September 2018 erstinstanzlich abgeschlossen werden können.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_16">16</a>
</dt>
<dd>
<p>Mit Beschluss vom 20. Juni 2018 nahm das Präsidium alle Jugendsachen, in denen eine Hauptverhandlung noch nicht begonnen hatte, aus dem Bestand der 1. Großen Strafkammer und wies sie der 7. Großen Strafkammer - nunmehr Jugendkammer I - zu.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_17">17</a>
</dt>
<dd>
<p>3. Am 26. August 2018 legte der Pflichtverteidiger des Beschwerdeführers, sein hiesiger Verfahrensbevollmächtigter, Beschwerde gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Frankenthal (Pfalz) in Gestalt des Haftfortdauerbeschlusses der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 4. Oktober 2018 ein, mit der er einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot rügte. Das Landgericht half der Beschwerde durch Beschluss vom 29. August 2018 nicht ab. Das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken verwarf die Beschwerde durch den vorliegend angegriffenen Beschluss vom 16. Oktober 2018 als unbegründet.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_18">18</a>
</dt>
<dd>
<p>Das Oberlandesgericht hat - soweit vorliegend erheblich - ausgeführt:</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_19">19</a>
</dt>
<dd>
<p>Ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verankerten Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen liege nicht vor. Der Senat verkenne dabei nicht, dass eine solch erhebliche Dauer der Untersuchungshaft von über zwei Jahren nur unter besonderen Umständen gerechtfertigt sein könne. Im Rahmen der Abwägung zwischen dem Freiheitsrecht des Einzelnen und dem Strafverfolgungsinteresse des Staates sei zunächst zu berücksichtigen, dass die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Tatvorwürfe außerordentlich schwerwiegend seien. Zudem handele es sich um ein komplexes Verfahren mit mehreren Verfahrensbeteiligten und der Notwendigkeit, eine Vielzahl von Zeugen zu vernehmen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_20">20</a>
</dt>
<dd>
<p>Bereits die erste Hauptverhandlung ab dem 10. November 2016 weise keine Verletzung des Beschleunigungsgebotes auf. Zwar sei die vom Bundesverfassungsgericht bei absehbar umfangreichen Verfahren grundsätzlich geforderte Termindichte von mehr als einem durchschnittlichen Hauptverhandlungstag pro Woche unterschritten. Dieser Verstoß führe jedoch nicht zu einer Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes, weil er nicht durch die Kammer verursacht worden sei. Denn die Hauptverhandlungstermine seien mit dem vom Beschwerdeführer ausgewählten Pflichtverteidiger unter Berücksichtigung dessen Urlaubs in der letzten Dezemberwoche 2016 und in den ersten beiden Januarwochen 2017 abgestimmt worden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_21">21</a>
</dt>
<dd>
<p>Eine Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes sei auch nicht bis zur Aussetzung der ersten Hauptverhandlung ersichtlich. Die Hauptverhandlung sei unter Berücksichtigung der weiteren vor der Kammer stattfindenden Verhandlungen, der Verhinderung kurzfristig geladener Zeugen und der Notwendigkeit, die Termine mit dem Verteidiger abzustimmen, hinreichend beschleunigt geführt worden. Das Verfahren habe sich - für die Kammer nicht vorhersehbar - wesentlich verlängert, da der Verteidiger ab dem 5. April 2017 zahlreiche Beweis- und Ablehnungsanträge gestellt habe. Die Kammer sei daher für etwaige Verfahrensverzögerungen nicht verantwortlich gewesen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_22">22</a>
</dt>
<dd>
<p>Der Beschleunigungsgrundsatz sei ferner nicht dadurch verletzt, dass die Strafkammer am 12. Dezember 2017 mit der Hauptverhandlung in der vorliegenden Haftsache begonnen habe, obwohl sie zu dieser Zeit bereits in zwei Haftsachen verhandelt habe. Vielmehr sei sie als nach dem Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) zuständiger Spruchkörper als gesetzlicher Richter (Art. 101 Abs. 1 GG) hierzu sogar verpflichtet gewesen, da für die Kammer zu diesem Zeitpunkt (12. Dezember 2017) zwar eine starke Auslastung, aber noch keine Überlastung mit Haftsachen feststellbar gewesen sei. Insoweit dürfe nicht verkannt werden, dass die vorschnelle Annahme einer Überlastung ebenfalls verfassungsrechtlich problematisch sei, denn das Gebot zügiger Verfahrensgestaltung lasse das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 GG) nicht vollständig zurücktreten. Daher müsse das Recht des Angeklagten auf den gesetzlichen Richter mit dem rechtsstaatlichen Gebot einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege und dem verfassungsrechtlichen Grundsatz zügiger Verfahrensgestaltung zu einem angemessenen Ausgleich gebracht werden. Es sei insoweit nicht zu beanstanden, dass das Präsidium des Landgerichts die Kammer zum Beginn der Hauptverhandlung nicht von der (nochmals) neu zu beginnenden Haftsache entlastet habe, da dem Anspruch auf den gesetzlichen Richter der Vorrang einzuräumen gewesen sei. Denn zum Zeitpunkt des Beginns der neuerlichen Hauptverhandlung wäre es durchaus möglich gewesen, im Durchschnitt einen Hauptverhandlungstag wöchentlich zu erreichen, zumal die Kammer nach ihrer Überlastungsanzeige vom 12. Dezember 2017 davon ausgegangen sei, entsprechende Hauptverhandlungstermine anbieten zu können. Die Kammer habe im vorliegenden Verfahren mit Verfügung vom 6. November 2017 insgesamt 12 Hauptverhandlungstermine bis einschließlich 28. März 2018 bestimmt. Durch diese Terminierung sei zwar die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts an die Durchführung der Hauptverhandlung in Haftsachen von durchschnittlich mindestens einem wöchentlichen Sitzungstag innerhalb dieses Zeitraumes nicht erfüllt worden. Dies sei jedoch angesichts des Umstandes, dass sich der Verteidiger während der - ursprünglich geplanten - Hauptverhandlung für mehr als fünf Wochen in Urlaub befunden habe, nicht zu beanstanden. Vielmehr habe die Kammer versucht, die durch den Verteidiger verursachten Terminausfälle durch eine höhere Terminsdichte im Januar sowie im März zu kompensieren.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_23">23</a>
</dt>
<dd>
<p>Auch bei der erneuten Terminierung des Verfahrens sei es zu keinen erheblichen Verzögerungen gekommen, sondern diese seien - entsprechend der zur Verfügung stehenden Verhandlungskapazitäten, unter Aufgreifen der bereits am 19. September 2017 vereinbarten Fortsetzungstermine für die erste Hauptverhandlung - zu jeder Zeit beschleunigt betrieben worden. Im Zeitpunkt der neuerlichen Terminierung der Hauptverhandlung sei für die Kammer nicht zu erwarten gewesen, dass diese über den 28. März 2018 hinaus andauern würde. Hierbei hätten die Erkenntnisse aus der ersten Verhandlung berücksichtigt werden können, sodass Zeugen direkt hätten geladen werden können, die im ersten Verfahren erst nachträglich benannt worden seien. Es sei deshalb aus Sicht der Kammer nicht zu erwarten gewesen, dass sich der Abschluss des Verfahrens aufgrund weiterer (notwendiger) Beweiserhebungen wesentlich verzögern könnte.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_24">24</a>
</dt>
<dd>
<p>Zum Zeitpunkt der Terminierung des Verfahrens sei es auch nicht geboten gewesen, dem Beschwerdeführer einen Sicherungsverteidiger beizuordnen. Insoweit sei es für die Kammer am 6. November 2017 noch nicht ersichtlich gewesen, dass das Verfahren innerhalb der festgelegten Termine - trotz des Urlaubs des Verteidigers - nicht abgeschlossen werden würde. Dabei sei auch zu berücksichtigen gewesen, dass dem Beschwerdeführer grundsätzlich das Recht zustehe, sich von dem Verteidiger seines Vertrauens vertreten zu lassen. Der Beschwerdeführer habe sich bewusst für seinen jetzigen Verteidiger entschieden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_25">25</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Verhinderung des Sachverständigen und die vorübergehende Vernehmungsunfähigkeit der Nebenklägerin hätten nicht zu verfahrensrelevanten Verzögerungen geführt, weil die Kammer hierauf jeweils unmittelbar reagiert und weitere Termine bestimmt sowie Zeugen umgeladen habe.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_26">26</a>
</dt>
<dd>
<p>Auch hinsichtlich des tatsächlichen Ablaufs der zweiten Hauptverhandlung ab dem 12. Dezember 2017 weise das Verfahren keine Verletzung des Beschleunigungsgebots auf, die dem weiteren Vollzug der Untersuchungshaft entgegenstünde. In den 40 Wochen vom 12. Dezember 2017 bis zum 14. September 2018 sei an 26 Tagen verhandelt worden, was einer durchschnittlichen wöchentlichen Sitzungsdichte von 0,65 entspreche. Bis zum 15. November 2018 seien noch sieben Sitzungstage dazugekommen, was bei 33 Sitzungstagen in 49 Wochen eine wöchentliche Termindichte von 0,67 ergebe. Damit werde zwar die vom Bundesverfassungsgericht bei absehbar umfangreichen Verfahren grundsätzlich geforderte Termindichte unterschritten. Dies führe allerdings noch nicht zu einem Verstoß gegen das Freiheitsrecht des Beschwerdeführers. So seien in die Gesamtabwägung die Komplexität des Verfahrens wie auch die äußerst schwerwiegenden Tatvorwürfe einzustellen. Im Übrigen habe die Kammer unter Berücksichtigung der eigenen Terminslage sowie der Verhinderungen der notwendigen Verfahrensbeteiligten nahezu sämtliche ihr zur Verfügung stehenden Verhandlungsmöglichkeiten genutzt. Insgesamt habe die Kammer von April bis November lediglich acht der ihr zur Verfügung stehenden Arbeitstage zur Fortsetzung der Haupthandlung nicht genutzt, und es sei nicht zu beanstanden, dass sie die noch verfügbaren Arbeitstage für Vor- und Nachbereitung der Verfahren und zur Bearbeitung ihrer sonstigen übertragenen Aufgaben nutze. Zudem seien weitere Umladungen von Zeugen während des laufenden Verfahrens erforderlich gewesen, woraus sich keine zu beanstandende Verfahrensverzögerung ergebe.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_27">27</a>
</dt>
<dd>
<p>Bei der Bestimmung der Fortsetzungstermine habe die Kammer die für einen Strafverteidiger ungewöhnlich weitreichenden Urlaubspläne des Verteidigers über 88 Arbeitstage im Zeitraum Dezember 2017 bis November 2018 berücksichtigen müssen. Darüber hinaus sei es zu weiteren Arbeitstagen gekommen, an denen die Hauptverhandlung wegen Verhinderung des Verteidigers durch kollidierende Verfahren nicht habe durchgeführt werden können. Daraus ergebe sich ebenfalls keine durch das Gericht zu vertretene Verfahrensverzögerung. Es habe sich insoweit für die Kammer auch zum Beginn der Hauptverhandlung nicht aufgedrängt, dem Beschwerdeführer einen Sicherungsverteidiger beizuordnen, da sich die in größerem Umfang bestehende Verhinderung des Verteidigers erst im Laufe des Verfahrens ergeben habe. Die Beiordnung eines Sicherungsverteidigers während des laufenden Verfahrens sei aufgrund der Komplexität des Verfahrens nicht geboten gewesen, da dadurch eine ordnungsgemäße Verteidigung des Beschwerdeführers nicht mehr gewährleistet gewesen wäre. Des Weiteren habe sich der Sachverständige zwischen dem 8. Mai und 31. August 2018 im Urlaub befunden und sei an weiteren zwölf Tagen aufgrund anderweitiger Verpflichtungen gehindert gewesen, an der Hauptverhandlung teilzunehmen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_28">28</a>
</dt>
<dd>
<p>Dass weitere Verhandlungstermine wegen Urlaubs der Kammermitglieder nicht hätten stattfinden können, sei nicht zu beanstanden, zumal in diesen Zeiträumen nach der ursprünglichen Planung entweder kein Sitzungstag eingeplant oder nicht ersichtlich gewesen sei, dass die Hauptverhandlung bis dorthin nicht abgeschlossen sein würde. Zudem seien auch die Termine in den weiteren beiden Umfangsverfahren der Kammer zu berücksichtigen, die ebenfalls mit der für Haftsachen geltenden entsprechenden Beschleunigung zu fördern gewesen seien. So sei in einem dieser Verfahren in der Zeit vom 18. September 2017 bis 26. Juni 2018 an 32 Tagen verhandelt worden. In dem weiteren Verfahren, welches am 16. Oktober 2017 begonnen habe, hätten 39 Sitzungstage stattgefunden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_29">29</a>
</dt>
<dd>
<p>Auch in den Kurzterminen, die lediglich wenige Minuten bis wenige Stunden gedauert hätten, sei das Verfahren soweit wie möglich und somit ausreichend gefördert worden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h2>II.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_30">30</a>
</dt>
<dd>
<p>Der Beschwerdeführer sieht sich in seinem Recht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) verletzt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_31">31</a>
</dt>
<dd>
<p>Die vorliegend festzustellende geringe Verhandlungsdichte in beiden durchgeführten Hauptverhandlungen entspreche bei weitem nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und stelle bereits isoliert, jedenfalls aber in ihrer Gesamtheit, einen gravierenden Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz dar. Das Oberlandesgericht unterscheide nicht zwischen ordentlichen Hauptverhandlungsterminen und Kurzterminen, die lediglich der Wahrung der Unterbrechungsfrist des § 229 StPO dienten, ohne das Verfahren in tatsächlicher Hinsicht zu fördern. Bereits für die erste Hauptverhandlung seien ohne Berücksichtigung von fünf Kurzterminen insgesamt 20 Verhandlungstage binnen 50 Wochen terminiert gewesen, was einer durchschnittlichen wöchentlichen Termindichte von 0,50 Verhandlungstagen entspreche. Dabei habe die durchschnittliche Verhandlungsdauer inklusive Pausen 3 Stunden 29 Minuten pro Verhandlungstag betragen. Bei der zweiten Hauptverhandlung ergebe sich bis zum 14. September 2018 unter Abzug von fünf Kurzterminen eine durchschnittliche wöchentliche Termindichte von lediglich 0,53 Verhandlungstagen mit einer durchschnittlichen Verhandlungsdauer inklusive Pausen von 4 Stunden 18 Minuten pro Verhandlungstag.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_32">32</a>
</dt>
<dd>
<p>Die jeweils geringe Verhandlungsdichte in beiden Hauptverhandlungen sei zum einen auf eine wenig vorausschauende Terminierung zurückzuführen. Obgleich die erste Hauptverhandlung letztlich auf 25 Tage terminiert gewesen sei und sich hierbei gezeigt habe, dass die ursprünglich vorgesehenen acht Hauptverhandlungstermine keineswegs ausgereicht hätten, seien bei der Terminierung der zweiten Hauptverhandlung ab dem 12. Dezember 2017 erneut lediglich zwölf Hauptverhandlungstermine, hiervon ein Kurztermin am 3. Januar 2018, festgesetzt worden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_33">33</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Urlaubsabwesenheit des Verteidigers entlaste die Kammer schon deshalb nicht, weil insoweit entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts mit Blick auf den bisherigen Verfahrensverlauf und die Dauer der zwischenzeitlichen Untersuchungshaft die Bestellung eines Sicherungsverteidigers in Betracht gekommen sei, zumal die Hauptverhandlung bereits ursprünglich länger als zehn Tage andauern sollte und die Kammer auch einen Ergänzungsrichter sowie einen Ergänzungsschöffen hinzugezogen habe. Der Hinweis des Oberlandesgerichts, die Kammer habe versucht, die lediglich durch den Verteidiger verursachten Terminausfälle im Dezember 2017 und Januar 2018 durch eine höhere Termindichte im Januar und März 2018 zu kompensieren, sei unzutreffend. Tatsächlich habe die Kammer im Januar lediglich vier Hauptverhandlungstage und im März ebenfalls vier [nach Aktenlage: zwei] Hauptverhandlungstage vorgesehen, im Februar 2018 im Übrigen lediglich zwei Hauptverhandlungstage trotz Anwesenheit des Verteidigers. Eine Kompensation könne jedoch nicht durch eine Terminierung stattfinden, die ihrerseits nicht den Mindestanforderungen an den Beschleunigungsgrundsatz mit mehr als einem Hauptverhandlungstag pro Woche entspreche.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_34">34</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Vielzahl der Überlastungsanzeigen bereits ab April 2017 und der Umstand, dass das Präsidium des Landgerichts hierauf erst im April 2018 nach der vierten Überlastungsanzeige des zur Durchführung der Hauptverhandlung zuständigen Schwurgerichts reagiert habe, zeige, dass die geringe Hauptverhandlungsdichte ihre Ursache in organisatorischen Mängeln und möglicherweise fehlenden Ressourcen der Justiz finde. Dies sei indes dem in Untersuchungshaft befindlichen Beschwerdeführer nicht zuzurechnen und müsse, unabhängig von der Erheblichkeit des Tatvorwurfs, zur Aufhebung des Haftbefehls und der Beendigung der fortdauernden Untersuchungshaft führen. Denn zwingende, nicht der Justiz anzulastende Gründe für den festzustellenden Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot in beiden stattgefundenen Hauptverhandlungen seien nicht erkennbar.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_35">35</a>
</dt>
<dd>
<p>Es sei vorliegend offensichtlich, dass die bereits im Spätjahr 2016 festzustellende und spätestens im April 2017 dauerhafte Überlastung der 1. Großen Strafkammer zu ganz erheblichen Verzögerungen bei der Durchführung der Hauptverhandlung gegen den Beschwerdeführer geführt hätten. Nachdem die Justiz erst im April 2018 und damit ein Jahr nach der ersten Überlastungsanzeige und zudem deutlich nach Beginn der zweiten Hauptverhandlung gegen den Beschwerdeführer intern reagiert habe, seien insoweit staatliche Versäumnisse zu erkennen, die nicht dazu führen dürften, dass der Beschwerdeführer sich länger, als es dem Verfahren angemessen wäre, in Untersuchungshaft befinde.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_36">36</a>
</dt>
<dd>
<p>Zudem verkenne das Oberlandesgericht die Tragweite des Freiheitsrechts des Beschwerdeführers, soweit er trotz des Umstandes, dass dieser bereits eine - nach 50 Wochen ausgesetzte - Hauptverhandlung mit zu geringer Verhandlungsdichte hinter sich gebracht habe, nunmehr dem Recht auf den gesetzlichen Richter Vorrang vor seinem Anspruch auf zügige Verfahrensgestaltung einräume und daher nicht beanstande, dass das Präsidium des Landgerichts die Kammer zu Beginn der Hauptverhandlung trotz zweier zurückliegender Überlastungsanzeigen nicht entlastet oder sich zumindest hierum bemüht habe.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h2>III.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_37">37</a>
</dt>
<dd>
<p>1. Das Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz hat sich am 5. Dezember 2018 zur Verfassungsbeschwerde geäußert. Es bezieht sich hierbei auf folgende Stellungnahme des Präsidenten des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 3. Dezember 2018:</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">"Die in der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Fragen hinsichtlich Auswahl und Dichte der Terminierung kommentiere ich nicht; diese betreffen den Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">Die 1. Große Strafkammer war in den Geschäftsjahren 2017 und 2018 insbesondere mit Haftsachen sehr stark belastet, was vor allem auf eine ungewöhnliche, so nicht vorhersehbare Häufung von Umfangsverfahren zu Beginn des Jahres 2017 zurückzuführen war. Dies kommt in mehreren Überlastungsanzeigen des bzw. der jeweiligen Kammervorsitzenden zum Ausdruck. Verschärft hat sich die Situation zudem ab Mitte August 2017, als die Vorsitzende der Kammer völlig überraschend dienstunfähig erkrankte und sich ab Mitte September 2017 abzeichnete, dass dies zu einer dauerhaften Verhinderung der Vorsitzenden führen wird. Infolgedessen musste das hier gegenständliche Verfahren kurz vor dessen Abschluss ausgesetzt und neu terminiert werden. Außerdem musste deshalb die Verhandlung in weiteren zwei weiteren Haftsachen ausgesetzt werden und neu beginnen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">Das Präsidium des Landgerichts hat sich jeweils umgehend mit den Überlastungsanzeigen befasst und die Optionen für eine im laufenden Geschäftsjahr mögliche Änderung der Geschäftsverteilung nach § 21e Abs. 3 GVG geprüft. Die danach unterjährig denkbar zulässigen Maßnahmen des Präsidiums haben einem Stufenverhältnis zu folgen, d.h. es sind zunächst diejenigen in Betracht zu ziehen, die allein die noch nicht anhängigen Verfahren betreffen. […]</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">Das Präsidium des Landgerichts hat in den Geschäftsjahren 2017 und 2018 auf die jeweils kurzfristig und neu entstandenen Belastungssituationen in der 1. Großen Strafkammer zeitnah und unter Berücksichtigung des Spielraums von § 21e Abs. 3 GVG reagiert.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">Die 1. Große Strafkammer war trotz der angespannten Situation, die durch eine ungewöhnliche Häufung von Großverfahren und der unvorhergesehenen plötzlichen Erkrankung ihrer Vorsitzenden entstanden war, jederzeit in der Lage, jedenfalls unter Zurückstellung der Nichthaftsachen die ihr zugewiesenen mit Untersuchungshaft einhergehenden Verfahren sachgerecht zu bearbeiten. Sobald dies konkret gefährdet war (Überlastungsanzeige vom 10. April 2018), hat das Präsidium eine Hilfsstrafkammer gebildet und auch Bestandsverfahren dorthin abgeleitet.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p style="margin-left:18pt">Die Strafabteilung des Landgerichts war in dem hier in Rede stehenden Zeitpunkt (Geschäftsjahr 2017 und 2018) mit richterlichen Personal angemessen ausgestattet. Die Besetzung wurde seitens des Präsidiums in 2017 durch Verschiebungen innerhalb des Hauses kontinuierlich hochgefahren, sie lag jeweils mindestens bei 110 % des aktuellen Deckungsgrades nach dem Personalbedarfsberechnungssystem 'PEBB§Y'. Zudem wurde der außergewöhnlichen Belastung in Strafsachen seitens des Ministeriums der Justiz dadurch Rechnung getragen, dass dem Landgericht Frankenthal im Januar 2018 eine volle Planstelle für eine Vorsitzende Richterin oder einen Vorsitzenden Richter sowie eine zusätzliche volle Richterstelle im Wege der sofortigen Neueinstellung zugewiesen wurde".</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_38">38</a>
</dt>
<dd>
<p>Ergänzend hierzu führte das Ministerium aus, es habe im September 2017 - als bekannt geworden sei, dass die Vorsitzende der 1. Große Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) aufgrund einer plötzlichen und unerwarteten Erkrankung einige Zeit ausfallen würde -, unverzüglich eine Neueinstellung vorgenommen, die bereits im Oktober 2017 ihren Dienst habe antreten können. Eine Anregung des Präsidenten des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 16. Januar 2018, trotz der angemessenen Personalausstattung über die Einrichtung einer zusätzlichen Jugendstrafkammer nachzudenken, um eine nachhaltigere Bearbeitung der Nichthaftsachen in den Strafkammern des Landgerichts erreichen zu können, habe das Ministerium der Justiz aufgegriffen und im nächsten Justizblatt vom 29. Januar 2018 eine weitere Vorsitzendenstelle bei dem Landgericht Frankenthal (Pfalz) ausgeschrieben. Diese Stelle habe bereits im Mai 2018 besetzt werden können.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_39">39</a>
</dt>
<dd>
<p>2. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat mit Schreiben vom 7. Dezember 2018 und vom 18. Januar 2019, beim Bundesverfassungsgericht eingegangen am 12. Dezember 2018 beziehungsweise 22. Januar 2019, Stellung genommen. Nach seiner Auffassung ist der Verfassungsbeschwerde der Erfolg nicht zu versagen. Die angefochtene Entscheidung des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken verletze den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Sie zeige keine besonderen Umstände auf, die die Fortdauer der zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits mehr als zwei Jahre und fünf Monate andauernden Untersuchungshaft verfassungsrechtlich rechtfertigen könnten.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_40">40</a>
</dt>
<dd>
<p>a) Soweit das Oberlandesgericht ausführe, die Kammer habe "unter Berücksichtigung der eigenen Terminslage sowie der Verhinderungen der notwendigen Verfahrensbeteiligten nahezu sämtliche ihr zur Verfügung stehenden Verhandlungsmöglichkeiten genutzt", vermöge dies zwar die Ursache für die geringe durchschnittliche Verhandlungsdichte, die das Oberlandesgericht auf 0,65 Verhandlungstage pro Woche für die zweite Hauptverhandlung beziffere, zu beschreiben. Das Oberlandesgericht übersehe jedoch, dass die darin zum Ausdruck kommende, nicht nur kurzfristige Überlastung des Gerichts niemals Grund für die Anordnung der Haftfortdauer sein könne. Dies gelte umso mehr, als die Untersuchungshaft zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als zwei Jahre und fünf Monate angedauert habe. Die Strafkammer habe mehrfach, erstmals im April 2017 und erneut im Dezember 2017 mit Beginn der zweiten Hauptverhandlung in der hier gegenständlichen Sache, ihre Überlastung angezeigt. Soweit das Oberlandesgericht ausführe, zu Beginn der zweiten Hauptverhandlung sei die Strafkammer zwar stark ausgelastet, eine Überlastung mit Haftsachen sei aber noch nicht feststellbar gewesen, stehe dies im Widerspruch zur Einschätzung der mit der Sache befassten Strafkammer. Die angefochtene Entscheidung lasse eine hinreichende Auseinandersetzung mit diesem Gesichtspunkt vermissen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_41">41</a>
</dt>
<dd>
<p>Soweit das Oberlandesgericht die geringe Verhandlungsdichte im Wesentlichen mit der Verhinderung von Verfahrensbeteiligten zu begründen versucht habe, hätte es unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jeweils darlegen müssen, ob die damit verbundene erschwerte gemeinsame Terminfindung ihre Ursache allein in dem konkreten Strafverfahren gehabt habe oder auch darauf zurückzuführen sei, dass die Strafkammer neben dem gegenständlichen Verfahren weitere Umfangsverfahren zu bewältigen gehabt habe. In diesem Zusammenhang hätte sich das Oberlandesgericht insbesondere mit der Überlastungsanzeige der Strafkammer vom 12. Dezember 2017 auseinandersetzen müssen. Darin habe der Vorsitzende dargelegt, dass die Strafkammer bereits an drei Sitzungstagen pro Woche verhandle und dies die maximale Belastung der Strafkammer bei bereits überobligatorischem Arbeitseinsatz darstelle. Vor diesem Hintergrund liege es nahe, dass die geringe Verhandlungsdichte jedenfalls auch darauf zurückzuführen sei, dass die Strafkammer aufgrund ihrer Belastung mit weiteren Verfahren auf keine freien Kapazitäten mehr habe zurückgreifen können, um auf die Verhinderung von Verfahrensbeteiligten in einer Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG genügenden Weise reagieren zu können. In diesem Zusammenhang könne der Strafkammer zwar nicht der Vorwurf gemacht werden, freie Terminkapazitäten nicht ausgeschöpft zu haben. Dieser Umstand vermöge - entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts - auf der anderen Seite die Fortdauer der Untersuchungshaft aber nicht zu rechtfertigen. Denn dem Beschwerdeführer dürfe nicht zugemutet werden, eine längere als die verfahrensangemessene Aufrechterhaltung des Haftbefehls nur deshalb in Kauf zu nehmen, weil der Staat es versäume, seiner Pflicht zur verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte zu genügen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_42">42</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Ausführungen zur Urlaubsabwesenheit des Verteidigers des Beschwerdeführers vermöchten die Fortdauer der Untersuchungshaft ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Soweit das Oberlandesgericht darlege, der Verteidiger habe sich an 73 von 193 Arbeitstagen im Zeitraum vom 12. Dezember 2017 bis 14. September 2018 im Urlaub befunden, hätte es berücksichtigen müssen, dass der Verteidiger bereits vor dem Beginn der zweiten Hauptverhandlung den überwiegenden Teil seiner Urlaubsabwesenheiten im Umfang von 45 Tagen angezeigt gehabt habe. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung, dass die Strafkammer bereits zu Beginn der zweiten Hauptverhandlung ihre maximale Belastungsgrenze erreicht gehabt habe und die Untersuchungshaft zu diesem Zeitpunkt bereits etwa ein Jahr und sieben Monate angedauert habe, hätte die Strafkammer die Bestellung eines Sicherungsverteidigers in Betracht ziehen müssen. Soweit das Oberlandesgericht in diesem Zusammenhang ausführe, dem Beschwerdeführer stehe grundsätzlich das Recht zu, sich von einem Verteidiger seines Vertrauens verteidigen zu lassen, hätte es einer Abwägung mit dem hiermit konkurrierenden Recht des Beschwerdeführers auf persönliche Freiheit bedurft. Zudem hätte das Oberlandesgericht berücksichtigen müssen, dass die Bestellung eines Sicherungsverteidigers nicht zum Verlust des bereits bestellten Verteidigers führe. Die Bestellung eines Sicherungsverteidigers hätte - entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts - zudem nicht zwingend zu einer Verzögerung des Verfahrens führen müssen. Nachdem der Strafkammer der überwiegende Teil der Urlaubsabwesenheiten des Verteidigers bereits am 17. November 2017 bekannt gewesen sei, hätte der Sicherungsverteidiger noch vor Beginn der zweiten Hauptverhandlung bestellt werden können, so dass ausreichend Zeit für die Einarbeitung in das Verfahren zur Verfügung gestanden hätte. Die Auffassung, die Strafkammer habe versucht, die durch den Verteidiger verursachten Terminausfälle durch eine höhere Termindichte im Januar sowie im März zu kompensieren, vermöge ebenfalls nicht zu überzeugen. Denn ausweislich der vom Oberlandesgericht mitgeteilten Hauptverhandlungstermine hätten im Januar 2018 tatsächlich vier Termine stattgefunden, was einer Verhandlungsdichte von etwa 0,9 entspreche, und im März 2018 lediglich zwei Termine, was einer Verhandlungsdichte von etwa 0,45 entspreche. Eine Verhandlungsdichte, die ihrerseits bereits den aus dem Beschleunigungsgrundsatz folgenden Mindestanforderungen nicht entspreche, könne nicht zur Kompensation bereits eingetretener Verfahrensverzögerungen herangezogen werden.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_43">43</a>
</dt>
<dd>
<p>Die vom Oberlandesgericht erörterten Gesichtspunkte könnten auch in der Gesamtschau die Fortdauer der Untersuchungshaft verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen. So fielen die unvorhersehbare Erkrankung und Vernehmungsunfähigkeit von Verfahrensbeteiligten zwar nicht in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft. Demgegenüber sei aber zu berücksichtigen, dass bereits die Verhandlungsdichte der ersten Hauptverhandlung deutlich unter einem Sitzungstag pro Woche gelegen habe und die damit einhergehende Verzögerung des Verfahrens in der zweiten Hauptverhandlung nicht habe kompensiert werden können, sondern noch weiter angestiegen sei. Es sei auch nicht zu erkennen, dass diese im weiteren Fortgang des Verfahrens habe kompensiert werden können. Die Komplexität des Verfahrens und die hohe Straferwartung könnten unter Berücksichtigung der zuvor erörterten Gesichtspunkte die Fortdauer der Untersuchungshaft ebenfalls nicht mehr rechtfertigen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_44">44</a>
</dt>
<dd>
<p>b) Auch die Äußerung des Ministeriums der Justiz Rheinland-Pfalz vom 5. Dezember 2018 vermöge eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Das Ministerium lege zwar unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des Präsidenten des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 3. Dezember 2018 im Einzelnen dar, welche Maßnahmen ergriffen worden seien, um die Belastungssituation der für das fachgerichtliche Ausgangsverfahren zuständigen Strafkammer zu mildern. Die aufgezeigten Maßnahmen ließen jedoch befürchten, dass diese "lediglich" dazu geführt hätten, eine bereits überlastete Strafkammer vor zusätzlicher Belastung zu bewahren. Sie hätten indes die Belastungssituation der Strafkammer im gegenständlichen Ausgangsverfahren nicht in ausreichender Weise entschärfen können, was insbesondere anhand der fortlaufenden Überlastungsanzeigen des Vorsitzenden der Strafkammer nachvollzogen werden könne. Die Überlastungsanzeigen ließen in der Gesamtschau erkennen, dass die Belastung der Strafkammer insbesondere im Verlauf der zweiten Hauptverhandlung im gegenständlichen Verfahren im Wesentlichen darauf zurückzuführen sei, dass die Strafkammer drei Umfangsverfahren parallel zu bewältigen habe. Die vom Präsidium beschlossenen Maßnahmen hätten an dieser Situation keine Veränderung zu bewirken vermocht, sondern im Wesentlichen darauf abgezielt, die Strafkammer - ausgehend von der bereits bestehenden Belastungssituation - vor zusätzlicher Belastung zu bewahren. Dies dürfte den Schluss zulassen - womit sich das Oberlandesgericht hätte auseinandersetzen müssen -, dass die bereits mit Stellungnahme vom 7. Dezember 2018 erörterte unzureichende Verhandlungsdichte im gegenständlichen Ausgangsverfahren jedenfalls auch auf eine nicht nur kurzfristige Überlastung der Strafkammer zurückzuführen sei, die nicht durch gerichtsorganisatorische Mittel habe kompensiert werden können. Ungeachtet der von der Strafkammer grundsätzlich nicht zu vertretenden Verhinderung von Verfahrensbeteiligten könne die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts niemals Grund für die Anordnung der Haftfortdauer sein.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_45">45</a>
</dt>
<dd>
<p>Das Oberlandesgericht habe zur Belastung der Strafkammer im angefochtenen Beschluss lediglich mitgeteilt, dass die Strafkammer bis zum 12. Dezember 2017 zwar stark ausgelastet, aber noch nicht überlastet gewesen sei. Des Weiteren habe es sich damit auseinandergesetzt, ob der Neubeginn der Hauptverhandlung im gegenständlichen Verfahren vor einer anderen Strafkammer möglich gewesen wäre. Zum einen lasse sich die Einschätzung, die Strafkammer sei nicht überlastet gewesen, mit den Überlastungsanzeigen des Vorsitzenden der Strafkammer nicht vereinbaren. Zum anderen hätte sich das Oberlandesgericht im Zusammenhang mit der sich aufdrängenden Frage, ob der Staat seiner Pflicht zur verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte gerecht geworden sei, auch damit auseinandersetzen müssen, ob nach der ersten Überlastungsanzeige alle gerichtsorganisatorischen Mittel und Möglichkeiten ausgeschöpft worden seien.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_46">46</a>
</dt>
<dd>
<p>Das Präsidium des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) habe zwar kontinuierlich auf die Überlastungsanzeigen reagiert, was im Rahmen der zuvor aufgeworfenen Fragestellung positiv zu berücksichtigen sei. Dennoch hätten die beschlossenen Entlastungen eine Erhöhung der Verhandlungsdichte im gegenständlichen Verfahren nicht zu bewirken vermocht. Nachdem die damalige Vorsitzende der Strafkammer bereits in der ersten Überlastungsanzeige auf den Eintritt der Belastungssituation - parallele Bewältigung von drei Umfangsverfahren - hingewiesen habe, hätte diese möglicherweise bereits zu diesem Zeitpunkt durch zeitnahe gerichtsorganisatorische Maßnahmen - über die Zuweisung einer dritten Beisitzerin hinaus - verhindert werden können. Mit diesem Gesichtspunkt und den zur Verfügung stehenden unterjährigen gerichtsorganisatorischen Möglichkeiten hätte sich das Oberlandesgericht auseinandersetzen müssen. Die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts vermöge nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Fortdauer der Untersuchungshaft zwar auch dann nicht zu rechtfertigen, wenn sie auf einem Geschäftsanfall beruhe, der sich trotz Ausschöpfung aller gerichtsorganisatorischen Mittel und Möglichkeiten nicht mehr innerhalb angemessener Fristen bewältigen lasse. Beruhe in einer Haftsache eine erhebliche Verfahrensverzögerung darauf, dass nicht alle gerichtsorganisatorischen Mittel und Möglichkeiten ausgeschöpft worden seien, dürfte der weitere Haftvollzug indes schon aus diesem Grunde verfassungswidrig sein.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_47">47</a>
</dt>
<dd>
<p>Soweit das Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz überdies darauf abstelle, die Strafabteilung des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) sei angemessen mit richterlichem Personal ausgestattet gewesen, "mindestens 110% des aktuellen Deckungsgrades nach dem Personalbedarfsberechnungssystem 'PEBB§Y'", könne dies eine andere Beurteilung der Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde ebenfalls nicht rechtfertigen. Denn die Personalausstattung der Strafabteilung des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) beinhalte keine Aussage zur Belastungssituation des einzelnen Spruchkörpers.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_48">48</a>
</dt>
<dd>
<p>3. Der Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers hat von der auch ihm gewährten Gelegenheit zur Stellungnahme zur Äußerung des Ministeriums der Justiz Rheinland-Pfalz bis zum 18. Januar 2019 keinen Gebrauch gemacht.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_49">49</a>
</dt>
<dd>
<p>4. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) 1 Ks 5220 Js 16663/16 (Stand: 15. Januar 2019) in Abschrift vorgelegen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h1>B.</h1>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_50">50</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG statt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h2>I.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_51">51</a>
</dt>
<dd>
<p>Der Beschluss des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 16. Oktober 2018 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 GG.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_52">52</a>
</dt>
<dd>
<p>1. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistet jedermann die Freiheit der Person und nimmt einen hohen Rang unter den Grundrechten ein. Das kommt darin zum Ausdruck, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG die Freiheit der Person als "unverletzlich" bezeichnet, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ihre Beschränkung nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes zulässt und Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG besondere Verfahrensgarantien für ihre Beschränkung statuiert (vgl. BVerfGE 35, 185 <190>; 109, 133 <157>; 128, 326 <372>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Oktober 2016 - 2 BvR 1275/16 -, juris, Rn. 39; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 22. August 2017 - 2 BvR 2039/16 -, juris, Rn. 39; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Juni 2018 - 2 BvR 631/18 -, juris, Rn. 30).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_53">53</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden. Zu diesen Gründen gehören in erster Linie solche des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts. Eingriffe in die persönliche Freiheit auf diesem Gebiet dienen vor allem dem Schutz der Allgemeinheit (vgl. BVerfGE 22, 180 <219>; 45, 187 <223>; 58, 208 <224 f.>); zugleich haben die gesetzlichen Eingriffstatbestände freiheitsgewährleistende Funktion, da sie die Grenzen zulässiger Einschränkung der Freiheit der Person bestimmen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Oktober 2016 - 2 BvR 1275/16 -, juris, Rn. 40; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 22. August 2017 - 2 BvR 2039/16 -, juris, Rn. 40; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Juni 2018 - 2 BvR 631/18 -, juris, Rn. 31).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_54">54</a>
</dt>
<dd>
<p>a) Bei der Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist daher stets das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zu beachten. Grundsätzlich darf nur einem rechtskräftig Verurteilten die Freiheit entzogen werden. Der Entzug der Freiheit eines der Straftat lediglich Verdächtigen ist wegen der Unschuldsvermutung, die ihre Wurzel im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG hat und auch in Art. 6 Abs. 2 EMRK ausdrücklich hervorgehoben ist (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 74, 358 <370 f.>), nur ausnahmsweise zulässig. Dabei muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten als Korrektiv gegenübergestellt werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zukommt (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 20, 45 <49 f.>; 36, 264 <270>; 53, 152 <158 f.>; BVerfGK 15, 474 <479>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2014 - 2 BvR 2248/13 u.a. -, juris, Rn. 32; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juli 2014 - 2 BvR 1457/14 -, juris, Rn. 19; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2017 - 2 BvR 2552/17 -, juris, Rn. 15; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2018 - 2 BvR 819/18 -, juris, Rn. 27).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_55">55</a>
</dt>
<dd>
<p>b) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nicht nur für die Anordnung, sondern auch für die Dauer der Untersuchungshaft von Bedeutung. Er verlangt, dass die Dauer der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zur erwarteten Strafe steht, und setzt ihr auch unabhängig von der Straferwartung Grenzen (BVerfGE 20, 45 <49 f.>). Das Gewicht des Freiheitsanspruchs vergrößert sich gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung regelmäßig mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft (vgl. BVerfGE 36, 264 <270>; 53, 152 <158 f.>). Daraus folgt zum einen, dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache mit der Dauer der Untersuchungshaft steigen. Zum anderen nehmen auch die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund zu (vgl. BVerfGK 7, 140 <161>; 15, 474 <480>; 17, 517 <522>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12 -, juris, Rn. 40).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_56">56</a>
</dt>
<dd>
<p>Im Rahmen der von den Fachgerichten vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Betroffenen und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit ist die Angemessenheit der Haftfortdauer anhand objektiver Kriterien des jeweiligen Einzelfalles zu prüfen; insofern sind in erster Linie die Komplexität der einzelnen Rechtssache, die Vielzahl der beteiligten Personen und das Verhalten der Verteidigung von Bedeutung (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2014 - 2 BvR 2248/13 u.a. -, juris, Rn. 37). Der Vollzug der Untersuchungshaft von mehr als einem Jahr bis zum Beginn der Hauptverhandlung oder dem Erlass des Urteils wird dabei auch unter Berücksichtigung der genannten Aspekte nur in ganz besonderen Ausnahmefällen zu rechtfertigen sein (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 30. September 1999 - 2 BvR 1775/99 -, juris, Rn. 16; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2008 - 2 BvR 806/08 -, juris, Rn. 36; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juli 2014 - 2 BvR 1457/14 -, juris, Rn. 24).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_57">57</a>
</dt>
<dd>
<p>c) Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen (vgl. BVerfGE 20, 45 <50>; 36, 264 <273>). An den zügigen Fortgang des Verfahrens sind dabei umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft schon andauert. So ist nach Anklageerhebung bei Entscheidungsreife über die Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung zu beschließen und im Regelfall innerhalb von weiteren drei Monaten mit der Hauptverhandlung zu beginnen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2781/10 -, juris, Rn. 15; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. November 2012 - 2 BvR 1164/12 -, juris, Rn. 43; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juli 2014 - 2 BvR 1457/14 -, juris, Rn. 21; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2017 - 2 BvR 2552/17 -, juris, Rn. 16; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2018 - 2 BvR 819/18 -, juris, Rn. 28, 37; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 1. August 2018 - 2 BvR 1258/18 -, juris, Rn. 25). Bei absehbar umfangreicheren Verfahren ist stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlung mit mehr als einem durchschnittlichen Hauptverhandlungstag pro Woche notwendig (vgl. BVerfGK 7, 21 <46 f.>; 7, 140 <157>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07 -, juris, Rn. 49 ff.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_58">58</a>
</dt>
<dd>
<p>d) Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und zur Sicherstellung der Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft dann nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch Verfahrensverzögerungen verursacht ist, die ihre Ursache nicht in dem konkreten Strafverfahren haben. Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare erhebliche Verfahrensverzögerungen stehen regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen (vgl. BVerfGK 15, 474 <480>; 17, 517 <523>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12 -, juris, Rn. 41). Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung vermögen bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft zu dienen (vgl. BVerfGK 7, 140 <156>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juli 2014 - 2 BvR 1457/14 -, juris, Rn. 22; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2017 - 2 BvR 2552/17 -, juris, Rn. 17; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2018 - 2 BvR 819/18 -, juris, Rn. 29).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_59">59</a>
</dt>
<dd>
<p>Die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts kann insofern niemals Grund für die Anordnung der Haftfortdauer sein. Vielmehr kann die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts selbst dann die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht rechtfertigen, wenn sie auf einem Geschäftsanfall beruht, der sich trotz Ausschöpfung aller gerichtsorganisatorischen Mittel und Möglichkeiten nicht mehr innerhalb angemessener Fristen bewältigen lässt (BVerfGE 36, 264 <273 ff.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juli 2014 - 2 BvR 1457/14 -, juris, Rn. 23). Die Überlastung eines Gerichts fällt - anders als unvorhersehbare Zufälle und schicksalhafte Ereignisse - in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft. Dem Beschuldigten darf nicht zugemutet werden, eine längere als die verfahrensangemessene Aufrechterhaltung des Haftbefehls nur deshalb in Kauf zu nehmen, weil der Staat es versäumt, seiner Pflicht zur rechtzeitigen verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte zu genügen (BVerfGE 36, 264 <275>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juli 2014 - 2 BvR 1457/14 -, juris, Rn. 23; Beschluss des 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2017 - 2 BvR 2552/17 -, juris, Rn. 18; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2018 - 2 BvR 819/18 -, juris, Rn. 30).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_60">60</a>
</dt>
<dd>
<p>e) Da der Grundrechtsschutz auch durch die Verfahrensgestaltung zu bewirken ist (vgl. hierzu BVerfGE 53, 30 <65>; 63, 131 <143>), unterliegen Haftfortdauerentscheidungen einer erhöhten Begründungstiefe (vgl. BVerfGE 103, 21 <35 f.>; BVerfGK 7, 140 <161>; 10, 294 <301>; 15, 474 <481>; 19, 428 <433>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2014 - 2 BvR 2248/13 u.a. -, juris, Rn. 38). In der Regel sind in jedem Beschluss über die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft aktuelle Ausführungen zu dem weiteren Vorliegen ihrer Voraussetzungen, zur Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit sowie zur Frage der Verhältnismäßigkeit geboten, weil sich die dafür maßgeblichen Umstände angesichts des Zeitablaufs in ihrem Gewicht verschieben können (vgl. BVerfGK 7, 140 <161>; 10, 294 <301>; 15, 474 <481>; 19, 428 <433>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2014 - 2 BvR 2248/13 u.a. -, juris, Rn. 38). Die zugehörigen Ausführungen müssen in Inhalt und Umfang eine Überprüfung des Abwägungsergebnisses am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur für den Betroffenen selbst, sondern auch für das die Anordnung treffende Fachgericht im Rahmen einer Eigenkontrolle gewährleisten und in sich schlüssig und nachvollziehbar sein (vgl. BVerfGK 7, 421 <429 f.>; 8, 1 <5>; 15, 474 <481 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2014 - 2 BvR 2248/13 u.a. -, juris, Rn. 39; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juli 2014 - 2 BvR 1457/14 -, juris, Rn. 25; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2017 - 2 BvR 2552/17 -, juris, Rn. 19; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2018 - 2 BvR 819/18 -, juris, Rn. 31). Eine Überprüfung der fachgerichtlichen Entscheidung auf die zutreffende Anwendung einfachen Rechts nimmt das Bundesverfassungsgericht hingegen ausschließlich im Rahmen des Willkürverbots vor (stRspr; vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>; 65, 317 <322>).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_61">61</a>
</dt>
<dd>
<p>2. Diesen Vorgaben genügt der angegriffene Beschluss des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken nicht. Er zeigt keine besonderen Umstände auf, die die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft verfassungsrechtlich hinnehmbar erscheinen lassen könnten, und wird damit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Begründung von Haftfortdauerentscheidungen nicht gerecht.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_62">62</a>
</dt>
<dd>
<p>a) Das Oberlandesgericht selbst weist zunächst zutreffend darauf hin, dass die Terminierung der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Verhandlungsdichte nicht genügt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_63">63</a>
</dt>
<dd>
<p>aa) Die Strafkammer hat in jedem Betrachtungszeitraum - sowohl in der ersten als auch in der nach der Erkrankung der bisherigen Vorsitzenden erforderlich gewordenen zweiten Hauptverhandlung - weit seltener als an durchschnittlich einem Hauptverhandlungstag pro Woche verhandelt, zuletzt an nur 0,65 Tagen pro Woche. Die Verhandlungsdichte sinkt noch weiter unter diesen Wert, wenn man die Sitzungstage nicht einbezieht, an denen nur kurze Zeit verhandelt und das Verfahren dadurch nicht entscheidend gefördert wurde (vgl. BVerfGK 7, 21 <46 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12 -, juris, Rn. 52).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_64">64</a>
</dt>
<dd>
<p>Selbst wenn bei der Berechnung der Verhandlungsfrequenz die Urlaubszeiträume des Verteidigers und der Kammermitglieder vollständig unberücksichtigt blieben (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07 -, juris, Rn. 53; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12 -, juris, Rn. 51), würde die von Verfassungs wegen gebotene Verhandlungsdichte nicht eingehalten. Auf die Frage, ob die Kammer nicht nur einen Ergänzungsrichter und einen Ergänzungsschöffen, sondern auch einen anderen oder einen weiteren Pflichtverteidiger hätte bestellen müssen, um die Unterbrechungszeiträume zu verkürzen und so eine Beschleunigung des Verfahrens zu erreichen (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Juli 2006 - 2 BvR 1190/06 -, juris, Rn. 9; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07 -, juris, Rn. 49 ff.), kommt es daher nicht an.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_65">65</a>
</dt>
<dd>
<p>bb) Die vom Präsidium des Landgerichts als Reaktion auf die Überlastungsanzeigen getroffenen Maßnahmen haben nicht dazu geführt, dass die vorliegende Haftsache nunmehr innerhalb des durch das Beschleunigungsgebot gezogenen Rahmens bearbeitet und die bereits eingetretene Verfahrensverzögerung wirksam kompensiert worden wäre (vgl. hierzu BVerfGK 12, 166 <168>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Oktober 2016 - 2 BvR 1275/16 -, juris, Rn. 57; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2017 - 2 BvR 2552/17 -, juris, Rn. 21; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2018 - 2 BvR 819/18 -, juris, Rn. 36). Die verfassungsrechtlich gebotene Hauptverhandlungsdichte wurde weiterhin nicht erreicht. Selbst in den Monaten Januar und März 2018, für die das Oberlandesgericht eine "höhere Terminsdichte" annimmt, haben lediglich vier beziehungsweise zwei Termine stattgefunden. Eine Verhandlungsdichte, die ihrerseits den aus dem Beschleunigungsgrundsatz folgenden Mindestanforderungen nicht entspricht, ist erst recht nicht geeignet, eine bereits eingetretene Verfahrensverzögerung zu kompensieren.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_66">66</a>
</dt>
<dd>
<p>cc) Der Beschwerdeführer kann auch nicht darauf verwiesen und die Verzögerung seines Verfahrens kann nicht dadurch kompensiert werden, dass nunmehr die Voraussetzungen dafür geschaffen wurden, dass andere, zukünftige Verfahren hinreichend beschleunigt verhandelt werden können. Erst recht nach der Erkrankung der bisherigen Vorsitzenden und dem hierdurch bedingten Neubeginn der Hauptverhandlung zu einem Zeitpunkt, als die Untersuchungshaft bereits über eineinhalb Jahre andauerte, hätte es einer Verhandlungsdichte bedurft, die - mindestens - einen Verhandlungstag pro Woche erreicht.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_67">67</a>
</dt>
<dd>
<p>b) Der Beschluss des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken enthält keine tragfähige Begründung, die ausnahmsweise - trotz der ungenügenden Verhandlungsdichte - die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen könnte.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_68">68</a>
</dt>
<dd>
<p>aa) Das Oberlandesgericht hat nicht nachvollziehbar dargelegt, dass die erschwerte Terminfindung ihre Ursache allein in dem konkreten Strafverfahren hatte und nicht vielmehr darauf zurückzuführen ist, dass die Strafkammer neben dem gegenständlichen Verfahren mehrere weitere, teilweise umfangreiche Haftsachen zu bewältigen hatte. In diesem Zusammenhang hätte sich das Oberlandesgericht insbesondere damit auseinandersetzen müssen, dass bereits die damalige Vorsitzende in ihrer Überlastungsanzeige vom 10. April 2017 mitgeteilt hatte, dass die Strafkammer "in den nächsten Monaten über keinerlei Terminkapazitäten mehr verfügt", und dass auch nach den Überlastungsanzeigen vom 12. September 2017 und vom 12. Dezember 2017 keine Terminskapazitäten mehr bestanden beziehungsweise die Kammer mit Sitzungstagen maximal belastet war. Vor diesem Hintergrund drängt sich auf, dass die geringe Verhandlungsdichte nicht etwa auf die - vom Oberlandesgericht jeweils ausführlich dargelegte - Verhinderung einzelner Verfahrensbeteiligter, insbesondere des Pflichtverteidigers wegen seiner häufigen, teils mehrwöchigen Urlaubsabwesenheit, sondern vor allem darauf zurückzuführen ist, dass die Strafkammer aufgrund ihrer Belastung mit weiteren Verfahren ohnehin keine freien Verhandlungskapazitäten mehr zur Verfügung hatte.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_69">69</a>
</dt>
<dd>
<p>Soweit das Oberlandesgericht ausführt, zu Beginn der zweiten Hauptverhandlung sei die Strafkammer zwar stark ausgelastet gewesen, eine Überlastung mit Haftsachen sei aber noch nicht feststellbar, steht dies nicht nur im Widerspruch zur Einschätzung der mit der Sache befassten Strafkammer in ihren wiederholten Überlastungsanzeigen, sondern auch mit dem vom Oberlandesgericht zugleich angeführten Umstand, dass die Kammer auch in zwei weiteren, zeitgleich anhängigen Haftsachen an 32 beziehungsweise 39 Sitzungstagen verhandelt hat.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_70">70</a>
</dt>
<dd>
<p>bb) Die vom Oberlandesgericht im Übrigen angeführten Gesichtspunkte - namentlich die Komplexität des Verfahrens, die äußerst schwerwiegenden Tatvorwürfe und die Verfahrensverzögerungen wegen des Verhaltens des Verteidigers - mögen zwar die Untersuchungshaft als solche und die Anzahl der benötigten Hauptverhandlungstage und deren Dauer rechtfertigen, nicht jedoch das Unterlassen einer dichteren Terminierung (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07 -, juris, Rn. 56). Auch die Erkrankung der bisherigen Vorsitzenden kann als unvorhersehbares, schicksalhaftes Ereignis zwar ausnahmsweise die Fortdauer der Untersuchungshaft auch während der erforderlich werdenden neuen Hauptverhandlung rechtfertigen, nicht aber eine durchgehend zu geringe Termindichte.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_71">71</a>
</dt>
<dd>
<p>c) Demgegenüber hat sich das Oberlandesgericht nicht hinreichend mit den Gesichtspunkten auseinandergesetzt, die grundsätzlich geeignet sein können, die Fortdauer der Untersuchungshaft trotz ungenügender Verhandlungsdichte verfassungsrechtlich zu rechtfertigen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_72">72</a>
</dt>
<dd>
<p>aa) So verhält sich der Beschluss nicht dazu, ob die Belastungssituation der Strafkammer - wie der Präsident des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) in seiner Stellungnahme vom 3. Dezember 2018 schreibt - erst zu Beginn des Jahres 2017 eingetreten ist und nachweislich - etwa durch eine im Vergleich außergewöhnlich hohe Zahl von Verfahrenseingängen, insbesondere besonders umfangreicher Haftsachen - unvorhersehbar und somit unvermeidbar war, oder ob die Strafkammer bereits vorher dauerhaft, nicht nur vorübergehend überlastet war und damit letztlich eine unzureichende Personalausstattung oder -verwaltung die wesentliche Ursache für die lange Verfahrensdauer ist. Maßgeblich ist dabei nicht der theoretische Deckungsgrad der Strafabteilung des Landgerichts nach dem Personalbedarfsberechnungssystem ("PEBB§Y") der Justizverwaltung, sondern allein die tatsächliche Belastungssituation des zuständigen Spruchkörpers, wie sie sich hier insbesondere aus den zahlreichen Überlastungsanzeigen ergibt. Dabei ist zu beachten, dass es nicht Aufgabe eines Gerichts sein kann, eine strukturell zu geringe Personalausstattung oder eine dauerhafte Überlastung mit Haftsachen durch einen langfristig überobligatorischen Arbeitseinsatz oder eine langfristige Beschränkung ihrer Verhandlungskapazitäten ausschließlich auf Haftsachen zu kompensieren.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_73">73</a>
</dt>
<dd>
<p>bb) Auch setzt sich der angegriffene Beschluss nicht mit den von der Justizverwaltung aus Anlass der Überlastungsanzeigen jeweils getroffenen Abhilfemaßnahmen auseinander, die in der Stellungnahme des Ministeriums der Justiz Rheinland-Pfalz und der dort wiedergegebenen Stellungnahme des Präsidenten des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) dargestellt sind. Das Oberlandesgericht wäre insoweit gehalten gewesen, ausgehend von der tatsächlichen Belastungssituation der Strafkammer darzulegen, inwieweit die jeweils von der Justizverwaltung getroffenen Maßnahmen nach Art, Zielrichtung und Umfang rechtzeitig, geeignet und hinreichend wirksam waren, um die Voraussetzungen für eine dem Beschleunigungsgebot genügende Verfahrensgestaltung (wieder)herzustellen, oder ob die Justizverwaltung die gebotenen Maßnahmen erst zu einem Zeitpunkt getroffen hat, zu dem eine den rechtsstaatlichen Anforderungen genügende Verfahrensführung nicht mehr zu gewährleisten war (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2017 - 2 BvR 2552/17 -, juris, Rn. 21; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2018 - 2 BvR 819/18 -, juris, Rn. 35).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_74">74</a>
</dt>
<dd>
<p>cc) Für den Fall, dass sowohl eine außergewöhnliche, unvorhersehbare Belastungssituation der Strafkammer anzunehmen ist als auch die Reaktionen der Justizverwaltung hierauf jeweils als ausreichend zu erachten sind, wäre schließlich darzulegen gewesen, ob die - nach Erkrankung der bisherigen Vorsitzenden neu besetzte - Strafkammer im Rahmen der neu begonnenen Hauptverhandlung das vorliegende Verfahren unter den gegebenen Voraussetzungen tatsächlich hinreichend beschleunigt betrieben hat und etwaige Verfahrensverzögerungen ihre Ursache ausschließlich in dem konkreten Strafverfahren haben.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h2>II.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_75">75</a>
</dt>
<dd>
<p>Es ist daher gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG festzustellen, dass der Beschluss des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 16. Oktober 2018 den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 GG verletzt. Der Beschluss ist unter Zurückverweisung der Sache aufzuheben (§ 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG). Das Oberlandesgericht wird unter Beachtung der vorstehenden Ausführungen erneut über die Haftfortdauer zu entscheiden haben.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h2>III.</h2>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_76">76</a>
</dt>
<dd>
<p>Mit der Entscheidung in der Hauptsache erledigt sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<h1>C.</h1>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_77">77</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts für die anwaltliche Tätigkeit stützt sich auf § 37 Abs. 2 Satz 2, § 14 Abs. 1 RVG in Verbindung mit den Grundsätzen über die Festsetzung des Gegenstandswerts im verfassungsrechtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 <368 ff.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 26. Januar 2011 - 1 BvR 1671/10 -, juris, Rn. 8). Im Hinblick auf die objektive Bedeutung der Sache ist ein Gegenstandswert von 10.000 Euro angemessen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_78">78</a>
</dt>
<dd>
<p>Diese Entscheidung ist unanfechtbar.</p>
</dd>
</dl>
</div>
|
188,473 | vg-koln-2019-01-22-7-k-737215 | {
"id": 844,
"name": "Verwaltungsgericht Köln",
"slug": "vg-koln",
"city": 446,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 7 K 7372/15 | 2019-01-22T00:00:00 | 2019-02-11T11:04:03 | 2019-02-13T12:21:06 | Urteil | ECLI:DE:VGK:2019:0122.7K7372.15.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>er Bescheid des Bundesamtes für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 24.08.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2015 wird aufgehoben, soweit unter Nr. 3 bezüglich Abschnitt 4.4 der Fachinformation und in Abschnitt 2 der Gebrauchsinformation eine Kontrolle der Leberwerte (GPT und γ-GT) auch in der 3., 5. und 7. Behandlungswoche angeordnet ist. Nr. II des Bescheides vom 24.08.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2015 wird aufgehoben.</p>
<p>              Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.</p>
<p>              Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 7/9 und die Beklagte zu 2/9.</p>
<p>Das Urteil ist für die Klägerin hinsichtlich der Kosten gegen Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages vorläufig vollstreckbar. Für die Beklagte ist es hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>T a t b e s t a n d</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin ist Inhaberin der arzneimittelrechtlichen Zulassungen für die Präparate „       “ und „            Tropfen“. Dabei handelt es sich um pflanzliche Angstlöser (Anxiolytika) zur Anwendung bei nervösen Angst-, Spannungs- und Unruhezuständen, die als Wirkstoff einen Kava-Kava-Wurzelstock-Trockenextrakt – <em>Piperis methystici rhizoma</em> – in Gestalt eines ethanolischen Auszugs enthalten. Die Anwendungsgebiete der Arzneimittel entsprechen den Vorgaben der Monographie der Kommission E vom 01.06.1990 „Nervöse Angst-, Spannungs- und Unruhezustände“. Im Jahre 2001 leitete das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aufgrund von Berichten über Verdachtsfälle von Nebenwirkungen in Gestalt lebertoxischer Effekte bei acetonischen Kava-Kava-Auszügen, insbesondere aus der Schweiz, ein Stufenplanverfahren nach § 63 des Arzneimittelgesetzes (AMG) ein. Nach Anhörung der betroffenen pharmazeutischen Unternehmen widerrief die Beklagte mit Bescheid vom 14.06.2002 erstmals die Zulassungen Kava-Kava- und Kavain-haltiger Arzneimittel bis zu einer homöopathischen Verdünnung von D4. Zum 01.07.2002 wurde die Verschreibungspflicht für derartige Präparate eingeführt. Die Kommission E empfahl in einer Stellungnahme vom 03.07.2002 bestimmte Sicherheitsmaßnahmen. Gegen den Widerruf erhoben die betroffenen Unternehmen Widerspruch, woraufhin das BfArM an der Widerrufsentscheidung nicht festhielt, sondern stattdessen mit Bescheid vom 12.05.2005 ein befristetes Ruhen der betroffenen Zulassungen anordnete.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 21.12.2007 widerrief das BfArM die Zulassungen Kava-Kava- und Kavain-haltiger Arzneimittel und homöopathischer Zubereitungen aus Kava-Kava-Zubereitungen bis zu einer Verdünnung von D4 erneut, da der begründete Verdacht schädlicher Wirkungen auch unter Berücksichtigung der von den betroffenen Unternehmen und ihren Verbänden vorgelegten Unterlagen fortbestehe. Die hiergegen erhobenen Widersprüche wies die Behörde mit Widerspruchsbescheiden vom 21.02.2012 zurück.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Auf die dagegen beim Verwaltungsgericht Köln erhobenen Klagen hob das Gericht mit Urteilen vom 20.05.2014 - 7 K 6971/11 u.a. - die Widerrufsbescheide in Gestalt der Widerspruchsbescheide auf. Die gegen die Urteile seitens der Beklagten eingelegten Berufungen wies das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteilen vom 25.02.2015 - 13 A 1373/14 u.a. - zurück, da die Voraussetzungen für einen Widerruf der Zulassungen nicht erfüllt seien. Zwar sei das Nutzen-Risiko-Verhältnis der betroffenen Präparate derzeit ungünstig, jedoch könne dieser Versagungsgrund ausgeräumt werden, indem die Zulassungen unter Berücksichtigung der von der Kommission E vorgeschlagenen regulatorischen Maßnahmen geändert würden.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Mit Anhörungsschreiben vom 27.03.2015 eröffnete das BfArM ein Stufenplanverfahren der Stufe II.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 30.10.2015 beantragte die Klägerin beim BfArM, die Kommission E zur Nutzen-Risiko-Bewertung von Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln anzuhören und ein Votum darüber einzuholen, ob die im Jahr 2002 vorgeschlagenen Maßnahmen noch dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Das BfArM änderte mit dem hier streitgegenständlichem Bescheid vom 24.08.2015 die Zulassungen Kava-Kava-haltiger Arzneimittel wie folgt:</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">„I. Die Zulassungen der in der Anlage aufgeführten Kava-Kava-haltigen Arzneimittel sind hinsichtlich der</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">1. Dosierung, Anwendergruppe</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">2. Anwendungsdauer,</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">3. behandlungsbegleitenden Verpflichtung zur Bestimmung der Leberwertlaborparameter,</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">4. Wechselwirkungs-, Warn- und Nebenwirkungshinweisen sowie</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">5. Packungsgröße gemäß § 28 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AMG</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">wie folgt zu ändern:</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Zu oben 1. und 2.:</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Dosierung ist unter 4.2 der Fachinformation „Dosierung, Art und Dauer der Anwendung“ und in der Gebrauchsinformation (Abschnitt 3) folgendermaßen zu bezeichnen:</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks"><em>Erwachsene: Die maximale Tagesdosis beträgt 200 mg Kava-Pyrone. Die übliche Behandlungsdauer beträgt einen Monat, maximal 2 Monate.</em></p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Unter 4.3 der Fachinformation „Gegenanzeigen“ und in Abschnitt 2 der Gebrauchsinformation „[] darf nicht eingenommen werden“ ist folgender Text aufzunehmen:</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks"><em>Dieses Arzneimittel darf bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren nicht angewendet werden.</em></p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Zu oben 3. und 4.:</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die <span style="text-decoration:underline">Fachinformation</span> ist im Abschnitt 4.4. „Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung“ zu ergänzen um:</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks"><em>In Einzelfällen wurde über Leberschäden bis hin zu Leberversagen mit lebensbedrohlichem Ausgang (inkl. Todesfälle) im Zusammenhang mit der Einnahme von Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln berichtet. Ein Kausalzusammenhang ist im Einzelfall nicht sicher belegt. Patienten sollten darauf hingewiesen werden, die Einnahme von <Arzneimittelname> sofort zu beenden und einen Arzt aufzusuchen, wenn Zeichen einer Leberschädigung auftreten.</em></p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks"><em>Zur Vermeidung von Leberschäden müssen die Laborwerte (GPT und γ-GT) vor Beginn der Behandlung und während der Behandlung einmal wöchentlich bestimmt werden. Die Bestimmung am Ende der Behandlung wird empfohlen.</em></p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks"><em>Bei der Anwendung von <Arzneimittelname> können Wechselwirkungen mit zahlreichen anderen Arzneistoffen auftreten. Zu diesen Stoffen gehören Substrate und Inhibitoren für das Zytochrom P450 2D6 und potenziell hepatotoxische Medikamente, unter anderem Beta-Rezeptorenblocker, bestimmte Antidepressiva und Arzneimittel der Migränetherapie. Der gleichzeitige Konsum von Alkohol ist zu vermeiden.</em></p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">In die <span style="text-decoration:underline">Gebrauchsinformation</span> ist folgender Hinweis in Abschnitt 2 einzufügen:</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks"><em>Was ist zu tun, um mögliche schwerwiegende Leberprobleme zu vermeiden?</em></p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks"><em>Beenden Sie die Einnahme von <Arzneimittelname> und suchen Sie einen Arzt auf, wenn bei Ihnen Zeichen einer Leberschädigung auftreten (z. B. Gelbfärbung der Haut oder Augen, dunkler Urin, starke Schmerzen im Oberbauch, Appetitverlust). Ihr Arzt kontrolliert Ihre Leberwerte einmal wöchentlich und nach seinem Ermessen am Ende der Behandlung.</em></p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks"><em><Arzneimittelname> kann mit zahlreichen anderen Arzneistoffen mit potentiell leberschädigenden Eigenschaften, unter anderem Beta-Rezeptorenblockern, bestimmten Antidepressiva und Arzneimitteln der Migränetherapie in Wechselwirkung treten und mögliche hepatotoxische Nebenwirkungen verstärken. Der gleichzeitige Konsum von Alkohol ist zu vermeiden.</em></p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Im Abschnitt 4.8 „Nebenwirkungen“ der Fachinformation und in Abschnitt 4 der Gebrauchsinformation ist nachfolgende Formulierung aufzunehmen:</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks"><em>In Einzelfällen wurde über Leberschäden bis hin zu Leberversagen mit lebensbedrohlichem Ausgang (inkl. Todesfälle) im Zusammenhang mit der Einnahme von Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln berichtet. Ein Kausalzusammenhang ist im Einzelfall nicht sicher belegt.</em></p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Zu oben 5.:</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Die Packungsgrößen werden gemäß den Vorgaben des Gerichtes auf 30 Tagesdosen bei einer maximalen Tagesdosis von 200 mg beschränkt.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">II. Die Zulassungen werden mit der Auflage verbunden, im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen der betroffenen Arzneimittel Schulungsmaterial für Patienten zur Verfügung zu stellen (s. Anlage).</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Die Anordnungen beruhten auf § 30 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz i.V.m. Abs. 2a und § 28 Abs. 3b Satz 1 Nr. 2 AMG. In Umsetzung der Urteile des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen seien die Vorschläge der Kommission E zur Minderung des Anwendungsrisikos der betroffenen Arzneimittel zu übernehmen. Darüber hinaus werde durch die Maßnahme das Risiko hepatotoxischer Nebenwirkungen aufgrund der vorliegenden Verdachtsfälle unerwünschter Wirkungen im Zusammenhang mit der Anwendung Kava-Kava-haltiger Arzneimittel angemessen berücksichtigt. Ferner wies die Beklagte darauf hin, dass die Anordnung nach § 30 Abs. 3 Satz 4 AMG sofort vollziehbar sei.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid  vom 15.12.2015 als unbegründet zurück.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Am 22.12.2015 hat die Klägerin – wie die anderen betroffenen Unternehmen in den Verfahren 7 K 7367/15, 7 K 7368/15, 7 K 7369/15 und 7 K 7371/15 – Klage erhoben. Sie führt zur Begründung im Wesentlichen aus:</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Die angeordneten Maßnahmen seien im Vergleich zu denen bei deutlich risikoreicheren Arzneimitteln unverhältnismäßig. Sie förderten deren Anwendung und dienten damit nicht der Risikoverminderung. Sie entsprächen auch nicht dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Die Anordnungen Ziffern 1. und 2. zur auf zwei Monate beschränkten Behandlungsdauer und der Verwendungsausschluss bei Kindern seien in der Sache nicht zu rechtfertigen. Immerhin seien Benzodiazepine bei der Behandlung von Kindern zugelassen. Der Hinweis auf mögliche Todesfälle (Ziffern 3. und 4.) stehe außer Verhältnis zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Gerade für Patienten mit Angststörungen seien derart furchterregende Schilderungen nicht therapiefreundlich. Völlig außer Verhältnis stehe die Anordnung der wöchentlichen Bestimmung der Leberwerte. Diese Empfehlungen der Kommission seien in den „Turbulenzen eines akuten Stufenplanverfahrens“ entstanden und bedürften mittlerweile einer Überprüfung unter Beachtung des aktuellen Stands der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Ein angemessenes Monitoring müsse sich an dem etablierten Standard von Maßnahmen für Präparate mit vergleichbaren Risiken orientieren. Jedoch fänden sich bei Präparaten mit weit höheren lebertoxischen Risiken nicht annähernd vergleichbare Angaben. Die Angaben zu Wechselwirkungen seien zu akzeptieren. Der Hinweis auf Leberschäden „bis hin zu Leberversagen mit lebensbedrohlichem Ausgang (inklusive Todesfälle)“ sei in Gebrauchs- und Fachinformationen zu streichen. Die Auflage zur Verwendung von Schulungsmaterialien für Ärzte und Patienten stehe in krassem Widerspruch zu den Anordnungen, die üblicherweise in Fällen vergleichbarer Art getroffen würden. Die Beklagte habe dies auch nicht in einem Stufenplanverfahren zu pelargoniumhaltigen Arzneimitteln für nötig gehalten. Dies begründe einen krassen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot. Die vorgelegte Stellungnahme von <em>Dr. T.      </em> belege, dass die Kommission E in Anwendung der Maßstäbe für Pelargonium hinsichtlich Kava-Kava zu einem anderen Ergebnis komme. Auch im Zusammenhang mit Pelargonium sei im diesbezüglichen Stufenverfahren ein Fall einer erforderlichen Lebertransplantation bekannt gewesen. Die Beurteilung des Schweregrades von lebertoxischen Nebenwirkungen von Kava-Kava beruhe zwangsläufig auf einem Vergleich mit anderen Therapeutika im gleichen Indikationsgebiet. Ein Vergleich der Inzidenzraten für lebertoxische Effekte beispielsweise von Tranquilizern und Neuroleptika im Vergleich zu Kava-Kava-haltigen Präparaten habe der Kommission E im Jahre 2002 nicht vorgelegen. Die Beklagte habe in ihrer Berufungsbegründung zur Bewertung von Falldaten zu Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln das CIOMS-Verfahren als Mittel der Wahl dargestellt, dieses aber zu keinem Zeitpunkt angewandt. Die von ihr verwandte, abweichende Methode anhand der WHO-Kriterien habe Professor Teschke in seinen Publikationen als untauglich kritisiert. Die Bewertungsmethode der Beklagten, die keinen Algorithmus erfordere, führe zu einer erheblichen Überschätzung des Leberrisikos. Damit die Kommission eine notwendige Überprüfung vornehmen könne, solle der Beklagten auferlegt werden, der Kommission E eine Bewertung nach dem CIOMS-Verfahren vorzulegen.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Mit Auflagenbeschluss nach mündlicher Verhandlung vom 24.10.2017 hat die Kammer der Beklagten aufgegeben, eine Stellungnahme der Kommission E zu folgenden Fragen vorzulegen:</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">1. Sind die in der Ergebnisniederschrift der 19. Sitzung vom 03.07.2002 auf Seite 5 vorgeschlagenen Maßnahmen nach dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse noch angemessen für Kava-Kava-haltige Arzneimittel, die als Wirkstoff ausschließlich einen ethanolischen Extrakt von Nobel-Kava enthalten?</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">2. Gibt es Arzneimittel mit vergleichbaren Risiken und weniger eingreifenden Risikomaßnahmen? Falls ja, sollten die vom Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im Bescheid vom 24.08.2015 vorgesehenen Risikomaßnahmen diesen Maßnahmen angepasst werden?</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">3. Sind die Anordnungen des BfArM im Bescheid vom 24.08.2015 zur Behandlungsdauer und zur Anwendung bei Kindern aus pharmazeutischer Sicht gerechtfertigt?</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">4. Ist der für Abschnitt 4.8 „Nebenwirkungen“ der Fachinformationen und für Abschnitt 4 der Gebrauchsinformation angeordnete folgende Hinweis aus pharmazeutischer Sicht gerechtfertigt?</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">„In Einzelfällen wurde über Leberschäden bis hin zu Leberversagen mit lebensbedrohlichem Ausgang (inkl. Todesfälle) im Zusammenhang mit der Einnahme von Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln berichtet. Ein Kausalzusammenhang ist im Einzelfall nicht sicher belegt.“</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">5. Ist die folgende, von der Klägerin vorgeschlagene Angabe zur Frequenz der Bestimmung der Leberwerte aus pharmazeutischer Sicht ausreichend?</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">„Zur Vermeidung von Leberschäden müssen die Laborwerte (GPT und Gamma-GT) vor Beginn der Behandlung und während der Behandlung bestimmt werden, wenn sich Anzeichen von Leberschäden zeigen (siehe Abschnitt Warnhinweise). Nach einem Monat sind die Werte dann zu bestimmen, wenn eine Behandlung für einen weiteren Monat geplant ist.“</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Hält die Kommission E gegebenenfalls eine andere Formulierung aus pharmazeutischer Sicht für angemessen?</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">6. Ist der folgende von der Klägerin vorgeschlagene Warnhinweis zur Lebertoxizität angemessen und ausreichend?</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">„Der Arzt kontrolliert gegebenenfalls Ihre Leberwerte und – nach seinem Ermessen – auch am Ende der Behandlung, insbesondere wenn eine weitere Behandlung geplant ist.“</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Das BfArM hat daraufhin eine Antwort der Kommission E mit Datum vom 14.02.2018 vorgelegt. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 106-111 der Gerichtsakte Bezug genommen. Unter dem 20.07.2018 hat das BfArM das zugehörige Ergebnisprotokoll der 37. Sitzung der Kommission E vorgelegt, das hinsichtlich der Teilnehmer und verschiedener Tagesordnungspunkte geschwärzt war und unter dem TOP 6 „Verschiedenes“ / TOP 6.1 „Bitte des Verwaltungsgerichts um eine aktuelle Stellungnahme der Kommission E“  den Inhalt aber vollständig wiedergibt. Die Klägerin äußerte daraufhin den Verdacht, dass durch die Schwärzungen wesentliche Äußerungen zum Thema verborgen werden sollten. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 18.12.2018 erhielt die Klägerin auf entsprechenden Beschluss der Kammer die Kopie eines auch hinsichtlich der TOP 4.0 bis 4.4 ungeschwärzten Exemplars des Ergebnisprotokolls.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin legt ein Gutachten von <em>Prof. U.</em>       vom 07.09.2018 zur „Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit“ der Bestimmung von Leberwerten, eine Synopse der verschiedenen Formulierungen und weitere Unterlagen vor. In der Sache trägt sie weitergehend vor: Mit der von der Kommission E vorgeschlagenen Tagesdosis von 100-200 mg Kava-Pyrone (bestimmt mittels HPLC) sei sie einverstanden. Dies gelte auch bezüglich der vorgeschlagenen Therapiedauer bis zu 3 Monaten, die nach ärztlicher Einschätzung verlängert werden könne. Sie sei auch bereit, die Kontraindikation „Vorbestehende Lebererkrankungen und erhöhte Leberenzymwerte“ aufzunehmen, wie von der Kommission empfohlen. Dies gelte auch für den Anwendungsausschluss bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren und den Hinweis an die Patienten, die Einnahme bei Zeichen einer Leberschädigung sofort zu beenden. Auch mit den angeordneten Angaben zu Wechselwirkungen sei sie einverstanden. Sie sollten aber im Bereich der Warnhinweise nicht wiederholt werden. Den angeordneten Packungsgrößen von 30 Tagesdosen bei einer maximalen Tagesdosis von 200 mg stimme man zu.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Der Warnhinweis in der Fachinformation „In Einzelfällen wurde...“ könne ersatzlos entfallen, da er nur eine Wiederholung dessen beinhalte, was bereits unter „Nebenwirkungen“ ausgesagt worden sei und Redundanzen zu vermeiden seien. Irreführend sei auch die Angabe, ein Kausalzusammenhang sei <em>im Einzelfall</em> nicht sicher belegt, was den Eindruck erwecke, dass es viele Fälle gebe, in denen der Nachweis geführt sei.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">In Bezug auf die Frequenz der Bestimmung der Leberwerte könne weder den Vorgaben des BfArM noch der Auffassung der Kommission gefolgt werden. Gemäß den Empfehlungen von <em>Prof. U.</em>       solle der Wortlaut vielmehr wie folgt gefasst werden:</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">„Zur Vermeidung von Leberschäden müssen die Leberwerte (GPT und y-GT) vor Beginn der Behandlung und während der Behandlung bestimmt werden, wenn sich Anzeichen von Leberschäden zeigen (siehe Abschnitt Warnhinweise). Im weiteren Verlauf sind die Werte monatlich zu bestimmen, solange die Therapie andauert.“</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Der Patientenschutz sei hierdurch angemessen gewährleistet, wie ein Vergleich mit der Formulierung bei dem Arzneimittel „Ergenyl“ mit weitaus höherem hepatotoxischem Risiko zeige. Die Angaben in der Gebrauchsinformation sollten entsprechend angepasst werden.</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Die Beschreibung der Nebenwirkungen sei, wie vom BfArM gefordert, nicht angemessen und werde dem Risiko nicht gerecht, das in etwa dem bei Pelargonium („Umckaloabo“) entspreche. Dementsprechend solle formuliert werden:</p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">„Fälle von Leberschäden wurden im Zusammmenhang mit der Einnahme von Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln berichtet; die Häufigkeit ist nicht bekannt.</p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Gelegentlich wurde unter der Einnahme eine Erhöhung der Leberwerte beobachtet.“</p>
<span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Dies entspreche der Formulierung des HMPC für Pelargonium.</p>
<span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Die Anordnung von Schulungsmaterial sei unverhältnismäßig. Die Klägerin verweist auch in diesem Zusammenhang auf Pelargonium-haltige Produkte und auf „Ergenyl“.</p>
<span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung vom 18.12.2018 einen Vergleich geschlossen. Wegen des Inhalts wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Die Beklagte hat diesen Vergleich entsprechend dem vereinbarten Vorbehalt am 15.01.2019 widerrufen.</p>
<span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">den Bescheid des BfArM vom 24.08.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2015 aufzuheben.</p>
<span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin in wesentlichen Punkten entgegen. So bestehe kein Grund für eine Verlängerung der Behandlungsdauer. Nach den vorliegenden Daten liege der zeitliche Gipfel des lebertoxischen Potentials bei 3-4 Monaten nach Medikationsbeginn. Unter den ausgewerteten belastbaren Fällen finde sich nur ein lebensbedrohlicher Fall mit einer Anwendungsdauer von unter 8 Wochen. Auch die Kommission führe zur Begründung ihres Vorschlags keine weiteren Daten an. Die Ergänzung des Abschnitts „Gegenanzeigen“ um die Kontraindikationen „vorbestehende Lebererkrankungen“ und „erhöhte Leberenzymwerte“ werde befürwortet.</p>
<span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Der Warnhinweis stehe im Einklang mit den Vorgaben in Abschnitt 4.4 der SmPC-Guideline und sollte beibehalten werden. Die Beklagte schlug jedoch folgende Formulierung vor:</p>
<span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">„Bei der Anwendung von Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln sind Fälle von Leberschädigungen (Anstieg der Leberenzymwerte) sowie Fälle von Leberversagen mit lebensbedrohlichem Ausgang (inkl. Todesfälle) aufgetreten. Patienten sollten darauf hingewiesen werden, die Einnahme von /.../ sofort zu beenden und einen Arzt aufzusuchen, wenn Zeichen einer Leberschädigung auftreten.</p>
<span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich der Kontrolle der Leberwerte zeigte sie sich bereit, der Empfehlung der Kommission E zu folgen und zu formulieren:</p>
<span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">„Zur Erfassung von bestehenden oder sich unter Therapie entwickelnden Leberschäden müssen zumindest die Leberenzyme <em>γ</em>-GT und GPT vor Behandlungsbeginn und nach 1, 2, 4, 6 und 8 Wochen bestimmt werden“,</p>
<span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">in der Gebrauchsinformation:</p>
<span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">„Vor der Behandlung mit /.../ wird Ihr Arzt bzw. Ihre Ärztin einen Bluttest durchführen, um die Leberfunktion zu überprüfen. Ihr Arzt bzw. Ihre Ärztin wird diese Tests nach Therapiebeginn nach 1, 2, 4, 6 und 8 Wochen  wiederholen.“</p>
<span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Eine Vergleichbarkeit mit „Ergenyl“ bestehe nicht, da insoweit umfangreiche Vorab-Untersuchungen vorgesehen seien, die weit über das bei Kava-Kava vorgesehene Maß hinausgingen. Auch seien dort Verlaufskontrollen vorgesehen.</p>
<span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Auch erscheine es unter Berücksichtigung der Ausführungen von <em>Prof. U.</em>       und der erneuten Durchsicht der UAW-Fälle angebracht, die übrigen Informationen in Abschnitt 2 der Gebrauchsinformationen anzupassen und wie folgt zu ergänzen:</p>
<span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">„Was können Sie tun, um mögliche schwerwiegende Leberschäden zu vermeiden?</p>
<span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Beenden Sie die Einnahme von /.../ und suchen Sie einen Arzt auf, sobald Sie ein Anzeichen für eine Leberschädigung bei sich bemerken (z.B. Gelbfärbung der Haut oder Augen, dunkler Urin, Schmerzen im Oberbauch, Übelkeit, Erbrechen, Appetitverlust, Gewichtsverlust, Mattigkeit, Juckreiz, helle Stuhlfarbe und Gelenkbeschwerden)</p>
<span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">...</p>
<span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">/.../ kann mit zahlreichen anderen (leberschädigenden) Arzneistoffen in Wechselwirkung treten und so mögliche Leberschäden verstärken. Dazu gehören unter anderem bestimmte Arzneimittel gegen Bluthochdruck (Beta-Rezeptorenblocker), hormonelle Verhütungsmittel („Antibaby-Pille“), bestimmte Arzneimittel gegen Depressionen und Arzneimittel zur Migränebehandlung. Konsum von Alkohol während der Behandlung sollten Sie vermeiden.“</p>
<span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">Der Hinweis unter Nebenwirkungen sollte wie folgt angepasst werden:</p>
<span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">„Bei der Anwendung von Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln sind Fälle von Leberschädigungen (Anstieg der Leberenzymwerte) sowie Fälle von Leberversagen mit lebensbedrohlichem Ausgang (inkl. Todesfälle) aufgetreten.“</p>
<span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich des Schulungsmaterials zog die Beklagte eine Aufhebung der Auflage in Betracht, sofern die übrigen Risikominimierungsmaßnahmen umgesetzt würden.</p>
<span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Zudem weist die Beklagte darauf hin, dass das Bewertungsverfahren „Kava-Kava“ auf europäischer Ebene mit dem Ergebnis abgeschlossen worden sei, dass wegen des ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses eine Monographie nicht erstellt werden könne.</p>
<span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">Mit Schriftsatz vom 05.12.2018 führt die Klägerin ergänzend aus: Eine Begrenzung der Behandlungsdauer entgegen dem Vorschlag der Kommission sei nicht gerechtfertigt. Leberreaktionen manifestierten sich in der Regel wesentlich früher nach Behandlungsbeginn. Ein späterer Beginn werde nach den CIOMS-Kriterien klinisch als entlastende Beobachtung gewertet. Die Behandlungsdauer könne auch mit dem Hinweis auf die Zulassung von „Ergenyl“ gerechtfertigt werden. Die Vorschläge des BfArM zu Warnhinweisen enthielten weiterhin Redundanzen. Das gelte auch für die neuen Vorschläge zu ergänzenden Angaben, die bereits unter „Wechselwirkungen“ genannt seien. Weiterhin unangemessen seien auch Hinweise auf lebensbedrohlichen Ausgang und Todesfälle. Der Rhythmus der angeordneten Leberwert-Kontrollen müsse sich durchaus an „Ergenyl“ messen lassen. Dieses weise mit „häufigen“ Lebernebenwirkungen (1-10 Patienten von 100 Behandelten im Gegensatz zu 0,008 Fällen bei 1 Mio. Tagesdosen, sofern kausal) ein deutlich höheres Schädigungspotential auf. Es sei nicht einzusehen, weshalb Kava Kava einem deutlich strengeren Regime unterfallen solle.</p>
<span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">Die Bewertung des HMPC rechtfertige keine andere Bewertung des Zulassungsstatus. Die Kommission E habe in Kenntnis dieser Bewertung das Nutzen-Risiko-Verhältnis positiv bewertet. Im Übrigen stehe die Schlussfolgerung des HMPC im Widerspruch zu dem Bewertungsbericht, auf den verwiesen werde. Danach bestehe nach Auffassung der wissenschaftlichen Bewerter des HMPC kein toxikologisch relevantes Risiko bei der Anwendung Kava-Kava-haltiger Arzneimittel.</p>
<span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens wie der Parallelverfahren 7 K 7367/15, 7 K 7368/15, 7 K 7369/15 und 7 K 7371/15 nebst vorgelegter Anlagen sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des BfArM Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks"><strong>E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e</strong></p>
<span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Die Klage ist überwiegend nicht begründet.</p>
<span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">Der Bescheid des BfArM vom 24.08.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2015 ist nur in dem im Urteilstenor bezeichneten Umfang rechtswidrig und verletzt insoweit die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Im Übrigen ist er rechtmäßig. Die Änderungen der Texte finden in diesen Punkten ihre Rechtsgrundlage in § 30 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz i.V.m. Abs. 2a Satz 1 AMG.</p>
<span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz AMG ist die Zulassung eines Arzneimittels zu widerrufen, wenn einer der Versagungsgründe des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, 5, 5a, 6 oder 7 AMG nachträglich eingetreten ist. Dies ist hinsichtlich des Versagungsgrundes eines ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses (Nr. 5) hier der Fall. Das OVG hat in den Berufungsentscheidungen zu Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln – auch zu den Präparaten der Klägerin – nach eingehender Auseinandersetzung mit allen verfügbaren wissenschaftlichen Quellen dargelegt, dass die Produkte zwar weiterhin einen belegten Nutzen bei leichten bis mittelschweren Formen von Angststörungen haben, dem aber nicht unerhebliche Anwendungsrisiken in Form hepatotoxischer Ereignisse gegenüberstehen, die durch entsprechende Fallberichte belegt und auch durch die Einwände der Klägerseite, namentlich zur Vergleichbarkeit der verwendeten Extrakte, nicht durchgreifend erschüttert sind. Vor diesem Hintergrund ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Auswertung der vorliegenden Ergebnisse <em>für</em> die Annahme eines begründeten Verdachts leberschädigender Wirkungen spricht. Es hat diese Bewertung im Rahmen der Nutzen-Risiko-Abwägung allerdings angesichts der uneinheitlichen Studienlage, fehlender Erkenntnisse zu konkret lebertoxischen Bestandteilen von Kava-Kava und entsprechenden Wirkmechanismen sowie einer bei 250 Millionen Tagesdosen in zehn Jahren geringen Inzidenzrate relativiert. Hierbei hat das Gericht den Umstand hervorgehoben, dass auch der vom BfArM herangezogene Bericht der Expertengruppe der WHO sich auf alle Arten Kava-Kava-haltiger Arzneimittel bezieht und die getroffene Risikoaussage nicht nach Extrakt und Kultivar differenziert. Hiernach und unter Wertung der vom BfArM vorgenommenen Risikoeinschätzung kommt das OVG NRW zu dem Schluss eines <em>derzeit</em> ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses, dem durch risikominimierende Maßnahmen auf der Grundlage der Stellungnahme der Kommission E aus dem Jahre 2002 begegnet werden kann.</p>
<span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">              OVG NRW, Urteile vom 25.02.2015 - 13 A 1371/14 u.a.-, juris.</p>
<span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">Die Kammer folgt diesem Ansatz. Er beruht auf einer eingehenden Auseinandersetzung mit der zu Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln bestehenden Erkenntnislage, die den Beteiligten bekannt ist und hier nicht wiederholt zu werden braucht, und führt zur Anwendung des § 30 Abs. 2a Satz 1 AMG, der in seiner seit Inkrafttreten des 2. Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 19.10.2012 (BGBl. I S. 2192) geltenden Fassung unmittelbar, d.h. ohne den Erlass einer Auflage, eine behördliche Änderung des Zulassungsinhalts gebietet, wenn hiermit der Versagungsgrund entfällt. Die Norm ist eine Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und aus diesem Grunde bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen gegenüber dem Widerruf der Zulassung vorrangig.</p>
<span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">              OVG NRW, Urteile vom 25.02.2015 - 13 A 1371/14 u.a. -, juris, Rnr. 164.</p>
<span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">Ihre Voraussetzungen in Bezug auf das Nutzen-Risiko-Verhältnis haben sich seit Abschluss der Berufungsverfahren auch nicht durch neues Erkenntnismaterial verändert. Dies gilt auch im Hinblick auf das klägerseits vorgelegte Gutachten von <em>Prof. U.</em>       vom 07.09.2018 zur „Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit“ der Bestimmung von Leberwerten, das sich nicht mit der grundlegenden Nutzen-Risiko-Bewertung, sondern mit dem Sinn einer Einzelmaßnahme beschäftigt. Soweit die Kommission E für die phytopharmazeutische Therapierichtung – aufbauend auf der Ergebnisniederschrift vom 03.07.2002 – auch in der Beantwortung der gerichtlichen Anfrage (Ergebnisprotokoll vom 14.02.2018) weiterhin von einem positiven Nutzen-Risiko-Verhältnis auszugehen scheint, ergibt sich nichts Abweichendes. Denn aus ihrer fachlichen Sicht hält auch die Kommission E risikominimierende Maßnahmen weiterhin für erforderlich. Dem ist auch die Klägerin nicht grundsätzlich entgegengetreten, sondern bestreitet die Rechtmäßigkeit der Einzelmaßnahmen.</p>
<span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">Prüfungsgegenstand im gerichtlichen Verfahren sind die Anordnungen des Bescheides vom 24.08.2015, die im Widerspruchsverfahren unverändert geblieben sind. Soweit die Beklagte nach Klageerhebung Modifikationen der Texte vorgeschlagen und eine Aufhebung der Auflage zum Schulungsmaterial in Aussicht gestellt hat, bleibt dies hier außer Betracht. Denn es handelt sich hierbei um Erklärungen im Rahmen des Bemühens, den Rechtsstreit gütlich beizulegen; eine förmliche Änderung des Bescheidtenors beinhalteten die Vorschläge nicht. Ebenfalls unberücksichtigt bleiben die Vorschläge der Klägerin, Teile der angeordneten Texte zu übernehmen, da sie für den Fall des Widerrufs des Vergleichs an dem Anfechtungsantrag uneingeschränkt festgehalten hat.</p>
<span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">Beweisbelastet für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen der streitgegenständlichen Änderungen des Zulassungsinhalts ist die Beklagte. Denn Anordnungen nach § 30 Abs. 2a Satz 1 AMG sind ein Unterfall des Widerrufs und der Rücknahme einer Zulassung. Hier wie dort wird in den vorhandenen Zulassungsbestand eingegriffen. Anders als im Zulassungsverfahren ist es an der Behörde, die Gründe für einschränkende Maßnahmen darzulegen und zu belegen. Verbleibende durchgreifende Zweifel gehen zu ihren Lasten. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewertung der Sach- und Rechtslage ist im gerichtlichen Verfahren derjenige der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz. Nur so kann im Interesse des übergeordneten Ziels der Arzneimittelsicherheit neuen Erkenntnissen Rechnung getragen werden,</p>
<span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">vgl. OVG NRW, Urteile vom 25.02.2015 - 13 A 1371/14 u.a. -, juris, Rnr. 50-54; Krüger, in: Kügel/Müller/Hoffmann, Arzneimittelgesetz, 2. Auflage 2016, § 30 Rn. 11; Lietz, in: Hdb. Arzneimittelrecht, 2. Auflage 2014, § 9 Rn. 23; Rehmann, Arzneimittelgesetz, 4. Auflage 2014, § 30 Rn. 2.</p>
<span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">Dies vorausgeschickt gilt für die Anordnungen des Bescheides vom 24.08.2015 – soweit rechtmäßig – folgendes:</p>
<span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">1.</p>
<span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">Die Beschränkung der Tagesdosis auf 200 mg Kava-Pyrone und der Behandlungsdauer auf einen Monat, maximal zwei Monate unter 4.2 der Fachinformation und in Abschnitt 3 der Gebrauchsinformation ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Nachweis von Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arzneimittels und damit eines positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses ist untrennbar mit dem gewählten Dosierungsregime verbunden, das sich in klinischen Studien, im Fall bekannter Stoffe auch in der klinischen Anwendung als Optimum erwiesen hat und die Parameter Wirksamkeit und Verträglichkeit bestmöglich ausbalanciert. Eine empfohlene Dosierung liegt dabei möglicherweise unterhalb derjenigen, die eine maximale Wirkung erwarten ließe, wenn die damit verbundenen erhöhten Risiken nicht mehr vertretbar wären und das Nutzen-Risiko-Verhältnis negativ wäre.</p>
<span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">              Schraitle, in: Hdb. Arzneimittelrecht, 2. Auflage 2014, § 6 Rn. 93</p>
<span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks">Die nunmehr bestimmte Tages-Höchstdosis von 200 mg Kava-Pyrone weicht nur formal von der seitens der Kommission in ihrer Stellungnahme vom 03.07.2002 zur Risikominimierung empfohlenen Tagesmenge von 120 mg ab. Soweit sie in der aktuellen Stellungnahme vom 14.02.2018 eine Tagesdosis von 100-200 mg empfiehlt, beruht dies auf einer Änderung der Messmethode. Die Gehaltsbestimmung wird nunmehr mittels HPLC („Hochleistungsflüssigkeitschromatographie“) vorgenommen, was veränderte Werte zur Folge hat. Auch die Klägerin hat gegen die Begrenzung der Dosierung keine Einwände erhoben.</p>
<span class="absatzRechts">101</span><p class="absatzLinks">Die Dauer der Anwendung eines Arzneimittels hängt von seinem Anwendungsgebiet und seinem Sicherheitsprofil ab. Eine besondere Rolle spielt hierbei, für welchen Zeitraum sicherheitsrelevante Daten vorliegen.</p>
<span class="absatzRechts">102</span><p class="absatzLinks">              Vgl. Schraitle, in: Hdb. Arzneimittelrecht, 2. Auflage 2014, § 6 Rn. 94</p>
<span class="absatzRechts">103</span><p class="absatzLinks">Die Kammer geht davon aus, dass die Gefahr hepatotoxischer Ereignisse mit der Dauer der Verabreichung eines potentiell leberschädigenden Stoffes tendenziell zunimmt. Die Darstellung der Klägerin, lebertoxische Ereignisse manifestierten sich regelmäßig früher und ein späteres Auftreten werde nach den CIOMS (Council for International Organisations of Medical Sciences) – Kriterien sogar als entlastend gewertet, ist demgegenüber nicht nachvollziehbar und auch nicht näher belegt. Zwar ist angesichts der allgemein uneinheitlichen Quellenlage fraglich, ob eine zeitliche Begrenzung mit dem Argument begründet werden kann, der zeitliche Gipfel der Lebertoxizität liege bei 3-4 Monaten nach Behandlungsbeginn und unter den ausgewerteten belastbaren Einzelfällen befinde sich nur ein Fall mit einer Behandlungsdauer unter 8 Wochen. In der Stellungnahme der Kommission E vom 03.07.2002 kommt aber das Bestreben zum Ausdruck, eine Langzeitbehandlung mit Kava Kava zu vermeiden, zumal der Nutzen einer solchen Anwendung nicht durch Langzeitstudien belegt ist. Das BfArM weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass die einzig kontrollierte Studie über 12 Wochen von <em>Warnecke et al.</em> (1990) das Anwendungsgebiet „Klimakterisches Syndrom“ mit nur 40 Patientinnen erfasste und insgesamt für ethanolische Extrakte keine Studie vorliegt, die den Vorgaben der CHMP-Guideline zur Prüfung von Angststörungen (CPMP/EWP/4284/02 vom 20.01.2005) entspricht. Alle anderen Studien beziehen sich auf einen kürzeren Untersuchungszeitraum. Dem entspricht auch die aktuelle Bewertung der EMA im Public statement on Piper methysticum G. Forst, rhizoma (final) vom 21.11.2017 (EMA/HMPC/450589/2016). Im Fall eines unbelegten Nutzens einer Langzeitbehandlung sind deren Risiken umso weniger zu akzeptieren, was Einzelmeldungen lebertoxischer Ereignisse bei einer längeren Anwendungsdauer umso größeres Gewicht verleiht. Vor diesem Hintergrund erschließt es sich nicht, weshalb die Kommission E in ihrer aktuellen Stellungnahme von der 2002 empfohlenen Therapiedauer von maximal 2 Monaten abweicht und sich nunmehr bei weitgehend unveränderter Quellenlage für eine Therapiedauer von maximal 3 Monaten ausspricht. Der Umstand der ärztlichen Kontrolle kann hierfür nicht maßgebend sein, da eine Unterstellung unter die Verschreibungspflicht und die regelmäßige Kontrolle der Leberwerte bereits der Empfehlung aus dem Jahre 2002 entsprachen. Auch unter Berücksichtigung der begleitenden Kontrolle der Leberwerte sieht die Kammer daher unter Risikoaspekten eine zeitliche Begrenzung der Behandlungsdauer auf zwei Monate als angemessen an, zumal die Begrenzung durch den Hinweis auf eine „übliche“ Behandlungsdauer relativiert wird.</p>
<span class="absatzRechts">104</span><p class="absatzLinks">2.</p>
<span class="absatzRechts">105</span><p class="absatzLinks">Der Ausschluss der Anwendung bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren in Gebrauchs- und Fachinformation gründet auf fehlendem Erkenntnismaterial zu dieser Anwendergruppe. Es entspricht aktuellem wissenschaftlichem Stand, dass sich Erkenntnisse aus der Anwendung eines Arzneimittels bei Erwachsenen nicht ohne weiteres auf Kinder und Jugendliche übertragen lassen. Dem hat der europäische Gesetzgeber durch die VO (EG) Nr. 1901/2006 u.a. durch die besondere Berücksichtigung von Kindern im Bereich klinischer Prüfungen von Arzneimitteln, bei der Zulassung einschließlich der Bestimmungen über das pädiatrische Prüfkonzept und die Kennzeichnung von Arzneimitteln, die für diese Anwendergruppe zugelassen sind, Rechnung getragen,</p>
<span class="absatzRechts">106</span><p class="absatzLinks">vgl. Urteil der Kammer vom 18.12.2018 - 7 K 6160/16 -; Lehmann, in: Hdb. Arzneimittelrecht, 2. Auflage 2014, § 7 Rn. 24-94 m.w.N.</p>
<span class="absatzRechts">107</span><p class="absatzLinks">Der Anwendungsausschluss entspricht der aktuellen Empfehlung der Kommission E und ist von der Klägerin im vorliegenden Verfahren mit dem Argument, vergleichbare chemische Arzneimittel seien für die Kinderanwendung zugelassen, nicht überzeugend entkräftet. Denn die Nutzen-Risiko-Bewertung hat für das Arzneimittel individuell zu erfolgen.</p>
<span class="absatzRechts">108</span><p class="absatzLinks">3.</p>
<span class="absatzRechts">109</span><p class="absatzLinks">Keine rechtlichen Bedenken bestehen gegen den unter 4.4 der Fachinformation „Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung“ vorgeschriebenen Text „In Einzelfällen wurde über Leberschäden bis hin zu Leberversagen mit lebensbedrohlichem Ausgang (inkl. Todesfälle) im Zusammenhang mit der Einnahme von Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln berichtet. Ein Kausalzusammenhang ist im Einzelfall nicht sicher belegt. Patienten sollten darauf hingewiesen werden, die Einnahme von <Arzneimittelname> sofort zu beenden und einen Arzt aufzusuchen, wenn Zeichen einer Leberschädigung auftreten.“ Besondere Warn- und Vorsichtshinweise zählen nach § 11a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 lit. d) AMG zu den Pflichtangaben im klinischen Teil der Fachinformation. Als Teil der klinischen Angaben zum Arzneimittel beschreiben sie bestehende Anwendungsrisiken und ermöglichen eine ärztliche Risikoabschätzung im Einzelfall. Sie unterliegen dem Richtigkeitsgebot, d.h. dass erforderlichenfalls auch auf verbleibende Unsicherheiten in der Risikobewertung hingewiesen werden muss.</p>
<span class="absatzRechts">110</span><p class="absatzLinks">Vgl. Menges/Winnands, in: Hdb. Arzneimittelrecht, 2. Auflage 2014, § 19 Rn. 34 und 51; Pannenbecker, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, 2. Auflage 2016, § 11a Rn. 10-14.</p>
<span class="absatzRechts">111</span><p class="absatzLinks">Die im Bescheid vom 24.08.2015 gewählte Formulierung wird diesen Anforderungen gerecht. Auch die Klägerin bestreitet nicht, dass in Einzelfällen über die angesprochenen Leberschäden berichtet wurde. Diese teils gravierenden Folgen hervorzuheben und Patienten aufzufordern, bei Anzeichen von Leberschädigungen die Einnahme zu beenden, drängt sich auf. Da der Text nicht auf bestimmte Extrakte und Kultivare bezogen ist und die bestehende Unsicherheit in der Kausalitätsbewertung anspricht, wird er der nach wie vor heterogenen Quellenlage gerecht. Soweit es bei der gewählten Formulierung zu Dopplungen zwischen den Angaben zu Nebenwirkungen und den hier fraglichen Warnhinweisen kommt, ist dies durch den Sachzusammenhang der klinischen Angabe bedingt. Die Aufforderung, Patienten bei Anzeichen einer Leberschädigung zum Absetzen des Mittels anzuhalten, wird ebenso wie die regelmäßige Kontrolle der Leberwerte erst im Zusammenhang verständlich, wenn die Gefahr der Nebenwirkung bekannt ist. Da § 11a Abs. 1 Satz 2 AMG wie die SmPC-Guideline der Kommission vom September 2009 die Reihenfolge der Warn- und Vorsichtshinweise vor den Angaben der Nebenwirkungen zwingend vorgeben, ergibt sich die Notwendigkeit ihrer Angabe mit einer gewissen Zwangsläufigkeit.</p>
<span class="absatzRechts">112</span><p class="absatzLinks">Dem steht nicht der Einwand entgegen, gerade Patienten mit Angststörungen könnten durch die Angabe möglicherweise tödlicher Folgen verschreckt und von einer medizinisch gebotenen Anwendung der Präparate abgehalten werden. Es ist kein rechtlich fundierter Ansatz erkennbar, nach dem die Gestaltung der Pflichttexte vom Anwenderkreis abhängig gemacht werden könnte, bestimmten Anwendern mit Rücksicht auf die Indikation an sich gebotene Angaben also verschwiegen werden könnten. Insbesondere Risikoangaben haben objektiven Anforderungen zu genügen. Ansatzpunkte für eine psychisch geringer belastende Formulierung sind nicht erkennbar. In Bezug auf die Fachinformation tritt der Umstand hinzu, dass diese dem Patienten in der Regel nicht vorliegt. Eine Veröffentlichung ist nur bei nach der VO (EG) Nr. 726/2004 zentral zugelassenen Arzneimitteln vorgesehen. Die Zusammenfassungen der Produktinformation sind insoweit auf der Internet-Seite der EMA jederzeit abrufbar. Im Bereich nationaler Zulassungen ist eine Übermittlung an Laien zwar auf freiwilliger Basis erlaubt, eine diesbezügliche Verpflichtung besteht indes nicht.</p>
<span class="absatzRechts">113</span><p class="absatzLinks">Vgl. Kloesel/Cyran, AMG-Kommentar (Loseblatt, Stand 132. Lieferung 2017), § 11a Erl. 9 und 10.</p>
<span class="absatzRechts">114</span><p class="absatzLinks">4.</p>
<span class="absatzRechts">115</span><p class="absatzLinks">Die angeordneten Angaben zu den Wechselwirkungen in der Fachinformation sind nach § 11a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 lit. e) AMG geboten. Sie entsprechen bereits den Empfehlungen der Kommission E aus dem Jahre 2002 und werden von der Klägerin fachlich nicht in Frage gestellt. Dies gilt namentlich für den Hinweis auf potentiell leberschädigende Medikamente und die Vermeidung von Alkohol.</p>
<span class="absatzRechts">116</span><p class="absatzLinks">5.</p>
<span class="absatzRechts">117</span><p class="absatzLinks">Soweit in Abschnitt 2 der Gebrauchsinformation auf das Verhalten im Fall eines Verdachts auf Leberschädigung bzw. auf die angesprochenen Wechselwirkungen hinzuweisen ist und auf die regelmäßige Kontrolle der Leberwerte verwiesen wird, zielt der Bescheid auf Pflichtangaben für die Packungsbeilage nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 lit. c) und d) AMG, die aus den gleichen Gründen geboten sind wie die analogen Formulierungen in der Fachinformation. Redaktionell anzupassen sind allerdings die Angaben zum Rhythmus der Leberwert-Kontrollen (vgl. unter 8.).</p>
<span class="absatzRechts">118</span><p class="absatzLinks">6.</p>
<span class="absatzRechts">119</span><p class="absatzLinks">Die übereinstimmenden Formulierungen unter 4.8 „Nebenwirkungen“ der Fachinformation und in Abschnitt 4 der Gebrauchsinformation „In Einzelfällen wurde über Leberschäden bis hin zu Leberversagen mit lebensbedrohlichem Ausgang (inkl. Todesfälle) im Zusammenhang mit der Einnahme von Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln berichtet. Ein Kausalzusammenhang ist im Einzelfall nicht sicher belegt.“ sind aus den unter 3 dargestellten Gründen rechtlich nicht zu beanstanden. Die im gerichtlichen Verfahren streitige Formulierung „im Einzelfall“ ist als solche nicht missverständlich oder sinnentstellend. Sie als Hinweis auf eine Vielzahl von Nebenwirkungsfällen misszuverstehen, liegt im Gesamtzusammenhang des Satzes fern.</p>
<span class="absatzRechts">120</span><p class="absatzLinks">7.</p>
<span class="absatzRechts">121</span><p class="absatzLinks">Vorgaben zur Packungsgröße müssen therapiegerecht sein, also allgemein den Anwendungsgebieten des Arzneimittels und der vorgesehenen Dauer der Anwendung im Sinne des § 28 Abs. 2 Nr. 4 AMG entsprechen.</p>
<span class="absatzRechts">122</span><p class="absatzLinks">Vgl. Urteil der Kammer vom 22.11.2005 - 7 K 5513/03 -, bestätigt durch OVG NRW, Beschluss vom 21.08.2008 - 13 A 44/06 -.</p>
<span class="absatzRechts">123</span><p class="absatzLinks">Im Rahmen einer Risikoentscheidung nach § 30 Abs. 2a Satz 1 AMG müssen sie zudem geboten sein, dem Versagungsgrund abzuhelfen. Die Vorgabe einer Packungsgröße von 30 Tagesdosen entspricht der unter Risikoaspekten auf einen Monat begrenzten Regel-Anwendungsdauer. Sie findet sich bereits in der Stellungnahme der Kommission aus dem Jahr 2002 und wird von der Klägerin gleichfalls nicht in Frage gestellt.</p>
<span class="absatzRechts">124</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich des verbleibenden Teils sind die getroffenen Anordnungen zum Teil oder in vollem Umfang rechtswidrig und daher aufzuheben:</p>
<span class="absatzRechts">125</span><p class="absatzLinks">8.</p>
<span class="absatzRechts">126</span><p class="absatzLinks">Die Anordnung, zur Vermeidung von Leberschäden die Leberwerte (GPT und γ-GT) vor Beginn der Behandlung und während der Behandlung einmal wöchentlich zu bestimmen, ist hinsichtlich des engmaschigen wöchentlichen Untersuchungsrhythmus nicht durch nachvollziehbare Risikoaspekte belegt. Dies geht zu Lasten der Beklagten. Zwar hat die Kommission E in ihrer Stellungnahme aus dem Jahr 2002 noch Untersuchungen in wöchentlicher Abfolge empfohlen. In ihrer aktuellen Stellungnahme spricht sie sich jedoch für einen Rhythmus von 1, 2, 4, 6 und 8 Wochen aus. In beiden Fällen ergeben sich aus den Ergebnisprotokollen keine dezidierten Begründungen für die eine oder die andere Empfehlung. Festzuhalten bleibt indes, dass die sachverständige Kommission den Vorschlag der Klägerin einer nur anlassbezogenen Kontrolle („gegebenfalls“) ausdrücklich verwirft und sich für regelmäßige und zwingende Kontrollen ausspricht. Die Kammer geht mangels anderweitiger Anhaltspunkte davon aus, dass bei der Bestimmung des Rhythmus der Kontrollen ein gewisser medizinischer Einschätzungsspielraum besteht, innerhalb dessen eine eindeutig richtige oder eindeutig falsche Festlegung kaum zu bestimmen ist. Für diese Sichtweise spricht, dass sich im Verlauf des Verfahrens auch das BfArM bereit erklärt hat, der aktuellen Vorgabe der Kommission E in diesem Punkt zu folgen.</p>
<span class="absatzRechts">127</span><p class="absatzLinks">Ein Verzicht auf zwingende regelmäßige Kontrollen kann demgegenüber nicht mit dem Hinweis auf abweichende Kontrollintervalle bei anderen Arzneimitteln, hier insbesondere „Ergenyl chrono“ mit dem potentiell lebertoxischen Wirkstoff Ergenyl-Valproat begründet werden. Die nach § 30 Abs. 2a Satz 1 AMG getroffenen Anordnungen fußen auf einer Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses des jeweiligen Arzneimittels. Als Abwägungsentscheidung bietet diese Bewertung keinen Raum für eine generalisierende Betrachtung unter Einschluss anderer potentiell leberschädigender Arzneimittel. Entsprechende Vergleiche, insbesondere bei Risikoentscheidungen, leiden schon im Ansatz unter der Schwierigkeit, eine Vergleichbarkeit der Präparate zu begründen und hätten im Erfolgsfall das Einpendeln auf dem jeweils niedrigsten Sicherheitsniveau zur Folge. Dessen ungeachtet unterliegt auch „Ergenyl chrono“ einem durchaus engmaschigen Sicherheitsregime, welches das BfArM in seinem Schriftsatz vom 13.11.2018 zutreffend beschreibt.</p>
<span class="absatzRechts">128</span><p class="absatzLinks">Nachvollziehbare Anhaltspunkte für die Annahme, regelmäßige Leberwertkontrollen seien zur Risikominimierung generell ungeeignet und Hinweise an den Patienten auf die Symptome einer Leberschädigung seien wichtiger – so Prof. U.       im Gutachten vom 07.09.2018 – bestehen demgegenüber nicht. Sie gründet sich auf dem leberschädigenden Potential vieler anderer Arzneistoffe, bei denen regelmäßige Kontrollen nicht oder weitmaschiger angeordnet sind, ist damit aber demselben Einwand ausgesetzt wie Vergleichsbetrachtungen bei der Risikobewertung allgemein. Auch geht Prof. U.       insgesamt von einem äußerst geringen Risiko Kava-Kava-haltiger Präparate aus, was angesichts der aktuellen Negativ-Monographie des HMPC vom 21.11.2017 deutlichen Zweifeln unterliegt.</p>
<span class="absatzRechts">129</span><p class="absatzLinks">9.</p>
<span class="absatzRechts">130</span><p class="absatzLinks">Die unter II. des Bescheides vom 24.08.2015 angeordnete Auflage, Schulungsmaterial in Gestalt eines anliegenden Patientenheftes zur Verfügung zu stellen, ist rechtswidrig.</p>
<span class="absatzRechts">131</span><p class="absatzLinks">Ob für die Anordnung eines Patientenheftes über die textliche Gestaltung der Gebrauchsinformation hinaus eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage besteht, kann letztlich offen bleiben.</p>
<span class="absatzRechts">132</span><p class="absatzLinks">Der im Bescheid herangezogene § 28 Abs. 3 b Satz 1 Nr. 2 AMG ist jedenfalls nicht einschlägig, da er zur nachträglichen Anordnung von Unbedenklichkeitsprüfungen ermächtigt. In Betracht kommt, das Schulungsmaterial als Teil eines Risikomanagement-Systems aufzufassen und damit Nr. 1 der Norm anzuwenden. Ob Schulungsmaterial an den Patienten generell unter Nr. 1 der Norm gefasst werden kann, ist in der Rechtsprechung ungeklärt. Der Begriff des Risikomanagement-Systems ist identisch mit den nunmehr nach § 22 Abs. 5 a AMG bei Neuzulassungsanträgen vorzulegenden Unterlagen. § 4 Abs. 36 AMG definiert auf der Grundlage des Art. 1 Nr. 28 lit. b der RL 2001/83/EG das Risiko-Management-System als die Summe der Tätigkeiten im Bereich der Pharmakovigilanz und Maßnahmen, durch die Risiken in Zusammenhang mit einem Arzneimittel ermittelt, beschrieben, vermieden oder minimiert werden sollen.</p>
<span class="absatzRechts">133</span><p class="absatzLinks">Zu den Einzelheiten vgl. Thiele, in: Hdb. Arzneimittelrecht, 2. Auflage 2014, § 26 Rnr. 29 ff.; Schickert, in: Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2. Auflage 2016, § 4 Rnr. 261-270.</p>
<span class="absatzRechts">134</span><p class="absatzLinks">Ob hierunter ein Patientenheft im Sinne einer risikovorsorgenden Maßnahme gefasst werden kann, kann jedoch auf sich beruhen. Denn die getroffene Anordnung des BfArM ist jedenfalls nicht erforderlich und mithin unverhältnismäßig. Das dem Bescheid beigefügte Patientenheft erschöpft sich in einer wiederholenden Darstellung dessen, was bereits aus der Gebrauchsinformation für den Patienten ersichtlich ist. Weshalb es unter Aspekten der Risikovorsorge einer zusätzlichen Information bedarf, erschließt sich nicht. Auch der streitgegenständliche Bescheid liefert hierfür keine nachvollziehbare Begründung. Er verweist lediglich darauf, dass es sich um eine weitere Risikominimierungsmaßnahme handele, was keine inhaltliche Begründung ist. Vor dem Hintergrund der aufgrund der Verschreibungspflicht und der obligatorischen Leberwert-Kontrollen ohnedies notwendigen Arztbesuche besteht kein rechtfertigender Grund für eine die Angaben der Gebrauchsinformation zum Teil in anderer druckgraphischer Gestaltung wiederholende Patienteninformation.</p>
<span class="absatzRechts">135</span><p class="absatzLinks">Vergleichbares gilt für die beigefügte Erinnerungskarte, die keinen eigenständigen Informationswert hat und nicht wesentlich über die Terminszettel hinausgeht, die seitens der Ärzteschaft den Patienten oftmals ohnehin ausgehändigt werden. Da die Überwachung der Kontrollintervalle dem behandelnden Arzt obliegt und mit diesem die Termine vereinbart werden, ist eine hinreichende Risikovorsorge gewährleistet.</p>
<span class="absatzRechts">136</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">137</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.</p>
<span class="absatzRechts">138</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p>
<span class="absatzRechts">139</span><p class="absatzLinks">Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn</p>
<span class="absatzRechts">140</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">141</span><p class="absatzLinks">1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">142</span><p class="absatzLinks">2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">143</span><p class="absatzLinks">3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">144</span><p class="absatzLinks">4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">145</span><p class="absatzLinks">5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">146</span><p class="absatzLinks">Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.</p>
<span class="absatzRechts">147</span><p class="absatzLinks">Statt in Schriftform kann die Einlegung des Antrags auf Zulassung der Berufung auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.</p>
<span class="absatzRechts">148</span><p class="absatzLinks">Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">149</span><p class="absatzLinks">Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.</p>
<span class="absatzRechts">150</span><p class="absatzLinks">Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p>
<span class="absatzRechts">151</span><p class="absatzLinks"><strong>Beschluss</strong></p>
<span class="absatzRechts">152</span><p class="absatzLinks">Der Wert des Streitgegenstandes wird auf</p>
<span class="absatzRechts">153</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">90.000,00 €</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">154</span><p class="absatzLinks">festgesetzt.</p>
<span class="absatzRechts">155</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe</strong></p>
<span class="absatzRechts">156</span><p class="absatzLinks">Der festgesetzte Streitwert entspricht – entsprechend der aus dem Urteil ersichtlichen Gliederung – für jede der unter 1. bis 9. getroffenen Regelungen jeweils dem gesetzlichen Auffangstreitwert (§ 52 Abs. 2 GKG). Der so ermittelte Wert von 45.000,00 Euro war vorliegend zu verdoppeln, weil das Verfahren zwei Arzneimittel betrifft.</p>
<span class="absatzRechts">157</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p>
<span class="absatzRechts">158</span><p class="absatzLinks">Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, Beschwerde bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">159</span><p class="absatzLinks">Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.</p>
<span class="absatzRechts">160</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">161</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.</p>
<span class="absatzRechts">162</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p>
|
188,472 | vg-koln-2019-01-22-7-k-737115 | {
"id": 844,
"name": "Verwaltungsgericht Köln",
"slug": "vg-koln",
"city": 446,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 7 K 7371/15 | 2019-01-22T00:00:00 | 2019-02-11T11:04:02 | 2019-02-13T12:21:06 | Urteil | ECLI:DE:VGK:2019:0122.7K7371.15.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Bescheid des Bundesamtes für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 24.08.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2015 wird aufgehoben, soweit unter Nr. 3 bezüglich Abschnitt 4.4 der Fachinformation und in Abschnitt 2 der Gebrauchsinformation eine Kontrolle der Leberwerte (GPT und γ-GT) auch in der 3., 5. und 7. Behandlungswoche angeordnet ist. Nr. II des Bescheides vom 24.08.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2015 wird aufgehoben.</p>
<p>              Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.</p>
<p>              Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 7/9 und die Beklagte zu 2/9.</p>
<p>Das Urteil ist für die Klägerin hinsichtlich der Kosten gegen Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages vorläufig vollstreckbar. Für die Beklagte ist es hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>T a t b e s t a n d</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin ist Inhaberin der arzneimittelrechtlichen Zulassung für das Präparat „     Kapseln“. Dabei handelt es sich um einen pflanzlichen Angstlöser (Anxiolytikum) zur Anwendung bei nervösen Angst-, Spannungs- und Unruhezuständen, der als Wirkstoff einen Kava-Kava-Wurzelstock-Trockenextrakt – <em>Piperis methystici rhizoma</em> – in Gestalt eines ethanolischen Auszugs enthält. Die Anwendungsgebiete des Arzneimittels entsprechen den Vorgaben der Monographie der Kommission E vom 01.06.1990 „Nervöse Angst-, Spannungs- und Unruhezustände“. Im Jahre 2001 leitete das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aufgrund von Berichten über Verdachtsfälle von Nebenwirkungen in Gestalt lebertoxischer Effekte bei acetonischen Kava-Kava-Auszügen, insbesondere aus der Schweiz, ein Stufenplanverfahren nach § 63 des Arzneimittelgesetzes (AMG) ein. Nach Anhörung der betroffenen pharmazeutischen Unternehmen widerrief die Beklagte mit Bescheid vom 14.06.2002 erstmals die Zulassungen Kava-Kava- und Kavain-haltiger Arzneimittel bis zu einer homöopathischen Verdünnung von D4. Zum 01.07.2002 wurde die Verschreibungspflicht für derartige Präparate eingeführt. Die Kommission E empfahl in einer Stellungnahme vom 03.07.2002 bestimmte Sicherheitsmaßnahmen. Gegen den Widerruf erhoben die betroffenen Unternehmen Widerspruch, woraufhin das BfArM an der Widerrufsentscheidung nicht festhielt, sondern stattdessen mit Bescheid vom 12.05.2005 ein befristetes Ruhen der betroffenen Zulassungen anordnete.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 21.12.2007 widerrief das BfArM die Zulassungen Kava-Kava- und Kavain-haltiger Arzneimittel und homöopathischer Zubereitungen aus Kava-Kava-Zubereitungen bis zu einer Verdünnung von D4 erneut, da der begründete Verdacht schädlicher Wirkungen auch unter Berücksichtigung der von den betroffenen Unternehmen und ihren Verbänden vorgelegten Unterlagen fortbestehe. Die hiergegen erhobenen Widersprüche wies die Behörde mit Widerspruchsbescheiden vom 21.02.2012 zurück.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Auf die dagegen beim Verwaltungsgericht Köln erhobenen Klagen hob das Gericht mit Urteilen vom 20.05.2014 - 7 K 6971/11 u.a. - die Widerrufsbescheide in Gestalt der Widerspruchsbescheide auf. Die gegen die Urteile seitens der Beklagten eingelegten Berufungen wies das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteilen vom 25.02.2015 - 13 A 1373/14 u.a. - zurück, da die Voraussetzungen für einen Widerruf der Zulassungen nicht erfüllt seien. Zwar sei das Nutzen-Risiko-Verhältnis der betroffenen Präparate derzeit ungünstig, jedoch könne dieser Versagungsgrund ausgeräumt werden, indem die Zulassungen unter Berücksichtigung der von der Kommission E vorgeschlagenen regulatorischen Maßnahmen geändert würden.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Mit Anhörungsschreiben vom 27.03.2015 eröffnete das BfArM ein Stufenplanverfahren der Stufe II.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 30.10.2015 beantragte die Klägerin beim BfArM, die Kommission E zur Nutzen-Risiko-Bewertung von Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln anzuhören und ein Votum darüber einzuholen, ob die im Jahr 2002 vorgeschlagenen Maßnahmen noch dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Das BfArM änderte mit dem hier streitgegenständlichem Bescheid vom 24.08.2015 die Zulassungen Kava-Kava-haltiger Arzneimittel wie folgt:</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">„I. Die Zulassungen der in der Anlage aufgeführten Kava-Kava-haltigen Arzneimittel sind hinsichtlich der</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">1. Dosierung, Anwendergruppe</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">2. Anwendungsdauer,</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">3. behandlungsbegleitenden Verpflichtung zur Bestimmung der Leberwertlaborparameter,</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">4. Wechselwirkungs-, Warn- und Nebenwirkungshinweisen sowie</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">5. Packungsgröße gemäß § 28 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AMG</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">wie folgt zu ändern:</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Zu oben 1. und 2.:</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Dosierung ist unter 4.2 der Fachinformation „Dosierung, Art und Dauer der Anwendung“ und in der Gebrauchsinformation (Abschnitt 3) folgendermaßen zu bezeichnen:</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks"><em>Erwachsene: Die maximale Tagesdosis beträgt 200 mg Kava-Pyrone. Die übliche Behandlungsdauer beträgt einen Monat, maximal 2 Monate.</em></p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Unter 4.3 der Fachinformation „Gegenanzeigen“ und in Abschnitt 2 der Gebrauchsinformation „[] darf nicht eingenommen werden“ ist folgender Text aufzunehmen:</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks"><em>Dieses Arzneimittel darf bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren nicht angewendet werden.</em></p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Zu oben 3. und 4.:</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die <span style="text-decoration:underline">Fachinformation</span> ist im Abschnitt 4.4. „Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung“ zu ergänzen um:</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks"><em>In Einzelfällen wurde über Leberschäden bis hin zu Leberversagen mit lebensbedrohlichem Ausgang (inkl. Todesfälle) im Zusammenhang mit der Einnahme von Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln berichtet. Ein Kausalzusammenhang ist im Einzelfall nicht sicher belegt. Patienten sollten darauf hingewiesen werden, die Einnahme von <Arzneimittelname> sofort zu beenden und einen Arzt aufzusuchen, wenn Zeichen einer Leberschädigung auftreten.</em></p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks"><em>Zur Vermeidung von Leberschäden müssen die Laborwerte (GPT und γ-GT) vor Beginn der Behandlung und während der Behandlung einmal wöchentlich bestimmt werden. Die Bestimmung am Ende der Behandlung wird empfohlen.</em></p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks"><em>Bei der Anwendung von <Arzneimittelname> können Wechselwirkungen mit zahlreichen anderen Arzneistoffen auftreten. Zu diesen Stoffen gehören Substrate und Inhibitoren für das Zytochrom P450 2D6 und potenziell hepatotoxische Medikamente, unter anderem Beta-Rezeptorenblocker, bestimmte Antidepressiva und Arzneimittel der Migränetherapie. Der gleichzeitige Konsum von Alkohol ist zu vermeiden.</em></p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">In die <span style="text-decoration:underline">Gebrauchsinformation</span> ist folgender Hinweis in Abschnitt 2 einzufügen:</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks"><em>Was ist zu tun, um mögliche schwerwiegende Leberprobleme zu vermeiden?</em></p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks"><em>Beenden Sie die Einnahme von <Arzneimittelname> und suchen Sie einen Arzt auf, wenn bei Ihnen Zeichen einer Leberschädigung auftreten (z. B. Gelbfärbung der Haut oder Augen, dunkler Urin, starke Schmerzen im Oberbauch, Appetitverlust). Ihr Arzt kontrolliert Ihre Leberwerte einmal wöchentlich und nach seinem Ermessen am Ende der Behandlung.</em></p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks"><em><Arzneimittelname> kann mit zahlreichen anderen Arzneistoffen mit potentiell leberschädigenden Eigenschaften, unter anderem Beta-Rezeptorenblockern, bestimmten Antidepressiva und Arzneimitteln der Migränetherapie in Wechselwirkung treten und mögliche hepatotoxische Nebenwirkungen verstärken. Der gleichzeitige Konsum von Alkohol ist zu vermeiden.</em></p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Im Abschnitt 4.8 „Nebenwirkungen“ der Fachinformation und in Abschnitt 4 der Gebrauchsinformation ist nachfolgende Formulierung aufzunehmen:</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks"><em>In Einzelfällen wurde über Leberschäden bis hin zu Leberversagen mit lebensbedrohlichem Ausgang (inkl. Todesfälle) im Zusammenhang mit der Einnahme von Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln berichtet. Ein Kausalzusammenhang ist im Einzelfall nicht sicher belegt.</em></p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Zu oben 5.:</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Die Packungsgrößen werden gemäß den Vorgaben des Gerichtes auf 30 Tagesdosen bei einer maximalen Tagesdosis von 200 mg beschränkt.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">II. Die Zulassungen werden mit der Auflage verbunden, im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen der betroffenen Arzneimittel Schulungsmaterial für Patienten zur Verfügung zu stellen (s. Anlage).</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Die Anordnungen beruhten auf § 30 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz i.V.m. Abs. 2a und § 28 Abs. 3b Satz 1 Nr. 2 AMG. In Umsetzung der Urteile des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen seien die Vorschläge der Kommission E zur Minderung des Anwendungsrisikos der betroffenen Arzneimittel zu übernehmen. Darüber hinaus werde durch die Maßnahme das Risiko hepatotoxischer Nebenwirkungen aufgrund der vorliegenden Verdachtsfälle unerwünschter Wirkungen im Zusammenhang mit der Anwendung Kava-Kava-haltiger Arzneimittel angemessen berücksichtigt. Ferner wies die Beklagte darauf hin, dass die Anordnung nach § 30 Abs. 3 Satz 4 AMG sofort vollziehbar sei.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid  vom 15.12.2015 als unbegründet zurück.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Am 22.12.2015 hat die Klägerin – wie die anderen betroffenen Unternehmen in den Verfahren 7 K 7367/15, 7 K 7368/15, 7K 7369/15 und 7 K 7372/15 – Klage erhoben. Sie führt zur Begründung im Wesentlichen aus:</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Die angeordneten Maßnahmen seien im Vergleich zu denen bei deutlich risikoreicheren Arzneimitteln unverhältnismäßig. Sie förderten deren Anwendung und dienten damit nicht der Risikoverminderung. Sie entsprächen auch nicht dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Die Anordnungen Ziffern 1. und 2. zur auf zwei Monate beschränkten Behandlungsdauer und der Verwendungsausschluss bei Kindern seien in der Sache nicht zu rechtfertigen. Immerhin seien Benzodiazepine bei der Behandlung von Kindern zugelassen. Der Hinweis auf mögliche Todesfälle (Ziffern 3. und 4.) stehe außer Verhältnis zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Gerade für Patienten mit Angststörungen seien derart furchterregende Schilderungen nicht therapiefreundlich. Völlig außer Verhältnis stehe die Anordnung der wöchentlichen Bestimmung der Leberwerte. Diese Empfehlungen der Kommission seien in den „Turbulenzen eines akuten Stufenplanverfahrens“ entstanden und bedürften mittlerweile einer Überprüfung unter Beachtung des aktuellen Stands der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Ein angemessenes Monitoring müsse sich an dem etablierten Standard von Maßnahmen für Präparate mit vergleichbaren Risiken orientieren. Jedoch fänden sich bei Präparaten mit weit höheren lebertoxischen Risiken nicht annähernd vergleichbare Angaben. Die Angaben zu Wechselwirkungen seien zu akzeptieren. Der Hinweis auf Leberschäden „bis hin zu Leberversagen mit lebensbedrohlichem Ausgang (inklusive Todesfälle)“ sei in Gebrauchs- und Fachinformationen zu streichen. Die Auflage zur Verwendung von Schulungsmaterialien für Ärzte und Patienten stehe in krassem Widerspruch zu den Anordnungen, die üblicherweise in Fällen vergleichbarer Art getroffen würden. Die Beklagte habe dies auch nicht in einem Stufenplanverfahren zu pelargoniumhaltigen Arzneimitteln für nötig gehalten. Dies begründe einen krassen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot. Die vorgelegte Stellungnahme von <em>Dr. T.      </em> belege, dass die Kommission E in Anwendung der Maßstäbe für Pelargonium hinsichtlich Kava-Kava zu einem anderen Ergebnis komme. Auch im Zusammenhang mit Pelargonium sei im diesbezüglichen Stufenverfahren ein Fall einer erforderlichen Lebertransplantation bekannt gewesen. Die Beurteilung des Schweregrades von lebertoxischen Nebenwirkungen von Kava-Kava beruhe zwangsläufig auf einem Vergleich mit anderen Therapeutika im gleichen Indikationsgebiet. Ein Vergleich der Inzidenzraten für lebertoxische Effekte beispielsweise von Tranquilizern und Neuroleptika im Vergleich zu Kava-Kava-haltigen Präparaten habe der Kommission E im Jahre 2002 nicht vorgelegen. Die Beklagte habe in ihrer Berufungsbegründung zur Bewertung von Falldaten zu Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln das CIOMS-Verfahren als Mittel der Wahl dargestellt, dieses aber zu keinem Zeitpunkt angewandt. Die von ihr verwandte, abweichende Methode anhand der WHO-Kriterien habe Professor Teschke in seinen Publikationen als untauglich kritisiert. Die Bewertungsmethode der Beklagten, die keinen Algorithmus erfordere, führe zu einer erheblichen Überschätzung des Leberrisikos. Damit die Kommission eine notwendige Überprüfung vornehmen könne, solle der Beklagten auferlegt werden, der Kommission E eine Bewertung nach dem CIOMS-Verfahren vorzulegen.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Mit Auflagenbeschluss nach mündlicher Verhandlung vom 24.10.2017 hat die Kammer der Beklagten aufgegeben, eine Stellungnahme der Kommission E zu folgenden Fragen vorzulegen:</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">1. Sind die in der Ergebnisniederschrift der 19. Sitzung vom 03.07.2002 auf Seite 5 vorgeschlagenen Maßnahmen nach dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse noch angemessen für Kava-Kava-haltige Arzneimittel, die als Wirkstoff ausschließlich einen ethanolischen Extrakt von Nobel-Kava enthalten?</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">2. Gibt es Arzneimittel mit vergleichbaren Risiken und weniger eingreifenden Risikomaßnahmen? Falls ja, sollten die vom Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im Bescheid vom 24.08.2015 vorgesehenen Risikomaßnahmen diesen Maßnahmen angepasst werden?</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">3. Sind die Anordnungen des BfArM im Bescheid vom 24.08.2015 zur Behandlungsdauer und zur Anwendung bei Kindern aus pharmazeutischer Sicht gerechtfertigt?</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">4. Ist der für Abschnitt 4.8 „Nebenwirkungen“ der Fachinformationen und für Abschnitt 4 der Gebrauchsinformation angeordnete folgende Hinweis aus pharmazeutischer Sicht gerechtfertigt?</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">„In Einzelfällen wurde über Leberschäden bis hin zu Leberversagen mit lebensbedrohlichem Ausgang (inkl. Todesfälle) im Zusammenhang mit der Einnahme von Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln berichtet. Ein Kausalzusammenhang ist im Einzelfall nicht sicher belegt.“</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">5. Ist die folgende, von der Klägerin vorgeschlagene Angabe zur Frequenz der Bestimmung der Leberwerte aus pharmazeutischer Sicht ausreichend?</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">„Zur Vermeidung von Leberschäden müssen die Laborwerte (GPT und Gamma-GT) vor Beginn der Behandlung und während der Behandlung bestimmt werden, wenn sich Anzeichen von Leberschäden zeigen (siehe Abschnitt Warnhinweise). Nach einem Monat sind die Werte dann zu bestimmen, wenn eine Behandlung für einen weiteren Monat geplant ist.“</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Hält die Kommission E gegebenenfalls eine andere Formulierung aus pharmazeutischer Sicht für angemessen?</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">6. Ist der folgende von der Klägerin vorgeschlagene Warnhinweis zur Lebertoxizität angemessen und ausreichend?</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">„Der Arzt kontrolliert gegebenenfalls Ihre Leberwerte und – nach seinem Ermessen – auch am Ende der Behandlung, insbesondere wenn eine weitere Behandlung geplant ist.“</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Das BfArM hat daraufhin eine Antwort der Kommission E mit Datum vom 14.02.2018 vorgelegt. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 147-152 der Gerichtsakte Bezug genommen. Unter dem 20.07.2018 hat das BfArM das zugehörige Ergebnisprotokoll der 37. Sitzung der Kommission E vorgelegt, das hinsichtlich der Teilnehmer und verschiedener Tagesordnungspunkte geschwärzt war und unter dem TOP 6 „Verschiedenes“ / TOP 6.1 „Bitte des Verwaltungsgerichts um eine aktuelle Stellungnahme der Kommission E“  den Inhalt aber vollständig wiedergibt. Die Klägerin äußerte daraufhin den Verdacht, dass durch die Schwärzungen wesentliche Äußerungen zum Thema verborgen werden sollten. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 18.12.2018 erhielt die Klägerin auf entsprechenden Beschluss der Kammer die Kopie eines auch hinsichtlich der TOP 4.0 bis 4.4 ungeschwärzten Exemplars des Ergebnisprotokolls.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin legt ein Gutachten von <em>Prof. U.</em>       vom 07.09.2018 zur „Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit“ der Bestimmung von Leberwerten, eine Synopse der verschiedenen Formulierungen und weitere Unterlagen vor. In der Sache trägt sie weitergehend vor: Mit der von der Kommission E vorgeschlagenen Tagesdosis von 100-200 mg Kava-Pyrone (bestimmt mittels HPLC) sei sie einverstanden. Dies gelte auch bezüglich der vorgeschlagenen Therapiedauer bis zu 3 Monaten, die nach ärztlicher Einschätzung verlängert werden könne. Sie sei auch bereit, die Kontraindikation „Vorbestehende Lebererkrankungen und erhöhte Leberenzymwerte“ aufzunehmen, wie von der Kommission empfohlen. Dies gelte auch für den Anwendungsausschluss bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren und den Hinweis an die Patienten, die Einnahme bei Zeichen einer Leberschädigung sofort zu beenden. Auch mit den angeordneten Angaben zu Wechselwirkungen sei sie einverstanden. Sie sollten aber im Bereich der Warnhinweise nicht wiederholt werden. Den angeordneten Packungsgrößen von 30 Tagesdosen bei einer maximalen Tagesdosis von 200 mg stimme man zu.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Der Warnhinweis in der Fachinformation „In Einzelfällen wurde...“ könne ersatzlos entfallen, da er nur eine Wiederholung dessen beinhalte, was bereits unter „Nebenwirkungen“ ausgesagt worden sei und Redundanzen zu vermeiden seien. Irreführend sei auch die Angabe, ein Kausalzusammenhang sei <em>im Einzelfall</em> nicht sicher belegt, was den Eindruck erwecke, dass es viele Fälle gebe, in denen der Nachweis geführt sei.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">In Bezug auf die Frequenz der Bestimmung der Leberwerte könne weder den Vorgaben des BfArM noch der Auffassung der Kommission gefolgt werden. Gemäß den Empfehlungen von <em>Prof. U.</em>       solle der Wortlaut vielmehr wie folgt gefasst werden:</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">„Zur Vermeidung von Leberschäden müssen die Leberwerte (GPT und y-GT) vor Beginn der Behandlung und während der Behandlung bestimmt werden, wenn sich Anzeichen von Leberschäden zeigen (siehe Abschnitt Warnhinweise). Im weiteren Verlauf sind die Werte monatlich zu bestimmen, solange die Therapie andauert.“</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Der Patientenschutz sei hierdurch angemessen gewährleistet, wie ein Vergleich mit der Formulierung bei dem Arzneimittel „Ergenyl“ mit weitaus höherem hepatotoxischem Risiko zeige. Die Angaben in der Gebrauchsinformation sollten entsprechend angepasst werden.</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Die Beschreibung der Nebenwirkungen sei, wie vom BfArM gefordert, nicht angemessen und werde dem Risiko nicht gerecht, das in etwa dem bei Pelargonium („Umckaloabo“) entspreche. Dementsprechend solle formuliert werden:</p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">„Fälle von Leberschäden wurden im Zusammmenhang mit der Einnahme von Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln berichtet; die Häufigkeit ist nicht bekannt.</p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Gelegentlich wurde unter der Einnahme eine Erhöhung der Leberwerte beobachtet.“</p>
<span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Dies entspreche der Formulierung des HMPC für Pelargonium.</p>
<span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Die Anordnung von Schulungsmaterial sei unverhältnismäßig. Die Klägerin verweist auch in diesem Zusammenhang auf Pelargonium-haltige Produkte und auf „Ergenyl“.</p>
<span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung vom 18.12.2018 einen Vergleich geschlossen. Wegen des Inhalts wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Die Beklagte hat diesen Vergleich entsprechend dem vereinbarten Vorbehalt am 15.01.2019 widerrufen.</p>
<span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">den Bescheid des BfArM vom 24.08.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2015 aufzuheben.</p>
<span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin in wesentlichen Punkten entgegen. So bestehe kein Grund für eine Verlängerung der Behandlungsdauer. Nach den vorliegenden Daten liege der zeitliche Gipfel des lebertoxischen Potentials bei 3-4 Monaten nach Medikationsbeginn. Unter den ausgewerteten belastbaren Fällen finde sich nur ein lebensbedrohlicher Fall mit einer Anwendungsdauer von unter 8 Wochen. Auch die Kommission führe zur Begründung ihres Vorschlags keine weiteren Daten an. Die Ergänzung des Abschnitts „Gegenanzeigen“ um die Kontraindikationen „vorbestehende Lebererkrankungen“ und „erhöhte Leberenzymwerte“ werde befürwortet.</p>
<span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Der Warnhinweis stehe im Einklang mit den Vorgaben in Abschnitt 4.4 der SmPC-Guideline und sollte beibehalten werden. Die Beklagte schlug jedoch folgende Formulierung vor:</p>
<span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">„Bei der Anwendung von Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln sind Fälle von Leberschädigungen (Anstieg der Leberenzymwerte) sowie Fälle von Leberversagen mit lebensbedrohlichem Ausgang (inkl. Todesfälle) aufgetreten. Patienten sollten darauf hingewiesen werden, die Einnahme von /.../ sofort zu beenden und einen Arzt aufzusuchen, wenn Zeichen einer Leberschädigung auftreten.</p>
<span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich der Kontrolle der Leberwerte zeigte sie sich bereit, der Empfehlung der Kommission E zu folgen und zu formulieren:</p>
<span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">„Zur Erfassung von bestehenden oder sich unter Therapie entwickelnden Leberschäden müssen zumindest die Leberenzyme <em>γ</em>-GT und GPT vor Behandlungsbeginn und nach 1, 2, 4, 6 und 8 Wochen bestimmt werden“,</p>
<span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">in der Gebrauchsinformation:</p>
<span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">„Vor der Behandlung mit /.../ wird Ihr Arzt bzw. Ihre Ärztin einen Bluttest durchführen, um die Leberfunktion zu überprüfen. Ihr Arzt bzw. Ihre Ärztin wird diese Tests nach Therapiebeginn nach 1, 2, 4, 6 und 8 Wochen  wiederholen.“</p>
<span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Eine Vergleichbarkeit mit „Ergenyl“ bestehe nicht, da insoweit umfangreiche Vorab-Untersuchungen vorgesehen seien, die weit über das bei Kava-Kava vorgesehene Maß hinausgingen. Auch seien dort Verlaufskontrollen vorgesehen.</p>
<span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Auch erscheine es unter Berücksichtigung der Ausführungen von <em>Prof. U.</em>       und der erneuten Durchsicht der UAW-Fälle angebracht, die übrigen Informationen in Abschnitt 2 der Gebrauchsinformationen anzupassen und wie folgt zu ergänzen:</p>
<span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">„Was können Sie tun, um mögliche schwerwiegende Leberschäden zu vermeiden?</p>
<span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Beenden Sie die Einnahme von /.../ und suchen Sie einen Arzt auf, sobald Sie ein Anzeichen für eine Leberschädigung bei sich bemerken (z.B. Gelbfärbung der Haut oder Augen, dunkler Urin, Schmerzen im Oberbauch, Übelkeit, Erbrechen, Appetitverlust, Gewichtsverlust, Mattigkeit, Juckreiz, helle Stuhlfarbe und Gelenkbeschwerden)</p>
<span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">...</p>
<span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">/.../ kann mit zahlreichen anderen (leberschädigenden) Arzneistoffen in Wechselwirkung treten und so mögliche Leberschäden verstärken. Dazu gehören unter anderem bestimmte Arzneimittel gegen Bluthochdruck (Beta-Rezeptorenblocker), hormonelle Verhütungsmittel („Antibaby-Pille“), bestimmte Arzneimittel gegen Depressionen und Arzneimittel zur Migränebehandlung. Konsum von Alkohol während der Behandlung sollten Sie vermeiden.“</p>
<span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">Der Hinweis unter Nebenwirkungen sollte wie folgt angepasst werden:</p>
<span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">„Bei der Anwendung von Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln sind Fälle von Leberschädigungen (Anstieg der Leberenzymwerte) sowie Fälle von Leberversagen mit lebensbedrohlichem Ausgang (inkl. Todesfälle) aufgetreten.“</p>
<span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich des Schulungsmaterials zog die Beklagte eine Aufhebung der Auflage in Betracht, sofern die übrigen Risikominimierungsmaßnahmen umgesetzt würden.</p>
<span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Zudem weist die Beklagte darauf hin, dass das Bewertungsverfahren „Kava-Kava“ auf europäischer Ebene mit dem Ergebnis abgeschlossen worden sei, dass wegen des ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses eine Monographie nicht erstellt werden könne.</p>
<span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">Mit Schriftsatz vom 05.12.2018 führt die Klägerin ergänzend aus: Eine Begrenzung der Behandlungsdauer entgegen dem Vorschlag der Kommission sei nicht gerechtfertigt. Leberreaktionen manifestierten sich in der Regel wesentlich früher nach Behandlungsbeginn. Ein späterer Beginn werde nach den CIOMS-Kriterien klinisch als entlastende Beobachtung gewertet. Die Behandlungsdauer könne auch mit dem Hinweis auf die Zulassung von „Ergenyl“ gerechtfertigt werden. Die Vorschläge des BfArM zu Warnhinweisen enthielten weiterhin Redundanzen. Das gelte auch für die neuen Vorschläge zu ergänzenden Angaben, die bereits unter „Wechselwirkungen“ genannt seien. Weiterhin unangemessen seien auch Hinweise auf lebensbedrohlichen Ausgang und Todesfälle. Der Rhythmus der angeordneten Leberwert-Kontrollen müsse sich durchaus an „Ergenyl“ messen lassen. Dieses weise mit „häufigen“ Lebernebenwirkungen (1-10 Patienten von 100 Behandelten im Gegensatz zu 0,008 Fällen bei 1 Mio. Tagesdosen, sofern kausal) ein deutlich höheres Schädigungspotential auf. Es sei nicht einzusehen, weshalb Kava Kava einem deutlich strengeren Regime unterfallen solle.</p>
<span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">Die Bewertung des HMPC rechtfertige keine andere Bewertung des Zulassungsstatus. Die Kommission E habe in Kenntnis dieser Bewertung das Nutzen-Risiko-Verhältnis positiv bewertet. Im Übrigen stehe die Schlussfolgerung des HMPC im Widerspruch zu dem Bewertungsbericht, auf den verwiesen werde. Danach bestehe nach Auffassung der wissenschaftlichen Bewerter des HMPC kein toxikologisch relevantes Risiko bei der Anwendung Kava-Kava-haltiger Arzneimittel.</p>
<span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens wie der Parallelverfahren 7 K 7367/15, 7 K 7368/15, 7 K 7369/15 und 7 K 7372/15 nebst vorgelegter Anlagen sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des BfArM Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks"><strong>E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e</strong></p>
<span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Die Klage ist überwiegend nicht begründet.</p>
<span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">Der Bescheid des BfArM vom 24.08.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2015 ist nur in dem im Urteilstenor bezeichneten Umfang rechtswidrig und verletzt insoweit die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Im Übrigen ist er rechtmäßig. Die Änderungen der Texte finden in diesen Punkten ihre Rechtsgrundlage in § 30 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz i.V.m. Abs. 2a Satz 1 AMG.</p>
<span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz AMG ist die Zulassung eines Arzneimittels zu widerrufen, wenn einer der Versagungsgründe des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, 5, 5a, 6 oder 7 AMG nachträglich eingetreten ist. Dies ist hinsichtlich des Versagungsgrundes eines ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses (Nr. 5) hier der Fall. Das OVG hat in den Berufungsentscheidungen zu Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln – auch zu den Präparaten der Klägerin – nach eingehender Auseinandersetzung mit allen verfügbaren wissenschaftlichen Quellen dargelegt, dass die Produkte zwar weiterhin einen belegten Nutzen bei leichten bis mittelschweren Formen von Angststörungen haben, dem aber nicht unerhebliche Anwendungsrisiken in Form hepatotoxischer Ereignisse gegenüberstehen, die durch entsprechende Fallberichte belegt und auch durch die Einwände der Klägerseite, namentlich zur Vergleichbarkeit der verwendeten Extrakte, nicht durchgreifend erschüttert sind. Vor diesem Hintergrund ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Auswertung der vorliegenden Ergebnisse <em>für</em> die Annahme eines begründeten Verdachts leberschädigender Wirkungen spricht. Es hat diese Bewertung im Rahmen der Nutzen-Risiko-Abwägung allerdings angesichts der uneinheitlichen Studienlage, fehlender Erkenntnisse zu konkret lebertoxischen Bestandteilen von Kava-Kava und entsprechenden Wirkmechanismen sowie einer bei 250 Millionen Tagesdosen in zehn Jahren geringen Inzidenzrate relativiert. Hierbei hat das Gericht den Umstand hervorgehoben, dass auch der vom BfArM herangezogene Bericht der Expertengruppe der WHO sich auf alle Arten Kava-Kava-haltiger Arzneimittel bezieht und die getroffene Risikoaussage nicht nach Extrakt und Kultivar differenziert. Hiernach und unter Wertung der vom BfArM vorgenommenen Risikoeinschätzung kommt das OVG NRW zu dem Schluss eines <em>derzeit</em> ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses, dem durch risikominimierende Maßnahmen auf der Grundlage der Stellungnahme der Kommission E aus dem Jahre 2002 begegnet werden kann.</p>
<span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">              OVG NRW, Urteile vom 25.02.2015 - 13 A 1371/14 u.a.-, juris.</p>
<span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">Die Kammer folgt diesem Ansatz. Er beruht auf einer eingehenden Auseinandersetzung mit der zu Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln bestehenden Erkenntnislage, die den Beteiligten bekannt ist und hier nicht wiederholt zu werden braucht, und führt zur Anwendung des § 30 Abs. 2a Satz 1 AMG, der in seiner seit Inkrafttreten des 2. Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 19.10.2012 (BGBl. I S. 2192) geltenden Fassung unmittelbar, d.h. ohne den Erlass einer Auflage, eine behördliche Änderung des Zulassungsinhalts gebietet, wenn hiermit der Versagungsgrund entfällt. Die Norm ist eine Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und aus diesem Grunde bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen gegenüber dem Widerruf der Zulassung vorrangig.</p>
<span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">              OVG NRW, Urteile vom 25.02.2015 - 13 A 1371/14 u.a. -, juris, Rnr. 164.</p>
<span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">Ihre Voraussetzungen in Bezug auf das Nutzen-Risiko-Verhältnis haben sich seit Abschluss der Berufungsverfahren auch nicht durch neues Erkenntnismaterial verändert. Dies gilt auch im Hinblick auf das klägerseits vorgelegte Gutachten von <em>Prof. U.</em>       vom 07.09.2018 zur „Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit“ der Bestimmung von Leberwerten, das sich nicht mit der grundlegenden Nutzen-Risiko-Bewertung, sondern mit dem Sinn einer Einzelmaßnahme beschäftigt. Soweit die Kommission E für die phytopharmazeutische Therapierichtung – aufbauend auf der Ergebnisniederschrift vom 03.07.2002 – auch in der Beantwortung der gerichtlichen Anfrage (Ergebnisprotokoll vom 14.02.2018) weiterhin von einem positiven Nutzen-Risiko-Verhältnis auszugehen scheint, ergibt sich nichts Abweichendes. Denn aus ihrer fachlichen Sicht hält auch die Kommission E risikominimierende Maßnahmen weiterhin für erforderlich. Dem ist auch die Klägerin nicht grundsätzlich entgegengetreten, sondern bestreitet die Rechtmäßigkeit der Einzelmaßnahmen.</p>
<span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">Prüfungsgegenstand im gerichtlichen Verfahren sind die Anordnungen des Bescheides vom 24.08.2015, die im Widerspruchsverfahren unverändert geblieben sind. Soweit die Beklagte nach Klageerhebung Modifikationen der Texte vorgeschlagen und eine Aufhebung der Auflage zum Schulungsmaterial in Aussicht gestellt hat, bleibt dies hier außer Betracht. Denn es handelt sich hierbei um Erklärungen im Rahmen des Bemühens, den Rechtsstreit gütlich beizulegen; eine förmliche Änderung des Bescheidtenors beinhalteten die Vorschläge nicht. Ebenfalls unberücksichtigt bleiben die Vorschläge der Klägerin, Teile der angeordneten Texte zu übernehmen, da sie für den Fall des Widerrufs des Vergleichs an dem Anfechtungsantrag uneingeschränkt festgehalten hat.</p>
<span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">Beweisbelastet für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen der streitgegenständlichen Änderungen des Zulassungsinhalts ist die Beklagte. Denn Anordnungen nach § 30 Abs. 2a Satz 1 AMG sind ein Unterfall des Widerrufs und der Rücknahme einer Zulassung. Hier wie dort wird in den vorhandenen Zulassungsbestand eingegriffen. Anders als im Zulassungsverfahren ist es an der Behörde, die Gründe für einschränkende Maßnahmen darzulegen und zu belegen. Verbleibende durchgreifende Zweifel gehen zu ihren Lasten. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewertung der Sach- und Rechtslage ist im gerichtlichen Verfahren derjenige der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz. Nur so kann im Interesse des übergeordneten Ziels der Arzneimittelsicherheit neuen Erkenntnissen Rechnung getragen werden,</p>
<span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">vgl. OVG NRW, Urteile vom 25.02.2015 - 13 A 1371/14 u.a. -, juris, Rnr. 50-54; Krüger, in: Kügel/Müller/Hoffmann, Arzneimittelgesetz, 2. Auflage 2016, § 30 Rn. 11; Lietz, in: Hdb. Arzneimittelrecht, 2. Auflage 2014, § 9 Rn. 23; Rehmann, Arzneimittelgesetz, 4. Auflage 2014, § 30 Rn. 2.</p>
<span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">Dies vorausgeschickt gilt für die Anordnungen des Bescheides vom 24.08.2015 – soweit rechtmäßig – folgendes:</p>
<span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">1.</p>
<span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">Die Beschränkung der Tagesdosis auf 200 mg Kava-Pyrone und der Behandlungsdauer auf einen Monat, maximal zwei Monate unter 4.2 der Fachinformation und in Abschnitt 3 der Gebrauchsinformation ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Nachweis von Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arzneimittels und damit eines positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses ist untrennbar mit dem gewählten Dosierungsregime verbunden, das sich in klinischen Studien, im Fall bekannter Stoffe auch in der klinischen Anwendung als Optimum erwiesen hat und die Parameter Wirksamkeit und Verträglichkeit bestmöglich ausbalanciert. Eine empfohlene Dosierung liegt dabei möglicherweise unterhalb derjenigen, die eine maximale Wirkung erwarten ließe, wenn die damit verbundenen erhöhten Risiken nicht mehr vertretbar wären und das Nutzen-Risiko-Verhältnis negativ wäre.</p>
<span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">              Schraitle, in: Hdb. Arzneimittelrecht, 2. Auflage 2014, § 6 Rn. 93</p>
<span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks">Die nunmehr bestimmte Tages-Höchstdosis von 200 mg Kava-Pyrone weicht nur formal von der seitens der Kommission in ihrer Stellungnahme vom 03.07.2002 zur Risikominimierung empfohlenen Tagesmenge von 120 mg ab. Soweit sie in der aktuellen Stellungnahme vom 14.02.2018 eine Tagesdosis von 100-200 mg empfiehlt, beruht dies auf einer Änderung der Messmethode. Die Gehaltsbestimmung wird nunmehr mittels HPLC („Hochleistungsflüssigkeitschromatographie“) vorgenommen, was veränderte Werte zur Folge hat. Auch die Klägerin hat gegen die Begrenzung der Dosierung keine Einwände erhoben.</p>
<span class="absatzRechts">101</span><p class="absatzLinks">Die Dauer der Anwendung eines Arzneimittels hängt von seinem Anwendungsgebiet und seinem Sicherheitsprofil ab. Eine besondere Rolle spielt hierbei, für welchen Zeitraum sicherheitsrelevante Daten vorliegen.</p>
<span class="absatzRechts">102</span><p class="absatzLinks">              Vgl. Schraitle, in: Hdb. Arzneimittelrecht, 2. Auflage 2014, § 6 Rn. 94</p>
<span class="absatzRechts">103</span><p class="absatzLinks">Die Kammer geht davon aus, dass die Gefahr hepatotoxischer Ereignisse mit der Dauer der Verabreichung eines potentiell leberschädigenden Stoffes tendenziell zunimmt. Die Darstellung der Klägerin, lebertoxische Ereignisse manifestierten sich regelmäßig früher und ein späteres Auftreten werde nach den CIOMS (Council for International Organisations of Medical Sciences) – Kriterien sogar als entlastend gewertet, ist demgegenüber nicht nachvollziehbar und auch nicht näher belegt. Zwar ist angesichts der allgemein uneinheitlichen Quellenlage fraglich, ob eine zeitliche Begrenzung mit dem Argument begründet werden kann, der zeitliche Gipfel der Lebertoxizität liege bei 3-4 Monaten nach Behandlungsbeginn und unter den ausgewerteten belastbaren Einzelfällen befinde sich nur ein Fall mit einer Behandlungsdauer unter 8 Wochen. In der Stellungnahme der Kommission E vom 03.07.2002 kommt aber das Bestreben zum Ausdruck, eine Langzeitbehandlung mit Kava Kava zu vermeiden, zumal der Nutzen einer solchen Anwendung nicht durch Langzeitstudien belegt ist. Das BfArM weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass die einzig kontrollierte Studie über 12 Wochen von <em>Warnecke et al.</em> (1990) das Anwendungsgebiet „Klimakterisches Syndrom“ mit nur 40 Patientinnen erfasste und insgesamt für ethanolische Extrakte keine Studie vorliegt, die den Vorgaben der CHMP-Guideline zur Prüfung von Angststörungen (CPMP/EWP/4284/02 vom 20.01.2005) entspricht. Alle anderen Studien beziehen sich auf einen kürzeren Untersuchungszeitraum. Dem entspricht auch die aktuelle Bewertung der EMA im Public statement on Piper methysticum G. Forst, rhizoma (final) vom 21.11.2017 (EMA/HMPC/450589/2016). Im Fall eines unbelegten Nutzens einer Langzeitbehandlung sind deren Risiken umso weniger zu akzeptieren, was Einzelmeldungen lebertoxischer Ereignisse bei einer längeren Anwendungsdauer umso größeres Gewicht verleiht. Vor diesem Hintergrund erschließt es sich nicht, weshalb die Kommission E in ihrer aktuellen Stellungnahme von der 2002 empfohlenen Therapiedauer von maximal 2 Monaten abweicht und sich nunmehr bei weitgehend unveränderter Quellenlage für eine Therapiedauer von maximal 3 Monaten ausspricht. Der Umstand der ärztlichen Kontrolle kann hierfür nicht maßgebend sein, da eine Unterstellung unter die Verschreibungspflicht und die regelmäßige Kontrolle der Leberwerte bereits der Empfehlung aus dem Jahre 2002 entsprachen. Auch unter Berücksichtigung der begleitenden Kontrolle der Leberwerte sieht die Kammer daher unter Risikoaspekten eine zeitliche Begrenzung der Behandlungsdauer auf zwei Monate als angemessen an, zumal die Begrenzung durch den Hinweis auf eine „übliche“ Behandlungsdauer relativiert wird.</p>
<span class="absatzRechts">104</span><p class="absatzLinks">2.</p>
<span class="absatzRechts">105</span><p class="absatzLinks">Der Ausschluss der Anwendung bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren in Gebrauchs- und Fachinformation gründet auf fehlendem Erkenntnismaterial zu dieser Anwendergruppe. Es entspricht aktuellem wissenschaftlichem Stand, dass sich Erkenntnisse aus der Anwendung eines Arzneimittels bei Erwachsenen nicht ohne weiteres auf Kinder und Jugendliche übertragen lassen. Dem hat der europäische Gesetzgeber durch die VO (EG) Nr. 1901/2006 u.a. durch die besondere Berücksichtigung von Kindern im Bereich klinischer Prüfungen von Arzneimitteln, bei der Zulassung einschließlich der Bestimmungen über das pädiatrische Prüfkonzept und die Kennzeichnung von Arzneimitteln, die für diese Anwendergruppe zugelassen sind, Rechnung getragen,</p>
<span class="absatzRechts">106</span><p class="absatzLinks">vgl. Urteil der Kammer vom 18.12.2018 - 7 K 6160/16 -; Lehmann, in: Hdb. Arzneimittelrecht, 2. Auflage 2014, § 7 Rn. 24-94 m.w.N.</p>
<span class="absatzRechts">107</span><p class="absatzLinks">Der Anwendungsausschluss entspricht der aktuellen Empfehlung der Kommission E und ist von der Klägerin im vorliegenden Verfahren mit dem Argument, vergleichbare chemische Arzneimittel seien für die Kinderanwendung zugelassen, nicht überzeugend entkräftet. Denn die Nutzen-Risiko-Bewertung hat für das Arzneimittel individuell zu erfolgen.</p>
<span class="absatzRechts">108</span><p class="absatzLinks">3.</p>
<span class="absatzRechts">109</span><p class="absatzLinks">Keine rechtlichen Bedenken bestehen gegen den unter 4.4 der Fachinformation „Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung“ vorgeschriebenen Text „In Einzelfällen wurde über Leberschäden bis hin zu Leberversagen mit lebensbedrohlichem Ausgang (inkl. Todesfälle) im Zusammenhang mit der Einnahme von Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln berichtet. Ein Kausalzusammenhang ist im Einzelfall nicht sicher belegt. Patienten sollten darauf hingewiesen werden, die Einnahme von <Arzneimittelname> sofort zu beenden und einen Arzt aufzusuchen, wenn Zeichen einer Leberschädigung auftreten.“ Besondere Warn- und Vorsichtshinweise zählen nach § 11a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 lit. d) AMG zu den Pflichtangaben im klinischen Teil der Fachinformation. Als Teil der klinischen Angaben zum Arzneimittel beschreiben sie bestehende Anwendungsrisiken und ermöglichen eine ärztliche Risikoabschätzung im Einzelfall. Sie unterliegen dem Richtigkeitsgebot, d.h. dass erforderlichenfalls auch auf verbleibende Unsicherheiten in der Risikobewertung hingewiesen werden muss.</p>
<span class="absatzRechts">110</span><p class="absatzLinks">Vgl. Menges/Winnands, in: Hdb. Arzneimittelrecht, 2. Auflage 2014, § 19 Rn. 34 und 51; Pannenbecker, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, 2. Auflage 2016, § 11a Rn. 10-14.</p>
<span class="absatzRechts">111</span><p class="absatzLinks">Die im Bescheid vom 24.08.2015 gewählte Formulierung wird diesen Anforderungen gerecht. Auch die Klägerin bestreitet nicht, dass in Einzelfällen über die angesprochenen Leberschäden berichtet wurde. Diese teils gravierenden Folgen hervorzuheben und Patienten aufzufordern, bei Anzeichen von Leberschädigungen die Einnahme zu beenden, drängt sich auf. Da der Text nicht auf bestimmte Extrakte und Kultivare bezogen ist und die bestehende Unsicherheit in der Kausalitätsbewertung anspricht, wird er der nach wie vor heterogenen Quellenlage gerecht. Soweit es bei der gewählten Formulierung zu Dopplungen zwischen den Angaben zu Nebenwirkungen und den hier fraglichen Warnhinweisen kommt, ist dies durch den Sachzusammenhang der klinischen Angabe bedingt. Die Aufforderung, Patienten bei Anzeichen einer Leberschädigung zum Absetzen des Mittels anzuhalten, wird ebenso wie die regelmäßige Kontrolle der Leberwerte erst im Zusammenhang verständlich, wenn die Gefahr der Nebenwirkung bekannt ist. Da § 11a Abs. 1 Satz 2 AMG wie die SmPC-Guideline der Kommission vom September 2009 die Reihenfolge der Warn- und Vorsichtshinweise vor den Angaben der Nebenwirkungen zwingend vorgeben, ergibt sich die Notwendigkeit ihrer Angabe mit einer gewissen Zwangsläufigkeit.</p>
<span class="absatzRechts">112</span><p class="absatzLinks">Dem steht nicht der Einwand entgegen, gerade Patienten mit Angststörungen könnten durch die Angabe möglicherweise tödlicher Folgen verschreckt und von einer medizinisch gebotenen Anwendung der Präparate abgehalten werden. Es ist kein rechtlich fundierter Ansatz erkennbar, nach dem die Gestaltung der Pflichttexte vom Anwenderkreis abhängig gemacht werden könnte, bestimmten Anwendern mit Rücksicht auf die Indikation an sich gebotene Angaben also verschwiegen werden könnten. Insbesondere Risikoangaben haben objektiven Anforderungen zu genügen. Ansatzpunkte für eine psychisch geringer belastende Formulierung sind nicht erkennbar. In Bezug auf die Fachinformation tritt der Umstand hinzu, dass diese dem Patienten in der Regel nicht vorliegt. Eine Veröffentlichung ist nur bei nach der VO (EG) Nr. 726/2004 zentral zugelassenen Arzneimitteln vorgesehen. Die Zusammenfassungen der Produktinformation sind insoweit auf der Internet-Seite der EMA jederzeit abrufbar. Im Bereich nationaler Zulassungen ist eine Übermittlung an Laien zwar auf freiwilliger Basis erlaubt, eine diesbezügliche Verpflichtung besteht indes nicht.</p>
<span class="absatzRechts">113</span><p class="absatzLinks">Vgl. Kloesel/Cyran, AMG-Kommentar (Loseblatt, Stand 132. Lieferung 2017), § 11a Erl. 9 und 10.</p>
<span class="absatzRechts">114</span><p class="absatzLinks">4.</p>
<span class="absatzRechts">115</span><p class="absatzLinks">Die angeordneten Angaben zu den Wechselwirkungen in der Fachinformation sind nach § 11a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 lit. e) AMG geboten. Sie entsprechen bereits den Empfehlungen der Kommission E aus dem Jahre 2002 und werden von der Klägerin fachlich nicht in Frage gestellt. Dies gilt namentlich für den Hinweis auf potentiell leberschädigende Medikamente und die Vermeidung von Alkohol.</p>
<span class="absatzRechts">116</span><p class="absatzLinks">5.</p>
<span class="absatzRechts">117</span><p class="absatzLinks">Soweit in Abschnitt 2 der Gebrauchsinformation auf das Verhalten im Fall eines Verdachts auf Leberschädigung bzw. auf die angesprochenen Wechselwirkungen hinzuweisen ist und auf die regelmäßige Kontrolle der Leberwerte verwiesen wird, zielt der Bescheid auf Pflichtangaben für die Packungsbeilage nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 lit. c) und d) AMG, die aus den gleichen Gründen geboten sind wie die analogen Formulierungen in der Fachinformation. Redaktionell anzupassen sind allerdings die Angaben zum Rhythmus der Leberwert-Kontrollen (vgl. unter 8.).</p>
<span class="absatzRechts">118</span><p class="absatzLinks">6.</p>
<span class="absatzRechts">119</span><p class="absatzLinks">Die übereinstimmenden Formulierungen unter 4.8 „Nebenwirkungen“ der Fachinformation und in Abschnitt 4 der Gebrauchsinformation „In Einzelfällen wurde über Leberschäden bis hin zu Leberversagen mit lebensbedrohlichem Ausgang (inkl. Todesfälle) im Zusammenhang mit der Einnahme von Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln berichtet. Ein Kausalzusammenhang ist im Einzelfall nicht sicher belegt.“ sind aus den unter 3 dargestellten Gründen rechtlich nicht zu beanstanden. Die im gerichtlichen Verfahren streitige Formulierung „im Einzelfall“ ist als solche nicht missverständlich oder sinnentstellend. Sie als Hinweis auf eine Vielzahl von Nebenwirkungsfällen misszuverstehen, liegt im Gesamtzusammenhang des Satzes fern.</p>
<span class="absatzRechts">120</span><p class="absatzLinks">7.</p>
<span class="absatzRechts">121</span><p class="absatzLinks">Vorgaben zur Packungsgröße müssen therapiegerecht sein, also allgemein den Anwendungsgebieten des Arzneimittels und der vorgesehenen Dauer der Anwendung im Sinne des § 28 Abs. 2 Nr. 4 AMG entsprechen.</p>
<span class="absatzRechts">122</span><p class="absatzLinks">Vgl. Urteil der Kammer vom 22.11.2005 - 7 K 5513/03 -, bestätigt durch OVG NRW, Beschluss vom 21.08.2008 - 13 A 44/06 -.</p>
<span class="absatzRechts">123</span><p class="absatzLinks">Im Rahmen einer Risikoentscheidung nach § 30 Abs. 2a Satz 1 AMG müssen sie zudem geboten sein, dem Versagungsgrund abzuhelfen. Die Vorgabe einer Packungsgröße von 30 Tagesdosen entspricht der unter Risikoaspekten auf einen Monat begrenzten Regel-Anwendungsdauer. Sie findet sich bereits in der Stellungnahme der Kommission aus dem Jahr 2002 und wird von der Klägerin gleichfalls nicht in Frage gestellt.</p>
<span class="absatzRechts">124</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich des verbleibenden Teils sind die getroffenen Anordnungen zum Teil oder in vollem Umfang rechtswidrig und daher aufzuheben:</p>
<span class="absatzRechts">125</span><p class="absatzLinks">8.</p>
<span class="absatzRechts">126</span><p class="absatzLinks">Die Anordnung, zur Vermeidung von Leberschäden die Leberwerte (GPT und γ-GT) vor Beginn der Behandlung und während der Behandlung einmal wöchentlich zu bestimmen, ist hinsichtlich des engmaschigen wöchentlichen Untersuchungsrhythmus nicht durch nachvollziehbare Risikoaspekte belegt. Dies geht zu Lasten der Beklagten. Zwar hat die Kommission E in ihrer Stellungnahme aus dem Jahr 2002 noch Untersuchungen in wöchentlicher Abfolge empfohlen. In ihrer aktuellen Stellungnahme spricht sie sich jedoch für einen Rhythmus von 1, 2, 4, 6 und 8 Wochen aus. In beiden Fällen ergeben sich aus den Ergebnisprotokollen keine dezidierten Begründungen für die eine oder die andere Empfehlung. Festzuhalten bleibt indes, dass die sachverständige Kommission den Vorschlag der Klägerin einer nur anlassbezogenen Kontrolle („gegebenfalls“) ausdrücklich verwirft und sich für regelmäßige und zwingende Kontrollen ausspricht. Die Kammer geht mangels anderweitiger Anhaltspunkte davon aus, dass bei der Bestimmung des Rhythmus der Kontrollen ein gewisser medizinischer Einschätzungsspielraum besteht, innerhalb dessen eine eindeutig richtige oder eindeutig falsche Festlegung kaum zu bestimmen ist. Für diese Sichtweise spricht, dass sich im Verlauf des Verfahrens auch das BfArM bereit erklärt hat, der aktuellen Vorgabe der Kommission E in diesem Punkt zu folgen.</p>
<span class="absatzRechts">127</span><p class="absatzLinks">Ein Verzicht auf zwingende regelmäßige Kontrollen kann demgegenüber nicht mit dem Hinweis auf abweichende Kontrollintervalle bei anderen Arzneimitteln, hier insbesondere „Ergenyl chrono“ mit dem potentiell lebertoxischen Wirkstoff Ergenyl-Valproat begründet werden. Die nach § 30 Abs. 2a Satz 1 AMG getroffenen Anordnungen fußen auf einer Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses des jeweiligen Arzneimittels. Als Abwägungsentscheidung bietet diese Bewertung keinen Raum für eine generalisierende Betrachtung unter Einschluss anderer potentiell leberschädigender Arzneimittel. Entsprechende Vergleiche, insbesondere bei Risikoentscheidungen, leiden schon im Ansatz unter der Schwierigkeit, eine Vergleichbarkeit der Präparate zu begründen und hätten im Erfolgsfall das Einpendeln auf dem jeweils niedrigsten Sicherheitsniveau zur Folge. Dessen ungeachtet unterliegt auch „Ergenyl chrono“ einem durchaus engmaschigen Sicherheitsregime, welches das BfArM in seinem Schriftsatz vom 13.11.2018 zutreffend beschreibt.</p>
<span class="absatzRechts">128</span><p class="absatzLinks">Nachvollziehbare Anhaltspunkte für die Annahme, regelmäßige Leberwertkontrollen seien zur Risikominimierung generell ungeeignet und Hinweise an den Patienten auf die Symptome einer Leberschädigung seien wichtiger – so Prof. U.       im Gutachten vom 07.09.2018 – bestehen demgegenüber nicht. Sie gründet sich auf dem leberschädigenden Potential vieler anderer Arzneistoffe, bei denen regelmäßige Kontrollen nicht oder weitmaschiger angeordnet sind, ist damit aber demselben Einwand ausgesetzt wie Vergleichsbetrachtungen bei der Risikobewertung allgemein. Auch geht Prof. U.       insgesamt von einem äußerst geringen Risiko Kava-Kava-haltiger Präparate aus, was angesichts der aktuellen Negativ-Monographie des HMPC vom 21.11.2017 deutlichen Zweifeln unterliegt.</p>
<span class="absatzRechts">129</span><p class="absatzLinks">9.</p>
<span class="absatzRechts">130</span><p class="absatzLinks">Die unter II. des Bescheides vom 24.08.2015 angeordnete Auflage, Schulungsmaterial in Gestalt eines anliegenden Patientenheftes zur Verfügung zu stellen, ist rechtswidrig.</p>
<span class="absatzRechts">131</span><p class="absatzLinks">Ob für die Anordnung eines Patientenheftes über die textliche Gestaltung der Gebrauchsinformation hinaus eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage besteht, kann letztlich offen bleiben.</p>
<span class="absatzRechts">132</span><p class="absatzLinks">Der im Bescheid herangezogene § 28 Abs. 3 b Satz 1 Nr. 2 AMG ist jedenfalls nicht einschlägig, da er zur nachträglichen Anordnung von Unbedenklichkeitsprüfungen ermächtigt. In Betracht kommt, das Schulungsmaterial als Teil eines Risikomanagement-Systems aufzufassen und damit Nr. 1 der Norm anzuwenden. Ob Schulungsmaterial an den Patienten generell unter Nr. 1 der Norm gefasst werden kann, ist in der Rechtsprechung ungeklärt. Der Begriff des Risikomanagement-Systems ist identisch mit den nunmehr nach § 22 Abs. 5 a AMG bei Neuzulassungsanträgen vorzulegenden Unterlagen. § 4 Abs. 36 AMG definiert auf der Grundlage des Art. 1 Nr. 28 lit. b der RL 2001/83/EG das Risiko-Management-System als die Summe der Tätigkeiten im Bereich der Pharmakovigilanz und Maßnahmen, durch die Risiken in Zusammenhang mit einem Arzneimittel ermittelt, beschrieben, vermieden oder minimiert werden sollen.</p>
<span class="absatzRechts">133</span><p class="absatzLinks">Zu den Einzelheiten vgl. Thiele, in: Hdb. Arzneimittelrecht, 2. Auflage 2014, § 26 Rnr. 29 ff.; Schickert, in: Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2. Auflage 2016, § 4 Rnr. 261-270.</p>
<span class="absatzRechts">134</span><p class="absatzLinks">Ob hierunter ein Patientenheft im Sinne einer risikovorsorgenden Maßnahme gefasst werden kann, kann jedoch auf sich beruhen. Denn die getroffene Anordnung des BfArM ist jedenfalls nicht erforderlich und mithin unverhältnismäßig. Das dem Bescheid beigefügte Patientenheft erschöpft sich in einer wiederholenden Darstellung dessen, was bereits aus der Gebrauchsinformation für den Patienten ersichtlich ist. Weshalb es unter Aspekten der Risikovorsorge einer zusätzlichen Information bedarf, erschließt sich nicht. Auch der streitgegenständliche Bescheid liefert hierfür keine nachvollziehbare Begründung. Er verweist lediglich darauf, dass es sich um eine weitere Risikominimierungsmaßnahme handele, was keine inhaltliche Begründung ist. Vor dem Hintergrund der aufgrund der Verschreibungspflicht und der obligatorischen Leberwert-Kontrollen ohnedies notwendigen Arztbesuche besteht kein rechtfertigender Grund für eine die Angaben der Gebrauchsinformation zum Teil in anderer druckgraphischer Gestaltung wiederholende Patienteninformation.</p>
<span class="absatzRechts">135</span><p class="absatzLinks">Vergleichbares gilt für die beigefügte Erinnerungskarte, die keinen eigenständigen Informationswert hat und nicht wesentlich über die Terminszettel hinausgeht, die seitens der Ärzteschaft den Patienten oftmals ohnehin ausgehändigt werden. Da die Überwachung der Kontrollintervalle dem behandelnden Arzt obliegt und mit diesem die Termine vereinbart werden, ist eine hinreichende Risikovorsorge gewährleistet.</p>
<span class="absatzRechts">136</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">137</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.</p>
<span class="absatzRechts">138</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p>
<span class="absatzRechts">139</span><p class="absatzLinks">Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn</p>
<span class="absatzRechts">140</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">141</span><p class="absatzLinks">1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">142</span><p class="absatzLinks">2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">143</span><p class="absatzLinks">3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">144</span><p class="absatzLinks">4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">145</span><p class="absatzLinks">5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">146</span><p class="absatzLinks">Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.</p>
<span class="absatzRechts">147</span><p class="absatzLinks">Statt in Schriftform kann die Einlegung des Antrags auf Zulassung der Berufung auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.</p>
<span class="absatzRechts">148</span><p class="absatzLinks">Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">149</span><p class="absatzLinks">Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.</p>
<span class="absatzRechts">150</span><p class="absatzLinks">Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p>
<span class="absatzRechts">151</span><p class="absatzLinks"><strong>Beschluss</strong></p>
<span class="absatzRechts">152</span><p class="absatzLinks">Der Wert des Streitgegenstandes wird auf</p>
<span class="absatzRechts">153</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">45.000,00 €</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">154</span><p class="absatzLinks">festgesetzt.</p>
<span class="absatzRechts">155</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe</strong></p>
<span class="absatzRechts">156</span><p class="absatzLinks">Der festgesetzte Streitwert entspricht – entsprechend der aus dem Urteil ersichtlichen Gliederung – für jede der unter 1. bis 9. getroffenen Regelungen jeweils dem gesetzlichen Auffangstreitwert von 5.000,00 Euro (§ 52 Abs. 2 GKG).</p>
<span class="absatzRechts">157</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p>
<span class="absatzRechts">158</span><p class="absatzLinks">Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, Beschwerde bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">159</span><p class="absatzLinks">Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.</p>
<span class="absatzRechts">160</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">161</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.</p>
<span class="absatzRechts">162</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p>
|
188,471 | vg-koln-2019-01-22-7-k-736815 | {
"id": 844,
"name": "Verwaltungsgericht Köln",
"slug": "vg-koln",
"city": 446,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 7 K 7368/15 | 2019-01-22T00:00:00 | 2019-02-11T11:04:01 | 2019-02-13T12:21:06 | Urteil | ECLI:DE:VGK:2019:0122.7K7368.15.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Bescheid des Bundesamtes für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 24.08.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2015 wird aufgehoben, soweit unter Nr. 3 bezüglich Abschnitt 4.4 der Fachinformation und in Abschnitt 2 der Gebrauchsinformation eine Kontrolle der Leberwerte (GPT und γ-GT) auch in der 3., 5. und 7. Behandlungswoche angeordnet ist. Nr. II des Bescheides vom 24.08.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2015 wird aufgehoben.</p>
<p>Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.</p>
<p>              Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 7/9 und die Beklagte zu 2/9.</p>
<p>Das Urteil ist für die Klägerin hinsichtlich der Kosten gegen Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages vorläufig vollstreckbar. Für die Beklagte ist es hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>T a t b e s t a n d</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin ist Inhaberin der arzneimittelrechtlichen Zulassungen für die Präparate „                  Kapseln“, „              Tropfen“, „           Tropfen“ und „             Dragees“. Dabei handelt es sich um pflanzliche Angstlöser (Anxiolytika) zur Anwendung bei nervösen Angst-, Spannungs- und Unruhezuständen, die als Wirkstoff einen Kava-Kava-Wurzelstock-Trockenextrakt – <em>Piperis methystici rhizoma</em> – in Gestalt eines ethanolischen Auszugs enthalten. Die Anwendungsgebiete der Arzneimittel entsprechen den Vorgaben der Monographie der Kommission E vom 01.06.1990 „Nervöse Angst-, Spannungs- und Unruhezustände“. Im Jahre 2001 leitete das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aufgrund von Berichten über Verdachtsfälle von Nebenwirkungen in Gestalt lebertoxischer Effekte bei acetonischen Kava-Kava-Auszügen, insbesondere aus der Schweiz, ein Stufenplanverfahren nach § 63 des Arzneimittelgesetzes (AMG) ein. Nach Anhörung der betroffenen pharmazeutischen Unternehmen widerrief die Beklagte mit Bescheid vom 14.06.2002 erstmals die Zulassungen Kava-Kava- und Kavain-haltiger Arzneimittel bis zu einer homöopathischen Verdünnung von D4. Zum 01.07.2002 wurde die Verschreibungspflicht für derartige Präparate eingeführt. Die Kommission E empfahl in einer Stellungnahme vom 03.07.2002 bestimmte Sicherheitsmaßnahmen. Gegen den Widerruf erhoben die betroffenen Unternehmen Widerspruch, woraufhin das BfArM an der Widerrufsentscheidung nicht festhielt, sondern stattdessen mit Bescheid vom 12.05.2005 ein befristetes Ruhen der betroffenen Zulassungen anordnete.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 21.12.2007 widerrief das BfArM die Zulassungen Kava-Kava- und Kavain-haltiger Arzneimittel und homöopathischer Zubereitungen aus Kava-Kava-Zubereitungen bis zu einer Verdünnung von D4 erneut, da der begründete Verdacht schädlicher Wirkungen auch unter Berücksichtigung der von den betroffenen Unternehmen und ihren Verbänden vorgelegten Unterlagen fortbestehe. Die hiergegen erhobenen Widersprüche wies die Behörde mit Widerspruchsbescheiden vom 21.02.2012 zurück.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Auf die dagegen beim Verwaltungsgericht Köln erhobenen Klagen hob das Gericht mit Urteilen vom 20.05.2014 - 7 K 6971/11 u.a. - die Widerrufsbescheide in Gestalt der Widerspruchsbescheide auf. Die gegen die Urteile seitens der Beklagten eingelegten Berufungen wies das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteilen vom 25.02.2015 - 13 A 1373/14 u.a. - zurück, da die Voraussetzungen für einen Widerruf der Zulassungen nicht erfüllt seien. Zwar sei das Nutzen-Risiko-Verhältnis der betroffenen Präparate derzeit ungünstig, jedoch könne dieser Versagungsgrund ausgeräumt werden, indem die Zulassungen unter Berücksichtigung der von der Kommission E vorgeschlagenen regulatorischen Maßnahmen geändert würden.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Mit Anhörungsschreiben vom 27.03.2015 eröffnete das BfArM ein Stufenplanverfahren der Stufe II.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 30.10.2015 beantragte die Klägerin beim BfArM, die Kommission E zur Nutzen-Risiko-Bewertung von Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln anzuhören und ein Votum darüber einzuholen, ob die im Jahr 2002 vorgeschlagenen Maßnahmen noch dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Das BfArM änderte mit dem hier streitgegenständlichem Bescheid vom 24.08.2015 die Zulassungen Kava-Kava-haltiger Arzneimittel wie folgt:</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">„I. Die Zulassungen der in der Anlage aufgeführten Kava-Kava-haltigen Arzneimittel sind hinsichtlich der</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">1. Dosierung, Anwendergruppe</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">2. Anwendungsdauer,</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">3. behandlungsbegleitenden Verpflichtung zur Bestimmung der Leberwertlaborparameter,</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">4. Wechselwirkungs-, Warn- und Nebenwirkungshinweisen sowie</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">5. Packungsgröße gemäß § 28 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AMG</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">wie folgt zu ändern:</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Zu oben 1. und 2.:</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Dosierung ist unter 4.2 der Fachinformation „Dosierung, Art und Dauer der Anwendung“ und in der Gebrauchsinformation (Abschnitt 3) folgendermaßen zu bezeichnen:</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks"><em>Erwachsene: Die maximale Tagesdosis beträgt 200 mg Kava-Pyrone. Die übliche Behandlungsdauer beträgt einen Monat, maximal 2 Monate.</em></p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Unter 4.3 der Fachinformation „Gegenanzeigen“ und in Abschnitt 2 der Gebrauchsinformation „[] darf nicht eingenommen werden“ ist folgender Text aufzunehmen:</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks"><em>Dieses Arzneimittel darf bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren nicht angewendet werden.</em></p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Zu oben 3. und 4.:</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die <span style="text-decoration:underline">Fachinformation</span> ist im Abschnitt 4.4. „Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung“ zu ergänzen um:</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks"><em>In Einzelfällen wurde über Leberschäden bis hin zu Leberversagen mit lebensbedrohlichem Ausgang (inkl. Todesfälle) im Zusammenhang mit der Einnahme von Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln berichtet. Ein Kausalzusammenhang ist im Einzelfall nicht sicher belegt. Patienten sollten darauf hingewiesen werden, die Einnahme von <Arzneimittelname> sofort zu beenden und einen Arzt aufzusuchen, wenn Zeichen einer Leberschädigung auftreten.</em></p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks"><em>Zur Vermeidung von Leberschäden müssen die Laborwerte (GPT und γ-GT) vor Beginn der Behandlung und während der Behandlung einmal wöchentlich bestimmt werden. Die Bestimmung am Ende der Behandlung wird empfohlen.</em></p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks"><em>Bei der Anwendung von <Arzneimittelname> können Wechselwirkungen mit zahlreichen anderen Arzneistoffen auftreten. Zu diesen Stoffen gehören Substrate und Inhibitoren für das Zytochrom P450 2D6 und potenziell hepatotoxische Medikamente, unter anderem Beta-Rezeptorenblocker, bestimmte Antidepressiva und Arzneimittel der Migränetherapie. Der gleichzeitige Konsum von Alkohol ist zu vermeiden.</em></p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">In die <span style="text-decoration:underline">Gebrauchsinformation</span> ist folgender Hinweis in Abschnitt 2 einzufügen:</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks"><em>Was ist zu tun, um mögliche schwerwiegende Leberprobleme zu vermeiden?</em></p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks"><em>Beenden Sie die Einnahme von <Arzneimittelname> und suchen Sie einen Arzt auf, wenn bei Ihnen Zeichen einer Leberschädigung auftreten (z. B. Gelbfärbung der Haut oder Augen, dunkler Urin, starke Schmerzen im Oberbauch, Appetitverlust). Ihr Arzt kontrolliert Ihre Leberwerte einmal wöchentlich und nach seinem Ermessen am Ende der Behandlung.</em></p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks"><em><Arzneimittelname> kann mit zahlreichen anderen Arzneistoffen mit potentiell leberschädigenden Eigenschaften, unter anderem Beta-Rezeptorenblockern, bestimmten Antidepressiva und Arzneimitteln der Migränetherapie in Wechselwirkung treten und mögliche hepatotoxische Nebenwirkungen verstärken. Der gleichzeitige Konsum von Alkohol ist zu vermeiden.</em></p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Im Abschnitt 4.8 „Nebenwirkungen“ der Fachinformation und in Abschnitt 4 der Gebrauchsinformation ist nachfolgende Formulierung aufzunehmen:</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks"><em>In Einzelfällen wurde über Leberschäden bis hin zu Leberversagen mit lebensbedrohlichem Ausgang (inkl. Todesfälle) im Zusammenhang mit der Einnahme von Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln berichtet. Ein Kausalzusammenhang ist im Einzelfall nicht sicher belegt.</em></p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Zu oben 5.:</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Die Packungsgrößen werden gemäß den Vorgaben des Gerichtes auf 30 Tagesdosen bei einer maximalen Tagesdosis von 200 mg beschränkt.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">II. Die Zulassungen werden mit der Auflage verbunden, im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen der betroffenen Arzneimittel Schulungsmaterial für Patienten zur Verfügung zu stellen (s. Anlage).</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Die Anordnungen beruhten auf § 30 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz i.V.m. Abs. 2a und § 28 Abs. 3b Satz 1 Nr. 2 AMG. In Umsetzung der Urteile des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen seien die Vorschläge der Kommission E zur Minderung des Anwendungsrisikos der betroffenen Arzneimittel zu übernehmen. Darüber hinaus werde durch die Maßnahme das Risiko hepatotoxischer Nebenwirkungen aufgrund der vorliegenden Verdachtsfälle unerwünschter Wirkungen im Zusammenhang mit der Anwendung Kava-Kava-haltiger Arzneimittel angemessen berücksichtigt. Ferner wies die Beklagte darauf hin, dass die Anordnung nach § 30 Abs. 3 Satz 4 AMG sofort vollziehbar sei.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid  vom 15.12.2015 als unbegründet zurück.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Am 22.12.2015 hat die Klägerin – wie die anderen betroffenen Unternehmen in den Verfahren 7 K 7367/15, 7 K 7369/15, 7K 7371/15 und 7 K 7372/15 – Klage erhoben. Sie führt zur Begründung im Wesentlichen aus:</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Die angeordneten Maßnahmen seien im Vergleich zu denen bei deutlich risikoreicheren Arzneimitteln unverhältnismäßig. Sie förderten deren Anwendung und dienten damit nicht der Risikoverminderung. Sie entsprächen auch nicht dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Die Anordnungen Ziffern 1. und 2. zur auf zwei Monate beschränkten Behandlungsdauer und der Verwendungsausschluss bei Kindern seien in der Sache nicht zu rechtfertigen. Immerhin seien Benzodiazepine bei der Behandlung von Kindern zugelassen. Der Hinweis auf mögliche Todesfälle (Ziffern 3. und 4.) stehe außer Verhältnis zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Gerade für Patienten mit Angststörungen seien derart furchterregende Schilderungen nicht therapiefreundlich. Völlig außer Verhältnis stehe die Anordnung der wöchentlichen Bestimmung der Leberwerte. Diese Empfehlungen der Kommission seien in den „Turbulenzen eines akuten Stufenplanverfahrens“ entstanden und bedürften mittlerweile einer Überprüfung unter Beachtung des aktuellen Stands der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Ein angemessenes Monitoring müsse sich an dem etablierten Standard von Maßnahmen für Präparate mit vergleichbaren Risiken orientieren. Jedoch fänden sich bei Präparaten mit weit höheren lebertoxischen Risiken nicht annähernd vergleichbare Angaben. Die Angaben zu Wechselwirkungen seien zu akzeptieren. Der Hinweis auf Leberschäden „bis hin zu Leberversagen mit lebensbedrohlichem Ausgang (inklusive Todesfälle)“ sei in Gebrauchs- und Fachinformationen zu streichen. Die Auflage zur Verwendung von Schulungsmaterialien für Ärzte und Patienten stehe in krassem Widerspruch zu den Anordnungen, die üblicherweise in Fällen vergleichbarer Art getroffen würden. Die Beklagte habe dies auch nicht in einem Stufenplanverfahren zu pelargoniumhaltigen Arzneimitteln für nötig gehalten. Dies begründe einen krassen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot. Die vorgelegte Stellungnahme von <em>Dr. T.      </em> belege, dass die Kommission E in Anwendung der Maßstäbe für Pelargonium hinsichtlich Kava-Kava zu einem anderen Ergebnis komme. Auch im Zusammenhang mit Pelargonium sei im diesbezüglichen Stufenverfahren ein Fall einer erforderlichen Lebertransplantation bekannt gewesen. Die Beurteilung des Schweregrades von lebertoxischen Nebenwirkungen von Kava-Kava beruhe zwangsläufig auf einem Vergleich mit anderen Therapeutika im gleichen Indikationsgebiet. Ein Vergleich der Inzidenzraten für lebertoxische Effekte beispielsweise von Tranquilizern und Neuroleptika im Vergleich zu Kava-Kava-haltigen Präparaten habe der Kommission E im Jahre 2002 nicht vorgelegen. Die Beklagte habe in ihrer Berufungsbegründung zur Bewertung von Falldaten zu Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln das CIOMS-Verfahren als Mittel der Wahl dargestellt, dieses aber zu keinem Zeitpunkt angewandt. Die von ihr verwandte, abweichende Methode anhand der WHO-Kriterien habe Professor U.       in seinen Publikationen als untauglich kritisiert. Die Bewertungsmethode der Beklagten, die keinen Algorithmus erfordere, führe zu einer erheblichen Überschätzung des Leberrisikos. Damit die Kommission eine notwendige Überprüfung vornehmen könne, solle der Beklagten auferlegt werden, der Kommission E eine Bewertung nach dem CIOMS-Verfahren vorzulegen.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Mit Auflagenbeschluss nach mündlicher Verhandlung vom 24.10.2017 hat die Kammer der Beklagten aufgegeben, eine Stellungnahme der Kommission E zu folgenden Fragen vorzulegen:</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">1. Sind die in der Ergebnisniederschrift der 19. Sitzung vom 03.07.2002 auf Seite 5 vorgeschlagenen Maßnahmen nach dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse noch angemessen für Kava-Kava-haltige Arzneimittel, die als Wirkstoff ausschließlich einen ethanolischen Extrakt von Nobel-Kava enthalten?</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">2. Gibt es Arzneimittel mit vergleichbaren Risiken und weniger eingreifenden Risikomaßnahmen? Falls ja, sollten die vom Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im Bescheid vom 24.08.2015 vorgesehenen Risikomaßnahmen diesen Maßnahmen angepasst werden?</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">3. Sind die Anordnungen des BfArM im Bescheid vom 24.08.2015 zur Behandlungsdauer und zur Anwendung bei Kindern aus pharmazeutischer Sicht gerechtfertigt?</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">4. Ist der für Abschnitt 4.8 „Nebenwirkungen“ der Fachinformationen und für Abschnitt 4 der Gebrauchsinformation angeordnete folgende Hinweis aus pharmazeutischer Sicht gerechtfertigt?</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">„In Einzelfällen wurde über Leberschäden bis hin zu Leberversagen mit lebensbedrohlichem Ausgang (inkl. Todesfälle) im Zusammenhang mit der Einnahme von Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln berichtet. Ein Kausalzusammenhang ist im Einzelfall nicht sicher belegt.“</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">5. Ist die folgende, von der Klägerin vorgeschlagene Angabe zur Frequenz der Bestimmung der Leberwerte aus pharmazeutischer Sicht ausreichend?</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">„Zur Vermeidung von Leberschäden müssen die Laborwerte (GPT und Gamma-GT) vor Beginn der Behandlung und während der Behandlung bestimmt werden, wenn sich Anzeichen von Leberschäden zeigen (siehe Abschnitt Warnhinweise). Nach einem Monat sind die Werte dann zu bestimmen, wenn eine Behandlung für einen weiteren Monat geplant ist.“</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Hält die Kommission E gegebenenfalls eine andere Formulierung aus pharmazeutischer Sicht für angemessen?</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">6. Ist der folgende von der Klägerin vorgeschlagene Warnhinweis zur Lebertoxizität angemessen und ausreichend?</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">„Der Arzt kontrolliert gegebenenfalls Ihre Leberwerte und – nach seinem Ermessen – auch am Ende der Behandlung, insbesondere wenn eine weitere Behandlung geplant ist.“</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Das BfArM hat daraufhin eine Antwort der Kommission E mit Datum vom 14.02.2018 vorgelegt. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 90-92 der Gerichtsakte Bezug genommen. Unter dem 20.07.2018 hat das BfArM das zugehörige Ergebnisprotokoll der 37. Sitzung der Kommission E vorgelegt, das hinsichtlich der Teilnehmer und verschiedener Tagesordnungspunkte geschwärzt war und unter dem TOP 6 „Verschiedenes“ / TOP 6.1 „Bitte des Verwaltungsgerichts um eine aktuelle Stellungnahme der Kommission E“  den Inhalt aber vollständig wiedergibt. Die Klägerin äußerte daraufhin den Verdacht, dass durch die Schwärzungen wesentliche Äußerungen zum Thema verborgen werden sollten. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 18.12.2018 erhielt die Klägerin auf entsprechenden Beschluss der Kammer die Kopie eines auch hinsichtlich der TOP 4.0 bis 4.4 ungeschwärzten Exemplars des Ergebnisprotokolls.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin legt ein Gutachten von <em>Prof. U.</em>       vom 07.09.2018 zur „Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit“ der Bestimmung von Leberwerten, eine Synopse der verschiedenen Formulierungen und weitere Unterlagen vor. In der Sache trägt sie weitergehend vor: Mit der von der Kommission E vorgeschlagenen Tagesdosis von 100-200 mg Kava-Pyrone (bestimmt mittels HPLC) sei sie einverstanden. Dies gelte auch bezüglich der vorgeschlagenen Therapiedauer bis zu 3 Monaten, die nach ärztlicher Einschätzung verlängert werden könne. Sie sei auch bereit, die Kontraindikation „Vorbestehende Lebererkrankungen und erhöhte Leberenzymwerte“ aufzunehmen, wie von der Kommission empfohlen. Dies gelte auch für den Anwendungsausschluss bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren und den Hinweis an die Patienten, die Einnahme bei Zeichen einer Leberschädigung sofort zu beenden. Auch mit den angeordneten Angaben zu Wechselwirkungen sei sie einverstanden. Sie sollten aber im Bereich der Warnhinweise nicht wiederholt werden. Den angeordneten Packungsgrößen von 30 Tagesdosen bei einer maximalen Tagesdosis von 200 mg stimme man zu.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Der Warnhinweis in der Fachinformation „In Einzelfällen wurde...“ könne ersatzlos entfallen, da er nur eine Wiederholung dessen beinhalte, was bereits unter „Nebenwirkungen“ ausgesagt worden sei und Redundanzen zu vermeiden seien. Irreführend sei auch die Angabe, ein Kausalzusammenhang sei <em>im Einzelfall</em> nicht sicher belegt, was den Eindruck erwecke, dass es viele Fälle gebe, in denen der Nachweis geführt sei.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">In Bezug auf die Frequenz der Bestimmung der Leberwerte könne weder den Vorgaben des BfArM noch der Auffassung der Kommission gefolgt werden. Gemäß den Empfehlungen von <em>Prof. U.</em>       solle der Wortlaut vielmehr wie folgt gefasst werden:</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">„Zur Vermeidung von Leberschäden müssen die Leberwerte (GPT und y-GT) vor Beginn der Behandlung und während der Behandlung bestimmt werden, wenn sich Anzeichen von Leberschäden zeigen (siehe Abschnitt Warnhinweise). Im weiteren Verlauf sind die Werte monatlich zu bestimmen, solange die Therapie andauert.“</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Der Patientenschutz sei hierdurch angemessen gewährleistet, wie ein Vergleich mit der Formulierung bei dem Arzneimittel „Ergenyl“ mit weitaus höherem hepatotoxischem Risiko zeige. Die Angaben in der Gebrauchsinformation sollten entsprechend angepasst werden.</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Die Beschreibung der Nebenwirkungen sei, wie vom BfArM gefordert, nicht angemessen und werde dem Risiko nicht gerecht, das in etwa dem bei Pelargonium („Umckaloabo“) entspreche. Dementsprechend solle formuliert werden:</p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">„Fälle von Leberschäden wurden im Zusammmenhang mit der Einnahme von Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln berichtet; die Häufigkeit ist nicht bekannt.</p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Gelegentlich wurde unter der Einnahme eine Erhöhung der Leberwerte beobachtet.“</p>
<span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Dies entspreche der Formulierung des HMPC für Pelargonium.</p>
<span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Die Anordnung von Schulungsmaterial sei unverhältnismäßig. Die Klägerin verweist auch in diesem Zusammenhang auf Pelargonium-haltige Produkte und auf „Ergenyl“.</p>
<span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung vom 18.12.2018 einen Vergleich geschlossen. Wegen des Inhalts wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Die Beklagte hat diesen Vergleich entsprechend dem vereinbarten Vorbehalt am 15.01.2019 widerrufen.</p>
<span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">den Bescheid des BfArM vom 24.08.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2015 aufzuheben.</p>
<span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin in wesentlichen Punkten entgegen. So bestehe kein Grund für eine Verlängerung der Behandlungsdauer. Nach den vorliegenden Daten liege der zeitliche Gipfel des lebertoxischen Potentials bei 3-4 Monaten nach Medikationsbeginn. Unter den ausgewerteten belastbaren Fällen finde sich nur ein lebensbedrohlicher Fall mit einer Anwendungsdauer von unter 8 Wochen. Auch die Kommission führe zur Begründung ihres Vorschlags keine weiteren Daten an. Die Ergänzung des Abschnitts „Gegenanzeigen“ um die Kontraindikationen „vorbestehende Lebererkrankungen“ und „erhöhte Leberenzymwerte“ werde befürwortet.</p>
<span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Der Warnhinweis stehe im Einklang mit den Vorgaben in Abschnitt 4.4 der SmPC-Guideline und sollte beibehalten werden. Die Beklagte schlug jedoch folgende Formulierung vor:</p>
<span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">„Bei der Anwendung von Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln sind Fälle von Leberschädigungen (Anstieg der Leberenzymwerte) sowie Fälle von Leberversagen mit lebensbedrohlichem Ausgang (inkl. Todesfälle) aufgetreten. Patienten sollten darauf hingewiesen werden, die Einnahme von /.../ sofort zu beenden und einen Arzt aufzusuchen, wenn Zeichen einer Leberschädigung auftreten.</p>
<span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich der Kontrolle der Leberwerte zeigte sie sich bereit, der Empfehlung der Kommission E zu folgen und zu formulieren:</p>
<span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">„Zur Erfassung von bestehenden oder sich unter Therapie entwickelnden Leberschäden müssen zumindest die Leberenzyme <em>γ</em>-GT und GPT vor Behandlungsbeginn und nach 1, 2, 4, 6 und 8 Wochen bestimmt werden“,</p>
<span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">in der Gebrauchsinformation:</p>
<span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">„Vor der Behandlung mit /.../ wird Ihr Arzt bzw. Ihre Ärztin einen Bluttest durchführen, um die Leberfunktion zu überprüfen. Ihr Arzt bzw. Ihre Ärztin wird diese Tests nach Therapiebeginn nach 1, 2, 4, 6 und 8 Wochen  wiederholen.“</p>
<span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Eine Vergleichbarkeit mit „Ergenyl“ bestehe nicht, da insoweit umfangreiche Vorab-Untersuchungen vorgesehen seien, die weit über das bei Kava-Kava vorgesehene Maß hinausgingen. Auch seien dort Verlaufskontrollen vorgesehen.</p>
<span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Auch erscheine es unter Berücksichtigung der Ausführungen von <em>Prof. U.</em>       und der erneuten Durchsicht der UAW-Fälle angebracht, die übrigen Informationen in Abschnitt 2 der Gebrauchsinformationen anzupassen und wie folgt zu ergänzen:</p>
<span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">„Was können Sie tun, um mögliche schwerwiegende Leberschäden zu vermeiden?</p>
<span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Beenden Sie die Einnahme von /.../ und suchen Sie einen Arzt auf, sobald Sie ein Anzeichen für eine Leberschädigung bei sich bemerken (z.B. Gelbfärbung der Haut oder Augen, dunkler Urin, Schmerzen im Oberbauch, Übelkeit, Erbrechen, Appetitverlust, Gewichtsverlust, Mattigkeit, Juckreiz, helle Stuhlfarbe und Gelenkbeschwerden)</p>
<span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">...</p>
<span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">/.../ kann mit zahlreichen anderen (leberschädigenden) Arzneistoffen in Wechselwirkung treten und so mögliche Leberschäden verstärken. Dazu gehören unter anderem bestimmte Arzneimittel gegen Bluthochdruck (Beta-Rezeptorenblocker), hormonelle Verhütungsmittel („Antibaby-Pille“), bestimmte Arzneimittel gegen Depressionen und Arzneimittel zur Migränebehandlung. Konsum von Alkohol während der Behandlung sollten Sie vermeiden.“</p>
<span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">Der Hinweis unter Nebenwirkungen sollte wie folgt angepasst werden:</p>
<span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">„Bei der Anwendung von Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln sind Fälle von Leberschädigungen (Anstieg der Leberenzymwerte) sowie Fälle von Leberversagen mit lebensbedrohlichem Ausgang (inkl. Todesfälle) aufgetreten.“</p>
<span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich des Schulungsmaterials zog die Beklagte eine Aufhebung der Auflage in Betracht, sofern die übrigen Risikominimierungsmaßnahmen umgesetzt würden.</p>
<span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Zudem weist die Beklagte darauf hin, dass das Bewertungsverfahren „Kava-Kava“ auf europäischer Ebene mit dem Ergebnis abgeschlossen worden sei, dass wegen des ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses eine Monographie nicht erstellt werden könne.</p>
<span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">Mit Schriftsatz vom 05.12.2018 führt die Klägerin ergänzend aus: Eine Begrenzung der Behandlungsdauer entgegen dem Vorschlag der Kommission sei nicht gerechtfertigt. Leberreaktionen manifestierten sich in der Regel wesentlich früher nach Behandlungsbeginn. Ein späterer Beginn werde nach den CIOMS-Kriterien klinisch als entlastende Beobachtung gewertet. Die Behandlungsdauer könne auch mit dem Hinweis auf die Zulassung von „Ergenyl“ gerechtfertigt werden. Die Vorschläge des BfArM zu Warnhinweisen enthielten weiterhin Redundanzen. Das gelte auch für die neuen Vorschläge zu ergänzenden Angaben, die bereits unter „Wechselwirkungen“ genannt seien. Weiterhin unangemessen seien auch Hinweise auf lebensbedrohlichen Ausgang und Todesfälle. Der Rhythmus der angeordneten Leberwert-Kontrollen müsse sich durchaus an „Ergenyl“ messen lassen. Dieses weise mit „häufigen“ Lebernebenwirkungen (1-10 Patienten von 100 Behandelten im Gegensatz zu 0,008 Fällen bei 1 Mio. Tagesdosen, sofern kausal) ein deutlich höheres Schädigungspotential auf. Es sei nicht einzusehen, weshalb Kava Kava einem deutlich strengeren Regime unterfallen solle.</p>
<span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">Die Bewertung des HMPC rechtfertige keine andere Bewertung des Zulassungsstatus. Die Kommission E habe in Kenntnis dieser Bewertung das Nutzen-Risiko-Verhältnis positiv bewertet. Im Übrigen stehe die Schlussfolgerung des HMPC im Widerspruch zu dem Bewertungsbericht, auf den verwiesen werde. Danach bestehe nach Auffassung der wissenschaftlichen Bewerter des HMPC kein toxikologisch relevantes Risiko bei der Anwendung Kava-Kava-haltiger Arzneimittel.</p>
<span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens wie der Parallelverfahren 7 K 7367/15, 7 K 7369/15, 7 K 7371/15 und 7 K 7372/15 nebst vorgelegter Anlagen sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des BfArM Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks"><strong>E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e</strong></p>
<span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Die Klage ist überwiegend nicht begründet.</p>
<span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">Der Bescheid des BfArM vom 24.08.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2015 ist nur in dem im Urteilstenor bezeichneten Umfang rechtswidrig und verletzt insoweit die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Im Übrigen ist er rechtmäßig. Die Änderungen der Texte finden in diesen Punkten ihre Rechtsgrundlage in § 30 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz i.V.m. Abs. 2a Satz 1 AMG.</p>
<span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz AMG ist die Zulassung eines Arzneimittels zu widerrufen, wenn einer der Versagungsgründe des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, 5, 5a, 6 oder 7 AMG nachträglich eingetreten ist. Dies ist hinsichtlich des Versagungsgrundes eines ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses (Nr. 5) hier der Fall. Das OVG hat in den Berufungsentscheidungen zu Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln – auch zu den Präparaten der Klägerin – nach eingehender Auseinandersetzung mit allen verfügbaren wissenschaftlichen Quellen dargelegt, dass die Produkte zwar weiterhin einen belegten Nutzen bei leichten bis mittelschweren Formen von Angststörungen haben, dem aber nicht unerhebliche Anwendungsrisiken in Form hepatotoxischer Ereignisse gegenüberstehen, die durch entsprechende Fallberichte belegt und auch durch die Einwände der Klägerseite, namentlich zur Vergleichbarkeit der verwendeten Extrakte, nicht durchgreifend erschüttert sind. Vor diesem Hintergrund ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Auswertung der vorliegenden Ergebnisse <em>für</em> die Annahme eines begründeten Verdachts leberschädigender Wirkungen spricht. Es hat diese Bewertung im Rahmen der Nutzen-Risiko-Abwägung allerdings angesichts der uneinheitlichen Studienlage, fehlender Erkenntnisse zu konkret lebertoxischen Bestandteilen von Kava-Kava und entsprechenden Wirkmechanismen sowie einer bei 250 Millionen Tagesdosen in zehn Jahren geringen Inzidenzrate relativiert. Hierbei hat das Gericht den Umstand hervorgehoben, dass auch der vom BfArM herangezogene Bericht der Expertengruppe der WHO sich auf alle Arten Kava-Kava-haltiger Arzneimittel bezieht und die getroffene Risikoaussage nicht nach Extrakt und Kultivar differenziert. Hiernach und unter Wertung der vom BfArM vorgenommenen Risikoeinschätzung kommt das OVG NRW zu dem Schluss eines <em>derzeit</em> ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses, dem durch risikominimierende Maßnahmen auf der Grundlage der Stellungnahme der Kommission E aus dem Jahre 2002 begegnet werden kann.</p>
<span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">              OVG NRW, Urteile vom 25.02.2015 - 13 A 1371/14 u.a.-, juris.</p>
<span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">Die Kammer folgt diesem Ansatz. Er beruht auf einer eingehenden Auseinandersetzung mit der zu Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln bestehenden Erkenntnislage, die den Beteiligten bekannt ist und hier nicht wiederholt zu werden braucht, und führt zur Anwendung des § 30 Abs. 2a Satz 1 AMG, der in seiner seit Inkrafttreten des 2. Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 19.10.2012 (BGBl. I S. 2192) geltenden Fassung unmittelbar, d.h. ohne den Erlass einer Auflage, eine behördliche Änderung des Zulassungsinhalts gebietet, wenn hiermit der Versagungsgrund entfällt. Die Norm ist eine Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und aus diesem Grunde bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen gegenüber dem Widerruf der Zulassung vorrangig.</p>
<span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">              OVG NRW, Urteile vom 25.02.2015 - 13 A 1371/14 u.a. -, juris, Rnr. 164.</p>
<span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">Ihre Voraussetzungen in Bezug auf das Nutzen-Risiko-Verhältnis haben sich seit Abschluss der Berufungsverfahren auch nicht durch neues Erkenntnismaterial verändert. Dies gilt auch im Hinblick auf das klägerseits vorgelegte Gutachten von <em>Prof. U.</em>       vom 07.09.2018 zur „Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit“ der Bestimmung von Leberwerten, das sich nicht mit der grundlegenden Nutzen-Risiko-Bewertung, sondern mit dem Sinn einer Einzelmaßnahme beschäftigt. Soweit die Kommission E für die phytopharmazeutische Therapierichtung – aufbauend auf der Ergebnisniederschrift vom 03.07.2002 – auch in der Beantwortung der gerichtlichen Anfrage (Ergebnisprotokoll vom 14.02.2018) weiterhin von einem positiven Nutzen-Risiko-Verhältnis auszugehen scheint, ergibt sich nichts Abweichendes. Denn aus ihrer fachlichen Sicht hält auch die Kommission E risikominimierende Maßnahmen weiterhin für erforderlich. Dem ist auch die Klägerin nicht grundsätzlich entgegengetreten, sondern bestreitet die Rechtmäßigkeit der Einzelmaßnahmen.</p>
<span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">Prüfungsgegenstand im gerichtlichen Verfahren sind die Anordnungen des Bescheides vom 24.08.2015, die im Widerspruchsverfahren unverändert geblieben sind. Soweit die Beklagte nach Klageerhebung Modifikationen der Texte vorgeschlagen und eine Aufhebung der Auflage zum Schulungsmaterial in Aussicht gestellt hat, bleibt dies hier außer Betracht. Denn es handelt sich hierbei um Erklärungen im Rahmen des Bemühens, den Rechtsstreit gütlich beizulegen; eine förmliche Änderung des Bescheidtenors beinhalteten die Vorschläge nicht. Ebenfalls unberücksichtigt bleiben die Vorschläge der Klägerin, Teile der angeordneten Texte zu übernehmen, da sie für den Fall des Widerrufs des Vergleichs an dem Anfechtungsantrag uneingeschränkt festgehalten hat.</p>
<span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">Beweisbelastet für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen der streitgegenständlichen Änderungen des Zulassungsinhalts ist die Beklagte. Denn Anordnungen nach § 30 Abs. 2a Satz 1 AMG sind ein Unterfall des Widerrufs und der Rücknahme einer Zulassung. Hier wie dort wird in den vorhandenen Zulassungsbestand eingegriffen. Anders als im Zulassungsverfahren ist es an der Behörde, die Gründe für einschränkende Maßnahmen darzulegen und zu belegen. Verbleibende durchgreifende Zweifel gehen zu ihren Lasten. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewertung der Sach- und Rechtslage ist im gerichtlichen Verfahren derjenige der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz. Nur so kann im Interesse des übergeordneten Ziels der Arzneimittelsicherheit neuen Erkenntnissen Rechnung getragen werden,</p>
<span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">vgl. OVG NRW, Urteile vom 25.02.2015 - 13 A 1371/14 u.a. -, juris, Rnr. 50-54; Krüger, in: Kügel/Müller/Hoffmann, Arzneimittelgesetz, 2. Auflage 2016, § 30 Rn. 11; Lietz, in: Hdb. Arzneimittelrecht, 2. Auflage 2014, § 9 Rn. 23; Rehmann, Arzneimittelgesetz, 4. Auflage 2014, § 30 Rn. 2.</p>
<span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">Dies vorausgeschickt gilt für die Anordnungen des Bescheides vom 24.08.2015 – soweit rechtmäßig – folgendes:</p>
<span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">1.</p>
<span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">Die Beschränkung der Tagesdosis auf 200 mg Kava-Pyrone und der Behandlungsdauer auf einen Monat, maximal zwei Monate unter 4.2 der Fachinformation und in Abschnitt 3 der Gebrauchsinformation ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Nachweis von Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arzneimittels und damit eines positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses ist untrennbar mit dem gewählten Dosierungsregime verbunden, das sich in klinischen Studien, im Fall bekannter Stoffe auch in der klinischen Anwendung als Optimum erwiesen hat und die Parameter Wirksamkeit und Verträglichkeit bestmöglich ausbalanciert. Eine empfohlene Dosierung liegt dabei möglicherweise unterhalb derjenigen, die eine maximale Wirkung erwarten ließe, wenn die damit verbundenen erhöhten Risiken nicht mehr vertretbar wären und das Nutzen-Risiko-Verhältnis negativ wäre.</p>
<span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">              Schraitle, in: Hdb. Arzneimittelrecht, 2. Auflage 2014, § 6 Rn. 93</p>
<span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks">Die nunmehr bestimmte Tages-Höchstdosis von 200 mg Kava-Pyrone weicht nur formal von der seitens der Kommission in ihrer Stellungnahme vom 03.07.2002 zur Risikominimierung empfohlenen Tagesmenge von 120 mg ab. Soweit sie in der aktuellen Stellungnahme vom 14.02.2018 eine Tagesdosis von 100-200 mg empfiehlt, beruht dies auf einer Änderung der Messmethode. Die Gehaltsbestimmung wird nunmehr mittels HPLC („Hochleistungsflüssigkeitschromatographie“) vorgenommen, was veränderte Werte zur Folge hat. Auch die Klägerin hat gegen die Begrenzung der Dosierung keine Einwände erhoben.</p>
<span class="absatzRechts">101</span><p class="absatzLinks">Die Dauer der Anwendung eines Arzneimittels hängt von seinem Anwendungsgebiet und seinem Sicherheitsprofil ab. Eine besondere Rolle spielt hierbei, für welchen Zeitraum sicherheitsrelevante Daten vorliegen.</p>
<span class="absatzRechts">102</span><p class="absatzLinks">              Vgl. Schraitle, in: Hdb. Arzneimittelrecht, 2. Auflage 2014, § 6 Rn. 94</p>
<span class="absatzRechts">103</span><p class="absatzLinks">Die Kammer geht davon aus, dass die Gefahr hepatotoxischer Ereignisse mit der Dauer der Verabreichung eines potentiell leberschädigenden Stoffes tendenziell zunimmt. Die Darstellung der Klägerin, lebertoxische Ereignisse manifestierten sich regelmäßig früher und ein späteres Auftreten werde nach den CIOMS (Council for International Organisations of Medical Sciences) – Kriterien sogar als entlastend gewertet, ist demgegenüber nicht nachvollziehbar und auch nicht näher belegt. Zwar ist angesichts der allgemein uneinheitlichen Quellenlage fraglich, ob eine zeitliche Begrenzung mit dem Argument begründet werden kann, der zeitliche Gipfel der Lebertoxizität liege bei 3-4 Monaten nach Behandlungsbeginn und unter den ausgewerteten belastbaren Einzelfällen befinde sich nur ein Fall mit einer Behandlungsdauer unter 8 Wochen. In der Stellungnahme der Kommission E vom 03.07.2002 kommt aber das Bestreben zum Ausdruck, eine Langzeitbehandlung mit Kava Kava zu vermeiden, zumal der Nutzen einer solchen Anwendung nicht durch Langzeitstudien belegt ist. Das BfArM weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass die einzig kontrollierte Studie über 12 Wochen von <em>X.        et al.</em> (1990) das Anwendungsgebiet „Klimakterisches Syndrom“ mit nur 40 Patientinnen erfasste und insgesamt für ethanolische Extrakte keine Studie vorliegt, die den Vorgaben der CHMP-Guideline zur Prüfung von Angststörungen (CPMP/EWP/4284/02 vom 20.01.2005) entspricht. Alle anderen Studien beziehen sich auf einen kürzeren Untersuchungszeitraum. Dem entspricht auch die aktuelle Bewertung der EMA im Public statement on Piper methysticum G. Forst, rhizoma (final) vom 21.11.2017 (EMA/HMPC/450589/2016). Im Fall eines unbelegten Nutzens einer Langzeitbehandlung sind deren Risiken umso weniger zu akzeptieren, was Einzelmeldungen lebertoxischer Ereignisse bei einer längeren Anwendungsdauer umso größeres Gewicht verleiht. Vor diesem Hintergrund erschließt es sich nicht, weshalb die Kommission E in ihrer aktuellen Stellungnahme von der 2002 empfohlenen Therapiedauer von maximal 2 Monaten abweicht und sich nunmehr bei weitgehend unveränderter Quellenlage für eine Therapiedauer von maximal 3 Monaten ausspricht. Der Umstand der ärztlichen Kontrolle kann hierfür nicht maßgebend sein, da eine Unterstellung unter die Verschreibungspflicht und die regelmäßige Kontrolle der Leberwerte bereits der Empfehlung aus dem Jahre 2002 entsprachen. Auch unter Berücksichtigung der begleitenden Kontrolle der Leberwerte sieht die Kammer daher unter Risikoaspekten eine zeitliche Begrenzung der Behandlungsdauer auf zwei Monate als angemessen an, zumal die Begrenzung durch den Hinweis auf eine „übliche“ Behandlungsdauer relativiert wird.</p>
<span class="absatzRechts">104</span><p class="absatzLinks">2.</p>
<span class="absatzRechts">105</span><p class="absatzLinks">Der Ausschluss der Anwendung bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren in Gebrauchs- und Fachinformation gründet auf fehlendem Erkenntnismaterial zu dieser Anwendergruppe. Es entspricht aktuellem wissenschaftlichem Stand, dass sich Erkenntnisse aus der Anwendung eines Arzneimittels bei Erwachsenen nicht ohne weiteres auf Kinder und Jugendliche übertragen lassen. Dem hat der europäische Gesetzgeber durch die VO (EG) Nr. 1901/2006 u.a. durch die besondere Berücksichtigung von Kindern im Bereich klinischer Prüfungen von Arzneimitteln, bei der Zulassung einschließlich der Bestimmungen über das pädiatrische Prüfkonzept und die Kennzeichnung von Arzneimitteln, die für diese Anwendergruppe zugelassen sind, Rechnung getragen,</p>
<span class="absatzRechts">106</span><p class="absatzLinks">vgl. Urteil der Kammer vom 18.12.2018 - 7 K 6160/16 -; Lehmann, in: Hdb. Arzneimittelrecht, 2. Auflage 2014, § 7 Rn. 24-94 m.w.N.</p>
<span class="absatzRechts">107</span><p class="absatzLinks">Der Anwendungsausschluss entspricht der aktuellen Empfehlung der Kommission E und ist von der Klägerin im vorliegenden Verfahren mit dem Argument, vergleichbare chemische Arzneimittel seien für die Kinderanwendung zugelassen, nicht überzeugend entkräftet. Denn die Nutzen-Risiko-Bewertung hat für das Arzneimittel individuell zu erfolgen.</p>
<span class="absatzRechts">108</span><p class="absatzLinks">3.</p>
<span class="absatzRechts">109</span><p class="absatzLinks">Keine rechtlichen Bedenken bestehen gegen den unter 4.4 der Fachinformation „Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung“ vorgeschriebenen Text „In Einzelfällen wurde über Leberschäden bis hin zu Leberversagen mit lebensbedrohlichem Ausgang (inkl. Todesfälle) im Zusammenhang mit der Einnahme von Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln berichtet. Ein Kausalzusammenhang ist im Einzelfall nicht sicher belegt. Patienten sollten darauf hingewiesen werden, die Einnahme von <Arzneimittelname> sofort zu beenden und einen Arzt aufzusuchen, wenn Zeichen einer Leberschädigung auftreten.“ Besondere Warn- und Vorsichtshinweise zählen nach § 11a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 lit. d) AMG zu den Pflichtangaben im klinischen Teil der Fachinformation. Als Teil der klinischen Angaben zum Arzneimittel beschreiben sie bestehende Anwendungsrisiken und ermöglichen eine ärztliche Risikoabschätzung im Einzelfall. Sie unterliegen dem Richtigkeitsgebot, d.h. das erforderlichenfalls auch auf verbleibende Unsicherheiten in der Risikobewertung hingewiesen werden muss.</p>
<span class="absatzRechts">110</span><p class="absatzLinks">Vgl. Menges/Winnands, in: Hdb. Arzneimittelrecht, 2. Auflage 2014, § 19 Rn. 34 und 51; Pannenbecker, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, 2. Auflage 2016, § 11a Rn. 10-14.</p>
<span class="absatzRechts">111</span><p class="absatzLinks">Die im Bescheid vom 24.08.2015 gewählte Formulierung wird diesen Anforderungen gerecht. Auch die Klägerin bestreitet nicht, dass in Einzelfällen über die angesprochenen Leberschäden berichtet wurde. Diese teils gravierenden Folgen hervorzuheben und Patienten aufzufordern, bei Anzeichen von Leberschädigungen die Einnahme zu beenden, drängt sich auf. Da der Text nicht auf bestimmte Extrakte und Kultivare bezogen ist und die bestehende Unsicherheit in der Kausalitätsbewertung anspricht, wird er der nach wie vor heterogenen Quellenlage gerecht. Soweit es bei der gewählten Formulierung zu Dopplungen zwischen den Angaben zu Nebenwirkungen und den hier fraglichen Warnhinweisen kommt, ist dies durch den Sachzusammenhang der klinischen Angabe bedingt. Die Aufforderung, Patienten bei Anzeichen einer Leberschädigung zum Absetzen des Mittels anzuhalten, wird ebenso wie die regelmäßige Kontrolle der Leberwerte erst im Zusammenhang verständlich, wenn die Gefahr der Nebenwirkung bekannt ist. Da § 11a Abs. 1 Satz 2 AMG wie die SmPC-Guideline der Kommission vom September 2009 die Reihenfolge der Warn- und Vorsichtshinweise vor den Angaben der Nebenwirkungen zwingend vorgeben, ergibt sich die Notwendigkeit ihrer Angabe mit einer gewissen Zwangsläufigkeit.</p>
<span class="absatzRechts">112</span><p class="absatzLinks">Dem steht nicht der Einwand entgegen, gerade Patienten mit Angststörungen könnten durch die Angabe möglicherweise tödlicher Folgen verschreckt und von einer medizinisch gebotenen Anwendung der Präparate abgehalten werden. Es ist kein rechtlich fundierter Ansatz erkennbar, nach dem die Gestaltung der Pflichttexte vom Anwenderkreis abhängig gemacht werden könnte, bestimmten Anwendern mit Rücksicht auf die Indikation an sich gebotene Angaben also verschwiegen werden könnten. Insbesondere Risikoangaben haben objektiven Anforderungen zu genügen. Ansatzpunkte für eine psychisch geringer belastende Formulierung sind nicht erkennbar. In Bezug auf die Fachinformation tritt der Umstand hinzu, dass diese dem Patienten in der Regel nicht vorliegt. Eine Veröffentlichung ist nur bei nach der VO (EG) Nr. 726/2004 zentral zugelassenen Arzneimitteln vorgesehen. Die Zusammenfassungen der Produktinformation sind insoweit auf der Internet-Seite der EMA jederzeit abrufbar. Im Bereich nationaler Zulassungen ist eine Übermittlung an Laien zwar auf freiwilliger Basis erlaubt, eine diesbezügliche Verpflichtung besteht indes nicht.</p>
<span class="absatzRechts">113</span><p class="absatzLinks">Vgl. Kloesel/Cyran, AMG-Kommentar (Loseblatt, Stand 132. Lieferung 2017), § 11a Erl. 9 und 10.</p>
<span class="absatzRechts">114</span><p class="absatzLinks">4.</p>
<span class="absatzRechts">115</span><p class="absatzLinks">Die angeordneten Angaben zu den Wechselwirkungen in der Fachinformation sind nach § 11a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 lit. e) AMG geboten. Sie entsprechen bereits den Empfehlungen der Kommission E aus dem Jahre 2002 und werden von der Klägerin fachlich nicht in Frage gestellt. Dies gilt namentlich für den Hinweis auf potentiell leberschädigende Medikamente und die Vermeidung von Alkohol.</p>
<span class="absatzRechts">116</span><p class="absatzLinks">5.</p>
<span class="absatzRechts">117</span><p class="absatzLinks">Soweit in Abschnitt 2 der Gebrauchsinformation auf das Verhalten im Fall eines Verdachts auf Leberschädigung bzw. auf die angesprochenen Wechselwirkungen hinzuweisen ist und auf die regelmäßige Kontrolle der Leberwerte verwiesen wird, zielt der Bescheid auf Pflichtangaben für die Packungsbeilage nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 lit. c) und d) AMG, die aus den gleichen Gründen geboten sind wie die analogen Formulierungen in der Fachinformation. Redaktionell anzupassen sind allerdings die Angaben zum Rhythmus der Leberwert-Kontrollen (vgl. unter 8.).</p>
<span class="absatzRechts">118</span><p class="absatzLinks">6.</p>
<span class="absatzRechts">119</span><p class="absatzLinks">Die übereinstimmenden Formulierungen unter 4.8 „Nebenwirkungen“ der Fachinformation und in Abschnitt 4 der Gebrauchsinformation „In Einzelfällen wurde über Leberschäden bis hin zu Leberversagen mit lebensbedrohlichem Ausgang (inkl. Todesfälle) im Zusammenhang mit der Einnahme von Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln berichtet. Ein Kausalzusammenhang ist im Einzelfall nicht sicher belegt.“ sind aus den unter 3 dargestellten Gründen rechtlich nicht zu beanstanden. Die im gerichtlichen Verfahren streitige Formulierung „im Einzelfall“ ist als solche nicht missverständlich oder sinnentstellend. Sie als Hinweis auf eine Vielzahl von Nebenwirkungsfällen misszuverstehen, liegt im Gesamtzusammenhang des Satzes fern.</p>
<span class="absatzRechts">120</span><p class="absatzLinks">7.</p>
<span class="absatzRechts">121</span><p class="absatzLinks">Vorgaben zur Packungsgröße müssen therapiegerecht sein, also allgemein den Anwendungsgebieten des Arzneimittels und der vorgesehenen Dauer der Anwendung im Sinne des § 28 Abs. 2 Nr. 4 AMG entsprechen.</p>
<span class="absatzRechts">122</span><p class="absatzLinks">Vgl. Urteil der Kammer vom 22.11.2005 - 7 K 5513/03 -, bestätigt durch OVG NRW, Beschluss vom 21.08.2008 - 13 A 44/06 -.</p>
<span class="absatzRechts">123</span><p class="absatzLinks">Im Rahmen einer Risikoentscheidung nach § 30 Abs. 2a Satz 1 AMG müssen sie zudem geboten sein, dem Versagungsgrund abzuhelfen. Die Vorgabe einer Packungsgröße von 30 Tagesdosen entspricht der unter Risikoaspekten auf einen Monat begrenzten Regel-Anwendungsdauer. Sie findet sich bereits in der Stellungnahme der Kommission aus dem Jahr 2002 und wird von der Klägerin gleichfalls nicht in Frage gestellt.</p>
<span class="absatzRechts">124</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich des verbleibenden Teils sind die getroffenen Anordnungen zum Teil oder in vollem Umfang rechtswidrig und daher aufzuheben:</p>
<span class="absatzRechts">125</span><p class="absatzLinks">8.</p>
<span class="absatzRechts">126</span><p class="absatzLinks">Die Anordnung, zur Vermeidung von Leberschäden die Leberwerte (GPT und γ-GT) vor Beginn der Behandlung und während der Behandlung einmal wöchentlich zu bestimmen, ist hinsichtlich des engmaschigen wöchentlichen Untersuchungsrhythmus nicht durch nachvollziehbare Risikoaspekte belegt. Dies geht zu Lasten der Beklagten. Zwar hat die Kommission E in ihrer Stellungnahme aus dem Jahr 2002 noch Untersuchungen in wöchentlicher Abfolge empfohlen. In ihrer aktuellen Stellungnahme spricht sie sich jedoch für einen Rhythmus von 1, 2, 4, 6 und 8 Wochen aus. In beiden Fällen ergeben sich aus den Ergebnisprotokollen keine dezidierten Begründungen für die eine oder die andere Empfehlung. Festzuhalten bleibt indes, dass die sachverständige Kommission den Vorschlag der Klägerin einer nur anlassbezogenen Kontrolle („gegebenfalls“) ausdrücklich verwirft und sich für regelmäßige und zwingende Kontrollen ausspricht. Die Kammer geht mangels anderweitiger Anhaltspunkte davon aus, dass bei der Bestimmung des Rhythmus der Kontrollen ein gewisser medizinischer Einschätzungsspielraum besteht, innerhalb dessen eine eindeutig richtige oder eindeutig falsche Festlegung kaum zu bestimmen ist. Für diese Sichtweise spricht, dass sich im Verlauf des Verfahrens auch das BfArM bereit erklärt hat, der aktuellen Vorgabe der Kommission E in diesem Punkt zu folgen.</p>
<span class="absatzRechts">127</span><p class="absatzLinks">Ein Verzicht auf zwingende regelmäßige Kontrollen kann demgegenüber nicht mit dem Hinweis auf abweichende Kontrollintervalle bei anderen Arzneimitteln, hier insbesondere „Ergenyl chrono“ mit dem potentiell lebertoxischen Wirkstoff Ergenyl-Valproat begründet werden. Die nach § 30 Abs. 2a Satz 1 AMG getroffenen Anordnungen fußen auf einer Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses des jeweiligen Arzneimittels. Als Abwägungsentscheidung bietet diese Bewertung keinen Raum für eine generalisierende Betrachtung unter Einschluss anderer potentiell leberschädigender Arzneimittel. Entsprechende Vergleiche, insbesondere bei Risikoentscheidungen, leiden schon im Ansatz unter der Schwierigkeit, eine Vergleichbarkeit der Präparate zu begründen und hätten im Erfolgsfall das Einpendeln auf dem jeweils niedrigsten Sicherheitsniveau zur Folge. Dessen ungeachtet unterliegt auch „Ergenyl chrono“ einem durchaus engmaschigen Sicherheitsregime, welches das BfArM in seinem Schriftsatz vom 13.11.2018 zutreffend beschreibt.</p>
<span class="absatzRechts">128</span><p class="absatzLinks">Nachvollziehbare Anhaltspunkte für die Annahme, regelmäßige Leberwertkontrollen seien zur Risikominimierung generell ungeeignet und Hinweise an den Patienten auf die Symptome einer Leberschädigung seien wichtiger – so Prof. U.       im Gutachten vom 07.09.2018 – bestehen demgegenüber nicht. Sie gründet sich auf dem leberschädigenden Potential vieler anderer Arzneistoffe, bei denen regelmäßige Kontrollen nicht oder weitmaschiger angeordnet sind, ist damit aber demselben Einwand ausgesetzt wie Vergleichsbetrachtungen bei der Risikobewertung allgemein. Auch geht Prof. U.       insgesamt von einem äußerst geringen Risiko Kava-Kava-haltiger Präparate aus, was angesichts der aktuellen Negativ-Monographie des HMPC vom 21.11.2017 deutlichen Zweifeln unterliegt.</p>
<span class="absatzRechts">129</span><p class="absatzLinks">9.</p>
<span class="absatzRechts">130</span><p class="absatzLinks">Die unter II. des Bescheides vom 24.08.2015 angeordnete Auflage, Schulungsmaterial in Gestalt eines anliegenden Patientenheftes zur Verfügung zu stellen, ist rechtswidrig.</p>
<span class="absatzRechts">131</span><p class="absatzLinks">Ob für die Anordnung eines Patientenheftes über die textliche Gestaltung der Gebrauchsinformation hinaus eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage besteht, kann letztlich offen bleiben.</p>
<span class="absatzRechts">132</span><p class="absatzLinks">Der im Bescheid herangezogene § 28 Abs. 3 b Satz 1 Nr. 2 AMG ist jedenfalls nicht einschlägig, da er zur nachträglichen Anordnung von Unbedenklichkeitsprüfungen ermächtigt. In Betracht kommt, das Schulungsmaterial als Teil eines Risikomanagement-Systems aufzufassen und damit Nr. 1 der Norm anzuwenden. Ob Schulungsmaterial an den Patienten generell unter Nr. 1 der Norm gefasst werden kann, ist in der Rechtsprechung ungeklärt. Der Begriff des Risikomanagement-Systems ist identisch mit den nunmehr nach § 22 Abs. 5 a AMG bei Neuzulassungsanträgen vorzulegenden Unterlagen. § 4 Abs. 36 AMG definiert auf der Grundlage des Art. 1 Nr. 28 lit. b der RL 2001/83/EG das Risiko-Management-System als die Summe der Tätigkeiten im Bereich der Pharmakovigilanz und Maßnahmen, durch die Risiken in Zusammenhang mit einem Arzneimittel ermittelt, beschrieben, vermieden oder minimiert werden sollen.</p>
<span class="absatzRechts">133</span><p class="absatzLinks">Zu den Einzelheiten vgl. Thiele, in: Hdb. Arzneimittelrecht, 2. Auflage 2014, § 26 Rnr. 29 ff.; Schickert, in: Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2. Auflage 2016, § 4 Rnr. 261-270.</p>
<span class="absatzRechts">134</span><p class="absatzLinks">Ob hierunter ein Patientenheft im Sinne einer risikovorsorgenden Maßnahme gefasst werden kann, kann jedoch auf sich beruhen. Denn die getroffene Anordnung des BfArM ist jedenfalls nicht erforderlich und mithin unverhältnismäßig. Das dem Bescheid beigefügte Patientenheft erschöpft sich in einer wiederholenden Darstellung dessen, was bereits aus der Gebrauchsinformation für den Patienten ersichtlich ist. Weshalb es unter Aspekten der Risikovorsorge einer zusätzlichen Information bedarf, erschließt sich nicht. Auch der streitgegenständliche Bescheid liefert hierfür keine nachvollziehbare Begründung. Er verweist lediglich darauf, dass es sich um eine weitere Risikominimierungsmaßnahme handele, was keine inhaltliche Begründung ist. Vor dem Hintergrund der aufgrund der Verschreibungspflicht und der obligatorischen Leberwert-Kontrollen ohnedies notwendigen Arztbesuche besteht kein rechtfertigender Grund für eine die Angaben der Gebrauchsinformation zum Teil in anderer druckgraphischer Gestaltung wiederholende Patienteninformation.</p>
<span class="absatzRechts">135</span><p class="absatzLinks">Vergleichbares gilt für die beigefügte Erinnerungskarte, die keinen eigenständigen Informationswert hat und nicht wesentlich über die Terminszettel hinausgeht, die seitens der Ärzteschaft den Patienten oftmals ohnehin ausgehändigt werden. Da die Überwachung der Kontrollintervalle dem behandelnden Arzt obliegt und mit diesem die Termine vereinbart werden, ist eine hinreichende Risikovorsorge gewährleistet.</p>
<span class="absatzRechts">136</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">137</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.</p>
<span class="absatzRechts">138</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p>
<span class="absatzRechts">139</span><p class="absatzLinks">Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn</p>
<span class="absatzRechts">140</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">141</span><p class="absatzLinks">1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">142</span><p class="absatzLinks">2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">143</span><p class="absatzLinks">3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">144</span><p class="absatzLinks">4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">145</span><p class="absatzLinks">5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">146</span><p class="absatzLinks">Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.</p>
<span class="absatzRechts">147</span><p class="absatzLinks">Statt in Schriftform kann die Einlegung des Antrags auf Zulassung der Berufung auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.</p>
<span class="absatzRechts">148</span><p class="absatzLinks">Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">149</span><p class="absatzLinks">Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.</p>
<span class="absatzRechts">150</span><p class="absatzLinks">Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p>
<span class="absatzRechts">151</span><p class="absatzLinks"><strong>Beschluss</strong></p>
<span class="absatzRechts">152</span><p class="absatzLinks">Der Wert des Streitgegenstandes wird auf</p>
<span class="absatzRechts">153</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">180.000,00 €</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">154</span><p class="absatzLinks">festgesetzt.</p>
<span class="absatzRechts">155</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe</strong></p>
<span class="absatzRechts">156</span><p class="absatzLinks">Der festgesetzte Streitwert entspricht – entsprechend der aus dem Urteil ersichtlichen Gliederung – für jede der unter 1. bis 9. getroffenen Regelungen jeweils dem gesetzlichen Auffangstreitwert (§ 52 Abs. 2 GKG). Der so ermittelte Wert von 45.000,00 Euro war vorliegend zu vervierfachen, weil das Verfahren vier Arzneimittel betrifft.</p>
<span class="absatzRechts">157</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p>
<span class="absatzRechts">158</span><p class="absatzLinks">Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, Beschwerde bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">159</span><p class="absatzLinks">Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.</p>
<span class="absatzRechts">160</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">161</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.</p>
<span class="absatzRechts">162</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p>
|
180,247 | vg-gelsenkirchen-2019-01-22-15a-k-555118a | {
"id": 843,
"name": "Verwaltungsgericht Gelsenkirchen",
"slug": "vg-gelsenkirchen",
"city": 423,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 15a K 5551/18.A | 2019-01-22T00:00:00 | 2019-02-07T14:18:39 | 2019-02-13T12:21:07 | Urteil | ECLI:DE:VGGE:2019:0122.15A.K5551.18A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 11. Oktober 2018 verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen.</p>
<p>Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p>
<p>Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Tatbestand:</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der am 1. Juli 1974 geborene Kläger und die am 1. September 1983 geborene Klägerin sind irakische Staatsangehörige, kurdischer Volks- und yezidischer Religionszugehörigkeit. Sie sind die leiblichen Eltern des am 21. Februar 2000 geborenen Sohnes S.      T.       I.    , dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 11. Dezember 2015 (Az.: °°°°°°‑°°°) die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG zuerkannt hat.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Kläger reisten mit einem am 4. Oktober 2017 von der deutschen Botschaft in Ankara erteilten Visum zum Zwecke der Familienzusammenführung zu ihrem im Deutschland lebenden Sohn am 17. Oktober 2017 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 3. November 2017 stellten die Kläger ihren (förmlichen) Asylantrag.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Nach Durchführung des Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates und der persönlichen Anhörung nach § 25 AsylG lehnte das Bundesamt durch Bescheid vom 11. Oktober 2018 die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab (Ziff. 1). Der subsidiäre Schutzstatus wurde nicht zuerkannt (Ziff. 2). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 3). Die Kläger wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen, andernfalls wurde ihnen die Abschiebung in den Irak angedroht (Ziff. 4). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziff. 5). Zur Begründung führte das Bundesamt unter anderem aus, dass die Voraussetzungen des internationalen Schutzes für Familienangehörige nicht erfüllt seien. Eltern könnten nur so lange Schutz von ihrem Kind ableiten, wie dieses zum Zeitpunkt der Entscheidung noch minderjährig sei. Der Sohn der Kläger sei jedoch inzwischen volljährig. Aus eigenen Gründen könnten die Kläger die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nicht beanspruchen, da eine Verfolgung der Yeziden durch den IS nach dessen Zurückdrängung nicht mehr stattfinde. Der Bescheid wurde laut Aktenvermerk am 15. Oktober 2018 als Einschreiben zur Post gegeben.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Kläger haben am 30. Oktober 2018 Klage erhoben. Zur Begründung tragen sie vor, dass Sie einen Anspruch auf Familien-Flüchtlingseigenschaft hätten. Für die Frage, ob der Stammberechtigte noch minderjährig sei, sei nicht auf den Zeitpunkt der Entscheidung durch das Bundesamt abzustellen. Entscheidungserheblich sei vielmehr der Tag der Asylbeantragung. Bei der Asylbeantragung am 3. November 2017 sei ihr Sohn noch minderjährig gewesen.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die Kläger beantragen,</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 11. Oktober 2018 zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG zu zuerkennen,</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">hilfsweise ihnen subsidiären Schutz nach § 4 AsylG zu zuerkennen,</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">hilfsweise festzustellen, dass in Ihren Personen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung nimmt sie Bezug auf die angefochtene Entscheidung des Bundesamtes.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Die Beteiligten, die Kläger mit anwaltlichem Schriftsatz vom 3. Dezember 2018 und die Beklagte durch allgemeine Prozesserklärung vom 27. Juni 2017, haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Mit Beschluss vom 10. Dezember 2018 hat die Kammer den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorganges des Bundesamtes Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 1 AsylG durch den Einzelrichter und gemäß § 101 Abs. 2 VwGO im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 11. Oktober 2018 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Nach der gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG für die Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts haben die Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, § 113 Abs. 5 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Der Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft folgt aus § 26 Abs. 3 Satz 1, Abs. 5 Sätze 1 und 2 AsylG. Danach wird den Eltern eines anerkannten minderjährigen ledigen Flüchtlings auf Antrag die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wenn die Anerkennung des Ausländers als Flüchtling unanfechtbar ist (Nr. 1), die Familie schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Flüchtling verfolgt wurde (Nr. 2), sie den Asylantrag unverzüglich gestellt haben (Nr. 3), diese Anerkennung nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist (Nr. 4) und sie die Personensorge für den Flüchtling innehaben (Nr. 5). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Dem minderjährigen Sohn der Kläger wurde durch bestandskräftigen Bescheid des Bundesamtes vom 11. Dezember 2015 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Die Familie hat schon im Irak bestanden. Sie lebten vor ihrer Flucht bzw. Ausreise in Batele in der Provinz Ninive. Die zeitweilige fluchtbedingte Trennung kann den Anspruch aus § 26 AsylG nicht beeinträchtigen. Nach der Flüchtlingsanerkennung ihres Sohnes reisten die Kläger am 17. Oktober 2017 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 3. November 2017 ihren förmlichen Asylantrag, nachdem sie bereits am 24. Oktober 2017 bei der Erstaufnahmeeinrichtung des Kreises Unna als Asylsuchende registriert worden waren. Danach erfolgte die Stellung des Asylantrages unverzüglich nach ihrer Einreise.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft der genannten Familienangehörigen vorliegen könnten, § 73 AsylG, oder diese erloschen wäre, § 72 AsylG, sind weder von der Beklagten vorgetragen, noch sonst ersichtlich. Insbesondere sind die Verwaltungsgerichte im Familienasylverfahren nach § 26 AsylG weder verpflichtet noch berechtigt, Gründe für den Widerruf der Asylanerkennung des Stammberechtigten nach § 73 Abs. 1 AsylG zu prüfen, solange der Leiter des Bundesamts ein Widerrufsverfahren nicht eingeleitet und den betroffenen Stammberechtigten hierzu nicht angehört hat.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2006 ‑ 1 C 8/05 ‑, BVerwGE 126, 27, juris, Rn. 17.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Hinweise auf die Einleitung eines Widerrufverfahrens liegen dem Gericht nicht vor. Auch sind keine Hinweise für das Vorliegen der Ausschlussgründe des § 26 Abs. 4 und Abs. 6 AsylG gegeben.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Im Zeitpunkt der Asylantragstellung der Kläger am 3. November 2017 war ihr Sohn (noch) minderjährig.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Frage der Minderjährigkeit des Stammberechtigten im Rahmen des Schutzanspruchs der Eltern gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG ist der Zeitpunkt der Asylantragsstellung der Eltern und nicht der Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesamtes über den Asylantrag.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteile vom 20. April 2018 ‑ 15a K 1453/18.A ‑, 8. Mai 2018 ‑ 15a K 1317/18.A - und 8. Juni 2018 ‑ 15a K 509/18.A ‑; VG Karlsruhe, Urteil vom 9. Februar 2018 ‑ A 2 K 7425/16 -, juris, VG Oldenburg, Urteil vom 21. September 2018 ‑ 15 A 8994/17 ‑, juris.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Auch wenn nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts abzustellen ist, kann für das Vorliegen einzelner Voraussetzungen einer Anspruchsnorm auf einen anderen Zeitpunkt abzustellen sein, wenn ‑ wie hier ‑ nach dem materiellen Recht ein früherer Zeitpunkt entscheidend ist. Die Maßgeblichkeit eines früheren Beurteilungszeitpunktes folgt zwar nicht bereits aus dem Wortlaut des § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG, ergibt sich allerdings aus richtlinienkonformer Auslegung der Norm.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Dem Wortlaut des § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG kann nicht entnommen werden, auf welchen Zeitpunkt hinsichtlich der Frage der Minderjährigkeit des Stammberechtigten abzustellen ist. Lediglich § 26 Abs. 2 AsylG benennt für den Fall, dass minderjährige Kinder zu ihren stammberechtigten Eltern zuziehen, ausdrücklich den Zeitpunkt der Asylantragstellung als maßgeblichen Zeitpunkt der Minderjährigkeit des Nachziehenden.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Das Unionsrecht gibt jedoch einen einheitlichen Schutz des Familienverbandes vor, (Art. 23 RL 2011/95/EU). Ein unterschiedliches Schutzniveau abhängig davon, ob Eltern zu ihren Kindern ziehen oder umgekehrt, ist damit nicht zu vereinbaren. In beiden Fällen geht es um die Wahrung des im Fluchtstaat bestehenden Familienverbandes (Art. 23 Abs. 1 RL 2011/95/EU) und die Integration der nahen Angehörigen eines Stammberechtigten. Die beiden Schutztatbestände in § 26 Abs. 2 und Abs. 3 AsylG basieren auf derselben unionsrechtlichen Grundlage und unterscheiden sich lediglich hinsichtlich der Person des zuziehenden Familienmitglieds.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Eine vollständige Umsetzung der RL 2011/95/EU verlangt daher, dass Familienflüchtlingsschutz gewährt werden muss, sobald bei Bestehen des Familienverbandes im Fluchtstaat und erfolgter Asylantragstellung die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen. Entgegenstehendes ergibt sich auch nicht aus der Begründung des Richtlinienumsetzungsgesetzes. Dort wird lediglich mitgeteilt, dass § 26 Abs. 2 AsylVfG a.F. unverändert bleiben könne und in § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG der „Familienschutz erstmalig auf die Eltern minderjähriger lediger Asylberechtigter“ ausgedehnt werde.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Vgl. BR-Drs. 218/13, Seite 30 - Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Sofern der Gesetzgeber einen unterschiedlichen Beurteilungszeitpunkt intendiert hätte, wäre angesichts seines erklärten Ziels, den Familienschutz auf die Eltern minderjähriger lediger Asylberechtigter auszudehnen, zu erwarten gewesen, dass er dies im Zuge der Rechtsänderung bekundet und in der Begründung des Entwurfs des Richtlinienumsetzungsgesetzes äußert. Da dies jedoch ‑ im Übrigen auch nachträglich ‑ unterblieben ist, muss davon ausgegangen werden, dass auch beim „Elternschutz“ des § 26 Abs. 3 AsylG der Zeitpunkt der Asylantragstellung maßgeblich sein sollte.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Schließlich geht das Gericht davon aus, dass die Kläger zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung auch die Personensorge für ihren minderjährigen Sohn innehatten.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Darüber, ob sich der Anspruch der Kläger auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft darüber hinaus aus § 3 Abs. 1 AsylG ergibt, muss hier nicht mehr entschieden werden.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1992 ‑ 9 C 66.91 - und Beschluss vom 3. Juni 1991 ‑ 2 BvR 720.91 ‑, jeweils juris; Marx, Kommentar zum Asylgesetz, § 26 Rn. 44.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Die auf der Ermächtigungsgrundlage des § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG beruhende Abschiebungsandrohung in Ziffer 4 des Bescheides ist rechtswidrig. Die Voraussetzung des § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG liegt nicht vor. Den Klägern ist die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Die nach § 11 Abs. 2 und 3 AufenthG zu treffende Ermessensentscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG ist aufgrund der Verpflichtung der Beklagten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, gegenstandslos.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Über die Hilfsanträge, die Beklagte zu verpflichten, den Klägern den subsidiären Schutz nach § 4 AsylG zuzuerkennen, weiter hilfsweise das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG festzustellen, war nicht mehr zu entscheiden.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2, 108 Abs. 1 Satz 1 ZPO.</p>
|
180,246 | ovgnrw-2019-01-22-15-a-24718 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 15 A 247/18 | 2019-01-22T00:00:00 | 2019-02-07T14:18:39 | 2019-02-13T12:21:07 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0122.15A247.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag wird abgelehnt.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 5.000,- € festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat - ungeachtet der Frage, ob er nach Beendigung seines Landtagsmandats noch im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt ist - keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die sinngemäß allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen nicht vor.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Ernstliche Zweifel sind gegeben, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird. Sie sind (nur) begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 16. Januar 2017 ‑ 2 BvR 2615/14 -, juris Rn. 19, und vom 9. Juni 2016 ‑ 1 BvR 2453/12 -, juris Rn. 16, jeweils mit weiteren Nachweisen.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem Antrag des Klägers,</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheids vom 29. Juli 2016 zu verpflichten, seinen Antrag vom 13. Juli 2016 in vollständiger Form zu beantworten,</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">zu Recht abgewiesen.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat den auf § 4 IFG NRW gestützten Informationsantrag vom 13. Juli 2016 in seiner (damaligen) Eigenschaft als Landtagsabgeordneter gestellt. Er hat den Antrag auf seinem mit dem Landeswappen versehenen offiziellen Briefbogen als Mitglied des Landtags (Mitglied des Innenausschusses, Mitglied des Ausschusses für Kommunalpolitik) verfasst. Mit diesem Zusatz hat der Kläger den Antrag auch unterzeichnet. Als Korrespondenzadresse hat er überdies nicht seine Privatanschrift, sondern das Postfach des Landtags angegeben. Entsprechendes gilt für seine Erreichbarkeit per Telefon und per E-Mail.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Jedoch sind Abgeordnete des Landtags NRW - und damit auch der Kläger - in dieser Eigenschaft nicht nach § 4 Abs. 1 IFG NRW anspruchsberechtigt.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Nach § 4 Abs. 1 IFG NRW hat jede natürliche Person nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den in § 2 IFG NRW genannten Stellen Anspruch auf Zugang zu den bei der Stelle vorhandenen amtlichen Informationen.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Ein Landtagsabgeordneter, dem im Verhältnis zur Landesregierung (ausschließlich) organschaftliche Statusrechte zustehen, ist in dieser Eigenschaft keine „natürliche Person“ im Sinne von § 4 Abs. 1 IFG NRW.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Vgl. zur Unterscheidung zwischen einer organschaftlichen Rechtsstellung und dem Anspruch aus § 4 Abs. 1 IFG NRW bereits OVG NRW, Urteil vom 12. Juni 2003 - 8 A 4282/02 -, juris Rn. 19; ebenso Franßen/Seidel, IFG NRW, 2007, § 4 Rn. 511 a. E.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Dies folgt aus der Zielsetzung des Informationsfreiheitsgesetzes NRW, einen umfassenden verfahrensunabhängigen Anspruch auf Informationszugang für die Bürgerinnen und Bürger des Landes Nordrhein-Westfalen zu schaffen, der als eigenständiger Bürgerrechtsanspruch charakterisiert wird. Mit ihm soll dem Bedürfnis der Gesellschaft nach Informationen und dem Transparenzgebot der öffentlichen Verwaltung Rechnung getragen werden. Dabei soll nicht nur die Transparenz des behördlichen Handelns durch den Zugang zu Informationen erhöht, sondern auch die Nachvollziehbarkeit und Akzeptanz behördlicher Entscheidungen und der zugrunde liegenden politischen Beschlüsse erhöht werden. Ferner wird als Motiv für die Einführung eines Informationszugangsrechts genannt, die Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger in Bezug auf das Handeln der staatlichen Organe dadurch zu optimieren, dass ihnen eine verbesserte Argumentationsgrundlage an die Hand gegeben wird.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Vgl. die Begründung des Entwurfs des Informationsfreiheitsgesetzes NRW, LT-Drs. 13/1311, S. 9.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Diese Zielsetzung erfasst Landtagsabgeordnete in ihrer spezifischen, statusrechtlich geprägten (Innen-)Rechtsstellung nicht. Ihr Informationsbedürfnis im Rahmen ihrer parlamentarischen (Kontroll-)Tätigkeit wird durch Art. 30 Abs. 2 LVerf NRW gewährleistet, der einen grundsätzlichen Anspruch auf vollständige und zutreffende Beantwortung von an die Landesregierung gerichteten parlamentarischen Anfragen einschließt.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Vgl. VerfGH NRW, Urteile vom 19. August 2008 ‑ 7/07 -, juris Rn. 244, und vom 4. Oktober 1993 ‑ 15/92 -, juris Rn. 95 ff.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Demgegenüber betrifft das Informationsfreiheitsgesetz NRW nur das Außenrechtsverhältnis des Bürgers zu den anspruchsverpflichteten öffentlichen Stellen.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 12. Juni 2003 - 8 A 4282/02 -, juris Rn. 22; in diese Richtung auch Shirvani, Verhältnis zwischen Fragerechten nach IFG und Auskunftsrechten von Abgeordneten nach der Landesverfassung NRW am Beispiel des BLB NRW - Gutachten im Auftrag des Parlamentarischen Beratungs- und Gutachterdienstes des Landtags Nordrhein-Westfalen, Mai 2015, S. 36.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Dass dies nach § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG (Bund) anders beurteilt wird, weil dort der Kreis der Anspruchsberechtigten mit dem Terminus „Jeder“ weiter gefasst ist,</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">vgl. für eine Fraktion eines Abgeordnetenhauses Bay. VGH, Urteil vom 22. April 2016 - 5 BV 15.799 -, juris Rn. 21 ff.; sowie Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, § 1 Rn. 83 (für Bundestagsabgeordnete); im Weiteren auch OVG NRW, Urteil vom 12. Juni 2003 - 8 A 4282/02 -, juris Rn. 19,</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">beeinflusst die Interpretation von § 4 Abs. 1 IFG NRW mit Blick auf dessen engeren Wortlaut nicht.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Entsprechendes gilt für die klägerseits in Bezug genommene Datenschutz-Grundverordnung mit ihren einem jeweils eigenen Binnenverständnis unterliegenden Begrifflichkeiten sowie für das Gesetz zur Anpassung des allgemeinen Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Nordrhein-Westfälisches Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungsgesetz EU - NRWDSAnpUG-EU) vom 17. Mai 2018 (GV. NRW. S. 243).</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Eine Rechtsschutzlücke entsteht infolge der Auslegung des Begriffs „natürliche Person“ in § 4 Abs. 1 IFG NRW nicht. Dem Kläger war es unbenommen, wie er es später auch getan hat, den Informationsantrag als einfacher Bürger ‑ und nicht als Mandatsträger ‑ zu stellen. Sollte der Kläger die Beantwortung seiner (als Landtagsabgeordneter gestellten) Kleinen Anfrage an die Landesregierung als verfassungsrechtlich defizitär angesehen haben, hätte er zudem um Rechtsschutz im Wege des Organstreitverfahrens nach Art. 75 Nr. 2 LVerf NRW, §§ 43 ff. VGHG NRW,</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">vgl. insoweit etwa VerfGH, Urteil vom 15. Dezember 2015 - 12/14 -, juris Rn. 63 f.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">vor dem Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen nachsuchen können.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juni 2017 - 1 BvR 1978/13 -, juris Rn. 21 ff., ergibt sich nichts anderes. Das dort angesprochene Grundrecht der Informationsfreiheit aus <a href="https://www.juris.de/r3/?docId=BJNR000010949BJNE002100314&${__hash__}38;docFormat=xsl&${__hash__}38;oi=6AhNbeqPTf&${__hash__}38;docPart=S&${__hash__}38;sourceP=%7B%22source%22:%22Link%22%7D">Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 GG</a> als verfassungsrechtlicher Hintergrund der einfachgesetzlichen Informationszugangsansprüche stand dem Kläger in seiner Funktion als Abgeordneter nicht zu.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Ob Art. 30 Abs. 2 LVerf NRW darüber hinaus als besondere Vorschrift im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW zu qualifizieren ist, kann nach alledem dahinstehen.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).</p>
|
180,245 | ovgnrw-2019-01-22-15-a-44518 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 15 A 445/18 | 2019-01-22T00:00:00 | 2019-02-07T14:18:38 | 2019-02-13T12:21:07 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0122.15A445.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag wird abgelehnt.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 25.550,08 € festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen nicht vor.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Ernstliche Zweifel sind gegeben, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird. Sie sind (nur) begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 16. Januar 2017 ‑ 2 BvR 2615/14 -, juris Rn. 19, und vom 9. Juni 2016 ‑ 1 BvR 2453/12 -, juris Rn. 16, jeweils mit weiteren Nachweisen.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem Antrag,</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">den Vorausleistungsbescheid der Beklagten vom 7. Juni 2016 aufzuheben,</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">zu Recht abgewiesen.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">1. Das Grundstück des Klägers Gemarkung I.           , Flur 9, Flurstück 105 (C.           25 und 27) wird von der Erschließungsanlage I1.            im Sinne von § 131 Abs. 1 Satz 1, § 133 Abs. 1 BauGB erschlossen.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Ein Grundstück ist im Sinne dieser Vorschriften erschlossen, wenn ihm die Anlage in erschließungsbeitragsrechtlich relevanter Weise, das heißt in einer auf die bauliche, gewerbliche oder vergleichbare Nutzbarkeit der Grundstücke gerichteten Funktion, die Zugänglichkeit vermittelt. Die durch die Anlage und die damit bewirkte Erreichbarkeit vermittelte bauliche oder gewerbliche Ausnutzbarkeit ist der Erschließungsvorteil, der die anteilige Auferlegung des hierfür notwendigen Aufwands rechtfertigt.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. November 2014 - 9 C 4.13 -, juris Rn. 11.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Fehlt es in dem vorrangig maßgeblichen Bebauungsplan an relevanten Festsetzungen, so ist ein in einem Wohngebiet gelegenes Grundstück durch eine Anbaustraße regelmäßig erschlossen, wenn diese die Möglichkeit eröffnet, mit Personen- und Versorgungsfahrzeugen an die Grenze des Grundstücks heranzufahren und es von dort aus zu betreten. Erschlossen sind danach die unmittelbar an die Anbaustraße angrenzenden, selbständig bebaubaren oder gewerblich nutzbaren Grundstücke, die von der Anlage in der für die vorgenannte Nutzung erforderlichen Weise - gegebenenfalls nach Ausräumung bestehender, aber mit zumutbarem Aufwand zu beseitigender Hindernisse - erreicht werden können.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteile vom 12. November 2014 - 9 C 4.13 -, juris Rn. 12, und vom 28. März 2007 - 9 C 4.06 -, juris Rn. 11.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Aus bauordnungsrechtlicher Sicht ist für das Erschlossensein gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW (früher: § 4 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW) erforderlich, dass das Grundstück in angemessener Breite an der befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche liegt. Dabei ist anzunehmen, dass das Gesetz eine Breite von weniger als 1 m nicht mehr als angemessen ansieht, weil unter solchen Verhältnissen der Zugang insbesondere für Feuerwehrleute mit Feuerlösch- und Rettungsgeräten nicht bzw. nicht ohne Schwierigkeiten möglich ist.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Mai 2000 - 3 A 3132/99 -, juris Rn. 1.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Im Fall einer Zweiterschließung ist die Ersterschließung hinwegzudenken. Es kommt insofern allein darauf an, dass die Zweitanlage dem Grundstück durch die - von der tatsächlichen Nutzung unabhängige - Möglichkeit der Inanspruchnahme eine prinzipiell bessere Qualität der Erschließung im bebauungsrechtlichen Sinne vermittelt.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 29. September 2015 ‑ 9 B 42.15 -, juris Rn. 12, und vom 14. Dezember 2010 - 9 B 58.10 -, juris Rn. 3, Urteil vom 28. März 2007 - 9 C 4.06 -, juris Rn. 11.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Für die Beurteilung der Ausdehnung einer Erschließungsanlage, das heißt der Frage, wo eine selbständige Erschließungsanlage beginnt und endet, ist weder die Parzellierung noch eine einheitliche oder unterschiedliche Straßenbezeichnung maßgebend. Vielmehr kommt es auf das Erscheinungsbild, also auf die tatsächlichen Verhältnisse an, wie sie zum Beispiel durch die Straßenführung, Straßenbereite, Straßenlänge und Straßenausstattung geprägt werden und sich im Zeitpunkt des Entstehens sachlicher Beitragspflichten einem unbefangenen Beobachter bei natürlicher Betrachtungsweise darstellen. Deutlich abgrenzbare Teile einer Straße können daher selbständige Erschließungsanlagen bilden.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. November 2016 - 9 C 25.15 -, juris Rn.24.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Erforderlich ist eine Würdigung aller dafür relevanten Umstände. Die natürliche Betrachtungsweise ist nicht aus einer Vogelperspektive anzustellen. Vielmehr ist grundsätzlich der Blickwinkel eines Betrachters am Boden einzunehmen. Wegen der damit unter Umständen verbundenen Einengung des Horizonts kann gegebenenfalls ergänzend auch der sich aus Plänen oder Luftbildaufnahmen ergebende Straßenverlauf mit in die Betrachtung einzubeziehen sein.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. März 2017 - 9 C 20.15 -, juris Rn. 12.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Dabei kann - ausnahmsweise abweichend von der grundsätzlich gebotenen natürlichen Betrachtungsweise - auch die Verlängerung einer schon vorhandenen Erschließungsanlage eine selbständige Erschließungsanlage sein.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteile vom 7. März 2017 - 9 C 20.15 -, juris Rn. 14, und vom 5. Oktober 1984 - 8 C 41.83 -, juris Rn. 21; OVG NRW, Urteil vom 24. November 1998 - 3 A 706/91 -, juris Rn. 7 ff.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Dies zugrunde gelegt, hat das Verwaltungsgericht, das die Örtlichkeit im Rahmen eines Ortstermins am 19. September 2017 in Augenschein genommen hat, auf S. 8 f. des angefochtenen Urteils zutreffend dargelegt, dass das klägerische Grundstück von der Erschließungsanlage I1.            erschlossen wird. Das Grundstück des Klägers grenzt südöstlich auf einer Länge von ca. 6 m unmittelbar an diese Erschließungsanlage an.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Der Auffassung des Klägers, dieser Teil der Straße gehöre zur vorhandenen Erschließungsanlage Zum T.           und sei nur mit einem neuen Straßenbelag versehen worden, ist nicht zu folgen. Das Verwaltungsgericht hat unter Hinweis auf den entsprechenden Ausbau- und Abrechnungsplan mit Recht darauf abgestellt, dass die im Jahr 1983 fertiggestellte Erschließungsanlage Zum T.           an der südöstlichen Ecke des klägerischen Grundstücks endete und dieses daher nicht erschloss. Dass sich an diese Erschließungsanlage eine befestigte Fläche anschloss, über die der Kläger schon früher an sein Grundstück heranfahren konnte, besagt - auch wegen des seinerzeitigen Ausbauzustands - nichts darüber, dass diese Fläche Bestandteil der vorhandenen Erschließungsanlage Zum T.           war. Für diese rechtliche Bewertung ist auch unerheblich, über welchen Straßenverlauf Pkw das Grundstück des Klägers üblicherweise anfahren.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">2. Der Kläger zieht die Höhe der festgesetzten Vorausleistung nicht ernstlich in Zweifel.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Bei ungewöhnlich großen Grundstücken kann es nach Sinn und Zweck der bundesrechtlichen Erschließungsbeitragsvorschriften geboten sein, die Eckermäßigung nicht auf das gesamte Grundstück zu erstrecken, sondern nur auf einen Grundstücksteil, der etwa der durchschnittlichen Größe der übrigen von der Anlage erschlossenen Grundstücke entspricht.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1976 - IV C 56.74 -, juris Rn. 18.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Dementsprechend sieht § 6 Abs. 9 der Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen in der Stadt I2.      (T1.    ) in der Fassung der 3. Nachtragssatzung vom 16. November 1998 vor, dass für Grundstücke, die von mehr als einer Erschließungsanlage im Sinne des § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB erschlossen werden, die Grundstücksfläche bei Abrechnung jeder Erschließungsanlage nur mit zwei Dritteln anzusetzen ist, dass dies nach Buchstabe f) aber nicht für Grundstücksflächen gilt, soweit sie die durchschnittliche Grundstücksfläche der übrigen im Abrechnungsgebiet liegenden Grundstücke übersteigen.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Diese Regelung hat die Beklagte zur Anwendung gebracht, wie aus der Anlage C zum Vorausleistungsbescheid vom 7. Juni 2016 sowie aus dem Schreiben der Beklagten vom 29. Juni 2016 hervorgeht. Dass dies fehlerhaft geschehen ist, legt der Kläger nicht dar und ist mit Blick auf die Größe seines Grundstücks von 1.465 m² auch sonst nicht ersichtlich.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">3. Soweit der Kläger pauschal auf sein erstinstanzliches Vorbringen Bezug nimmt, genügt dies den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).</p>
|
180,213 | olgsh-2019-01-22-16-w-14618 | {
"id": 1070,
"name": "Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht",
"slug": "olgsh",
"city": null,
"state": 17,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": "Oberlandesgericht"
} | 16 W 146/18 | 2019-01-22T00:00:00 | 2019-02-07T14:18:06 | 2019-02-13T12:21:07 | Beschluss | ECLI:DE:OLGSH:2019:0122.16W146.18.00 | <div class="docLayoutText">
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten zu 3) wird der Beschluss des Einzelrichters der 12. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom 13.12.2018, durch den gegen den Beklagten zu 3) ein Ordnungsgeld in Höhe von 200,00 € festgesetzt worden ist, aufgehoben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die sofortige Beschwerde des Beklagten zu 3) ist zulässig und begründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Nach § 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO kann gegen eine persönlich geladene Partei wie gegen einen Zeugen (§ 380 ZPO) Ordnungsgeld – nicht Ordnungshaft – verhängt werden, wenn sie trotz ordnungsgemäßer Ladung zum Termin unentschuldigt nicht erscheint. Die Festsetzung unterbleibt nach § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO, wenn die Partei einen Vertreter entsendet, der zur Aufklärung des Tatbestandes in der Lage und zur Abgabe der gebotenen Erklärungen, insbesondere zu einem Vergleichsabschluss, ermächtigt ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Das Landgericht hat im Rahmen seiner Ladung zum Termin vom 02.11.2018 das persönliche Erscheinen des Beklagten zu 3) nicht auch zur Aufklärung des Sachverhalts, sondern lediglich für einen Güteversuch angeordnet. Nachdem das Landgericht einen Antrag des Beklagten zu 3) auf Entbindung von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zurückgewiesen hat, ist im – auf den 11.12.2018 verlegten – Termin für den Beklagten zu 3) lediglich dessen Prozessbevollmächtigter erschienen, der – ausweislich der mit der Beschwerde vorgelegten Vollmacht (Bl. 360 d. A.) –  zur Abgabe der für einen Vergleichsabschluss erforderlichen Erklärungen bevollmächtigt war. Bereits hiernach hatte die Festsetzung eines Ordnungsgeldes nach der Regelung des § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO zu unterbleiben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Soweit es nicht um eine Erschwerung der Sachaufklärung geht – und zur Sachaufklärung wurde das persönliche Erscheinen des Beklagten zu 3) vorliegend gerade nicht angeordnet – reicht zur Vermeidung der Festsetzung eines Ordnungsgeldes bereits die formale Bevollmächtigung des erschienenen Prozessbevollmächtigten zum Vergleichsschluss aus (BGH NJW-RR 2011, 1363, Rn. 20 f. bei juris; a. A. OLG Naumburg MDR 2011, 943, Rn. 7 ff. bei juris). § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO knüpft lediglich im Hinblick auf die Tatsachenaufklärung, nicht aber im Hinblick auf Vergleichsverhandlungen an die Fähigkeit eines zum Vergleichsabschluss bevollmächtigten Vertreters zur inhaltlichen Erörterung an.Zwar mag eine Partei die Erklärung, sie sei nicht vergleichsbereit, nicht abgeben dürfen, um sich der Sanktion des § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO zu entziehen (vgl. Greger, in: Zöller, ZPO, 32. A. 2018, § 141 Rn. 12); dies aber nur dann nicht, wenn sie gleichzeitig keinen hinreichend zum Vergleichsschluss bevollmächtigten Vertreter entsandt hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Am Vorstehenden ändert nichts, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 3) im Termin erklärt hat, dass der Beklagte zu 3) zu einem Vergleichsabschluss nicht bereit sei. Selbst wenn durchaus im Interesse der gütlichen Beilegung von Rechtsstreitigkeiten die persönliche Teilnahme einer Partei an einer Güteverhandlung deren Bereitschaft erhöhen wird, von einer entsprechend vorgefassten Ansicht abzuweichen, folgt aus der gesetzlichen Verpflichtung, einen hinreichend bevollmächtigten Vertreter zu entsenden, keine Verpflichtung der Partei, überhaupt zu einem Vergleichsschluss bereit zu sein; ebenso wenig, wie aus § 141 ZPO überhaupt eine Erklärungspflicht der betroffenen Partei folgt (vgl. Fritsche, in: MüKo-ZPO, 5. A. 2016, § 141 Rn. 13; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 15. A. 2018, § 141 Rn. 10). So sieht § 278 Abs. 2 Satz 1 ZPO ausdrücklich vor, dass im Falle der Aussichtslosigkeit einer Güteverhandlung von deren Durchführung abgesehen werden kann. Im Übrigen hat ausweislich des Verhandlungsprotokolls (Bl. 295 d. A.) noch vor der Erklärung des Beklagten zu 3) eine Güteverhandlung tatsächlich stattgefunden sowie der Beklagte zu 3) im Rahmen des Beschwerdevorbringens plausibel ausgeführt, dass für den Beklagten zu 3) unter Kostengesichtspunkten von vorneherein eine streitige Entscheidung des Rechtsstreits gegenüber dessen vergleichsweiser Beilegung vorzugswürdig war.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Eine Kostenentscheidung ist im Falle einer erfolgreichen Beschwerde – wie hier – nicht veranlasst (vgl. BGH NJW-RR 2007, 1364 m. w. N.).</p></dd>
</dl>
</div></div>
<br>
</div>
|
178,103 | bverfg-2019-01-22-2-bvr-9319 | {
"id": 3,
"name": "Bundesverfassungsgericht",
"slug": "bverfg",
"city": null,
"state": 2,
"jurisdiction": "Verfassungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": "Bundesgericht"
} | 2 BvR 93/19 | 2019-01-22T00:00:00 | 2019-02-01T13:09:25 | 2019-02-13T12:21:07 | Nichtannahmebeschluss | ECLI:DE:BVerfG:2019:rk20190122.2bvr009319 | <h2>Tenor</h2>
<div>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.</p>
</dd>
</dl>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_1">1</a>
</dt>
<dd>
<p>
Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 93b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BVerfGG).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_2">2</a>
</dt>
<dd>
<p>
1. Zwar muss ein Gericht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wenn sich ein Antragsteller oder Beschwerdeführer ausdrücklich die Begründung seines Rechtsschutzbegehrens vorbehalten hat, entweder eine Frist für die Begründung setzen oder, wenn es davon absieht, mit einer nicht stattgebenden Entscheidung angemessene Zeit warten. Entscheidet es vor Ablauf der Frist oder sonst angemessener Zeit, ist der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt (vgl. BVerfGE 4, 190 <192>; 8, 89 <91>; 17, 191 <193>; 24, 23 <25 f.>; 60, 313 <317 f.>; stRspr).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_3">3</a>
</dt>
<dd>
<p>
2. Dem wird der angegriffene Beschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 17. Dezember 2018 indes gerecht.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_4">4</a>
</dt>
<dd>
<p>
a) Der Zeitraum, der zwischen dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung am 12. November 2018 und der Entscheidung des Amtsgerichts am 17. Dezember 2018 lag, war mit über einem Monat angemessen. Die Frage, welche Frist angemessen ist, kann nicht abstrakt generell bestimmt werden, sondern hängt vom konkreten Einzelfall ab (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Dezember 2002 - 2 BvR 654/02 -, juris, Rn. 4). Im vorliegenden Fall bot der Zeitraum von über einem Monat dem Beschwerdeführer ausreichend Gelegenheit, seinen Antrag zu begründen. Dem Verteidiger des Beschwerdeführers wäre es auch unbenommen gewesen, innerhalb dieses Zeitraums darzulegen, warum er weiterhin gehindert war, eine Antragsbegründung abzugeben. Auch in der Verfassungsbeschwerde wird nicht vorgetragen, warum ein Monat nicht ausreichte. Für das Amtsgericht waren die Motive, die dazu geführt haben, dass keine Antragsbegründung einging, nicht erkennbar. Es durfte daher davon ausgehen, dass keine Begründung mehr erfolgen würde, und in der Sache entscheiden (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Dezember 2002 - 2 BvR 654/02 -, juris, Rn. 4).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_5">5</a>
</dt>
<dd>
<p>
b) Zu einer Nachfrage oder Fristsetzung war das Gericht von Verfassungs wegen nicht verpflichtet (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Dezember 2002 - 2 BvR 654/02 -, juris, Rn. 4; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 23. Oktober 1992 - 1 BvR 1232/92 -, juris, Rn. 5). Der Umstand, dass der Beschwerdeführer die Ankündigung einer Begründung mit einem konkret bestimmbaren Zeitpunkt verknüpft hatte, bedingt keine abweichende Beurteilung. Auch in diesem Fall ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn das Gericht nach fruchtlosem Ablauf des in Aussicht gestellten Zeitpunktes ohne Nachfrage eine Sachentscheidung trifft, sofern der danach zur Verfügung gestandene Zeitraum zur Abgabe einer Erklärung objektiv angemessen war und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Erklärung innerhalb des vom Rechtsschutzsuchenden selbst angekündigten Zeitraums aus von ihm nicht zu vertretenden Umständen nicht möglich war. Dann nämlich ist die Annahme des Gerichts, dass keine Begründung mehr erfolgen würde, ebenfalls gerechtfertigt, sofern der Betroffene das Gericht - wie hier - nicht um weiteres Zuwarten ersucht und seine fortbestehende Absicht, eine Begründung abzugeben, aufrechterhält.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_6">6</a>
</dt>
<dd>
<p>
Eine ausnahmsweise Pflicht zur Fristsetzung folgte auch nicht daraus, dass der Verteidiger des Beschwerdeführers den avisierten Abgabezeitpunkt der angekündigten Begründung mit dem unscharfen Begriff der Monatsmitte bezeichnet hatte. Das Amtsgericht hat diese Ankündigung erkennbar dahin ausgelegt, dass mit einem Eingang bis zum Ablauf des 15. Dezembers 2018 zu rechnen sein würde. Diese Auslegung steht in Einklang mit für den Rechtsverkehr getroffenen Festlegungen des Begriffs der Monatsmitte. Nach § 192 BGB etwa ist unter "Mitte des Monats" der 15. Tag eines jeden Monats zu verstehen. Dem vom Verteidiger des Beschwerdeführers als rechtskundiger Person im Rechtsverkehr verwendeten Begriff der Monatsmitte fehlte es daher nicht an einer fristentypischen Bestimmbarkeit. Das gerichtliche Schweigen auf die Ankündigung einer Begründung bis zur "Mitte des Monats" vermochte daher jedenfalls keinen Vertrauenstatbestand zu schaffen, dass das Amtsgericht über den 15. Dezember 2018 hinaus mit einer Entscheidung zuwarten würde. Hierauf hätte der Beschwerdeführer sich einstellen, seine Antragsbegründung innerhalb des angekündigten Zeitraums einreichen und sich auf diese Weise das rechtliche Gehör verschaffen können.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_7">7</a>
</dt>
<dd>
<p>
3. Bei dieser Sach- und Rechtslage kann auch die im Verfahren über die Anhörungsrüge ergangene Entscheidung vom 21. Dezember 2018 - wie der Beschwerdeführer selbst ausgeführt hat - nicht auf einem etwaigen Gehörsverstoß beruhen (zum Erfordernis des Beruhens vgl. BVerfGE 60, 313 <318>; 86, 133, <147>). Da im Ausgangsverfahren keine Gehörsverletzung erfolgte, ist auszuschließen, dass die Einbeziehung unberücksichtigt gebliebenen Vortrags des Beschwerdeführers im Ergebnis zu einer anderen, für ihn günstigeren Entscheidung im Anhörungsrügeverfahren geführt hätte (vgl. BVerfGE 62, 392 <396>; 89, 381 <392 f.>).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_8">8</a>
</dt>
<dd>
<p>
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_9">9</a>
</dt>
<dd>
<p>
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.</p>
</dd>
</dl>
</div>
|
175,034 | eugh-2019-01-22-c-19317 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-193/17 | 2019-01-22T00:00:00 | 2019-01-31T19:20:53 | 2019-01-31T19:20:53 | Urteil | ECLI:EU:C:2019:43 | <p class="sum-title-1">
<a id="judgment"/>URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)</p>
<p class="sum-title-1">22. Januar 2019 (<span class="note">
<a id="c-ECR_62017CJ0193_DE_01-E0001" href="#t-ECR_62017CJ0193_DE_01-E0001">*1</a>
</span>)</p>
<p class="index">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 21 – Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf – Richtlinie 2000/78/EG – Art. 2 Abs. 2 Buchst. a – Unmittelbare Diskriminierung aus Gründen der Religion – Nationale Regelung, nach der bestimmten Arbeitnehmern am Karfreitag ein Urlaubstag zusteht – Rechtfertigung – Art. 2 Abs. 5 – Art. 7 Abs. 1 – Verpflichtungen der privaten Arbeitgeber und der nationalen Gerichte, die sich aus einer Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit der Richtlinie 2000/78 ergeben“</p>
<p class="normal">In der Rechtssache C‑193/17</p>
<p class="normal">betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 24. März 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 13. April 2017, in dem Verfahren</p>
<p class="normal">
<span class="bold">Cresco Investigation GmbH</span>
</p>
<p class="pnormal">gegen</p>
<p class="normal">
<span class="bold">Markus Achatzi</span>
</p>
<p class="normal">erlässt</p>
<p class="normal">DER GERICHTSHOF (Große Kammer)</p>
<p class="normal">unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot und A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentinnen A. Prechal und C. Toader, des Kammerpräsidenten C. Lycourgos (Berichterstatter) sowie der Richter A. Rosas, M. Ilešič, M. Safjan, D. Šváby, C. Vajda und S. Rodin,</p>
<p class="normal">Generalanwalt: M. Bobek,</p>
<p class="normal">Kanzler: R. Șereș, Verwaltungsrätin,</p>
<p class="normal">aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. April 2018,</p>
<p class="normal">unter Berücksichtigung der Erklärungen</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der Cresco Investigation GmbH, vertreten durch Rechtsanwältin M. Zehetbauer,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">von Herrn Achatzi, vertreten durch Rechtsanwalt A. Obereder,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Hesse als Bevollmächtigten,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili und F. De Luca, avvocati dello Stato,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna, M. Szwarc und A. Siwek als Bevollmächtigte,</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">der Europäischen Kommission, vertreten durch B.‑R. Killmann und D. Martin als Bevollmächtigte,</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. Juli 2018</p>
<p class="normal">folgendes</p>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Urteil</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point1">1</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie von Art. 1, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a, Art. 2 Abs. 5 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=OJ:L:2000:303:TOC" hreflang="de" target="CourtTab">ABl. 2000, L 303, S. 16</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point2">2</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Cresco Investigation GmbH (im Folgenden: Cresco) und Herrn Markus Achatzi über dessen Anspruch auf ein Zusatzentgelt für die an einem Karfreitag erbrachte Arbeitsleistung.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Rechtlicher Rahmen</span>
</p>
<p class="title-grseq-2">
<span class="bold">
<span class="italic">Unionsrecht</span>
</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point3">3</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Im 24. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78 wird ausgeführt:</p>
<p class="normal">„Die Europäische Union hat in ihrer der Schlussakte zum Vertrag von Amsterdam beigefügten Erklärung Nr. 11 zum Status der Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften ausdrücklich anerkannt, dass sie den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, achtet und ihn nicht beeinträchtigt und dass dies in gleicher Weise für den Status von weltanschaulichen Gemeinschaften gilt. Die Mitgliedstaaten können in dieser Hinsicht spezifische Bestimmungen über die wesentlichen, rechtmäßigen und gerechtfertigten beruflichen Anforderungen beibehalten oder vorsehen, die Voraussetzung für die Ausübung einer diesbezüglichen beruflichen Tätigkeit sein können.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point4">4</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 1 dieser Richtlinie lautet:</p>
<p class="normal">„Zweck dieser Richtlinie ist die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point5">5</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In Art. 2 der Richtlinie heißt es:</p>
<p class="normal">„(1)   Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.</p>
<p class="normal">(2)   Im Sinne des Absatzes 1</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">a)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">…</p>
<p class="normal">(5)   Diese Richtlinie berührt nicht die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, die Verteidigung der Ordnung und die Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point6">6</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 7 („Positive und spezifische Maßnahmen“) der Richtlinie 2000/78 sieht in seinem Abs. 1 vor:</p>
<p class="normal">„Der Gleichbehandlungsgrundsatz hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, zur Gewährleistung der völligen Gleichstellung im Berufsleben spezifische Maßnahmen beizubehalten oder einzuführen, mit denen Benachteiligungen wegen eines in Artikel 1 genannten Diskriminierungsgrunds verhindert oder ausgeglichen werden.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point7">7</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 16 dieser Richtlinie bestimmt:</p>
<p class="normal">„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">a)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die dem Gleichbehandlungsgrundsatz zuwiderlaufen, aufgehoben werden;</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">b)</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">die mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zu vereinbarenden Bestimmungen in Arbeits- und Tarifverträgen, Betriebsordnungen und Statuten der freien Berufe und der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen für nichtig erklärt werden oder erklärt werden können oder geändert werden.“</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<p class="title-grseq-2">
<span class="bold">
<span class="italic">Österreichisches Recht</span>
</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point8">8</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">§ 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 3. Feber 1983 über die wöchentliche Ruhezeit und die Arbeitsruhe an Feiertagen (Arbeitsruhegesetz – ARG) (BGBl. Nr. 144/1983) in seiner auf den Ausgangssachverhalt anwendbaren Fassung bestimmt:</p>
<p class="normal">„Dieses Bundesgesetz gilt für Arbeitnehmer aller Art, soweit im Folgenden nicht anderes bestimmt wird.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point9">9</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">§ 7 ARG sieht vor:</p>
<p class="normal">„(1)   Der Arbeitnehmer hat an Feiertagen Anspruch auf eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 24 Stunden, die frühestens um 0 Uhr und spätestens um 6 Uhr des Feiertages beginnen muss.</p>
<p class="normal">(2)   Feiertage im Sinne dieses Bundesgesetzes sind:</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">1.</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Jänner (Neujahr), 6. Jänner (Heilige Drei Könige), Ostermontag, 1. Mai (Staatsfeiertag), Christi Himmelfahrt, Pfingstmontag, Fronleichnam, 15. August (Mariä Himmelfahrt), 26. Oktober (Nationalfeiertag), 1. November (Allerheiligen), 8. Dezember (Mariä Empfängnis), 25. Dezember (Weihnachten), 26. Dezember (Stephanstag).</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">(3)   Für Angehörige der evangelischen Kirchen AB und HB, der Altkatholischen Kirche und der Evangelisch-methodistischen Kirche ist auch der Karfreitag ein Feiertag.</p>
<p class="normal">…“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point10">10</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In § 9 ARG heißt es:</p>
<p class="normal">„(1)   Der Arbeitnehmer behält für die infolge eines Feiertages … ausgefallene Arbeit seinen Anspruch auf Entgelt.</p>
<p class="normal">(2)   Dem Arbeitnehmer gebührt jenes Entgelt, das er erhalten hätte, wenn die Arbeit nicht aus den im Abs. 1 genannten Gründen ausgefallen wäre.</p>
<p class="normal">…</p>
<p class="normal">(5)   Der Arbeitnehmer, der während der Feiertagsruhe beschäftigt wird, hat außer dem Entgelt nach Abs. 1 Anspruch auf das für die geleistete Arbeit gebührende Entgelt, es sei denn, es wird Zeitausgleich im Sinne des § 7 Abs. 6 vereinbart.“</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point11">11</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die Umsetzung der Richtlinie 2000/78 in österreichisches Recht erfolgte insbesondere durch das Bundesgesetz über die Gleichbehandlung (Gleichbehandlungsgesetz – GlBG) (BGBl. I Nr. 66/2004). Dieses enthält im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis ein Verbot der Diskriminierung unter anderem aus Gründen der Religion oder Weltanschauung bei der Festsetzung des Entgelts sowie den sonstigen Arbeitsbedingungen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point12">12</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach § 7 Abs. 3 ARG ist der Karfreitag für Angehörige der evangelischen Kirchen AB und HB, der Altkatholischen Kirche und der Evangelisch-methodistischen Kirche (im Folgenden: relevante Kirchen im Sinne des Arbeitsruhegesetzes) ein bezahlter Feiertag mit einer Ruhezeit von 24 Stunden. Arbeitet ein Angehöriger einer dieser Kirchen an diesem Tag dennoch, hat er Anspruch auf ein zusätzliches Feiertagsentgelt (im Folgenden: Feiertagsentgelt).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point13">13</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Herr Achatzi ist Arbeitnehmer bei Cresco, einer privaten Detektei, und gehört keiner der genannten Kirchen an. Er ist der Ansicht, ihm sei für die von ihm am 3. April 2015, einem Karfreitag, geleistete Arbeit das Feiertagsentgelt in diskriminierender Weise vorenthalten worden, und begehrt aus diesem Grund von seinem Arbeitgeber die Zahlung von 109,09 Euro zuzüglich Zinsen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point14">14</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die von ihm erhobene Klage wurde mit einem in erster Instanz ergangenen Urteil abgewiesen, das dann vom Berufungsgericht abgeändert wurde.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point15">15</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Der Oberste Gerichtshof (Österreich), der nun mit der von Cresco eingelegten Revision gegen die Berufungsentscheidung befasst ist, stellt zunächst fest, dass alle der 13 in § 7 Abs. 2 ARG aufgezählten Feiertage mit Ausnahme des 1. Mai und des 26. Oktobers, die keinen religiösen Bezug hätten, einen christlichen Bezug aufwiesen, zwei davon einen ausschließlich katholischen Bezug. All diese Feiertage begründeten außerdem für alle Arbeitnehmer unabhängig von deren Religionsbekenntnis einen Anspruch auf bezahlte Freistellung von der Arbeit.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point16">16</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Sodann ziele die Sonderregelung des § 7 Abs. 3 ARG darauf ab, den Angehörigen einer der in dieser Bestimmung genannten Kirchen die Ausübung ihrer Religion an einem für sie besonders hohen Feiertag zu ermöglichen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point17">17</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Diese Regelung mache die Gewährung eines zusätzlichen Feiertags von der Religion der Arbeitnehmer abhängig, was zur Folge habe, dass diejenigen, die keiner der relevanten Kirchen im Sinne des Arbeitsruhegesetzes angehörten, einen bezahlten Feiertag weniger hätten als die Angehörigen einer dieser Kirchen. Darin liege grundsätzlich eine weniger günstige Behandlung wegen der Religion.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point18">18</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Fraglich sei allerdings, ob die Situation dieser beiden Kategorien von Arbeitnehmern vergleichbar sei.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point19">19</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Durch § 7 Abs. 3 ARG solle den Arbeitnehmern, die einer der relevanten Kirchen im Sinne des Arbeitsruhegesetzes angehörten, ermöglicht werden, ihre Religion am Karfreitag auszuüben, ohne dafür eine Urlaubsvereinbarung mit ihrem Arbeitgeber treffen zu müssen. Diese Möglichkeit hätten aber die Arbeitnehmer, die Angehörige der römisch-katholischen Kirche, der die österreichische Bevölkerung mehrheitlich angehöre, seien, insoweit, als an ihren jeweiligen religiösen Feiertagen nach § 7 Abs. 2 ARG sämtliche Arbeitnehmer arbeitsfrei hätten.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point20">20</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Auch wenn der Kläger des Ausgangsverfahrens nicht behaupte, dass seine religiösen Bedürfnisse am Karfreitag unberücksichtigt geblieben seien, sei allerdings für die Zwecke der Beurteilung der Vereinbarkeit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung mit der Richtlinie 2000/78 zu bedenken, dass die religiösen Bedürfnisse bestimmter Arbeitnehmer von dieser Regelung nicht berücksichtigt würden. Zwar enthielten manche Kollektivverträge Bestimmungen, die mit § 7 ARG vergleichbar seien, etwa für den jüdischen Versöhnungstag oder den evangelischen Reformationstag, ansonsten aber seien die Arbeitnehmer weitestgehend auf ein Entgegenkommen ihres Arbeitgebers angewiesen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point21">21</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Das vorlegende Gericht stellt ferner fest, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende unterschiedliche Behandlung in einem Rechtsstreit zwischen Privaten wie dem des Ausgangsverfahrens unionsrechtlich nur greifbar wäre, wenn das Unionsrecht unmittelbare Geltung hätte. Die Richtlinie 2000/78 sei nämlich durch das Gleichbehandlungsgesetz umgesetzt worden, dem kein Vorrang vor dem Arbeitsruhegesetz zukomme, und der eindeutige Wortlaut von § 7 Abs. 3 ARG stehe einer unionsrechtskonformen Auslegung im Sinne einer Ausweitung der Karfreitagsregelung auch auf Arbeitnehmer, die keiner der relevanten Kirchen im Sinne des Arbeitsruhegesetzes angehörten, entgegen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point22">22</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Außerdem stellt das vorlegende Gericht fest, dass die Richtlinie 2000/78 nach ihrem Art. 2 Abs. 5 nicht die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen berühre, die in einer demokratischen Gesellschaft u. a. zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig seien, und betont, dass die Freiheit der Religion und das Recht der Religionsausübung nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Grundlagen der demokratischen Gesellschaft gehörten.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point23">23</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Somit stelle sich die Frage, ob die Regelung des § 7 Abs. 3 ARG als Maßnahme anzusehen sei, die zum Schutz der Freiheit der Religion und der Religionsausübung derjenigen Arbeitnehmer notwendig sei, die einer der relevanten Kirchen im Sinne des Arbeitsruhegesetzes angehörten.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point24">24</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Weiter stelle sich die Frage, ob die in Rede stehende unterschiedliche Behandlung nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 als positive und spezifische Maßnahme zur Beseitigung bestehender Benachteiligungen gerechtfertigt sein könne.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point25">25</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Zwar bestünden auf dem österreichischen Arbeitsmarkt grundsätzlich keine strukturellen Nachteile für die Arbeitnehmer, die einer der relevanten Kirchen im Sinne des Arbeitsruhegesetzes angehörten, doch könnte darin, dass diese Arbeitnehmer an einem der wichtigsten Tage ihrer Religion zur Arbeit verpflichtet würden, während dies beispielsweise bei den Angehörigen der römisch-katholischen Kirche, an deren hohen Festtagen alle Arbeitnehmer arbeitsfrei hätten, nicht der Fall sei, eine solche Benachteiligung gesehen werden, deren Ausgleich § 7 Abs. 3 ARG dann bezwecke.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point26">26</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Schließlich stelle sich für den Fall, dass der Gerichtshof befinden sollte, dass die gesetzliche Karfreitagsregelung des § 7 Abs. 3 ARG gegen die Richtlinie 2000/78 verstoße, die Frage, ob dieser Verstoß durch die Verpflichtung für den in Form einer Gesellschaft des Privatrechts organisierten Arbeitgeber auszugleichen sei, diesen Feiertag allen seinen Arbeitnehmern zu gewähren, obwohl der österreichische Gesetzgeber den religiös begründeten Bedürfnissen nur einer genau begrenzten Gruppe von Arbeitnehmern habe Rechnung tragen wollen, um die Interessen der Arbeitgeber gegenüber einer übermäßigen Ausdehnung der allgemeinen Feiertagsregelung zu wahren.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point27">27</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Außerdem stelle sich für den Fall, dass festgestellt werden sollte, dass es sich bei der gesetzlichen Karfreitagsregelung um keine positive und spezifische Maßnahme im Sinne des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 handle, die Frage, ob diese Feststellung zur Unanwendbarkeit von § 7 Abs. 3 ARG insgesamt führen müsse, so dass keinem Arbeitnehmer am Karfreitag ein Feiertag oder das Feiertagsentgelt zukommen könne.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point28">28</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Unter diesen Umständen hat der Oberste Gerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">1.</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Ist das Unionsrecht, insbesondere Art. 21 der Charta in Verbindung mit Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78, dahin auszulegen, dass es in einem Rechtsstreit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Zusammenhang mit einem privaten Arbeitsverhältnis einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der nur für Angehörige der evangelischen Kirchen AB und HB, der Altkatholischen Kirche und der Evangelisch-methodistischen Kirche auch der Karfreitag ein Feiertag mit einer ununterbrochenen Ruhezeit von mindestens 24 Stunden ist und im Fall der Beschäftigung des Arbeitnehmers trotz Feiertagsruhe neben dem Anspruch auf Entgelt für die infolge des Feiertags ausgefallene Arbeit auch ein Anspruch auf das Entgelt für die geleistete Arbeit gebührt, anderen Arbeitnehmern, die diesen Kirchen nicht angehören, jedoch nicht?</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">2.</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Ist das Unionsrecht, insbesondere Art. 21 der Charta in Verbindung mit Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78, dahin auszulegen, dass die in der ersten Frage dargelegte nationale Regelung, die – gemessen an der Gesamtzahl der Bevölkerung und der Zugehörigkeit der Mehrzahl zur römisch-katholischen Kirche – nur einer verhältnismäßig kleinen Gruppe von Angehörigen bestimmter (anderer) Kirchen Rechte und Ansprüche einräumt, durch diese Richtlinie deshalb nicht berührt wird, weil es sich um eine Maßnahme handelt, die in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer, insbesondere des Rechts auf Freiheit der Religionsausübung, notwendig ist?</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">3.</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Ist das Unionsrecht, insbesondere Art. 21 der Charta in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78, dahin auszulegen, dass die in der ersten Frage dargelegte nationale Regelung eine positive und spezifische Maßnahme zugunsten der Angehörigen der in der ersten Frage genannten Kirchen zur Gewährleistung deren völliger Gleichstellung im Berufsleben ist, um Benachteiligungen dieser Angehörigen wegen der Religion zu verhindern oder auszugleichen, wenn ihnen damit das gleiche Recht auf Religionsausübung während der Arbeitszeit an einem für diese Religion hohen Feiertag eingeräumt wird, wie es sonst für die Mehrheit der Arbeitnehmer nach einer anderen nationalen Regelung dadurch besteht, dass an den Feiertagen der Religion, zu der sich die Mehrheit der Arbeitnehmer bekennt, generell arbeitsfrei ist?</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="normal">Bei Bejahung einer Diskriminierung im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78:</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">4.</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Ist das Unionsrecht, insbesondere Art. 21 der Charta in Verbindung mit Art. 1, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78, dahin auszulegen, dass der private Arbeitgeber, solange vom Gesetzgeber keine diskriminierungsfreie Rechtslage geschaffen wurde, allen Arbeitnehmern, ungeachtet ihrer Religionsangehörigkeit, die in der ersten Frage dargelegten Rechte und Ansprüche in Bezug auf den Karfreitag zu gewähren hat, oder hat die in der ersten Frage dargelegte nationale Regelung insgesamt unangewendet zu bleiben, so dass die in der ersten Frage dargelegten Rechte und Ansprüche am Karfreitag keinem Arbeitnehmer zuzugestehen sind?</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point29">29</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach Ansicht der polnischen Regierung wird gemäß Art. 17 Abs. 1 AEUV die Gewährung eines Feiertags durch einen Mitgliedstaat zur Ermöglichung des Begehens eines religiösen Festtags nicht vom Unionsrecht erfasst, so dass der Gerichtshof für die Beantwortung der vom vorlegenden Gericht an ihn gerichteten Vorlagefragen nicht zuständig sei.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point30">30</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 17 Abs. 1 AEUV sieht insoweit vor, dass die Union den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, achtet und nicht beeinträchtigt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point31">31</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Diese Bestimmung hat jedoch nicht zur Folge, dass eine unterschiedliche Behandlung, die in einer nationalen Regelung angelegt ist, nach der bestimmten Arbeitnehmern ein Feiertag gewährt wird, damit sie einen religiösen Festtag begehen können, vom Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 ausgenommen wäre und dass die Konformität einer solchen unterschiedlichen Behandlung mit dieser Richtlinie einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle entzogen wäre.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point32">32</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Zum einen entspricht nämlich der Wortlaut von Art. 17 AEUV im Kern dem der Erklärung Nr. 11 zum Status der Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften, die der Schlussakte zum Vertrag von Amsterdam beigefügt ist. Die ausdrückliche Bezugnahme auf diese Erklärung im 24. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78 macht aber deutlich, dass der Unionsgesetzgeber sie beim Erlass dieser Richtlinie berücksichtigt haben muss (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. April 2018, Egenberger, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A257&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑414/16</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A257&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2018:257</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A257&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point57" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">57</a>, und vom 11. September 2018, IR, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A696&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑68/17</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A696&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2018:696</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A696&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point48" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">48</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point33">33</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Zum anderen bringt zwar Art. 17 AEUV die Neutralität der Union demgegenüber, wie die Mitgliedstaaten ihre Beziehungen zu den Kirchen und religiösen Vereinigungen oder Gemeinschaften gestalten, zum Ausdruck (Urteile vom 17. April 2018, Egenberger, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A257&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑414/16</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A257&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2018:257</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A257&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point58" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">58</a>, und vom 11. September 2018, IR, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A696&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑68/17</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A696&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2018:696</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A696&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point48" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">48</a>). Bei den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Bestimmungen geht es jedoch nicht um die Gestaltung der Beziehungen zwischen einem Mitgliedstaat und den Kirchen. Vielmehr soll mit ihnen lediglich Arbeitnehmern, die bestimmten Kirchen angehören, ein zusätzlicher Feiertag an einem hohen religiösen Festtag für diese Kirchen gewährt werden.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point34">34</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die von der polnischen Regierung erhobene Einrede der Unzuständigkeit ist daher zurückzuweisen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Zu den Vorlagefragen</span>
</p>
<p class="title-grseq-2">
<span class="bold">
<span class="italic">Zu den ersten drei Fragen</span>
</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point35">35</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit seinen zusammen zu prüfenden ersten drei Fragen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen sind, dass eine nationale Regelung, nach der zum einen der Karfreitag ein Feiertag nur für die Arbeitnehmer ist, die bestimmten christlichen Kirchen angehören, und zum anderen nur diese Arbeitnehmer, wenn sie zur Arbeit an diesem Feiertag herangezogen werden, Anspruch auf ein Feiertagsentgelt haben, eine unmittelbare Diskriminierung der Religion wegen begründet. Bejahendenfalls möchte das vorlegende Gericht ferner wissen, ob die mit dieser nationalen Regelung vorgesehenen Maßnahmen als Maßnahmen, die zur Wahrung der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind, im Sinne des Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 oder als spezifische Maßnahmen zum Ausgleich von Benachteiligungen wegen der Religion im Sinne des Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie angesehen werden können.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point36">36</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Als Erstes ist daran zu erinnern, dass nach Art. 1 der Richtlinie 2000/78 deren Zweck in der Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten besteht.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point37">37</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie bedeutet „Gleichbehandlungsgrundsatz“, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Art. 1 der Richtlinie genannten Gründe geben darf. In Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 wird näher bestimmt, dass für die Zwecke der Anwendung des Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie eine unmittelbare Diskriminierung vorliegt, wenn eine Person wegen eines der in Art. 1 der Richtlinie genannten Gründe, zu denen die Religion gehört, in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung als eine andere Person erfährt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point38">38</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In diesem Zusammenhang ist erstens zu ermitteln, ob aus der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung eine unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern auf der Grundlage ihrer Religion folgt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point39">39</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Hierzu ist festzustellen, dass § 7 Abs. 3 ARG allein den Arbeitnehmern, die einer der relevanten Kirchen im Sinne des Arbeitsruhegesetzes angehören, den Anspruch auf einen Feiertag am Karfreitag zuerkennt. Daraus folgt, dass das Feiertagsentgelt, das der Arbeitnehmer, der an einem Feiertag zur Ausübung seiner Berufstätigkeit herangezogen wird, nach § 9 Abs. 5 ARG geltend machen kann, den am Karfreitag berufstätigen Arbeitnehmern nur zusteht, wenn sie einer der genannten Kirchen angehören.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point40">40</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung begründet somit eine unmittelbar auf der Religion der Arbeitnehmer beruhende unterschiedliche Behandlung. Das Unterscheidungskriterium, dessen sich diese Regelung bedient, entspringt nämlich unmittelbar der Zugehörigkeit der Arbeitnehmer zu einer bestimmten Religion.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point41">41</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Zweitens ist zu untersuchen, ob diese unterschiedliche Behandlung Kategorien von Arbeitnehmern betrifft, die sich in vergleichbaren Situationen befinden.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point42">42</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Das für die Feststellung einer Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes geltende Erfordernis der Vergleichbarkeit der Situationen ist insoweit anhand aller die betreffenden Situationen kennzeichnenden Merkmale zu beurteilen, insbesondere im Licht des Gegenstands und des Ziels der nationalen Regelung, in der die fragliche Unterscheidung begründet liegt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Juli 2015, CHEZ Razpredelenie Bulgaria, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2015%3A480&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑83/14</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2015%3A480&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2015:480</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2015%3A480&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point89" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">89</a>, und vom 26. Juni 2018, MB [Geschlechtsumwandlung und Altersrente], <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A492&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑451/16</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A492&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2018:492</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A492&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point42" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">42</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point43">43</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Ferner ist klarzustellen, dass zum einen die Situationen nicht identisch, sondern nur vergleichbar sein müssen, und zum anderen die Prüfung dieser Vergleichbarkeit nicht allgemein und abstrakt sein darf, sondern spezifisch und konkret für die betreffende Leistung erfolgen muss (Urteil vom 19. Juli 2017, Abercrombie & Fitch Italia, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A566&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑143/16</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A566&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2017:566</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A566&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point25" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">25</a> und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point44">44</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Im vorliegenden Fall steht nach § 7 Abs. 3 ARG nur den Arbeitnehmern, die einer der relevanten Kirchen im Sinne des Arbeitsruhegesetzes angehören, am Karfreitag eine ununterbrochene Ruhezeit von 24 Stunden zu. Diese Bestimmung legt somit in Bezug auf die Gewährung eines Feiertags eine unterschiedliche Behandlung dieser Arbeitnehmer und aller anderen Arbeitnehmer fest.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point45">45</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte ergibt sich insoweit, dass die Ruhezeit von 24 Stunden, die den Arbeitnehmern, die einer der relevanten Kirchen im Sinne des Arbeitsruhegesetzes angehören, am Karfreitag gewährt wird, von den zuständigen nationalen Behörden mit der Bedeutung dieses Tages für die betreffenden religiösen Gemeinschaften gerechtfertigt wird.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point46">46</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Wie jedoch aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, muss ein Arbeitnehmer, der einer der relevanten Kirchen im Sinne des Arbeitsruhegesetzes angehört, damit ihm am Karfreitag ein Feiertag gewährt wird, an diesem Tag nicht eine bestimmte religiöse Pflicht erfüllen, sondern nur formal einer dieser Kirchen angehören. Somit steht es ihm frei, die auf diesen Feiertag entfallende Zeit nach seinem Belieben, z. B. zu Erholungs- oder Freizeitzwecken, zu nutzen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point47">47</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die Situation eines solchen Arbeitnehmers unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht von derjenigen der anderen Arbeitnehmer, die an einem Karfreitag gerne Zeit zur Erholung oder für Freizeitbeschäftigungen hätten, ohne dass ihnen aber ein entsprechender Feiertag zugutekommen kann.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point48">48</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Außerdem ergibt sich aus § 7 Abs. 3 in Verbindung mit § 9 Abs. 5 ARG, dass nur die Arbeitnehmer, die einer der relevanten Kirchen im Sinne des Arbeitsruhegesetzes angehören, in den Genuss des Feiertagsentgelts kommen können, wenn sie am Karfreitag arbeiten.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point49">49</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In Anbetracht der finanziellen Natur der von dieser unterschiedlichen Behandlung betroffenen Leistung sowie deren untrennbarer Verknüpfung mit der Gewährung eines Feiertags am Karfreitag ist auch hinsichtlich der Zuwendung einer solchen finanziellen Leistung die Situation der Arbeitnehmer, die einer der relevanten Kirchen im Sinne des Arbeitsruhegesetzes angehören, als mit derjenigen aller anderen Arbeitnehmer vergleichbar anzusehen, ganz gleich, ob diese eine Religion haben oder nicht.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point50">50</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Wie sich nämlich aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte ergibt, kommt es dafür, dass das Feiertagsentgelt den Arbeitnehmern, die einer der genannten Kirchen angehören und am Karfreitag zur Arbeit herangezogen werden, gewährt wird, allein darauf an, dass sie formal einer dieser Kirchen angehören. Diese Arbeitnehmer haben somit auch dann Anspruch auf das Feiertagsentgelt, wenn sie etwa am Karfreitag gearbeitet haben, ohne die Pflicht oder das Bedürfnis verspürt zu haben, diesen religiösen Festtag feierlich zu begehen. Ihre Situation unterscheidet sich daher nicht von derjenigen der anderen Arbeitnehmer, die am Karfreitag gearbeitet haben, ohne dass ihnen das Feiertagsentgelt zugutekommt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point51">51</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Daraus folgt, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung eine unterschiedliche Behandlung vergleichbarer Situationen nach Maßgabe der Religion bewirkt. Sie begründet somit eine unmittelbare Diskriminierung aus Gründen der Religion im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point52">52</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Als Zweites ist zu prüfen, ob eine solche unmittelbare Diskriminierung auf der Grundlage des Art. 2 Abs. 5 oder des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 gerechtfertigt sein kann.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point53">53</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Zum einen berührt nach Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 diese nicht die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, die Verteidigung der Ordnung und die Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point54">54</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit dem Erlass dieser Bestimmung wollte der Unionsgesetzgeber auf dem Gebiet von Beschäftigung und Beruf dem Entstehen eines Spannungsfeldes zwischen dem Grundsatz der Gleichbehandlung einerseits und der notwendigen Gewährleistung der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit, der Verhütung von Rechtsverstößen sowie dem Schutz der individuellen Rechte und Freiheiten, die für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft unerlässlich sind, andererseits vorbeugen und vermittelnd eingreifen. Er hat beschlossen, dass in bestimmten, in Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 aufgeführten Fällen die in dieser Richtlinie aufgestellten Grundsätze für Maßnahmen, die Ungleichbehandlungen wegen eines der in Art. 1 der Richtlinie genannten Gründe enthalten, nicht gelten, vorausgesetzt allerdings, dass diese Maßnahmen zum Erreichen der oben genannten Ziele notwendig sind (Urteil vom 13. September 2011, Prigge u. a., <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2011%3A573&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑447/09</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2011%3A573&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2011:573</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2011%3A573&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point55" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">55</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point55">55</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Im Übrigen ist der besagte Art. 2 Abs. 5, da er eine Abweichung vom Grundsatz des Verbots von Diskriminierungen begründet, eng auszulegen. Auch der Wortlaut dieser Bestimmung führt zu einem solchen Ansatz (Urteil vom 13. September 2011, Prigge u. a., <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2011%3A573&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑447/09</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2011%3A573&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2011:573</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2011%3A573&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point56" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">56</a> und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point56">56</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Im vorliegenden Fall ist erstens darauf hinzuweisen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Maßnahmen, also die Anerkennung des Karfreitags als Feiertag für die Arbeitnehmer, die einer der relevanten Kirchen im Sinne des Arbeitsruhegesetzes angehören, und die Gewährung des Feiertagsentgelts für diese Arbeitnehmer im Fall ihrer Heranziehung zur Arbeit während der auf diesen Feiertag entfallenden Ruhezeit, im Sinne des Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 im einzelstaatlichen Recht vorgesehen sind.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point57">57</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Zweitens soll, wie das vorlegende Gericht ausführt, mit der Gewährung eines Feiertags am Karfreitag für die Arbeitnehmer, die einer der relevanten Kirchen im Sinne des Arbeitsruhegesetzes angehören, der besonderen Bedeutung Rechnung getragen werden, die die mit diesem Tag verbundenen religiösen Feierlichkeiten für die Angehörigen dieser Kirchen haben.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point58">58</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Es steht aber fest, dass die Religionsfreiheit zu den vom Unionsrecht anerkannten Rechten und Grundfreiheiten gehört, wobei der Begriff der Religion insoweit so zu verstehen ist, dass er sowohl das <span class="italic">forum internum</span>, d. h. den Umstand, Überzeugungen zu haben, als auch das <span class="italic">forum externum</span>, d. h. die Bekundung des religiösen Glaubens in der Öffentlichkeit, umfasst (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. März 2017, G4S Secure Solutions, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A203&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑157/15</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A203&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2017:203</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A203&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point28" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">28</a>, und vom 14. März 2017, Bougnaoui und ADDH, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A204&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑188/15</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A204&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2017:204</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A204&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point30" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">30</a>). Daraus folgt, dass das vom österreichischen Gesetzgeber verfolgte Ziel gewiss zu den in Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 angeführten Zielen gehört.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point59">59</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Drittens ist noch zu prüfen, ob die fraglichen Maßnahmen zum Schutz der Religionsfreiheit der betroffenen Arbeitnehmer notwendig sind.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point60">60</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Dazu ist festzustellen, dass, wie die österreichische Regierung in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof bestätigt hat, der Möglichkeit für nicht den relevanten Kirchen im Sinne des Arbeitsruhegesetzes angehörende Arbeitnehmer, einen religiösen Feiertag zu begehen, der nicht mit einem der in § 7 Abs. 2 ARG aufgezählten Feiertage zusammenfällt, im österreichischen Recht nicht durch die Gewährung eines zusätzlichen Feiertags Rechnung getragen wird, sondern hauptsächlich mittels einer Fürsorgepflicht der Arbeitgeber gegenüber ihren Beschäftigten, aufgrund deren diese gegebenenfalls das Recht erhalten können, sich für die Dauer, die zur Befolgung bestimmter religiöser Riten notwendig ist, von ihrer Arbeit zu entfernen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point61">61</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Daraus ergibt sich, dass von nationalen Maßnahmen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht angenommen werden kann, dass sie im Sinne des Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 zum Schutz der Religionsfreiheit notwendig sind.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point62">62</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Zum anderen ist zu prüfen, ob Bestimmungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 gerechtfertigt sein können.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point63">63</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach dieser Bestimmung hindert der Gleichbehandlungsgrundsatz die Mitgliedstaaten nicht daran, zur Gewährleistung der völligen Gleichstellung im Berufsleben spezifische Maßnahmen beizubehalten oder einzuführen, mit denen Benachteiligungen wegen eines in Art. 1 der Richtlinie 2000/78 genannten Diskriminierungsgrunds verhindert oder ausgeglichen werden.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point64">64</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 hat den bestimmten und begrenzten Zweck, Maßnahmen zuzulassen, die zwar dem Anschein nach diskriminierend sind, tatsächlich aber im sozialen Leben etwa bestehende faktische Ungleichheiten beseitigen oder verringern sollen (vgl. entsprechend Urteil vom 30. September 2010, Roca Álvarez, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2010%3A561&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑104/09</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2010%3A561&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2010:561</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2010%3A561&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point33" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">33</a> und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point65">65</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Außerdem ist bei der Festlegung der Reichweite von Ausnahmen von einem Individualrecht wie dem Recht auf Gleichbehandlung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, wonach Ausnahmen nicht über das hinausgehen dürfen, was zur Erreichung des verfolgten Ziels angemessen und erforderlich ist, und der Grundsatz der Gleichbehandlung so weit wie möglich mit den Erfordernissen des so angestrebten Ziels in Einklang gebracht werden muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. März 2002, Lommers, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2002%3A183&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑476/99</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2002%3A183&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2002:183</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2002%3A183&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point39" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">39</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point66">66</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Im vorliegenden Fall kann die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung, ohne dass festgestellt werden müsste, ob der Umstand, dass der Karfreitag, der als einer der wichtigsten Tage der Religion der Arbeitnehmer, die einer der relevanten Kirchen im Sinne des Arbeitsruhegesetzes angehören, erscheint, keinem der in § 7 Abs. 2 ARG aufgezählten Feiertage entspricht, eine Benachteiligung dieser Arbeitnehmer in ihrem Berufsleben im Sinne des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 darstellt, nicht als Regelung angesehen werden, die spezifische Maßnahmen enthält, mit denen eine solche „Benachteiligung“ unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und so weit wie möglich des Gleichheitsgrundsatzes ausgeglichen wird.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point67">67</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Wie nämlich oben, in Rn. 60, ausgeführt, wird mit den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bestimmungen den Arbeitnehmern, die einer der relevanten Kirchen im Sinne des Arbeitsruhegesetzes angehören, am Karfreitag eine Ruhezeit von 24 Stunden gewährt, während sich Arbeitnehmer anderer Religionen, deren hohe Feiertage nicht mit den in § 7 Abs. 2 ARG vorgesehenen Feiertagen zusammenfallen, grundsätzlich nur mit der im Rahmen der Fürsorgepflicht erteilten Zustimmung ihres Arbeitgebers von ihrer Arbeit entfernen dürfen, um die zu diesen Feiertagen gehörenden religiösen Riten zu befolgen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point68">68</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Daraus folgt, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Maßnahmen über das hinausgehen, was zum Ausgleich einer solchen mutmaßlichen Benachteiligung notwendig ist, und dass sie eine unterschiedliche Behandlung von mit vergleichbaren religiösen Pflichten konfrontierten Arbeitnehmern begründen, die die Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes nicht so weit wie möglich gewährleistet.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point69">69</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach alledem ist auf die ersten drei Fragen wie folgt zu antworten:</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 sind dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung, nach der zum einen der Karfreitag ein Feiertag nur für die Arbeitnehmer ist, die bestimmten christlichen Kirchen angehören, und zum anderen nur diese Arbeitnehmer, wenn sie zur Arbeit an diesem Feiertag herangezogen werden, Anspruch auf ein Feiertagsentgelt haben, eine unmittelbare Diskriminierung der Religion wegen darstellt;</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count">–</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">die mit dieser nationalen Regelung vorgesehenen Maßnahmen können weder als zur Wahrung der Rechte und Freiheiten anderer notwendige Maßnahmen im Sinne des Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 noch als spezifische Maßnahmen zum Ausgleich von Benachteiligungen wegen der Religion im Sinne des Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie angesehen werden.</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<p class="title-grseq-2">
<span class="bold">
<span class="italic">Zur vierten Frage</span>
</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point70">70</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass, solange der betroffene Mitgliedstaat seine Regelung, nach der nur den Arbeitnehmern, die bestimmten christlichen Kirchen angehören, der Anspruch auf einen Feiertag am Karfreitag zusteht, nicht zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung geändert hat, ein privater Arbeitgeber, der dieser Regelung unterliegt, verpflichtet ist, auch seinen anderen Arbeitnehmern das Recht auf einen Feiertag am Karfreitag zu gewähren und ihnen folglich, wenn sie an diesem Tag zur Arbeit herangezogen werden, das Recht auf Feiertagsentgelt zuzuerkennen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point71">71</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Aus der Antwort auf die ersten drei Fragen ergibt sich, dass die Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass sie einer unterschiedlichen Behandlung der Religion wegen, wie sie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bestimmungen begründen, entgegensteht.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point72">72</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Als Erstes ist jedoch darauf hinzuweisen, dass eine Richtlinie nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen kann, so dass ihm gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich ist. Eine Ausdehnung der Möglichkeit, sich auf nicht oder nicht richtig umgesetzte Richtlinien zu berufen, auf den Bereich der Beziehungen zwischen Privaten liefe nämlich darauf hinaus, der Union die Befugnis zuzuerkennen, mit unmittelbarer Wirkung Verpflichtungen zulasten der Einzelnen anzuordnen, obwohl sie dies nur dort darf, wo ihr die Befugnis zum Erlass von Verordnungen zugewiesen ist (Urteil vom 6. November 2018, Bauer und Willmeroth, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A871&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑569/16 und C‑570/16</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A871&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2018:871</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A871&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point76" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">76</a> und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point73">73</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">So kann eine Richtlinie nicht in einem Rechtsstreit zwischen Privaten angeführt werden, um die Anwendung einer gegen die Richtlinie verstoßenden mitgliedstaatlichen Regelung auszuschließen (Urteil vom 7. August 2018, Smith, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A631&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑122/17</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A631&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2018:631</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A631&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point44" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">44</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point74">74</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Als Zweites ist gleichwohl daran zu erinnern, dass es den nationalen Gerichten obliegt, unter Berücksichtigung sämtlicher nationaler Rechtsnormen und unter Anwendung der im nationalen Recht anerkannten Auslegungsmethoden zu entscheiden, ob und inwieweit eine nationale Rechtsvorschrift im Einklang mit der Richtlinie 2000/78 ausgelegt werden kann, ohne dass sie <span class="italic">contra legem</span> ausgelegt wird (Urteile vom 17. April 2018, Egenberger, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A257&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑414/16</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A257&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2018:257</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A257&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point71" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">71</a>, und vom 11. September 2018, IR, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A696&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑68/17</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A696&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2018:696</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A696&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point63" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">63</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point75">75</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Für den Fall, dass dem vorlegenden Gericht, wie es der Vorlageentscheidung zu entnehmen sein scheint, eine solche richtlinienkonforme Auslegung nicht möglich sein sollte, ist als Drittes darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2000/78 den Grundsatz der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, der seinen Ursprung in verschiedenen völkerrechtlichen Verträgen und den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten hat, nicht selbst aufstellt, sondern in diesem Bereich, wie aus ihrem Titel und ihrem Art. 1 hervorgeht, lediglich einen allgemeinen Rahmen zur Bekämpfung verschiedener Formen der Diskriminierung – darunter die Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung – schaffen soll (Urteile vom 17. April 2018, Egenberger, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A257&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑414/16</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A257&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2018:257</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A257&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point75" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">75</a>, und vom 11. September 2018, IR, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A696&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑68/17</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A696&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2018:696</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A696&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point67" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">67</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point76">76</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Das Verbot jeder Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung hat als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts zwingenden Charakter. Dieses in Art. 21 Abs. 1 der Charta niedergelegte Verbot verleiht schon für sich allein dem Einzelnen ein Recht, das er in einem Rechtsstreit, der einen vom Unionsrecht erfassten Bereich betrifft, als solches geltend machen kann (Urteil vom 17. April 2018, Egenberger, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A257&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑414/16</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A257&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2018:257</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A257&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point76" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">76</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point77">77</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Art. 21 der Charta unterscheidet sich in seiner Bindungswirkung grundsätzlich nicht von den einzelnen Bestimmungen der Gründungsverträge, die verschiedene Formen der Diskriminierung auch dann verbieten, wenn sie aus Verträgen zwischen Privatpersonen resultieren (Urteil vom 17. April 2018, Egenberger, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A257&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑414/16</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A257&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2018:257</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A257&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point77" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">77</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point78">78</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Sollte sich erweisen, dass die nationalen Rechtsvorschriften nicht im Einklang mit der Richtlinie 2000/78 ausgelegt werden können, wäre das vorlegende Gericht daher gleichwohl gehalten, den Rechtsschutz, der den Arbeitnehmern aus Art. 21 der Charta erwächst, zu gewährleisten und für die volle Wirkung dieses Artikels zu sorgen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point79">79</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Als Viertes ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs, wenn eine unionsrechtswidrige Diskriminierung festgestellt worden ist und solange keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung erlassen worden sind, die Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes nur dadurch sichergestellt werden kann, dass den Angehörigen der benachteiligten Gruppe dieselben Vorteile gewährt werden wie den Angehörigen der begünstigten Gruppe. Die benachteiligten Personen müssen also in die gleiche Lage versetzt werden wie die Personen, denen der betreffende Vorteil zugutekommt (Urteil vom 9. März 2017, Milkova, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A198&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑406/15</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A198&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2017:198</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A198&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point66" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">66</a> und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point80">80</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">In einem derartigen Fall ist das nationale Gericht gehalten, eine diskriminierende nationale Bestimmung außer Anwendung zu lassen, ohne dass es ihre vorherige Beseitigung durch den Gesetzgeber beantragen oder abwarten müsste, und auf die Mitglieder der benachteiligten Gruppe eben die Regelung anzuwenden, die für die Mitglieder der anderen Gruppe gilt. Diese Verpflichtung obliegt ihm unabhängig davon, ob das innerstaatliche Recht Bestimmungen enthält, die ihm eine entsprechende Befugnis zuweisen (Urteil vom 9. März 2017, Milkova, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A198&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑406/15</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A198&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2017:198</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A198&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point67" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">67</a> und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point81">81</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Eine solche Lösung kommt jedoch nur dann zur Anwendung, wenn es ein gültiges Bezugssystem gibt (Urteil vom 9. März 2017, Milkova, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A198&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑406/15</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A198&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2017:198</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2017%3A198&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point68" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">68</a> und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point82">82</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Dies ist im Ausgangsverfahren der Fall, wobei die Regelung, die für die Angehörigen der relevanten Kirchen im Sinne des Arbeitsruhegesetzes gilt, solange das Unionsrecht nicht richtig durchgeführt ist, das einzig gültige Bezugssystem bleibt.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point83">83</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Daher obliegt es, solange der nationale Gesetzgeber keine die Gleichbehandlung wiederherstellenden Maßnahmen erlassen hat, den Arbeitgebern, dafür zu sorgen, dass die Arbeitnehmer, die keiner dieser Kirchen angehören, die gleiche Behandlung erhalten, wie sie nach den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bestimmungen den Arbeitnehmern vorbehalten ist, die einer der besagten Kirchen angehören.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point84">84</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die letztgenannten Arbeitnehmer nach den einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften ihren Arbeitgeber davon in Kenntnis setzen müssen, dass sie einer der relevanten Kirchen im Sinne des Arbeitsruhegesetzes angehören, damit er ihre Abwesenheit am Karfreitag im Vorfeld absehen kann.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point85">85</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Somit muss der Arbeitgeber, solange der Gesetzgeber keine Konformität hergestellt hat, nach Art. 21 der Charta den Arbeitnehmern, die keiner dieser Kirchen angehören, das Recht auf einen Feiertag am Karfreitag zugestehen, sofern sie ihm vor diesem Tag ihren Wunsch mitgeteilt haben, am Karfreitag nicht zu arbeiten.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point86">86</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Daraus folgt auch, dass ein Arbeitnehmer, der keiner der relevanten Kirchen im Sinne des Arbeitsruhegesetzes angehört, gegen seinen Arbeitgeber einen Anspruch auf Zahlung des in § 9 Abs. 5 ARG vorgesehenen Entgelts hat, wenn dieser seinem Ansuchen, am Karfreitag nicht zu arbeiten, nicht nachgekommen ist.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point87">87</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Als Fünftes ist darauf hinzuweisen, dass die den Arbeitgebern auferlegten Verpflichtungen, wie sie vorstehend in den Rn. 85 und 86 ausgeführt worden sind, nur solange gelten, wie der nationale Gesetzgeber keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung erlassen hat.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point88">88</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Die Mitgliedstaaten sind zwar nämlich nach Art. 16 der Richtlinie 2000/78 verpflichtet, Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die dem Gleichbehandlungsgrundsatz zuwiderlaufen, aufzuheben, doch schreibt ihnen diese Vorschrift nicht den Erlass bestimmter Maßnahmen im Fall einer Verletzung des Diskriminierungsverbots vor, sondern belässt ihnen nach Maßgabe der unterschiedlichen denkbaren Sachverhalte die Freiheit, unter den verschiedenen zur Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels geeigneten Lösungen die ihrer Ansicht nach dafür am besten geeignete zu wählen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. März 2018, Stollwitzer, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A180&locale=de" target="CourtTab" type="application/xml;notice=branch" hreflang="de" class="CourtLink">C‑482/16</a>, <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A180&lang=DE&format=pdf&target=CourtTab" target="CourtTab" type="application/pdf" hreflang="de" class="CourtLink">EU:C:2018:180</a>, Rn. <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A180&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point28" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">28</a> und <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/redirect/?urn=ecli:ECLI%3AEU%3AC%3A2018%3A180&lang=DE&format=html&target=CourtTab&anchor=#point30" target="CourtTab" type="application/xhtml+xml" hreflang="de" class="CourtLink">30</a>).</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point89">89</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Nach alledem ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art. 21 der Charta dahin auszulegen ist, dass, solange der betroffene Mitgliedstaat seine Regelung, nach der nur den Arbeitnehmern, die bestimmten christlichen Kirchen angehören, der Anspruch auf einen Feiertag am Karfreitag zusteht, nicht zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung geändert hat, ein privater Arbeitgeber, der dieser Regelung unterliegt, verpflichtet ist, auch seinen anderen Arbeitnehmern das Recht auf einen Feiertag am Karfreitag zu gewähren, sofern diese zuvor mit dem Anliegen an ihn herangetreten sind, an diesem Tag nicht arbeiten zu müssen, und ihnen folglich, wenn er sie abschlägig beschieden hat, das Recht auf Feiertagsentgelt zuzuerkennen.</p>
</td>
</tr>
</table>
<p class="sum-title-1">
<span class="bold">Kosten</span>
</p>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count" id="point90">90</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top"> </td>
<td valign="top">
<p class="normal">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top"> </td>
<td valign="top">
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count bold">
<span class="bold">1.</span>
</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">
<span class="bold">Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung, nach der zum einen der Karfreitag ein Feiertag nur für die Arbeitnehmer ist, die bestimmten christlichen Kirchen angehören, und zum anderen nur diese Arbeitnehmer, wenn sie zur Arbeit an diesem Feiertag herangezogen werden, Anspruch auf ein Zusatzentgelt für die an diesem Tag erbrachte Arbeitsleistung haben, eine unmittelbare Diskriminierung der Religion wegen darstellt.</span>
</p>
<p class="normal">
<span class="bold">Die mit dieser nationalen Regelung vorgesehenen Maßnahmen können weder als zur Wahrung der Rechte und Freiheiten anderer notwendige Maßnahmen im Sinne des Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 noch als spezifische Maßnahmen zum Ausgleich von Benachteiligungen wegen der Religion im Sinne des Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie angesehen werden.</span>
</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top"> </td>
<td valign="top">
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tr>
<td valign="top">
<p class="count bold">
<span class="bold">2.</span>
</p>
</td>
<td valign="top">
<p class="normal">
<span class="bold">Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass, solange der betroffene Mitgliedstaat seine Regelung, nach der nur den Arbeitnehmern, die bestimmten christlichen Kirchen angehören, der Anspruch auf einen Feiertag am Karfreitag zusteht, nicht zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung geändert hat, ein privater Arbeitgeber, der dieser Regelung unterliegt, verpflichtet ist, auch seinen anderen Arbeitnehmern das Recht auf einen Feiertag am Karfreitag zu gewähren, sofern diese zuvor mit dem Anliegen an ihn herangetreten sind, an diesem Tag nicht arbeiten zu müssen, und ihnen folglich, wenn er sie abschlägig beschieden hat, das Recht auf ein Zusatzentgelt für die an diesem Tag erbrachte Arbeitsleistung zuzuerkennen.</span>
</p>
</td>
</tr>
</table>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%" border="0" cellspacing="0" cellpadding="0">
<col width="5%"/>
<col width="95%"/>
<tbody>
<tr>
<td> </td>
<td>
<div class="signaturecase">
<div class="signaturecaserow">
<div class="signatory3left">
<p class="normal">Lenaerts</p>
</div>
<div class="signatorycenter">
<p class="normal">Silva de Lapuerta</p>
</div>
<div class="signatory3right">
<p class="normal">Bonichot</p>
</div>
</div>
<div class="signaturecaserow">
<div class="signatory3left">
<p class="normal">Arabadjiev</p>
</div>
<div class="signatorycenter">
<p class="normal">Prechal</p>
</div>
<div class="signatory3right">
<p class="normal">Toader</p>
</div>
</div>
<div class="signaturecaserow">
<div class="signatory3left">
<p class="normal">Lycourgos</p>
</div>
<div class="signatorycenter">
<p class="normal">Rosas</p>
</div>
<div class="signatory3right">
<p class="normal">Ilešič</p>
</div>
</div>
<div class="signaturecaserow">
<div class="signatory2left">
<p class="normal">Safjan</p>
</div>
<div class="signatory2right">
<p class="normal">Šváby</p>
</div>
</div>
<div class="signaturecaserow">
<div class="signatory2left">
<p class="normal">Vajda</p>
</div>
<div class="signatory2right">
<p class="normal">Rodin</p>
</div>
</div>
<p class="normal">Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 22. Januar 2019.</p>
<div class="signaturecaserow">
<div class="signatory2left">
<p class="normal">Der Kanzler</p>
<p class="normal">A. Calot Escobar</p>
</div>
<div class="signatory2right">
<p class="normal">Der Präsident</p>
<p class="normal">K. Lenaerts</p>
</div>
</div>
</div>
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<hr class="note"/>
<p class="note">(<span class="note">
<a id="t-ECR_62017CJ0193_DE_01-E0001" href="#c-ECR_62017CJ0193_DE_01-E0001">*1</a>
</span>) Verfahrenssprache: Deutsch.</p>
|
171,352 | ovgsl-2019-01-22-2-a-31818 | {
"id": 938,
"name": "Oberverwaltungsgericht des Saarlandes",
"slug": "ovgsl",
"city": null,
"state": 14,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 2 A 318/18 | 2019-01-22T00:00:00 | 2019-01-29T12:51:17 | 2019-02-13T12:21:07 | Beschluss | <h2>Tenor</h2>
<p/><p>Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 26. September 2018 – 6 K 810/17 – wird zurückgewiesen.</p><p>Die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens trägt die Klägerin.</p>
<h2>Gründe</h2>
<p/><p><strong>I.</strong></p><p><rd nr="1"/>Die nach derzeitigen Erkenntnissen 1964 in Mazedonien geborene Klägerin ist albanische Volkszugehörige und besitzt die mazedonische Staatsangehörigkeit. Sie ist verheiratet mit dem mazedonischen Staatsangehörigen S... A... und hat mit diesem drei gemeinsame Kinder. Ein von der Klägerin im Februar 1999 gestellter Asylantrag wurde abgelehnt. Gleichzeitig wurde ein Vorliegen von Abschiebungshindernissen, damals noch nach § 53 AuslG, bestandskräftig verneint.(vgl. den Bescheid vom 11.2.1999 – 2376295-138 –, wobei der § 53 Abs. 4 AuslG einen dem heutigen § 60 Abs. 5 AufenthG entsprechenden Verweis auf die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) enthielt)</p><p><rd nr="2"/>Im Dezember 2016 nahm die Ausländerbehörde die Aufenthaltstitel der Klägerin und ihres Ehemannes unter Verweis auf die Verwendung falscher Personaldaten(vgl. dazu AG Lebach, Urteil vom 12.3.2018 – 5 Ds 82 Js 1519/15 (208/17) – wodurch die Klägerin zu einer Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen wegen Erschleichens von Aufenthaltstiteln in 10 Fällen verurteilt worden ist) über Jahre gegenüber den deutschen Behörden zurück.(vgl. die Bescheide des Landesamts für Verwaltung – Zentrale Ausländerbehörde – vom 29.12.2016 – 2.2.1-RL-L014151 – … und 2.2.1-RL-L014149 – <Klägerin>) Die dagegen erhobenen Klagen sind beim Verwaltungsgericht des Saarlandes unter der Geschäftsnummer 6 K 942/17 anhängig.</p><p><rd nr="3"/>Im März 2017 beantragte die Klägerin unter Verweis auf eine schwere Erkrankung ein Wiederaufgreifen des Verfahrens mit dem Ziel der Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG. Zur Begründung machte sie geltend, sie leide unter anderem an Diabetes und einer chronisch fixierten psychiatrischen Erkrankung. Beigefügt war ein fachärztliches Attest des Dr. med. Dipl.-Psych. B..., A-Stadt, vom Februar 2017. Danach bestehe eine länger zurückreichende Multimorbidität mit internistischen und orthopädischen Erkrankungen, die alle einer intensiven Therapie bedürften, bei denen es immer wieder zu Verschlechterungen beziehungsweise zu lebensbedrohlichen Dekompensationen gekommen sei. Überlagernd und in letzter Zeit noch bedeutsamer sei eine chronifizierte psychiatrische Störung/Erkrankung mit Angst, depressiver Verstimmung, Unsicherheit, Rückzugsverhalten, präpsychotischen Befürchtungen, was eine weitere medikamentöse wie auch psychotherapeutische Behandlung erfordere. Die psychiatrische Situation erschwere auch die Behandlung der übrigen Erkrankungen im Rahmen der Multimorbidität. Weiter führte die Klägerin aus, sie habe sich in der Zeit vom 11.2.2017 bis 21.2.2017 in stationäre Behandlung begeben müssen. In dem entsprechenden Arztbericht des F...-Krankenhauses A-Stadt vom Februar 2017 wird auf eine Entgleisung eines Diabetes mellitus Typ 2, eine ausgeprägte diabetische PNP und auf eine geringwertige Stenose linker HCI, Abgang, ca. 20-30 %, hingewiesen. Bekannte Diagnosen seien ferner der Diabetes mellitus Typ 2, eine arterielle Hypertonie, KHK, beidseitige Gonarthrose, Protrusionen der Lendenwirbel- und der Halswirbelsäule mit hochgradiger Spinalkanalstenose, ein chronisches Schmerzsyndrom und eine depressive Verstimmung mit Angststörung. Ferner wurde auf eine Reihe von seitens der Klägerin benötigter Wirkstoffe und Medikamente hingewiesen. Nach einem Schreiben der Gemeinschaftspraxis Dres. med. O..., Sch..., vom 24.2.2017 bedürfe die Klägerin der Betreuung durch einen ambulanten Pflegedienst, von welchem ihr dreimal täglich Insulininfusionen sowie Medikamente verabreicht und ihr Blutzuckerspiegel kontrolliert werden müssten.</p><p><rd nr="4"/>Im April 2017 lehnte die Beklagte den Antrag auf Abänderung des nach altem Recht ergangenen Bescheides vom 11.2.1999 bezüglich der darin enthaltenen Verneinung von Abschiebungsverboten ab.(vgl. den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 12.4.2017 – 7099517-144 –) In der Begründung heißt es, die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen seien nicht gegeben. Der Antrag sei verfristet. Nach den Angaben in den vorgelegten Attesten leide die Klägerin schon länger unter zahlreichen Erkrankungen, so dass bereits am 8.7.2016 ein Befundbericht erstellt worden sei. Zudem sei die Diabeteserkrankung bereits seit etwa sechs Jahren bekannt. Der Antrag sei jedoch erst am 13.3.2017 und damit mehr als drei Monate nach Kenntnis des Wiederaufnahmegrundes gestellt worden. Soweit das Verfahren im Interesse der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns durch die Beklagte wiedereröffnet und die bestandskräftige frühere Entscheidung zurückgenommen oder widerrufen werden könnten, lägen Gründe, die unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG eine Abänderung der bisherigen Entscheidung zum früheren § 53 AuslG rechtfertigten, nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Mazedonien führten nicht zu der Annahme einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch ihre Abschiebung. Eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liege nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Einer eventuell drohenden Gesundheitsverschlechterung der Klägerin könne mit den in Mazedonien zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten begegnet werden. Im Übrigen sei die Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Mazedonien nicht auf sich allein gestellt, da sowohl ihr Ehemann als auch ihre Söhne ausreisepflichtig seien.</p><p><rd nr="5"/>Zur Begründung der dagegen erhobenen Klage hat die Klägerin unter anderem ergänzend ausgeführt, die benötigte Behandlung und die Versorgung mit Medikamenten seien in Mazedonien nicht sichergestellt. Im Falle einer Rückkehr gerate sie in eine gänzlich ausweglose Lage, die mit einer gegebenenfalls lebensbedrohlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes einhergehe. Ihrem Ehemann sei aufgrund einer Krebserkrankung inzwischen die Blase entfernt worden. Zudem leide er an einer koronaren Herzkrankheit, habe bereits zwei Herzinfarkte erlitten und sei nicht in der Lage, sich um ihre ordnungsgemäße Medikamenteneinnahme, die Gabe von Insulin oder um die Kontrolle ihrer Blutzuckerwerte zu kümmern. Auch sie selbst sei nicht fähig, ihre notwendigen Medikamente selbstständig zu nehmen. Bei einer zwangsweisen Rückführung werde sie ihren Lebensunterhalt nicht selbstständig erwirtschaften können, so dass ihr auch eine soziale Verelendung und die Obdachlosigkeit drohe. Keines ihrer Kinder sei ausreisepflichtig.</p><p><rd nr="6"/>Im September 2018 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. In den Gründen heißt es unter ergänzender Bezugnahme auf den Ablehnungsbescheid der Beklagten unter anderem, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten. Ein Anspruch auf das im Ermessen des Beklagten stehende Wiederaufgreifen des Verfahrens stehe ihr nicht zu. Soweit die Klägerin auf die Gefahr ihrer sozialen Verelendung im Falle einer Rückführung nach Mazedonien verweise, rechtfertige die Erkenntnislage zu den humanitären Bedingungen in Mazedonien nicht die Annahme, dass bei Rückführung der Art. 3 EMRK verletzt werde. Die Klägerin könne eine finanzielle Anfangsentlastung unabhängig von ihren hier lebenden Kindern, die ihr grundsätzlich finanzielle Unterstützung gewähren könnten, dadurch erreichen, dass sie sich um eine Rückkehrförderung nach dem Programm REAG/GARP bemühe. Der Klägerin drohe auch keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit. Eine solche – bezogen auf Mazedonien – landesweite Gefahr könne zwar auch bei einer im Abschiebezielstaat zu erwartenden Verschlimmerung einer Krankheit bestehen, liege nach dem § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG aber nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich bei der Abschiebung alsbald, regelmäßig innerhalb eines Jahres nach der Rückkehr wesentlich verschlechtern würden. Eine gleichwertige Versorgung wie in Deutschland sei nicht erforderlich. Vielmehr müsse sich der Ausländer grundsätzlich auf das im Herkunftsstaat vorhandene Behandlungsniveau verweisen lassen. Der Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG diene nicht dazu, eine bestehende Krankheit optimal zu behandeln. Insbesondere gewähre die Vorschrift keinen allgemeinen Anspruch auf Teilhabe am medizinischen Fortschritt und Standard der medizinischen Versorgung in Deutschland. Von einer solchen Gefahr durch eine zu befürchtende wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands könne nicht schon gesprochen werden, wenn "lediglich" eine Heilung eines gegebenen Krankheitszustands einer Ausländerin im Abschiebungszielland nicht zu erwarten sei. Deshalb sei eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung ihres Gesundheitszustands anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden oder Zuständen. Davon könne bei der Klägerin nicht ausgegangen werden. In ihrem Fall lägen bereits keine ausreichend aktuellen und den an sie zu stellenden Anforderungen genügenden Atteste vor. Neue, nicht bereits dem Bundesamt eingereichte Atteste seien im Klageverfahren nicht vorgelegt worden. Der Arztbericht des F...-Krankenhauses vom Februar 2017 rechtfertige ebenso wenig die Annahme einer Krankheit, mit deren wesentlicher Verschlimmerung im Zielland der Abschiebung zu rechnen wäre, wie das ärztliche Schreiben der Gemeinschaftspraxis Dres. med. O... sowie die im zeitlichen Zusammenhang stehende Verordnung häuslicher Krankenpflege als Erstverordnung. Entsprechendes gelte für das fachärztliche Attest des Diplom-Psychologen Dr. med. B.... In dem Zusammenhang sei regelmäßig zu fordern, dass vorgelegte fachärztliche Atteste gewissen Mindestanforderungen genügten. Aus dem Attest müsse sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt habe und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstelle. Dazu gehörten etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden habe und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt worden seien. Des Weiteren solle ein Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf geben. Daran fehle es hier. Darüber hinaus lasse sich auch unter Berücksichtigung der verschiedenen ärztlichen Atteste und Berichte und der darin enthaltenen Diagnosen nicht feststellen, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin bei einer Rückkehr nach Mazedonien infolge dort unzureichender Behandlungsmöglichkeiten wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Letztlich stehe keines dieser zudem zeitlich nicht aktuellen Dokumente einer Überstellung der Klägerin nach Mazedonien entgegen. Es sei nicht ersichtlich, wie der weitere Krankheits- und Behandlungsverlauf gewesen sei und ob und gegebenenfalls in welcher Weise welche Krankheiten aktuell überhaupt einer medizinischen Versorgung bedürften. Im Übrigen sei nicht vorgetragen, inwieweit sich wegen sämtlicher Erkrankungen bei einer Rückführung eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben der Klägerin ergeben sollte. Unabhängig davon, dass es in ihrem Fall schon an einer Substantiierung einer konkreten Gefährdung fehle, seien sämtliche für Februar 2017 belegten Erkrankungen der Klägerin in Mazedonien behandelbar. Eine Behandlung wäre für die Klägerin auch erreichbar, so dass nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse eine Verschlimmerung ihrer Erkrankungen einträte. Auch sei wegen der nachgewiesenen medizinischen Behandlungsmöglichkeiten trotz einer möglichen vorübergehenden Unterbrechung von Sozialhilfeansprüchen in wirtschaftlicher Hinsicht weder im Hinblick auf die allgemeine wirtschaftliche Situation in Mazedonien noch mit Blick auf die besondere Situation der Klägerin von einer extremen Gefahrenlage auszugehen. Die meisten Krankheiten und Verletzungen könnten nach Auskünften des Auswärtigen Amts auch in Mazedonien therapiert werden, dies gelte auch für Krankheiten des Kreislaufsystems und den <em>Diabetes mellitus</em> mit dessen Neben- und Folgeerkrankungen sowie für orthopädische Krankheiten. Auch eine fortbestehende psychische Erkrankung der Klägerin wäre in Mazedonien stationär oder ambulant behandelbar. Eine hinreichende medikamentöse Versorgung sei grundsätzlich gewährleistet. In Skopje gebe es neben dem Universitätsklinikum "Klinisches Zentrum" mit einer psychiatrischen Abteilung ein weiteres Krankenhaus für Psychiatrie sowie Privatkliniken, die Behandlungsmöglichkeiten anböten. Im Land gebe es insgesamt drei staatliche Psychiatrien, die jeweils für eine Region des Landes zuständig seien. Daneben böten die Allgemeinkrankenhäuser in Mazedonien Behandlungsmöglichkeiten. Einen Anspruch auf bestimmte Formen medikamentöser und sonstiger Therapie habe die Klägerin nicht. Diese Behandlung sei für die Klägerin auch erreichbar. Jeder offiziell registrierte Bürger Mazedoniens könne grundsätzlich in den Genuss des gesetzlichen Krankenversicherungsschutzes kommen, entweder als Arbeitnehmer, Rentner, Arbeitsloser oder Empfänger von Sozialhilfe sowie im Rahmen der Familienversicherung. Eine Anmeldung in der gesetzlichen Krankenversicherung in Mazedonien sei ohne zeitliche Verzögerungen und ohne sonstige Hindernisse möglich. Die in der mündlichen Verhandlung angeführte, auch im verfahrensgegenständlichen Bescheid erwähnte Sperrfrist sei bei rechtzeitiger Antragstellung ohne Belang. Die Anmeldebedingungen in der Kategorie für arbeitslose Versicherte seien bereits 2010 vereinfacht worden. Diese Möglichkeiten stünden auch mittellosen Rückkehrern offen. Frühere Einschränkungen hinsichtlich der Größe der Familie gebe es nicht mehr. Auch Personen, die längere Zeit nicht in Mazedonien gewohnt hätten, könnten sich nach der Rückkehr beim Krankenversicherungsfonds melden und seien ab dem gleichen Tag versichert. Das Grundleistungspaket der Krankenversorgung sei breit gefächert, umfasse fast alle medizinischen Leistungen und decke sowohl ambulante als auch stationäre Behandlungen ab. Auch eine psychotherapeutische Behandlung werde durch das Grundleistungspaket des mazedonischen Gesundheitsfonds FZO abgedeckt. Sozialhilfeempfänger, zu denen die Klägerin nach eigenem Vortrag zählen dürfte, seien von Eigenanteilleistungen und Zuzahlungen für Medikamente befreit. Unabhängig davon könnte die Klägerin notfalls auf Unterstützung durch den Familienverband zurückgreifen. Den nach Angaben des Sohnes B... derzeit arbeitslosen Söhnen würden nach einer Auskunft der Zentralen Ausländerbehörde alsbald Aufenthaltserlaubnisse erteilt werden, so dass sie bessere Chancen als bisher auf dem hiesigen Arbeitsmarkt hätten. Die im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland geringeren finanziellen Mittel zum Lebensunterhalt könnten durch diese und durch die ebenfalls hier lebende Tochter gegebenenfalls gemeinsam erbracht werden. Soweit die Klägerin anführe, sie sei zur lebensnotwendigen medizinischen Versorgung zwingend auf einen Pflegedienst angewiesen, da sie selber insbesondere kein Insulin spritzen könne, sei dies so nicht belegt. Ein Grund für eine andauernde Unfähigkeit der Klägerin zur Blutzuckerspiegelmessung, Insulininjektion und sonstigen Medikamenteneinnahme sei aus den ärztlichen Bescheinigungen nicht ersichtlich. Die Klägerin sei der mündlichen Verhandlung ferner ohne Nachweis einer aktuellen Erkrankung ferngeblieben. Soweit der informatorisch angehörte Sohn B... A… angegeben habe, seine Mutter sei Analphabetin, vergesse zum Teil die Medikamenteneinnahme und habe Angst vor Spritzen, sei aus den Attesten und sonstigen vorliegenden ärztlichen Unterlagen jedenfalls auch nicht zu ersehen, inwieweit die Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts bei den genannten Tätigkeiten gerade auf einen Pflegedienst angewiesen sei und dass insbesondere die notwendige Blutzuckerspiegelmessung und Insulininjektion erforderlichenfalls nicht durch Dritte auch im Heimatland Mazedonien durchgeführt werden könnten, zumal heutige Blutzuckermessgeräte auch für Laien leicht handhabbar seien. Auch wenn aufgrund der älteren Verordnung der aktuelle Stand der benötigten Medikamente nicht nachvollziehbar sei, sei nicht ersichtlich, dass nicht eine dritte Person der Klägerin in Mazedonien dabei behilflich sein könne. Angesichts der vorhandenen Erkenntnislage über die Behandelbarkeit der Erkrankungen der Klägerin und unter Beachtung der dargelegten, in zeitlicher wie inhaltlicher Sicht nicht ausreichenden Atteste habe es ungeachtet der weiter im gerichtlichen Beschluss in der mündlichen Verhandlung hierzu dargelegten Gründe weder der Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens über die Angewiesenheit der Klägerin auf einen Pflegedienst zu ihrer medizinischen Versorgung noch der Vernehmung der Zeugin K... zu dieser Frage bedurft. Die Gefahr einer sozialen Verelendung sei nach dem Gesagten nicht gegeben. Auch insoweit sei eine weitere Sachaufklärung durch Vernehmung des Zeugen McG... und/oder durch Einholung einer Auskunft bei der Schweizerischen Flüchtlingshilfe insbesondere mit Blick auf die gegebene Erkenntnislage nicht veranlasst gewesen.</p><p><rd nr="7"/>Die Klägerin begehrt die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil.</p><p><strong>II.</strong></p><p><rd nr="8"/>Der nach § 78 Abs. 2 Satz 1 AsylG statthafte Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 26.9.2018 – 6 K 810/17 –, mit dem ihre Klage auf Verpflichtung der Beklagten (Bundesamt) zum Wiederaufgreifen des Verfahrens mit dem Ziel der Feststellung nationaler Abschiebungshindernisse (§ 60 Abs. 5, 7 AufenthG) abgewiesen wurde, ist auch sonst zulässig, aber nicht begründet. In der erstinstanzlichen Entscheidung und in dem Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 12.4.2017 wurde ein entsprechender Anspruch der Klägerin zu Recht verneint (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).</p><p><rd nr="9"/>Das den Prüfungsumfang im Zulassungsverfahren begrenzende Vorbringen in der Antragsbegründung (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) rechtfertigt nicht die von der Klägerin begehrte Zulassung des Rechtsmittels wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) oder wegen einer Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG).</p><p><rd nr="10"/>1. Soweit die Klägerin inhaltlich bezogen auf den Zulassungsgrund der Divergenz hinsichtlich der Beurteilung nach § 60 Abs. 5 AufenthG zunächst eine Abweichung von einem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom August 2018(vgl. BVerwG, Beschluss vom 8.8.2018 – 1 B 25.18 –, Asylmagazin 2018, 376, NVwZ 2019, 61 mit Anm. Lehnert) geltend macht, kann eine Abweichung im Sinne des Zulassungstatbestands nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG nicht festgestellt werden. Die Abweichungsrüge erfordert allgemein, dass in der Antragsbegründung ein inhaltlich bestimmter, abstrakter, die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragender Rechtssatz herausgearbeitet und einem eben solchen abweichenden abstrakten Rechtssatz des Divergenzgerichts gegenüber gestellt wird. Soweit eine Divergenz hinsichtlich einer tatsächlichen Frage geltend gemacht wird, muss auch dargelegt werden, dass es sich um dieselbe Tatsache handelt, hinsichtlich derer das Divergenzgericht Feststellungen getroffen hat, und dass die dieselbe Tatsache betreffenden Annahmen des Verwaltungsgerichts hiervon abweichen. Ob diesen (bereits) formalen Anforderungen hier genügt wurde, kann dahinstehen. Die Klägerin rügt insoweit, das Verwaltungsgericht habe in dem angegriffenen Urteil – anders als das Bundesverwaltungsgericht in der genannten und in mehreren anderen Entscheidungen – eine „Extremgefahr“ für die Annahme eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG verlangt und damit den hierbei geltenden Prüfungsmaßstab verkannt. Dies trifft nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat sich bei seiner Entscheidung auf den Seiten 6/7 des Urteils zunächst richtig mit der verfahrensrechtlichen Vorfrage eines sich durch eine Ermessensreduzierung verdichtenden Anspruchs der Klägerin auf ein Wiederaufgreifen des auch hinsichtlich des Nichtvorliegens von so genannten nationalen Abschiebungsverboten bestandskräftig – aus Sicht der Klägerin negativ – abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens befasst, dazu unter Verweis auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2004(vgl. BVerwG, Urteil vom 20.10.2004 – 1 C 15.03 –, DVBl 2005, 317, zum Wiederaufgreifen eines Verfahrens speziell zur Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen des früheren § 53 Abs. 6 AuslG) ausgeführt, dass ein solcher subjektiver Anspruch nur in Betracht komme, wenn das Festhalten an der Entscheidung zu einem „schlechthin unerträglichen Ergebnis führen würde“, und anschließend noch ohne eine Differenzierung zwischen den einzelnen Tatbeständen für nationale Abschiebungsverbote ausgeführt, das „komme in Betracht“, wenn der Ausländer bei einer Abschiebung einer extremen individuellen Gefahrensituation ausgesetzt würde. Diese vorangestellte umfassende Formulierung mag unglücklich sein, da der Begriff der Extremgefahr beziehungsweise der damit aufgerufene strenge Maßstab speziell im Rahmen des § 60 Abs. 7 AufenthG zur Rechtfertigung einer Durchbrechung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG zugunsten ausländerbehördlicher Erlasse bei Allgemeingefahren, angewandt wird, hingegen im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG, das heißt bei der Beurteilung der Frage, ob eine Abschiebung nach der Konvention zum Schutzes der Menschrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950, insbesondere wegen einer nach deren Art. 3 EMRK zu erwartenden „unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung“ unzulässig ist, nicht anzulegen ist.(vgl. auch dazu BVerwG, Beschluss vom 8.8.2018 – 1 B 25.18 –, Asylmagazin 2018, 376, NVwZ 2019, 61 mit Anm. Lehnert)</p><p><rd nr="11"/>Das ändert allerdings nichts daran, dass das Verwaltungsgericht hierbei – wie gesagt – einerseits zunächst konkret die Beurteilung eines Anspruchs auf ein insoweit begrenztes Wiederaufgreifen des bestandskräftig aus Sicht der Klägerin negativ abgeschlossenen Asylverfahrens infolge einer Ermessensreduzierung auf Null (§§ 51 Abs. 5, 49 Abs. 1 VwVfG) vorgenommen hat, und zum anderen die folgenden Ausführungen zu § 60 Abs. 5 AufenthG entgegen der Interpretation der Klägerin im Zulassungsantrag eindeutig belegen, dass das Verwaltungsgericht insoweit – anders als bei § 60 Abs. 7 AufenthG – nicht vom Erfordernis einer „Extremgefahr“ für den Fall der Rückführung der Klägerin nach Mazedonien ausgegangen ist. Die Ausführungen in dem erstinstanzlichen Urteil zu § 60 Abs. 5 AufenthG (Art. 3 EMRK) zeigen eindeutig, dass das Verwaltungsgericht insoweit in Anlehnung an die einschlägige, auch der auf Seite 7 des Urteils ausdrücklich angeführten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2003(vgl. BVerwG, Urteil vom 31.1.2013 – 10 C 15.12 –, NVwZ 2013, 297, insoweit Leitsatz 3, unter Verweis auf EGMR, Urteile vom 21.1.2011 – Nr. 30696/09, M.S.S., NVwZ 2011, 413, vom 28.6.2011 – Nr. 8319/07, Sufi und Elmi, NVwZ 2012, 681, und vom 13.10.2011 – Nr. 10611/09, Husseini, NJOZ 2012, 952) zugrundeliegenden Rechtsprechung des EGMR von richtigen, mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Einklang stehenden Anforderungen ausgegangen ist. Danach verpflichtet auch der Art. 3 EMRK die Vertragsstaaten unter anderem nicht dazu, Fortschritte in der Medizin sowie Unterschiede in sozialen und wirtschaftlichen Standards durch freie und unbegrenzte Versorgung von Ausländern ohne Bleiberecht zu beseitigen, was für den Anwendungsbereich des § 60 Abs. 7 AufenthG inzwischen ausdrücklich gesetzlich geregelt ist. Die Annahme einer (drohenden) Verletzung des Art. 3 EMRK erfordert nach der Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs (EGMR), der das Bundesverwaltungsgericht in der genannten Entscheidung folgt, aber ein „Mindestmaß an Schwere“ der dem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahr, wobei es bei der Ausfüllung dieses eher vagen Begriffs auf alle Umstände des Einzelfalls, unter anderen auf den Gesundheitszustand, ankommt, die in der Gesamtbetrachtung mit Blick auf humanitäre Verhältnisse im Zielstaat „nur in besonderen Ausnahmefällen“ die Annahme einer konventionswidrigen Abschiebung rechtfertigen, wenn sich der Ausländer, hier die Klägerin, nach der Abschiebung absehbar in einer „besonders gravierenden Lage“ befinden wird. Dieser Maßstab liegt der Anwendung des § 60 Abs. 5 AufenthG (Art. 3 EMRK) in der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts zugrunde. In diesen Darlegungen (Seite 7), die hier keiner Wiederholung bedürfen, ist auch von einer insoweit erforderlichen „Extremgefahr“ begrifflich nicht die Rede. Die von der Klägerin geltend gemachte Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) scheidet daher auch unter diesem Aspekt aus. Die anschließenden Ausführungen zur Einzelfallbewertung des Verwaltungsgerichts, was ein Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 3 EMRK für ein Abschiebungsverbot angelangt, berühren diesen Zulassungstatbestand nicht.</p><p><rd nr="12"/>2. Auch die weiter reklamierten Zulassungsgründe liegen nicht vor. Das gilt zunächst für die Geltendmachung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). Eine solche liegt vor, wenn sie eine im angestrebten Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Dabei ist – in prozessualer Hinsicht – zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes die Frage auszuformulieren und substantiiert auszuführen, warum sie als klärungsbedürftig und für die Entscheidung erheblich angesehen und aus welchen Gründen ihr eine Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird.(vgl. statt vieler OVG des Saarlandes, Beschluss vom 4.7.2016 – 2 A 161/16 –, SKZ 2017, 61, Leitsatz Nr. 1, zu § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO)</p><p><rd nr="13"/>Die Klägerin macht geltend, „von grundsätzlicher Bedeutung und daher höchstrichterlich klärungsbedürftig“ sei „die Frage“, ob</p><blockquote><p><rd nr="14"/><em>„1. sich Personen, welche längere Zeit nicht in Mazedonien gewohnt haben, sich unmittelbar nach der Rückkehr beim Krankenversicherungsfonds melden können und ab dem gleichen Tag versichert sind;</em></p></blockquote><blockquote><p><rd nr="15"/><em>2. mittellosen und nicht arbeitsfähigen Personen im Falle einer Rückführung nach Mazedonien eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK u.a. wegen Obdachlosigkeit droht.</em></p></blockquote><blockquote><p><rd nr="16"/><em>3. dass die Feststellung eines Abschiebverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG keine „extreme individuelle Gefahrensituation“ voraussetzt.“</em></p></blockquote><p><rd nr="17"/>Diese „Fragen“ rechtfertigen die begehrte Rechtsmittelzulassung nicht. Sie wären in dem angestrebten Berufungsverfahren nicht klärungsbedürftig beziehungsweise (weiter) klärungsfähig, so dass der Frage nach einer ordnungsgemäßen Darlegung im zuvor genannten Sinne auch insoweit nicht nachgegangen werden muss.</p><p><rd nr="18"/>Hinsichtlich der von der Klägerin formulierten 3. Frage ergibt sich aus den vorherigen Ausführungen, dass insoweit kein Klärungsbedarf besteht. Das Verwaltungsgericht ist davon – wie dargelegt – ausgegangen und das Bundesverwaltungsgericht hat in dem bereits mehrfach erwähnten Beschluss vom August 2018, der zwar die hier nicht zur Rede stehenden Fälle der sogenannten Sekundärmigration nach Schutzgewährung in einem Mitgliedstaat der europäischen Union – dort konkret Bulgarien – betraf, eine Zulassung der Revision wegen dieser Frage abgelehnt, weil sie sich mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens verneinen lasse.(vgl. auch dazu BVerwG, Beschluss vom 8.8.2018 – 1 B 25.18 –, Asylmagazin 2018, 376, NVwZ 2019, 61, Abschnitt 1.a.bb, mit insoweit zustimmender Anm. Lehnert) Die Frage ist damit geklärt. Weiteren Erkenntnisgewinn ließe ein Berufungsverfahren daher ohnehin nicht erwarten.</p><p><rd nr="19"/>Den vorstehenden Ausführungen zur Divergenzrüge ist ferner zu entnehmen, dass das Vorliegen eines Abschiebungsverbots im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG, Art. 3 EMRK nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, was die Bestimmung des „Mindestmaßes an Schwere“ drohender Gefahren im Zielstaat der Abschiebung (<em>„minimum level of security“)</em> oder eine „besonders gravierende Lage“ im „besonderen Ausnahmefall“ angeht, relativ ist und von vielen Umständen des jeweiligen Falls abhängt, insbesondere von der Dauer der Behandlung, von den daraus erwachsenen körperlichen und mentalen Folgen für den Betroffenen und in bestimmten Fällen auch von Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Betroffenen. Über diese einzelfallbezogenen, gegebenenfalls auch in ihrer Summierung, zu bewertenden „Risikofaktoren“ – hier – der jeweiligen Ausländerin hinaus ist eine rechtsgrundsätzliche Klärung im Verständnis des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht möglich. Ob die Sachverhaltsbeurteilung des Verwaltungsgerichts, was die Klägerin im Zulassungsantrag letztlich in Abrede stellt, im Ergebnis zutreffend ist oder nicht, erlangt in asylrechtlichen Zulassungsverfahren keine eigenständige Bedeutung. Die gegenüber dem Regelverfahren (dort: § 124 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VwGO) eingeschränkte und abschließende Aufzählung von Gründen für die Zulassung der Berufung in § 78 Abs. 3 Nr. 1 bis Nr. 3 AsylG macht vielmehr deutlich, dass der Gesetzgeber den gerichtlichen Rechtschutz in Asylverfahren hinsichtlich der Sachverhaltsbeurteilung grundsätzlich auf eine Instanz beschränkt hat. Das gilt entsprechend und erst Recht für die noch stärker einzelfallbezogenen Darlegungen zur konkreten Situation der Klägerin hinsichtlich der materiell-rechtlichen Beurteilung des Vorliegens einer vom Verwaltungsgericht im Ergebnis ebenfalls verneinten qualifizierten Gefährdungslage im Verständnis des § 60 Abs. 7 AufenthG, etwa was die Erlangbarkeit einer Rückkehrförderung für mazedonische Staatsangehörige oder die Möglichkeiten der in Deutschland lebenden Kinder zur Unterstützung der Klägerin anbelangt, und die lediglich einen kleinen Ausschnitt aus den einzelfallbezogenen Umständen darstellende Frage 1, in welchem zeitlichen Abstand zur Rückkehr nach Mazedonien ein Krankenversicherungsschutz zu erlangen wäre. Auch dabei geht es um den individuelle Umstände und die Klägerin wendet sich insoweit letztlich gegen die Ergebnisrichtigkeit der Beurteilung in ihrem Fall durch das Verwaltungsgericht. Eine Klärung grundsätzlicher Tatsachen- und/oder Rechtsfragen, die in Asylverfahren allein eine Zulassung des Rechtsmittels unter dem Aspekt rechtfertigen könnten, ist daher auch insoweit nicht möglich.</p><p><rd nr="20"/>3. Auch die unstrukturierten und mit den erwähnten Darlegungen zu den von der Klägerin aufgeworfenen Grundsatzfragen „vermengten“ Ausführungen zu der Behandlung ihrer in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge rechtfertigen die Zulassung der Berufung nicht. Soweit damit die Argumentation zur Richtigkeit ihrer – wie erwähnt – von der des Verwaltungsgerichts abweichenden Bewertung der Rückkehrgefährdung im Einzelfall untermauert werden soll, kann auf das zuvor Gesagte Bezug genommen werden. Versteht man den eingangs der Begründung gemachten Hinweis auf einen „Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht aufgrund der Nichterhebung der beantragten Beweise“ als förmliche Verfahrensrüge im Verständnis des – in der Antragsbegründung allerdings nicht erwähnten – § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, ergibt sich nichts anderes.</p><p><rd nr="21"/>Das insoweit einschlägige Gebot der Gewährung ausreichenden rechtlichen Gehörs vor Gericht schützt einen Verfahrensbeteiligten nach der Rechtsprechung des Senats nicht vor jeder nach seiner Meinung unrichtigen Ablehnung eines von ihm in mündlicher Verhandlung gestellten Beweisantrags. Vielmehr kann eine Verletzung dieses Prozessgrundrechts (Art. 103 Abs. 1 GG) erst angenommen werden, wenn die Ablehnung des Antrags unter keinem denkbaren Gesichtspunkt mehr eine Stütze im Prozessrecht findet, sich das Gericht mit dem Vorbringen eines Beteiligten in völlig unzulänglicher Form auseinandergesetzt hat und die Ablehnung des Beweisersuchens daher erkennbar willkürlich erscheint.(vgl. etwa OVG des Saarlandes, Beschluss vom 17.10.2006 – 2 Q 25/06 –, und vom 26.3.2009 – 2 A 471/08 –, SKZ 2009, 254, Leitsatz Nr. 74; Stuhlfauth in Baderu.a. VwGO, 7. Auflage 2018, § 86 Rn 33, unter Verweis auf BVerwG, Beschluss vom 25.1.2016 – 2 B 34.14 –, NVwZ-RR 2016, 428 <Disziplinarrecht>) Diese Voraussetzungen sind hier zunächst nicht erfüllt, soweit das Verwaltungsgericht den Antrag auf Erhebung eines Zeugen- und Sachverständigenbeweises zu der Tatsache, dass die Klägerin bei der lebensnotwendigen medizinischen Versorgung auf die Hilfe eines Pflegedienstes angewiesen sei, abgelehnt hat. In der Begründung für die Ablehnung dieses Beweisantrags in der mündlichen Verhandlung hat das Verwaltungsgericht auf die mangelnde Kompetenz der benannten Pflegedienstleiterin zur Vornahme insoweit notwendiger fachmedizinischer Wertungen und Schlussfolgerungen verwiesen. Dass das Verwaltungsgericht die unstreitigen Erkrankungen der Klägerin zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung „erwogen“, ergibt sich klar aus der angegriffenen Entscheidung. Diese beschäftigt sich auch mit der den Gegenstand des Beweisantrags bildenden Frage einer Angewiesenheit der Klägerin auf Dritte im Zusammenhang mit Blutdruck- und Blutzuckermessungen sowie mit Insulin- oder Medikamentengaben, und mit den vorgelegten ärztlichen Verordnungen, wonach die Klägerin nach einem stationärem Aufenthalt im Krankenhaus in A-Stadt im Februar 2017 einer Betreuung durch einen Pflegedienst bedurfte.(vgl. das mit der Antragstellung vorgelegte Attest der Gemeinschaftspraxis Dres. O... und O... vom 24.2.2017) Insoweit hat das Erstgericht noch nachvollziehbar ausgeführt, dass auf dieser Grundlage ein Grund für eine bis heute andauernde Unfähigkeit der Klägerin zur Blutzuckermessung, Insulin- und Medikamenteneinnahme nicht ersichtlich sei, zumal die Klägerin der mündlichen Verhandlung im September 2018 ohne Nachweis für eine aktuelle Erkrankung ferngeblieben sei. Soweit der informatorisch in der Verhandlung angehörte Sohn B... A. angegeben habe, seine Mutter sei Analphabetin, vergesse zum Teil die Medikamenteneinnahme und habe Angst vor Spritzen, sei aus den Attesten und vorliegenden ärztlichen Unterlagen auch nicht zu ersehen, inwieweit die Klägerin auch zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts bei den genannten Tätigkeiten gerade auf einen Pflegedienst angewiesen sei und dass insbesondere die notwendige Blutzuckerspiegelmessung und Insulininjektion, so die Klägerin hierzu tatsächlich nicht in der Lage sein sollte, auch im Heimatland Mazedonien nicht durch Dritte durchgeführt werden könnten. Angesichts der Erkenntnislage über die Behandelbarkeit der Erkrankungen der Klägerin in Mazedonien unter Beachtung der in zeitlicher wie inhaltlicher Sicht nicht ausreichenden Atteste habe es weder der Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens über die Angewiesenheit der Klägerin auf einen Pflegedienst zu ihrer medizinischen Versorgung noch der Vernehmung der zu dieser Frage benannten Zeugin bedurft. Insgesamt ist die Ablehnung dieses Beweisantrags daher nicht als in der beschriebenen Weise willkürlich anzusehen und begründet von daher keine Verletzung des Gehörsgebots oder der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 VwGO).</p><p><rd nr="22"/>Als in dem eingangs genannten Sinne „willkürlich“ erweist sich auch nicht die Ablehnung des zweiten in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrags auf Einvernahme eines benannten Zeugen vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg beziehungsweise einer Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zu der (behaupteten) Tatsache, dass die Klägerin im Falle einer Rückführung nach Mazedonien dort „für mindestens ein Jahr vom Zugang zu Sozialhilfe ausgeschlossen“ sei. Das Verwaltungsgericht hat diesen Antrag „unter Zurückstellung weiterer Bedenken“ deswegen abgelehnt, weil ihm zu der damit unter Beweis gestellten Frage sowie zur Lage und aktuellen Situation in Mazedonien, insbesondere zur Situation nach Mazedonien zurückkehrender Roma auch in medizinischer Hinsicht, aus seiner Sicht ausreichend aussagekräftige amtliche Auskünfte und gutachterliche Stellungnahmen vorlagen. In dieser Situation könne das zu einer Ermessenentscheidung berufene Gericht eine weitere Begutachtung anordnen, wenn es die vorliegenden Auskünfte oder Gutachten ohne Rechtsverstoß für ungenügend erachte. Einer erneuten Begutachtung bedürfe es dagegen nicht, wenn das Gegenteil der erneut behaupteten Tatsache bereits erwiesen sei. Das gerichtliche Ermessen könne sich auch dann zur Pflicht zu neuerlicher Begutachtung verdichten, wenn durch neuen entscheidungserheblichen Sachvortrag der Beteiligten oder eigene Ermittlungstätigkeit des Gerichts die Aktualität der vorliegenden Auskünfte zweifelhaft oder wenn sonst das bisherige Beweisergebnis ernsthaft erschüttert werde. Schließlich könne die Erforderlichkeit der Einholung weiterer Auskünfte oder Gutachten auch darauf beruhen, dass die Fragestellung der bisherigen Gutachten sich aufgrund tatsächlicher Entwicklungen oder wegen einer Änderung der Rechtsprechung als unzureichend erweise. Reichten aber die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel zur Beurteilung der geltend gemachten Gefahren aus, könne das Gericht einen Beweisantrag auf Einholung weiterer Auskünfte unter Berufung auf die eigene Sachkunde verfahrensfehlerfrei ablehnen, wenn es seine Sachkunde gegebenenfalls im Rahmen der Beweiswürdigung darstelle und belege. Die vorliegenden Auskünfte wiesen indes keine erkennbaren Fehler auf, seien von sachkundigen Stellen gefertigt und in sich schlüssig und widerspruchsfrei. Aus dem Beweisantrag sei nicht ersichtlich, dass die in das Verfahren eingeführten und aus der Erkenntnismittelliste ersichtlichen Erkenntnismittel ungenügend wären oder warum der genannte Zeuge sowie die benannte Stelle, von der bereits Auskünfte in der gerichtlichen Erkenntnisliste enthalten seien, über bessere Erkenntnisse verfügen sollte als sie in den bisher im vorliegenden Verfahren eingeführten Erkenntnissen vorhanden seien, so dass der Beweisantrag sich letztlich lediglich auf eine neue Bewertung der vorliegenden Erkenntnisse richte. Diese reichten aufgrund ihrer Aktualität zur Beurteilung der geltend gemachten Gefahren aus, so dass das Gericht den Beweisantrag auf Einholung einer weiteren Auskunft durch Zeugenbefragung wie durch Auskunft der im Beweisantrag benannten Stelle wegen der bestehenden eigenen Sachkunde ablehne. Soweit der Beweisantrag auch auf die Frage abziele, ob es der Klägerin in Mazedonien pekuniär möglich sei, die erforderliche Behandlung zu erhalten, handele es sich bei der Beantwortung dieser Frage wie bei der Beurteilung einer Verelendungsgefahr um eine Prognoseentscheidung, bei der nicht nur Sozialhilfeleistungen sondern etwa auch die mögliche Unterstützung durch Angehörige im In- und Ausland in die Entscheidungsfindung einzustellen seien. Diese Prognose habe allein das Gericht zu treffen. Auch diese Vorgehensweise des Verwaltungsgerichts ist nicht „willkürlich“ zumal sich die Klägerin auch im Berufungszulassungsverfahren nicht einmal detailliert mit den vom Verwaltungsgericht verarbeiteten Unterlagen auseinandersetzt. Das Gericht kann in der Tat nicht verpflichtet sein, immer weitere Gutachten zu nach vorliegendem Erkenntnismaterial bereits zu beantwortenden Fragen einzuholen, bis diese zu einem anderen, der abweichenden Ansicht des Beweisantragstellers oder der Beweisantragstellerin entsprechenden Ergebnis gelangen. Ob die herangezogenen Erkenntnisse letztlich inhaltlich „richtig“ sind, ist – wie gesagt – keine Frage des Verfahrensrechts.</p><p><rd nr="23"/>Von einer weiteren Begründung des Nichtzulassungsbeschlusses wird abgesehen (§ 78 Abs. 5 Satz 1 AsylG).</p><p><strong>III.</strong></p><p><rd nr="24"/>Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83b AsylG. Der Gegenstandswert des Verfahrens ergibt sich aus dem § 30 Abs. 1 RVG.</p><p><rd nr="25"/>Der Beschluss ist unanfechtbar.</p> |
|
171,351 | ovgsl-2019-01-22-1-b-32318 | {
"id": 938,
"name": "Oberverwaltungsgericht des Saarlandes",
"slug": "ovgsl",
"city": null,
"state": 14,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 1 B 323/18 | 2019-01-22T00:00:00 | 2019-01-29T12:51:16 | 2019-02-13T12:21:07 | Beschluss | <h2>Tenor</h2>
<p/><p>Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 5. November 2018 - 3 L 1167/18 - wird die aufschiebende Wirkung der vom Kläger gegen den Gebührenbescheid des Antragsgegners vom 15.1.2014 erhobenen Klage 3 K 1166/18 angeordnet.</p><p>Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen dem Antragsgegner zur Last.</p><p>Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 1.294,43 EUR festgesetzt.</p>
<h2>Gründe</h2>
<p/><p><rd nr="1"/>Die am 19.11.2018 eingegangene Beschwerde des Antragstellers gegen den im Tenor näher bezeichneten, dem Antragsteller am 8.11.2018 zugestellten Beschluss des Verwaltungsgerichts ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.</p><p><rd nr="2"/>Durch den angefochtenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht den auf § 80 Abs. 5 VwGO gestützten Antrag, die „Aussetzung der Vollstreckung des Gebührenbescheides des Antragsgegners vom 15.01.2014 anzuordnen“, seinem Sinn entsprechend der Sache nach zutreffend als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der vom Antragsteller gleichzeitig gegen den vorgenannten Gebührenbescheid erhobenen Anfechtungsklage ausgelegt (§ 88 VwGO) und diesen für zulässig erachtet. Insoweit ist das Verwaltungsgericht im Anschluss an den Beschluss des erkennenden Senats vom 18.4.2018 – 1 B 24/18 –(veröffentlicht in juris), mit dem dieser dem Antragsgegner die Vollstreckung aus dem Gebührenbescheid vom 15.1.2014 mangels Vorliegens notwendiger Vollstreckungsvoraussetzungen einstweilen untersagt hat, davon ausgegangen, dass der Antragsteller gegen den Bescheid fristwahrend im Sinne des § 70 Abs. 1 VwGO Widerspruch erhoben hat. Da der Antragsgegner dessen weitere Bearbeitung noch nicht veranlasst hat, ist die vom Kläger erhobene Klage als Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO zulässig.</p><p><rd nr="3"/>In der Sache hat das Verwaltungsgericht den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes als unbegründet angesehen, da die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen einen Heranziehungsbescheid zu öffentlichen Abgaben voraussetze, dass an seiner Rechtmäßigkeit ernstliche Zweifel bestehen oder die Vollziehung für den Abgabenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte, diese Voraussetzungen fallbezogen aber nicht erfüllt seien. Der angefochtene Bescheid finde seine Rechtsgrundlage in der aufgrund der §§ 12 KSVG, 2, 4, 6 KAG erlassenen Abwassersatzung der Gemeinde A-Stadt vom 20.12.2006 in Verbindung mit den §§ 2, 3, 4, 8 ff. und der Anlage I (Abwassergebührenverzeichnis) der Abwassergebührensatzung vom 19.11.2012 bezüglich der Kanalbenutzungsgebühren (Schmutzwassergebühr und Niederschlagswassergebühr) sowie hinsichtlich der Heranziehung zu Wassergebühren in der Wasserversorgungssatzung vom 22.11.2010 in Verbindung mit der Wassergebührensatzung vom 22.7.2010, hinsichtlich deren Rechtsgültigkeit Bedenken weder bestünden noch vorgetragen seien. Das Vorbringen des Antragstellers, der die dem angefochtenen Gebührenbescheid zugrunde gelegten Verbrauchswerte bestreite und im Übrigen davon ausgehe, hinsichtlich des Bescheides seien sowohl Verjährung als auch Verwirkung eingetreten, verfange nicht.</p><p><rd nr="4"/>Das Vorbringen des Antragstellers in seiner mit der Beschwerdeschrift eingegangenen Beschwerdebegründung, das nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO den Umfang der vom Senat vorzunehmenden Prüfung begrenzt, gibt Veranlassung, die erstinstanzliche Entscheidung abzuändern.</p><p><rd nr="5"/>Soweit sich das Beschwerdevorbringen des Antragstellers, den erstinstanzlichen Vortrag insoweit wiederholend, auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe des Gebührenbescheides vom 15.1.2014 bezieht, sind Ausführungen hierzu nicht veranlasst, nachdem das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss vom 5.11.2018 in Übereinstimmung mit der im Beschluss des Senats vom 18.4.2018 – 1 B 24/18 – zum Ausdruck kommenden Auffassung von einer Bekanntgabe des Gebührenbescheides im November 2017 und dem entsprechend von einer rechtzeitigen Widerspruchserhebung am 10.11.2017 ausgegangen ist. Sollte das Beschwerdevorbringen dahingehend zu verstehen sein, dass eine Bekanntgabe des Bescheides überhaupt in Abrede gestellt wird, nimmt der Senat insoweit auf seine diesbezüglichen Ausführungen im Beschluss vom 18.4.2018 – 1 B 24/18 – Bezug.</p><p><rd nr="6"/>Die die Richtigkeit der erhobenen Gebühr in Höhe von 5.177,71 EUR in Frage stellenden Ausführungen des Antragstellers in seiner Beschwerdebegründung geben indes Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Gebührenbescheides vom 15.1.2014 „Schlussabrechnung 2013“.</p><p><rd nr="7"/>Der Antragsteller wendet insoweit insbesondere ein, der Bescheid sei „nach so langer Zeit in keiner Weise mehr zu rekonstruieren bzw. zu überprüfen für den Verbraucher“. Der Bescheid lasse nicht die Art und Weise der Berechnung erkennen.</p><p><rd nr="8"/>Dieser Einwand des Antragstellers, auf den der Antragsgegner in seiner Beschwerdeerwiderung nicht ansatzweise eingeht, ist nicht von der Hand zu weisen.</p><p><rd nr="9"/>Die vom Antragsteller beanstandete Schätzung betrifft lediglich den Abrechnungszeitraum Januar 2013 und ergibt einen Verbrauch von 0 m³. Hierdurch ist der Antragsteller zwar gebührenrechtlich ersichtlich nicht beschwert, gleichwohl sei angemerkt, dass weder dem angefochtenen Gebührenbescheid selbst, noch dem Inhalt der vom Antragsgegner übersandten Verwaltungsunterlagen oder den schriftsätzlichen Ausführungen des Antragsgegners ein Grund dafür entnehmen lässt, weshalb die „Schlussabrechnung 2013“ lediglich den Monat Januar 2013 erfasst. Die vom Antragsteller geforderten Gebühren in Höhe von insgesamt 5.177,71 EUR sollen sich ausweislich der Rubrik „Kontoauszug 2013“ des Bescheides aus Zahlungsrückständen aus den Vorjahren (5.168,84 EUR), der Differenz aus geforderten Vorauszahlungen in Höhe von 546,44 EUR und einer Gutschrift von 540,07 EUR sowie einer Gebühr von 2,50 EUR zusammensetzen.</p><p><rd nr="10"/>Hinsichtlich der sich hieraus ergebenden Gesamtforderung von 5.177,71 EUR ist der angefochtene Gebührenbescheid in Höhe eines Teilbetrags bereits deshalb offensichtlich rechtswidrig, weil er nicht berücksichtigt, dass die dem Antragsteller in Rechnung gestellten Zahlungsrückstände aus 2012 Gebühren für insgesamt 850 m³ Abwasser in einer Gesamthöhe von 3.357,50 EUR umfassen, die daraus resultieren, dass infolge eines Wasserrohrbruchs auf dem Grundstück des Antragstellers Wasser ausgetreten ist, welches hauptsächlich ins Gelände und nicht in die öffentliche Kanalisation gelangt ist. Der Antragsgegner selbst hat diesem Umstand dadurch Rechnung getragen, dass er dem Antragsteller mit Schreiben vom 19.3.2014 eine entsprechende Gutschrift zugesagt und mitgeteilt hat, den Gutschriftsbetrag mit der Schlussabrechnung verrechnet zu haben. Ein dem entsprechender Änderungsbescheid ist indes – soweit aus den Verwaltungsunterlagen ersichtlich – nicht ergangen. Der Antragsgegner beharrt vielmehr auf dem angefochtenen Gebührenbescheid vom 15.1.2014.</p><p><rd nr="11"/>Die Umstände, derentwegen der Antragsgegner mit der Konsequenz einer Abhilfezusage offensichtlich selbst davon ausgeht, dass ein Großteil der für das Jahr 2012 abgerechneten Abwassergebühren zu Unrecht festgesetzt worden ist, stehen insoweit bereits der Rechtmäßigkeit des diese Gebühren umfassenden Gebührenbescheides vom 15.1.2014 und nicht, wovon offenbar das Verwaltungsgericht ausgeht, erst dessen Vollstreckbarkeit entgegen.</p><p><rd nr="12"/>Hinsichtlich der demnach verbleibenden Gebührenforderung von 1.820,21 EUR ist der angefochtene Gebührenbescheid weder aus sich heraus noch – anders als die Gebührenfestsetzung im Verfahren 1 B 322/18 – mithilfe der Verwaltungsunterlagen nachvollziehbar. Die in der Verwaltungsakte befindliche Aufstellung „Offene Posten“ vom 6.6.2017 listet hinsichtlich im Jahre 2013 fällig gewesener Gebühren einschließlich Mahngebühren vom 23.5.2013 und vom 15.5.2014 ein „Soll“ von 3.944,49 EUR, ein „Ist“ von 2.121,78 EUR und einen sich hieraus ergebenden Saldo von 1.822,71 EUR aus. Den größten Teil des Sollbetrags nimmt dabei die Position „Abrechnung Abwasser“, fällig am 1.2.2013, in einer Höhe von 3.393,05 EUR ein, deren Zustandekommen anhand der Verwaltungsunterlagen nicht nachvollzogen werden kann. Insbesondere ist der Betrag mit dem Bescheid vom 21.12.2012 „Abrechnung 2012 und Vorauszahlung 2013“ nicht in Einklang zu bringen. Darin ist für das Abwasser ein Betrag von insgesamt 3.590,55 EUR ausgewiesen, wobei dem Umstand des Wasserrohrbruchs im Jahre 2012 noch nicht Rechnung getragen war.</p><p><rd nr="13"/>Demnach kann der angefochtene Gebührenbescheid weder aus sich heraus, noch mithilfe der Verwaltungsunterlagen – diese genügen der Aufforderung des Verwaltungsgerichts vom 31.8.2018, die Akten im Original, auf ihre Vollständigkeit überprüft, nach der zeitlichen Reihenfolge geheftet sowie mit fortlaufenden Blattzahlen versehen vorzulegen, nicht annähernd – nicht nachvollzogen und demgemäß seine Rechtmäßigkeit nicht festgestellt werden, was ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Heranziehung im Sinne des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO bedingt. Der Versuch einer weiteren Sachaufklärung ist unter den Gegebenheiten des vorläufigen Rechtsschutzes nicht angezeigt. Vielmehr wirkt sich das Vorliegen ernstlicher Zweifel im Rahmen der Abwägung zwischen dem privaten Interesse des Antragstellers, von der Durchsetzung des ihm gegenüber ergangenen Gebührenbescheides bis zu einer abschließenden Entscheidung über seinen Rechtsbehelf verschont zu bleiben, und dem öffentlichen Interesse an einer unverzüglichen, von der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs nicht gehinderten Durchsetzung der angefochtenen Entscheidungen vorzunehmen, zu Lasten des Antragsgegners aus.</p><p><rd nr="14"/>Der Beschwerde war daher stattzugeben.</p><p><rd nr="15"/>Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p><p><rd nr="16"/>Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 1.5 Satz 1 Alternative 2 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.(zur Befugnis des Beschwerdegerichts zur Nachholung einer vom Erstgericht nicht getroffenen Streitwertfestsetzung im Beschwerdeverfahren: Bayerischer VGH, Beschluss vom 7.10.2017 – 10 CE 17.1491 –, juris, Rdnr. 7)</p><p><rd nr="17"/>Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.</p> |
|
171,350 | ovgsl-2019-01-22-1-b-32218 | {
"id": 938,
"name": "Oberverwaltungsgericht des Saarlandes",
"slug": "ovgsl",
"city": null,
"state": 14,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 1 B 322/18 | 2019-01-22T00:00:00 | 2019-01-29T12:51:16 | 2019-02-13T12:21:07 | Beschluss | <h2>Tenor</h2>
<p/><p>Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 5. November 2018 - 3 L 1163/18 - wird zurückgewiesen.</p><p>Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen dem Antragsteller zur Last.</p><p>Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 663,60 EUR festgesetzt.</p>
<h2>Gründe</h2>
<p/><p><rd nr="1"/>Die am 19.11.2018 eingegangene Beschwerde des Antragstellers gegen den im Tenor näher bezeichneten, dem Antragsteller am 8.11.2018 zugestellten Beschluss des Verwaltungsgerichts ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.</p><p><rd nr="2"/>Durch den angefochtenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht den auf § 80 Abs. 5 VwGO gestützten Antrag, die „Aussetzung der Vollstreckung des Gebührenbescheides des Antragsgegners vom 10.01.2014 anzuordnen“, seinem Sinn entsprechend der Sache nach zutreffend als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der vom Antragsteller gleichzeitig gegen den vorgenannten Gebührenbescheid erhobenen Anfechtungsklage ausgelegt (§ 88 VwGO) und diesen für zulässig erachtet. Insoweit ist das Verwaltungsgericht im Anschluss an den Beschluss des erkennenden Senats vom 18.4.2018 – 1 B 23/18 –(veröffentlicht in juris), mit dem dieser dem Antragsgegner die Vollstreckung aus dem Gebührenbescheid vom 10.1.2014 mangels Vorliegens notwendiger Vollstreckungsvoraussetzungen einstweilen untersagt hat, davon ausgegangen, dass der Antragsteller gegen den Bescheid fristwahrend im Sinne des § 70 Abs. 1 VwGO Widerspruch erhoben hat.</p><p><rd nr="3"/>In der Sache hat das Verwaltungsgericht den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes als unbegründet angesehen, da die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen einen Heranziehungsbescheid zu öffentlichen Abgaben voraussetze, dass an seiner Rechtmäßigkeit ernstliche Zweifel bestehen oder die Vollziehung für den Abgabenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte, diese Voraussetzungen fallbezogen aber nicht erfüllt seien. Der angefochtene Bescheid finde seine Rechtsgrundlage in der aufgrund der §§ 12 KSVG, 2, 4, 6 KAG erlassenen Abwassersatzung der Gemeinde A-Stadt vom 20.12.2006 in Verbindung mit den §§ 2, 3, 4, 8 ff. und der Anlage I (Abwassergebührenverzeichnis) der Abwassergebührensatzung vom 19.11.2012 bezüglich der Kanalbenutzungsgebühren (Schmutzwassergebühr und Niederschlagswassergebühr) sowie hinsichtlich der Heranziehung zu Wassergebühren in der Wasserversorgungssatzung vom 22.11.2010 in Verbindung mit der Wassergebührensatzung vom 22.7.2010, hinsichtlich deren Rechtsgültigkeit Bedenken weder bestünden noch vorgetragen seien. Das Vorbringen des Antragstellers, der die dem angefochtenen Gebührenbescheid zugrunde gelegten Verbrauchswerte bestreite und im Übrigen davon ausgehe, hinsichtlich des Bescheides seien sowohl Verjährung als auch Verwirkung eingetreten, verfange nicht.</p><p><rd nr="4"/>Maßgebend für die Wasserbezugsgebühr sei die von der Messeinrichtung als Wasserverbrauch gemessene Wassermenge (§ 21 Wasserversorgungssatzung in Verbindung mit § 2 Wassergebührensatzung), und für die Berechnung der Schmutzwassergebühren sei gemäß § 3 Abs. 3 der Abwassergebührensatzung auf die Wassermenge abzustellen, die sich aus den Messungen der Wasserzähler der jeweiligen Versorgungsunternehmen sowie anderer gleichwertiger Messeinrichtungen ergibt. Hinsichtlich des demnach maßgeblichen gemessenen Wasserbezugs gingen das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes und ihm folgend die erkennende Kammer davon aus, dass die von geeichten Messeinrichtungen angezeigte Menge des den öffentlichen Versorgungsanlagen entnommenen Wassers maßgeblich sei und die Richtigkeit der Anzeige der Messeinrichtungen in aller Regel nicht mehr in Zweifel gezogen werden könne, insbesondere dann, wenn ein Antragsteller bezüglich der betreffenden Entnahmestelle niemals Beanstandungen hinsichtlich der Richtigkeit der Messungen des Wasserzählers geltend gemacht hat. Hiervon ausgehend sei eine weitere Sachverhaltsermittlung fallbezogen auch in Anbetracht des Amtsermittlungsgrundsatzes nicht geboten.</p><p><rd nr="5"/>Auch seien weder die Voraussetzungen der Verjährung noch die der Verwirkung gegeben. Das aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleitete Institut der Verwirkung habe zwei tatbestandliche Voraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssten. Zum einen müsse das verbürgte Recht über längere Zeit nicht geltend gemacht worden sein, nachdem dies dem Rechtsinhaber möglich war (Zeitmoment), und zum anderen müssten besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment). Im vorliegenden Fall fehle es schon an einem unangemessenen Zeitablauf im Hinblick auf die Geltendmachung der verfahrensgegenständlichen Gebühren. Ein Anhaltspunkt für die Konkretisierung des Zeitmoments ergebe sich nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aus den allgemeinen Verjährungsvorschriften. Mit Blick auf die gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 4b KAG in Verbindung mit §§ 169 Abs. 2, 170 Abs. 1 AO im Kanalbenutzungs- und Wasserbezugsgebührenrecht geltende vierjährige Verjährungsfrist, die fallbezogen für die im Jahre 2013 angefallenen Gebühren mit dem 1.1.2014 begonnen habe und erst am 31.12.2017 abgelaufen wäre, demgemäß durch den im November 2017 bekannt gegebenen Festsetzungsbescheid vom 10.1.2014 gewahrt worden sei, müsse davon ausgegangen werden, dass nur der Zeitablauf relevant sein könne, der einem Mehrfachen des Verjährungszeitraums entspricht. Danach sei eine Verwirkung schon wegen des Zeitmoments ersichtlich nicht eingetreten. Im Übrigen könne nach den von der Rechtsprechung zur Verwirkung im Abgabenrecht entwickelten Grundsätzen eine Verwirkung nur dann in Betracht kommen, wenn zusätzlich zu einem unangemessenen Zeitablauf die Gemeinde durch ihr Verhalten dem Abgabepflichtigen gegenüber zum Ausdruck gebracht hat, dass sie Abgaben nicht mehr erheben wird, wobei letzteres durch ein positives Verhalten, etwa eine Verzichtshandlung oder eine entsprechende Auskunft, erfolgen müsse. Dafür sei hier nichts vorgetragen oder sonst ersichtlich.</p><p><rd nr="6"/>Ferner sei nicht erkennbar, dass der Antragsteller im Vertrauen darauf, zu den Gebühren nicht mehr herangezogen zu werden, nicht mehr rückgängig zu machende Dispositionen getroffen hat und ihm deshalb durch die Gebührenzahlung ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Anhaltspunkte für eine Unbilligkeit der Vollziehung des Bescheides im Sinne von § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO bestünden ebenfalls nicht.</p><p><rd nr="7"/>Das Vorbringen des Antragstellers in seiner mit der Beschwerdeschrift eingegangenen Beschwerdebegründung, das nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO den Umfang der vom Senat vorzunehmenden Prüfung begrenzt, gibt keine Veranlassung, die erstinstanzliche Entscheidung abzuändern.</p><p><rd nr="8"/>Soweit sich das Beschwerdevorbringen des Antragstellers, den erstinstanzlichen Vortrag insoweit wiederholend, auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe des Gebührenbescheides vom 10.1.2014 bezieht, sind Ausführungen hierzu nicht veranlasst, nachdem das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss vom 5.11.2018 in Übereinstimmung mit der im Beschluss des Senats vom 18.4.2018 – 1 B 23/18 – zum Ausdruck kommenden Auffassung von einer Bekanntgabe des Gebührenbescheides erst im November 2017 und dem entsprechend von einer rechtzeitigen Widerspruchserhebung am 10.11.2017 ausgegangen ist. Sollte das Beschwerdevorbringen dahingehend zu verstehen sein, dass eine Bekanntgabe des Bescheides überhaupt in Abrede gestellt wird, nimmt der Senat insoweit auf seine diesbezüglichen Ausführungen im Beschluss vom 18.4.2018 – 1 B 23/18 – Bezug.</p><p><rd nr="9"/>Die die Richtigkeit der erhobenen Gebühr in Höhe von 2.654,39 EUR in Frage stellenden Ausführungen des Antragstellers in seiner Beschwerdebegründung verfangen nicht.</p><p><rd nr="10"/>Hinsichtlich des dem Gebührenbescheid vom 10.1.2014 „Schlussabrechnung 2013“ zugrunde gelegten Verbrauchs im Jahre 2013 wendet der Antragsteller ein, der Bescheid weise einen angeblich telefonisch mitgeteilten Wert aus, der nicht nachvollzogen werden könne. Angegeben seien weder das Datum des Anrufs, noch die Person des Anrufers, noch der Zeitpunkt der Ablesung. Der Verbrauch belaufe sich auf 222 qm – gemeint sind 222 m³ –, gefordert werde allerdings ein Betrag von 2.654,39 EUR, der dem angegebenen Verbrauch nicht zugerechnet werden könne. Zum 1.10.2013 werde ein Zählerstand mit „0“ angegeben, was bei einem Stand von „529“ tags zuvor unrealistisch sei. Die angegebenen Werte könnten daher nicht richtig sein. Die Richtigkeit der Daten unterstellt würde die Nachforderung für 2013 sich auf 209,89 EUR belaufen. Gleichwohl laute die Gesamtforderung auf den Betrag von 2.654,39 EUR. Die Art und Weise der Berechnung sei nicht erkennbar und für den Verbraucher nicht überprüfbar. Unüblich sei auch eine Schätzung des Verbrauchs.</p><p><rd nr="11"/>Mit diesen Einwänden vermag der Antragsteller nicht durchzudringen.</p><p><rd nr="12"/>Die vom Antragsteller angesprochene, im Bescheid vom 10.1.2014 aufgeführte „angebliche“ telefonische Mitteilung vom 3.9.2013 (erste Zeile der Rubrik Zählerstand) ist eine telefonische Mitteilung des Antragstellers selbst, die ihre Rechtsgrundlage in § 20 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Wasser (AVBWasserV) vom 20.6.1980 (BGBl. I, S. 750, 1067), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 21.1.2013 (BGBl. I, S. 91) findet. Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 AVBWasserV werden die Messeinrichtungen vom Beauftragten des Wasserversorgungsunternehmens möglichst in gleichen Zeitabständen oder auf Verlangen des Unternehmens vom Kunden selbst abgelesen.</p><p><rd nr="13"/>Der Einwand des Antragstellers, zum 1.10.2013 werde ein Zählerstand mit „0“ angegeben, was bei einem Stand von „529“ tags zuvor unrealistisch sei und belege, dass die zugrunde gelegten Werte unzutreffend seien, beruht auf einem falschen Verständnis des Gebührenbescheides. Die Angaben in der zweiten Zeile der den jeweiligen Zählerstand betreffenden Rubrik beziehen sich auf einen im Verlauf des Jahres 2013 neu in Betrieb genommenen anderen Zähler, der naturgemäß zum Zeitpunkt seiner Inbetriebnahme den Zählerstand „0“ aufgewiesen hatte und dessen Verbrauchswert zum Jahresende dem Endstand des ausgewechselten Zählers (Zeile 1) hinzuzurechnen war.</p><p><rd nr="14"/>Fehl geht auch der Einwand des Antragstellers, der geforderte Betrag von 2.654,39 EUR könne dem angegebenen Verbrauch in Höhe von 222 m³ nicht zugeordnet werden, die Nachforderung für 2013 belaufe sich auf 209,89 EUR, während die Gesamtforderung auf den Betrag von 2.654,39 EUR festgesetzt werde. Aus der in der Rubrik „Berechnungsgrundlage“ dargestellten zutreffenden, auf der Abwassergebührensatzung (Anlage 1, Abwassergebührenverzeichnis) sowie der Anlage II (Benutzungsgebühren) zur AVBWasserV beruhenden Berechnung ergibt sich für das Bezugsjahr 2013 eine Gesamtgebühr in Höhe von 1.494,14 EUR. Die in der Gesamtforderung enthaltene Nachforderung von 209,89 EUR ergibt sich aus der Differenz der vorbezeichneten Gesamtgebühr und der für das Jahr 2013 errechneten Vorauszahlung von 1.284,25 EUR. Die Berechnung der Gesamtforderung lässt sich der Rubrik „Kontoauszug 2013“ entnehmen: Sie entspricht der Summe aus der für das Jahr 2013 errechneten Gesamtgebühr in Höhe von 1.494,14 EUR (noch offene Vorauszahlung von 1.284,25 EUR + Nachforderung in Höhe von 209,89 EUR) und den nach dem Kontoauszug 2013 noch offenen Zahlungen aus Vorjahren in Höhe von 1.160,25 EUR. Diese Summe offener Zahlungen aus Vorjahren ergibt sich aus der bei den Behördenakten befindlichen Aufstellung „Offene Posten“. Bestand und Höhe dieser Rückstände werden vom Antragsteller im Übrigen mit der Beschwerde nicht substantiiert bestritten.</p><p><rd nr="15"/>Eines Eingehens auf die vom Antragsteller bemängelte Schätzung bedarf es nicht, weil der hier verfahrensgegenständliche Gebührenbescheid vom 10.1.2014 auf keiner Schätzung beruht.</p><p><rd nr="16"/>Die dem Antragsteller gegenüber festgesetzte Gesamtgebühr von 2.654,39 EUR ist auch weder verjährt noch verwirkt. Insoweit kann zunächst auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Beschluss vom 5.11.2018 Bezug genommen werden.</p><p><rd nr="17"/>Die in der Beschwerdebegründung insoweit vorgebrachten Einwände des Antragstellers führen nicht zu einer hiervon abweichenden Sichtweise. Der Antragsteller meint, er habe mit der Geltendmachung der Gebührenforderung nicht mehr rechnen müssen und die Nachprüfbarkeit ihrer Richtigkeit sei unzumutbar erschwert worden, was die Annahme einer Verwirkung rechtfertige. Das Verwaltungsgericht halte einen Gebührenanspruch erst nach 30 Jahren für nicht mehr durchsetzbar, nehme andererseits aber eine Verjährungsfrist von vier Jahren an. Diese Argumentation sei nicht verständlich. Nach dem Eintritt der Verjährung bedürfe es keiner Verwirkungsregelung mehr. Die Verwirkung müsse daher zu einem früheren Zeitpunkt eingreifen. Fallbezogen könne die vom Antragsgegner erhobene Gebührenforderung daher schon vor Ablauf von vier Jahren verwirkt sein. Das Verwaltungsgericht verkenne im Übrigen den Unterschied zwischen der Frist zur Abrechnung und der Verjährung der abgerechneten Kosten. Vorliegend gehe es nicht um die Verjährung abgerechneter Kosten, sondern um den Zeitraum, wie lange überhaupt eine Abrechnung erfolgen könne, um noch nachprüfbar zu sein. Das KAG bestimme in § 6, dass der der Gebührenrechnung zugrunde zu legende Kalkulationszeitraum drei Jahre nicht übersteigen solle. Damit solle dem Interesse des Beitragsschuldners daran, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann, Rechnung getragen werden.</p><p><rd nr="18"/>Diese Ausführungen führen nicht zu einem Erfolg der Beschwerde.</p><p><rd nr="19"/>Zutreffend ist das Verwaltungsgericht zunächst von der Geltung einer vierjährigen Verjährungsfrist sowie davon ausgegangen, dass danach eine Verjährung der geltend gemachten Gebührenforderung zum Zeitpunkt ihrer Festsetzung nicht eingetreten war.</p><p><rd nr="20"/>Fehl geht insoweit zunächst der Hinweis des Antragstellers auf § 6 Abs. 2 Satz 2 KAG. Die Vorschrift betrifft vor dem Hintergrund des im Abgabenrecht geltenden Kostendeckungsprinzips den der abstrakten Bemessung der Gebührenhöhe für die einzelnen Gebührentatbestände zugrunde zu legenden Kalkulationszeitraum und hat nichts mit der im Einzelfall dem Bürger gegenüber vorgenommenen Festsetzung der Gebühren und der hierfür geltenden Verjährungsfrist (Festsetzungsverjährung, § 12 Abs. 1 Nr. 4b KAG in Verbindung mit §§ 169 bis 171 AO) oder der für bereits festgesetzte Gebühren geltenden Zahlungsverjährungsfrist (§ 12 Abs. 1 Nr. 5a KAG in Verbindung mit §§ 228 bis 232 AO) zu tun.(vgl. Driehaus, Kommentar zum Kommunalabgabenrecht, Rdnrn. 1 ff. zu § 6 KAG NRW)</p><p><rd nr="21"/>Die Festsetzungsverjährungsfrist, auf die die Ausführungen des Antragstellers in seiner Beschwerdebegründung ersichtlich abzielen, beträgt gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 4b KAG in Verbindung mit § 169 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 AO vier Jahre und beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Gebührenanspruch entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO).(OVG des Saarlandes, Beschluss vom 24.8.2007 – 1 A 49/07 –, juris, Rdnr. 20) Hiervon ausgehend ist hinsichtlich der im Gebührenbescheid vom 10.1.2014 abgerechneten, im Bezugsjahr 2013 entstandenen Gebühren offensichtlich, dass die insoweit am 1.1.2014 begonnene und demgemäß mit Ablauf des 31.12.2017 abgelaufene Festsetzungsverjährungsfrist zum Zeitpunkt der im November 2017 erfolgten Bekanntgabe des Gebührenbescheides noch nicht abgelaufen war. Soweit mit dem Gebührenbescheid darüber hinaus „Reste aus Vorjahren“ in einer Gesamthöhe von 1.160,25 EUR geltend gemacht werden – ausweislich der Aufstellung „Offene Posten“ in der Verwaltungsakte des Antragsgegners betreffen diese Forderungen das Jahr 2012 (Vorauszahlungen Wasser, Abrechnungen Wasser sowie Vorauszahlungen und Abrechnungen von Abwasser) – ist zu berücksichtigen, dass nach der aus den vom Antragsgegner übersandten Verwaltungsunterlagen ersichtlichen Praxis des Antragsgegners jährlich entsprechende Gebührenbescheide ergehen, mit denen für das kommende Bezugsjahr aufgrund des Vorjahresverbrauchs die entsprechenden Vorauszahlungen festgesetzt werden und für das abgelaufene Bezugsjahr eine Endabrechnung unter Berücksichtigung insoweit gezahlter Vorauszahlungen erfolgt und eventuelle Nachforderungsbeträge festgesetzt werden. Dass bezüglich der hier in Rede stehenden „Reste“ aus dem Jahr 2012 nicht in dieser Weise verfahren worden wäre, ist weder vom Antragsteller vorgetragen, noch sonst erkennbar. Vielmehr entspricht die Summe der insoweit in der Aufstellung „Offene Posten“ aufgeführten Rückstände betreffend das Jahr 2012 exakt dem im Gebührenbescheid vom 10.1.2014 aufgeführten Betrag von 1.160,25 EUR. Der Umstand, dass die Zahlung dieser Beträge ausweislich der Aufstellung „Offene Posten“ dem Antragsteller gegenüber auch angemahnt werden musste, setzt voraus, dass die entsprechenden Zahlungen durch vorangegangene Bescheide jeweils bereits innerhalb der Festsetzungsverjährungsfrist festgesetzt waren.</p><p><rd nr="22"/>Entgegen der Auffassung des Antragstellers hat das Verwaltungsgericht auch eine Verwirkung der mit Bescheid vom 10.1.2014 erhobenen Gebührenforderung mit Recht verneint.</p><p><rd nr="23"/>Zutreffend ist zwar der Hinweis des Antragstellers darauf, dass die Verwirkung der Geltendmachung einer Forderung durchaus auch dann in Betracht kommen kann, wenn die Forderung der Verjährung unterliegt und eine Verjährung noch nicht eingetreten ist, beispielsweise dann, wenn das Entstehen eines Anspruchs – und damit auch dessen Verjährung – von einer Handlung des Gläubigers abhängt und dieser die entsprechende Handlung unüblich lange hinauszögert.(vgl. BVerwG, Beschluss vom 29.8.2018 – 3 B 24.18 –, juris) Richtig ist auch, dass es einer Anwendung der Grundsätze der Verwirkung für die Zeit nach Eintritt der Verjährung nicht mehr bedarf.</p><p><rd nr="24"/>Hiermit stehen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts indes nur in scheinbarem Widerspruch. Das Verwaltungsgericht hat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts(s. die Nachw. bei BVerwG, Beschluss vom 29.8.2018 – 3 B 24.18 –, juris, Rdnr. 16) zutreffend dargelegt, dass das Rechtsinstitut der Verwirkung ein „Zeitmoment“ und ein „Umstandsmoment“ voraussetzt. Ebenso zutreffend ist die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die für eine Forderung geltende Verjährungsfrist geeignet ist, einen Anhaltspunkt dafür zu bieten, welcher zeitliche Rahmen dem Zeitmoment zugrunde zu legen ist (etwa in den vorbeschriebenen Fällen, in denen der Beginn der Verjährungsfrist vom Forderungsinhaber hinausgezögert wird).</p><p><rd nr="25"/>Entscheidend ist aber, dass die Verwirkung einer Forderung, die einer Verjährung unterliegt, vor Ablauf der Verjährungsfrist nicht in Betracht kommt, wenn es an dem Umstandsmoment fehlt, wenn also besondere Umstände, welche die Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen, nicht vorhanden sind. Solche Umstände können dann anzunehmen sein, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser seinen Anspruch nicht mehr geltend machen werde.</p><p><rd nr="26"/>Mit Recht hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass fallbezogen derartige Umstände weder vom Antragsteller dargelegt, noch sonst ersichtlich sind. Auch im Beschwerdeverfahren hat der Antragsteller hierfür nichts dargetan.</p><p><rd nr="27"/>Die Beschwerde unterliegt nach alldem der Zurückweisung.</p><p><rd nr="28"/>Dessen ungeachtet sieht sich der Senat mit Blick auf das beim Verwaltungsgericht anhängige – vom Antragsgegner für erledigt erklärte – Verfahren 3 L 1114/18 (Antrag des Antragsgegners auf Abänderung des Senatsbeschlusses vom 18.4.2018 – 1 B 23/18 –) zu dem Hinweis veranlasst, dass der Antragsgegner aufgrund des vorgenannten Senatsbeschlusses nach wie vor gehindert ist, den Gebührenbescheid vom 10.1.2014 zu vollstrecken.</p><p><rd nr="29"/>Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p><p><rd nr="30"/>Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 1.5 Satz 1 Alternative 2 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.(zur Befugnis des Beschwerdegerichts zur Nachholung einer vom Erstgericht nicht getroffenen Streitwertfestsetzung im Beschwerdeverfahren: Bayerischer VGH, Beschluss vom 7.10.2017 – 10 CE 17.1491 –, juris, Rdnr. 7)</p><p><rd nr="31"/>Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.</p> |
|
171,230 | vg-dusseldorf-2019-01-22-29-l-364218a | {
"id": 842,
"name": "Verwaltungsgericht Düsseldorf",
"slug": "vg-dusseldorf",
"city": 413,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 29 L 3642/18.A | 2019-01-22T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:19 | 2019-02-13T12:21:07 | Beschluss | ECLI:DE:VGD:2019:0122.29L3642.18A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p><strong>Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.</strong></p>
<p><strong>Der Eilantrag wird abgelehnt.</strong></p>
<p><strong>Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</strong></p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe:</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung nicht die gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Zur Begründung wird insoweit auf die nachstehenden Ausführungen Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die am 13. Dezember 2018 sinngemäß gestellten Anträge,</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks"><strong>die aufschiebende Wirkung der Klage 29 K 10105/18.A gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 6. Dezember 2018 anzuordnen,</strong></p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks"><strong>hilfsweise, die Antragsgegnerin unter entsprechender Abänderung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 6. Dezember 2018 zu verpflichten, das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf einen Monat zu befristen,</strong></p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">haben keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">I.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Der Hautpantrag ist zulässig, aber unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 Asylgesetz (AsylG) statthaft. Ferner ist die dort bestimmte Antragsfrist von einer Woche nach Bekanntgabe des streitgegenständlichen Bescheides (hier: 13. Dezember 2018) gewahrt.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Es handelt sich entgegen der Auffassung der Antragsteller bei dem vorliegenden Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auch um einen den Vorgaben des Europäischen Unionsrechts genügenden wirksamen Rechtsbehelf.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seinem Urteil vom 19. Juni 2018 (C-181/19) entschieden, dass bei einer Rückkehrentscheidung und einer etwaigen Abschiebungsentscheidung das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf dadurch zu gewährleisten sei, dass der Person, die internationalen Schutz beantragt habe, das Recht zuzuerkennen sei, vor mindestens einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen, der kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung habe.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 -, juris, Rdn. 58.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Um den in Kapitel III der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) genannten Verfahrensgarantien und den sonstigen einschlägigen Bestimmungen des Unions- und des nationalen Rechts gerecht zu werden, hätten die Mitgliedstaaten zu gewährleisten, dass der Rechtsbehelf gegen die Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz seine volle Wirksamkeit entfalte, wobei der Grundsatz der Waffengleichheit zu wahren sei, so dass während der Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs und, falls er eingelegt werde, bis zur Entscheidung über ihn u.a. alle Wirkungen der Rückkehrentscheidung auszusetzen seien.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 -, juris, Rdn. 61; EuGH, Beschluss vom 5. Juli 2018 - C‑269/18 -, juris, Rdn. 50 f.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Im Übrigen müsse der Betroffene bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die erstinstanzliche Ablehnung seines Antrags auf internationalen Schutz durch die zuständige Behörde grundsätzlich in den Genuss der Rechte aus der Richtlinie 2003/9/EG (Aufnahmerichtlinie) kommen können.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 -, juris, Rdn. 63.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Überdies müssten die Mitgliedstaaten, da eine Person, die internationalen Schutz beantragt habe, ein Bleiberecht bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung haben müsse, es den Betroffenen ermöglichen, sich auf jede nach Erlass der Rückkehrentscheidung eingetretenen Änderung der Umstände zu berufen, die in Anbetracht der Richtlinie 2008/115/EG und insbesondere ihres Art. 5 erheblichen Einfluss auf die Beurteilung ihrer Situation haben könne.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 -, juris, Rdn. 64.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Der EuGH hat diese Grundsätze in einer nachfolgenden Entscheidung auch auf Fälle ausgeweitet, in denen der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist. Nach Art. 46 Abs. 5 und 6 der Richtlinie 2013/32/EG (Asylverfahrensrichtlinie) habe der Betroffene dann bis zur Entscheidung über seinen Rechtsbehelf kein volles Bleiberecht im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats. Im Einklang mit den Anforderungen von Art. 46 Abs. 6 letzter Unterabsatz der Richtlinie müsse er jedoch ein Gericht anrufen können, das darüber zu entscheiden habe, ob er in diesem Hoheitsgebiet verbleiben könne, bis in der Sache über seinen Rechtsbehelf entschieden werde. Art. 46 Abs. 8 der Richtlinie sehe vor, dass der betreffende Mitgliedstaat dem Betroffenen bis zur Entscheidung über sein Bleiberecht in diesem Verfahren gestatten müsse, in seinem Hoheitsgebiet zu verbleiben</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">EuGH, Beschluss vom 5. Juli 2018 - C-269/18 -, juris, Rdn. 53.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Es ist schon zu bezweifeln, ob diese vom EuGH entwickelten Grundsätze auch auf Fälle anwendbar sind, in denen der Asylantrag nicht in der Sache geprüft, sondern – wie hier – wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates als unzulässig abgelehnt worden ist. Die Beantwortung dieser Frage kann jedoch offen bleiben, da den Betroffenen im Rahmen des Dublin-Verfahrens jedenfalls ein wirksamer Rechtsbehelf im oben genannten Sinne zur Verfügung steht.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Im Anwendungsbereich der Dublin III-VO werden die Anforderungen, die nach Art. 47 EU-GR-Charta und der Rechtsprechung des EuGH an einen wirksamen Rechtsbehelf gestellt werden, von Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufgegriffen und konkretisiert. Danach sehen die Mitgliedstaaten zum Zwecke eines Rechtsbehelfs gegen eine Überstellungsentscheidung oder einer Überprüfung einer Überstellungsentscheidung in ihrem innerstaatlichen Recht vor, dass die betroffene Person aufgrund des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung berechtigt ist, bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats zu bleiben (Buchst. a); oder dass die Überstellung automatisch ausgesetzt wird und diese Aussetzung innerhalb einer angemessenen Frist endet, innerhalb der ein Gericht, nach eingehender und gründlicher Prüfung, darüber entschieden hat, ob eine aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung gewährt wird (Buchst. b); oder die betreffende Person die Möglichkeit hat, bei einem Gericht innerhalb einer angemessenen Frist eine Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung zu beantragen. Dabei sorgen die Mitgliedstaaten für einen wirksamen Rechtsbehelf in der Form, dass die Überstellung ausgesetzt wird, bis die Entscheidung über den ersten Antrag auf Aussetzung ergangen ist. Die Entscheidung, ob die Durchführung der Überstellungsentscheidung ausgesetzt wird, wird innerhalb einer angemessenen Frist getroffen, welche gleichwohl eine eingehende und gründliche Prüfung des Antrags auf Aussetzung ermöglicht. Die Entscheidung, die Durchführung der Überstellungsentscheidung nicht auszusetzen, ist zu begründen (Buchst. c).</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Diesen Vorgaben wird die nach § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 34a Abs. 2 AsylG mit Wirkung zum 6. September 2013 eingeführte,</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Gesetz vom 28. August 2013, BGBl. I S. 3474 (Nr. 54), abrufbar unter: https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl113s3474.pdf%27%5D__1547803538580,</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Möglichkeit der Überprüfung einer Überstellungsentscheidung gerecht. Die Antragsteller können – und haben im vorliegenden Fall – beim beschließenden Gericht fristwahrend die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Abschiebungsanordnung beantragt. In diesem Verfahren haben sie Gelegenheit, ihre Einwände gegen die behördliche Entscheidung in vollem Umfang geltend zu machen. Auch steht es ihnen zu, ihre Beurteilung bezogen auf Abschiebungsverbote darzutun. Dieser fristgerecht gestellte Antrag hat entsprechend der europarechtlichen Vorgaben gemäß § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG kraft Gesetzes zur Folge, dass die Abschiebung vor der gerichtlichen Entscheidung über den Antrag nicht zulässig ist und die Antragsteller bis zur Entscheidung im Eilverfahren im Hoheitsgebiet verbleiben dürfen. Diese normative Schutzanordnung, die über ein bloßes Absehen von der Abschiebung durch den Mitgliedstaat hinausgeht, bewirkt – wie vom EuGH in der von den Antragstellern zitierten Entscheidung gefordert – kraft Gesetzes eine vorübergehende aufschiebende Wirkung dieses Rechtsbehelfs gegenüber der Abschiebungsanordnung.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Vgl. entsprechend für § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 3 AsylG im Falle einer Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet: VG Münster, Beschluss vom 8. Oktober 2018 - 9 L 976/18 -, juris,  Rdn. 11; VG Frankfurt, Beschluss vom 26. November 2018 - 5 L 4508/18.F.A -, juris, Rdn. 19; VG Berlin, Beschluss vom 30. November 2018 - 31 L 682.18 A -, juris, Rdn. 22 ff.; VG Ansbach, Beschluss vom 7. Dezember 2018 - AN 4 S 18.31385 -, juris, Rdn. 14 ff.; VG Stuttgart, Beschluss vom 11. Dezember 2018 - A 2 K 10728/18 -, juris, Rdn. 5; VG Düsseldorf, Beschluss vom 14. Dezember 2018 - 11 L 3248/18.A -, juris, Rdn. 22; a.A.: VG Arnsberg, Beschluss vom 17. Dezember 2018 - 3 L 1935/18.A -, juris, Rdn. 10 ff.; offen gelassen: VG Würzburg, Beschluss vom 24. September 2018 - W 2 S 18.31990 -, juris, Rdn. 14.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Der Antrag ist aber unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht auf Antrag im Rahmen einer eigenen Ermessensentscheidung die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen, wenn das Interesse der Antragsteller an der beantragten Aussetzung der Vollziehung das bezüglich der Abschiebungsanordnung durch § 75 AsylG gesetzlich angeordnete öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt. Die dabei vorzunehmende Interessenabwägung geht zu Lasten der Antragsteller aus. Die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides begegnet bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Greifbare Anhaltspunkte, aufgrund derer das Suspensivinteresse der Antragsteller das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegen könnte, sind auch im Übrigen nicht ersichtlich.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die Abschiebungsanordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. AsylG. Danach ordnet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Vorliegend ist Belgien für die Durchführung des Asylverfahrens der Antragsteller zuständig. Zwar war in dem nach Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt (am 17. Juli 2015) die Zuständigkeit Österreichs nach Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO gegeben. Die Zuständigkeit ist jedoch zwischenzeitlich auf Belgien übergegangen, da der von den Antragstellern am 21. August 2015 dort gestellte Asylantrag von den belgischen Behörden materiell geprüft worden ist, ohne dass ein Dublin-Verfahren nach Österreich eingeleitet worden wäre (siehe Schreiben der österreichischen Behörden vom 10. Oktober 2017). Damit haben die belgischen Behörden von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch gemacht.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Dass die Antragsteller nach Ablehnung ihres Asylantrags in Belgien am 10. August 2017 in das Bundesgebiet einreisten, am 7. Mai 2018 nach Belgien überstellt wurden und, nachdem sie am 12. Juni 2018 zum zweiten Mal erfolglos in Belgien um Asyl nachgesucht hatten, am 22. November 2018 erneut in das Bundesgebiet einreisten, um hier einen Asylantrag zu stellen, vermag an der einmal begründeten Zuständigkeit Belgiens nichts zu ändern. Denn nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO wird der Asylantrag nur von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Vorschriften der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt worden ist. Dies folgt auch aus Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO, wonach der zuständige Mitgliedstaat (hier: Belgien) nach erfolglosem Abschluss des Asylverfahrens verpflichtet ist und bleibt, den Asylantragsteller wieder aufzunehmen.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Die für Belgien anzunehmende Zuständigkeit ist auch nicht nachträglich entfallen. Insbesondere hat das Bundesamt innerhalb der in Art. 23 Abs. 2 UAbs. 1 Dublin III-VO genannten Frist am 29. November 2018 ein Wiederaufnahmegesuch an Belgien gerichtet. Belgien hat dem Wiederaufnahmegesuch mit Schreiben vom 5. Dezember 2018 auf der Grundlage von Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO stattgegeben.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Ferner ist die Zuständigkeit nicht gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III‑VO wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf die Antragsgegnerin übergegangen. Die Annahme des Wiederaufnahmegesuchs durch Belgien liegt weniger als sechs Monate zurück und die Überstellungsfrist wurde durch die Stellung des vorliegenden fristgerecht gestellten Eilantrages unterbrochen.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2016 ‑ 1 C 15/15 ‑, juris, Rdn. 11.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Darüber hinaus können sich die Antragsteller auch nicht erfolgreich darauf berufen, die Antragsgegnerin sei verpflichtet, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Dublin III-VO Gebrauch zu machen, weil ihrer Überstellung nach Belgien rechtliche Hindernisse entgegenstünden. Die Unmöglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers an einen bestimmten Staat hindert nur die Überstellung dorthin, begründet aber kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts gegenüber der Antragsgegnerin,</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - C 394/12 -, juris, Rdn. 60, 62 und Urteil vom 14. November 2013 - C 4/11 -, juris, Rdn. 37; BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6/14 -, juris, Rdn. 7.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Davon abgesehen ist die Antragsgegnerin aber auch nicht – unabhängig von der Frage der Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO – nach Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO gehindert, die Antragsteller nach Belgien zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gäbe, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylantragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufwiesen, die für die Antragsteller eine ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) bzw. Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) mit sich brächten. Die Voraussetzungen, unter denen dies nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH),</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 et al. -, juris, Rdn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 -, NVwZ 2011, 413,</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">der Fall wäre, liegen hier nicht vor. Systemische Mängel in diesem Sinne können erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Art. 4 EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK entsprechenden Schwere nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 et al. -, juris, Rdn. 94.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Die im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem grundsätzlich bestehende Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat ist und die Grundrechte von Asylbewerbern einschließlich des Refoulement-Verbots hinreichend achtet, ist nicht unwiderleglich. Vielmehr hat eine Überstellung in einen Mitgliedstaat zu unterbleiben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EU-GR-Charta implizieren,</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 et al. -, juris, Rdn. 86.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Eine Widerlegung der Vermutung ist aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Das Gericht muss sich vielmehr die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rdn. 6 ff. m.w.N.</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Nach diesen Maßstäben fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen in Belgien mit systemischen Mängeln behaftet wären, die eine beachtliche Gefahr einer den Antragstellern drohenden unmenschlichen Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GR-Charta, Art. 3 EMRK im Falle ihrer Überstellung nach Belgien nach sich ziehen könnten. Dem erkennenden Gericht liegen keine Erkenntnisse vor, die den Schluss rechtfertigen würden, Belgien halte die in der EU-GR-Charta, der EU, der EMRK oder der GFK verbrieften Rechte von Asylbewerbern nicht ein.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Vgl. ebenso: VG Cottbus, Beschluss vom 19. September 2017 - 5 L 208/17.A -, juris, Rdn. 20 ff.; VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 18. September 2017 - 12 K 4286/17.A -, juris, Rdn. 40; VG Köln, Beschluss vom 11. September 2017 - 14 L 3469/17.A -, juris, Rdn. 8 ff.; VG München, Beschluss vom 27. Juli 2017 - M 9 S 16.51044 -, juris, Rdn. 14; VG Düsseldorf, Beschluss vom 28. September 2016 - 13 L 1014/16.A -, juris, Rdn. 81 ff., jeweils m.w.N.</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Insbesondere haben Dublin-Rückkehrer in Belgien vollen Zugang zum Asylsystem und das Recht auf Versorgung wie normale Asylbewerber. Die Versorgung beinhaltet unter anderem Unterkunft, Nahrung, Kleidung, medizinische, soziale und psychologische Hilfe. Das Recht auf medizinische Versorgung umfasst im Wesentlichen alle Leistungen, die die belgische Krankenkasse übernimmt. Es gibt eigene Stellen, die sich um die psychologische Betreuung von Asylbewerbern kümmern. Außerdem existiert in Wallonien eine auf traumatisierte Asylbewerber spezialisierte Unterbringungseinrichtung des Roten Kreuzes. Wenn die Versorgung als Sanktionsmaßnahme reduziert oder ganz beendet wird, ist das Recht auf medizinische Versorgung davon ausgenommen. Nach negativ abgeschlossenem Asylverfahren und Auslaufen des Rechts auf Versorgung wird jedenfalls medizinische Nothilfe weiterhin gewährt.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Vgl. Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Belgien, Gesamtaktualisierung am 20.9.2016, S. 6, 8, 9. f.; Asylum Information Database (aida), Country Report: Belgium, 2017 Update, S. 76 ff.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Es existieren gesetzliche Mechanismen, nach denen die persönliche Situation von Asylbewerbern binnen 30 Tagen nach deren Zuweisung zu einer Unterbringungseinrichtung zu untersuchen ist, um vulnerable Personen – z.B. alleinstehende Elternteile mit Kindern – identifizieren und entsprechend ihrer besonderen Bedürfnisse behandeln zu können.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Vgl. Asylum Information Database (aida), Country Report: Belgium, 2017 Update, S. 78 ff.; Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Belgien, Gesamtaktualisierung am 20.9.2016, S. 6.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Dass die Asylanträge der Antragsteller in Belgien abgelehnt worden sind mit der Folge, dass ihnen gegebenenfalls eine Abschiebung in den Irak droht, führt ebenfalls nicht zu der Annahme, dass das belgische Asylsystem mit systemischen Mängeln behaftet wäre. Es kann schon nicht abschließend beurteilt werden, aus welchen Gründen die Asylanträge der Antragsteller konkret abgelehnt worden sind. Es bestehen jedoch keine durchgreifenden Zweifel daran, dass ihr Asylbegehren von den belgischen Behörden in einem rechtsstaatlichen Verfahren, das den Mindestanforderungen des Europäischen Rechts genügt, geprüft worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Sollten die Antragsteller Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung der belgischen Behörden haben, sind sie darauf zu verweisen, in Belgien Rechtsschutz zu suchen. Denn die Frage, ob die Ablehnung der Asylanträge durch die belgischen Behörden rechtsfehlerhaft gewesen ist, unterliegt ausschließlich der Jurisdiktion der zuständigen Gerichte in Belgien.</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Vgl. dazu: EuGH, Urteil vom 17. März 2016 - C-695/15 -, juris, Rdn. 62; VG Düsseldorf, Beschluss vom 26. Februar 2014 - 13 L 171/14.A -, juris, Rdn. 45.</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Auch dem Vorbringen der Antragsteller sind keine Anhaltspunkte für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems oder der Aufnahmebedingungen in Belgien zu entnehmen. Soweit sie vorgetragen haben, sei hätten während ihres Aufenthaltes in Belgien keine medizinische Versorgung erhalten, decken sie sich nicht mit dem vorliegenden Erkenntnismaterial und sind überdies in sich widersprüchlich. So hat die Antragstellerin zu 1. im Rahmen der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags am 28. November 2018 gegenüber dem Bundesamt zunächst angegeben, dass weder sie selbst noch der Antragsteller zu 2. während ihres (letzten) sechsmonatigen Aufenthalts in Belgien medizinisch behandelt worden sei (Bl. 31 f. der Bundesamtsakte). Anschließend hat sie jedoch erklärt, sie habe die ärztlichen Unterlagen aus Deutschland einem Arzt in Belgien gegeben und daraufhin Medikamente verschrieben bekommen. Darüber hinaus sei auch der Antragsteller zu 2. während des (letzten) Aufenthaltes in Belgien beim Arzt gewesen. Er habe für Dezember einen Termin bekommen, nachdem der Arzt im Camp Autismus bei ihm diagnostiziert habe (Bl. 33 der Bundesamtsakte). Auch hat die Antragstellerin zu 1. schon während ihres ersten in Deutschland durchgeführten Asylverfahrens gegenüber dem Bundesamt erklärt, vor ihrer Einreise in das Bundesgebiet in Belgien in ärztlicher Behandlung gewesen zu sein (Bl. 101 der Bundesamtsakte zum Az. 7189949).</p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Dass die Antragsteller im Falle ihrer Überstellung nach Belgien obdachlos werden könnten, ist ebenfalls nicht zu befürchten. Die Antragstellerin zu 1. hat während der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags am 28. November 2018 gegenüber dem Bundesamt selbst angegeben, der Antragsteller zu 2. sei während des (letzten) sechsmonatigen Aufenthalts in Belgien nicht aus dem Zimmer herausgekommen und von einem Arzt im Camp untersucht worden (Bl. 32 und 33 der Bundesamtsakte). Es spricht insofern Alles dafür, dass die Antragsteller in einer Flüchtlingsunterkunft untergebracht waren. Dass dies bei einer erneuten Überstellung nicht der Fall sein könnte, ist nicht dargetan und geht auch aus dem vorliegenden Erkenntnismaterial nicht hervor.</p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Soweit die Antragsteller im Rahmen des vorliegenden Verfahrens erklärt haben, sie hätten nach ihrer Rückkehr nach Belgien ein paar Tage im Bahnhof geschlafen und Angst gehabt, die Behörden in Belgien würden sie in den Irak abschieben, geht daraus nicht hervor, ob sich die Antragsteller nach ihrer Überstellung überhaupt zum Zwecke der Unterbringung an die belgischen Behörden gewandt haben.</p>
<span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Darüber hinaus berufen sich die Antragsteller (sinngemäß) ohne Erfolg auf die an den EuGH gerichteten Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juli 2017 (1 C 26.16) sowie des Verwaltungsgerichts Baden-Württemberg vom 15. März 2017 (A 11 S 2151/16). Die Antragsteller haben schon nicht hinreichend dargelegt, dass eine der darin aufgeworfenen Fragen für ihr Verfahren entscheidungserheblich ist und deshalb – ggf. im Rahmen einer offenen Abwägungsentscheidung – wegen des Vorliegens einer unionsrechtlich ungeklärten Rechtsfrage zu berücksichtigen wäre.</p>
<span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Die Fragen, die das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 27. Juni 2017 dem EuGH zur Beantwortung vorgelegt hat, betreffen die Antragsteller bereits deshalb nicht, weil diese ausschließlich die Situation der in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt Schutzberechtigten beziehungsweise Verfahrensfragen bei einer unterbliebenen Anhörung zum Gegenstand haben. Die Antragsteller haben in Belgien keinen Schutzstatus erhalten und machen – soweit ersichtlich – keine Anhörungsmängel geltend.</p>
<span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Die Antragsteller berufen sich auch ohne Erfolg auf die dem EuGH vorgelegte Frage, ob ein Asylantrag auch dann als unzulässig abgelehnt werden kann, wenn ein Asylantragsteller im Falle einer Zuerkennung des internationalen Schutzes im zuständigen Mitgliedstaat im Hinblick auf die dann zu erwartenden Lebensumstände einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, eine Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-GR-Charta zu erfahren,</p>
<span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">VGH Baden-Württemberg, Vorlagebeschluss vom 15. März 2017 - A 11 S 2151/16 -, juris.</p>
<span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Nach eigenen Angaben wurden die Asylbegehren der Antragsteller wiederholt abgelehnt, so dass es auf die Frage, wie sich die Lebenssituation von international Schutzberechtigten in Belgien darstellt, vorliegend nicht ankommen dürfte. Sollte den Antragstellern die Möglichkeit offen stehen, einen Asylfolgeantrag zu stellen, würde dies zu keiner anderen rechtlichen Einschätzung führen. Denn Dauer und Ausgang des Asyl(folge)verfahrens der Antragsteller in Belgien wären völlig offen. Ob es tatsächlich mit der Gewährung eines internationalen Schutzstatus für die Antragsteller seinen Abschluss finden würde, wäre ungewiss, so dass schon zweifelhaft ist, ob diese Frage überhaupt Prüfungsgegenstand im Rahmen eines Verfahrens wie dem vorliegenden sein kann. Eine Prüfung der für den Fall einer Zuerkennung des internationalen Schutzstatus zu erwartenden Lebensumstände sieht das Dublin-Verfahren im Übrigen nicht vor (vgl. Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO). Es würde dem Sinn und Zweck des Dublin-Verfahrens widersprechen, von dem für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens an sich nicht zuständigen Mitgliedstaat eine wenn auch nur summarische Prüfung der Erfolgsaussichten zu verlangen. Eine Prognose der Erfolgsaussichten des in einem anderen Mitgliedstaat durchzuführenden Asylverfahrens wäre mit großen Unsicherheiten belastet und würde einen zusätzlichen Ermittlungsaufwand erfordern, der für die angestrebte beschleunigte Bearbeitung der Asylanträge kontraproduktiv wäre. Darüber hinaus ist nicht absehbar, ob und wie sich die allgemeinen Lebensbedingungen für anerkannte Schutzberechtigte im Lauf des sich unter Umständen länger hinziehenden Asyl(folge)verfahrens der Antragsteller verändern würden. Eine Prognose über die Lebensumstände, die die Antragsteller für den Fall ihrer Zuerkennung internationalen Schutzes in Belgien zu erwarten hätten, wäre insofern weitgehend spekulativ.</p>
<span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Mai 2017,11 A 52/17.A, juris, Rdn. 94; VG Augsburg, Beschluss vom 6. Oktober 2017 - Au 3 S 17.50239 -, juris, Rdn. 12.</p>
<span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Individuelle, in der Person der Antragsteller liegende besondere Gründe, die eine Überstellung als menschenrechtswidrig erscheinen lassen, sind nicht geltend gemacht und auch im Übrigen nicht ersichtlich. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die von ihnen geltend gemachten Erkrankungen (dazu sogleich).</p>
<span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Unter diesen Umständen steht gegenwärtig auch im Sinne von § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Das Bundesamt hat nach dieser gesetzlichen Maßgabe neben zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen auch zu prüfen, ob der Abschiebung inlandsbezogene Vollzugshindernisse entgegenstehen. Für eine insoweit eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde verbleibt daneben kein Raum,</p>
<span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 1795/14 -, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. August 2011 - 18 B 1060/11 -, juris, Rdn. 4; OVG Niedersachsen, Urteil vom 4. Juli 2012 - 2 LB 163/10 -, juris, Rdn. 41; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. Februar 2012 - OVG 2 S 6.12 -, juris, Rdn. 4 ff.; VGH Bayern, Beschluss vom 12. März 2014 - 10 CE 14.427 -, juris, Rdn. 4; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25. April 2014 - 2 B 215/14 -, juris, Rdn. 7; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Mai 2011 - A 11 S 1523/11 -, juris, Rdn. 4 ff.; OVG Hamburg, Beschluss vom 3. Dezember 2010 - 4 Bs 223/10 -, juris, Rdn. 9 ff.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29. November 2004 - 2 M 299/04 -, juris, Rdn. 9 ff.</p>
<span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Dies gilt nicht nur hinsichtlich bereits bei Erlass der Abschiebungsanordnung vorliegender, sondern auch bei nachträglich auftretenden Abschiebungshindernissen und Duldungsgründen,</p>
<span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 1795/14 -, juris, m.w.N.</p>
<span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Anhaltspunkte für derartige zielstaats- oder inlandsbezogene Abschiebungshindernisse liegen nicht vor. Insbesondere führen die von den Antragstellern geltend gemachten Erkrankungen nicht zum Vorliegen eines Abschiebungshindernisses.</p>
<span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Soweit die Antragsteller geltend machen, der Antragsteller zu 2. sei Autist und auch im Übrigen auf Grund der zeitweiligen Obdachlosigkeit und der permanenten Ortswechsel verhaltensauffällig und traumatisiert, fehlt es an diesbezüglichen aussagekräftigen Belegen. Ärztliche/Psychiatrische Atteste oder anderweitige Unterlagen sind bislang von den Antragstellern nicht vorgelegt worden, so dass belastbare Anhaltspunkte für eine – gegebenenfalls zu einem inlandsbezogenen Abschiebungshindernis nach § 60a Abs. 2 AufenthG führende – Reiseunfähigkeit des Antragstellers zu 2. nicht vorliegen. Daran vermag auch das Schreiben des Arbeitskreises Asyl N.       vom 14. Dezember 2018 nichts zu ändern. Denn es handelt sich dabei schon nicht um eine ärztliche Bescheinigung, die den inhaltlichen Anforderungen des § 60a Abs. 2c) AufenthG gerecht wird. Im Übrigen beruhen die dort gemachten Angaben im Wesentlichen auf Angaben der Antragstellerin zu 1. selbst oder der Beratungsstelle der Caritas in S.    .</p>
<span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Aus den gleichen Gründen kann in Bezug auf den Antragsteller zu 2. auch das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht festgestellt werden. Im Übrigen dürfte der Antragsteller zu 2. eine gegebenenfalls erforderliche medizinische Behandlung auch in Belgien erhalten.</p>
<span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">In Bezug auf die von der Antragstellerin zu 1. selbst geltend gemachten Erkrankungen kann das Vorliegen eines inlandsbezogenen Abschiebungshindernisses ebenfalls nicht festgestellt werden. Ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis in Form der Reiseunfähigkeit liegt vor, wenn sich der Gesundheitszustand der Antragstellerin zu 1. unmittelbar durch die Abschiebung oder als unmittelbare Folge davon voraussichtlich wesentlich verschlechtern wird. Bei einer – hier vornehmlich in Betracht kommenden – psychischen Erkrankung ist davon im Wesentlichen dann auszugehen, wenn im Rahmen einer Abschiebung die ernsthafte Gefahr einer Selbsttötung droht, der darüber hinaus auch nicht durch ärztliche Hilfen oder in sonstiger Weise, etwa durch vorbeugende Maßnahmen nach dem Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG) – wie z.B. der vorübergehenden Unterbringung in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung – begegnet werden kann.</p>
<span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">StRspr., vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24. Februar 2006 - 18 A 916/05 -, juris, Rdn. 16, vom 27. Juli 2006 - 18 B 586/06 -, juris, Rdn. 26, vom 17. Februar 2006 - 18 B 52/06 -, juris, Rdn. 8, vom 29. November 2010 - 18 B 910/10 -, juris, Rdn. 15 und vom 28. Dezember 2010 - 18 B 1599/10 -, juris, Rdn. 16.</p>
<span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Entsprechende Umstände sind nicht vorgetragen und auch den vorgelegten ärztlichen Unterlagen nicht zu entnehmen.</p>
<span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Soweit die Antragstellerin zu 1. zum Nachweis ihrer Erkrankungen einen Bericht von Dr. med. N1.      K.        vom 13. Dezember 2017, einen Bericht des N2.      -Hospitals in F.         vom 6. Februar 2018 und jeweils ein Nervenärztliches Attest und einen Bericht von X.        F1.          vom 22. Februar 2018 vorgelegt hat, sind diese Unterlagen schon auf Grund ihres Alters nicht (mehr) geeignet, den Nachweis über eine aktuell bestehende Reiseunfähigkeit der Antragstellerin zu 1. zu erbringen.</p>
<span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Aus den oben genannten Gründen gilt dies auch für das Schreiben des Arbeitskreises Asyl N.       vom 14. Dezember 2018.</p>
<span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Ungeachtet dessen geht aus den vorgelegten ärztlichen Unterlagen aber auch nicht hervor, dass der Antragstellerin zu 1. im Rahmen einer Abschiebung die ernsthafte Gefahr einer Selbsttötung droht.</p>
<span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">Ausweislich des Berichts von Dr. med. N1.      K.        vom 13. Dezember 2017 seien bei der Antragstellerin zu 1. eine schwere depressive Episode, eine generalisierende Angsterkrankung, eine Anpassungsstörung, eine nichtorganische Insomnie, das Auftreten von Albträumen, eine Neurasthenie und Bronchial-Asthma diagnostiziert worden. Die Medikation bestehe aus Citalopram und Mirtazapin. Eine Rückkehr in den Irak sei eine sichere Verschlimmerung für die Antragstellerin zu 1., da sie dort sozial geächtet und in den Tod getrieben werde. Auch die eigene psychische Verfassung verbiete eine Rückkehr, weil die Angst und der innere Druck sehr stark wirkten und insofern ein Reisehindernis darstellten. Die Antragstellerin zu 1. sei daher krankheitsbedingt nicht reisefähig.</p>
<span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">Aus dem Bericht des N2.      -Hospitals vom 6. Februar 2018 geht zudem hervor, dass bei der Antragstellerin zu 1. ein exazerbiertes Asthma bronchiale sowie eine Panikattacke bei den im Arztbericht vom 13. Dezember 2017 bekannten Vorerkrankungen diagnostiziert worden sei. Sie sei vom 4. bis 6. Februar 2018 stationär behandelt und im Verlauf beschwerdeverbessert entlassen worden.</p>
<span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">Dem Nervenärztlichen Attest und dem Arztbrief von X.        F1.          (jeweils vom 22. Februar 2018) ist zu entnehmen, dass die Antragsteller auf Grund ihrer aktuellen Verfassung nicht in der Lage seien, eine Rückkehr in den Irak durchzustehen. Im Falle einer Abschiebung nach Belgien drohe jedoch genau das. Die Antragstellerin zu 1. leide an einer Posttraumatischen Belastungsstörung und Depressionen. Die Therapie solle aus stützenden Gesprächen bestehen; die Medikation werde fortgesetzt. Bei Bedarf könne die Antragstellerin zu 1. auch Alprazolam nehmen. Eine Rückkehr werde unter den derzeitigen ungeklärten Bedingungen und wegen der Gefährdung im Heimatland sowie angesichts der bestehenden depressiven Erkrankung nicht für zumutbar gehalten.</p>
<span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Im Schreiben des Arbeitskreises Asyl N.       vom 14. Dezember 2018 heißt es schließlich, der Zustand der Antragstellerin zu 1. sei sehr besorgniserregend. Sie habe in Gesprächen mehrfach Suizidabsichten geäußert und nehme starke Medikamente zur Beruhigung. Bei einer Untersuchung sei bei ihr Diabetes diagnostiziert worden, die auf Grund der starken Medikamente derzeit nicht behandelt werden könne. Die Antragstellerin zu 1. berichte von ständig wiederkehrenden Alpträumen und von ihrer Todesangst, in den Irak zurück zu müssen. Bei der Antragstellerin zu 1. bestehe dringender Behandlungsbedarf. Eine erneute Abschiebung nach Belgien, die mit der Panik vor einer Kettenabschiebung in den Irak verbunden sei, werde die Situation weiter verschlimmern.</p>
<span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">Der Einzelrichter hat auf Grundlage dieser Unterlagen nicht die Überzeugungsgewissheit gewonnen, dass die Antragstellerin zu 1. im Falle der Überstellung nach Belgien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine suizidale Krise erleiden wird, die ein inlandsbezogenes Vollzugshindernis darstellt.</p>
<span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">Es liegen keine Anhaltspunkte für eine anhaltende, auch gegenwärtig bestehende akute Suizidalität vor. Soweit es in dem Bericht von Dr. med. N1.      K.        heißt, die Antragstellerin zu 1. werde im Irak sozial geächtet und in den Tod getrieben, bezieht sich diese Einschätzung zum einen ersichtlich nicht auf die hier in Rede stehende Überstellung nach Belgien. Zum anderen ist nicht erkennbar, auf Grund welcher Erkenntnisse Dr. K.        zu dieser Einschätzung gelangt ist.</p>
<span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">Soweit Herr X.        F1.          in seinen Attesten und Berichten angibt, er halte eine Rückkehr der Antragstellerin zu 1. nach Belgien für unzumutbar, geht daraus nicht hervor, welche gesundheitlichen Folgen eine Überstellung konkret für die Antragstellerin zu 1. haben würde. Jedenfalls lässt sich dem nicht entnehmen, dass die Antragstellerin zu 1. in diesem Fall eine suizidale Krise erleiden würde.</p>
<span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Sollte die Antragstellerin zu 1. tatsächlich Suizidgedanken geäußert haben, rechtfertigt die zeitlich begrenzte bloße Hinwendung zu Selbsttötungsgedanken ohne das Hinzutreten äußerer damit im Zusammenhang stehender Anzeichen einer Gesundheitsverschlechterung wie Verletzungshandlungen, körperlichem Verfall oder vegetativen Auffälligkeiten die Annahme einer besonders intensiven Gesundheitsverletzung nicht. Charakteristisch für derartige Ankündigungen ist, dass damit die Möglichkeit der Umsetzung einer Selbsttötung erst ins Blickfeld des Adressaten rückt und dies in der Regel auch bewusst veranlasst wird. Mangels zuverlässiger Überprüfbarkeit der dahinterstehenden Motivation und Ernsthaftigkeit muss schon die Äußerung als solche regelmäßig zu der Bewertung führen, dass suizidale Handlungen nicht ausgeschlossen werden können, was gleichbedeutend damit ist, dass die Möglichkeit einer Selbsttötung besteht. In gleichem Maße besteht diese Möglichkeit aber bei demjenigen, der entsprechende Gedanken hat, diese aber nicht äußert. Die Äußerung hat deswegen isoliert betrachtet wenig Aussagekraft. Die daraus allenfalls ableitbare Möglichkeit suizidaler Handlungen kann sich nur bei Hinzutreten weiterer Indizien zu einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit verdichten.</p>
<span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 27. Januar 2015 - 13 A 1201/12.A -, juris Rdn. 44 (für eine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG).</p>
<span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">Daran fehlt es hier. Soweit dem Schreiben des Arbeitskreises Asyl N.       vom 14. Dezember 2018 und der Medizinischen Dokumentation durch die ZUE L.      vom 21. November 2017 (Bl. 75 der Bundesamtsakte zum Az. 7673292) zu entnehmen ist, dass die Antragstellerin zu 1. mehrfach Suizidgedanken geäußert habe, ist dies zum einen nicht substantiiert genug und genügt zum anderen aus den oben genannten Gründen nicht, um daraus auf die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Selbsttötung im Falle einer Überstellung nach Belgien schließen zu können. Anhaltspunkte für eine Abkehr von „bloßen“ Suizidideen hin zur konkreten Ausführung liegen nämlich nicht vor.</p>
<span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">Schließlich ist davon auszugehen, dass einer gegebenenfalls bestehenden Gefahr der Selbsttötung jedenfalls durch ärztliche Hilfen oder durch vorübergehende Unterbringung in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung begegnet werde könnte.</p>
<span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">Ungeachtet der vorstehenden Erwägungen steht es den Antragstellern offen, etwaige gesundheitliche Probleme gegenüber den belgischen Behörden geltend zu machen.</p>
<span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">Sonstige Gründe für ein Überwiegen des Interesses der Antragsteller, von der Vollziehung der Maßnahme vorläufig verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse sind nicht erkennbar.</p>
<span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">II.</p>
<span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">Der Hilfsantrag hat ebenfalls keinen Erfolg. Er ist zulässig, aber unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass die Antragsteller die Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) und ein Recht auf das begehrte Verwaltungshandeln (Anordnungsanspruch) glaubhaft machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).</p>
<span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">Ausgehend davon, dass die Abschiebung ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auslöst,</p>
<span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 17. September 2015 - BVerwG 1 C 26.14 -, juris Rn. 27,</p>
<span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">haben die Antragsteller zwar einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Dass den Antragstellern ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG entgegengehalten werden kann, ist hier ohne Hinzutreten eventueller konkreter Auswirkungen auf ihren Einzelfall als wesentlicher Nachteil im Sinne des § 123 Abs. 3 Satz 2 VwGO anzusehen.</p>
<span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">Die Antragsteller haben jedoch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die streitgegenständliche Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots ist nach gegenwärtigem Sach- und Streitstand rechtlich nicht zu beanstanden. Die Antragsteller haben weder einen Anspruch auf eine kürzere Befristung noch ist ihr Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Befristung verletzt.</p>
<span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">Bei der Entscheidung über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG, die von Amts wegen zu erfolgen hat (§ 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Diese ist gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar, nämlich nur darauf, ob die Behörde das Ermessen in seiner Reichweite erkannt, ihre Erwägungen am Zweck der Ermessensermächtigung ausgerichtet und die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens nicht überschritten hat, § 114 Satz 1 VwGO, § 40 VwVfG.</p>
<span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">Nach diesen Maßstäben begegnet die Befristungsentscheidung des Bundesamtes keinen rechtlichen Bedenken. Mit einer Befristung auf 24 Monate ab dem Tag der Abschiebung hat das Bundesamt die Reichweite seines Ermessens nicht überschritten. Aus der Begründung ist zudem erkennbar, dass es seine Erwägungen am Zweck der Ermessensermächtigung ausgerichtet hat, indem es das öffentliche Interesse an dem Verbot einer kurzfristigen Wiedereinreise der Antragsteller mit deren Interesse an einer erneuten Einreise in das Bundesgebiet abgewogen hat. Schließlich ist auch nichts dafür ersichtlich, dass das Bundesamt diese Abwägung auf der Grundlage eines falschen Sachverhalts vorgenommen hätte oder sich der entscheidungserhebliche Sachverhalt nachträglich in einer Weise verändert hätte, die eine Ergänzung der Ermessensausübung erfordern würde.</p>
<span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß §§ 83b, 83c AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz.</p>
<span class="absatzRechts">101</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.</p>
|
171,229 | ovgnrw-2019-01-22-6-b-142218 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 6 B 1422/18 | 2019-01-22T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:19 | 2019-02-13T12:21:07 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0122.6B1422.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beschwerde wird zurückgewiesen.</p>
<p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf die Wertstufe bis 16.000,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung sich der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigt die begehrte Abänderung des angefochtenen Beschlusses nicht.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat den Antrag abgelehnt, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, die im Justizministerialblatt NRW 2017 Nr. 7 ausgeschriebene Stelle eines Regierungsdirektors/einer Regierungsdirektorin als Leiter/Leiterin des psychologischen Dienstes bei der Justizvollzugsanstalt T.        mit der Beigeladenen zu besetzen, solange nicht über die Bewerbung des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Antragsteller habe die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Die zugunsten der Beigeladenen getroffene Auswahlentscheidung verletze seinen Bewerbungsverfahrensanspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG nicht. Die der Entscheidung zu Grunde liegenden Anlassbeurteilungen des Antragstellers vom 8. Dezember 2017 und der Beigeladenen vom 8. Januar 2018 seien rechtlich nicht zu beanstanden. Aus einem Vergleich dieser Beurteilungen ergebe sich ein Leistungsvorsprung der Beigeladenen.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">1. Bezüglich der Anlassbeurteilung des Antragstellers hat es weiter ausgeführt, der Beurteiler C.           sei von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen. In der Aufgabenbeschreibung komme klar zum Ausdruck, dass der Antragsteller bei Abwesenheit der Leiterin des psychologischen Dienstes Ansprechpartner für die Belange desselben sei. Da dem Antragsteller selbst im Falle der Abwesenheit der Leiterin des psychologischen Dienstes keine Leitungsaufgaben oblägen, übe er auch faktisch die Funktion eines stellvertretenden Leiters des psychologischen Dienstes nicht aus. Dementsprechend sei der Beurteiler nicht gehalten gewesen, die Kriterien „Führungsverhalten“ und „Führungskompetenz“ zu bewerten. Es komme auch nicht entscheidend darauf an, ob in einigen anderen Justizvollzugsanstalten in Nordrhein-Westfalen ein stellvertretender Leiter des psychologischen Dienstes förmlich bestellt worden sei. Maßgeblich für die hier streitbefangene dienstliche Beurteilung des Antragstellers sei einzig die von ihm konkret ausgeübte Funktion, welche nicht der eines stellvertretenden Leiters des psychologischen Dienstes entspreche.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Auch bezüglich seiner Tätigkeit als Verantwortlicher vom Dienst seit September 2015 liege der Beurteilung ein zutreffender Sachverhalt zugrunde. Dafür, dass der Beurteiler die Tätigkeit nicht hinreichend berücksichtigt habe, sei weder etwas Konkretes dargelegt noch sonst ersichtlich. Eine Führungsaufgabe habe der Antragsteller dadurch ebenfalls nicht wahrgenommen.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Ferner seien auch keine allgemein gültigen Wertmaßstäbe verkannt worden. Es bestünden insbesondere keine rechtlichen Bedenken gegen die Bewertung des Grades der Beförderungseignung („besonders gut geeignet unterer Bereich“). Unzutreffend sei die Annahme des Antragstellers, eine über die erfolgte Begründung des Beurteilers hinausgehende Begründung des Grades der Beförderungseignung sei erforderlich. Die AV des JM vom 1. Februar 2013 - 2000 - Z. 155 - (JMBl. NRW S. 32) in der vorliegend anzuwenden Fassung vom 6. April 2016 - 2000 - Z. 155 - (JMBl. NRW S. 130) - im Folgenden: BRL) schreibe eine gesonderte Begründung des Grades der Beförderungseignung nicht zwingend vor. Es genüge vielmehr, dass die Bildung der Gesamtnote (vgl. Nr. 4.6 BRL) begründet werde. Die Gesamtnote sei vorliegend plausibel und hinreichend begründet.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der Beurteiler habe auch keine sachwidrigen Erwägungen angestellt. Soweit der Antragsteller auf ein Gespräch mit ihm verweise und vorbringe, dieser habe sinngemäß gesagt, dass „alle drei Jahre höchstens eine Erhöhung um einen Notenpunkt möglich sei“, sei dies ausweislich der schriftlichen Stellungnahme des Beurteilers vom 21. Juli 2017 dahingehend zu verstehen, dass im Fall des Antragstellers voraussichtlich eine Anhebung der Gesamtnote von dem überbeurteilenden Ministerium der Justiz wohl nicht mitgetragen werde. Dieser Aussage lasse sich somit gerade nicht entnehmen, dass der Beurteiler entgegen seiner eigenen Überzeugung die Anhebung der Gesamtnote unterlassen habe. Aus dem in der Begründung der Gesamtnote enthaltenen Satz, der Antragsteller habe seine positive Leistungsentwicklung seit der letzten Regelbeurteilung kontinuierlich fortsetzen können, ergebe sich nicht zwingend, dass auch eine bessere Gesamtnote vergeben werden müsse.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Diese Erwägungen werden mit dem Beschwerdevorbringen nicht durchgreifend in Frage gestellt.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller macht geltend, ihm gelinge es aufgrund seiner Persönlichkeit, Mitarbeiter wirkungsvoll zu fördern und zu fordern sowie eng vernetzt mit den Leitungskräften zusammenzuarbeiten. Die „Förderung und Forderung von Mitarbeitern = Führung“ hätte einer „vergleichenden Bewertung“ zugeführt werden können und müssen. Der Antragsteller lässt insoweit außer Acht, dass eine Bewertung des Leistungsmerkmals „Führungsverhalten“ bzw. des Befähigungsmerkmals „Führungskompetenz“ im Rahmen seiner dienstlichen Beurteilung voraussetzt, dass er im Beurteilungszeitraum Führungsaufgaben wahrgenommen hat. Der Annahme des Verwaltungsgerichts, dies sei nicht der Fall, setzt die Beschwerde nichts Durchgreifendes entgegen. Sie lässt bereits jedwede Auseinandersetzung mit den vom Verwaltungsgericht insoweit angeführten Gründen vermissen.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde weist erneut darauf hin, dass die Vergabe der Funktion des stellvertretenden Leiters des psychologischen Dienstes nicht landesweit einheitlich gehandhabt werde und es Justizvollzugsanstalten gebe, in denen ein stellvertretender Leiter des psychologischen Dienstes bestellt sei. Sie setzt sich jedoch nicht mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts dazu auseinander, aus welchem Grund dem Einwand keine entscheidende Bedeutung beizumessen ist.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Soweit der Antragsteller mutmaßt, die landesweite Anlegung eines gleichen Beurteilungsmaßstabs sei nicht erfolgt, entbehrt dies einer tragfähigen Grundlage. Er führt insoweit an, im Parallelverfahren - gemeint ist ausweislich des im erstinstanzlichen Verfahren übersandten Schriftsatzes vom 31. Juli 2018 das Verfahren 19 L 1058/18 (VG Köln) - werde deutlich, dass die dortige Beigeladene einen „erheblichen Notensprung gemacht“ habe, der „offenbar aufgrund der Anlegung eines strengeren Maßstabes“ ihm „nicht ermöglicht“ worden sei. Es ist zwar zutreffend, dass deren den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis 28. Februar 2016 umfassende Regelbeurteilung vom 21. Juni 2017 mit der Gesamtnote „vollbefriedigend (11 Punkte)“ und ihre den Zeitraum vom 1. März 2016 bis zum 15. April 2017 umfassende Anlassbeurteilung vom 21. Juni 2017 mit dem Gesamturteil „gut (13 Punkte)“ endet. Die Beschwerde lässt jedoch unbeachtet, dass die Beurteilerin die Verbesserung der Gesamtnote ausdrücklich mit einer deutlichen Leistungssteigerung im Beurteilungszeitraum begründet hat. Im Rahmen der Überbeurteilung ist diese Gesamtnote bestätigt und erläuternd ausgeführt worden: „Den in Bezug auf die einzelnen Leistungsmerkmale getroffenen tatsächlichen Feststellungen und Wertungen wird mit Blick auf den eigenen Beurteilungsspielraum der Dienstvorgesetzten und den landeseinheitlichen Beurteilungsmaßstab nicht entgegengetreten. Bei der Beamtin handelt es sich um eine leistungsstarke, fachlich sehr versierte Person, die im Beurteilungszeitraum trotz der besonderen Belastungssituation (Doppelfunktion für mehrere Monate) für umfangreiche Ausarbeitungen (konzeptionelle Tätigkeit für die Sicherungsverwahrung) zuständig war und dabei ihr Leistungsniveau weiter steigern konnte. Gegen die Vergabe von 2 zusätzlichen Leistungspunkten bestehen daher von hier keine Bedenken.“ Vor diesem Hintergrund besteht kein Anhalt dafür, dass dieser Anlassbeurteilung nicht der landeseinheitliche Beurteilungsmaßstab bzw. ein weniger strenger Beurteilungsmaßstab als der streitbefangenen Anlassbeurteilung des Antragstellers zu Grunde gelegt worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Ohne Erfolg macht der Antragsteller in diesem Zusammenhang bezüglich seiner Anlassbeurteilung weiter geltend, die „fehlende Notensteigerung“ sei mit Blick auf den ersten Satz der Begründung seiner Gesamtnote nicht nachvollziehbar, wonach er seine positive Leistungsentwicklung seit der letzten Regelbeurteilung kontinuierlich habe fortsetzen können. Dieser Umstand gebietet, wie bereits das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, indes nicht zwingend die Vergabe einer besseren Gesamtnote. Dass der Beurteiler der Leistungsentwicklung des Antragstellers - wie auch seinen Tätigkeiten als Verantwortlicher vom Dienst und als Ansprechpartner für die Belange des psychologischen Dienstes bei Abwesenheit der Leiterin - Rechnung getragen hat, ist der Beurteilung ohne Weiteres zu entnehmen. In Bezug auf die Leistungsentwicklung hat schon das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass im Vergleich zu den beiden Vorbeurteilungen in der streitbefangenen Anlassbeurteilung ein Leistungs- und zwei Befähigungsmerkmale besser bewertet worden sind.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Schließlich verfängt auch der Einwand des Antragstellers nicht, die Bewertung des „Grades der Beförderungseignung“ sei in seiner Anlassbeurteilung „nicht gem. den Maßgaben der Rechtsprechung hinreichend begründet“. Ausweislich des im erstinstanzlichen Verfahren übersandten Schriftsatzes vom 31. Juli 2018 bezieht sich der Antragsteller insoweit auf die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Begründung des Gesamturteils bei im sog. Ankreuzverfahren erstellten dienstlichen Beurteilungen. Danach bedarf das Gesamturteil der dienstlichen Beurteilung, wenn das Beurteilungssystem - wie auch vorliegend - ein sog. Ankreuzverfahren für vorgegebene Einzelbewertungen vorsieht, in der Regel einer Begründung. Es ist Sache des Dienstherrn festzulegen, welches Gewicht er den einzelnen Merkmalen einer dienstlichen Beurteilung zumessen will. Das abschließende Gesamturteil darf sich nicht auf die Bildung des arithmetischen Mittels aus den einzelnen Leistungsmerkmalen beschränken. Vielmehr kommt im Gesamturteil die unterschiedliche Bedeutung der Einzelbewertungen durch ihre entsprechende Gewichtung zum Ausdruck. Das abschließende Gesamturteil ist danach durch eine Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen bestenauswahlbezogenen Gesichtspunkte zu bilden. Diese Gewichtung bedarf bei im sog. Ankreuzverfahren erstellten dienstlichen Beurteilungen schon deshalb einer Begründung, weil nur so die Einhaltung gleicher Maßstäbe gewährleistet und das Gesamturteil nachvollzogen und einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden kann. Einer - ggf. kurzen - Begründung bedarf es insbesondere dann, wenn die Beurteilungsrichtlinien für die Einzelbewertungen einerseits und für das Gesamturteil andererseits unterschiedliche Bewertungsskalen vorsehen. Denn hier muss erläutert werden, wie sich die unterschiedlichen Bewertungsskalen zueinander verhalten und wie das Gesamturteil aus den Einzelbewertungen gebildet wurde. Im Übrigen sind die Anforderungen an die Begründung für das Gesamturteil umso geringer, je einheitlicher das Leistungsbild bei den Einzelbewertungen ist. Gänzlich entbehrlich ist eine Begründung für das Gesamturteil jedoch nur dann, wenn im konkreten Fall eine andere Note nicht in Betracht kommt, weil sich die vergebene Note - vergleichbar einer Ermessensreduzierung auf Null - geradezu aufdrängt.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteile vom 1. März 2018 - 2 A 10.17 -, ZBR 2018, 491 = juris Rn. 42 f., vom 2. März 2017</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">- 2 C 21.16 -, BVerwGE 157, 366 = juris Rn. 62 ff., und vom 17. September 2015 - 2 C 27.14 -,</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">BVerwGE 153, 48 = juris Rn. 32 ff.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die Annahme des Verwaltungsgerichts, die in der Anlassbeurteilung des Antragstellers enthaltene Begründung der Gesamtnote genüge den vorstehenden Anforderungen, stellt die Beschwerde nicht in Frage.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die vorgenannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts verhalten sich indes nicht, wie die Beschwerde zu meinen scheint, zur Begründung der Bewertung des Grades der Beförderungseignung/Verwendungseignung. Entsprechende Begründungsanforderungen ergeben sich auch nicht aus den BRL (vgl. insbesondere Nr. 4.7 BRL).</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Im Übrigen stellt die vom Beurteiler verfasste Begründung des Grades der Beförderungseignung/Verwendungseignung entgegen der Behauptung der Beschwerde nicht nur auf die „bisherigen guten dienstlichen Leistungen“ des Antragstellers ab. Der Beurteiler hat vielmehr ausgeführt: „Herr X.       ist bereit, Leitungsverantwortung innerhalb des psychologischen Dienstes zu übernehmen. Gemessen an dem Anforderungsprofil für die Leiterin oder den Leiter des psychologischen Dienstes wird er aufgrund seiner bisherigen guten dienstlichen Leistungen und seiner Berufserfahrung, die er in unterschiedlichen Vollzugsformen und -einrichtungen sammeln konnte, den mit der Übernahme der angestrebten Leitungsposition verbundenen Aufgaben voraussichtlich uneingeschränkt gerecht werden.“</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">2. Bezüglich der den Zeitraum vom 1. März 2016 bis 15. März 2017 erfassenden Anlassbeurteilung der Beigeladenen vom 8. Januar 2018 hat das Verwaltungsgericht, soweit mit Blick auf das Beschwerdevorbringen von Interesse, ausgeführt, sie sei auch hinsichtlich des zeitlichen Abschnitts vom 1. März bis zum 3. April 2016 hinreichend plausibilisiert und weise keine Begründungsdefizite auf. Für diesen Abschnitt, in welchem die Beigeladene bei der Justizvollzugsanstalt H.       als Leiterin des dortigen psychologischen Dienstes tätig gewesen sei, sei entgegen der Auffassung des Antragstellers die Einholung eines gesonderten Beurteilungsbeitrags des damaligen unmittelbaren Dienstvorgesetzten nicht erforderlich gewesen. Schließlich liege der Beurteilung auch ein vollständiger Sachverhalt zugrunde. Ihre Tätigkeit im Zeitraum vom 1. März bis 3. April 2016 finde hierin ausdrücklich Beachtung und werde beispielsweise innerhalb der Aufgabenbeschreibung konkret benannt, hinsichtlich aller damit zusammenhängenden Facetten ausführlich beschrieben und entsprechend bewertet.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die mit der Beschwerde gegen diese weiter begründeten Feststellungen des Verwaltungsgerichts erhobenen Einwendungen greifen ebenfalls nicht durch.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Ohne Erfolg macht der Antragsteller geltend, die Beurteilungszuständigkeit für die mit Wirkung vom 4. April 2016 von der Justizvollzugsanstalt H.       an das Justizministerium abgeordnete Beigeladene sei bei der Leiterin der Justizvollzugsanstalt H.       verblieben. Gemäß Nr. 5 Satz 1 BRL obliegt die dienstliche Beurteilung dem unmittelbaren Dienstvorgesetzten im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 der Beamten- und Disziplinarzuständigkeitsverordnung JM. Hiernach ist zuständig für richter- und beamtenrechtliche Entscheidungen über die persönlichen Angelegenheiten der Richter sowie der Beamten die Leitung des Gerichts, der Behörde oder der Einrichtung, bei der der Beamte beschäftigt ist (dienstvorgesetzte Stelle), mithin unabhängig davon, ob der Beamte dort dauerhaft oder (nur) aufgrund einer Abordnung tätig ist.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde geht fehl, wenn sie meint, die bisherige Dienstvorgesetzte der Beigeladenen, die Leiterin der Justizvollzugsanstalt H.       , sei auch nach der Abordnung der Beigeladenen weiterhin deren alleinige Dienstvorgesetzte. Vielmehr erhält der Beamte in der Regel - und so auch hier die Beigeladene - durch die Abordnung einen neuen weiteren unmittelbaren Dienstvorgesetzten.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Mai 1972 - II C 13.71 -, BVerwGE 40, 104 = juris Rn. 23.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Eines förmlichen Beurteilungsbeitrags der Leiterin der Justizvollzugsanstalt H.       für den Zeitraum vom 1. März bis zum 3. April 2016 bedurfte es entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht. Entsprechende Anforderungen ergeben sich weder aus den maßgeblichen Beurteilungsrichtlinien noch aus allgemeinen Beurteilungsgrundsätzen. Es ist grundsätzlich dem Beurteiler überlassen, in welcher Weise er sich die erforderlichen Kenntnisse über die Eignung, Befähigung und fachliche Leistung des zu beurteilenden Beamten verschafft.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11. Dezember 2018 - 6 B 1386/18 -, juris Rn. 39, und Urteil vom 7. Juli 2015 - 6 A 360/14 -, ZBR 2016, 57 = juris Rn. 64 ff.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass die Beurteilung der Beigeladenen ihre dienstliche Tätigkeit im maßgebenden Beurteilungszeitraum entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht vollständig erfasst, sind dem Beschwerdevorbringen nicht zu entnehmen.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">3. Soweit das Verwaltungsgericht schließlich ausgeführt hat, aus dem Vergleich der aktuellen Anlassbeurteilungen ergebe sich ein Leistungsvorsprung der Beigeladenen, rügt die Beschwerde zwar zu Recht, dass das Verwaltungsgericht selbst einen Leistungsvergleich zwischen dem Antragsteller und der Beigeladenen vorgenommen und sich nicht auf eine Überprüfung der Erwägungen beschränkt hat, die der Antragsgegner für seine Auswahlentscheidung angeführt hat. Dies rechtfertigt es jedoch nicht, den angefochtenen Beschluss zu ändern. Denn auch das Beschwerdevorbringen gibt nichts Durchgreifendes dafür her, dass die Einschätzung des Antragsgegners rechtlich zu beanstanden ist, die Beigeladene weise auf der Grundlage des anhand ihrer Anlassbeurteilung vom 8. Januar 2018 sowie der Anlassbeurteilung des Antragstellers vom 8. Dezember 2017 vorgenommenen Vergleichs einen Qualifikationsvorsprung vor dem Antragsteller auf.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Beziehen sich die Beurteilungen der konkurrierenden Bewerber - wie hier - auf unterschiedliche Statusämter, geht die Rechtsprechung von dem Grundsatz aus, dass bei formal gleichlautenden Gesamturteilen die Beurteilung des Beamten im höheren Statusamt grundsätzlich besser ist als diejenige des für ein niedrigeres Statusamt beurteilten Konkurrenten. Das beruht auf der Überlegung, dass der Maßstab für die dienstlichen Anforderungen regelmäßig im Blick auf das innegehabte Amt im statusrechtlichen Sinne zu bestimmen ist und dass mit einem verliehenen höheren Statusamt im Allgemeinen gegenüber dem zuvor innegehabten niedrigeren Statusamt gesteigerte Anforderungen und ein größeres Maß an Verantwortung verbunden sind.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 4. Juli 2018 - 2 BvR 1207/18 -, NVwZ-RR 2018, 833 = juris Rn. 10, vom 17. Februar 2017 - 2 BvR 1558/16 -, NVwZ 2017, 1133 = juris Rn. 21, vom 11. Mai 2011 - 2 BvR 764/11 -, NVwZ 2011, 1191 = juris Rn. 11, und vom 20. März 2007 - 2 BvR 2470/06 -, NVwZ 2007, 691 = juris Rn. 15 f.; OVG NRW, Beschlüsse vom 7. Januar 2019 - 1 B 1792/18 -, juris Rn. 11, und vom 16. Oktober 2017 - 6 B 685/17 -, NWVBl. 2018, 110 = juris Rn. 16 f., jeweils mit weiteren Nachweisen.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Die den formulierten Grundsatz tragende Erwägung (gesteigerte Anforderungen und höheres Maß an Verantwortung im höheren Statusamt) darf allerdings nicht schematisch auf jeden Fall der Beförderungskonkurrenz zwischen zwei formal gleich beurteilten Beamten unterschiedlicher Statusämter angewendet werden. Vielmehr sind bei der Herstellung der Vergleichbarkeit weitere Kriterien zu berücksichtigen, sofern die besonders gelagerten Umstände des Einzelfalls dies ausnahmsweise gebieten.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 4. Juli 2018 - 2 BvR 1207/18 -, a. a. O., Rn. 11, und vom 11. Mai 2011</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">- 2 BvR 764/11 -, a. a. O., Rn. 11; OVG NRW, Beschlüsse vom 7. Januar 2019 - 1 B 1792/18 -, a. a. O., Rn. 14, und vom 16. Oktober 2017 - 6 B 685/17 -, a. a. O., Rn. 18.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Eine Fallgestaltung, in der Kriterien wie etwa der berufliche Werdegang zu berücksichtigen sein können, sofern die besonders gelagerten Umstände des Einzelfalls dies ausnahmsweise gebieten, ist in der Rechtsprechung namentlich in Betracht gezogen worden, wenn Richter und in Ministerien tätige Beamte um gerichtliche Leitungspositionen konkurrieren. In diesen Fällen besteht die Besonderheit, dass die von den Konkurrenten wahrgenommenen Ämter im statusrechtlichen Sinne nicht in einer Beförderungshierarchie zueinander stehen. Das zeigt sich nicht nur an deren Zuordnung zu verschiedenen Besoldungsordnungen. Vielmehr gehören die konkreten Ämter zu unterschiedlichen Bereichen staatlicher Aufgabenwahrnehmung und weisen entsprechend deutlich voneinander abweichende Tätigkeitsschwerpunkte auf. Die von den Amtsinhabern auf ihren Stellen gezeigten Leistungen sind deshalb nicht ohne weiteres miteinander vergleichbar. Dann kann aber auch der Grundsatz des höheren Gewichts einer im höheren Statusamt erhaltenen dienstlichen Beurteilung nicht uneingeschränkt Geltung beanspruchen.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Etwa Bay. VGH, Beschluss vom 24. April 2017 ‑ 3 CE 17.434 -, RiA 2017, 230 = juris Rn. 46 f. m. w. N.; OVG NRW, Beschluss vom 21. November 2005 ‑ 1 B 1202/05 -, NWVBl 2006, 189 = juris Rn. 10 ff.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Eine solche Fallkonstellation lag auch dem Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 4. Juli 2018 - 2 BvR 1207/18 - zugrunde, auf den die Beschwerde verweist. Darin konkurrierten - unter anderem - der Präsident eines Landgerichts (R 5) und eine beamtete Staatssekretärin (B 9) im Justizministerium - also eine politische Beamtin - um ein gerichtliches Leitungsamt, was in besonderer Weise die Frage der Vergleichbarkeit der in unterschiedlichen Statusämtern erteilten Beurteilungen und die Bedeutung des jeweiligen beruflichen Werdegangs aufwirft.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Vgl. hierzu mit beachtlichen Erwägungen Neuhäuser, NVwZ 2018, 1745 (1749 ff.).</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Zudem wurden in jenem Fall „offensichtlich fragwürdige Besetzungsumstände vorgebracht - hier: Zustimmung der alten Landesregierung zur Ernennung der Konkurrentin am letzten Tag vor dem Regierungswechsel und Versetzung der Konkurrentin in den einstweiligen Ruhestand mit der Folge ihrer anschließenden Verwendung im Amt einer Richterin am Oberlandesgericht (Besoldungsgruppe R 2) durch die neue Landesregierung am Folgetag“. Das BVerfG hat im Übrigen - gleichwohl - die Verfassungsbeschwerde des unterlegenen Konkurrenten nicht zur Entscheidung angenommen.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Vgl. Beschluss vom 4. Juli 2018 - 2 BvR 1207/18 -, a. a. O., Rn. 2 ff. (Sachverhalt) sowie Rn. 12 f.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Die gerichtliche Nachprüfung der gewichtenden Entscheidung der Auswahlbehörde über die Bedeutung des Statusunterschieds im konkreten Fall hat an die oben genannten allgemeinen Grundsätze anzuschließen und umfasst die Prüfung, ob der Dienstherr von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, den beamten- und verfassungsrechtlichen Rahmen verkannt, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt hat.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">So BVerfG, Beschluss vom 4. Juli 2018 - 2 BvR 1207/18 -, a. a. O., Rn. 12; OVG NRW, Beschluss vom 7. Januar 2019 - 1 B 1792/18 -, a. a. O., Rn. 21.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Ausgehend vom Vorstehenden zeigt das Beschwerdevorbringen nicht auf, dass der in Rede stehenden Auswahlerwägung ein Rechtsfehler der vorgenannten Art anhaftet. Erst recht ergibt sich aus dem Vortrag nicht, dass der Antragsgegner gehalten gewesen wäre, beim Vergleich der Gesamturteile der dienstlichen Beurteilungen im Ergebnis von einem Leistungsgleichstand des Antragstellers und der Beigeladenen auszugehen.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Der Antragsgegner hat in seinem Auswahlvermerk vom 16. Mai 2018 festgestellt, dass die Anlassbeurteilungen u. a. des Antragstellers und der Beigeladenen mit demselben Gesamturteil („gut - 13 Punkte“) enden. Weiter hat er ausgeführt:</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">„Allerdings hat Regierungsdirektorin Mathes das höhere Statusamt inne, so dass sich für sie ein eindeutiger Qualifikationsvorsprung ergibt. Dahinter müssen die übrigen Beamten zurückstehen.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Andere leistungs- oder eignungsbezogene Aspekte, die geeignet wären, den sich aus Leistungs- und Eignungsgründen ergebenden Vorsprung der Bewerberin Mathes auszugleichen, sind nicht erkennbar. Vielmehr erfüllt sie - auch die als wünschenswert bezeichneten Vorkenntnisse der aufsichtsbehördlichen Erfahrung und Personalführungskenntnisse - vollumfänglich, die die übrigen Bewerber/innen lediglich zum Teil bzw. gar nicht erfüllen.“</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Ausweislich des Vermerks ist der Antragsgegner dem o. g. Grundsatz vom größeren Gewicht der dienstlichen Beurteilung im höheren Statusamt gefolgt. Er hat in den Blick genommen, dass die Anlassbeurteilung des Antragstellers vom 8. Dezember 2017 und die Anlassbeurteilung der Beigeladenen vom 8. Januar 2018 mit derselben Gesamtnote enden, die Beigeladene die Gesamtnote jedoch in einem höheren Statusamt (A 15) erzielt und damit besser beurteilt ist. Besondere Umstände des Einzelfalles, die ausnahmsweise die Heranziehung weiterer Kriterien geböten, sind weder dem Beschwerdevorbringen zu entnehmen noch sonst erkennbar. Vielmehr stehen im Streitfall die von den Konkurrenten wahrgenommenen Ämter, die jeweils der Besoldungsordnung A zugeordnet sind, im statusrechtlichen Sinne in einer Beförderungshierarchie zueinander, bei der das höhere Amt regelmäßig durch gesteigerte Anforderungen und ein größeres Maß an Verantwortung gekennzeichnet ist.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Keine abweichende Betrachtung rechtfertigt zunächst der Vortrag des Antragstellers, er erbringe bereits über einen längeren Zeitraum bessere Leistungen als die Beigeladene. Soweit der Antragsteller hierzu auf das Ergebnis seiner Anlassbeurteilung vom 4. Februar 2016 (Gesamtnote: „gut - 13 Punkte“, Grad der Beförderungseignung/Verwendungseignung: „besonders gut geeignet unterer Bereich“) und das Ergebnis der den Zeitraum vom 1. März 2013 bis 28. Februar 2016 erfassenden Regelbeurteilung der Beigeladenen (Gesamtnote: „vollbefriedigend - 12 Punkte“, Grad der Beförderungseignung/Verwendungseignung: „gut geeignet oberer Bereich“) hinweist, lässt er schon unberücksichtigt, dass sich die von ihm angeführte Regelbeurteilung der Beigeladenen ebenfalls bereits auf das Statusamt A 15 bezieht, so dass - wiederum in Anwendung des Grundsatzes des größeren Gewichts der Beurteilung im höheren Statusamt - keine bessere Leistungsentwicklung belegt ist. Abgesehen davon mag der Dienstherr den Umstand, dass einer der Bewerber über längere Zeit gute Leistungen erbracht hat, bei dem (weiteren) Vergleich von Konkurrenten berücksichtigen dürfen, bei denen nach dem Gesamturteil ihrer aktuellen dienstlichen Beurteilungen ein Gleichstand besteht. Ein solcher Fall liegt indessen nicht vor. Ein Abweichen vom Grundsatz, dass der formal gleichen Beurteilung im höheren Statusamt größeres Gewicht zukommt, vermag allein die - hier behauptete - bessere Leistungsentwicklung hingegen nicht zu rechtfertigen.</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Das höhere Dienstalter des Antragstellers sowie das von ihm angeführte Personalentwicklungskonzept sind für die vergleichende Bewertung der Beurteilungsergebnisse ohne jedweden Belang.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Schließlich geht auch das Beschwerdevorbringen fehl, der Qualifikationsvergleich sei rechtsfehlerhaft, weil sich der Antragsgegner mit den von ihm geltend gemachten Umständen wie Leistungsentwicklung, höheres Dienstalter und Personalentwicklungskonzept nicht auseinandergesetzt habe. Der Antragsgegner hat sich ausweislich des oben auszugsweise zitierten Auswahlvermerks mit der Frage befasst, ob die Annahme eines Vorsprungs aufgrund der Beurteilung im höheren Statusamt auch im konkreten Fall gerechtfertigt ist. Nähere Darlegungen zu den genannten Umständen waren schon deshalb nicht veranlasst, weil es in hohem Maß fern liegt, dass sie den Statusunterschied auszugleichen geeignet sind.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und Abs. 6 Satz 4 i. V. m. Satz 1 Nr. 1, Sätze 2 und 3, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p>
|
171,228 | ovgnrw-2019-01-22-4-b-158618 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 4 B 1586/18 | 2019-01-22T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:18 | 2019-02-13T12:21:07 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0122.4B1586.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein beabsichtigtes Beschwerdeverfahren gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 15.10.2018 wird abgelehnt.</p><br style="clear:both">
<h1><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></h1>
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine durch Rechtsanwalt H.       aus L.      noch einzulegende Beschwerde ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Beschwerde des Antragstellers wäre unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat den sinngemäß gestellten Antrag,</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">die aufschiebende Wirkung der am 1.8.2018 erhobenen Klage (3 K 6445/18 VG Düsseldorf) gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 28.6.2018 hinsichtlich der Gewerbeuntersagung wiederherzustellen sowie hinsichtlich der Zwangsmittelandrohung anzuordnen,</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, bei der im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung sei maßgeblich zu berücksichtigen, dass sich die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 28.6.2018 als offensichtlich rechtmäßig erweisen werde und keine Umstände ersichtlich seien, die gleichwohl einen Vorrang des privaten Aussetzungsinteresses begründen könnten. Der Antragsteller habe sich in Anbetracht der seit 2016 aufgelaufenen, erheblichen Steuerschulden beim Finanzamt L.      in Höhe von 12.125,97 € nebst 1.180,50 € Säumniszuschläge zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung als gewerberechtlich unzuverlässig im Sinne von § 35 Abs. 1 GewO erwiesen. Rechtlich unerheblich seien die Ursachen für die Schulden des Antragstellers. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Gewerbeuntersagung überwiege das private Interesse des Antragstellers an der Fortführung seiner Tätigkeit, weil er keine Zahlungen zur Tilgung seiner Steuerschulden mehr erbracht habe, was zu einem weiteren Anstieg der Rückstände und Verschärfung der Situation geführt habe.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Diese Würdigung wird durch das Vorbringen des Antragstellers nicht erschüttert.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Ohne Erfolg macht der Antragsteller geltend, sein privates Interesse an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage überwiege, weil er ein Sanierungskonzept habe, nach dem er zukünftig arbeiten wolle. Er habe ein längerfristiges Darlehen in Höhe von 20.000,00 € aufgenommen, mit dem er sämtliche Verbindlichkeiten ablösen und Liquiditätsschwankungen auffangen könne. Dieses private Darlehen könne er mit zu erwartenden Einnahmen aus seiner selbständigen Handelsvertretung für U.            neben den Kosten für den Lebensunterhalt zurückführen.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Die bloße Absicht der Inanspruchnahme eines Privatdarlehens stellt allein noch kein tragfähiges Sanierungskonzept dar.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Vgl. zu dessen Voraussetzungen: OVG NRW, Beschluss vom 9.3.2017 ‒ 4 B 1334/16 ‒, juris, Rn. 7, und Urteil vom 8.12.2011 ‒ 4 A 1115/10 ‒, GewArch 2012, 499 = juris, Rn. 52 ff.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Es bestehen zudem erhebliche Zweifel an der Ernsthaftigkeit eines solchen Darlehensangebots, weil der Antragsteller keinen Darlehensvertrag oder sonstige entsprechende schriftliche Erklärungen der behaupteten Darlehensgeberin ‒ etwa in Gestalt einer eidesstattlichen Versicherung ‒ vorgelegt hat. Hierfür reicht die vorgelegte Kopie eines Überweisungsbeleges nicht aus, weil sie ausschließlich den Transfer einer Summe belegt, nicht dagegen den Verbleib der Summe auf dem Konto des Antragstellers. Letzteres ist bereits deshalb zweifelhaft, weil die vom Antragsteller angekündigte Übersendung eines Kontobeleges und eines Überweisungsbeleges an das Finanzamt L.      bis heute unterblieben ist.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die behauptete Darlehensaufnahme, zu deren Beleg der Antragsteller die Kopie eines Überweisungsbeleges der Darlehensgeberin an ihn vom 15.11.2018 vorgelegt hat, hat im Übrigen auch tatsächlich bis zum 22.11.2018 nicht zu einer Rückführung der Steuerverbindlichkeiten geführt. Der Antragsgegner hat unter dem 30.11.2018 mitgeteilt, dass sich die Steuerverbindlichkeiten des Antragstellers bis zum 22.11.2018 auf insgesamt 16.572,70 € erhöht hätten, ein Zahlungseingang bisher nicht habe festgestellt werden können. Dem ist der Antragsteller nicht mehr entgegen getreten.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Selbst wenn man davon ausginge, der Antragsteller könne mittels einer Darlehensaufnahme alle Rückstände ausgleichen, überwiegt der Schutz der Allgemeinheit davor, dass er auch während des Klageverfahrens seinen laufenden öffentlichen Verbindlichkeiten nicht nachkommen kann und seine Rückstände weiter ansteigen. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass ihm die Begleichung der laufenden öffentlichen Verbindlichkeiten nach Ausschöpfung des Darlehens möglich sein wird, sind angesichts seines früheren Verhaltens nicht plausibel vorgetragen. Obwohl der Antragsteller seit März 2017 von der Durchführung eines Gewerbeuntersagungsverfahrens Kenntnis hatte, sind die Steuerrückstände weiter angestiegen. Seinem Vorbringen ist nichts dafür zu entnehmen, dass die selbständige Tätigkeit den Antragsteller in die Lage versetzen könnte, nunmehr seinen laufenden öffentlichen Verbindlichkeiten dauerhaft nachzukommen.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Sofern es dem Antragsteller künftig mit Hilfe eines Darlehens gleichwohl gelingen sollte, die Gründe, die die Unzuverlässigkeit begründen, ‒ auch schon vor Ablauf eines Jahres ‒ wegfallen zu lassen, kommt gerade unter Berücksichtigung der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit nach § 35 Abs. 6 Satz 2 GewO auf Antrag in einem gesonderten Wiederaufnahmeverfahren eine Wiedergestattung in Betracht.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26.1.2016 – 4 A 454/15 –, NVwZ-RR 2016, 336 = juris, Rn. 10.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).</p>
|
171,227 | ovgnrw-2019-01-22-4-e-4319 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 4 E 43/19 | 2019-01-22T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:18 | 2019-02-13T12:21:07 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0122.4E43.19.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Anhörungsrüge des Antragstellers gegen den Beschluss des Senats vom 11.1.2019 wird verworfen.</p>
<p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Gründe</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Anhörungsrüge ist gemäß § 152a Abs. 4 Satz 1 VwGO als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht in der gesetzlichen Form erhoben ist.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller hat entgegen § 152a Abs. 2 Satz 6 VwGO nicht dargelegt, dass der Senat in dem Beschluss vom 11.1.2019 – 4 E 1149/18 – seinen Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Er hat nicht aufgezeigt, dass der Senat entscheidungserhebliches Vorbringen in dem Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hat. Soweit sich aus der Anhörungsrüge ergibt, dass der Antragsteller die angegriffene Entscheidung in der Sache für unrichtig hält, führt dies nicht auf eine Gehörsverletzung. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nicht verletzt, wenn das Gericht dem zur Kenntnis genommenen und in Erwägung gezogenen Vorbringen nicht folgt, sondern aus Gründen des materiellen Rechts oder des Prozessrechts zu einem anderen Ergebnis gelangt, als der Beteiligte es für richtig hält.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20.9.2018 – 4 A 3531/18 –, juris, Rn. 3 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Der Senat sieht davon ab, die von dem Antragsteller ausdrücklich als solche bezeichnete Anhörungsrüge insoweit als außerordentlichen Rechtsbehelf der Gegenvorstellung zu behandeln. Ungeachtet der Frage der Statthaftigkeit einer solchen Gegenvorstellung neben der gesetzlich geregelten Anhörungsrüge nach § 152a VwGO,</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">vgl. hierzu BVerwG, Beschlüsse vom 3.5.2011 – 6 KSt 1.11 – NVwZ-RR 2011, 709 = juris, Rn. 2 f., vom 5.7.2012 – 5 B 24.12 –, juris, Rn. 2, und vom 12.3.2013 – 5 B 9.13 –, juris, Rn. 6 f., Wysk, in: ders. (Hrsg.), VwGO, 2. Auflage 2016, § 166 Rn. 68,</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">hätte eine solche jedenfalls deshalb keinen Erfolg, weil keine der Gründe von dem Antragsteller geltend gemacht oder sonst ersichtlich sind, aus denen in der Rechtsprechung die Gegenvorstellung gegen rechtskräftige Entscheidungen für denkbar gehalten wird.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 3.5.2011 – 6 KSt 1.11 – NVwZ-RR 2011, 709 = juris, Rn. 5, m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die angegriffene Entscheidung widerspricht insbesondere nicht offensichtlich dem Gesetz, weil sie ‒ wie der Antragsteller meint ‒ nicht berücksichtigt habe, dass die Rechtsverteidigung zweifelsfrei notwendig sei, nachdem er im Verfahren vor dem Landgericht zu etwas aufgefordert worden sei, was von niemandem erfüllt werden könne. Dieser Einwand ist auf dem ordentlichen Rechtsweg, naheliegenderweise als Antwort auf die auf dem Verwaltungsrechtsweg nicht angreifbare richterliche Verfügung in einem aktienrechtlichen Verfahren vor dem Landgericht, geltend zu machen. Eine Notwendigkeit der Rechtsverteidigung vor den hierzu nicht berufenen Verwaltungsgerichten ergibt sich daraus nicht.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">In diesem Zusammenhang weist der Senat zum einen darauf hin, dass die Kostenentscheidung in dem angegriffenen Beschluss den gesetzlichen Vorgaben entspricht (vgl. § 154 Abs. 2 VwGO und § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO), zum anderen darauf, dass bei einer – wie hier – Verwerfung der Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren eine Gerichtsgebühr in Höhe von 60,00 EUR anfällt (vgl. Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses in Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Auch insoweit gibt das Vorbringen des Antragstellers Anlass zu dem Hinweis, dass bei einer – wie hier – vollständigen Verwerfung oder Zurückweisung einer Anhörungsrüge nach § 152a VwGO ebenfalls eine Gerichtsgebühr in Höhe von 60,00 EUR anfällt (vgl. Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses in Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).</p>
|