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Am Anfang war das Holzkästchen Vor 50 Jahren erblickte die Welt die erste Computermaus - lange bevor die ersten Personal Computer auf den Markt kamen. "X-Y Position Indicator for a Display System" nannte Computerpionier Douglas C. Engelbart seine Erfindung, die er am 9. Dezember 1968 auf einer Konferenz in San Francisco erstmals präsentierte. Von einem Teilnehmer ist die Äußerung überliefert, das kleine Gerät sei "das nächste große Ding nach LSD". Außerhalb des anwesenden Fachpublikums stieß das kleine Gerät vorerst auf nur wenig Begeisterung. Mit heute gängigen Computermäusen hatte das erste Exemplar noch wenig Ähnlichkeit. Der Prototyp bestand aus einem klobigen Holzkästchen mit einer roten Taste zum Klicken und einem Rad, das die Bewegungen des Geräts auf dem Bildschirm umsetzte. Die Bezeichnung "Maus" kommt übrigens von Erfinder Engelbart selbst, weil ihn das Kabel an dem Holzkästchen an einen Mäuseschwanz erinnerte. Engelbart arbeitete später als Berater für Sun Microsystems. Der Mäuse-Erfinder gilt heute als einer der großen Pioniere des Informationszeitalter. Er starb 2013 im Alter von 88 Jahren.
Etwas ungelenk, aber dafür mit Holzverkleidung: Vor 50 Jahren bewegte sich erstmals eine Computermaus. Erfunden wurde sie aber weder von Microsoft, noch von Apple oder Logitech.
digital
https://www.sueddeutsche.de/digital/50-jahre-computermaus-1.232009
50 Jahre Computermaus: Das nächste große Ding nach LSD
00/12/2018
Am Thema künstliche Intelligenz (KI) scheiden sich die Geister. Die einen befürworten eine intensive Nutzung von KI, darunter zum Beispiel der Facebook-Gründer Marc Zuckerberg. Er propagiert neue gesellschaftlich wünschenswerte Anwendungen wie etwa den Einsatz in der medizinischen Diagnose und Therapie. Eine große Zahl von Beratungsfirmen baut KI-Abteilungen auf und verdient damit viel Geld. Der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Erik Brynjolfsson vom Massachusetts Institute of Technology bezeichnet künstliche Intelligenz als die bedeutendste "General Purpose Technology" (Basistechnologie) unserer Zeit. Die unzähligen Möglichkeiten, KI im Alltag oder branchenübergreifend in Unternehmen anzuwenden, scheinen ihm recht zu geben. Hinzu kommt, dass die Algorithmen viele Jobs in der Regel sehr gut erledigen: Sie analysieren auf Basis von CT-Bildern Krankheiten, sagen Aktienkurse vorher, erkennen Gesichter oder verhindern Cyberangriffe. Detailansicht öffnen Peter Buxmann, 54, ist Universitätsprofessor für Wirtschaftsinformatik, Software & Digital Business an der TU Darmstadt und leitet dort auch das Innovations- und Gründungszentrum HIGHEST. (Foto: OH) Auf der anderen Seite gibt es viele Kritiker, Tesla-Chef Elon Musk etwa, und auch das verstorbene Physik-Genie Stephen Hawking gehörte dazu. Die Befürchtung: KI könnte sich eines Tages selbst verbessern, sodass in einem sich verstärkenden Kreislauf eine Superintelligenz entsteht - ein Intellekt also, der dem Menschen in allen Bereichen überlegen ist und ihn beherrscht. Zukunftsforscher Ray Kurzweil ist angeblich sogar in der Lage, ein Datum zu nennen, wann dies passieren wird: im Jahr 2045. Ob die Prognose seriös ist, darf bezweifelt werden. Algorithmen sind bisher nur sehr beschränkt einsetzbar Algorithmen oder Roboter, die der Menschheit überlegen sind, sind seit Jahrzehnten ein beliebtes Thema und Gegenstand von Dystopien oder Science-Fiction-Filmen wie "Alien", "Blade Runner" oder "Terminator". Herbert A. Simon, einer der Väter der KI, sagte schon 1965 voraus, dass es nur noch zwanzig Jahre dauern werde, bis Maschinen in der Lage seien, jede Arbeit zu erledigen, die bislang Menschen vorbehalten war. Der Status quo der KI-Anwendung sieht dagegen so aus: Algorithmen sind darauf spezialisiert, bestimmte Probleme zu lösen; darin sind sie kaum zu schlagen, aber kein Algorithmus würde auf die Idee kommen, sein Anwendungsgebiet zu erweitern. Es gibt auch keine erfolgversprechenden Ansätze, die in der Lage wären, eine solche Superintelligenz mit eigenem Bewusstsein zu entwickeln. Ist also alles in bester Ordnung? Können wir sorglos in eine Zukunft blicken, in der KI uns bei vielen Tätigkeiten und Entscheidungen unterstützt und unsere Gesellschaft dadurch verbessert? So einfach ist es leider nicht. Wir müssen beachten, dass es sich bei den meisten KI-Algorithmen um "Black Boxes" handelt. Sie geben häufig nicht preis, warum sie wie entschieden haben. Das mag in manchen Fällen unproblematisch sein, in vielen anderen ist es das aber nicht. In einigen Unternehmen sind heute schon KI-Lösungen bei der Auswahl von Personal im Einsatz. Arbeitet der Algorithmus nach dem Black-Box-Prinzip, können wir die Auswahlentscheidung nicht erklären. Zudem wissen wir nicht, ob der Algorithmus Parameter wie Geschlecht, Hautfarbe oder Religion in seine Entscheidung einbezogen hat. Wollen wir solche Algorithmen? Die Antwort muss heißen: nein.
Deutschland muss versuchen, den technologischen Abstand zu China und den USA zu verringern. Auf ethische Standards sollten wir dabei aber auf keinen Fall verzichten.
digital
https://www.sueddeutsche.de/digital/kuenstliche-intelligenz-algorithmen-ethik-1.4235816
"Algorithmen ""Made in Germany"" - KI braucht Ethik"
00/12/2018
Im Februar 2015 hatte Mike LeBeau Bedenken. Um seiner Sorge Nachdruck zu verleihen, schickte der Facebook-Produktmanager in einer Mail an Kollegen sogar die Schreckensvision einer kritischen Schlagzeile über den Konzern: "Facebook verwendet neues Android-Update, um auf noch erschreckendere Weise in deinem Privatleben herumzuschnüffeln." Mit solchen Nachrichten werde man sich herumschlagen müssen, wenn Journalisten auf ihren Plan aufmerksam würden. Als die Mail verschickt wurde, arbeitete das Entwickler-Team gerade an einem Update für Facebook, das dem Netzwerk auf Android-Handys weitreichende Befugnisse einräumen würde: Die App sollte auf SMS und die Anrufliste zugreifen und diese auf Facebooks Server laden. Wenn Facebook sehen darf, wer wen anruft, kann das Unternehmen zum Beispiel erkennen, ob der Gesprächspartner auch auf Facebook ist - und ihn als Kontakt vorschlagen. So vernetzt das Unternehmen Menschen anhand ihres Verhältnisses außerhalb von Facebook - was diese vielleicht gar nicht wollen. Ein Patient etwa will ja nicht seinen Psychotherapeuten als Freund vorgeschlagen bekommen. Mit diesem Manöver wollte LeBeau nichts zu tun haben. Er schrieb: "Wir haben nicht begriffen, dass es derart riskant sein würde." Doch als Antwort bekam er nur: Das "Growth-Team", Facebooks Einheit, die für das Nutzerwachstum zuständig war, werde das Update durchziehen - und zwar ohne die Nutzer klar und deutlich zu informieren, wie weitreichend der Eingriff werde. Diese ernüchternde Antwort kam ausgerechnet vom "Privatsphäre-Beauftragten" des Konzerns, Yul Kwon, dem der Schutz von Nutzern eigentlich am Herzen liegen sollte. Der Mail-Wechsel ist am Mittwoch bekannt geworden. Er ist Teil einer Sammlung interner E-Mails auf 223 Seiten, die einen seltenen Einblick in die strategischen Überlegungen eines der größten Konzerne des Silicon Valley geben. Auch Mails aus der Chefetage sind darunter, von Konzernchef Mark Zuckerberg und Geschäftsführerin Sheryl Sandberg. Facebook klagt, die Mails seien aus dem Kontext gerissen Veröffentlicht hat die Nachrichten der britische Parlamentsabgeordnete Damian Collins, ein Kritiker des Unternehmens. Sie stammen aus einem Gerichtsprozess zwischen dem App-Entwickler Six4Three und Facebook. Das Parlament hatte sich die Prozessakten im Rahmen der Aufklärung über die Hintergründe des Cambridge-Analytica-Skandals besorgt. In einer Stellungnahme erklärte Facebook: Die Mails stammten aus den Jahren 2012 bis 2015 und seien veraltet. Facebook habe sich massiv verändert und achte nun viel mehr auf Datenschutz. Zudem seien die Mails selektiv ausgewählt und aus dem Kontext gerissen. Die E-Mails geben Aufschluss darüber, wie rücksichtslos Facebook in seinen Anfangsjahren das Wachstum voran trieb. Sie zeigen, was sich hinter dem philanthropisch anmutenden Motto "die Welt vernetzen" verbarg: volles Bewusstsein für die Risiken des eigenen Geschäftsmodells, für das Facebook immer mehr Daten über Nutzer sammelte und vernetzte, um mehr Geld von Anzeigenkunden zu bekommen - dabei setzte das Unternehmen unter anderem auf sogenannte"dunkle Muster"(dark patterns). Dabei handelt es sich um manipulatives Design, mit dem Nutzer ausgetrickst werden sollen. So zeigen die E-Mails, wie Facebook aus Angst vor einem Imageschaden das Android-Update absichtlich so konstruierte, dass die Nutzer nicht klar vor den weitreichenden Zugriffsrechten gewarnt wurden. Die Dokumente zeigen auch, wie Facebook gegen Konkurrenten vorging: Wer der Expansion im Weg stand, wurde blockiert oder gekauft. Die Mails legen das Plattform-Modell der digitalen Ökonomie schonungslos offen: Facebook nutzte seine Macht gegenüber den Entwicklern kleiner Apps, die an das Netzwerk andocken wollten. Das Ziel: an immer mehr Daten zu kommen. Zuckerbergs Strategie war den E-Mails zufolge: Die Drittanbieter mussten alle Informationen, die Nutzer innerhalb ihrer Apps veröffentlichten, auch auf Facebook teilbar machen. "Wir verkaufen keine Daten" war nach dem Cambridge Analytica-Skandal das Mantra des Unternehmens. Eine E-Mail von 2012 zeigt allerdings, dass Zuckerberg überlegte, ob er von App-Entwicklern nicht 10 Cent pro Nutzer und Jahr verlangen sollte. Dann könnten die zum Beispiel auf die Listen der Freunde ihrer Nutzer zugreifen, eine Option, die Datenschützer kritisch sehen. Und er sah es demnach als essenziell für sein Geschäftsmodell an, möglichst viele Quellen für Daten anzuzapfen: Dass App-Entwickler über Facebook Zugriff auf Nutzer des Konzerns bekommen, das "könnte gut für die Welt sein, aber nicht für uns, außer die Menschen teilen Inhalte mit Facebook und diese erhöhen den Wert unseres Netzwerkes." Sheryl Sandberg antwortete knapp: "Ich mag volle Gegenseitigkeit." Die Daten müssen frei zirkulieren, ist Facebooks Maxime Von dieser Form von "Gegenseitigkeit" profitierte das Unternehmen stärker als jene App-Entwickler, die sich in Abhängigkeit von Facebook begaben. Die Apps sind gezwungen, ihren Nutzern zu ermöglichen, Informationen auf Facebook zu verbreiten. Die nutzt das Netzwerk ganz in Zuckerbergs Sinne, um Anzeigenkunden maßgeschneiderte Werbeplätze auf den Bildschirmen der Mitglieder zu verkaufen. Facebook verweist darauf, dass diese Option für Nutzer freiwillig sei. Niemand werde zum Teilen der Informationen gezwungen. Es war also von höchster Stelle gewollt, dass Daten frei zwischen dem Netzwerk und den verbundenen Apps zirkulieren; und ebenso, dass die externen App-Bauer Daten ihrer Nutzer nicht nach ihrem Ermessen vor Facebook schützen können. Dass durch diese Wechselwirkung das Risiko unkontrollierter Datenabflüsse und anderem Missbrauch stieg, wurde von hochrangigen Mitarbeitern zwar angemerkt, Zuckerberg tat das aber als unwahrscheinlich ab: "Ich glaube nicht, dass das strategische Risiko eines Datenlecks so groß ist wie du denkst", antwortete der Facebook-Chef lapidar. Wenige Jahre später geschah genau das: Im Fall Cambridge Analytica kopierten dubiose Drittfirmen und Entwickler unkontrolliert Massen an Nutzerdaten. Der Fall brachte Zuckerberg Anfang des Jahres Ladungen vor den US-Kongress und das EU-Parlament ein. Die Mails zeigen auch, wie Facebook mit möglichen Konkurrenten umging. 2013 brachte Twitter seine App Vine auf den Markt, mit der Nutzer kurze Videos filmen und veröffentlichen konnten. Facebook schnitt die App den Dokumenten zufolge kurzerhand vom Datenstrom auf seiner Plattform ab. "Wenn keiner Einwände hat, machen wir ihre Freunde-Schnittstelle heute dicht", schrieb Justin Osofksy. Zuckerberg antwortete: "Ja, mach das." Die Folge: Twitters Video-Projekt kam nicht mehr an die wertvollen Informationen, mit wem seine Nutzer auf Facebook vernetzt waren. 2016 gab Twitter bekannt, Vine nicht mehr weiterentwickeln zu wollen, der Dienst ist praktisch tot. Unternehmen wie die Dating-App Tinder oder die Unterkunfts-Plattform Airbnb, die Facebook nicht als Konkurrenten sah, bekamen den Mails zufolge dagegen privilegierten Zugang zu den Daten über "Freunde". Aus den Dokumenten lässt sich auch erahnen, wie Facebook die Übernahme der Chat-App Whatsapp vorbereitete. Anfang 2014 kaufte Facebook Whatsapp für 19 Milliarden Dollar. In den Mails sind Teile einer Marktanalyse für den Zeitraum August 2012 bis März 2013 enthalten. Eine Grafik in der Präsentation zeigt, dass über Whatsapp zu diesem Zeitpunkt bereits 8,2 Milliarden Nachrichten verschickt werden - in der Mobilversion von Facebook dagegen nur 3,5 Milliarden Nachrichten. Das heißt: Whatsapp war schon auf vielen Mobilgeräten installiert und hatte deutlich aktivere Nutzer. Für Facebook ging es in diesen Jahren darum, sich von einer Web-Plattform in eine App zu verwandeln mit der sich Mobilgeräte der Welt erobern ließen. Whatsapp lief bereits auf vielen von ihnen. Pikant ist die Art und Weise, wie Facebook an die Daten kam. Das Unternehmen hatte eine VPN-App namens Onavo gekauft. Mit der wollen sich Nutzer eigentlich gegen Überwachung schützen, indem sie beim Surfen ihren Standort verschleiern. Facebook nutzte die übernommene App als eine Art Spionage-Werkzeug. Dass es sich um ein Facebook-Produkt handelt, das Nutzerdaten weitergibt, war nicht zu erkennen, erst im letzten Satz der offiziellen App-Beschreibung tauchte erstmals der Konzernname auf. Die Daten, wie sich Nutzer verhielten, liefen über die Server von Facebook und wurden vom Unternehmen ausgewertet. Facebook erklärte im Juni, dass es die Daten auswertet, um zu sehen, welche Produkttypen populär sind und wie Nutzer sie verwenden. Die Grafiken speisen sich aus diesen Onavo-Daten und verdeutlichen, warum Facebook in Whatsapp einen rasant wachsenden Rivalen sah - und sich für eine Übernahme entschied.
Rücksichtslos gegen Konkurrenten, manipulatives Design, Wachstum vor Datenschutz: Dokumente legen das Geschäftsmodell von Mark Zuckerberg und seinen Managern schonungslos offen.
digital
https://www.sueddeutsche.de/digital/facebook-zuckerberg-datenschutz-1.4242037
Facebook - Mails offenbaren Zuckerbergs Strategie
00/12/2018
Ein Fußabdruck im Schlamm oder ein Haar auf der Matratze - im Fernsehen ermitteln Polizisten und Staatsanwälte vor allem analog. Mit der Realität hat das nicht viel zu tun, ein Gutteil der Strafverfahren basiert auch auf Spuren, die Täter im Netz hinterlassen. Die Daten bewegen sich dabei über Ländergrenzen hinweg; Strafverfolgungsbehörden können das aber nicht so leicht. Das will die Europäische Kommission ändern: Am Freitag werden die EU-Justizminister in Brüssel voraussichtlich einen Gesetzesvorschlag verabschieden, der grenzüberschreitende Ermittlungen im Netz erleichtern soll - obwohl das Vorhaben von Juristen, aber auch der Bundesregierung heftig kritisiert wird. Strafverfolger begrüßen die geplante "E-Evidence-Verordnung. "Der Vorschlag ist eine richtige Reaktion auf die Notwendigkeiten der Praxis. Wir haben im Bereich der Cyberkriminalität kaum ein Verfahren, dass keine internationalen Bezüge aufweist", sagt etwa Oberstaatsanwalt Markus Hartmann, der in Köln eine Zentral- und Ansprechstelle für Cybercrime leitet. Aber auch bei analogeren Straftaten wie Betrug oder Erpressung steige die Bedeutung elektronischer Spuren, das zeige die Masse an Anfragen, die sein Team dazu erreiche. Will die Polizei oder die Staatsanwaltschaft auf Daten zugreifen, die in einem anderen Mitgliedsstaat gespeichert sind, muss sie bislang den Weg der Rechtshilfe gehen, sich also an die Behörden des jeweiligen Staates wenden, die dann wiederum beim jeweiligen Provider um die Daten bitten. Das hat einen Nachteil: "Die traditionellen Mittel der Rechtshilfe dauern zu lange", sagt Markus Hartmann. Die Behörden des Staates hätten kaum noch Mitsprache Die E-Evidence-Verordnung sieht darum eine Abkehr von diesem lang eingeübten System der Rechtshilfe vor: Bei Straftaten, die mit Haft von mindestens drei Jahren bedroht sind, sollen sich Strafverfolger direkt an Provider oder Diensteanbieter in einem anderen Mitgliedstaat wenden können. Sie könnten Metadaten, unter strengeren Voraussetzungen aber auch den Inhalt von E-Mails oder Messengernachrichten abfragen - und zwar ohne, dass der Staat, in dem sich die betreffende Person befindet, noch großes Mitspracherecht hätte. Vor allem dieser Punkt sorgt für Kritik, unter anderem von der Bundesrechtsanwaltskammer, von Bürgerrechtlern, aber auch von Justizministerin Katarina Barley (SPD). Die Verordnung gebe "Anlass zu großer Sorge", heißt es etwa in einem Brief, den Barley und andere EU-Justizminister an die europäische Ratspräsidentschaft geschrieben haben, und welcher der SZ vorliegt. Die Kritik entzündet sich vor allem an zwei Überlegungen. Zum einen hätte es unter der E-Evidence-Verordnung nicht mehr der Staat in der Hand, Strafermittlungen eines anderen Mitgliedsstaates voranzutreiben, sondern Provider oder Diensteanbieter - also private Unternehmen wie zum Beispiel Google, Paypal oder Facebook. Staatsanwalt Hartmann sagt, dass diese Firmen jetzt schon bei der europäischen Strafverfolgung mitwirkten, allerdings auf freiwilliger Basis nach entsprechenden Anfragen von europäischen Behörden. Künftig wären sie zur Mitwirkung verpflichtet. Zum anderen könnte die Verordnung dazu führen, dass in Deutschland auch wegen Straftaten (elektronisch) ermittelt werden könnte, die in Deutschland gar nicht strafbar sind. Die Bundesrechtsanwaltskammer nennt in einer Stellungnahme als Beispiel "politisch motivierte Verfolgung wegen zu diesem Zweck geschaffener Delikte", andere Kritiker verweisen auf Polen: Dort ist Abtreibung verboten. Auch Hartmann fände es gut, wenn der jeweilige Mitgliedsstaat zumindest über solche Ermittlungen in seinem Territorium informiert würde: Oft erfahren Strafverfolger auf diesem Weg von neuen Betrugsmaschen, die bald auch in Deutschland ausprobiert werden. Trotz der grundsätzlichen Bedenken gehen Europaabgeordnete und Diplomaten davon aus, dass sich am Freitag bei der Mehrheitsabstimmung in Brüssel die Befürworter durchsetzen werden, was die Debatte allerdings nur verlagern würde: Außer den Ministern muss sich auch das Europäische Parlament mit der Vorlage befassen. Die deutsche Abgeordnete Birgit Sippel (SPD) wird am Montag im zuständigen Parlamentsausschuss einen ersten Bericht zum Verordnungsvorschlag vorstellen. Sie sagt, sie teile viele der Bedenken, die gegen die E-Evidence-Verordnung vorgebracht werden: "Wir sind nicht gegen die Idee als solche. Aber unser Eindruck ist, dass hier sehr schnell über Fragen und Bedenken hinweggegangen wurde", sagt sie.
Neue EU-Regeln sollen es der Polizei erleichtern, an Daten aus dem EU-Ausland zu kommen. Deutschland ist skeptisch, trotzdem wird die Verordnung heute vermutlich von den EU-Justizministern beschlossen.
digital
https://www.sueddeutsche.de/digital/e-evidence-rechtshilfe-europa-bruessel-1.4240106
Rechtshilfe in Europa: Grenzenlose Ermittlungen
00/12/2018
Die Dokumentensammlung hat 250 Seiten: interne E-Mails des Facebook-Managements, Präsentationen. Unten am Rand jeder Seite steht "Confidential" oder "Highly Confidential", vertraulich oder streng vertraulich. Doch seit diesem Mittwoch finden sich diese Firmeninterna des amerikanischen Online-Netzwerks auf der Webseite des britischen Parlaments. Der Ausschuss für Digitales, Kultur und Medien hat sie veröffentlicht. Die Parlamentarier untersuchen, wie der Konzern mit persönlichen Daten umgeht. Und nach Ansicht von Damian Collins, dem Vorsitzenden des Gremiums, zeigen die Papiere, dass die Kalifornier die Privatsphäre ihrer Nutzer nicht ausreichend schützen. Anlass der Untersuchung ist der Skandal um die inzwischen insolvente britische Beratungsgesellschaft Cambridge Analytica. Das Unternehmen erstellte für Werbekunden Profile von Internetnutzern, um Reklame maßschneidern zu können. Dabei erhielt Cambridge Analytica unrechtmäßig Zugang zu den Daten von 87 Millionen Facebook-Nutzern. Eine App, ein Mini-Programm, das von manchen Facebook-Nutzern verwendet wurde, sammelte nicht nur die Daten derjenigen, sondern auch die von deren Freunden in dem Internet-Netzwerk. Die meisten dieser Freunde hatten aber nie ihre Einwilligung dafür erteilt. Die E-Mails sind Beweismittel in einem Prozess Facebook behauptet, solche Praktiken seit 2015 nicht mehr zu erlauben. Doch die Papiere, die das Parlament veröffentlichte, sollen belegen, dass Facebook bestimmten Unternehmen, die für den Konzern als Geschäftspartner wichtig sind, danach weiterhin Zugang zu den Daten der Facebook-Freunde von Nutzern gewährt hat. Zu den genannten Firmen gehören Airbnb, der Fahrdienst-Anbieter Lyft, Netflix und die Dating-Apps Badoo und Bumble. Die E-Mails sind Beweismittel in einem Gerichtsprozess in Kalifornien. Dort verklagt der Entwickler einer App, die Firma Six4Three, den Konzern. Das Gericht entschied, dass die E-Mails und Präsentationen geheim bleiben sollen. Doch als ein Mitarbeiter von Six4Three zuletzt London besuchte und die Dateien dabei hatte, schaute im Hotelzimmer ein Abgesandter des Serjeant-at-Arms vorbei: Das ist der Sicherheitsbeauftragte des Unterhauses. Der Beamte konnte den Six4Three-Beschäftigten überzeugen, lieber die Dateien auszuhändigen, weil ihm ansonsten Gefängnis droht. Ein Sprecher von Facebook bestreitet nicht, dass die Dokumente authentisch sind, sagt aber, sie seien aus dem Zusammenhang gerissen und zeichneten ein falsches Bild.
Das britische Parlament hat E-Mails von Facebook-Managern veröffentlicht. Sie sollen belegen, dass der Konzern deutlich länger sensible Nutzerdaten an externe Firmen weitergegeben hat als bisher behauptet.
digital
https://www.sueddeutsche.de/digital/facebook-nutzer-daten-e-mails-1.4241578
Facebook: Interne E-Mails belasten Manager
00/12/2018
Auf den letzten Metern haben die Fans von Felix "PewDiePie" Kjellberg das Schlimmste gerade noch verhindert. Am Montag kam das indische Musiklabel T-Series dem - noch - meistabonnierten Youtuber bedenklich nahe. Der Unterschied betrug für kurze Zeit weniger als 16 000 Abonnenten - ein hauchdünner Vorsprung angesichts von jeweils mehr als 73 Millionen Abonnenten insgesamt. Kjellberg selbst schrieb auf Twitter vom "Anbruch des letzten Tages". Am Wochenende dann die Trendwende: Bis Dienstagmittag war der Abstand wieder auf 500 000 Abonnenten angewachsen. Die Fans des amtierenden Youtube-Königs atmeten durch. Die erbitterte Verfolgungsjagd, die sich T-Series und PewDiePie liefern, verursacht im gigantischen Youtube-Universum seit mehr als drei Monaten Aufruhr. Bisher mit dem besseren Ende für den 29-jährigen Schweden, der seit Weihnachten 2013 ununterbrochen an der Spitze der Youtube-Stars steht - so lange wie niemand anderes in der Geschichte der Videoplattform. Beliebtheit erlangte PewDiePie mit Let's Plays, vor allem von Horrorspielen. Mittlerweile zeigen viele seiner Videos, wie er vor laufender Kamera auf Internet-Meme reagiert. Seine Fans schätzen den albernen, bisweilen auch obszönen oder politisch unkorrekten Humor des Youtubers. 2017 schmiss Disney Kjellberg raus, weil er in mehreren Videos antisemitische Witze gemacht hatte. Auch zahlreiche andere Partner kündigten ihm damals. Am Time Square lief Werbung für PewDiePie Bei dem Wettrennen geht es um mehr als um die Person Kjellberg. Es geht darum, wer Youtube inoffiziell regiert: ein Einzelkämpfer wie PewDiePie oder ein Unternehmen wie T-Series. Das größte indische Musiklabel lädt täglich mehrere Musikvideos im Bollywood-Stil hoch. In der Kategorie Videoaufrufe hat das Unternehmen den Youtube-Star schon vor fast zwei Jahren überholt. Aktuell wächst der Anteil der Inder, die Zugriff auf das Internet bekommen, besonders rapide. Das führt dazu, dass einige PewDiePie-Fans dem Label vorwerfen, Bots für ihr Wachstum zu nutzen, und anti-indische Hasskommentare veröffentlichen. Von denen hat Kjellberg sich distanziert. Dass es am Wochenende doch nicht zu dem erwarteten Wechsel an der Spitze Youtubes gekommen ist, liegt auch an den anderen Youtube-Stars, die in den letzten Tagen und Wochen eine Kampagne für PewDiePie gestartet hatten. Der US-amerikanische Youtuber Jimmy "MrBeast" Donaldson etwa filmte sich selbst dabei, wie er 100 000 Mal hintereinander "PewDiePie" sagt. Offenbar Grund genug für einige Nutzer, den Kanal des Schweden tatsächlich zu abonnieren. Für ein anderes Video mietete Donaldson diverse Werbetafeln in seinem Heimatort im Bundesstaat North Carolina. Wohl davon inspiriert ließ Youtuber Justin Roberts eine eigens dafür entworfene PewDiePie-Werbung am Time Square in New York laufen - so stellt er es zumindest auf Youtube dar. Kjellberg selbst produziert derzeit fast nur noch Videos, in denen es um seine Abonnenten-Schlacht mit T-Series geht. Den Nutzern geht es um Youtubes altes Motto: "broadcast yourself" Fans verbreiteten seine Botschaft auch jenseits der Youtube-Kanäle: Ein Hacker unter dem Pseudonym "Thehackergiraffe" hat nach eigenen Angaben rund 50 000 Drucker weltweit gekapert und sie Werbung für PewDiePie ausdrucken lassen, wie das Tech-Portal The Verge berichtet. Der Angreifer sagt, um die Drucker zu finden, habe er die Suchmaschine Shodan genutzt, über die sich mit dem Internet verbundene Geräte finden lassen. Es sei ihm auch darum gegangen, auf diese Weise auf IT-Sicherheit aufmerksam zu machen. Auf den ausgedruckten Seiten hat er unten einen Hinweis hinzugefügt. Auf Englisch steht da sinngemäß: "Ihr Drucker ist ungeschützt mit dem Internet verbunden. Bitte beheben." Why are local printers being hacked for this pic.twitter.com/fAnNTIp6ds — madison. (@maddybenavente1) 29. November 2018 Viele Nutzer wollen mit ihrer Unterstützung für Kjellberg demonstrieren, dass für sie vor allem das ursprüngliche Motto der Plattform zählt: "broadcast yourself". Es ist offenbar der Wunsch vieler, dass Youtube eine Bastion der Kleinen bleibt, auf der die großen Konzerne nichts zu sagen haben. Mit einem ähnlichen Argument hatte Youtube-Chefin Susan Woijcicki Anfang November die Community dazu gebracht, gegen Artikel 13 der geplanten EU-Urheberrechtsreform zu protestieren. T-Series wird PewDiePie trotz aller Bemühungen bald überholen Dieses Gefühl eines Aufstandes für den "kleinen Nutzer" basiert aber auf einem Mythos, den PewDiePie bewusst fördert. Er ist alles andere als ein kleiner Youtuber, der in seinem Schlafzimmer private Videos produziert. Laut Berechnungen des Wirtschaftsmagazins Forbes hat er 2018 mit seinen Videos rund 15,5 Millionen US-Dollar verdient. Wesentlicher Bestandteil seines Geschäftsmodells ist sein eigener Online-Shop, in dem er wie viele andere Top-Youtuber Kapuzenpullis, T-Shirts und Jogginghosen verkauft. Und doch nehmen ihn die Nutzer als einen von ihnen wahr, als Gegensatz zu Unternehmen wie T-Series, die sich nach ihrem Empfinden unberechtigt breitmachen, weil sie mehrmals täglich neue Musikvideos hochladen und so viel schneller Klicks generieren als ein einzelner Videokünstler. Am Ende profitieren mit ziemlicher Sicherheit sowohl T-Series als auch PewDiePie von der zusätzlichen Aufmerksamkeit, die sie weltweit erfahren. Auch dürften die Youtuber kein Verlustgeschäft gemacht haben, die die Gunst der Stunde ausnutzten, um sich auf einer der beiden Seiten zu positionieren (meistens auf der Kjellbergs). Doch das alles wird ihm nicht helfen. Sobald die aktuelle Welle der Aufmerksamkeit zurückgeht, wird T-Series an PewDiePie vorbeiziehen und den König der Youtuber entthronen. Der indische Kanal wächst durchschnittlich einfach schneller, Stand Mittwochnachmittag ist der Abstand wieder auf rund 400.000 Abonnenten geschrumpft. Social Blade, ein Portal das Statistiken sozialer Medien analysiert, prognostiziert den Wechsel an der Spitze aktuell auf Mitte Februar. Wer live dabei zusehen möchte, findet Dutzende Livestreams, die die Abonnentenzahlen der beiden Kanäle rund um die Uhr übertragen.
Ein indisches Musiklabel droht, den König der Youtuber, "PewDiePie", von der Spitze zu verdrängen. Bisher konnten seine Fans das auch durch fragwürdige Aktionen wie den Hack von 50 000 Druckern verhindern.
digital
https://www.sueddeutsche.de/digital/youtube-pewdiepie-t-series-kampf-um-die-meisten-abonnenten-1.4240140
T-Series gegen PewDiePie: Der Kampf eskaliert
00/12/2018
Ziemlich genau ein Jahr ist es her, als Bitcoininvestoren die Zukunft in den rosigsten Tönen malten: Die Digitalwährung sollte den Dollar ersetzen, Zentralbanken entmachten und in ihrem Höhenflug jungen Techgeeks ewigen Reichtum bescheren, gewissermaßen nebenbei. Zum zehnten Geburtstag der Kryptowährung zeigt sich nun ein desaströses Bild: Kaum eine der Versprechungen ist wahr geworden. Während der Preis der Kryptowährung von einst 20 000 Dollar Richtung 4 000 Dollar taumelt, begeht die Kryptoszene kollektiven Selbstbetrug. Irgendeine Ausrede für das Siechtum des Bitcoin findet sie immer: Einmal habe ein amerikanischer Starbanker gegen Bitcoin gewettert und so Panik verursacht. Kürzlich, so hieß es, habe der Kampf zweier Größen im Kryptogeschäft die Anleger verunsichert. Manchmal fehlen angeblich positive Nachrichten, um den Kurs zu stützen. Mit anderen Worten: Irgendwas ist immer. Faule Ausreden der Enthusiasten Mit derlei Ausreden belügen sich die Bitcoinenthusiasten selber. Für sie kann nicht sein, was nicht sein darf: Als Zahlungsmittel ist die Währung nicht zu gebrauchen, als Wertspeicher für Krisenzeiten viel zu wackelig - und obendrein hat sie Abermillionen an Anlegergeldern verpuffen lassen. An fünf Punkten lässt sich zeigen, wie die Bitcoingemeinde Versprechen um Versprechen kassieren musste. Ihren Aufschlag machten die Bitcoinjünger mit keinem geringeren Versprechen, als Dollar, Euro und Yen als internationales Zahlungsmittel zu ersetzen. Egal ob Auto, Kaffee oder Büroregal, alles sollte man weltweit mit Bitcoin bezahlen können. Bald jedoch fand die Öffentlichkeit heraus, wie schleichend lahm das Netzwerk ist. Während der Kreditkartenbetreiber Visa bis zu 65 000 Überweisungen pro Sekunde abwickelt, schafft Bitcoin gerade sieben Transaktionen. Im besten Fall kann man es tragisch nennen, wie weit Anspruch und Realität auseinanderklaffen. Kaum war der erste Zweck enttarnt, servierte die Kryptogemeinde die nächste Geschichte: Als absolut sicher priesen Bitcoinexperten die Überweisungen im System. Das ist grob irreführend. Denn wider besseres Wissen verschweigen die "Experten", dass das Netzwerk an sich zwar sicher ist, Hacker und Kriminelle an den unsicheren Zugängen zum System unbedarften Anlegern aber sehr wohl Millionen aus den Taschen gezogen haben. Wie ein Synchronspringer mit der Börse in den Abgrund Als solche Betrügereien Aufruhr auslösten, hatten Bitcoinjünger schon die nächste schöne Erzählung parat: Wer sein Geld für Krisenzeiten nicht in Staatswährungen parken wolle, solle doch zu Bitcoin greifen. Enthusiasten lobten die Digitalwährung als digitales Gold. Doch was nach Substanz, Sicherheit und Seltenheit klang, hielt nicht lange. Allein in diesem Jahr hat Bitcoin rund 80 Prozent seines Werts eingebüßt. Das ist kein Indikator für Stabilität, schon gar keine Beruhigung für Krisenzeiten. Ganz im Gegenteil: Als es an den Weltbörsen im Oktober rumpelte, stürzte Bitcoin wie ein Synchronspringer mit in den Abgrund. In den vergangenen Wochen zeigten die Kurven des amerikanischen Aktienindex Dow Jones und von Bitcoin einen auffälligen Gleichlauf. Gefährlich für Investoren, die sich mit Bitcoin vom Lauf der Aktienbörsen abkoppeln wollen. Keine Hoffung auf Rettung durch die US-Börsenaufsicht Schlussendlich sind auch die ideologischen Hoffnungen der Bitcoinenthusiasten zerschellt. Kein Staat, keine Zentralbank, keine Bank, kein Kreditkartenunternehmen sollte das Sagen haben im Bitcoin-System. Der Sound der Anhänger kündete von Anarchie, von Gleichheit und Gerechtigkeit. Doch bei näherem Hinsehen entpuppt sich Bitcoin als Machtmaschine für wenige: 97 Prozent aller Bitcoin-Einheiten befinden sich in den Händen von nur vier Prozent der Nutzer. Immer wieder machen Gerüchte die Runde, schwerreiche Bitcoinmagnaten hätten inzwischen so viele Bitcoin in ihre digitalen Tresore geschaufelt, dass sie mit gezielten Käufen und Verkäufen sogar den Preis der Währung manipulieren könnten. Als letzten Strohhalm klammern sich die Bitcoinjünger nun ausgerechnet an die US-amerikanische Börsenaufsicht. Die könne spezielle Finanzvehikel zulassen, die das Spielgeld milliardenschwerer Großanleger in die Netze der Digitalwährung dirigieren können. Doch das bezeichnete die Behörde kürzlich als "höchst unwahrscheinlich". Die Bitcoinszene sollte Schluss machen mit dem kollektiven Selbstbetrug. Ja, vielleicht überlebt die eine oder andere Kryptowährung, sofern sie im Alltag Nutzen stiftet. Bitcoin hingegen dürfte es ergehen wie einem der ersten Internetbrowser. Das Internet nutzt heute jeder, mit Netscape aber surft schon lange niemand mehr.
Die Kryptoszene begeht seit Monaten kollektiven Selbstbetrug. Die Währung ist weder Zahlungsmittel noch Wertspeicher, weder egalitär noch sicher. Es ist an der Zeit, mit der Heuchelei Schluss zu machen.
digital
https://www.sueddeutsche.de/digital/bitcoin-kryptowaehrungen-tot-kommentar-1.4235485
Kryptowährungen am Abgrund: Bitcoin ist tot
00/12/2018
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) malt sich auf dem Podium gutgelaunt aus, wie er im Alter seinen Roboter-Butler zum Bierholen schickt. Das finden viele im Saal "Tokio" des Nürnberger Messezentrums zum Lachen. Die gute Laune kommt aber nicht bei allen Besuchern des Digitalgipfels an, auf dem die Bundesregierung ihre Strategie für die Förderung künstlicher Intelligenz, also selbstlernender Software, bewirbt. Die Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg isst zwischen zwei Panels fränkische Bratwürste mit Sauerkraut und sagt: "Das ist hier eine reine Veranstaltung zwischen Wirtschaftsspitzen und Politik, praktisch ohne Zivilgesellschaft." Die Regierung habe offenbar auch wenig Lust, das Parlament miteinzubeziehen: "Sogar wir von der KI-Enquete-Kommission des Bundestages mussten uns selbst einladen." Vertreter von Unternehmen sind dafür viele gekommen, es geht ja auch um viel Geld. KI gilt vielen als wichtigste Technologie seit der Dampfmaschine, auch Altmaier benutzt den Vergleich. Im November hatte die Bundesregierung ihre KI-Strategie veröffentlicht. Demnach sollen 100 neue KI-Professuren geschaffen werden und bis 2025 unter anderem etwa drei Milliarden Euro fließen. Neue Details zur Umsetzung der Strategie werden auf dem Digitalgipfel nicht bekannt, es geht hier eher darum, Unternehmen und Regierung auf das Ziel einzuschwören: Mit Geld vom Staat und Koordination zwischen Forschung, Politik und Wirtschaft zur Weltspitze der KI-Nationen aufzuschließen: zu den USA und China. In diesem Wettbewerb forciert Altmaier eine europäische Lösung: "Wir benötigen eine Art Airbus in der KI", sagt er auf dem Gipfel. Er meint den Erfolg des unter deutsch-französischer Führung stehenden Flugzeugbauers. Ein einzelnes europäisches Unternehmen könne es bei der künftigen Schlüsseltechnik KI mit den US-Technologiegrößen nicht aufnehmen, Europa müsse die Kräfte bündeln. KI-Fachleute kritisieren an der Strategie allerdings, dass ihr Fokus zwar auf europäischen Lösungen liegt, zugleich aber ein Label namens "Artificial intelligence made in Germany" etabliert werden soll. Industrie und Politik Hand in Hand, dazu passt die Doppel-Keynote-Rede von Achim Berg, dem Vorsitzenden des Branchenverbandes Bitkom, in dem von der Telekom bis zu Google praktisch alle in Deutschland relevanten Tech-Unternehmen sitzen, und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Berg erklärt, wie gut es in Deutschland laufe: Arbeitslosigkeit und Kriminalitätsrate seien extrem niedrig, die vor ihm sitzenden Minister und ihre Chefin regierten gut, und der Lonely-Planet-Reiseführer finde das Land richtig aufregend. In dieser Lobeshymne verpackt er Lobbywünsche an seine Nachrednerin: Die "ePrivacy"-Verordnung der EU, die den Umgang von Webseiten mit Daten regelt, über die ihre Besucher nachverfolgt werden können, dürfe IT-Unternehmen nicht schaden. Und den neuen Mobilfunkstandard 5G brauche im deutschen Wald kein Mensch und auch kein Fuchs. Zwang zum flächendeckenden Ausbau lehnt Berg ab. Merkel widerspricht Berg indirekt, 5G-Empfang dürfe nicht nur an der Autobahn und in Großstädten möglich sein: "Nicht überall braucht man die Tonqualität der Berliner Philharmonie, aber überall sollten zumindest Töne zu hören sein." In Sachen KI hat das Silicon Valley längst Fakten geschaffen Kurz zuvor hatte Telekom-Chef Timotheus Höttges kurzzeitig einige Gipfel-Besucher und noch mehr Twitter-Nutzer erzürnt, als er über flächendeckendes 5G gesagt hatte: "Das sind Privatjets, die jeder bekommen kann, aber keiner stellt die Frage, wie's geht." So ganz ernstgemeint war das nicht, er schränkte sofort ein, das sei ja eine "zynische Bemerkung" von ihm gewesen. Ziel seiner Provokation war der neben ihm stehende Andreas Scheuer. Der Minister für digitale Infrastruktur macht Druck auf die Mobilfunkunternehmen, die vielen Funklöcher in Deutschland endlich zu schließen. Die wollen ihrerseits Zugeständnisse für den Ausbau von der Politik. In Sachen KI hat das Silicon Valley längst Fakten geschaffen. Selbstlernende Software von Google und Facebook wird immer leistungsfähiger dank der gigantischen Silos an Daten und Fotos, über die diese Konzerne verfügen. Sie kaufen die besten Forscher des Feldes ein, natürlich auch die deutschen. Dagegen will Berlin mit den 100 neuen Professuren etwas tun. Es ist allerdings fraglich, ob es innerhalb des Feldes überhaupt genug Nachwuchs für diese Stellen gibt. In ihrer Rede sagt Merkel auch, wie wichtig der Umgang mit Daten sei, damit die Digitalisierung für die Menschen da sei und nicht umgekehrt. Sie wirbt für eine Art dritten Weg zwischen dem chinesischen Überwachungs-System und dem US-amerikanischen Modell, in dem Unternehmen mit Nutzerdaten letztendlich machen könnten, was sie wollten. Wenn Menschen nur noch Datenlieferanten seien, dann sei das "in der Endkonseqeunz gedacht die Vernichtung der Individualität". Die europäische Datenschutzgrundverordnung mit ihren komplizierten Regeln zum Umgang mit persönlichen Informationen sei zwar hierzulande umstritten, gelte aber außerhalb Europas vielen als Vorbild. Nicht immer hat sich Merkel so deutlich zum Datenschutz bekannt. Die Bundeskanzlerin spricht in ihrer Rede auch darüber, wie sie gelernt habe, Blamagen beim Thema Digitalisierung zu vermeiden. 2013 hatte sie das Internet als "Neuland" bezeichnet. Es folgte ein "Shitstorm", wie Merkel sagt. Viele Bürger und Aktivisten empfanden es als Zeichen von Inkompetenz, so über eine Technologie zu reden, die längst Alltag war. "Neuland" würde sie heute nicht mehr sagen, erklärt Merkel, sondern lieber: "noch nicht durchschrittenes Terrain". Da herrschte dann wieder gute Laune im Saal. Die Umsetzung der KI-Strategie wird ja zäh und anstrengend genug.
Menschen seien nicht nur Datenlieferanten für IT-Konzerne, sagt die Kanzlerin auf dem Digitalgipfel in Nürnberg. Und nach dem "Neuland"-Shitstorm will sie das Digitale jetzt lieber "noch nicht durchschrittenes Terrain" nennen.
digital
https://www.sueddeutsche.de/digital/merkel-digitalgipfel-kuenstliche-intelligenz-datenkonzerne-1.4239429
Bundeskanzlerin Merkel warnt vor Datenkonzernen
00/12/2018
Resigniert bis genervt: Ein weit verbreiteter Gesichtsausdruck unter Menschen, die versuchen, im Zug mobile Daten zu übertragen. Der Deutsche meckert gern. Nicht nur über das Wetter (zu nass) und die Bahn (zu spät), sondern auch über das Internet: zu langsam. Und er hat ja recht: In Spanien scheint die Sonne öfter, in der Schweiz kommen die Züge pünktlicher, und in Südkorea fließen die Bytes schneller. Doch während der Breitbandausbau in Deutschland lahmt, sind zumindest die Handynetze besser als ihr Ruf. Zu diesem Ergebnis kommen jedenfalls die Zeitschriften Connect und Chip. Beide vergleichen unabhängig voneinander Abdeckung und Qualität der Mobilfunknetze der drei großen Anbieter. Die Tester legen jeweils Zehntausende Kilometer in Auto und Bahn zurück, laufen telefonierend durch Großstädte und versuchen, auf dem Land zu surfen. Die Zeitschriften rühmen sich ihrer aufwendigen, praxisnahen und statistisch belastbaren Methoden. Chip vergibt Schulnoten bis auf die zweite Nachkommastelle, Connect hat ein komplexes System aus Punktzahlen und Prozentsätzen entwickelt. Die exakten Werte dürften für die meisten Nutzer keine Rolle spielen, wohl aber die grundlegenden Aussagen. In dieser Hinsicht sind sich die beiden Zeitschriften fast überall einig: Telekom liegt vor Vodafone, O2 abgeschlagen auf Platz drei. So war es 2017. Und 2016. Und 2015. Diesmal ist es enger geworden. Die Reihenfolge bleibt gleich, aber O2 holt erstmals kräftig auf . Chip sieht die Telekom nur knapp vorn, Connect ermittelt einen etwas deutlicheren Vorsprung zu Vodafone. Aber beide sind sich einig, dass sich O2 im Vergleich zum Vorjahr deutlich gesteigert hat. Das hängt damit zusammen, dass die Integration des E-Plus-Netzes 2014 von O2 nahezu abgeschlossen ist. . sieht die Telekom nur knapp vorn, ermittelt einen etwas deutlicheren Vorsprung zu Vodafone. Aber beide sind sich einig, dass sich O2 im Vergleich zum Vorjahr deutlich gesteigert hat. Das hängt damit zusammen, dass die Integration des E-Plus-Netzes 2014 von O2 nahezu abgeschlossen ist. Vor allem in Großstädten kann O2 mithalten . Das Unternehmen hat sich offenbar auf diese besonders wichtigen Märkte mit vielen potenziellen Kunden konzentriert. Zwar dauert der Gesprächsaufbau etwa anderthalb Sekunden länger als bei der Konkurrenz, aber nur wenige Telefonate brechen ab, und die Sprachqualität ist kaum schlechter als bei Telekom und Vodafone. Dasselbe gilt für die Geschwindigkeit beim Surfen: nicht ganz auf dem Niveau der Konkurrenz, aber schnell und zuverlässig genug, um sich nicht ständig darüber ärgern zu müssen. . Das Unternehmen hat sich offenbar auf diese besonders wichtigen Märkte mit vielen potenziellen Kunden konzentriert. Zwar dauert der Gesprächsaufbau etwa anderthalb Sekunden länger als bei der Konkurrenz, aber nur wenige Telefonate brechen ab, und die Sprachqualität ist kaum schlechter als bei Telekom und Vodafone. Dasselbe gilt für die Geschwindigkeit beim Surfen: nicht ganz auf dem Niveau der Konkurrenz, aber schnell und zuverlässig genug, um sich nicht ständig darüber ärgern zu müssen. Chip hat Detail-Ergebnisse für fünf Großstädte veröffentlicht. In Berlin und Köln liegt die Telekom knapp vor Vodafone, in Frankfurt ist der Vorsprung größer. Hamburg und München sind dagegen Städte, in denen Vodafone-Kunden - zumindest laut Test - am besten telefonieren und surfen. Dort kommt auch O2 auf sehr gute Ergebnisse, während es in Berlin und Köln nur zu guten Gesamtnoten reicht. Besonders groß ist der Rückstand in Frankfurt, hier stört sich Chip vor allem an den teils niedrigen Datenraten im O2-Netz. hat veröffentlicht. In Berlin und Köln liegt die Telekom knapp vor Vodafone, in Frankfurt ist der Vorsprung größer. Hamburg und München sind dagegen Städte, in denen Vodafone-Kunden - zumindest laut Test - am besten telefonieren und surfen. Dort kommt auch O2 auf sehr gute Ergebnisse, während es in Berlin und Köln nur zu guten Gesamtnoten reicht. Besonders groß ist der Rückstand in Frankfurt, hier stört sich vor allem an den teils niedrigen Datenraten im O2-Netz. Auf dem Land und in kleineren Städten stellt O2 dagegen nach wie vor keine gleichwertige Alternative dar. Connect und Chip bemängeln unisono die spürbar schlechtere Netzabdeckung und häufige Verbindungsabbrüche. Telekom- und Vodafone-Kunden können auch in ländlichen Regionen meist mit LTE surfen, das O2-Netz hat hier Nachholbedarf. Das macht sich auch in der Sprachqualität bemerkbar: Wer im LTE-Netz telefoniert, ist besser zu verstehen und kann seinen Gesprächspartner deutlicher hören. O2-Kunden müssen abseits der großen Städte oft darauf verzichten. stellt O2 dagegen nach wie vor keine gleichwertige Alternative dar. und bemängeln unisono die spürbar schlechtere Netzabdeckung und häufige Verbindungsabbrüche. Telekom- und Vodafone-Kunden können auch in ländlichen Regionen meist mit LTE surfen, das O2-Netz hat hier Nachholbedarf. Das macht sich auch in der Sprachqualität bemerkbar: Wer im LTE-Netz telefoniert, ist besser zu verstehen und kann seinen Gesprächspartner deutlicher hören. O2-Kunden müssen abseits der großen Städte oft darauf verzichten. Das Gleiche gilt für Landstraßen und Autobahnen , wobei die Telekom dort in allen Kategorien teils deutlich vorne liegt: Up- und Downloads sind am schnellsten, Telefonate brechen vergleichsweise selten ab. Vodafone folgt mit einigem Abstand auf Platz zwei, O2 ist abgeschlagen Letzter. , wobei die Telekom dort in allen Kategorien teils deutlich vorne liegt: Up- und Downloads sind am schnellsten, Telefonate brechen vergleichsweise selten ab. Vodafone folgt mit einigem Abstand auf Platz zwei, O2 ist abgeschlagen Letzter. In der Bahn gelten andere Regeln: Für Zugreisende gibt es immer noch keine wirklich gute Wahl. Am wenigsten Ärger macht Vodafone, das knapp vor der Telekom liegt und von Chip immerhin eine befriedigende Gesamtnote erhält. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich allerdings kaum etwas verbessert. "Beim Internet in der Bahn bleibt in Deutschland also noch sehr viel zu tun", schreibt Connect. Die Schweiz zeigt, dass es besser geht: Dort können Bahnreisende fast so zuverlässig surfen wie in Städten. Wer einen neuen Mobilfunkvertrag abschließen will, kann aus diesen Ergebnissen mehrere Schlüsse ziehen:
Die Telekom bleibt vor Vodafone, aber O2 holt deutlich auf - mit Discounter-Verträgen können Kunden deutlich sparen.
digital
https://www.sueddeutsche.de/digital/handynetze-im-test-telefonieren-im-zug-bleibt-eine-qual-1.4237504
Netztest 2018: Telekom vor Vodafone, O2 holt auf
00/12/2018
Amazon und Google arbeiten daran, unsere Sprache zu automatisieren. Wem das zu unpersönlich ist, verschickt einfach Audiodateien. Das korrigiert auch die Körperhaltung. Wenn schon die Menschen untereinander keinen höflichen Umgang im Netz pflegen können, so scheint der Gedanke in den Entwicklungslaboren der großen Technikkonzerne zu lauten, dann wolle man doch wenigstens etwas tun, damit die Leute nicht mehr so gemein zu ihren Geräten sind. Google jedenfalls kündigte in der vergangenen Woche an, dass der hauseigene Software-Assistent in Zukunft netter antworten werde, wenn man die Sprachbefehle nicht mehr in die schlauen Lautsprecher hineinbellt, sondern stattdessen mit Bitte und Danke garniert. Amazon hat eine ähnliche Funktion bereits vor einigen Monaten in seine Alexa-Software eingeführt. Technik formt Kommunikation und nicht andersherum. Man kann das momentan an vielen Beispielen beobachten. Wer schon Emojis, Interpunktions-Smileys und Abkürzungen wie "lol" als Degeneration von Sprache empfindet, muss sich in Zukunft noch auf viele andere Auswüchse gefasst machen. Wiederum Google hat unlängst eine automatische Antwortfunktion für mehr als eine Milliarde Nutzer seines E-Mail-Dienstes freigeschaltet. Für die sogenannten Smart Replies analysiert eine künstliche Intelligenz die eingehenden Nachrichten und bietet davon ausgehend Antwortvorschläge an. Man kann das anmaßend oder praktisch finden, die meisten der vorformulierten Nachrichten bestehen aber sowieso nur aus kurzen Produktivitätssignalen wie "Danke für das Update!" oder "Wird gemacht!". Ein Gegentrend zur Mechanisierung der eigenen Sprache könnte eventuell darin bestehen, dass heutzutage sowieso weniger getippt und wieder mehr geredet wird. Gestresste Managertypen sind mittlerweile dazu übergegangen, ihre SMS per Spracherkennung in ihr Smartphone zu diktieren. Das ist zunächst nichts anderes als ein Machtinstrument. So wird die eigene Kommunikation und damit auch die selbstempfundene Unverzichtbarkeit der Umwelt aufgezwungen. Ob ihr wollt oder nicht: Ihr hört jetzt, was ich zu sagen habe! Die logische Weiterentwicklung des SMS-Diktats sind dann Voice-Messages, die in der letzten Zeit einen, nun ja, unerhörten Boom erleben. Gerade jüngere Nutzer versenden Audio-Schnipsel, die der Empfänger dann zeitverzögert abhören kann. Allein über Whatsapp werden täglich mehr als 200 Millionen solcher Nachrichten verschickt. Beim in China populären Dienst We Chat sind es bereits mehr als sechs Milliarden. Warum das so ist? Aus den Berichten von Trendforschungsinstituten und Sinus-Milieu-Interviews hört man O-Töne und Zitate, die besagen, dass Sprachnachrichten einfacher zu verstehen sind als geschriebene. Man müsse sich mit weniger Subtexten und Interpretationsmöglichkeiten auseinandersetzen. Die Sprachnachrichten werden als persönlicher wahrgenommen. Sie haben eine Änderung in der Körperhaltung zur Folge, wie man in Fußgängerzonen und auf Schulhöfen beobachten kann. Das Telefon wird nicht mehr zwischen Kopf und Schulter geklemmt, sondern abwechselnd vor Mund und Ohr gehalten. So wird das Handy wieder zum Walkie-Talkie, also genau jenem Kommunikationsinstrument, das es einst abgelöst hatte.
Amazon und Google arbeiten daran, unsere Sprache zu automatisieren. Wem das zu unpersönlich ist, verschickt einfach Audiodateien. Das korrigiert auch die Körperhaltung.
digital
https://www.sueddeutsche.de/digital/smartphone-sprachnachrichten-audio-whatsapp-1.4235678
Sprachnachrichten - Die Stimme kehrt zurück
00/12/2018
Nicht einmal hier, in der Factory in Berlin-Kreuzberg, wo die Programmierer in ein Bällebad tauchen können und die Türen mit dem Smartphone öffnen, ist Dorothee Bär vor ihnen sicher. Vor den Bedenkenträgern aus der alten Welt. Heute erscheinen sie in Gestalt von Gabriele Jeschke, 64 Jahre alt. "Durch die Computer", sagt Frau Jeschke, "was da für Arbeitsplätze wegfallen". Bär nickt. Sie kennt ihren Text. Als Bundesregierung achten wir auf lebenslanges Lernen, sagt sie. Durch die Digitalisierung würden auch Jobs geschaffen. Hier, die ganzen Programmierer, die habe es früher nicht gegeben. Jeschke blickt sie an, Dorothee Bär ist noch nicht fertig. Jetzt erzählt sie von zu Hause. In ihrem Dorf in Unterfranken nämlich, da lebt die ganze Familie unter einem Dach. Ihre Schulkinder mit der 83-jährigen Großmutter. Da hilft der Enkel der Oma auch mal mit dem Handy. Jeschkes Antwort kommt prompt. "Deswegen sind Sie so viel unterwegs", sagt sie. Bär wird ernst: "Das finde ich nicht nett." Manchmal, da könnte selbst Dorothee Bär wirklich schlechte Laune bekommen. Die Digitalisierungsbeauftragte Bär, 40, ist Staatsministerin im Kanzleramt. Im Internet aber ist die CSU-Politikerin einfach nur die Doro. Auf Instagram oder Twitter demonstriert Doro Bär mit bonbonfarbenen Bildern, wie viel Spaß ein Smartphone machen kann: Doro Bär oben auf dem Heuballen, vor Fernsehkameras, im Dirndl auf der Motorhaube, mit der Kanzlerin im Selfiemodus. Beim Tag der offenen Tür des Kanzleramts erklärt Bär ihre Rolle so: Sie sei das "Gesicht" der Digitalpolitik, "Ansprechpartnerin" und "Begeisterungsweckerin" für die digitale Zukunft. Denn die stellt man sich in der Bundesregierung ebenfalls schillernd vor. Sieben Ministerien reden bei der Digitalisierung mit Neue Präzision in der Medizintechnik, automatische Autos, lernende Maschinen und kommunizierende Roboter, all das soll künftig auch aus Deutschland kommen. "Artificial Intelligence (AI) made in Germany soll zum weltweit anerkannten Gütesiegel werden", heißt es in der neuen Strategie "künstliche Intelligenz". Von der Digitalisierung hänge der Wohlstand ab, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel. Für die großen Pläne gibt es auch schon einen ganzen Strauß neuer Gremien. Es gibt ein Digitalkabinett und einen Digitalrat, die Minister waren auf Digitalklausur mit digitaler Agenda. Kommende Woche ist in Nürnberg nun ein Digitalgipfel anberaumt. Allerdings hegen Fachleute und die Opposition ernste Zweifel, wie durchschlagend diese Politik der Regierung ist - und ob sie angesichts zersplitterter Zuständigkeiten überhaupt funktionieren kann. Gleich sieben Minister und die Kanzlerin werden am Dienstag zum Gipfel reisen. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) etwa, der Rezepte für die digitale Zukunft gern im eigenen Haus plant. Oder Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), zuständig für den Breitbandausbau. In der Regierung reden außerdem Wirtschafts-, Forschungs-, Justiz- und Innenministerium bei der Digitalisierung mit. Eigentlich bräuchte es jemanden, der all die Pläne koordiniert. Jemanden wie Dorothee Bär. Bär ist nur das Gesicht des digitalen Wandels Doch für diesen Job fehlt der Digitalbeauftragten der Einfluss - trotz Büro im Kanzleramt. Die Kanzlerin hat ihr eine andere Aufgabe übertragen: Bär soll mehr als 500 Behördengänge überflüssig machen. Elterngeld beantragen, Wohnsitz und Auto anmelden, solche Sachen. Von papierlosen, selbsterklärenden Formularen müssen die Amtsstuben der Republik allerdings erst mal überzeugt werden. Genau das ist der Job von Dorothee Bär. "Das bringt Ihnen gar nichts in der Öffentlichkeit und kostet wahnsinnig viel Zeit und Nerven", fasst sie zusammen. Zum Beispiel das Wohngeld. In der Factory referiert an diesem Novembertag ein Unterabteilungsleiter aus dem Innenministerium über den Antrag, oder besser: die Anträge. Denn jedes Bundesland hat einen anderen. Wenn alle Ämter es zuließen, könnten Bedürftige das Wohngeld bald so einfach online bestellen wie Pizza oder Schuhe. Der Service soll sich an den Kundenwünschen orientieren. Denn "Kunden", so nennt man hier im "Digitalisierungslabor" neuerdings die Bürger. Auf einer Leinwand erscheint eine zartgrüne Webseite, Berater von McKinsey klicken auf Buttons. Rentnerin Jeschke ist hier als Testperson engagiert. Sie fragt Dinge wie: "Betrifft das auch eine Zweitwohnung?"
Dorothee Bär ist im Kanzleramt für Digitalisierung zuständig. Eigentlich. Doch Bär hat politisch wenig Gewicht und kaum finanzielle Mittel.
digital
https://www.sueddeutsche.de/digital/dorothee-baer-digitalisierung-kanzleramt-flugtaxis-1.4234085
Dorothee Bär wird Deutschland nicht digitalisieren
00/12/2018
Rund 10000 Leihfahrräder des Anbieters Obike stehen in einer Lagerhalle in Schleswig-Holstein. In mehreren deutschen Städten gab es Probleme mit den silber-gelben Leihrädern von Obike. Dann machte die Firma plötzlich pleite - und in Deutschland lagen schlagartig Zehntausende Fahrräder herum. (Archvibild) Der Technopopulismus aus dem Silicon Valley war der Traum von einer digitalen Welt, in der jeder Künstler, Unternehmer, Rebell ist. Daraus wurde eine brutale Industrie, die viel zerstört und wenig schafft. Von sämtlichen Ideologien, die das Silicon Valley hervorgebracht hat, ist der Technopopulismus die absonderlichste. Es sind leere Versprechungen, die auf digitaler Disruption seismischen Ausmaßes beruhen und es schaffen, dass sich politische Kräfte davon angesprochen fühlen, die ansonsten kaum einen gemeinsamen Nenner finden. Globalisten und Anti-Globalisten etwa, Nationalisten und Progressive. Mit dem Versprechen einer Welt der unmittelbaren und schmerzfreien persönlichen Selbstermächtigung ist der Begriff schwammig genug, um große Technologieunternehmen, Start-ups, Kryptowährungs-Aficionados und selbst die eine oder andere politische Partei zu vereinigen. Sie versprechen Dezentralisierung, Effizienz und Zwanglosigkeit Seine Vorgeschichte ist eher undurchsichtig. Das genaue Datum, an dem der Techno-Populismus Mainstream wurde, ist jedoch bekannt. Er geht zurück in das Jahr 2006, als das Time Magazine "You" zur "Person des Jahres" kürte, also all jene Millionen, die hinter dem nutzergenerierten Web der Nullerjahre standen. Damit wurden techno-populistische Themen tief in unser kollektives Unbewusstsein eingemeißelt. Obwohl die Zahl derer, die aktiv zu Webseiten wie Wikipedia oder Flickr beitrugen, relativ gering war, sorgte ihr universelles Freudenfest dafür, dass Fragen zur Macht der Konzerne und der Beständigkeit des aufstrebenden digitalen Utopia hintangestellt und abgebogen wurden. Nur wenige Jahre später war dieser Zukunftstraum tot und begraben: Hochzentralisiert und von lediglich einer Handvoll Plattformen dominiert, war das Web nur mehr ein Schatten seines vormals exzentrischen Selbst. Heute - im Jahr 2018 - ist der omnipotente, kreative User von 2006 zu einem zombieähnlichen Content-Junkie verkommen, süchtig danach, ständig und überall zu scrollen und zu liken, für immer und ewig gefangen in den unsichtbaren Käfigen der Datenbroker. Der ehrenwerte Versuch, jeden von uns zu einem Ehrenmitglied des innersten Zirkels der kulturellen Elite zu machen, hat uns stattdessen alle in die unauslöschlichen Listen der Cambridge Analytica verdammt. Der Mythos des "Nutzers, der ein Künstler ist" existiert nicht mehr. Der Geist des Techno-Populismus nährt sich jedoch heute von zwei ebenso mächtigen Mythen: der "Nutzer, der ein Unternehmer ist" und der "Nutzer, der ein Konsument ist". Sie versprechen viel: mehr Dezentralisierung, Effizienz, Zwanglosigkeit, und halten dabei die eigentliche Dynamik der digitalen Wirtschaft verborgen. Folglich ist die digitale Zukunft, die vor uns liegt - dominiert von Zentralisierung, Ineffizienz und Fremdkontrolle - schwieriger zu erfassen. Als Uber, Airbnb und ähnliche Plattformen noch in den Kinderschuhen steckten, konnte man fast glauben, dass eine globale Revolution horizontal differenziertere und informellere wirtschaftliche Aktivitäten freisetzen würde. Weg mit Berufskraftfahrern, Limousinen und Hotels; her mit Amateuren, Fahrrädern und Schlafcouches! Eine attraktive Vision, verankert in der gegenkulturellen Rebellion gegen Autorität, Hierarchie und Expertise. Eines fehlte ihr jedoch: der Rückhalt von politischen Parteien und sozialen Bewegungen. Letztere, einmal an der Macht, hätten dafür Sorge tragen können, dass für lokale Plattformen angemessene öffentliche Mittel bereitgestellt worden wären, um nicht den brutalen Gesetzen des Wettbewerbs ausgesetzt zu sein, und sie hätten ihren politischen Einfluss geltend machen können, um sie vor kommerziellen Wettbewerbern mit dicken Brieftaschen zu bewahren. Ähnliche Anstrengungen im vergangenen Jahrhundert - ein politisches Unterfangen par excellence - haben uns den Wohlfahrtsstaat beschert. Statt die Bildung und die medizinische Versorgung in die Hände privater Anbieter zu legen, wurden diese Bereiche den Zwängen des Marktes ganz bewusst entzogen. Zwar war der neu entstandene Wohlfahrtsstaat von einigen hierarchischen Exzessen geprägt, angesichts der politischen und technologischen Beschränkungen der damaligen Zeit war es jedoch ein vernünftiger Kompromiss. Heute kann man sich für die Bereitstellung solcher Dienstleistungen leicht einen horizontal differenzierteren Ansatz vorstellen, bei dem die lokale Autonomie, die demokratische Entscheidungsfindung und individuelle Eigenheiten weniger eingeschränkt werden. Dasselbe gilt für die Wirtschaft als Ganzes. Digitale Plattformen, Mittler des Zusammenspiels zwischen Bürgern, zwischen Bürgern und Unternehmen, aber auch zwischen Bürgern und Institutionen, sollten für diese Transformation von zentraler Bedeutung sein. Uber baut selbstfahrende Autos, Airbnb Hotelanlagen. Die Gesetze des Marktes verlangen das Es zeichnet sich jedoch bislang kein ähnliches politisches Unterfangen mit dem Ziel der Dekommodifizierung des frisch demokratisierten Staates und der Wirtschaft ab. Folglich sollten die lobenswerten Ziele der Selbstermächtigung, des Lokalismus und des Horizontalismus durch Einschmeicheln bei dem zwar mächtigen, aber heimtückischen Verbündeten erreicht werden, das heißt durch Synchronisierung des Herzschlags und der Bedürfnisse der digitalen Plattformen mit denen des globalen Kapitals. Alles lief gut - zumindest am Anfang. Car-, Bike- und Flatsharing sind regelrecht explodiert, dank massiver Kapitalspritzen, viele davon aus Staatsfonds oder von Risikokapitalgebern. Wie nett von Saudi-Arabien, mit seinen Erdöleinnahmen - durch Geschäfte mit der SoftBank in Japan - Reisen und Mahlzeiten in aller Welt zu subventionieren. Die Anbieter von Waren und Dienstleistungen auf digitalen Plattformen sowie deren Käufer und Mieter hatten allen Grund zum Jubeln. Erstere erhielten so die Möglichkeit, ihre ungenutzten Ressourcen von leer stehenden Wohnungen bis hin zu freier Zeit zu Geld zu machen. Letztere profitierten von Rabatten auf Fahrten, Mahlzeiten und Buchungen. Viele finanziell angeschlagene (Städte?) konnten nun auf digitale Plattformen zählen, wenn es darum ging, ihre marode Infrastruktur auszubauen bzw. zu erneuern und den Tourismus anzukurbeln. Dieses Märchen ist nun zu Ende. 2018 bedeutet für die Sharing Economy das, was 2006 für nutzergenerierte Inhalte bedeutete. Von hier aus kann es nur noch abwärts gehen. Plattformen werden nicht einfach verschwinden. Die ursprünglich hochgesteckten Ziele, die ihre Aktivitäten legitimierten, werden jedoch dem nüchternen und manchmal auch brutalen Imperativ weichen, den das eiserne Wettbewerbsgesetz auferlegt: Streben nach Profit. Uber mag mit gelegentlichen Fahrdiensten einigen armen Leuten geholfen haben, finanziell über die Runden zu kommen. Die Notwendigkeit, rentabel arbeiten zu müssen, bedeutet jedoch, dass das Unternehmen letztendlich keinerlei Skrupel haben wird, sich seiner Fahrer zu entledigen und auf vollautomatische Fahrzeuge umzusteigen. Ein Unternehmen, das allein im vorigen Jahr 4,5 Milliarden Dollar Verlust gemacht hat, wäre schlecht beraten, anders zu handeln. Airbnb mag sich als Verbündeter des Mittelstands gegen fest eingewurzelte wirtschaftliche Interessen präsentiert haben. Doch der Zwang zu höherer Wirtschaftlichkeit zwingt das Unternehmen schon jetzt, sich mit Firmen wie Brookfield Property Partners zusammenzuschließen, einer der größten Immobiliengesellschaften der Welt, um hotelähnliche Wohnanlagen à la Airbnb entstehen zu lassen, oftmals durch den Aufkauf oder den Umbau bestehender Apartmenthäuser. Nur wenige fest eingewurzelte Interessen werden hier verletzt. Mal vielleicht abgesehen von denen der Mieter, die mit ansehen müssen, wie ihre Wohnblöcke in Airbnb-Hotels umgewandelt werden. Angesichts der gewaltigen Geldsummen, um die es dabei geht, werden die derzeitigen Kämpfe, wie sie etwa im Bereich Ridesharing ausgefochten werden, vermutlich zu einer stärkeren Zentralisierung führen, sodass jede Region am Ende von lediglich einer oder zwei Plattformen kontrolliert werden wird. Die Kapitulation von Uber in China, Indien, Russland sowie in weiten Teilen Südostasiens und Lateinamerikas vor lokalen Playern, hinter denen oftmals ebenfalls saudische Investoren stehen, legt dies nahe. Und die alteingesessenen und hierarchischen Industrien werden nicht ewig untätig bleiben, wie uns auch die Erfahrung der vorangegangenen digitalen Revolution lehrt. Man denke nur an den kürzlich erfolgten Aufkauf des vielversprechenden Start-ups für E-Scooter mit dem Namen Spin durch den Automobilkonzern Ford. Derartige Entwicklungen stehen im Widerspruch zu der techno-populistischen Rhetorik der Disintermediation. Sie generieren darüber hinaus eine Menge Abfall - Berge herrenloser Fahrräder, überall rund um den Erdball. Die zunehmende Verkehrsdichte auf verstopften Straßen - die Konsequenz dessen, dass wir es zulassen, dass das globale Kapital das Ridesharing erobert, statt die Angebote der weitaus effizienteren öffentlichen Verkehrsmittel auszubauen - bekommen wir bereits zu spüren. Wir können uns nicht einfach eine demokratischere Gesellschaft kaufen Die Müllberge, die von den neuen Zulieferdiensten der Shoppingportale generiert werden, entsprechen wohl kaum der nachhaltigen Zukunft, wie sie von Techno-Populisten beworben wird. Die stark subventionierten Fahr- und Menüpreise - temporäre Folgen des intensiven Wettbewerbs - werden nicht von Dauer sein. Die hohen Verluste müssen von den wenigen erfolgreichen Wettbewerbern irgendwann wieder hereingeholt werden - vermutlich über höhere Preise. Der Mythos der Gegenwart vom omnipotenten Verbraucher-Unternehmer ist tot. Der Techno-Populismus wird jedoch überleben und weiterhin pauschale Versprechen über die Blockchain, künstliche Intelligenz oder auch die Smart City verkünden. Viele dieser Versprechen mögen sehr verlockend sein. Doch ohne eine starke politische Agenda - die sich keinerlei Illusionen hinsichtlich der Fähigkeit des globalen Kapitals, die soziale Emanzipation voranzutreiben, hingibt - werden sie genau das Gegenteil bewirken. Wir können nicht einfach hingehen und uns eine demokratischere Gesellschaft kaufen - und ganz gewiss nicht mit saudischem Geld. Aus dem Englischen von Martina Wendl.
Der Technopopulismus aus dem Silicon Valley war der Traum von einer digitalen Welt, in der jeder Künstler, Unternehmer, Rebell ist. Daraus wurde eine brutale Industrie, die viel zerstört und wenig schafft.
digital
https://www.sueddeutsche.de/digital/digitale-utopien-zurueck-bleiben-nur-berge-von-fahrraedern-1.4232299
Vom Technopopulismus bleibt vor allem Zerstörung
00/12/2018
The Quiet Man Die Lippen des Gangsters in dem grünen Hoodie bewegen sich, er sieht wütend aus. Worte kommen beim Spieler allerdings nicht an: Dane, der Protagonist in dem Action-Adventure "The Quiet Man", ist taubstumm. Auch als der Gangster und seine Kollegen auf ihn zustürmen und auf ihn einschlagen, hört man nur ein dumpfes Wummern, sonst bleibt es ruhig. Die animierten Spielszenen, in denen sich Dane meist mit irgendwelchen zwielichtigen Gestalten prügelt, werden von Zwischensequenzen mit echten Schauspielern unterbrochen. Das ist ein eher ungewöhnliches Stilmittel in Zeiten, in denen Computerspielgrafik immer realistischer aussieht. Die Szenen sollen die Geschichte verständlicher machen. Das gelingt allerdings nicht so richtig. Auch sonst bleibt es nur bei einem spannenden Ansatz ohne Spieltiefe. Die Kämpfe sind schwerfällig, die Charaktere sind allzu holzschnittartig und auch die Schauspieler verhelfen ihnen durch ihre Darstellung nicht zu mehr Glaubwürdigkeit. "The Quiet Man" ist am 1. November 2018 für PC und Playstation 4 erschienen.
"Battlefield 5" verzichtet auf Revolutionäres, "Fallout 76" versucht zu vieles gleichzeitig zu sein, und Football Manager gibt es erstmals auf Deutsch: Der November aus Gamer-Sicht.
digital
https://www.sueddeutsche.de/digital/games-november-battlefield-5-football-manager-2019-1.4233485
Games-Rückblick: Diese Spiele waren im November wichtig
00/12/2018
Viele Schüler jobben als Nachhilfe oder beim Bäcker, um sich einen Extra-Wunsch zu erfüllen. Für Pflegekinder ist das schwer. Wenn Heim- und Pflegekinder ihr Taschengeld durch einen Nebenjob aufbessern wollen, müssen sie drei Viertel ihrer Einnahmen abtreten. Felix Warnke zieht sich die Schürze aus und packt sie in den Wäschekorb im Mitarbeiterraum. Seit drei Monaten arbeitet der 16-Jährige jeden Samstag in einer alteingesessenen Hamburger Konditorei, verkauft Torten, Christstollen und Kekse an eine wohlhabende Kundschaft. Das macht er gut, die Kunden mögen ihn und geben ihm hin und wieder sogar Trinkgeld. Der Gymnasiast spart auf einen Laptop, er braucht ihn für die Schule und die Freizeit; zum Lernen, Praktikumsberichte schreiben und Netflix-Gucken. Doch gerade klappt es nicht so gut mit dem Sparen. Denn von seinen elf Euro Stundenlohn darf Felix Warnke, der eigentlich einen anderen Namen trägt, nur 2,75 Euro behalten. Den Rest muss er ans Jugendamt abtreten. Seit 14 Jahren lebt er bei einer Pflegefamilie, seine leiblichen Eltern können sich nicht kümmern. Dafür bekommen seine Pflegeeltern monatlich um die 900 Euro vom Jugendamt, für Unterhalt und weitere Kosten. Dieses Geld möchte sich der Staat nun von dem Schüler zurückholen: Felix soll drei Viertel seines Einkommens abgeben. "Unfair", findet Felix. "Alle meine Freunde jobben, um sich was dazuzuverdienen. Keiner von ihnen muss seinen Eltern etwas abgeben. Aber ich soll jetzt beim Amt für meine eigenen Kosten aufkommen. Was kann ich denn dafür, dass ich ein Pflegekind bin?" Dass der Staat bei erwachsenen Sozialhilfeempfängern oder erwerbsunfähigen Menschen zugreift, wenn sie über Einkommen oder Vermögen verfügen, ist bekannt. Doch auch Minderjährige sind davon nicht ausgenommen: Im achten Sozialgesetzbuch regelt Paragraf 94, dass junge Menschen und Leistungsberechtigte bei "vollstationären Leistungen" insgesamt "75 Prozent ihres Einkommens als Kostenbeitrag einzusetzen" haben. Das betrifft auch die ungefähr 142 000 Heimkinder und 90 000 Pflegekinder in Deutschland. Wenn sie als Jugendliche also im Café jobben, Zeitungen austragen oder im Supermarkt Konserven in Regale stapeln, um ihr Taschengeld aufzubessern oder für den Führerschein zu sparen, gehen drei Viertel direkt ans Jugendamt. Auch bei einer Ausbildung müssen sie 75 Prozent ihres Gehalts abgeben, wenn sie noch bei ihren Pflegeeltern wohnen. Auch Felix' Pflegemutter findet die Situation unfair. "Es ist doch ein Zeichen von Reife und Verantwortungsbewusstsein, wenn sich ein Kind einen Job sucht, um eigene Bedürfnisse selbst erfüllen zu können", sagt Andrea Wagner. "Stattdessen muss Felix nun dafür haften, dass seine leiblichen Eltern nicht in der Lage sind, sich um ihn zu kümmern. Damit ist er doppelt benachteiligt, auch gegenüber seinen zwei Geschwisterkindern." Andrea Wagner möchte allen ihren Kindern beibringen, dass harte Arbeit sich lohnt und man etwas leisten muss, um sich etwas leisten zu können - aber im Fall von Felix ist das gerade schwer zu vermitteln. "Die Wunde, dass er in unserer Familie kein leibliches Kind ist, ist für ihn eh schon groß - und so wird sie noch größer."
Wenn Heim- und Pflegekinder ihr Taschengeld durch einen Nebenjob aufbessern wollen, müssen sie drei Viertel ihrer Einnahmen abtreten.
karriere
https://www.sueddeutsche.de/karriere/pflegekinder-gehalt-steuern-1.4241789
Pflegekinder - 2,75 Euro Stundenlohn
00/12/2018
Spannungszüge, Widerstände und Temperatur ertasten: Eine Osteopathin erklärt, wie sie spürt, was ihren Patienten fehlt. Barbara Pucci arbeitet seit mehr als zehn Jahren als Osteopathin. Mit ihrem Mann führt sie eine Praxis in München. Beide haben eine Physiotherapie-Ausbildung und eine Zulassung zum Heilpraktiker. SZ: Frau Pucci, manche Patienten sprechen von ihrem Osteopathen wie von einem Magier. Gehört ein bisschen Show zu Ihrem Beruf dazu? Barbara Pucci: Für einige bestimmt. Für mich nicht. Allerdings wirkt für Patienten, die zum ersten Mal beim Osteopathen sind, vieles vielleicht tatsächlich geheimnisvoll oder gewöhnungsbedürftig. Schon, dass man ihnen und ihren Körpern so große Aufmerksamkeit schenkt. Wir untersuchen sie ja von Kopf bis Fuß. Häufig gibt es dabei Aha-Momente. Beispielsweise, wenn ich eine alte Verletzung im Gewebe entdecke. Dann erinnern sie sich: Ach ja, da bin ich mal gestürzt. Mich haben auch schon Patienten gefragt, ob ich eine Gabe habe. Und, haben Sie? Nein. Das ist auch nicht nötig. Ich würde sagen, die Grundvoraussetzung ist Einfühlungsvermögen, die Fähigkeit zur Empathie und eine stabile Persönlichkeit. Die Palpationsfähigkeit lässt sich schulen. Palpation? Das Wort leitet sich vom lateinischen "palpare" ab, was so viel wie "streicheln" heißt. So bezeichnet man in der Medizin die Untersuchung des Körpers durchs Abtasten. Das lernen wir in unserer Ausbildung und durch jahrelange Erfahrung. In der menschlichen Großhirnrinde gibt es ein Areal für die Hände. Bei Blinden ist dieses Areal vergrößert. Weil sie ihren Tastsinn ständig trainieren - beispielsweise, wenn sie Braille-Schrift lesen -, bekommt das Gehirn unentwegt Reize und verschaltet sich weiter. Ich kann mir vorstellen, dass es bei Osteopathen ähnlich ist. Mit welcher Erwartung kommen die Patienten zu Ihnen? Manche kommen alle sechs Wochen, um sich sozusagen einem Check zu unterziehen. Wenn sich etwas anbahnt, können wir gegensteuern, eh es ein Problem wird. Für die meisten sind wir aber der letzte Anlaufpunkt, nachdem sie von einem Arzt zum anderen gegangen sind. Allerdings können auch wir ihre Erwartungen nicht immer erfüllen: Wer 20 Jahre Schmerzen gelitten hat, wird diese nicht in zwei, drei Behandlungen los. Wie fühlen Sie, was den Patienten fehlt? Wir spüren durch das Auflegen unserer Handflächen und Finger die Konsistenz des Gewebes unter der Haut. Ist da ein Spannungszug, ein Widerstand, oder ist es elastisch und durchlässig? Dafür gibt es bestimmte Handgriffe - kräftigere für die Muskeln und Knochen, zartere für die Organe im Bauchraum. Die Beweglichkeit der Gelenke testen wir im Links-rechts-Vergleich. Wichtig ist, dass man offen an die Untersuchung herangeht und nicht nach dem Motto: Ach, der Patient klagt über diese Beschwerden, dann muss er jenes Problem haben. Dafür muss man den Kopf frei haben. Wie stellen Sie das an? Vor jeder Untersuchung versuche ich mich zu erden. Ich stelle mich fest auf beide Beine und versuche meinen inneren Ruhepunkt zu finden. Während der Untersuchung konzentriere mich ganz auf den Körper des Patienten. Darum rede ich auch kaum dabei. Und wie behandeln Sie? Auch dafür gibt es Handgriffe. Mal geben wir Impulse, mal dehnen wir, mal bewegen wir. Unsere Patienten erhalten auch gymnastische Übungen als Hausaufgaben. Ihre Hände sind Ihr wichtigstes Arbeitsinstrument. Haben Sie sie versichert? Ich könnte mir vorstellen, dass es Kollegen gibt, die das tun. Ich habe nur eine ganz normale Berufsunfähigkeitsversicherung. Tatsächlich ist schon ein Schnitt mit dem Küchenmesser ein Problem. Ein Pflaster schränkt den Tastsinn sehr ein. Von einer Narbe ganz zu schweigen. Gibt es etwas, auf das Sie zum Schutz Ihrer Hände ganz verzichten? Ich achte zumindest sehr genau darauf, welche Sportart ich treibe. Mit meinen Kindern gehe ich jetzt im Winter trotzdem ab und an Schlittschuhlaufen. Oder auch mal Langlaufen mit meinem Mann. Im vergangenen Jahr bin ich dabei gestürzt. Auf meine Hand! Da lag ich auf dem Rücken wie ein Käfer. Statt mich aufzurappeln, habe ich erst einmal meine Hand untersucht. Es hat noch alles funktioniert. Das war mir in dem Moment das Wichtigste.
Spannungszüge, Widerstände und Temperatur ertasten: Eine Osteopathin erklärt, wie sie spürt, was ihren Patienten fehlt.
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Unter die Haut
00/12/2018
Die Osteopathen wollen als dritter Heilberuf neben den Ärzten und Heilpraktikern anerkannt werden - doch Ausbildung und Berufszulassung in ihrem Fach sind kaum geregelt. Vor zwei oder drei Jahrzehnten mussten die meisten Menschen den Begriff "Osteopathie" wohl erst einmal nachschlagen. Heute sieht das anders aus: Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage war fast jeder fünfte Deutsche über 14 Jahre schon einmal beim Osteopathen. Tendenz steigend. In Auftrag gegeben hat die Studie der VOD, der Verband der Osteopathen Deutschland. Dessen Vorsitzende Marina Fuhrmann schätzt, dass es ungefähr 10 000 Osteopathen in Deutschland gibt. Und das, obwohl der Beruf nach Ansicht der Bundesärztekammer eigentlich gar nicht existiert. Geschützt ist die Bezeichnung jedenfalls nicht. Darum fordert Fuhrmann ein Berufsgesetz für Osteopathen. Der VOD will einen dritten Heilberuf neben den Ärzten und Heilpraktikern installieren. "Der Staat vernachlässigt seine Schutzpflicht gegenüber den Patienten, die keine Unterscheidungsmöglichkeit haben, wer qualifiziert ist und wer nicht", meint Fuhrmann. Sie selbst lehrt das Fach an der privaten, staatlich anerkannten Fachhochschule Fresenius in Idstein bei Frankfurt. Vor sechs Jahren wurde sie zur ersten Osteopathie-Professorin Deutschlands ernannt. "Angst vor Berührung darf man nicht haben." Der Begriff Osteopathie setzt sich aus den altgriechischen Wörtern für Knochen und Leiden zusammen. "Tatsächlich geht es aber um viel mehr", sagt Anja Clausen, die seit 2010 in München als Osteopathin arbeitet. Es gehe um den ganzen Körper mit all seinen Knochen, Muskeln, Organen und vor allem um die Versorgung des Gewebes mit Blut und Lymphflüssigkeit. "Mein wichtigstes Arbeitsinstrument sind meine Hände", sagt Clausen. Die Osteopathie betrachtet den Körper als ein Zusammenspiel von Bewegungen. Ist die Bewegungsfreiheit eines Körperteils, eines Organs, eingeschränkt, entstehen zunächst Gewebespannungen und daraus Funktionsstörungen. Mit ihren Händen will Clausen diese Blockaden ertasten und beseitigen und den Körper so zur Selbstheilung anregen. "Die Technik ist das eine", sagt Clausen. Wichtiger noch sei es, spüren zu können. Was ist Osteopathie? Die Osteopathie ist eine Heilkunde, bei der die Untersuchung und Behandlung durch die Hände im Zentrum steht. Osteopathen gehen davon aus, dass der Körper selbst in der Lage ist, sich zu regulieren und sogar zu heilen, wenn alle Strukturen gut beweglich und versorgt sind. Nach einer Definition des VOD braucht jedes Körperteil und jedes Organ Bewegungsfreiheit, um optimal zu funktionieren. Ist die Beweglichkeit eingeschränkt, entstehen zunächst Gewebespannungen und in Folge Funktionsstörungen. Die Summe dieser Fehlfunktionen kann der Organismus nicht mehr kompensieren - es entstehen Beschwerden. sz Fünf Jahre hat ihre Ausbildung an der Osteopathie-Akademie München gedauert: neben Anatomie-Büffeln viel Praxis-Unterricht. "Angst vor Berührung und Scheu, nackt zu sein, darf man in der Ausbildung nicht haben", sagt Clausen. Bevor die Lernenden auf die ersten Patienten losgelassen werden, dienen sie sich gegenseitig als Versuchsobjekte. 1350 Unterrichtsstunden musste sie absolvieren und vier Prüfungen bestehen. Wer im Internet nach "Osteopathie" sucht, findet unübersichtlich viele Einrichtungen, die unterschiedlichste Ausbildungen anbieten. Drei Hochschulen bieten sogar Bachelor- und Master-Abschlüsse in Osteopathie an. Neben der Fresenius Hochschule sind das die Dresden International University und die SRH Hochschule für Gesundheit in Gera. Bundesweite Qualitätsstandards gibt es allerdings nicht. Fuhrmann will das ändern. Doch der Gesetzgeber hält sich zurück. "Da besteht auch kein Regelbedarf", sagt Johannes Buchmann, der die Klinik für Psychiatrie, Neurologie, Psychosomatik und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter in Rostock leitet. 2009 gehörte er zu einem Arbeitskreis, der für die Bundesärztekammer die osteopathischen Verfahren wissenschaftlich bewertet hat. Das Fazit: Die Osteopathie sei kein eigenständiger Beruf. Viele der Methoden seien bereits Teil der manuellen Medizin, die - der Name sagt es schon - ebenfalls geschulte Handgriffe für die Behandlung, aber auch für die Diagnose erfordert. Die Ärzte suchen gezielt nach Muskelverspannungen, Bindegewebsveränderungen oder Temperaturdifferenzen, die auf ein Problem hindeuten. Vermittelt werden diese Methoden allerdings nicht im Studium oder in der Facharztausbildung, sondern lediglich in medizinischen Weiterbildungen. Clausen hat vor ihrer Osteopathie-Ausbildung bereits eine Lehre zur Physiotherapeutin und ein Medizinstudium erfolgreich abgeschlossen. Heute arbeitet sie nur noch osteopathisch. Jeden Tag behandelt sie fünf Patienten in ihrer kleinen Praxis. "Mehr schaffe ich nicht", sagt sie. "Die Arbeit ist so intensiv, dass danach meine Konzentration am Ende ist." Vor jeder Diagnose befragt sie die Patienten ausgiebig und tut vor allem eines: Sie hört zu. Für jeden nimmt sie sich eine Stunde Zeit, also ungefähr 53 Minuten mehr, als das durchschnittliche Gespräch zwischen Arzt und Patienten dauert. Für sie ist dies einer der Gründe, sich nach der Approbation an der Osteopathie-Akademie einzuschreiben. "Und weil ich gern über den Tellerrand schaue", sagt sie. Detailansicht öffnen Wie fühlt sich die Haut an? Gibt es Spannungen im Gewebe? Sind Körperstellen warm? Solche Fragen leiten Osteopathen bei der Untersuchung. (Foto: imago) Clausens Patienten kommen mit den unterschiedlichsten Beschwerden zu ihr: Kopf- oder Rückenschmerzen, Verdauungsprobleme oder Bluthochdruck beispielsweise. Wer nicht wie Clausen bereits Arzt ist und als Osteopath praktizieren möchte, muss sich allerdings mit einem Trick behelfen. "Manche Vorstellungen stammen noch aus dem 19. Jahrhundert." Physiotherapeuten mit Osteopathie-Ausbildung, aber ohne Heilpraktiker-Zulassung etwa, dürfen nur auf Verordnung eines Arztes osteopathische Methoden anwenden. Ohne ärztliche Verordnung dürfen das in Deutschland lediglich Ärzte selbst und Heilpraktiker. Und da man Medizin in der Regel nicht mal eben nebenbei studiert, bieten die meisten Osteopathie-Akademien zusätzlich die entsprechenden Fortbildungsbausteine zum Heilpraktiker an. Für diesen benötigt man lediglich einen Hauptschulabschluss. Auch der Aufwand für die amtliche Zulassungsprüfung ist recht überschaubar. Allein im Bundesland Hessen, wo die Osteopathie-Professorin Marina Fuhrmann praktiziert, hat der VOD es geschafft, diesen Zustand zu ändern. Dort regelt eine Verordnung seit 2008 die Weiterbildung zum Osteopathen. Sie gilt für Physiotherapeuten, medizinische Bademeister, Masseure und Heilpraktiker. Diese können nun an staatlich anerkannten Osteopathie-Schulen den Titel "staatlich anerkannter Osteopath" erlangen. Die Bundesärztekammer sieht das kritisch: Die Osteopathie gehöre zwingend in die Hände von qualifizierten Ärzten und Physiotherapeuten. "Wer sich dem verweigert, spielt ohne Not mit der Gesundheit und Sicherheit von Patienten", warnte der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, vergangenes Jahr in einem Brief an das Bundesgesundheitsministerium. "Manche medizinischen Vorstellungen der Osteopathie stammen noch aus dem 19. Jahrhundert", erklärt der Rostocker Professor Buchmann. Entwickelt hatte sie damals der amerikanische Mediziner Andrew Taylor Still. In den USA ist das Studium der Osteopathie seit den 1960er-Jahren eine akademische Ausbildung. Die ungefähr 54 000 amerikanischen Osteopathen führen den Titel D.O., "Doctor of Osteopathy". Mittlerweile wird die Osteopathie in nahezu allen Ländern Europas praktiziert. In einigen, beispielsweise in Großbritannien, Finnland und Frankreich, ist sie berufsgesetzlich geregelt. Die Berechtigung einiger osteopathischer Methoden zweifelt auch Buchmann nicht an. Er hebt besonders die "sehr guten Handgriff-Techniken" hervor. Und mehr noch: Für die Ärztevereinigung für Manuelle Medizin bildet Buchmann Ärzte weiter, die das Diplom für ärztliche Osteopathie anstreben. Die osteopathischen Fachverbände und Ausbildungseinrichtungen haben ebenfalls ihre eigenen Standards geschaffen. 2004 haben sie die Bundesarbeitsgemeinschaft Osteopathie gegründet und Eckpunkte für die Osteopathie-Ausbildung festgelegt - eine Art Zulassungs-TÜV. Egal auf welchem Weg man Osteopath geworden ist: Einige der gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten für die Patienten zumindest teilweise. Die liegen zwischen 60 und 200 Euro pro Stunde. Der Preis hängt von der Region ab und davon, ob der Osteopath Arzt oder Heilpraktiker ist. Mediziner können etwas mehr verlangen. Wer sich als Osteopath selbständig macht und eine akzeptabel laufende Praxis hat, kann in der Regel gut davon leben. Bei Physiotherapeuten, besonders bei angestellten, sieht das oft anders aus.
Die Osteopathen wollen als dritter Heilberuf neben den Ärzten und Heilpraktikern anerkannt werden - doch Ausbildung und Berufszulassung in ihrem Fach sind kaum geregelt.
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Süddeutsche.de
00/12/2018
Wie es sich anfühlt, für die eigene Identität die Karriere aufzugeben Wie Glück, Geschlechterrolle und Arbeit zusammenhängen - ein Interview mit dem Stabhochspringer Balian Buschbaum, der als Yvonne Buschbaum deutsche Meisterin wurde. Balian Buschbaum hieß in einem früheren Leben Yvonne. Bis er sich zu einer Geschlechtsangleichung entschied und das Ganze auch öffentlich machte. Der Stabhochspringer, bis dahin bekannt als Deutscher Meister und Olympiateilnehmer, musste sich plötzlich öffentliche Kommentare zu seinen privatesten Themen gefallen lassen. Im Plan W Podcast erzählt er, warum sein neues Leben es wert war, den Traum vom Profisport aufzugeben, was er Unternehmen mit transsexuellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern rät und warum er selbst über intime Details spricht, obwohl er sie eigentlich lieber für sich behalten würde. Lassen Sie uns wissen, wie Ihnen der Plan W Podcast gefällt und nehmen Sie an unserer Umfrage teil: http://www.sz.de/planwpodcast. So können Sie den Plan W-Podcast abonnieren: Der Plan W-Podcast erscheint alle vier Wochen und greift den Schwerpunkt des aktuellen Plan W-Heftes auf. Alle Folgen finden Sie hier. Verpassen Sie keine Folge und abonnieren Sie unser Audio-Angebot, etwa bei: Spotify iTunes Deezer oder in Ihrer Lieblings-Podcast-App. Sie haben Fragen oder Anregungen? Dann schreiben Sie uns sz-planw@sueddeutsche.de. Der Plan W Podcast ist eine hauseins-Produktion für die Süddeutsche Zeitung.
Wie Glück, Geschlechterrolle und Arbeit zusammenhängen - ein Interview mit dem Stabhochspringer Balian Buschbaum, der als Yvonne Buschbaum deutsche Meisterin wurde.
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Plan W Podcast mit Balian Buschbaum
00/12/2018
Manche IT-Jobs, etwa im Bereich der künstlichen Intelligenz, setzen ein Studium voraus. Für andere genügt eine Ausbildung - aber die Abbrecherquote ist hoch. Aus Bluetooth-Lautsprechern hören immer mehr Menschen ihre Lieblingsmusik, unabhängig davon, in welchem Zimmer ihrer Wohnung sie sich aufhalten. Die Waschmaschine weiß, wann sie den Nachtstrom nutzt - und Autos kommen ganz ohne Fahrer aus. Computersysteme finden sich heute in nahezu allen Bereichen des Lebens. Versteckt und ganz offensichtlich. Und es braucht viele Menschen, die Geräte erdenken, aber auch die Software dahinter programmieren und auf dem Laufenden halten. Denn: Nicht nur im Privaten ist der Computer allgegenwärtig. "Es gibt kein Unternehmen mehr, das ohne IT auskommt", sagt Juliane Petrich, Leiterin für den Bereich Bildung im Branchenverband Bitkom. Welchen Stellenwert die Informatik inzwischen hat, zeigt sich auch in den Führungsetagen zahlreicher Unternehmen - dort gibt es oft neben dem CEO und dem CFO, dem Chef für Finanzen, auch einen CIO. Das ist der "Chief Information Officer", der Chef über die Daten. Der Bedarf an Fachkräften ist enorm, sagt Petrich. Nach Angaben des Portals Statista waren im vergangenen Jahr 21 500 Menschen im Bereich der IT-Hardware tätig. 875 000 Berufstätige beschäftigten sich mit IT-Services und -Software, wobei vor allem in letzterem Bereich die Anzahl der Beschäftigten in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Erst vor wenigen Jahren sind zahlreiche neue Ausbildungsberufe entstanden, aber auch an den Hochschulen gibt es jede Menge Studiengänge im Bereich Informatik. "Allerdings liegt die Abbrecherquote bei circa 50 Prozent", berichtet Petrich. Denn die Erwartungshaltung und die Inhalte gingen stark auseinander. Weit verbreitet und trotzdem sehr gesucht sind die Berufsbilder Softwareentwickler, IT-Sicherheitsexperten, Data Scientist und KI-Entwickler, wobei der Weg in diese Jobs meist über ein Studium führt. Sehr häufig taucht der Begriff "Softwareentwickler" in Stellenanzeigen auf, doch er ist nicht scharf definiert. "Es gibt verschiedene Rollen im Team", erläutert Petrich. Da ist zum einen der Frontend-Entwickler: Er ist für die grafische Umsetzung von Programmen zuständig oder die Schnittstellen für die Nutzer. Er macht die Programme also für die Mitarbeiter möglichst verständlich und einfach zu bedienen. Der Backend-Entwickler hingegen "implementiert die funktionale Logik im Hintergrund". Das bedeutet, er sorgt dafür, dass die Programme den Anforderungen der Unternehmen entsprechen und dass alles reibungslos funktioniert. In den Beruf des Software-Entwicklers kann nahezu jedes Informatikstudium führen.
Manche IT-Jobs, etwa im Bereich der künstlichen Intelligenz, setzen ein Studium voraus. Für andere genügt eine Ausbildung - aber die Abbrecherquote ist hoch.
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Digitalisierung - IT-Experten verzweifelt gesucht
00/12/2018
Da geht noch was: So war 2018 für Frauen in der Wirtschaft Was hat sich vergangenes Jahr getan, was muss 2019 passieren, damit Gleichberechtigung auch im Job näher rückt? 2018 war ein Scharnierjahr für Frauen in der Arbeits- und Unternehmenswelt, sagt der Ressortleiter des Wirtschaftsteils der SZ, Marc Beise. Warum, erklärt er in dieser Folge des Plan W Podcasts. Wir schauen mit ihm zurück: Was hat sich getan, was muss sich noch tun? Marc Beise verrät, welche Gedanken sich Konzernchefs hinter verschlossenen Türen zum Thema Gleichberechtigung machen, welche Branchen schon mit gutem Beispiel voran gehen, und warum es um viel mehr geht als nur um Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Außerdem hören Sie, welche Wünsche und Hoffnungen erfahrene Unternehmerinnen und Gründerinnen für das kommende Jahr haben. Lassen Sie uns wissen, wie Ihnen der Plan W Podcast gefällt und nehmen Sie an unserer Umfrage teil: http://www.sz.de/planwpodcast. So können Sie den Plan W-Podcast abonnieren: Der Plan W-Podcast erscheint alle vier Wochen und greift den Schwerpunkt des aktuellen Plan W-Heftes auf. Alle Folgen finden Sie hier. Verpassen Sie keine Folge und abonnieren Sie unser Audio-Angebot, etwa bei: Spotify iTunes Deezer oder in Ihrer Lieblings-Podcast-App. Sie haben Fragen oder Anregungen? Dann schreiben Sie uns sz-planw@sueddeutsche.de. Der Plan W Podcast ist eine hauseins-Produktion für die Süddeutsche Zeitung.
Was hat sich vergangenes Jahr getan, was muss 2019 passieren, damit Gleichberechtigung auch im Job näher rückt?
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Plan W Podcast:So war 2018 für Frauen in der Wirtschaft
00/12/2018
Ein großer Raum hat den Vorteil, dass sich die Mitarbeiter näher sind. Es hat aber auch den Nachteil, dass sich die Mitarbeiter näher sind. Großraumbüros gelten als modern. Doch je näher viele Mitarbeiter beieinandersitzen, umso größer wird die Gefahr von Stress und Konflikten. Mit ein paar Tricks wird das Arbeiten angenehmer. Ist es Lümmelsessel, Businessclasssitz oder Luxuskinostuhl? Klar wird das nicht gleich. Knallgrüner Filz, ein Ausklapptischchen, ringsum eine Art Milchglasscheibe, dazu eine Lampe und für die Beine ein Filzhocker. Doch, es ist ein Arbeitsplatz. Die "Brody Work Lounge" steht in der Münchner Niederlassung des weltgrößten Büromöbelherstellers Steelcase. Das Unternehmen hatte 1914 seinen Durchbruch mit einem feuerfesten Papierkorb aus Stahl. Dass 114 Jahre später ein Stuhl mit Sitzheizung als Vorzeigeobjekt präsentiert wird, sagt viel aus über die moderne Arbeitswelt.
Großraumbüros gelten als modern. Doch je näher viele Mitarbeiter beieinandersitzen, umso größer wird die Gefahr von Stress und Konflikten. Mit ein paar Tricks wird das Arbeiten angenehmer.
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Großraumbüro: So wird das Arbeiten angenehmer
00/12/2018
Die Reporterin Birte Meier wird von ihrem Sender als "Redakteurin mit besonderer Verantwortung" geführt. Sie arbeitet seit mehr als zehn Jahren für das ZDF, für das Politmagazin Frontal 21 hat sie Missstände aufgedeckt und Journalistenpreise gewonnen. Doch die besondere Verantwortung ging bei der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt offenbar nicht mit einem besonderen Gehalt einher. Jedenfalls will Birte Meier eines Tages festgestellt haben, dass sie weniger verdiente als ihre männlichen Kollegen, einer bekam sogar netto mehr als sie brutto. Meier versuchte erst, sich mit dem Sender zu einigen, als das scheiterte, verklagte sie das ZDF unter anderem auf eine Entschädigung von 70 000 Euro. Ihren ersten Prozess hat sie Anfang 2017 verloren, weil das Gericht damals fand, Meier sei als so genannte fest-freie Mitarbeiterin für das ZDF tätig und deswegen könne man ihr Gehalt nicht mit dem von Festangestellten vergleichen. Gegen das Urteil hat sie Berufung eingelegt, am Dienstag trafen sich nun alle Beteiligten vor dem Berliner Landesarbeitsgericht wieder. Auf dem Tisch der Richterin stapeln sich die Akten, in dem Verfahren geht es um Grundsätzliches. Verdient Birte Meier tatsächlich weniger, weil sie als Frau diskriminiert wird? Und wenn ja, wie weist man dies nach? Birte Meiers Anwältin Chris Ambrosi versucht es, indem sie im Gerichtssaal zahlreiche Indizien dafür vorträgt, dass Birte Meier den gleichen Job wie ihre Kollegen machte. Zum einen habe sie gearbeitet wie eine fest angestellte Redakteurin, Arbeitszeiten und Dienstort seien vorgegeben gewesen, Urlaub habe sie beantragen müssen. Zum anderen habe sie als Co-Autorin zusammen mit den besser entlohnten Kollegen Beiträge gemacht, also dasselbe geleistet. Und die Anwältin spricht von einer "Benachteiligungskultur", die sich explizit gegen Frauen richte. Frauen seien in Birte Meiers Redaktion unterrepräsentiert, ein früherer Redaktionsleiter habe Frauen in Vorstellungsgesprächen nach ihrem Kinderwunsch gefragt und bei einer Weihnachtsfeier gesagt, Frauen hätten im politischen Journalismus nichts zu suchen. Ein Klima, das dazu geführt habe, dass Frauen am Ende auch weniger verdienten, glaubt Meiers Anwältin Chris Ambrosi. Zwölf Männer hätten mehr verdient als Birte Meier, sagt die Anwältin. Auch solche, die weniger Berufserfahrung hätten und kürzer beim ZDF seien als die 47-Jährige. Ein Kollege, der gerade mal sechs Monate länger im Betrieb war als Meier, habe 700 Euro mehr verdient, Meier selbst habe auf eine Gehaltserhöhung von 250 Euro drei Jahre warten müssen. Die Anwälte vom ZDF halten dem entgegen, dass Birte Meier nicht diskriminiert, sondern im Rahmen der Tarifverträge für freie und fest angestellte Mitarbeiter entlohnt worden sei, die das ZDF mit den Gewerkschaften vereinbart habe. Die Klage sei daher unzulässig. Auch habe gerade der erwähnte Redaktionsleiter mehrere Frauen in Führungsjobs gehoben, "das wird hier alles sehr plakativ dargestellt". Der Zuschauerraum ist gut gefüllt. Es sind viele Journalistinnen gekommen, Birte Meier wird inzwischen auch von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) unterstützt, die sich juristisch für Grund- und Menschenrechte einsetzt. Nora Markard aus dem Vorstand der GFF sagt, der Fall sei eindeutig. Es gebe sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene Rechte zur Entgeltgleichheit. Und die sehen nun mal vor, dass Frauen für die gleiche Arbeit nicht weniger verdienen dürfen als Männer. Das Entgelttransparenzgesetz hilft der Reporterin nicht Vor dem Landesarbeitsgericht wird allerdings klar, dass es zwei verschiedene Dinge sind, ob man sich ungerecht behandelt fühlt oder von der Justiz bestätigt bekommt, dass dahinter eine strukturelle Ungleichbehandlung steckt. "Kann man aus Sachen, die nicht in Ordnung sind, folgern, es gibt eine Benachteiligungskultur?", fragt dann auch die Richterin. "Da ist die Frage, wie stellt man die fest." Meier braucht eine offizielle Auskunft vom ZDF, dass ihre männlichen Kollegen mehr verdienen, die muss sie aber ebenfalls erst vor Gericht erstreiten. Zwar gibt es seit Juli 2017 das Entgelttransparenzgesetz, also die Möglichkeit, in Unternehmen ab 200 Mitarbeitern Lohnlisten einzusehen, allerdings nicht für alle. Birte Meier etwa fällt, weil sie beim ZDF nicht fest angestellt ist, dabei möglicherweise heraus. Die Richterin vertagt ihre Entscheidung am Dienstag auf Februar, bis dahin haben alle Beteiligten nun Zeit, weitere Argumente zu sammeln. Und Birte Meier? Die Journalistin will sich erst einmal nicht äußern. Als eine von sehr wenigen Frauen, die sich juristisch gegen Ungleichbehandlung wehren, steht für sie viel auf dem Spiel. Bereits im ersten Prozess hatten ihr die Anwälte des ZDF nahegelegt, den Sender zu verlassen.
Der Rechtsstreit zwischen der "Frontal 21"-Reporterin Birte Meier und dem ZDF geht in die nächste Instanz. Die Richterin muss entscheiden, ob die Klägerin aufgrund ihres Geschlechts weniger verdient.
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Gehalt - Was hat sie verdient?
00/12/2018
Soll ich sagen, dass ich auch weniger Gehalt akzeptieren würde? Kathrin S. sucht einen neuen Job mit familienfreundlicheren Arbeitszeiten. Dafür würde sie auf Geld verzichten - und bittet den Jobcoach um Rat. SZ-Leser Kathrin S. fragt: Ich bin Betriebswirtin mit langjähriger internationaler Vertriebserfahrung und Mutter zweier Schulkinder. Nun bin ich - in ungekündigter Stellung - auf Jobsuche und habe das Gefühl, dass ich für viele Unternehmen zwar ein interessantes Profil habe, mein Wunschgehalt in Verbindung mit meiner gewünschten Arbeitszeit von maximal 30 Stunden aber abschreckend wirkt. Das Wunschgehalt ist mir dabei längst nicht so wichtig wie akzeptable Arbeitsbedingungen. Wie kann ich in meiner Bewerbung signalisieren, dass ich zu Abstrichen beim Gehalt bereit bin, ohne mich jedoch genau festlegen zu müssen? Vincent Zeylmans antwortet: Liebe Frau S., Ihr Profil hält alle Erfolgskomponenten für eine berufliche Weiterentwicklung bereit: BWL-Studium, Internationalität, Vertrieb, ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis. Damit können Sie sich auf viele Positionen bewerben. Dazu werden Frauen - aus meiner Beobachtung - derzeit häufig bevorzugt eingestellt. So weit, so gut. Dennoch sprechen Sie von einer Herausforderung, die durchaus real ist. Im Gegensatz zu Nachbarländern wie etwa den Niederlanden ist Teilzeit in Deutschland noch immer ein vermintes Gelände, zumindest für anspruchsvollere Tätigkeiten. Wenige Arbeitgeber können sich vorstellen, dass Fachexperten ihren Aufgabenbereich auch dann gut ausfüllen, wenn sie nicht täglich verfügbar sind. Und bei Führungskräften wird der Wunsch nach Präsenz ohnehin in Großbuchstaben geschrieben. Die Frage ist, wie Sie Vorurteilen und eventuell berechtigten Bedenken begegnen können. Wir leben in Zeiten, in denen "Home office" kein Fremdwort mehr ist. Auch Urlaubswochen und etwaige Krankheitstage werden schließlich überbrückt, ohne dass ein Unternehmen zusammenbricht. Was für ein Sechstel der Zeit möglich ist, könnte demnach auch ein Modell für das gesamte Jahr sein. Diese Überlegungen nutzen allerdings nichts, wenn sie vom Arbeitgeber nicht wahrgenommen werden. Wie kann es also zum Dialog kommen? Wo können Sie Ihre Argumente darlegen? Und wann ist der beste Zeitpunkt, um Ihren Wunsch nach Teilzeitarbeit kundzutun, ohne dass Sie Chancen vergeben? Natürlich ist der einfachste Weg die Einladung zum Vorstellungsgespräch. Wenn Sie den Eindruck haben, dass der Arbeitgeber von Ihnen angetan ist, können Sie die Forderung vorbringen, dass Sie nur "in Teilzeit zu haben sind". Aber ist das auch der beste Weg? Denn damit verärgern Sie möglicherweise Ihr Gegenüber. Denn hätte er das von vorneherein gewusst hätte, wäre möglicherweise keine Einladung erfolgt. Alternativ könnten Sie anrufen und sich im Vorfeld erkundigen, ob die Position auch in Teilzeit ausgeübt werden könnte. Diese Vorgehensweise ist fair - und gleichzeitig gefährlich. Denn möglicherweise erhalten Sie vorschnell eine ablehnende Rückmeldung, die auch damit zusammenhängt, dass der Arbeitgeber Ihre Bewerbungsunterlagen noch gar nicht gesehen hat. Der Königsweg scheint also folgendermaßen auszusehen: Sie senden Ihre Bewerbung und tun gleichzeitig kund, dass Sie Teilzeit bevorzugen würden. Über Abstriche beim Gehalt würde ich gar nicht reden. Die meisten Arbeitgeber suchen einen qualifizierten Mitarbeiter und sind bereit, diesen marktgerecht zu entlohnen. Wer sich als Schnäppchen anpreist, läuft Gefahr, an wahrgenommener Attraktivität zu verlieren. Ihre Gehaltsforderung ist ohnehin wettbewerbsfähig. Denn Sie füllen die Position nur in 75 Prozent der Zeit aus und nehmen somit Abstriche von 25 Prozent in Kauf. Vincent Zeylmans war lange Bereichsleiter und Geschäftsführer in internationalen Konzernen und kennt deren Rekrutierungspolitik aus der Praxis. Heute lebt er als Autor, Karrierecoach und Outplacementberater in Emmerich am Rhein.
Kathrin S. sucht einen neuen Job mit familienfreundlicheren Arbeitszeiten. Dafür würde sie auf Geld verzichten - und bittet den Jobcoach um Rat.
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Job: Soll ich sagen, dass ich weniger Geld akzeptiere?
00/12/2018
Giftige Stimmung unter den Kollegen, die Angestellten tun nur das Nötigste, es fehlen neue Ideen - so kann es in einem Büro aussehen, wenn viele Arbeitnehmer innerlich gekündigt haben. Darunter leiden die Angestellten selbst, aber auch deren Chefs. Aber alle können etwas dafür tun, dass es besser wird. Bei den meisten, die innerlich gekündigt haben, könne sich die Lage auch ohne Jobwechsel bessern, sagt Reinhild Fürstenberg, Geschäftsführerin des gleichnamigen Instituts, das Arbeitnehmer in solchen Situationen berät. Wer zu ihr in die Beratung kommt, sollte sich zuerst über eine Sache Gedanken machen: Was ist gut an meinem Job? Positive Gedanken hätten oft enorm geholfen. Wenn aber eine neue Sichtweise nicht ausreicht, müsse man natürlich schon etwas verändern, sagt Fürstenberg. Oft reichten dabei kleine Schritte, ohne den Job zu wechseln. Beratungsangebote wie das des Fürstenberg Instituts oder der IAS-Gruppe funktionieren ähnlich: Unternehmen kooperieren mit den Beraterfirmen. Die Angestellten, denen es schlecht geht, können sich dann von Experten beraten lassen. Ihre Arbeitgeber erfahren nichts davon, sie bezahlen aber die Beratung. Fürstenberg und Alexander Juli von der IAS-Gruppe sind sich einig: Bei manchen Menschen hilft es nur, wenn sie aus der inneren Kündigung eine richtige machen. "Nichts ist schlimmer als frustrierte Mitarbeiter, die nicht weggehen", bestätigt denn auch der Münchner Jobcoach Christiane Fruht. Mitarbeiter bräuchten das Gefühl, das zu tun, was sie am besten können, sagt Fürstenberg. Als Chefin müsse man zum Beispiel einer Mitarbeiterin, die gut schreiben kann, häufiger die Möglichkeit geben, Texte zu schreiben. Und Chefs sollten auch mal etwas Nettes sagen: Wenn der Mitarbeiter eine Routine-Aufgabe gut erledigt hat, solle man ihm das einfach mal sagen. Das motiviere und beuge so innerer Kündigung vor. Wenn man die Mitarbeiter kritisieren muss, sollten Vorgesetzte das sehr vorsichtig tun, sagt Arbeitspsychologe Dieter Frey von der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Für Mitarbeiter sei es manchmal auch motivierender, wenn der Chef einen Verbesserungsvorschlag nur andeute und seinem Mitarbeiter so das Gefühl gebe, es sei seine eigene Idee. Für eine gute Atmosphäre am Arbeitsplatz ist das ganze Team verantwortlich Was laut Karrierecoach Christiane Fruht auch eine große Rolle spielt: Wie Chefs damit umgehen, wenn sie ihre Mitarbeiter enttäuschen müssen. Wenn in einer kleinen Firma etwa der kostenlose Kaffee abgeschafft werde, solle der Chef offen kommunizieren, warum das Unternehmen das so entschieden habe - selbst dann, wenn sich das Unternehmen wegen finanzieller Schwierigkeiten keinen Gratis-Kaffee für die Mitarbeiter mehr leisten könne. Und wenn ein Chef merke, dass es einem Mitarbeiter schlecht gehe, solle er über die persönliche Ebene versuchen, ihn wieder zu motivieren. Zu viele Vorgesetzte würden sich in solchen Situationen auf der fachlichen Ebene verstricken. Alle im Team seien für eine gute Atmosphäre verantwortlich, sagt Fruht. Man solle also als Kollege von Menschen, die Symptome einer innerlichen Kündigung zeigten, versuchen, für gute Stimmung zu sorgen. Ansonsten könnten Kollegen den Chef darauf ansprechen, dass es Mitarbeiter gebe, die sehr schlecht drauf seien. Oder eben mit dem Kollegen direkt sprechen. Manchmal geht es aber auch nur um Kleinigkeiten, die Unzufriedenheit auslösen: Ein Viertel der Arbeitnehmer wird vom Chef nicht mit dem bevorzugten Namen oder gar mit dem Lieblingsspitznamen angesprochen, ergab eine ältere Gallup-Befragung.
Wenn Angestellte innerlich gekündigt haben, können schon kleine Veränderungen Abhilfe schaffen. Experten geben Tipps.
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So können Kollegen unzufriedenen Mitarbeitern helfen
00/12/2018
Wer im Betrieb ständig unzufrieden ist, tut nur so viel, wie er unbedingt muss. Gute Chefs können die Situation ändern. Millionen Beschäftigte in Deutschland haben innerlich gekündigt und sitzen ohne jede Motivation im Büro. Das schadet ihnen selbst, aber auch den Kollegen und dem Arbeitgeber. Für Stephanie Janssen hat es sich angefühlt, als ob sie jeden Tag ihr Gehirn beim Pförtner abgibt. Sie habe, sagt sie heute, mit einer "absoluten Gleichgültigkeit" gearbeitet. So resigniert sei sie gewesen, dass sie sich als eigentlich leidenschaftliche Freizeitsportlerin nicht einmal aufraffen konnte, so wie früher regelmäßig zu joggen und ihren Kampfsport Wing Tzun zu betreiben.
Millionen Beschäftigte in Deutschland haben innerlich gekündigt und sitzen ohne jede Motivation im Büro. Das schadet ihnen selbst, aber auch den Kollegen und dem Arbeitgeber.
karriere
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Innerliche Kündigung: Wenn der Job zum Frust wird
00/12/2018
Für eine Ausbildung im Gastgewerbe entscheiden sich halb so viele junge Leute wie vor zehn Jahren. Die Branche steuert gegen - mit unterschiedlichem Erfolg. Alexandra Stangl prüft die Zahlen im Buchungsprogramm: 227 Gäste werden heute noch anreisen. Sie streicht ihr grau-rotes Kostüm glatt, ein Mann tritt an den Rezeptionstresen, offenbar ist er geschäftlich unterwegs. Stangl begrüßt ihn mit einem Lächeln und in fließendem Englisch. Ihre Stimme ist freundlich und ruhig, nach einer knappen Minute ist das Einchecken erledigt, und der Gast zieht zufrieden ab. Die 18-Jährige ist im dritten Ausbildungsjahr zur Hotelfachfrau, seit zwei Wochen steht sie nun an der Rezeption des Hilton-Hotels am Münchner Flughafen, von 6.30 Uhr bis 15 Uhr, manchmal auch am Wochenende. Alexandra Stangl ist mit dem Beruf gewissermaßen aufgewachsen. "Zu Hause in Eichenried bei Erding", erzählt sie, hatte ihre Großmutter schon eine Wirtschaft. Als Kind durfte sie ihr bei der Arbeit zusehen. 2016 hat die junge Frau eine duale Ausbildung begonnen und ist damit auf dem Arbeitsmarkt der Branche ein kostbares, weil immer selteneres Gut. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Ausbildungsverhältnisse im Gastgewerbe mehr als halbiert: Während es 2007 noch 107 000 Azubis gab, sind die Ausbildungsverträge bis 2017 auf nur noch gut 53 000 geschrumpft. Laut dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) konnten im vergangenen Jahr nicht einmal die Hälfte der Hotel- und Gastronomiebetriebe ihre Ausbildungsplätze besetzen. Das habe mehrere Gründe, von denen nicht alle branchenspezifisch seien, sagt Sandra Warden, Zuständige für Arbeitsmarkt und Ausbildung beim Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga). Um das Jahr 2005 herum habe man mehr Auszubildende eingestellt als nötig, sagt Warden: "Wir wollten damit der damaligen Jugendarbeitslosigkeit entgegenwirken." Der Einbruch der Zahlen sei also ein Stück weit die Rückkehr zum Normalniveau. Außerdem mache sich der demografische Wandel im Rückgang der Schulabgänger deutlich bemerkbar. Zugleich wollen immer mehr Schüler studieren anstatt eine duale Ausbildung zu beginnen. "Das verschärft den Wettbewerb um Auszubildende", sagt Warden. In diesem Wettkampf tue sich die Hotellerie schwerer als andere Branchen: "Eine Büroausbildung ist für viele junge Leute reizvoller als Dienstleistung oder Handwerk." Hinzu kommt die in der Hotelbranche übliche Arbeit am Abend und Wochenende und der nicht gerade üppige Lohn. Gemäß Tarif liegt das Bruttoeinstiegsgehalt einer ausgebildeten Hotelfachkraft je nach Bundesland zwischen 1 639 und 2 168 Euro, ohne Zulagen. Im Durchschnitt beginnt die Vergütung in der Ausbildung bei 675 Euro im ersten Jahr und steigt auf 869 Euro im dritten Jahr - diese Zahlen hat das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Bonn errechnet. "Da muss noch mal jemand ran" "Man muss den Job halt lieben. Nur wegen des Geldes wird sich niemand dafür entscheiden", meint Attila Solymár und prüft mit scharfem Blick die gläserne Duschwand in Hotelzimmer 5223 des Hilton Munich Airport. Er zeigt mit dem Finger auf zwei, drei kleine Wasserflecken - für den Laien wären sie kaum sichtbar. Außerdem fehlt ein Tütchen Zucker an der Minibar. "Da muss noch mal jemand ran", murmelt er und gibt Anweisungen über sein Telefon durch. Der 30-Jährige ist Abteilungsleiter im Housekeeping. Als "Supervisor" checkt er "schon so 80 Zimmer am Tag". Das Reinigen übernimmt eine externe Firma; Solymár und seine Kollegen kontrollieren nur. Attila Solymár hat seine Ausbildung erst mit 20 Jahren begonnen - als "Spätzünder", wie er sagt. Er hat erst ein paar Jahre in Wien gearbeitet; die nächsten Karrierestufen waren binnen kurzer Zeit erreicht. "Mit mehr Auslandserfahrung wäre es noch schneller gegangen", meint der Hotelfachmann. Aus der ehemaligen Klasse seiner Berufsschule - etwa 30 Leute waren sie damals - arbeitet gut die Hälfte nicht mehr in der Hotellerie. Warum, das weiß er nicht, aber er ist froh, bei einem großen Arbeitgeber beschäftigt zu sein. Überstunden könne man schnell abfeiern: "Hier läuft es koordinierter. Die bösen Geschichten, die andere erzählen, kenne ich nicht."
Für eine Ausbildung im Gastgewerbe entscheiden sich halb so viele junge Leute wie vor zehn Jahren. Die Branche steuert gegen - mit unterschiedlichem Erfolg.
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https://www.sueddeutsche.de/karriere/ausbildung-hotel-arbeitsmarkt-1.4250135
Ausbildung - Niemand will mehr im Hotel arbeiten
00/12/2018
Die weltweite Konkurrenz um Fachkräfte in der Hotellerie ist groß. Deutsche Häuser tun sich schwer, Personal aus dem Ausland anzuwerben. Das liegt nicht nur an der Privatstruktur der Branche, sondern auch an der Sprache. Der Fachkräftemangel ist in der Hotellerie allgegenwärtig. Da es an Nachwuchs in Deutschland fehlt, versuchen die Betriebe, auch Personal aus dem Ausland für sich zu gewinnen. Annette Zellmer, Beraterin bei der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Arbeitsagentur in Frankfurt am Main, hilft Unternehmen bei der Suche jenseits der Landesgrenzen. SZ: Eine Studie der Jobbörse Yourcareergroup ergab, dass 85 Prozent der europäischen Beschäftigten im Tourismusgewerbe bereit sind, im Ausland zu arbeiten. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen? Annette Zellmer: Ja. Schon vor 30 oder 40 Jahren gab es da eine große Beweglichkeit gab. Das Hotelgewerbe ist schon immer eine Branche für Weltenbummler gewesen. Auslandserfahrung gehört dazu. Warum tun sich die Betriebe dennoch schwer damit, Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben? Wir haben in der Branche eine große Privatstruktur, oftmals sind es kleine Familienbetriebe. Die sind natürlich nicht so weit vernetzt und haben nicht die Möglichkeiten wie ein großer internationaler Konzern. Zusätzlich gibt es einen enormen Wettbewerb: Die Leute werden überall in der EU gebraucht. Hinzu kommt, dass Deutsch eine sehr schwere Sprache ist. Englischaffinere Länder - Skandinavien und die Benelux-Staaten - haben es da leichter. Was können kleine Betriebe mit begrenzten Ressourcen tun, um dennoch ausländische Fachkräfte zu gewinnen? Sie können uns einschalten. Wir sind für die Betriebe bei Jobmessen präsent, wir veröffentlichen die Stellenangebote auf den Jobbörsen anderer Länder - diese Dienstleistungen stellen wir kostenlos zur Verfügung. Das wird auch gut angenommen, aber wir sind leider massiv eingeschränkt durch die geringe Bewerberzahl. In welchen Ländern hat Deutschland als Arbeitgeber überhaupt Chancen? Das ist schwer zu sagen. Aktuell konnten wir viele Italiener für uns gewinnen, aber auch Fachkräfte aus der Slowakei und aus Polen. Das heißt nicht, dass es in anderen Ländern kein Potenzial gibt. Weniger attraktiv sind unsere Stellen in Ländern, die sehr hoch bezahlen, wie Norwegen und Dänemark. Damit können wir nicht konkurrieren. Wo liegt die Herausforderung, wenn man ausländische Arbeitnehmer beschäftigt? Man muss natürlich immer unterschiedliche Kulturen verbinden. Da sollte der Arbeitgeber erst einmal offen sein und Geduld haben. Dann sollte man sich um die Unterbringung kümmern und darum, was der Mitarbeiter in seiner Freizeit macht: Hat er soziale Kontakte oder leidet er an Heimweh? Kann ich ihm ermöglichen, ein paar Tage am Stück in die Heimat zu fahren? Arbeitgeber finanzieren teilweise auch Sprachkurse - während der Arbeitszeit und auf Kosten des Hauses. Man muss sich einfach mehr um die Leute kümmern - plus vernünftig bezahlen. Was kann die Politik tun, um das Hotelgewerbe zu unterstützen? Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz wäre schon ein enormer Fortschritt. Damit wären wir bei der Rekrutierung nicht mehr nur auf die EU-Länder beschränkt. Auch die Anerkennung von Berufsabschlüssen muss die Politik branchenspezifischer betrachten. Qualitätsarbeit ist zwar in allen Branchen wichtig. Es ist nicht schön, wenn ich als Servicekraft den Kaffee falsch serviere. Doch wenn ich als Elektriker zwei Kabel falsch verbinde, ist das gefährlich. Das ist nicht abwertend gemeint, aber in manchen Berufen ist eine Anerkennung wichtiger als in den Berufen der Hotel- und Gaststättenbranche. Sind Arbeitnehmer aus dem Ausland die Lösung für unseren Fachkräftemangel? Es ist nur ein kleiner Baustein und nicht das Allheilmittel. Die Konkurrenz um Fachkräfte ist weltweit riesig und viele Menschen wollen mittelfristig in ihrem Land leben. Insofern müssen wir in erster Linie das Potenzial in Deutschland richtig ausschöpfen.
Die weltweite Konkurrenz um Fachkräfte in der Hotellerie ist groß. Deutsche Häuser tun sich schwer, Personal aus dem Ausland anzuwerben. Das liegt nicht nur an der Privatstruktur der Branche, sondern auch an der Sprache.
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https://www.sueddeutsche.de/karriere/gastgewerbe-eine-branche-fuer-weltenbummler-1.4250139
"""Eine Branche für Weltenbummler"""
00/12/2018
Der Leiter des Bremer Landeskriminalamtes hat Seiteneinsteiger als Kommissare eingestellt. Die bisherige Personalauswahl hält er aber nicht für diskussionswürdig. Bei der Polizei wird ausgiebig selektiert. Bewerber müssen etwa unter Beweis stellen, dass sie sportlich sind, sich viel merken und gut kooperieren können. Doch in den vergangenen Monaten wurde der Vorwurf laut: Die Polizei achte auf äußerliche Merkmalen wie Größe und Tätowierung, aber beim Charakter nehme sie es nicht so genau. Inmitten der Diskussionen geht der Leiter des Bremer Landeskriminalamtes neue Wege: Im Sommer hat er 20 Seiteneinsteiger als Kriminalkommissare für den Vollzugsdienst eingestellt. Ein Novum in Deutschland. SZ: Herr Heinke, Sie haben Kommissare ohne Polizeistudium eingestellt. Sind Sie mit der Auswahl der Bewerber und ihrer Vorbereitung auf den Polizeidienst so unzufrieden? Daniel Heinke: Nein. Die Polizeiausbildung in Deutschland hat sich bewährt und genießt zu Recht international einen guten Ruf. Das ist jetzt ein Versuch, einen zusätzlichen Weg in den Beruf des normalen Kriminalbeamten zu schaffen. Die neuen Kollegen haben zum Beispiel Wirtschaftswissenschaften oder Informatik studiert und erste Berufserfahrungen gesammelt. Jetzt bilden wir sie berufsbegleitend fort - und ich hoffe, dass sie am Ende genau so profunde qualifiziert sind wie ihre Kolleginnen und Kollegen, die von Anfang an bei der Polizei gewesen sind. Aber nochmal: Sie schicken BWLer auf Verbrecherjagd. Was können die, was die Absolventen der Polizeifachoberschulen nicht können? Es geht mir nicht darum, dass die Kollegen von außen den anderen Kommissaren etwas erklären können. Ich glaube aber, dass sie einen frischen Blick auf interne Verfahrensabläufe und die kriminalpolizeilichen Ermittlung bringen. Durch den anderen Bildungshintergrund gucken sie auf bestimmte Fragestellungen anders als jemand, der bei der Polizei sozialisiert worden ist. Speziell der Polizei in Sachsen wurde zuletzt vorgeworfen, auf dem rechten Auge blind zu sein. Viele Beamte sind eher konservativ eingestellt. Sollen die Seiteneinsteiger auch die Kultur innerhalb der Polizei verändern? Der Pilotversuch ist keine Reaktion auf aktuelle Ereignisse. Aber natürlich ist er auch eine Antwort auf eine kulturelle Frage. Unsere Gesellschaft verändert sich und wir haben es mit ganz neuen Herausforderungen zu tun. Die Konsequenz daraus ist für mich klar: Die Polizei der Zukunft muss vielfältiger sein. In Bremen und einigen anderen Polizeien gelingt es uns schon ganz gut, Polizisten beider Geschlechter und mit verschiedenem Migrationshintergrund zu rekrutieren. Jetzt wollen wir auch noch biographisch diverser werden. Beschönigen Sie da nicht? In vielen Bundesländern gibt es eine Mindestgröße, die vor allem viele Frauen vom Polizeidienst ausschließt. Die Begründung: Jeder Polizist soll überall einsetzbar sein und zum Beispiel Täter überwältigen können. Mit dieser Haltung ist echte Diversität doch gar nicht möglich. Ich bin der Überzeugung, dass wir perspektivisch nicht mehr den Anspruch haben können, dass jeder oder jede alles können muss. Wir werden uns in bestimmten Bereichen frühzeitig spezialisieren müssen. Welche Auswirkungen das auf Anforderungen wie die sportliche Leistungsfähigkeit, die körperliche Gesundheit und Mindestgrößen hat - die es in Bremen auch nicht gibt, kann ich noch nicht beurteilen. Aber wir werden sehr intensiv diskutieren müssen, ob das Bild der Einheitspolizistin und des Einheitspolizisten wirklich die zukunftsgerichtete Antwort auf unsere Personalrekrutierung für den Vollzugsdienst sein wird. Wo stößt der Einheitspolizist an seine Grenzen? Schon die Aufnahme eines Verkehrsunfalls gestaltet sich heute komplexer als noch vor einigen Jahren, die fortschreitende Digitalisierung macht auch vor KFZ-Angelegenheiten nicht Halt. Wenn Sie das auf das ganze Spektrum der Polizeiarbeit ausdehnen, stellen Sie fest: In der konkreten Einsatzsituation muss der Kollege oder die Kollegin heute sehr viel mehr können als früher. Diese Tendenz wird sich nach meiner Einschätzung verstärken, so dass es künftig nahezu unmöglich sein wird, in allen Bereichen gleichermaßen handlungsfähig zu sein. Detailansicht öffnen Daniel Heinke ist Leiter des Landeskriminalamtes Bremen. (Foto: privat) An anderer Stelle wirkt sich die Digitalisierung noch stärker auf die Polizeiarbeit aus. Sie eröffnet etwa ganz neue Möglichkeiten der Überwachung. Sie führt aber auch dazu, dass Tausende Menschen kurzfristig zu Demonstrationen aufgerufen werden können und die Polizei entsprechend schnell reagieren muss. Brauchen Sie für diese Aufgaben nicht viel dringender Seiteneinsteiger? Die Seiteneinsteiger sind Teil einer Gesamtstrategie. Wir werden weitere Spezialisten einstellen, die uns ohne Vollzugseigenschaft in der Kriminalpolizei dabei helfen werden, Kriminalität besser zu bekämpfen und Gefahren abzuwehren. Wir haben bereits einen Politikwissenschaftler eingestellt, eine Kriminologin, einen Islamwissenschaftler, wir stellen gerade Psychologen ein - Experten also, die mit besonderer Fachexpertise meine Ermittlerinnen und Ermittler unterstützen. Wie kann man sich die Einarbeitung der Seiteneinsteiger in die Arbeit eines Kommissars vorstellen? Wir haben die Kollegen direkt als Kriminalkommissarinnen und Kriminalkommissare eingestellt. Momentan sind sie aber nahezu vollständig in der Fortbildung. Dort lernen sie rechtliche Grundlagen kennen, Regeln des polizeitaktischen Vorgehens und auch ganz praktische Fähigkeiten wie den Gebrauch von Waffen oder wie man bei der Polizei ein Auto fährt. Und wann dürfen sie selbst ermitteln? Bei einigen Maßnahmen binden wir sie bereits ein. Vor zwei Wochen haben wir eine große Cannabisplantage in einem alten Luftschutzbunker ausgehoben. Da hat ein Teil dieser Kollegen die Einsatzkräfte unterstützt, die Plantage abzuernten. Kurz zuvor waren sie dabei, als wir einen See abgepumpt und nach Beweismitteln für ein Tötungsdelikt durchsucht haben. Nach zwei Jahren gehen sie dann für zwei weitere Jahre in den Kriminaldauerdienst, also den Bereitschaftsdienst der Kriminalpolizei, und schließlich in unterschiedliche Ermittlungskommissariate. Gesetzt den Fall, ich möchte nun auch Kommissarin bei Ihnen werden. Wann nehmen Sie die nächsten Bewerber an? Das Projekt ist ein Pilotversuch. Den lassen wir jetzt erst mal fünf Jahre laufen, um abschätzen zu können, ob sich das Modell bewährt. Für den Vollzugsdienst werden wir also bis dahin keine weiteren Seiteneinsteiger mit Vollzugseigenschaft einstellen. Wahrscheinlich wird es aber weitere interessante Einstiegsmöglichkeiten für Seiteneinsteiger geben. Da lohnt sich ab und zu ein Blick in unsere Stellenausschreibungen.
Der Leiter des Bremer Landeskriminalamtes hat Seiteneinsteiger als Kommissare eingestellt. Die bisherige Personalauswahl hält er aber nicht für diskussionswürdig.
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https://www.sueddeutsche.de/karriere/polizei-karriere-seiteneinsteiger-1.4232016
Karriere bei der Polizei - Zum LKA als Seiteneinsteiger
00/12/2018
Schöne Geste des Vertrauens oder Grenzüberschreitung? Wann Körperkontakt bei der Arbeit in Ordnung ist - ist und wann eine Berührung zu weit geht. Als der französische Präsident Emmanuel Macron und sein amerikanischer Amtskollege Donald Trump im Juni beim G-7-Gipfel in Kanada aufeinandertrafen, ließen sie Strafzölle und wütende Tweets für einen Moment vergessen: Sie schüttelten so fest die Hand des jeweils anderen, dass schon beim Zusehen die Finger schmerzten. Diese Berührung war keine routinierte Geste, sondern eine gegenseitige Machtdemonstration zweier Alphatiere. "Man muss zeigen, dass man keine kleinen Zugeständnisse macht, nicht einmal symbolisch", erklärte Macron seine zupackende Haltung am Rande eines anderen Treffens.
Schöne Geste des Vertrauens oder Grenzüberschreitung? Wann Körperkontakt bei der Arbeit in Ordnung ist - ist und wann eine Berührung zu weit geht.
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Berührungen im Büro: Wieviel Nähe ist ok?
00/12/2018
Der High-Five Ob nach dem Abschluss eines erfolgreichen Projekts oder beim Tischkickern in der Mittagspause: Der High-Five, der vor allem im Sport verbreitet ist, hat längst auch Einzug ins Büro gehalten. Allerdings ist dieses Abklatschen mit erhobenen Händen stark von Unternehmenskonventionen abhängig. "In den meisten deutschen Unternehmen herrscht eine streng hierarchische Struktur", sagt Arbeits- und Organisationspsychologin Mareike Schmidt. "Dort kann man sich eher nicht vorstellen, den Chef mit High-Five abzuklatschen." Anders kann das in modernen Unternehmen sein, in Start-ups und kleineren Firmen. "Wenn das als Ersatz für den etwas konservativeren Händedruck in einem jungen oder dynamischen Team gilt, dann ist das genauso okay als Begrüßung", sagt Knigge-Coach Inge Wolff, schränkt aber ein: "solange es nicht zu dicht vor dem Körper des anderen stattfindet," wie auch beim Handschlag. Doch der High-Five wirkt vertrauter als das förmliche Händeschütteln. Zu beobachten war das beim G20-Gipfel in Buenos Aires, als Russlands Präsident Wladimir Putin den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman mit einem kumpelhaften Handschlag begrüßte. Unangenehm kann der High-Five werden, wenn die dargebotene Hand nicht abgeklatscht wird. Noch unangenehmer, wenn man ihn wie der britische Labour-Politiker Jeremy Corbyn ausführt: In der Freude über den Wahlerfolg wollte er mit einer Kollegin einschlagen, die hatte ihre Hand aber schon weggezogen. Corbyns flache Hand traf stattdessen ihre Brust.
Auf den Handschlag können sich alle einigen. Doch was ist mit anderen Berührungen am Arbeitsplatz? Eine Typologie.
karriere
https://www.sueddeutsche.de/karriere/beruehrungen-buero-1.4249676
Körperkontakt am Arbeitsplatz: Eine Typologie
00/12/2018
Safia Minney, 54, arbeitete früher in der Werbebranche. Die Britin mit schweizerischen und mauritischen Wurzeln ist heute eine Galionsfigur der Fair-Trade-Bewegung. "Gerechtigkeit ist für mich ein Grundrecht, ein elementares Menschenrecht. Mich begleitet dieses Thema schon mein ganzes Leben. Mein Vater starb, als ich sieben Jahre alt war. Meine Mutter hat sich fortan um mich und meine zwei Geschwister allein gekümmert und als Sozialarbeiterin gearbeitet. Als ich acht war, half sie Flüchtlingen aus Uganda dabei, in England anzukommen. Ich saß manchmal zum Tee bei ihnen auf dem Sofa, das wir ihnen zuvor besorgt hatten, und habe ihren Geschichten zugehört. Für mich war das ein Schock: Dass eine Familie ein schönes Zuhause haben konnte, und auf einmal ist alles weg. Das hat mich früh darüber nachdenken lassen, was eigentlich fair und was gerecht ist. Aus der Serie "Meine Karriere" In "Meine Karriere" stellt die PLAN W-Redaktion regelmäßig Frauen und ihren Berufsweg vor. Ob Gründerin, Managerin oder Abenteurerin: Viele Frauen nehmen Hürden, setzen sich neue Ziele und wagen den Neubeginn - und wir berichten davon. Sie wollen selbst eine Frau vorschlagen? Dann schreiben Sie uns gerne an planw@sueddeutsche.de Als ich Anfang der Neunziger mit meinem Mann nach Japan gezogen bin, habe ich angefangen, bei Amnesty International zu arbeiten. Für mich ging es darum, dass Menschenrechte und Ökologie zusammengehören und wie wir unser Handeln im besten Sinne einsetzen können. In Japan war es nicht leicht, nachhaltig zu leben. Und so fing ich an, selbst Fair-Trade-Produkte zu designen und zu verkaufen. Zunächst organisiert in einer kleinen Gruppe, dann wurde im Jahr 2000 daraus meine Firma People Tree. Wir wollen mit unserer nachhaltig produzierten und fair gehandelten Mode die Lebensumstände von Handwerkern und Bauern in Entwicklungsländern verbessern. Inzwischen verkaufen mehr als 800 Läden unsere Kleidung. Seit 2017 bin ich außerdem Geschäftsführerin von Po-Zu, einer nachhaltig produzierenden Schuhmarke. Das System ist außer Kontrolle Es ist hart, mit unserem Bestreben gegen etablierte Marken anzutreten. Aber unsere Hoffnung ist, dass irgendwann auch die großen Unternehmen anfangen, wirklich umzudenken. Das Problem ist, dass sie noch nicht konsequent genug für ihr Handeln verantwortlich gemacht werden und es keine Transparenz gibt. Dass Profit auf Kosten von Menschenrechten und der Umwelt geht, wird oft nicht berücksichtigt. Große Firmen haben viel Macht, und Regierungen müssten strenger bei der Einhaltung von Regularien sein. Die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen bieten einen guten Rahmen für das Streben nach Gerechtigkeit. Aber wir müssen auch weiter dafür kämpfen. Wir brauchen eine große Transformation unserer Lebensstile und eine Revolution in den Finanzsystemen. Ich weiß, dass damit argumentiert wird, der Kapitalismus sei ein Weg aus der Armut. Aber es gibt so viele Menschen, die in moderner Sklaverei gefangen sind und die durch den Kapitalismus in Armut gehalten werden. Das System ist außer Kontrolle. Zu sehen, dass die jüngere Generation ein viel größeres Bewusstsein für die Konsequenzen ihres Handelns hat, motiviert mich. Denn es ist wichtig, die eigene Stimme hörbar zu ­machen." Korrektur: In einer früheren Version der Bildunterschrift haben wir fälschlicherweise berichtet, dass Safia Minney neben schweizerischen auch mauretanische Wurzeln habe. Korrekt ist, dass sie väterlicherseits mauritische Wurzeln hat, da ihr Vater von der Insel Mauritius stammt - und nicht aus Mauretanien.
Safia Minney, die Gründerin des Fair-Fashion-Labels People Tree, über den ungleichen Wettbewerb gegen die Riesen der Modebranche.
karriere
https://www.sueddeutsche.de/karriere/nachhaltigkeit-mode-textilbranche-safia-minney-1.4244777
Nachhaltige Mode: Safia Minney setzt sich ein
00/12/2018
Andreas W. hat sich vor Monaten für mehrere Jobs beworben und diverse Interviews und Tests absolviert. Er hadert damit, dass ihn noch keine Zu- oder Absagen erreicht haben. SZ-Leser Andreas W. fragt: Ich befinde mich derzeit in vier Bewerbungsprozessen für eine neue Position. Drei Stellen sind strategisch wichtige Positionen bei Industrieunternehmen (Stahlproduktion, Berg- und Anlagenbau) im Bereich der IT und Datenanalyse, eine Stelle ist bei einer international tätigen Beratung mit Fokus auf die Finanz- und Versicherungsbranche. Alle vier Bewerbungen dauern bereits zwei bis drei Monate an, ich habe im Schnitt drei Interviews absolviert, außerdem IQ- und Persönlichkeitstests gemacht. Trotz wiederholter Bekundungen seitens der Firmen, dass man mich als passenden Kandidaten sieht, lässt der Abschluss der Prozesse und somit ein Arbeitsvertragsangebot auf sich warten. Kann man als Bewerber diesen Prozess beschleunigen? Christine Demmer antwortet: Lieber Herr W., dass sich die Unternehmen bei der Auswahl der Kandidaten viel Zeit lassen, wird immer wieder beklagt. Für Jobsuchende ist das ärgerlich und für Außenstehende völlig unverständlich. Wofür straffen die Personaler denn pausenlos ihre internen Prozesse und investieren in Tools wie das IT-gestützte Bewerbermanagement, wenn nicht dafür, den Bewerbern schnellstens mitteilen zu können, was Sache ist? Als wechselwilliger Arbeitnehmer in ungekündigter Stelle und mit der Aussicht auf Verbesserung mag man zwei, drei Monate Bedenkzeit noch zähneknirschend hinnehmen. Aber wer rasch wieder unter ein Firmendach schlüpfen will, schiebt angesichts solch langer Wartezeiten reichlich Frust. Frust, der sich nach einer Absage steigert und nur durch reges Herumerzählen nach und nach abgebaut werden könnte. Nur tut das kaum jemand. Weil man dann selbst blöd dasteht. Personalabteilungen haben also von dieser Seite nichts zu befürchten. Und kommt nach langen Wochen des Wartens endlich doch die erhoffte Nachricht, die den Bewerber in einen neuen Mitarbeiter verwandelt, dann ist die Welt sofort wieder in Ordnung. Wieso Ärger? "Die brauchten halt so lange, weil sie ganz sicher sein wollten, den bestgeeigneten Kandidaten zu nehmen." Was den Laien verwundert den Kopf schütteln lässt, erstaunt den Fachmann nicht im Mindesten. Denn der weiß, warum sich Personalauswahlprozesse ganz ohne böse Absicht enorm lang hinziehen können. In vielen Firmen müssen drei, vier, fünf oder noch mehr Personen den Daumen heben oder senken. Wenn die eine gerade aus dem Urlaub zurückgekehrt ist, besucht der nächste eine Tagung und die dritte nimmt anschließend an einem Workshop teil. Weil der vierte sein Urteil an das des zweiten knüpfen und auf keinen Fall anders als die dritte entscheiden will, sicherheitshalber aber auch die Meinung der gerade geschäftlich verreisten Nummer fünf hören möchte, zieht sich die Angelegenheit hin. So werden aus Tagen Wochen und aus Wochen Monate. Digitalisierung hin, irgendwas 4.0 her: Es menschelt halt in Unternehmen. Da Sie an einer strategisch wichtigen oder beratenden Position interessiert sind, werde ich Ihnen nicht Neues erzählen. Tempo in die Sache bringen können Sie nur, wenn Sie auf eine Entscheidung binnen - sagen wir - drei Tagen drängen. Irgendeiner wird dann noch nicht gehört worden sein, was bedeutet: Sie sind aus dem Rennen. Denn unter Druck setzen lassen sich Organisationen schon mal gar nicht. Der Grund für die lange Nachdenkzeit kann natürlich auch sein, dass man Sie als Nachrückkandidaten vorgesehen hat. Wenn der auserkorene Bewerber gerade im Urlaub oder auf einem Workshop ist, muss man auf seine Rückkehr warten. Schlägt er ein, sind Sie aus dem Spiel. Aber vielleicht hat er es sich ja anders überlegt. In diesem Fall sind Sie am Zuge. Wenn Sie dann noch wollen. Christine Demmer arbeitet als Wirtschaftsjournalistin und Coach in Deutschland und Schweden.
Andreas W. hat sich vor Monaten für mehrere Jobs beworben und diverse Interviews und Tests absolviert. Er hadert damit, dass ihn noch keine Zu- oder Absagen erreicht haben.
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https://www.sueddeutsche.de/karriere/jobcoach-bewerbung-job-1.4240543
Job - Kann ich den Bewerbungsprozess beschleunigen?
00/12/2018
Eine Berufsausbildung dauert zwei oder drei Jahre, manchmal auch dreieinhalb. Wer seine Fertigkeiten anschließend perfektionieren will, kann Meister werden. Und sonst? In Deutschland gibt es unzählige Möglichkeiten der beruflichen Fortbildung, bei denen Hunderte verschiedene Abschlüsse verliehen werden. Doch kaum jemand kann diese Abschlüsse richtig einordnen. Was genau ist ein Servicetechniker, wie wird man Fertigungsplanerin, Prozessmanager, Betriebswirt oder Fachkauffrau? Und wie viel sind diese Ausbildungen wert? Um den Wust an Bezeichnungen zu ordnen, will Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) nun drei neue, übergeordnete Abschlüsse in der beruflichen Bildung einführen. "Berufsspezialist" darf sich nennen, wer eine Lehre absolviert hat. Der "Berufsbachelor" entspricht dem Meister, Techniker oder Fachwirt und ist dem akademischen Bachelor gleichgestellt. Der "Berufsmaster" fasst weitere Aufstiegsfortbildungen zusammen und ist einem Master von der Hochschule ebenbürtig. Bisherige Begriffe wie etwa "Meister" sollen nicht abgeschafft, sondern aufgewertet werden. "Es muss ganz deutlich werden: Berufliche und akademische Bildung sind gleichwertige Karrierewege", sagte Karliczek bei einer Tagung Anfang der Woche in Berlin. "Nichts spricht dagegen, nach einer Ausbildung zum Beispiel als Anlagenmechaniker später an einer Hochschule Versorgungstechnik zu studieren. Und mancher Wirtschaftsstudent sehnt sich nach mehr Praxis und möchte vielleicht lieber eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann machen." Da sei es nur angemessen, wenn sich der Kfz-Meister künftig zusätzlich "Berufsbachelor in Kfz-Technik" nennen dürfe. Können die neuen Abschlüsse tatsächlich zu mehr Chancengerechtigkeit führen - oder schaffen sie eher Verwirrung? Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Peter-André Alt, warnt vor Gleichmacherei: "Die angestrebten Bezeichnungen Berufsbachelor und Berufsmaster bergen große Verwechslungsgefahr - bei jungen Menschen in der Berufsorientierung wie auch bei Unternehmen, da völlig unterschiedliche Kompetenzen fast identisch etikettiert werden sollen." Die angestrebte Umbenennung ziele genau in die falsche Richtung, wenn die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung verdeutlicht werden solle, erklärt der HRK-Chef. "Berufs- wie Studienabschlüsse sollten in ihrem je eigenen Charakter klar erkennbar sein und daher auch eindeutig benannt werden." Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) hat sich dagegen schon mit den geplanten Bezeichnungen angefreundet. "Berufsspezialist, Berufsbachelor und Berufsmaster unterstreichen nicht nur die Praxisnähe und besonderen Fähigkeiten von Menschen mit höherer Berufsbildung", sagt Achim Dercks, stellvertretender DIHK-Hauptgeschäftsführer. Sie betonten auch den Markenkern der höheren Berufsbildung und könnten noch mehr junge Menschen für den Weg der praxisnahen Bildung begeistern. "Klare Bezeichnungen nützen aber nicht nur den Absolventen, sondern auch vielen Unternehmen, die händeringend beruflich qualifizierte Fachkräfte suchen", sagt Dercks. Eine Verwechslungsgefahr mit den ähnlich klingenden Hochschulabschlüssen sieht Dercks nicht. Die neuen Abschlüssen seien klar zu unterscheiden und machten gleichzeitig "auch sprachlich deutlich, dass es sich um gleichwertige Abschlüsse auf unterschiedlichen Wegen handelt". Berufsbachelor und Berufsmaster seien ein zusätzlicher Hebel, um Jugendlichen eine Karriere in der beruflichen Bildung als echte und praxisnahe Alternative zum Studium schmackhaft zu machen. "Diese Alternative zahlt sich im Übrigen aus", sagt Dercks. "Anders als oft bekannt verdienen Berufsbachelor und Berufsmaster gutes Geld, häufig sogar mehr als Akademiker, und sie sind noch seltener arbeitslos als Hochschulabsolventen." Ein ganz anderes Argument führt der Generalsekretär des Zentralverbands Gartenbau (ZVG), Bertram Fleischer, ins Feld. Namensänderungen allein würden die berufliche Bildung nicht attraktiver machen, sagt er. Von einer Gleichstellung könne erst die Rede sein, wenn die Fortbildung an den Fachschulen etwa für Gärtner genauso wie das Studium durchgängig durch Aufstiegs-Bafög gefördert würde. "Außerdem muss auf Gebühren bei der Meister- und Technikerprüfung verzichtet werden", fordert Fleischer. "Im Studium werden auch keine Prüfungsgebühren erhoben."
Bildungsministerin Karliczek will die berufliche Bildung aufwerten. Abschlüsse wie "Berufsbachelor" sollen praxisnahe Alternativen zum Studium sein. Das gefällt nicht jedem.
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https://www.sueddeutsche.de/karriere/ausbildung-karliczek-berufsbachelor-1.4241797
Berufliche Bildung - Vom Meister zum Berufsbachelor
00/12/2018
Ein Studium an einer Fachhochschule ist längst nicht mehr zweitklassig. FH-Berufseinsteiger verdienen anfangs sogar mehr - werden später aber von Uni-Absolventen überflügelt. Inès Potdevin ist Mechatronikerin und Feinwerktechnikerin. Seit zwei Monaten kann sich die 25-Jährige außerdem Master of Engineering nennen. Erworben hat sie den Titel wie auch schon den Bachelor an einer Hochschule für angewandte Wissenschaften, früher auch bekannt als Fachhochschule oder kurz FH. Lange hatte die Ausbildung an Fachhochschulen den Ruf, ein Studium zweiter Klasse zu sein: Zu erwarten waren weniger geistige Höhenflüge und mehr Arbeit in den Niederungen der Praxis. Eine Rolle spielte wohl auch, dass nicht einmal das Abitur dafür nötig ist. Es reicht die Fachhochschulreife. Inès Potdevin allerdings hat das Gymnasium mit einem Einserabitur verlassen und sich trotzdem an einer Fachhochschule eingeschrieben. Keine schlechte Entscheidung. Denn laut einer Langzeitstudie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) finden Fachhochschulabsolventen schneller einen Job und verdienen auch mehr als ihre Altersgenossen von der Universität. In den vergangenen zwei Jahren war dieses Ergebnis den Medien immer wieder eine Schlagzeile wert - nach dem Motto: Die kleine Schwester der Uni wird langsam groß. Würde Inès Potdevin beim Berufseinstieg so viel verdienen wie der statistische Durchschnitt, dann könnte sie demnächst ein Bruttojahresgehalt von 40 200 Euro erzielen - die Absolventen einer Universität dagegen nur 38 500 Euro. "Der Vergleich hinkt allerdings", sagt Gregor Fabian. Und er muss es wissen, denn er ist der Studienleiter am DZHW. Sein Team befragt seit der Bologna-Reform im Jahr 1999 regelmäßig Tausende deutscher Absolventen beider Hochschularten in einem Abstand von fünf Jahren - unter anderem nach ihrem Studienverlauf, nach ihrer Jobsuche, nach der Zufriedenheit im Beruf und eben auch nach dem Einkommen. Wer dabei aber nur den Gesamtdurchschnitt betrachtet, erhält laut Fabian ein verzerrtes Bild. Denn die Fachhochschulen böten weniger und vor allem technik- und wirtschaftsnahe Studiengänge an, die Universitäten dagegen den vollständigen Fächerkanon. Medizin, Jura, Lehramt, Geisteswissenschaften - all das kann man nur an einer Universität studieren. Und die Gehälter etwa von Geisteswissenschaftlern sind in der Regel nun einmal niedriger als die von Informatikern, Ingenieuren und Betriebswirten. Ihre Kompetenzen passen direkt nach dem Studium seltener zu einem konkreten Stellenprofil. Auf das Studienfach kommt es an Bis sie einen ausbildungsadäquaten Arbeitsplatz gefunden haben, vergeht daher mehr Zeit. Und auch die Uni-Absolventen, die nach einem Jura- oder Lehramtsstudium mit einem Referendariat ins Berufsleben einsteigen, verdienen erst einmal wenig. Doch das ändert sich meist nach den Staatsexamina. Dazu passen auch die Ergebnisse der Studien, die das DZHW 2016 veröffentlicht hat: Zwar verdienen FH-Abgänger beim Berufseinstieg im Durchschnitt mehr als Uni-Absolventen, aber schon nach den ersten fünf Jahren werden sie von diesen eingeholt. Für eine genauere Analyse empfiehlt Fabian, die Einkommen je nach Studiengang zu vergleichen - also nach jenen Fachbereiche, die beide Hochschultypen anbieten. Und da zeigt sich: Die FH-Absolventen liegen selbst beim ersten Gehalt nicht immer vorn. Architekten und Bauingenieure des zuletzt befragten Abschlussjahrgangs beispielsweise erzielten im Schnitt 33 300 Euro brutto im Jahr - egal ob sie an der Uni oder FH studiert hatten. Die befragten Informatiker hatten mit 41 000 Euro ein um 400 Euro höheres durchschnittliches Bruttojahreseinkommen, wenn sie ihren Master an einer Uni gemacht hatten. Das sind zwar nur 33 Euro pro Monat. Aber auch die Wirtschaftswissenschaftler von der Uni verdienten in ihrem ersten Vollzeitjob mehr als ihre Kollegen von der FH, nämlich 41 600 Euro brutto im Jahr. Das sind immerhin 125 Euro mehr im Monat. Lediglich das durchschnittliche Bruttojahreseinkommen der Ingenieure, die ihren Master an der Fachhochschule gemacht haben, übertraf mit 44 000 Euro das der Kollegen mit Uni-Abschluss tatsächlich. Und zwar um 2200 Euro.
Ein Studium an einer Fachhochschule ist längst nicht mehr zweitklassig. FH-Berufseinsteiger verdienen anfangs sogar mehr - werden später aber von Uni-Absolventen überflügelt.
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https://www.sueddeutsche.de/karriere/karriereplanung-fh-abschluesse-werden-immer-wertvoller-1.4240541
Karriereplanung - FH-Abschlüsse werden immer wertvoller
00/12/2018
Die globale Initiative "Technovation" ermutigt Mädchen, eigenständig Apps zu entwickeln und ihr Interesse für IT-Berufe zu bestärken. In Hamburg haben die ersten Schulen mitgemacht - mit erstaunlichen Ergebnissen. Wenn Cennet und ihre Freundinnen durch Hamburg-Wilhelmsburg zur Schule laufen, bekommen sie reichlich Müll zu sehen: kaputte Sofas, leere Trinkkartons, Altglas, Klamotten, einzelne Schuhe. Deshalb hatten die 13-jährigen Mädchen auch gleich eine Idee, als sie die erste Aufgabe des internationalen Programms "Technovation" lösen sollten: ein Problem im eigenen Viertel zu identifizieren. "Wir haben nachgedacht, was helfen könnte, unseren Schulhof und den ganzen Stadtteil sauber zu halten", sagt Cennet, "und da sind wir darauf gekommen, Sachen wieder zu verwenden. Zum Beispiel kann man aus einer alten Flasche eine Vase machen oder aus einem Karton ein Puppenhaus." Aus der Idee entstand die App "UpCycle", die das Mädchen-Team im ersten Halbjahr 2018 entwickelte, unterstützt von ihrem Lehrer Moritz Lund und zwei Mentoren des Softwareherstellers Adobe, der in Hamburg einen Standort hat. "Unsere App ist eine Art Bastelbuch mit ungewöhnlichem Bastelmaterial", sagt Cennet. Neben "UpCycle" programmierte das Team der Stadtteilschule Wilhelmsburg auch eine App, mit der Opfer häuslicher Gewalt Hilfsangebote finden können. Das Technovation-Programm der amerikanischen Non-Profit-Organisation "Iridescent" hat zum Ziel, weltweit mehr Mädchen für Informatik zu begeistern. Seit 2010 nahmen mehr als 23 000 Mädchen aus rund hundert Ländern daran teil. In Deutschland, wo das Programm Anfang dieses Jahres mit 50 Hamburger Schülerinnen zwischen zehn und 18 Jahren startete, wird es von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) betreut. "Die Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien bestimmen wesentlich darüber, wie erfolgreich junge Menschen später im Beruf sein werden und welche Chancen auf Teilhabe sie haben werden", sagt DKJS-Geschäftsführer Frank Hinte. Da immer noch viel weniger Frauen IT-Berufe ergreifen als Männer, sei es wichtig, Mädchen besonders zu fördern. Detailansicht öffnen Mit den kleinen Anwendungsprogrammen auf dem Handy haben Schüler ständig zu tun - warum also nicht selbst eine App erfinden? (Foto: Jens Sudip Nandi) Das findet auch Moritz Lund, der an der Stadtteilschule Wilhelmsburg Naturwissenschaften unterrichtet. Viele Jungen an seiner Schule hätten sich darüber beschwert, dass sie nicht mitmachen dürften, erzählt er: "Tatsächlich würden die so ein Angebot auch brauchen. Trotzdem ist ein Kurs für Mädchen besonders nötig, weil es gerade in diesem Stadtteil auch darum geht, Rollenbilder zu verändern." Die Siebtklässlerinnen Cennet, Khadijah, Sila, Hewan und Belfin lernten nicht nur einfaches Programmieren, sondern auch, was zu einer Marktanalyse gehört, welche Geschäftsmodelle es gibt und wie man ein Pitchvideo dreht. Das Technovation-Curriculum sieht für all das nur zwölf Wochen vor, viele Inhalte sollen sich die Teilnehmerinnen selbst erarbeiten, gute Englischkenntnisse sind Voraussetzung. Um seine Schülerinnen nicht zu überfordern, verfasste Lund zusätzlich zum internationalen ein eigenes Curriculum. Bildungsgerechtigkeit ist dem Lehrer ein Herzensanliegen, er will sich nicht damit abfinden, dass Schulerfolg in Deutschland so stark von der Herkunft abhängt. "Sprachliche Hemmschwellen und häusliche Unterstützung" spielten im Mint-Bereich keine so große Rolle wie in anderen Fächern, meint er: "Es zählen mehr das individuelle Talent und die Motivation." Die Teams programmieren mit dem "MIT App Inventor", einem leicht zu lernenden Entwicklungstool, bei dem schon angelegte Befehle in der richtigen Reihenfolge zusammengesetzt werden müssen. In Hamburg entstanden insgesamt zwölf Apps, unter anderem zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung, Meldung von Graffiti oder Sammlung von Öffnungszeiten kleiner Geschäfte und Kioske. Besonders erfolgversprechend scheint die App "DriveTogether" zu sein, die vier Schülerinnen der Ida-Ehre-Schule in Harvestehude entwickelten. Das Team befragte Bewohner, was sie an ihrem Stadtteil stört. "Viele haben gesagt, dass es zu viele Autos gibt und dass es auf den Straßen zu laut ist", sagt die 14 Jahre alte Hannah, "andere haben sich mehr Carsharing gewünscht. Diese Dinge haben wir mit der App zusammengebracht." Mit "DriveTogether" könne man nach Events in der Umgebung suchen und Autobesitzer finden, die zum selben Ziel wollten und bereit seien, jemanden mitzunehmen. "Wenn man zusammen fährt, kann man auch neue Leute kennenlernen", sagt Hannah. Detailansicht öffnen Vier Hamburger Schülerinnen, eingerahmt von zwei Adobe-Mentoren, haben eine Mitfahr-App entwickelt, ganz links die Lehrerin Diana Niemann. (Foto: oh) Die technische Ausstattung der Hamburger Schulen zeigte sich den Anforderungen nicht immer gewachsen. In der Stadtteilschule Wilhelmsburg brach immer wieder die Internetverbindung zusammen, das Team der Ida-Ehre-Schule musste sogar umziehen. "Nachdem hier technisch nichts mehr geklappt hatte, sind wir jede Woche zu Adobe gefahren und haben dort an der App weitergearbeitet", sagt Lehrerin Diana Niemann. Das ehrgeizige Ziel der Schülerinnen ist es, die Apps bis zur Marktreife zu bringen Organisationen wie Lobbycontrol kritisieren, dass Schulen wegen ihrer schlechten Ausstattung geradezu auf die Förderung privater Unternehmen angewiesen sind, die dadurch ihr Image verbessern oder sogar direkt Werbung für ihre Produkte betreiben. Dagegen betont DKJS-Geschäftsführer Frank Hinte, dass die Stiftung bei Kooperationen mit der Wirtschaft sehr genau hinsehe: "Für uns ist die Kernfrage, ob das Unternehmen wirklich ein gesellschaftliches Problem lösen will oder bloße Marketing-Interessen verfolgt." Adobe-Software werde bei den Technovation-Projekten nicht verwendet. Auch Diana Niemann sieht kein Problem in der Kooperation: "Wir arbeiten auch sonst viel mit Unternehmen zusammen, um unsere Schüler auf das Berufsleben vorzubereiten. Für die Mädchen war es toll zu sehen, wie der Alltag in so einem Unternehmen funktioniert." Niemanns Schülerinnen Leyla und Nioba, die vorher keinerlei Erfahrungen mit Programmieren gemacht hatten, können sich jetzt vorstellen, einen IT-Beruf zu ergreifen. "Ich fand Programmieren sehr cool, und es ist interessant zu sehen, was man damit alles machen kann", sagt Leyla. Die anderen beiden Mädchen taten sich mit dem reinen Programmieren schwer, hatten aber Spaß daran, das App-Design zu gestalten. Das Team arbeitet jetzt weiter an seinem Prototyp, genauso wie das Team der Stadtteilschule Wilhelmsburg: Das ehrgeizige Ziel ist, die Apps bis zur Marktreife zu bringen. 2019 ist dafür ein weiterer Zwölf-Wochen-Arbeitsblock vorgesehen, danach sollen die Apps beim internationalen Technovation-Wettbewerb eingereicht werden, den in diesem Jahr ein Team aus Indien gewonnen hat. Die DKJS will Technovation 2019 auf München ausweiten, wo Adobe ebenfalls einen Standort hat. Wenn die Stiftung weitere Unternehmenspartner finde, könne es auch anderswo angeboten werden, sagt Hinte: "Das Programm kann in jeder Stadt umgesetzt werden, wo Schulen dafür offen sind und wo genügend Mitarbeiter von Technologie-Unternehmen dazu bereit sind, ihr Know-how zu teilen." Kontakt: www.dkjs.de/technovation
Die globale Initiative "Technovation" ermutigt Mädchen, eigenständig Apps zu entwickeln und ihr Interesse für IT-Berufe zu bestärken. In Hamburg haben die ersten Schulen mitgemacht - mit erstaunlichen Ergebnissen.
karriere
https://www.sueddeutsche.de/karriere/mint-faecher-selber-machen-1.4241795
Süddeutsche.de
00/12/2018
Eines Tages soll der "Tag der Bildung" so etwas werden wie der "Girls' Day", mit 10 000 Firmen und 100 000 Teilnehmern im Jahr. Das jedenfalls schwebt den drei gemeinnützigen Organisationen vor, die vor vier Jahren den "Tag der Bildung" ins Leben gerufen haben: der Stifterverband, die SOS-Kinderdörfer und die Deutschen Kinder- und Jugendstiftung. Sie wollen mit dem Aktionstag das Thema Bildung in den Fokus der Öffentlichkeit rücken. Denn ihrer Arbeit liegt ein zentraler Gedanke zugrunde: Jeder Mensch soll die Chance erhalten, das Beste aus seinen Begabungen und seinem Leben zu machen - unabhängig von seiner Herkunft. Doch bis der "Tag der Bildung", der an diesem Samstag in ganz Deutschland stattfindet, so viele Menschen anzieht wie andere Aktionstage, ist es noch ein weiter Weg. Bisher haben sich erst zehn Veranstalter auf einer Mitmach-Karte eingetragen. Doch mit der Vernetzung vieler Initiativen, einer groß angelegten Social-Media-Aktion und engagierten "Bildungsbotschaftern" ist ein Anfang gemacht. www.tag-der-bildung.de
Der "Tag der Bildung" wirbt seit vier Jahren für Chancen­gleichheit und dafür, das Beste aus seinen Begabungen zu machen.
karriere
https://www.sueddeutsche.de/karriere/aktionstag-begabungen-ausschoepfen-1.4241791
Begabungen ausschöpfen
00/12/2018
Viele Topmanager haben an einer technischen Universität studiert - und dagegen nur überaus wenige an einer Fachhochschule. Das zeigt nun eine Auswertung der Bildungsbiografien von mehreren Vorständen der Dax-30-Unternehmen. Als Vorstand eines Dax-Unternehmens hat man einen Job, für den es keine offizielle Stellenbeschreibung gibt. Es gibt auch keine Anleitung, wie man diesen Posten erreicht. Dennoch haben die meisten Top-Manager an der Spitze der 30 wichtigsten deutschen Aktiengesellschaften einen ähnlichen Werdegang. Das zeigt eine Auswertung des Berliner Recruiting-Dienstleisters Taledo, der die Lebensläufe von Vorständen analysiert hat. Es beginnt mit dem Studienfach. Die meisten Dax-Vorstände haben ein Wirtschaftsstudium absolviert. An zweiter Stelle folgen die Ingenieurwissenschaften, an dritter Stelle die Naturwissenschaften, dann Jura und Sozialwissenschaften. Nur ein einziger Vorstand hat eine Geisteswissenschaft studiert. Ebenfalls selten sind Top-Manager, die ihr Studium mit dem Bachelor beendet haben. Mehr als 90 Prozent können einen Master oder ein Diplom vorweisen. 42 Prozent von ihnen haben sogar promoviert, insgesamt vier halten zur Zeit eine Professur inne. Dabei legen einige Unternehmen größeren Wert auf eine Promotion als andere. Bei Eon haben beispielsweise alle Mitglieder des Vorstands einen Doktortitel, ähnlich sieht es bei der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft und der Linde AG aus. Dagegen kann sich bei Daimler von insgesamt acht Vorstandsmitgliedern nur der Vorsitzende mit einem Doktortitel schmücken. Dabei besteht ein Zusammenhang zwischen der Studienrichtung und der Häufigkeit einer Promotion. Nur 18 Prozent der Vorstände mit einem Wirtschaftsstudium haben einen Doktorgrad. Dagegen liegt der Anteil der Promotionen bei den Ingenieuren bei 53 Prozent, bei den Naturwissenschaftlern bei 74 Prozent. Von den Juristen haben sogar 86 Prozent promoviert. Als Kaderschmiede für Dax-Vorstände kann die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) in Aachen gelten: Hier haben die meisten Vorstände ihren Abschluss gemacht. Auf Platz zwei liegen die Ludwig-Maximilians-Universität München, die Universität Karlsruhe und die Technische Universität Darmstadt mit je vier Abschlüssen eines Vorstandes. Den dritten Platz teilen sich die Humboldt-Universität Berlin und die Uni Mannheim. Bei Abschlüssen aus dem Ausland liegt die Wirtschaftshochschule Insead Fontainebleau vorne, gefolgt von der Universität Sydney, der ETH Zürich, den Universitäten Wien, Innsbruck und Rotterdam. An weiteren Hochschulen der Liste hat jeweils nur ein Vorstand studiert. Nur eine einzige Fachhochschule taucht in dem Ranking auf: Es ist die Ostbayerische Technische Hochschule in Regensburg, an der zwei Dax-Vorstände studiert haben.
Viele Topmanager haben an einer technischen Universität studiert - und dagegen nur überaus wenige an einer Fachhochschule. Das zeigt nun eine Auswertung der Bildungsbiografien von mehreren Vorständen der Dax-30-Unternehmen.
karriere
https://www.sueddeutsche.de/karriere/lebenslaeufe-posten-fuer-doktoren-1.4240547
Lebensläufe - Posten für Doktoren
00/12/2018
Sara Alsulaiman Alnaser hat mit 14 Jahren ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um zur Schule zu gehen. Mit ihrem Vater, einem Autohändler, und drei ihrer Geschwister verließ sie 2015 ihre Heimat Syrien. Die Mutter, eine Englischlehrerin, blieb mit drei weiteren Geschwistern zurück. Zu Fuß querte Vater Alnaser mit den Kindern erst Libanon, dann die Türkei, um dort in ein Schlauchboot zu steigen. Sie erreichten die griechische Küste und schlugen sich über Mazedonien und Ungarn nach Deutschland durch. Nach 18 Tagen landeten sie in einem Erstaufnahmeheim in Norddeutschland. "Das war ein leer geräumter Supermarkt, in dem 700 Menschen lebten", sagt Sara Alsulaiman Alnaser. Ein Jahr mussten sie dortbleiben. Das Schlimmste: Alnaser, die wusste, was ihre Familie geopfert und riskiert hatte, damit sie eine Zukunft hat, damit sie zur Schule gehen kann, durfte keine besuchen. "Es hieß, dass wir jeden Moment in eine andere Unterkunft kommen könnten, in eine andere Stadt." Heute ist sie 17, geht in die elfte Klasse eines Gymnasiums, besucht nebenbei einen Wirtschaftskurs der Industrie- und Handelskammer und hat im vergangenen Jahr erstmals an der Vorbilder-Akademie teilgenommen. Die Initiative des Bonner Zentrums für Begabungsförderung "Bildung und Begabung" unterstützt seit 2011 Jugendliche mit Migrationshintergrund dabei, herauszufinden, welche Möglichkeiten ihnen in Deutschland offenstehen. "Oft haben sie einfach eine schlechtere Startposition, und die wollen wir etwas ausgleichen", sagt Ulrike Leikhof, die Leiterin der Vorbilder-Akademie. Vor allem, weil die Eltern oft gar nicht wissen, welche Bildungswege es in Deutschland gibt. "Was ihnen fehlt, sind Bildungsvorbilder in der näheren Umgebung." Diese lernen die Jugendlichen an der Akademie kennen. Eines dieser Vorbilder ist Simmuz Doymaz, dessen Eltern in Pforzheim einen Döner-Imbiss betreiben. Er war elf, als er aus der Türkei nach Deutschland kam. "Ich wusste schon immer, dass ich studieren möchte", sagt er. Auch als er noch auf die Hauptschule ging. Einige seiner Mitschüler und Lehrer belächelten ihn oder versuchten, ihm eine Lehre schmackhaft zu machen. "Ich bin da schon irgendwie an eine Wand gestoßen", sagt Doymaz, der mittlerweile am Karlsruher Institut für Technologie Elektrotechnik studiert. Damals sei es wichtig gewesen, jemanden zu haben, der Mut macht. Jemanden wie die Vorbilder der Vorbilder-Akademie. Die hat inzwischen vier Standorte und bietet einmal im Jahr eine Woche lang verschiedene Kurse an: Rechts-, Neuro- und Kulturwissenschaften zum Beispiel oder eben Elektro- und Informationstechnik. Das ist der Kurs, den Doymaz in diesem Jahr als Vorbild geleitet hat. Spielerisch hat er den Teilnehmern gezeigt, worum es in seinem Studienfach geht. Und er hat ihnen erzählt, wie er es bis an die Hochschule geschafft hat. 2012 hatte er selbst an einer Akademie teilgenommen. "Es war gut, mal wegzukommen vom Alltag, in einer sicheren Umgebung zu sein, in der jede Frage mit Respekt beantwortet wird", sagt Doymaz. "Vielen Teilnehmern ist gar nicht klar, welche Möglichkeiten wir haben - etwa, dass es Stipendien gibt." Er wird beispielsweise heute von der Hans-Böckler-Stiftung unterstützt. Mit seinem Vorbild von damals hat er immer noch Kontakt. Leikhofs Team sendet regelmäßig Infomaterialien über die Akademie an alle Schulen mit neunten und zehnten Klassen, aber auch an Jugendmigrationsdienste und andere Einrichtungen, die mit der Zielgruppe zu tun haben. "Natürlich nutzen wir auch die sozialen Medien", sagt Akademieleiterin Leikhof. Die Jugendlichen müssen sich dann bewerben. 750 durften bisher teilnehmen. "Für mich war das die schönste Woche meines Lebens", sagt Sara Alsulaiman Alnaser. "Ich bin das erste Mal allein verreist und habe viele nette Menschen kennengelernt." Eine Lehrerin hatte sie auf die Akademie aufmerksam gemacht. In diesem Jahr ist Alnaser wieder zur Vorbilder-Akademie gefahren. Dieses Mal als "Teamer". Sie hat den Erstteilnehmern gezeigt, wie das Ganze funktioniert. Wer mit Alnaser spricht, hört die Zuversicht in ihrer Stimme. Die fehlte der Familie im ersten Jahr in Deutschland noch. "Wir saßen da und verloren unsere Zeit." Weil Alnaser nicht zur Schule gehen durfte, ging sie in die Stadtbibliothek und lieh sich Deutschbücher aus. "Im Heim gab es sonst nur Essen und Schlafen. Mir war furchtbar langweilig", erzählt sie. Also meldete sie sich freiwillig als Dolmetscherin. "Dabei habe ich nur ein paar Brocken Deutsch gesprochen." Kaum mehr als die Neuankömmlinge. Ein halbes Jahr später sprach sie es fließend. Nach ihrem Abitur möchte sie Neurowissenschaftlerin werden.
Die Vorbilder-Akademie hilft Schülern mit ausländischen Wurzeln bei der Orientierung über mögliche Bildungswege.
karriere
https://www.sueddeutsche.de/karriere/foerderung-der-schoenste-tag-meines-lebens-1.4241793
"""Der schönste Tag meines Lebens"""
00/12/2018
Bewerbung: Wer darf rein? Das Bauchgefühl ist immer dagegen. Gegen Frauen. Gegen Migranten. Gegen Behinderte. ­Vorurteile spielen bei Bewerbungen eine Rolle. Das zeigen viele Studien, und das sagen Personaler selbst. Obwohl sie wissen, dass ein ausländischer Name nichts über Deutschkenntnisse aussagt. Obwohl sie wissen, dass nicht jede Frau Kinder kriegen will. Sie stellen unbewusst lieber Menschen ein, die ihnen ähnlich sind. Solange die meisten Personalchefs männlich sind, sind Frauen also im Nachteil. Maßnahmen dagegen gab es bisher wenig. Beim Symphonieorchester in Boston kam man aber schon in den Siebzigerjahren zu dem Schluss: Frauen können genauso gut Geige, Posaune und Flöte spielen wie Männer. Irgendwas muss also schieflaufen, wenn im Orchester fast nur Männer sitzen. Von da an mussten alle Bewerber hinter einem Vorhang spielen, und der Dirigent konnte nicht sehen, ob er einen Mann oder eine Frau hört. Plötzlich kamen viel mehr Frauen durch die Vorrunde, das Orchester wurde weiblicher. In der Wirtschaftswelt merken viele Entscheider erst jetzt, dass sie sich beim Bewerbungsprozess besser austricksen sollten. In manchen Branchen bleibt kein geeigneter Kandidat mehr übrig, wenn nur Männer mit deutschen Namen und guten Noten eingeladen werden. Der Fachkräftemangel ist das beste Argument gegen Vorurteile - und die Digitalisierung das beste Mittel gegen Diskriminierung. Onlineplattformen wie Instaffo bieten Bewerbern und Arbeitnehmern gewissermaßen einen digitalen Vorhang an: Auf der einen Seite können Bewerber ihre Kompetenzen und Erfahrungen auflisten. Auf der anderen Seite beschreiben Unternehmen, was der gesuchte Mitarbeiter können muss. Ein Algorithmus ermittelt die Übereinstimmung und meldet die Treffer. Will die Firma mehr über einen Kandidaten wissen, kann der sich zu erkennen geben. Taledo funktioniert so ähnlich, fragt Arbeitgeber und Jobsuchende aber vor allem nach Wünschen. So finden sich Bewerber und Firmen, die nicht gedacht hätten, dass sie zueinanderpassen. Am Ende entscheiden dann zwar wieder Personaler, ihr Bauchgefühl wird aber von Fakten herausgefordert. Und die sagen vielleicht: Die Kandidatin passt zu 93 Prozent auf das Stellenprofil, der Kandidat nur zu 76.
Weil Männer die Regeln der Arbeitswelt aufgestellt haben, sind sie für Frauen oft ungerecht. Fünf Aspekte, auf die sie bei der Jobsuche achten sollten.
karriere
https://www.sueddeutsche.de/karriere/bewerbung-verhandlung-befoerderung-planw-1.4233639
Karriere - Wo haben Frauen gleiche Chancen?
00/12/2018
"Wir Frauen können das genauso, wir müssen uns nur trauen": Im Workshop "Rails Girls" lernen Frauen Coding-Grundlagen. Ein Besuch. Samstagmorgen in der Münchner Innenstadt, hoch oben über der Bummelmeile, in einer großen, offenen Büroetage. Hier treffen sich 20 Frauen, die programmieren lernen wollen, mit fast ebenso vielen Coaches, die ihnen das beibringen. Es findet ein Rails-Girls-Workshop statt. Einmal im Jahr stellt der Verein diese Frauen-Coding-Seminare auf die Beine, sucht Sponsoren, Coaches, Räume. Die Frauen können den Kurs kostenlos besuchen und bekommen an nur einem Tag die Grundlagen der Programmiersprache Ruby on Rails beigebracht. Wir sprechen mit Teilnehmerinnen, Coaches und mit einer der Organisatorinnen, Larissa Schappach, über die Idee der Rails Girls und warum es mehr Frauen in IT-Berufen braucht. Lassen Sie uns wissen, wie Ihnen der Plan W Podcast gefällt und nehmen Sie an unserer Umfrage teil: http://www.sz.de/planwpodcast. So können Sie den Plan W-Podcast abonnieren: Der Plan W-Podcast erscheint alle vier Wochen und greift den Schwerpunkt des aktuellen Plan W-Heftes auf. Alle Folgen finden Sie hier. Verpassen Sie keine Folge und abonnieren Sie unser Audio-Angebot, etwa bei: Spotify iTunes Deezer oder in Ihrer Lieblings-Podcast-App. Sie haben Fragen oder Anregungen? Dann schreiben Sie uns sz-planw@sueddeutsche.de. Der Plan W Podcast ist eine hauseins-Produktion für die Süddeutsche Zeitung.
"Wir Frauen können das genauso, wir müssen uns nur trauen": Im Workshop "Rails Girls" lernen Frauen Coding-Grundlagen. Ein Besuch.
karriere
https://www.sueddeutsche.de/karriere/plan-w-podcast-programmieren-1.4243108
Programmieren lernen an einem Tag
00/12/2018
Bundesweit gibt es eine Vielzahl von Initiativen, die Kindern und Jugendlichen aus "Risikolagen" bessere Bildungschancen verschaffen möchten. Zu Risikolagen rechnet der Bericht "Bildung in Deutschland 2018": ein bildungsfernes Elternhaus, eine soziale Risikolage, das heißt, kein Elternteil ist erwerbstätig, sowie eine finanzielle: Das Familieneinkommen beträgt weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens. Etwa drei Prozent aller Kinder wachsen in allen drei Risikolagen auf. Im Folgenden eine Auswahl von Initiativen: Bei der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Jahr 2014 ins Leben gerufenen "Transferinitiative Kommunales Bildungsmanagement" kooperieren neun Transferagenturen in einem bundesweiten Netzwerk. Sie unterstützen kreisfreie Städte und Landkreise beim Aufbau verbesserter Bildungsmanagementstrukturen. Sie orientieren sich an regionalen Aspekten und verfolgen zugleich thematische Schwerpunkte, darunter "Diversität und soziale Lage": Näheres unter www.transferinitiative.de. Die Bund-Länder-Initiative "Bildung durch Sprache und Schrift" ist ein Forschungs- und Entwicklungsprogramm. Sie überprüft die in den Ländern eingeführten Angebote zur Sprachförderung, Sprachdiagnostik und Leseförderung für Kinder und Jugendliche auf ihre Wirksamkeit und entwickelt sie weiter. Dafür arbeiten Verbünde aus Kindertageseinrichtungen und Schulen eng zusammen, setzen Maßnahmen der Sprachbildung und Sprachförderung um und tauschen ihre Erfahrungen darüber aus: Kontakt: www.biss-sprachbildung.de. Die gemeinnützige Stiftung "Haus der kleinen Forscher" engagiert sich für die Bildung von Kindern des Kita- und Grundschulalters in den Bereichen Naturwissenschaften, Mathematik und Technik. Als bundesweit größte Frühbildungsinitiative lebt das "Haus der kleinen Forscher" vom Engagement am jeweiligen Ort: Mehr als 220 lokale Netzwerke arbeiten eng mit der Stiftung zusammen; Informationen unter www.haus-der-kleinen-forscher.de. Das Programm "Kultur macht stark" unterstützt außerschulische Projekte der kulturellen Bildung. Die freiwillige Beschäftigung mit Kultur eröffnet nach Ansicht der Initiatoren gerade benachteiligten Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen drei und 18 Jahren neue Zugänge zur Bildung. Die Projekte bauen eine Brücke zu öffentlichen Lernwelten wie Museen, Theatern, Bibliotheken. 33 Partner setzen das Programm bundesweit um; Kontakt: www.buendnisse-fuer-bildung.de. Die Koordinierungsstelle Ausbildung und Migration (KAUSA) fördert die duale Ausbildung in Unternehmen von Migranten. Ziel ist, mit bundesweiten Partnern mehr Jugendliche mit Migrationshintergrund für eine duale Ausbildung zu gewinnen. Zudem will man bei Unternehmern die Bereitschaft zur Integration der Jugendlichen steigern. Laut BMBF scheitert das Schaffen von Ausbildungsplätzen häufig an mangelnden Informationen, bürokratischen Hürden sowie an fehlenden Erfahrungen mit dem dualen System der Berufsbildung. Während durchschnittlich jeder vierte Betrieb in Deutschland ausbildet, beschäftigt Schätzungen zufolge nur jeder siebte Selbständige mit Migrationshintergrund Auszubildende. Detaillierte Informationen unter dem folgenden Link: www.bmbf.de/de/kausa-migranten-bilden-aus-1093.html
Viele Programme unterstützen benachteiligte junge Menschen in ganz Deutschland. Manche Angebote fokussieren auf bestimmte Fächer. Die Möglichkeiten zur Lernförderung beginnen schon im Kita-Alter.
karriere
https://www.sueddeutsche.de/karriere/bundesweite-netzwerke-bildungshelfer-1.4238468
Bundesweite Netzwerke - Bildungshelfer
00/12/2018
Abfall gibt es nicht, so gut wie alles lässt sich verwerten: Auch das lernt man in Studiengängen des Bereichs Umweltschutz und Recycling. Die Berufsaussichten in dieser Branche sind sehr gut. Die Bilder von Meerestieren, die sich in Plastikmüll verheddern und elend zugrunde gehen, oder von Stränden mit Bergen ausgedienter Verpackungen, die mit der Brandung angeschwemmt wurden, lassen kaum jemanden kalt. Nach Berechnung einer Studie der Ellen MacArthur Foundation verschmutzen etwa 150 Millionen Tonnen Plastik die Weltmeere. Und es wird noch schlimmer: Landen aktuell pro Jahr ungefähr acht Millionen Tonnen Plastik in den Meeren, könnten es bis 2030 doppelt so viel sein, prognostizieren Forscher. Der junge Niederländer Boyan Slat und sein Team gehören zu den Menschen, die etwas dagegen tun wollen. Mit seinem Unternehmen The Ocean Cleanup mit Sitz im niederländischen Rotterdam will der 24 Jahre alte Slat die Weltmeere aufräumen. Seit Oktober fischt einer seiner riesigen "Meeresstaubsauger" im Nordpazifik Müll aus dem laut Scientific Report etwa 1,6 Millionen Quadratkilometer großen Müllstrudel, dem sogenannten Great Pacific Garbage Patch. Sein Plan ist, dass der eingesammelte Plastikmüll an Land recycelt und gewinnbringend verkauft werden soll. Für das Recycling werden dann Ingenieure wie Leanne Brits zuständig sein. Die Südafrikanerin hat in Stellenbosch ihren Master in Chemical Engineering abgeschlossen und bis Anfang dieses Jahres als Recycling-Ingenieurin im Team von The Ocean Cleanup gearbeitet; sie testete unterschiedliche Recycling-Verfahren für den aus dem Meer gezogenen Plastikmüll. Inzwischen ist sie wieder nach Südafrika zurückgekehrt und promoviert an der Universität Stellenbosch. Spezialisten kümmern sich darum, dass Recycling- oder Sortieranlagen besser arbeiten Wie gut Slats Säuberungsprojekt funktioniert, muss sich erst noch zeigen. Falls es erfolgreich ist, sollen zahlreiche weitere "Müllstaubsauger" installiert werden. Wie man der Müllmassen Herr wird - egal ob an Land oder im Wasser - ist und bleibt ein Riesenthema. "Die Karrierechancen sind groß, gerade für Ingenieure", sagt Bernhard Schodrowski, Sprecher des Bundesverbands der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft (BDE). "Das schließt Recycling mit ein, umfasst aber deutlich mehr." Ingenieure würden bei Anlagen- und Maschinenbaufirmen, die Recyclingtechnik herstellen und entwickeln, oder direkt als Fachleute in den Recycling- und Entsorgungsanlagen gebraucht. "Die Anlagen müssen ja betrieben, weiterentwickelt und gewartet werden. Das sind circa 15 000 in Deutschland", sagt Schodrowski. Jose Forero ist Maschinenbauingenieur und bewertet für das privatwirtschaftliche Entsorgungsunternehmen Suez mehrere Verwertungsanlagen, etwa eine Anlage für Ersatzbrennstoffaufbereitung in Bruchsal (Baden-Württemberg). Er analysiert die Wirtschaftlichkeit der Anlage, überwacht die Betriebsausgaben und legt diese Daten dem Vorstand vor. "Da wir unsere Anlagen immer auf dem neuesten Stand halten und optimieren wollen, bin ich vor Ort und bespreche Details mit den Anlagenleitern. Das geht nur, weil ich als Ingenieur Kenntnisse in der Verfahrenstechnik habe. Ich verstehe die Prozesse und kann die richtigen Fragen stellen", erläutert er. Christina Schulz hat sich ebenfalls für eine Karriere im Umweltbereich entschieden. Nach einem Bauingenieurstudium spezialisierte sie sich mit der Vertiefungsrichtung Wasser- und Abfallwirtschaft an der FH Aachen. "Ich bin in den Achtzigerjahren aufgewachsen. Saurer Regen, Mülltrennung, die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl - diese Themen haben mein Umweltbewusstsein geweckt", beschreibt sie ihre Motivation. Heute ist die 47-Jährige beim Recycling- und Rücknahmespezialisten Grüner Punkt im Bereich Business Development und Managementsysteme tätig. "Mein Arbeitsalltag ist sehr abwechslungsreich", sagt sie. Vergangenes Jahr hat sie einen Nachhaltigkeitsbericht mitbetreut und die Prüfung nach internationalen Standards begleitet. Außerdem berät sie Kunden, etwa Hersteller von Verpackungen, wie sie ihre Produkte so gestalten können, dass sie sich besser recyceln lassen. Schulz prüft auch neue Methoden, nach denen Sortier- und Verwertungsanlagen effizienter arbeiten können. Sie hat bereits Sortieranlagen betreut, das hilft ihr ebenso weiter wie ihre Kenntnisse als Ingenieurin. "Ich kann erklären, was mit den Flakes, also den zerschredderten Plastikteilen, im Extruder passiert und wie Kunststoff beschaffen sein muss, damit er gut recycelt werden kann", sagt sie. Ein Extruder ist eine Maschine, die aus thermoplastischem Material, zum Beispiel Kautschuk oder Kunststoff, Formstücke herstellt. Recycling sei und bleibe ein Riesenthema: "Die Arbeit geht nicht aus, das Verpackungsmaterial wird nicht weniger, nicht zuletzt durch den Zuwachs an Singlehaushalten und den Internethandel." Ein Verfahren zielt darauf ab, aus dem Meer gefischten Müll schon an Bord in Öl zu verwandeln Recycling Engineering kann man in Deutschland an der Hochschule Nordhausen in Thüringen studieren. Dort ist Uta Breuer Studiendekanin. Die Biotechnikerin spricht von "wunderbaren Berufsaussichten" für ihre Studierenden: Die Absolventen arbeiten im öffentlichen Dienst, bei kleinen Firmen, als Sachverständige, bei klassischen Recyclern wie etwa Remondis und Alba Group, oder sie leiten Biogasanlagen. "Das volle Programm", sagt Breuer. Für wen eignen sich Studium und Beruf? "Mitbringen sollte man naturwissenschaftliche Grundlagen in Mathe, Physik und Chemie, ein Grundverständnis für technische Abläufe und die Lust, etwas für die Natur zu tun", sagt die Professorin. Und man sollte sich darauf einstellen, dass man auf der Deponie zu tun hat und auch mal den Inhalt Gelber Säcke auseinandernehmen muss. "Aber ab dem Rechenhaus in der Kläranlage riecht es anders", fügt sie hinzu, um etwaigen Bedenken gleich etwas entgegenzusetzen. Das Wort "Abfall" hört sie nicht gerne. "Ein schlimmer Begriff", sagt die Studiendekanin. "Abfall gibt es eigentlich nicht. Das könnte man alles weiterverwerten." Erich Groever hat schon sein ganzes Berufsleben über mit Abfällen und dem Sammeln und Recyceln von ihnen zu tun: Der 63 Jahre alte Verfahrenstechniker hat sich mit seinem Ingenieurbüro auf Umweltthemen spezialisiert. Zunächst, in den Neunzigerjahren, auf den Bau von Anlagen, dann, als der Markt in Deutschland gesättigt war, auf Beratung, Umbau und Ausbau bereits bestehender Anlagen. Heute engagiert er sich für den Verein "One Earth - One Ocean", ein Projekt, das auf etwas ganz Ähnliches zielt wie The Ocean Cleanup: Gewässer von Plastik befreien. Die Idee: Schiffe unterschiedlicher Größe sammeln Müll auf Gewässern ein. Das größte, der "Seeelefant" soll nicht nur Müll aus dem Wasser fischen können, sondern ihn mit einer Verölungsanlage an Bord auch sofort verwerten. "Quasi eine schwimmende Tankstelle", sagt Groever, der Vereinsgründer Günther Bonin zu dem Vorhaben berät. Der Katamaran "Seehamster" fischt seit einigen Jahren regelmäßig Algendreck aus dem Germeringer und Olchinger See bei München. Bis Ende August war der "Seehamster" zu Demonstrationszwecken auf dem Mekong in Kambodscha unterwegs. Noch ein Produkt aus dem Hause Groever machte in Asien die Gewässer sauberer - die etwas größere "Seekuh" spielte den Sommer über im Hafen von Hongkong Müllabfuhr. Momentan ist der "Seehamster" in Deutschland im Einsatz: In Kiel testen Ingenieure ein neues Netz und Fangsystem. Bundesweit bieten in Deutschland mehr als 80 Hochschulen Studiengänge im Bereich Umwelttechnik an. Ein spezielles Recycling-Ingenieurstudium gibt es in Deutschland in Nordhausen und Magdeburg: Umwelt- und Recyclingtechnik (Bachelor), www.hs-nordhausen.de; Recycling und Entsorgungsmanagement, www.hs-magdeburg.de. Weiterbildungen für Ingenieure zum Thema Recycling bietet der Verein Deutscher Ingenieure (VDI): https://www.vdi-wissensforum.de/weiterbildung-umwelttechnik/recycling
Abfall gibt es nicht, so gut wie alles lässt sich verwerten: Auch das lernt man in Studiengängen des Bereichs Umweltschutz und Recycling. Die Berufsaussichten in dieser Branche sind sehr gut.
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https://www.sueddeutsche.de/karriere/recycling-experten-technik-trifft-nachhaltigkeit-1.4238474
Recycling-Experten - Technik trifft Nachhaltigkeit
00/12/2018
Immer mehr Jobsuchende bewerben sich per Smartphone bei Unternehmen - das gilt vor allem für techniknahe Branchen. Durch Mobile Recruiting verändert sich der Auswahlprozess für Firmen wie für Bewerber. Die Deutsche Bahn tut es, McDonald's und das Beratungsunternehmen Accenture auch: Sie gehen neue Wege bei der Anwerbung und Einstellung von Mitarbeitern. "Ein-Klick"- oder "One-Minute"-Bewerbung heißt das Verfahren. Immer weniger Jobsuchende verschicken eine Bewerbungsmappe per Post, immer mehr versenden sie als PDF per E-Mail oder bewerben sich gar per "Mobile Recruiting" über das Smartphone. Gerade technikaffine Jobsuchende und Absolventen eines IT-Studiums wollen sich auf diese Weise bewerben; einige potenzielle Arbeitgeber erwarten es auch, dass man sich auf diese moderne Art bei ihnen bemerkbar macht. "Letztlich ist es das altbekannte E-Recruiting unter Verwendung moderner Technologie", sagt Professor Wolfgang Jäger, der an der Hochschule Rhein-Main zu dem Thema forscht und zahlreiche Praxiseinführungen begleitet hat. Potenzielle Bewerber mögen die Methode auch deshalb, weil sie unterwegs, zum Beispiel im Zug oder während sie im Stau stehen, nach Stellenangeboten suchen und in den mobil gestützten Bewerbungsprozess einsteigen können. "So wurde aus dem E-Recruiting das M-Recruiting", fügt Jäger hinzu. "Wir wissen, dass etwa die Hälfte der Studenten, Absolventen und Young Professionals mit dem Smartphone unterwegs oder mit dem Tablet abends auf der Couch nach Jobs suchen", sagt James Barker, Senior Account Manager bei der Jobbörse Absolventa, die ihre Kunden regelmäßig zu dem Thema befragt. "Es werden nicht nur Stellenanzeigen und Karriereportale für die Nutzung mit mobilen Geräten optimiert", sagt er. Immer mehr Firmen ermöglichten es Bewerbern auch, sich per Handy oder Tablet zu bewerben. Hierbei verzichten Arbeitgeber häufig im ersten Schritt auf Motivationsschreiben und Zeugnisse." Stattdessen müssen Interessenten ihre Kontaktdaten angeben - und den Link zu ihrem Profil auf Xing oder Linked-In. "Das Bewerbungsschreiben stirbt langsam aus", sagt Professor Jäger. Im Moment wollen zwar noch ungefähr 85 Prozent der Unternehmen zu irgendeinem Zeitpunkt des Prozesses möglichst aussagekräftige und hübsch formatierte Anschreiben und Lebensläufe. "Doch die große Fachkräftenot zieht nach sich, dass man auf viele Formalien verzichtet." Indes braucht es etwas anderes: nämlich gut gepflegte Profile in den einschlägigen Netzwerken in den sozialen Medien. Und ein bisschen Vorsicht, was das Posten privater Inhalte bei Facebook und Co. angeht. Denn auch da werden Personaler und Chefs irgendwann landen, wenn sie sich ihre Kandidaten anschauen. Im besten Fall dauert eine mobile Bewerbung nur noch ein paar Minuten. Meist funktioniere das Verfahren so, dass Kandidaten ihren vollen Namen, eine E-Mail-Adresse und Telefonnummer sowie den Link zur ihrem Profil eingeben, erläutert Barker. "Manchmal kann aus der Cloud oder der Dropbox auch noch ein Lebenslauf angehängt werden", führt er aus. Dann schaut sich ein Recruiter im Unternehmen den Lebenslauf des Bewerbers an. "Wenn die Eckdaten stimmen, und das Profil interessant wirkt, wird in der Regel ein erstes Telefoninterview vereinbart." Laut Barker ergänzt man im späteren Verlauf der Bewerbung weitere persönliche Daten. Wer via Smartphone Personal gewinnen will, braucht Websites, die dafür optimiert sind Die klassische Bewerbung wird von den Generationen Y und Z kaum noch favorisiert. Sie gelten als "Digital Natives", kennen also kein Leben ohne Computer. Der Begriff Generation Y bezieht sich auf die circa 1980 bis 2000 Geborenen, Generation Z auf die circa 1995 bis 2010 Geborenen. "Bei aufwändigen Bewerbungsprozessen, die vom Kandidaten umfassend persönliche Daten sowie Anschreiben, Lebenslauf, Zeugnisse und mehr abfragen, verzeichnen Unternehmen hohe Abbruchquoten", sagt Barker. Sie könnten leicht 70 Prozent und mehr betragen. "So viele interessierte Kandidaten im Bewerbungsprozess zu verlieren, können sich Unternehmen bei der aktuellen Arbeitsmarktsituation nicht leisten." Dabei bezieht er sich auf Branchen mit großem Bedarf an neuem Personal wie Technik und Informatik. Da der Trend künftig noch viel mehr zu diesem mobilen Verfahren gehen wird, muss man den sogenannten "mobile fit" weiter verbessern. Dazu brauchen die Firmen eine Strategie und ein geeignetes System dahinter, mit dem sie die Bewerbungen sichten und verarbeiten. Denn die mobile Bewerbung darf vor allem eines nicht sein: kompliziert. Bei der Gestaltung ist wichtig, die Seiten für die mobile Nutzung zu optimieren und die Fakten klar darzustellen, betont Jäger: Wie ist der Jobtitel? Wo ist das Unternehmen? Nach welchen Qualifikationen wird gesucht? "Viele wollen dann mehr über die Firma wissen, darum sind die Unternehmen, die sich mit kurzen Videos vorstellen, sehr erfolgreich." Firmen können laut Jäger auch damit punkten, dass sie Jobsuchende über den Status der Bewerbung immer auf dem Laufenden halten "und so das Versprechen eines kurzen und einfachen Ablaufs bei der mobilen Bewerbung wirklich einlösen". Die Bewerbung am Rechner, die zum sogenannten E-Recruiting gehört, ist freilich noch nicht ausgestorben. "Viele recherchieren unterwegs per Smartphone nach interessanten Stellenanzeigen und speichern sich diese ab", sagt Barker. Sobald sie Zeit hätten, würden sie die Ausschreibungen noch mal sichten und eine Online-Bewerbung erstellen. "Mobile Recruiting hingegen spricht eher die spontane Seite der Bewerber an."
Immer mehr Jobsuchende bewerben sich per Smartphone bei Unternehmen - das gilt vor allem für techniknahe Branchen. Durch Mobile Recruiting verändert sich der Auswahlprozess für Firmen wie für Bewerber.
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https://www.sueddeutsche.de/karriere/mobile-recruiting-per-wisch-zum-job-1.4238472
Mobile Recruiting - Per Wisch zum Job
00/12/2018
Bergbauingenieure sind gefragt. Sie befassen sich nicht nur mit Kohle, sondern auch mit Baustoffen wie Kalkstein und Ton oder mit Metallen. Der technologische Fortschritt verringert mit diesem Beruf verbundene Strapazen und Gefahren. Als Elisabeth Clausen ihr Studium als Bergbau-Ingenieurin vor circa 15 Jahren begann, da waren Frauen in dieser Ausbildung noch die Ausnahme. Die heute 35-Jährige war aber so interessiert an Bergbau-Technologien, dass es sie nicht abschreckte, einen Männerberuf zu erlernen. Sie begann da, wo viele Bergbau-Fachleute anfangen: unter Tage. Ein Praktikum musste sein, sie fuhr im Saarland in den Berg ein und lernte, was die Kumpel unter der Erde machen. Clausen stammt von der norddeutschen Küste - mit dem Bergbau hatte sie dort nie etwas zu tun. Dennoch oder gerade deshalb faszinierte sie das vielseitige Studium, das zu großen Teilen aus Natur- und Ingenieurwissenschaften besteht, aber auch Umwelt- und Wirtschaftswissenschaften sowie rechtliche Aspekte beinhaltet. "Und über Geologie und den Aufbau der Erde lernt man auch noch eine ganze Menge", sagt sie. Auch im Job fasziniert sie die Vielfalt: "Es ist sehr komplex unter Tage, das sind ja kleine Städte unter der Erde." Jedes Bergwerk sei anders, man müsse sich immer wieder auf neue Bedingungen und Situationen einstellen. "Und genau das macht die Arbeit so spannend." Die generalistische Ausbildung liegt auch Carsten Drebenstedt am Herzen. Er hat an der TU Bergakademie in Freiberg die Professur für Bergbau-Tagebau seit fast 20 Jahren inne. "Der Bergbau-Ingenieur benötigt die Fähigkeit, kreativ zu sein, denn Ingenieure schaffen Lösungen, und es ist zunächst alles möglich, was man sich vorstellen kann", sagt er. Um das Machbare zu realisieren, seien breite Kenntnisse gefragt. "Jede Lagerstätte ist einzigartig und erfordert für den Abbau eine spezifische Lösung." Darum müssen Fachleute für den Bergbau das Wissen aus verschiedensten Disziplinen haben. Die sächsische Hochschule, die TU Clausthal und die RWTH Aachen sind die einzigen Universitäten, an denen man sich in Deutschland heute noch zum Bergbau-Ingenieur ausbilden lassen kann. Nur in Freiberg, der ältesten montanwissenschaftlichen Hochschule der Welt, gibt es noch den Diplom-Ingenieur, die beiden anderen Hochschulen haben auf Bachelor und Master umgestellt. Fünf Jahre muss man jeweils studieren, um entweder den Ingenieurstitel oder den Master zu haben. "Die vermittelten Kompetenzen sind weitestgehend identisch", sagt Drebenstedt. In Clausthal hat Elisabeth Clausen geforscht und gelehrt. Dort heißt der Master-Studiengang inzwischen "Mining Engineering" und wird komplett auf Englisch gelehrt. "Dadurch hat die Hochschule viele internationale Studierende gewinnen können", sagt sie. Clausen selbst ist noch zur Diplom-Ingenieurin ausgebildet worden. Sie hat in verschiedenen Bereichen des Bergbaus gearbeitet - in der Stein- und Braunkohle, im Salz. Und ging ein halbes Jahr in die Schweiz, um beim Bau des Gotthardtunnels mitzuarbeiten. Anstatt im Anschluss an das Studium in die Industrie zu gehen, entschied sie sich für einen ganz anderen Werdegang: Direkt nach dem Diplom schloss sie eine Promotion in Clausthal an. Nun ist sie als Professorin an der RWTH in Aachen gelandet, wo sie das Fach "Advanced Mining Technologies" in Forschung und Lehre vertritt. Dort ist sie auch Inhaberin des gleichnamigen Lehrstuhls. Sie und ihr Team entwickeln robuste, vernetzte und autonome Maschinen und Prozesse für das Gewinnen von Rohstoffen. Sie erforscht, wie man mittels Sensortechnik auf Informationen zur Prozess-, Umfeld- und Maschinenüberwachung zugreifen und von ihnen profitieren kann. "Das ist Bergbau 4.0", sagt sie. Durch die Vielseitigkeit des Studiums stehen den Absolventen sehr viele Berufswege offen, sowohl in Deutschland als auch im Ausland. "Bergbau-Ingenieure haben keine Probleme, einen adäquaten Arbeitsplatz zu bekommen", sagt Professor Drebenstedt. "Es gibt eine Vielzahl von Unternehmen, die mehr als 2000 Abbaustellen für Rohstoffe in Deutschland betreiben." Dazu gehören neben Kohle Baurohstoffe wie Kalkstein, Gips, Ton, Kiessand sowie Industrieminerale wie Kali und Steinsalz oder Flussspat. "Im sächsischen Erzgebirge wurden zudem Erkundungs- und Abbaulizenzen für wertvolle Metalle wie Zinn, Wolfram oder Lithium vergeben; in der Lausitz lagert Kupfer, bei Leipzig lagern Seltene Erden." Neben dem Einsatz im sogenannten Gewinnungsbergbau gibt es weitere Arbeitsfelder, zum Beispiel den Entsorgungsbergbau, etwa für die notwendigen Endlager für nukleare Rückstände. Clausen berichtet, dass ein Großteil der Studierenden bereits mindestens ein Jobangebot in der Tasche hat, während sie noch an der Abschlussarbeit schreiben. Arbeitsfelder gibt es dabei neben dem Bereich der eigentlichen Rohstoffgewinnung und der zugehörigen Zulieferindustrie viele: in der Finanzbranche, in Beratungsunternehmen, Versicherungen, im Maschinenbau. Auch in Bergbehörden, Ministerien, Hochschulen, Banken oder im Bauwesen, etwa im Tunnelbau, können Bergbau-Ingenieure nach Drebenstedts Auskunft ihre Expertise einbringen. Drebenstedt betont, dass der Bergbau ein Teil der Daseinsvorsorge ist. Täglich induziere jeder Deutsche einen Rohstoffeinsatz von etwa 40 Kilogramm. "Diese Menge, vor allem Energie- und Baurohstoffe, aber auch seltene 'Tuning-Minerale', benötigen wir für unseren gewohnten Alltag und für das Funktionieren von Gesellschaft und Wirtschaft." So werden etwa für die Fertigung eines Autos Stahl, Kupfer, Zink, Blei und andere Rohstoffe benötigt, für einen Computer 60 chemische Elemente, die bereitgestellt werden müssen. Der Job des Bergbau-Ingenieurs hat sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht grundlegend geändert, sagt Drebenstedt. "Die Aufgaben sind geblieben: Ein Bergwerk planen, errichten und betreiben." Doch die Arbeit der Bergleute am jeweiligen Ort verändere sich immer mehr durch Digitalisierung, Automation und Robotik. Dadurch würden Gefahren für die Bergleute und schwere körperliche Arbeit deutlich reduziert. Spannend sei der Beruf, modern und innovativ - da sind sich die Experten einig. Und darin, dass er mehr Frauen vertragen könnte. Während im Bachelor-Studiengang in Clausthal der Anteil bei 20 bis 30 Prozent liegt, sind es in Freiberg zehn bis 15 Prozent. "Das moderne Berufsbild ist offen für Frauen", sagt Drebenstedt. "Allerdings gibt noch immer viele Klischees und Vorurteile."
Bergbauingenieure sind gefragt. Sie befassen sich nicht nur mit Kohle, sondern auch mit Baustoffen wie Kalkstein und Ton oder mit Metallen. Der technologische Fortschritt verringert mit diesem Beruf verbundene Strapazen und Gefahren.
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https://www.sueddeutsche.de/karriere/fachwissen-ueber-rohstoffe-digitale-schatzsuche-1.4238476
Fachwissen über Rohstoffe - Digitale Schatzsuche
00/12/2018
Ein Faux Pas: Sektgläser werden nicht am Kelch, sondern am Stiel gehalten - es sei denn, man braucht gerade eine freie Hand, sagt die Knigge-Expertin. In vielen Betrieben steht in diesen Tagen die Weihnachtsfeier an. Und Vorbereitung kann sich lohnen, denn Weihnachtsfeiern sind eine Chance zum Netzwerken. Sie können aber auch leicht zur Stilfalle werden, sagt die Modedesignerin und Knigge-Ratsfrau Katharina Starlay. Im Interview am Morgen gibt Sie Tipps für einen gelungenen Abend. SZ: Was ziehe ich zur Weihnachtsfeier an, Frau Starlay? Katharina Starlay: Solche Veranstaltungen kommen oft privat daher, nach dem Motto: Heute wollen wir mal ganz entspannt miteinander sein. Aber letztlich ist auch das Geschäft. Die Menschen sind Kollegen und Chefs. Ein gewisses professionelles Verhalten wird erwartet. Wenn kein Dresscode in der Einladung steht, würde ich den Gastgeber danach fragen. In der Regel ist Business Casual bis Smart Casual angemessen. Mit diesen Dresscodes kennt sich nicht jeder aus. Was heißt das? Interview am Morgen Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier. Business Casual bedeutet, man ist ein bisschen lässiger unterwegs, trägt aber nach Möglichkeit noch ein Teil des Businessoutfits, so dass es geschäftlich aussieht. Smart Casual ist ein privater Dresscode, bei dem man sich schick macht. Dabei trägt man glänzende Materialien und festlichere Kleidung, ein bisschen mehr Schmuck. Da dürfen Sie sich also ein bisschen schön machen. Aber Achtung: Man kann auch overdressed sein. Gerade für neue Mitarbeiter oder in großen Unternehmen ist es manchmal ein bisschen unangenehm, zur Firmenfeier zu gehen. Man irrt herum, kommt sich hilflos vor und weiß nicht, wo man sich anhängen darf. Wer sich nicht so wohlfühlt, sollte sich mit einem Kollegen verabreden. Dann kommt man nicht in so eine Menge rein, in der man sich finden muss, sondern kann zu zweit das erste Getränk nehmen und sich orientieren. Für Netzwerker bieten Betriebsfeiern die Chance, endlich mit dem Leiter der Abteilung ins Gespräch zu kommen, in die sie gerne wechseln würden. Im entscheidenden Moment sind dann meist allerdings die Hände voll Sekt und Häppchen, und schon ist er vorbeigelaufen. Lässt sich diese Situation stilvoll lösen? Ja, die Kunst ist, die rechte Hand für einen Begrüßungshandschlag frei zu haben. Und das geht auch. Bei einem Stehempfang bekommt man in der Regel als erstes ein langstieliges Glas mit Sekt in die Hand. Dieses Glas hängt man sich in die geöffnete linke Hand zwischen Zeige- und Mittelfinger. Mit dem Daumen kann man das Glas stabilisieren. So bleiben Mittelfinger, Ringfinger und kleiner Finger frei. Legt man sich dort eine gefaltete Serviette hinein, haben kleinere Häppchen Platz - und mit der freien Hand können Sie abwechselnd Hände schütteln und trinken. Detailansicht öffnen Katharina Starlay ist Modedesignerin, Imageberaterin und Stilbuchautorin. Seit 2014 ist sie Mitglied im Knigge-Rat. (Foto: Stephanie Schweigert) Das klingt nach einer wackeligen Angelegenheit. Üben Sie vor der Weihnachtsfeier mit Schokostücken. Ich verwende in Seminaren immer diese eingepackten Miniriegel. Wenn die herunterfallen, bleibt der Fußboden trotzdem sauber. Apropos sauber. Es ist peinlich, wenn bei so einer betrieblichen Feier Rotwein über Hemd oder Bluse verschüttet wird. Ist der Abend dann noch zu retten? Generell würde ich raten, bei Veranstaltungen im Winter immer einen Schal dabei zu haben. Gerade eine Seidenbluse wärmt nicht. Ein schönes Tuch ist die Rettung - sowohl wenn es zieht, als auch bei Rotweinpannen. Ansonsten hilft nur die Charmeoffensive. Lächeln Sie und überlegen Sie sich einen guten Spruch, um das Malheur zu überspielen: Leider passt die Farbe nicht ganz in mein sonstiges Farbkonzept heute Abend. Das kann immer passieren, gerade wenn es voll ist. Auch ein Graus: Wenn sich der Chef etwas Lustiges überlegt hat und rote Mützen verteilt. Die schöne Frisur! Muss ich bei jedem Gag mitmachen? Ich fürchte, ja. Sie werden sonst zum Spielverderber. Da würde ich drüber stehen, lächeln und hoffen, dass kein Fotoapparat in der Nähe ist. Aber in der Regel kommen Sie auch um den Schnappschuss nicht herum. Die #metoo-Debatte hat in diesem Jahr darauf aufmerksam gemacht, dass sich vor allem viele Frauen von Kollegen und Vorgesetzten sexuell belästigt fühlten. Das hat Menschen auch verunsichert. Darf man noch Komplimente machen? Absolut, aber sie verlangen mehr denn je Feinfühligkeit. Zum einen kommt es auf die Formulierung an. Man muss ja nicht sagen, du bist schick oder gar sexy, aber man kann sagen: Der Blazer hat einen schicken Schnitt; Ich finde dieses Kleid besonders schön an dir; Du hast eine tolle Ausstrahlung heute. Wichtig ist auch, dass man Komplimente unter vier Augen verteilt und nicht einfach im Vorbeigehen. Warten Sie einen Moment ab, in dem Sie in der Menge für einen Moment unter sich sind.
Knigge-Expertin Katharina Starlay erklärt, wie Sie stilvoll die Betriebsfeier meistern und Peinlichkeiten vorbeugen.
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https://www.sueddeutsche.de/karriere/weihnachtsfeier-dresscode-peinlichkeiten-1.4233232
Weihnachtsfeier - Wie Sie Peinlichkeiten vorbeugen
00/12/2018
Er ist einer von 18 Millionen Pendlern - doch nach zehn Jahren und vielen tausend Stunden auf der Autobahn hat unser Autor nun endgültig die Nase voll. Eine persönliche Abrechnung. Morgens um 6.20 Uhr gilt der erste müde Blick der Navigationsapp. 27 Minuten mit dem Auto ins Büro. Ist doch okay. Leider betrüge ich mich mit diesem Blick selbst. Natürlich kriege ich Frau und die beiden kleinen Söhne um 6.20 Uhr nicht ins Auto. Natürlich macht die Kita erst um halb acht auf.
Er ist einer von 18 Millionen Pendlern - doch nach zehn Jahren und vielen tausend Stunden auf der Autobahn hat unser Autor nun endgültig die Nase voll. Eine persönliche Abrechnung.
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Essay über das Pendeln: Fahrt zur Hölle
00/12/2018
Der neue Arbeitgeber von Frank T. will schon vor dem dritten Fehltag ein Attest sehen. Der Arbeitnehmer bittet den Jobcoach um Rat. SZ-Leser Frank T. fragt: In den meisten Firmen ist es üblich, dass man spätestens am dritten Krankheitstag ein ärztliches Attest schicken muss. An meinem neuen Arbeitsplatz soll man es jedoch schon am ersten Tag besorgen. Wie soll das gehen? Die wenigsten Mediziner machen Hausbesuche. Soll man sich also tatsächlich als Kranker völlig geschwächt mit Grippe, Lungenentzündung oder Magen-Darm-Infekt zum Arzt schleppen und dort ins Wartezimmer setzen? Oder klaffen hier Anspruch und Realität weit auseinander? Ina Reinsch antwortet: Lieber Herr T., der Mensch neigt schnell dazu, das Schlimmste zu befürchten. Daher ist es gut, dass Sie nachfragen, denn so schlimm ist es gar nicht. Das Entgeltfortzahlungsgesetz sieht vor, dass Arbeitnehmer bei einer Krankheit von mehr als drei Tagen eine ärztliche Bescheinigung vorlegen müssen. Gleichzeitig räumt das Gesetz dem Arbeitgeber das Recht ein, eine Krankschreibung schon früher zu verlangen, auch schon vom ersten Tag an. Er muss dazu nicht einmal besondere Gründe ins Feld führen, wie etwa den Verdacht, dass der Mitarbeiter blaumacht. Das hat das Bundesarbeitsgericht im Jahr 2012 entschieden. Auch eine Vereinbarung im Arbeitsvertrag ist dafür nicht erforderlich. Es genügt, dass der Arbeitgeber es per Weisungsrecht verlangt. Das bedeutet nicht, dass Sie sich sterbenskrank zum Arzt schleppen müssen. Wir alle wissen: Es gibt Situationen, da kommt man einfach nicht aus dem Bett: hohes Fieber, Kreislaufschwäche, ein Magen-Darm-Virus, die echte Grippe. Daher machen Ärzte Hausbesuche. Hausärzte, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, also Mediziner mit Kassenzulassung, sind dazu nach dem "Bundesmantelvertrag Ärzte" bei ihren Patienten sogar verpflichtet. Daran sollte man den einen oder anderen Mediziner vielleicht bisweilen erinnern - oder sich einen anderen, engagierten Hausarzt suchen. Doch es gibt noch eine andere Lösung: Es genügt nämlich, wenn Sie am Tag Ihrer Krankheit in der Praxis Ihres behandelnden Arztes anrufen und schildern, dass Sie nicht in der Lage sind, zu ihm zu kommen. Sie können dann um einen Termin am darauffolgenden Tag bitten - an dem es Ihnen hoffentlich schon etwas besser geht. Ihr Arzt kann Ihnen dann ausnahmsweise rückwirkend eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem ersten Krankheitstag ausstellen. Das regelt die Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie. Damit allerdings nicht jeder kommt und behauptet, er sei gestern krank gewesen, müssen einige Rahmenbedingungen erfüllt sein. Der Arzt darf den gelben Schein höchstens für drei Tage rückwirkend ausstellen. Bis 2016 waren es lediglich zwei Tage. Und die Krankheit, die der Patient schildert, muss für den Mediziner nachvollziehbar sein. Bei einem fiesen Magen-Darm-Infekt dürfte das kein Problem darstellen. Hier werden die Symptome - wenn auch abgeschwächt - noch am nächsten Tag vorhanden sein. Auch bei einem fiebrigen Infekt sollte das unproblematisch sein. Bei starken Kopfschmerzen kann das hingegen anders aussehen: Hier könnte ein Arzt, der den Patienten nicht kennt, ein rückwirkendes Attest möglicherweise ablehnen. Für den behandelnden Hausarzt, bei dem der Patient seit Jahren wegen Migräne in Behandlung ist, wird die Erkrankung dagegen nachvollziehbar sein. Ihren Arbeitgeber müssen Sie selbstverständlich am ersten Tag Ihrer Krankheit informieren. Am besten gleich am Morgen durch einen Anruf. Das Attest sollten Sie dann schnellstmöglich hinterherschicken. Es muss dem Chef aber nicht am ersten Krankheitstag bereits im Original vorliegen. Die Regelung Ihres Arbeitgebers meint nur, dass Sie Ihre Krankheit durch ein Attest ab dem ersten Tag beweisen können müssen. Ina Reinsch ist Rechtsanwältin, Autorin, und Referentin in München. Sie befasst sich schwerpunktmäßig mit dem Thema Arbeitsrecht.
Der neue Arbeitgeber von Frank T. will schon vor dem dritten Fehltag ein Attest sehen. Der Arbeitnehmer bittet den Jobcoach um Rat.
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Muss ich am ersten Krankheitstag ein Attest einreichen?
00/12/2018
Kinder durch den Zoo führen, Wanderwege in Stand halten, im Sportverein mitarbeiten, Seevögel beobachten und zählen, in der Suppenküche helfen oder im Schulhort bei der Nachmittagsbetreuung - Zehntausende Jugendliche engagieren sich hierzulande jedes Jahr im Rahmen eines Freiwilligen Sozialen oder Ökologischen Jahres oder im Bundesfreiwilligendienst; hinzu kommen noch die Freiwilligen, die ihren Dienst im Ausland machen. Geht es nach Bundesjugendministerin Franziska Giffey (SPD), soll es künftig noch attraktiver werden, sich zu engagieren. Es gehe um bessere Rahmenbedingungen, um mehr Geld und "um schlichte Dinge wie Fahrkarten", sagte Giffey am Montag in Berlin, wo sie ihr Konzept eines "Jugendfreiwilligenjahres" vorstellte. Die Ministerin will zwar die bestehenden Programme beibehalten. Es soll aber ein einheitlicher Rahmen geschaffen werden, mit festen Standards und einem Bundeszertifikat für alle Absolventen, "mit Adler drauf", wie Giffey es nannte. Im Zentrum ihrer Überlegungen steht ein höheres Taschengeld für die Freiwilligen. "Die Jugendlichen sollen wollen dürfen", sagte Giffey und verwies darauf, dass viele es sich heute schlicht nicht leisten könnten, sich ein Jahr lang nur für ein niedriges Taschengeld zu engagieren. Das gehe oft nur, wenn die Eltern sie unterstützten. Aktuell dürfen die Einsatzstellen ihren Freiwilligen bis zu 391 Euro im Monat zahlen; oft zahlen sie aber weniger. Auch weil der Bund nur bis zu 250 Euro im Monat erstattet - und auch das nur beim Bundesfreiwilligendienst. Geht es nach Giffey, soll der Bund in Zukunft 402 Euro für alle Formen des Freiwilligendienstes übernehmen, plus Sozialversicherungsbeiträge. Zudem sollen die Jugendlichen einen pauschalen Zuschuss von 25 Euro zur Monatskarte für Bus und Bahn bekommen. Bei denen, die es betrifft, kommen solche Ideen gut an. Niemand mache ein freiwilliges Jahr, um reich zu werden, sagte etwa Laura Rupenow, 23, die selbst ein Freiwilliges Ökologisches Jahr gemacht hat und am Montag zusammen mit anderen Freiwilligen ins Ministerium eingeladen war, um von ihren Erfahrungen zu berichten. "Es geht darum zu reifen, den Horizont zu erweitern, herauszufinden, was man später machen will." Wenn man dann aber aus Kostengründen "bei Mama und Papa" wohnen bleiben müsse, sei das "nicht so optimal". Franz Kloth, der ebenfalls ein ökologisches Jahr gemacht hat, berichtete von einem Freund, dem der Bundesfreiwilligendienst zwar gefallen hätte - der aber stattdessen zur Bundeswehr ging, weil er sich die Alternative nicht leisten konnte. Insgesamt rechnet das Ministerium mit Kosten von einer Milliarde Euro im Jahr für das neue Konzept, auch weil es davon ausgeht, dass bei besseren Rahmenbedingungen bis zu 120 000 statt wie heute gut 80 000 Jugendliche Interesse haben könnten. Neben der besseren finanziellen Ausstattung will Giffey einen Rechtsanspruch für alle unter 27-Jährigen auf einen Platz in einem der Programme durchsetzen. Allerdings nicht auf den Wunschplatz in der Traum-Einsatzstelle. Das sei unrealistisch, sagte die Ministerin. Derzeit könne die Nachfrage der Jugendlichen insgesamt "ganz gut" bedient werden. Für bestimmte Stellen aber gebe es Wartelisten. "Die Robbenauffangstation ist sehr beliebt." Der Name "Jugendfreiwilligenjahr" kommt dabei nicht von ungefähr. Giffey setzt auch für die Zukunft auf Freiwilligkeit, nicht auf Pflicht. In der Union dagegen gibt es seit geraumer Zeit Stimmen, die nach dem Ende der Wehrpflicht eine neue Dienstpflicht fordern. Den Anfang machte im Sommer CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, die an diesem Wochenende zur Parteivorsitzenden gewählt werden will. Auch die Junge Union schlug ein "verpflichtendes Gesellschaftsjahr" vor. Von einer Verpflichtung hält Giffey nichts Giffey dagegen hält nichts von solchen Ideen. "Das können Sie als Gegenentwurf zum Pflichtjahr betrachten", sagte sie am Montag über ihr Konzept. "Wir wollen ein Model, das davon lebt, dass Menschen etwas aus Überzeugung tun." Sie wies zudem darauf hin, dass ein Pflichtjahr nach Berechnungen ihres Hauses fünf bis zwölf Milliarden Euro im Jahr kosten würde, schon alleine wegen des dann viel größeren Teilnehmerkreises von rund 800 000 Schulabgängern im Jahr. Hinzu komme, dass es bei einem Pflichtjahr um Arbeitsverhältnisse gehen müsste - und nicht mehr um soziales Engagement. Entsprechend höher müsste Giffey zufolge die Entlohnung sein. Tammo Kratzin, einer der Freiwilligen, ist ebenfalls skeptisch, was ein Pflichtjahr angeht: "Ich kann niemanden zu Engagement zwingen." Pflichtstellen zu schaffen, koste zudem viel Geld, "aber es bringt den Einsatzstellen nichts, wenn da welche sitzen, die keine Lust haben". Mit ihrem eigenen Konzept steht Giffey noch ganz am Anfang. Sie will nun Jugendforen veranstalten, mit Trägern, Jugendverbänden und Einsatzstellen sprechen - und mit der Union. Bei Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hat sie nach eigenem Bekunden schon vorgefühlt und sei "auf grundlegendes Verständnis" gestoßen. Was das in Euro bedeuten könnte, ist allerdings noch lange nicht ausgemacht. Nächstes Jahr werden die Freiwilligendienste auch ohne Komplettreform finanziell schon etwas besser ausgestattet. Der Bundeshaushalt sieht 327 Millionen Euro vor, 65 Millionen Euro mehr als aktuell. Von dem Plus sollen rund 6000 zusätzliche Plätze finanziert werden und eine bessere pädagogische Betreuung der Freiwilligen. Zudem wird der Bundesfreiwilligendienst für Flüchtlinge in den regulären Dienst überführt. "Integration durch Normalität", nennt es Giffey. Ebenfalls in Arbeit ist bereits eine Gesetzesänderung, um Jugendlichen mit Behinderung besser als bisher ein Freiwilligenjahr zu ermöglichen.
Bundesjugendministerin Giffey will ein "Jugendfreiwilligenjahr" etablieren. Das neue Konzept sieht dafür mehr Geld, einen Fahrkartenzuschuss und ein Zertifikat vor.
karriere
https://www.sueddeutsche.de/karriere/freiwilligenjahr-jugend-giffey-1.4237299
Freiwilligendienst - Giffey stellt neues Konzept vor
00/12/2018
Die Freie Waldorfschule Uhlandshöhe in Stuttgart. 100 Jahre nach Gründung der ersten Einrichtung verzeichnen die Waldorfschulen großen Zulauf. Foto: Sebastian Gollnow/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ Über Waldorfschulen gibt es viele Vorurteile. Der Erziehungswissenschaftler Heiner Ullrich erklärt, warum Eltern ihr Kind dort anmelden. SZ: Die Waldorfschule wirkt auf manche wie die Abkehr von der harten, bösen Welt da draußen. Ist das so? Heiner Ullrich: Ich sehe sie eher als eine Art pädagogischer Provinz, die in manchem anders ist. Zum Beispiel grenzt sie sich von den digitalen Medien ab, die Schüler sollen erst sehr spät damit lernen. Stattdessen ist sie hochkulturell geprägt, Parzival, Goethe, die Klassiker der Literatur und der anderen Künste sind in der Waldorfschule zu Hause. Aber deswegen sind Waldorfschüler nicht weltfremd, ihre Sozialisation findet ja auch an anderen Orten statt. Warum entscheiden Eltern, dass ihr Kind an eine Waldorfschule soll? Diese Eltern suchen für ihr Kind eine entwicklungsgemäße Pädagogik. Sie wollen, dass es seine Interessen entfalten kann. Das klappt auch ganz gut, weil die Waldorfschule viele praktische und künstlerische Lernformen anbietet, die in den staatlichen Schulen kaum Gewicht haben. Die Schule wurde für Arbeiterkinder eingeführt. Davon ist sie heute weit entfernt. Ja, die Waldorfeltern sind heute überdurchschnittlich oft akademisch gebildet. Da verwundert es nicht, dass Waldorfschüler häufiger Abitur machen als etwa Gesamtschüler. Dennoch ist in der Sekundarstufe ungefähr jeder zweite Schüler ein Quereinsteiger, der zuvor an der staatlichen Schule keine guten Erfahrungen gemacht hat. Detailansicht öffnen Heiner Ullrich ist Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Mainz. Der Experte für Reformpädagogik hat mehrere Bücher über die Waldorfpädagogik und ihren Begründer Rudolf Steiner geschrieben. (Foto: oh) Die Beziehung zum Klassenlehrer ist eng und hält lange an, berichtet unsere Kollegin. Ist das immer gut? Das kann produktiv sein oder riskant. Produktiv, weil der Schüler dadurch in der Schule eine Heimat findet. Riskant, wenn der Lehrer den Schüler verkennt und er sich nicht entfalten kann. Manche sind froh, wenn sie nach acht Jahren ihren Klassenlehrer los sind, andere hängen an ihm. Wie beurteilen Sie die Lehrerausbildung? Die meisten Waldorfschullehrer erlernen ihren Beruf an kleinen, anthroposophisch geprägten Instituten. An der staatlichen Lehrerausbildung, die immer wieder optimiert wird, führt dieser Sonderweg vorbei. Nach meiner Ansicht sollten die angehenden Lehrer an öffentlichen Universitäten studieren, so ähnlich wie die Schulmediziner, die später in eine anthroposophische Praxis gehen. Hat die Waldorfschule staatliche Schulen inspiriert, sie gar verändert? Nein, von vereinzelten Schulprojekten abgesehen, hat sie das nicht. Jahrgangsübergreifender Unterricht, Projektunterricht, Gruppenarbeit - all diese Innovationen kommen nicht aus der Waldorfschule. Dennoch ist sie sehr erfolgreich, die Nachfrage ist groß. Die Schulen können sich ihre Schüler aussuchen. In Berlin hat kürzlich eine Waldorfschule das Kind eines AfD-Abgeordneten abgelehnt. Die Schulen führen ein Aufnahmeverfahren durch, auch die Familie wird geprüft: Passt sie zu uns, will sie sich engagieren? So wie katholische Schulen keine muslimischen Kinder aufnehmen müssen, können Waldorfschulen einer Familie absagen, die nach ihrer Ansicht nicht zu ihrer Pädagogik passt. Und die Waldorfschule ist nun mal eine stark weltanschaulich geprägte Einrichtung. Eine solche Auswahl zu treffen, ist das Privileg der privaten Schulen.
Über Waldorfschulen gibt es viele Vorurteile. Der Erziehungswissenschaftler Heiner Ullrich erklärt, warum Eltern ihr Kind dort anmelden.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/waldorfschule-steiner-paedagogik-1.4262639
"Pädagogik - ""Waldorfschüler sind nicht weltfremd"""
00/12/2018
Sie wachsen in zwei Welten mit eigenen Kulturen auf, doch an der Hand-in-Hand-Schule in Israel sollen die Kinder ein Leben ohne Stereotype lernen. An den Hand-in-Hand-Schulen in Israel sitzen jüdische und muslimische Kinder in einer Klasse. Dieses Miteinander, so die Hoffnung, sollen sie eines Tages in die Gesellschaft tragen. Vor der Tür stehen jede Menge kleiner Gummistiefel, aus dem Inneren des Bungalows ist ein Lied zu hören, zuerst in hebräischer Sprache, dann auf Arabisch. 19 Kinder sitzen auf grünen Plastikstühlen im Kreis, dazwischen die beiden Lehrerinnen Adi Angert und Shehanaz Nasser. Die eine ist Jüdin, die andere Muslimin, sie trägt ein Kopftuch. Jede der Lehrerinnen benutzt ihre Sprache, die Kinder sprechen sowohl Arabisch als auch Hebräisch. Das ist eine Besonderheit, denn in ganz Israel gibt nur acht bilinguale Schulen - obwohl zwanzig Prozent der Bevölkerung arabische Israelis sind. Vor zwanzig Jahren haben sich jüdische und arabische Eltern und Pädagogen zusammengetan und die Organisation Hand in Hand gegründet, das Zentrum für jüdisch-arabische bilinguale Bildung in Israel. 1998 wurden die ersten Schulen in Jerusalem und Galiläa eröffnet, inzwischen gibt es sechs Hand-in-Hand-Einrichtungen mit insgesamt 1850 Schülern. Jene in Beit Berl, rund 25 Kilometer von Tel Aviv entfernt, mit einem Kindergarten und einer ersten Klasse ist die jüngste Einrichtung, sie wurde 2015 eröffnet. Gegenwart und Zukunft gemeinsam gestalten Insgesamt vierzig Kinder spielen und lernen in diesem Haus, das von einem großen Spielplatz mit Sandkisten und Klettergerüsten umgeben ist. Es gibt keine in Reihen aufgestellten Schulbänke, sondern größere Tische, um die sich die Kinder in kleineren Gruppen versammeln. An den Wänden hängen selbstgebastelte Plakate, darauf sind der Davidstern, aber auch der Halbmond, ein Emblem des Islam, zu sehen. Es wird sowohl das hebräische als auch das arabische Alphabet gelehrt, alle Beschriftungen sind zweisprachig. Aber hier geht es nicht nur um das Lernen von Zahlen und Zeichen, sondern um viel mehr: Um "ein Leben ohne Stereotype", wie es Shada Mansour bezeichnet. Oder darum, den Namen der Organisation in die Wirklichkeit zu übersetzen: dass Juden und Muslime in Israel einander die Hand reichen und gemeinsam Gegenwart und Zukunft gestalten. Mansours sechsjährige Tochter Nai sitzt im Sesselkreis, neben ihr die gleichaltrige Maayan. Sie sind mit unterschiedlichen Sprachen und kultureller Prägung aufgewachsen, in ihren Familien werden andere Feiertage eingehalten und unterschiedliche Geschichten erzählt. Die palästinensische Sichtweise unterscheidet sich von der israelischen in vielem: wenn es um Geschehnisse in der Vergangenheit geht, aber auch um Ereignisse in der Gegenwart und um Perspektiven für die Zukunft. Aber all das spielt für die beiden Mädchen keine Rolle, sie sind Freundinnen und nutzen ganz selbstverständlich die Worte in der anderen Sprache. Das verblüfft auch die Mutter. "Als ich in Nais Alter war, da wusste ich nicht, wie ich mich verhalten sollte, wenn mich jemand auf Hebräisch ansprach. Aber in dieser Umgebung lernt man ganz natürlich die andere Seite kennen. Ich war ein sehr schüchternes Kind und ich will, dass meine Tochter eine selbstbewusste Frau wird." Nicht nur die Töchter sind Freundinnen, ihre Mütter treffen sich ebenfalls außerhalb der Schule. Es ist zwar nicht vorgeschrieben, aber erwünscht, dass zwischen den Eltern, die ihre Kinder in eine Hand-in-Hand-Einrichtung schicken, Kontakte entstehen. Mansour ist die sogenannte Community-Managerin in Beit Berl, das Verbindungsglied zwischen Schule, Eltern und generell der Welt außerhalb. Die Kinder kommen aus den umliegenden Orten wie Kfar Saba, Taybeh und wie Mansour aus Tira. In den Hand-in-Hand-Schulen gehören regelmäßige Treffen und Veranstaltungen zum Alltag. "Wir verstehen uns als Netzwerk", betont Gaby Goldman, die für die Kommunikation der Organisation zuständig ist. "Was wir machen, ist ziemlich einzigartig, dabei sollte es weit verbreitet und Alltag in diesem Land sein." Denn das hochgesteckte Ziel ist, das Miteinander aus den Klassenzimmern in die Gesellschaft zu tragen, um vorherrschende Barrieren im Land abzubauen und ein Klima der Verständigung zu ermöglichen. "Wir können die Welt außerhalb nicht ausblenden" Manchmal wird bei den Veranstaltungen auch nur diskutiert über das, was gerade passiert, etwa die Spannungen an der Grenze zum Gazastreifen, wo es seit Ende März zu Zusammenstößen zwischen Palästinensern und Israelis kommt. Das beschäftigt die Kinder genauso wie die Erwachsenen, die dann im Sesselkreis sitzen und debattieren. "Wir können die Welt draußen nicht ausblenden. Es ist wichtig, dass wir darüber reden und unsere unterschiedlichen Sichtweisen austauschen", sagt Mansour. Trotz eines israelischen Passes komme sie sich als Bürgerin zweiter Klasse vor. "Das ist die Realität in Israel, es gibt auch viele Vorurteile, die man im Alltag merkt und auch im Beruf. So entstehen Feindbilder und Stereotype. Eigentlich soll es um ein Miteinander gehen." Das Nationalstaatsgesetz, das im vergangenen Juli beschlossen wurde, bezeichnet sie als "harten Schlag". Denn darin wird Israel als jüdischer Staat beschrieben, und der bisherige Status von Arabisch als Amtssprache wurde gestrichen. In den Hand-in-Hand-Schulen werden aber weiter beide Sprachen verwendet. An Protesten gegen das Gesetz nahmen Tausende teil, die Hand-in-Hand-Organisation hielt öffentliche Arabisch-Kurse auf Plätzen ab. Für die Israelin Yael Witkon ist wichtig, dass ihre Tochter Maayan auch die muslimischen Festtage kennt. Das gemeinsame Begehen von Feiertagen ist ein wichtiger Bestandteil in Hand-in-Hand-Einrichtungen, auf diese Weise lernen Kinder viel über die jeweils andere Kultur und Religion. So wird das jüdische Purim-Fest mit Kostümen, Tänzen und Geschenken genauso begangen wie das Zuckerfest, mit dem Muslime das Ende des Fastenmonats Ramadan feiern. Etwa zwanzig Tage machen die Ferien rund um religiöse Feiertage in Beit Berl aus. Etwa die Hälfte davon richtet sich nach dem in Israel verwendeten jüdischen Kalender, der Rest nach den muslimischen Gebräuchen. An diesen Tagen müssen alle anderen der rund 7000 Schüler auf dem weitläufigen Campus von Beit Berl in den Unterricht. Diese relativ freie Einteilung ist nur möglich, weil die Hand-in-Hand-Schule in Beit Berl keine vom Staat voll anerkannte Bildungseinrichtung ist, wie die anderen Einrichtungen der Organisation. Seit dem Start kämpfen die Eltern darum. Im israelischen Bildungssystem hat der Schulstandort über die Anerkennung zu entscheiden, die Stadt Kfar Saba hat bisher kein grünes Licht gegeben. Bei anerkannten Schulen übernimmt der Staat 40 Prozent der Kosten, 40 Prozent müssen aus Spenden finanziert werden, der Rest wird durch Schulgeld eingenommen, das sind pro Jahr und Schüler umgerechnet 1200 Euro. In Beit Berl ist notgedrungen der Spendenanteil größer. Die eine Hälfte der Kinder hat einen jüdischen, die andere einen arabischen Hintergrund. Es gibt kein Aufnahmeverfahren, aber Wartelisten, was die Community-Managerin als gutes Zeichen wertet. "Was hier entsteht, gibt uns allen Hoffnung", meint Mansour mit einem Blick auf die miteinander singenden Kinder.
An den Hand-in-Hand-Schulen in Israel sitzen jüdische und muslimische Kinder in einer Klasse. Dieses Miteinander, so die Hoffnung, sollen sie eines Tages in die Gesellschaft tragen.
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Israel - Schule mit jüdischen und muslimischen Kindern
00/12/2018
SZ: Herr Helbig, in der DDR gab es keine Privatschulen, heute gehen im Osten Deutschlands mehr Kinder auf eine Privatschule als im Westen. Warum sind sie gerade dort so erfolgreich? Marcel Helbig: Dieser Zuwachs vollzieht sich vor allem in den Städten, und in den ostdeutschen Städten ist die soziale Spaltung in den letzten Jahren deutlich stärker gewachsen als in den westdeutschen: Arme und reiche Menschen leben zunehmend voneinander getrennt. Die Privatschulen befördern das, aber in erster Linie sind sie ein Symptom dieser Entwicklung: In Rostock zum Beispiel befinden sich alle privaten Grundschulen im reicheren Süden. Im Norden, wo die Plattenbauten sind, gibt es keine einzige. Das deutsche Schulsystem gilt doch ohnehin schon als vergleichsweise selektiv. Reicht das nicht, um sich abzugrenzen? Man muss genau hinschauen, wo die sozialen Unterschiede sind: nicht an den Gymnasien, da unterscheiden sich öffentliche und private kaum voneinander. Der Boom der Privatschulen und die soziale Selektivität finden an den Grundschulen statt - jenen Schulen also, die eigentlich für alle sein sollen. Das Grundgesetz ist deshalb bei privaten Grundschulen besonders streng, doch die Regel ist vielfach ignoriert worden. Vor allem in Mecklenburg-Vorpommern hat man jedes Augenmaß verloren, die Zahl der privaten Grundschulen ist explodiert. Können Sie das genauer erklären? Die meisten privaten Grundschulen wurden im Kontext einer Schulstrukturreform 2006/07 gegründet. Alle Kinder, das war die Idee, sollen zwei Jahre länger gemeinsam lernen, ehe sie aufs Gymnasium wechseln können. Daraufhin haben sich private Schulen gegründet, die nicht nur Grundschulen sind, sondern auch eine gymnasiale Oberstufe haben. Es wurde ein Parallelsystem geschaffen und die Reform systematisch unterlaufen. Das Schulministerium hätte das nie zulassen dürfen. Detailansicht öffnen Marcel Helbig, Professor für "Bildung und soziale Ungleichheit", forscht für die Universität Erfurt und das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. (Foto: Bernhard Ludewig) Was heißt das in Zahlen? Drei der vier Städte mit dem höchsten Anteil privater Grundschulen sind Schwerin, Rostock und Greifswald. 25 bis 40 Prozent der Grundschulen sind hier in privater Hand. Auf Platz drei: Potsdam. Die erste Stadt im Westen kommt erst danach - obwohl das System dort nicht 25, sondern 60 Jahre Zeit hatte, sich zu entwickeln. Eine neue Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hat ermittelt, dass gerade auf Privatschulen im Osten auch das Einkommen der Eltern immer wichtiger wird. Das überrascht mich nicht. Wir haben es mit einer Absetzbewegung der Mittelschicht von den unteren Schichten zu tun. Die soziale Schere geht im Osten besonders weit auf, weil es vor allem dort an einer Kontrolle der Privatschulen fehlt. Andernorts, in Schleswig-Holstein etwa, wird das Privatschulsystem stärker begrenzt. Viele Eltern, die ihre Kinder auf Privatschulen schicken, sagen, dass es ihnen nicht um Abgrenzung geht, sondern um pädagogische Angebote, die das staatliche System nicht bietet. Diese Eltern haben einen verzerrten Blick auf das Schulsystem. Viele öffentliche Schulen haben alternative und moderne Pädagogik längst übernommen. Wenn Privatschulen besseren Unterricht machen können, ist das eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: Auf der Schule sind mehr Kinder aus höheren Schichten, die seltener Sprach- oder Verhaltensprobleme mitbringen - also habe ich auch bessere Lernvoraussetzungen. Die Privatschule ist nicht besser, weil sie bessere Pädagogik macht, sondern weil sie die besseren Schüler hat. Was Recht ist Das Grundgesetz erlaubt Privatschulen ausdrücklich. Das Recht zu ihrer Errichtung werde gewährleistet, heißt es in Artikel 7, Absatz 4. Allerdings formuliert die Verfassung auch eine Bedingung, die gemeinhin als "Sonderungsverbot" bezeichnet wird: Die Genehmigung einer Privatschule wird daran geknüpft, "dass eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird". Gilt diese Bedingung für alle Privatschulen, werden für private Grundschulen in Artikel 7, Absatz 6 noch darüber hinausgehende Anforderungen gestellt. Sie seien "nur zuzulassen, wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt". SZ Die Eltern wollen eben das Beste für ihr Kind. Kann man ihnen das vorwerfen? Nein. Man darf das weder den Eltern vorwerfen noch den privaten Schulen. Beide verhalten sich rational. Das Problem ist: Was die Eltern für das Beste für ihr Kind halten, kann Gift für die Gesellschaft sein. Wer etwas tun muss, ist die Politik. Sie sollte das Schulgeld begrenzen? Das Problem ist, dass wir häufig gar nicht wissen, was die Privatschulen kosten. In Hessen ist das anders, da hat die Landesregierung 2015 alle Privatschulen gefragt. Das Ergebnis: 18 Prozent nehmen gar kein Schulgeld, etwa die Hälfte nimmt mehr als 200 Euro im Monat, knapp fünf Prozent verlangen über 1000 Euro, Ermäßigungen gibt es meistens nicht. Das ist mit dem Grundgesetz eigentlich nicht vereinbar. Um solche Exzesse in den Griff zu kriegen, sollte man das Schulgeld für die ärmeren Familien begrenzen. Aber das reicht nicht. Warum nicht? Nimmt eine Privatschule ein ärmeres Kind an, das vom Schulgeld befreit ist, verliert sie Geld. Warum sollte sie das tun? Berlin will nun nicht nur eine Begrenzung des Schulgelds einführen, sondern auch eine Förderung für Privatschulen, die Kinder aus unteren Schichten aufnehmen. Das wäre endlich ein Mechanismus, der funktionieren könnte. Aber andererseits dürfen wir den Einfluss des Schulgelds auch nicht überschätzen. In Rheinland-Pfalz ist Schulgeld verboten - und trotzdem sehen wir eine ähnlich starke Spaltung an den Grundschulen in Mainz oder Koblenz wie in Berlin, wo wir zum Teil exorbitant hohe Schulgelder haben. Private Schulen werden also auch unabhängig vom Schulgeld zur Flucht aus dem öffentlichen System genutzt. Was kann die Politik dann überhaupt tun? Sie muss eigentlich nur das Grundgesetz durchsetzen, vor allem bei den Grundschulen. Das heißt: Nicht jede Gründung einfach durchwinken. Sondern prüfen, ob es diese private Grundschule wirklich braucht. Da sollten sich die Landesregierungen durchaus auch einmal auf einen Rechtsstreit einlassen.
Warum boomen Privatschulen gerade im Osten? Ein Gespräch mit dem Bildungsforscher Marcel Helbig.
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https://www.sueddeutsche.de/bildung/schulen-absetzbewegung-der-mittelschicht-1.4262629
"Schulen - ""Absetzbewegung der Mittelschicht"""
00/12/2018
An der Uni Marburg experimentiert der Anglist Jürgen Handke mit Robotern in der Lehre. Der Gipfel der Digitalisierung - doch Handke und sein Team besteigen ihn allein. "Solutions!" ... "Solutions!!" Zum siebten, achten Mal ruft Jürgen Handke das schon. Ein bisschen laut ist er geworden und er hat die Knie gebeugt, um den Befehl direkt auf Peppers blanke, weiße Glatze zu richten. Dort sitzen die Mikrofone, mit denen der Roboter hört. Doch der Ruf, den Handke mit dem gleichen Elan ausstößt wie Harry Potter ein Zauberwort, bleibt folgenlos. Die 1,20 Meter kleine Maschine mit den menschenähnlichen Formen blickt stumm auf die Bankreihen voller Studenten. Erst als Handke das Tablet auf Peppers Brust bedient, klappt es: "Okay, we will go to the solutions", sagt der Roboter mit metallischer Kinderstimme und gestikuliert mit seinen gelenkigen Armen. Dann verrät er die Lösungen der Aufgaben, die er den Teilnehmern in Handkes Kurs "History of English" zuvor gestellt hat - und erklärt sie sogar. Es sind diese kleinen Pannen, die das Projekt des Professors voranbringen. Fehleranalyse, Korrektur in der Programmierung der Roboter-App, weiter geht's. Handke, 64, ist Anglist an der Philipps-Universität Marburg und hat sich auf Computerlinguistik und Webtechnologie spezialisiert. Er will herausfinden, inwieweit man Roboter als Assistenten in der Hochschullehre einsetzen kann. H.E.A.R.T heißt sein Projekt, das seit Mai 2017 vom Bundesforschungsministerium gefördert wird. Das Akronym steht für "Humanoid Emotional Assistant Robots in Teaching". Es sei "einmalig, dass Roboter an einer deutschen Uni mehr machen, als im Hörsaal zu winken", sagt Handke über seine Arbeit. Was er und sein Team mit den vier humanoiden Robotern in Marburg zuwege bringen, interessiert deshalb weit über Hessen hinaus. Handke tritt im Fernsehen auf, führt die Roboter auf Wissenschaftskonferenzen und Messen vor. "Er ist ein Vorreiter, ich kenne im gesamten deutschsprachigen Raum sonst niemanden, der aktiv mit Robotern in der Lehre experimentiert", sagt Martin Ebner, Bildungsinformatiker an der TU Graz. Diesen Mut zur Praxis braucht es aus seiner Sicht, denn die Potenziale intelligenter Technik entwickelten sich erst mit ihrem Einsatz. "Nur wenn der Forscher sieht, was gut oder nicht so gut läuft, kann er die Entwicklung entsprechend vorantreiben", sagt der Experte für Lehr- und Lerntechnologien. Wie weit es Jürgen Handke mit seiner Feldforschung gebracht hat, zeigt ein Besuch im Erdgeschoss des Anglistik-Instituts. Raum 012, auf dem Türschild steht "Yuki", daneben ist ein Roboter mit einem Herz auf der Brust abgebildet. Yuki, baugleich mit Pepper, aber eine Generation jünger, bietet hier Sprechstunden für Studenten an. Acht Tage dauert das Ende November begonnene Experiment, das laut Handke "wahrscheinlich eine Weltpremiere" ist. Es ist der erste große Praxistest für Yukis Student-Advisor-App, an der sie im Institut monatelang getüftelt haben. Yuki soll einfache Auskünfte geben: Kursdaten, Klausur- und Sprechstundentermine - lauter Informationen, die Handke sonst ungezählte Male selbst runterbeten muss. Aber Yuki nimmt seinem Boss auch komplexere Aufgaben ab: Er kann eine halbe Minute lang referieren, wovon Handkes Kurs handelt, auf Wunsch spielt er noch ein Erklärvideo ab. Und er kann den Studierenden sagen, wo sie Lücken haben. "Hello Louisa", sagt der Roboter Die nächste Verabredung hat Yuki mit Louisa Oesterle. Die 20-jährige Studentin hat einen QR-Code auf ihr Smartphone geladen, den sie Yuki jetzt vor die Kameraaugen hält, damit er sie identifizieren kann. "Hello Louisa", sagt der Roboter in freudigem Ton, dann bittet er die ihm gegenübersitzende Studentin um einen Moment Geduld. Er will prüfen, was Oesterle in Handkes Kurs "History of English" bereits geleistet hat. Die dafür benötigten Daten bezieht er von der digitalen Lernplattform, die alle Kursteilnehmer benutzen. Könnte Yuki die Stirn runzeln, er würde es nun tun: Oesterle hat in zwei Lerneinheiten ihre Arbeitsblätter nicht erledigt. "I'm concerned about this situation", sagt Yuki und klingt ehrlich besorgt. Oesterle muss grinsen. Die Arbeitsblätter würden ihr helfen, das Gelernte besser zu verstehen, betont Yuki, woran es denn gelegen habe? Als Oesterle technische Probleme anführt, erklärt er ihr die Hilfefunktionen der Lernplattform und empfiehlt, auf einen Computer der Uni umzusteigen, falls ihr eigener streikt.
An der Uni Marburg experimentiert der Anglist Jürgen Handke mit Robotern in der Lehre. Der Gipfel der Digitalisierung - doch Handke und sein Team besteigen ihn allein.
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https://www.sueddeutsche.de/bildung/studium-der-professor-und-sein-robo-assistent-1.4254015
Studium: Der Professor und sein Robo-Assistent
00/12/2018
Über deutsche Promotionsordnungen hat sich bisher niemand beschwert. Schließlich sind sie in der allerbesten Bürokratensprache formuliert und lassen keinen Raum für Missverständnisse. Nur haben die Universitäten vor lauter Paragrafen auf einen Warnhinweis verzichtet: Wer promoviert, schadet der eigenen Gesundheit. Es häufen sich die Berichte, wonach eine Promotion nicht nur einen Titel bringt, sondern in vielen Fällen auch krank macht. Eine Harvard-Studie stellte erst kürzlich fest, dass 18 Prozent der untersuchten Elitestudenten an einer psychischen Störung leiden. Das deckt sich mit anderen Untersuchungen. Wer einen Doktortitel anstrebt, hat demnach ein sechsmal höheres Risiko depressiv zu werden als Menschen ohne akademischen Titel. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Es kann extrem frustrierend sein, jahrelang an einem Nischenthema zu forschen, das vermutlich nicht einmal den eigenen Doktorvater groß juckt und das schon gar nicht in den einschlägigen Journals zitiert wird. Nur ein Viertel der Promovierenden hat überhaupt das Gefühl, an einer für die Gesellschaft nützlichen Sache zu arbeiten. Verglichen mit der übrigen Bevölkerung ist das eine katastrophal kleine Zahl. Wenn dann noch ins Bewusstsein sickert, dass angehende Wissenschaftler trotz der ganzen Anstrengung bestenfalls mit einer prekär bezahlten und befristeten Anstellung rechnen dürfen, ist das Elend komplett. Da hilft es auch nicht, mit der Freiheit zu argumentieren, die auf die Doktoranden angeblich wartet. Die Studenten sollten sich lieber fragen, ob sie sich auf so ein fragwürdiges System einlassen wollen. Und die Universitäten müssen sich fragen, ob sie ungeeignete Akademiker weiter mit falschen Versprechen anlocken wollen. Bei inzwischen 30 000 jährlich in Deutschland vergebenen Doktortiteln ist jedenfalls ausgeschlossen, dass alle Studenten angemessen betreut werden. Das sogenannte Betreuungsverhältnis findet in vielen Fällen nur auf dem Papier statt. Außer man versteht darunter ein jährliches Treffen in der Kneipe, wie es manchem Professor nachgesagt wird. Ehrlicher wäre es, die Promotion all jenen zu ersparen, die keine Chance oder keine Ambitionen auf eine akademische Karriere haben. Das würde viel Leid verringern. Mag sein, dass so manches Forschungsprojekt gefährdet wäre. Wenn die Zahl der Doktoranden sinkt, fehlen billige Arbeitskräfte im Labor. Schwer vorstellbar, dass Forschungseinrichtungen darauf verzichten wollen. Zumindest sollten sie aber die Promotionsordnung erweitern - und auf Risiken und Nebenwirkungen hinweisen, wie bei einem Beipackzettel für Medikamente.
Wer einen Doktortitel anstrebt, leidet häufiger unter psychischen Störungen. Da hilft nur eins: den Allermeisten die Promotion zu verbieten.
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https://www.sueddeutsche.de/bildung/promotion-armer-kranker-doktor-1.4261459
Promotion - Armer, kranker Doktor
00/12/2018
Deutsche Universitäten verfügen über zu wenig Geld und Personal, um international glänzen zu können. Kein Wunder, dass sie in Ranglisten schlecht abschneiden. In internationalen Ranglisten schneiden deutsche Universitäten nur mittelmäßig ab. Die Enttäuschung ist dann jedes Mal groß, denn diese Listen werden für Studierende wie für Lehrende immer wichtiger als Maß für Exzellenz und für die Auswahl von Universität, Studienland und akademischen Kooperationspartnern. Aber werden sie der Arbeit, die an deutschen Hochschulen geleistet wird, gerecht? Das muss man stark bezweifeln. Denn deutsche Universitäten haben einen erheblichen Wettbewerbsnachteil: Sie verfügen über weniger Geld und weniger Personal. International gelten die Times Higher Education World Universities Rankings (THEWUR) und das Shanghai Ranking Academic Excellence Survey (SAES) als wichtigste Gradmesser für Exzellenz. Die THEWUR bewerten vor allem Zahlen zu Lehre, Forschung und Zitierhäufigkeit; das SAES wertet die Antworten von etwa 3500 renommierten Professoren aus. Beide setzen ihre Daten jedoch nicht ins Verhältnis zur finanziellen und personellen Ausstattung der Universitäten oder zur Lehrbelastung ihrer Professuren. Gut ausgestattete Universitäten mit geringer Lehrbelastung ihrer Professoren liegen daher notwendigerweise immer vorne. Über den Autor Christoph Clauser, 64, leitete bis Oktober 2018 den Lehrstuhl für Angewandte Geophysik und Geothermische Energie an der RWTH Aachen. Die THEWUR 2019 zählen nur acht deutsche zu den Top-100-Universitäten, das SAES 2018 nur vier; keine rangiert unter den Top 30. Für dieses Abschneiden gibt es viele Gründe. Der wichtigste ist aber eindeutig die ungleiche finanzielle und personelle Ausstattung. Dies erschloss sich mir im Rahmen meiner Mitwirkung im englischsprachigen "Joint Master Program in Applied Geophysics" von drei Hochschulen: der Schweizer ETH Zürich, der niederländischen TU Delft und der RWTH Aachen. Alle drei gehören der IDEA League an, einem Zusammenschluss führender europäischer technischer Hochschulen, und belegten in der neuen THEWUR-Rangliste die Plätze 11, 58 und 87. Ein Vergleich von Haushaltsmitteln, Studierendenzahl, Professuren und ihrer Lehrbelastung zeigt, dass die TU Delft um rund das Fünfeinhalbfache und die ETH Zürich sogar 15-mal bessergestellt ist als die RWTH Aachen. Natürlich erhebt dieser Vergleich keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, doch offensichtlich repräsentieren die Ranglistenplätze nicht die Leistung, verstanden als das Verhältnis der geleisteten Arbeit zu den verfügbaren Ressourcen. Setzt man diese Daten ins Verhältnis, wird deutlich: Deutsche Universitäten, hier repräsentiert durch die RWTH Aachen, leisten tatsächlich Beachtliches und sind deutlich besser, als die Ranglisten nahelegen. Diese Schlussfolgerung ist jedoch keine Bestätigung der deutschen Hochschulpolitik, im Gegenteil. Diese hat innerhalb meiner 45 Lebensjahre zwischen Studienbeginn und Emeritierung die Lehrbelastung deutscher Professoren um die Hälfte erhöht und gleichzeitig das Personal im wissenschaftlichen Mittelbau sowie im technischen Bereich der Universitäten drastisch reduziert. Begründet wird dies stets mit der Kapazitätsverordnung. Dieses detaillierte Regelwerk vergleicht Lehrangebot und Lehrnachfrage, bietet aber viele Stellschrauben: So wurde etwa an meiner eigenen Universität im Rahmen der Umstellung auf das Bachelor- und Mastersystem die Doktorandenbetreuung zu einer nicht mehr anrechenbaren Lehrleistung erklärt und somit vollständig zur Privatsache der Professuren.
Deutsche Universitäten verfügen über zu wenig Geld und Personal, um international glänzen zu können. Kein Wunder, dass sie in Ranglisten schlecht abschneiden.
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https://www.sueddeutsche.de/bildung/studium-universitaet-hochschule-lehre-1.4259475
Studium: Wo die Schwächsten ausgebeutet werden
00/12/2018
Zwei Kinder auf dem Weg zur Schule in den 1950er-Jahren: Damals waren die Tornister noch einheitlich aus Leder, nicht so bunt wie heute. Muss ein Firmengründer Ahnung von der Sache haben? Nicht unbedingt, er kann auch ohne Fachkenntnis sehr erfolgreich werden. So jedenfalls erzählt Sven-Oliver Pink die Geschichte seines Unternehmens. Im Jahr 2010 gründete er mit zwei Freunden den Schulrucksack-Hersteller Ergobag. Nicht etwa, weil die Jungs besonders viel über Schulrucksäcke gewusst hätten. Die drei Betriebswirte wollten einfach gerne gründen. Und ergonomische Tornister für Grundschüler hatten sie als Marktlücke ausgemacht. "Den Prototypen haben wir in vier Tagen zusammenbaut", sagt Pink. Vieles sei sicher nicht optimal gewesen. Doch die Motivation war größer als etwaige fachliche Bedenken. "Wir haben die Rucksäcke mit Leidenschaft vertrieben", sagt Pink. Acht Jahre später muss der 39-Jährige ein paar Mal grinsen, wenn er die Geschichte erzählt. Schließlich ist alles gut gegangen, und das ist noch eine Untertreibung. Mit 6000 Taschen fing es in der ersten Fertigung an. Danach haben die Gründer von Köln aus die Grundschulen des Landes erobert. Und sie wollen mehr. Neben Ergobag versuchen Pink und seine Partner mittlerweile, sechs weitere Marken zu etablieren. Rucksäcke für alle Generationen sind im Programm, dazu Bekleidung, alles läuft unter Dachmarke "Fond of". Martin Voegels war einer der ersten Händler, die Ergobags ins Sortiment nahmen. Mit Taschen kennt er sich aus, schließlich betreibt seine Familie seit mehr als 90 Jahren ein Fachgeschäft in der Kölner Innenstadt. Als die Gründer ihn zum ersten Mal besuchten, sei er skeptisch gewesen, sagt Voegels. Ein neuer Anbieter war kaum vorstellbar: "Die Eltern haben für Grundschüler entweder Scout, McNeill oder Step by Step gekauft." Doch der neue Ansatz interessierte Voegels. Das Tragesystem von Ergobag ist Modellen für Bergsteiger nachempfunden. Beckenflossen verlagern einen Teil des Gewichts von den Schultern auf die Hüfte. Durch ein verstellbares Rückenstück wächst der Rucksack mit dem Schüler. So soll sich die Tasche optimal an die Wirbelsäule anpassen. Der Schutz vor Haltungsschäden habe die Eltern überzeugt, sagt Voegels: "Mittlerweile haben alle Konkurrenten mit vergleichbaren Angeboten nachgezogen." Über Jahre sei der Markt zuvor recht konservativ gewesen. Veränderungen gab es nicht. Viele von Voegels Kollegen waren Neulingen gegenüber nicht aufgeschlossen. Es lief ja - Scout für die Kinder, 4You in der weiterführenden Schule. Das Mantra hatte lange Bestand. Zunächst versuchten die Großen daher, Ergobag zu ignorieren. Doch die jungen Kölner erzwangen den Neustart einer lahmen Branche. Nicht nur mit dem Tragesystem setzten sie die Etablierten unter Druck, auch beim Design. Viele Kinder finden den teuren Tornister alter Art rasch doof. Zur Einschulung sind die Einhörner noch das Coolste, zwei Jahre später gibt es nichts Schlimmeres. Ergobag bietet wechselnde Motive zum Ankletten. Auch diese Idee hat die Marke nicht mehr exklusiv.
Drei Kölner Firmengründer haben den Markt für Schulrucksäcke aufgemischt. Sie setzen auf Ergonomie und wechselndes Design. Inzwischen werden sie sogar nachgeahmt.
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https://www.sueddeutsche.de/bildung/schulranzen-schule-schueler-ergonomie-1.4255295
Schule - Revolution beim Schulranzen
00/12/2018
In den USA werden etwa 60 Prozent aller Onlineeinkäufe zwischen 9 und 17 Uhr erledigt. Sollten auch Sie sich während der Arbeitszeit mit bürofremden Dingen befassen oder ein paar Minuten Ablenkung von Kollegen, Kantine und E-Mails suchen, haben wir einen Vorschlag: Nutzen Sie die Zeit und trainieren Ihr Gehirn - mit dem wöchentlichen Rätsel auf SZ.de. Finden Sie die Lösung? Das Rätsel der Woche Ein Händler kann entweder acht große oder zehn kleine Kartons in einer Versandbox verstauen. Bei einer Lieferung verschickt er 96 Kartons. Wenn die Lieferung 16 große Kartons mehr als kleine beinhaltet, wie viele Versandboxen versendet der Händler dann insgesamt? Detailansicht öffnen Knobelei der Woche (Foto: Illustration Jessy Asmus) Die Lösung Liebe Leser, vom vielen Päckchenpacken während der Weihnachtszeit waren Sie thematisch offenbar sehr gut vorbereitet auf diese Knobelei. Die Lösung präsentiert Mitspieler Martin K.: "Bei 16 großen Kartons mehr als kleine sind das (96 - 16) : 2 = 40 kleine Kartons -> 40 + 16 = 56 große Kartons 40 : 10 = 4 Versandboxen für kleine Kartons 56 : 8 = 7 Versandboxen für große Kartons 4 + 7 = 11 Versandboxen" Die Lösung lautet also: Der Händler braucht elf Versandboxen. Natürlich könnte die Sache aber auch so laufen, wie Gerhard R. vermutet: "Der Händler verschickt keinen einzigen Karton! Er eröffnet ein Verkäuferkonto bei Amazon und lässt die Kartons von dort aus liefern. Amazon wiederum beauftragt Hermes, 11 Kartons zu versenden." Wir wünschen Ihnen im Voraus frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr. Die Knobelei macht eine kleine Pause, die nächste Ausgabe gibt es am 9. Januar.
Ein kleines Rätsel zur Auflockerung des Büroalltags gefällig? Diesmal müssen Versandboxen befüllt werden.
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https://www.sueddeutsche.de/bildung/raetsel-der-woche-knobelei-1.4258276
Rätsel der Woche - Wie verteilen Sie die Kartons?
00/12/2018
Manuela Schwesig musste sich rechtfertigen. Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern - eine sozialdemokratische Politikerin - schickt ihr Kind nicht auf eine öffentliche Schule. Ihre Beteuerung, die Privatschule sei eben die nächstgelegene, half Schwesig nur bedingt gegen die Welle aus Empörung und Häme, die vor einem Jahr über sie hereinbrach. Denn kaum ein bildungspolitisches Thema erregt die Deutschen so sehr wie Privatschulen. Die Debatte ist emotional, auch weil immer mehr Schüler eine Privatschule besuchen. Heute ist es fast jeder zehnte - das sind doppelt so viele wie Anfang der Neunzigerjahre. Die einen sehen darin einen Zuwachs an Vielfalt, die anderen eine Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Eine neue Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, die der Süddeutschen Zeitung exklusiv vorliegt, dürfte die Debatte anheizen. Privatschulen werden demnach nicht nur immer beliebter, sie werden auch elitärer: Der Anteil von Akademikerkindern in Schulen in freier Trägerschaft hat seit Mitte der Neunzigerjahre deutlich zugenommen. Das gilt besonders für Ostdeutschland, wo sich ein weiterer Trend zeigt: Gerade zwischen Dresden und Rostock werden diese Privatschulen zunehmend zu Bildungsstätten für Besserverdiener. "Die soziale Segregation zwischen den privaten und öffentlichen Schulen wird immer größer", fassen die Autoren der Studie zusammen. Für die Privatschulen ist das ein heikler Befund. Das Grundgesetz billigt ihre Existenz zwar ausdrücklich, doch es verpflichtet sie auch darauf, dass "eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird". Zudem werden auch Privatschulen ihrem Namen zum Trotz zum Großteil aus öffentlichen Mitteln finanziert. Die Forscher um C. Katharina Spieß, Leiterin der Abteilung Bildung und Familie am DIW, stützen ihre Analyse auf Daten des sogenannten Sozio-oekonomischen Panels. Diese Umfrage erhebt seit mehr als 30 Jahren Informationen zum Leben Tausender Menschen in Deutschland, um langfristige gesellschaftliche Trends sichtbar zu machen. So liefern die Daten auch detaillierte Ergebnisse über Privatschüler. Sie kommen im Schnitt aus gebildeteren und wohlhabenderen Elternhäusern als Kinder an öffentlichen Schülern. Und sie haben seltener einen Migrationshintergrund. Im Osten zeigen sich diese Unterschiede deutlich stärker als im Westen. Beispiel Bildungshintergrund: 12 Prozent der Kinder an einer öffentlichen Schule kommen aus einem Akademikerhaushalt - an einer Privatschule sind es im Westen 21, im Osten sogar 35 Prozent. Beispiel Einkommen: Etwa eins von fünf Kindern an einer öffentlichen Schule kommt aus einer Familie, die dem Einkommen nach zum obersten Fünftel der Bevölkerung gehört; an einer Privatschule trifft das im Westen auf jeden dritten Schüler zu (33 Prozent), im Osten sogar auf nahezu jeden zweiten (49 Prozent).
Schüler der nichtöffentlichen Lehranstalten kommen zunehmend aus besser verdienenden und gebildeten Familien. Für die Privatschulen ist diese Entwicklung heikel.
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https://www.sueddeutsche.de/bildung/schule-privatschule-schueler-1.4258364
Schule: Privatschulen werden beliebter - und elitärer
00/12/2018
Waldorfschulen verfolgen ehrgeizige Ziele: Sie wollen Schulen sein "ohne Auslese" und Diskriminierung. So steht es in der Stuttgarter Erklärung, einer Art Waldorf-Grundgesetz. Alle Schüler und Menschen werden als gleich angesehen - unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Religion und "politischer oder sonstiger Überzeugung". So sollte es sein. Doch was tun, wenn plötzlich Kinder von Eltern angemeldet werden, die diese Offenheit nicht teilen? Am vergangenen Freitag berichtete die Berliner Zeitung, dass eine Berliner Waldorfschule ein Kind abgelehnt hat, weil dessen Vater für die AfD im Abgeordnetenhaus sitzt. Deshalb hätten einige Eltern befürchtet, dass der Politiker den Schulalltag beeinflussen und Unruhe stiften könnte. "Angesichts dieses Konfliktes sieht die Schule keine Möglichkeit, das Kind mit der nötigen Unvoreingenommenheit und Unbefangenheit aufzunehmen", sagte der Geschäftsführer des Trägervereins. Um die Rechte des Kindes zu schützen, nennt die Berliner Zeitung weder den Namen des Abgeordneten noch der Schule. Man habe sich aber "wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Auseinandersetzung" für eine Berichterstattung entschieden. Und inzwischen hat sich an dem Einzelfall eine grundsätzliche Debatte entsponnen. Im Kern geht es um die Frage: Darf ein Kind bestraft werden für die politische Überzeugung seines Vaters? Die Berliner Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) teilte mit, sie sehe es "äußerst kritisch", sollte eine Schule bei der Auswahl ihrer Schüler nach der politischen Gesinnung der Eltern entscheiden. Die Berliner Senatsschulverwaltung will noch am Montag eine Stellungnahme des Schulträgers fordern. Und Henning Kullak-Ublick, Vorstandsmitglied des Bundesverbandes der Freien Waldorfschulen, betonte gegenüber der SZ, dass es sich um eine "Einzelentscheidung der Schule" handeln würde, die "nicht die Haltung der Waldorfschulen ausdrückt". Den Berliner Fall wollte er zwar nicht kommentieren, verwies aber auf die Stuttgarter Erklärung. Kullak-Ublick sagte: "Wir stehen für alle Kinder offen." Das stimmt allerdings nur bedingt. Waldorfschulen müssen schon aus dem Grund auswählen, weil sich oft mehr Kinder anmelden als freie Plätze vorhanden sind. Für die 30 Plätze an jener Berliner Schule gab es 140 Bewerber. Bei der Auswahl sind Privatschulen zwar an das Schulgesetz gebunden, haben aber auch Spielraum. Oft würden weiche Kriterien entscheiden, sagt Kullak-Ublick. Zum Beispiel, dass ein ausgewogenes Verhältnis von Jungen und Mädchen entsteht. Wer zum Beispiel schon Geschwister an der Schule hat, wird bevorzugt. An der Berliner Waldorfschule war die Entscheidung besonders kompliziert. Auch weil das Kind bereits die Waldorf-Kita besucht hatte - eigentlich ein Argument für eine Aufnahme. Es gab intensive Debatten und eine Elternversammlung. Im November befragten Lehrer den AfD-Abgeordneten und dessen Ehefrau. Der Vater betonte nun, er habe Politisches und Privates trennen wollen. Doch das überzeugte das Aufnahmegremium offenbar nicht. "Eine Schule ist wie das Brennglas der Gesellschaft", sagte der Geschäftsführer des Trägervereins der Berliner Zeitung. Offenbar war die Schule in der Frage gespalten. Während die einen argumentierten, dass ein Kind nicht für seine Eltern bestraft werden dürfe, warnten andere, das Schulklima könnte leiden. Eine Befürchtung, für die es durchaus Gründe gibt. Die AfD richtet im ganzen Land Online-Plattformen ein, auf denen sich Schüler und Eltern beschweren können, wenn Lehrer aus ihrer Sicht gegen das Neutralitätsgebot verstoßen. Die Berliner Waldorfschule hat für sich beschlossen, den Grundkonflikt nicht lösen zu können. "Der Fall wird in den eigenen Reihen kritisch diskutiert", sagt Kullak-Ublick. Er will ihn auch zum Anlass nehmen, "um sich grundsätzlich Gedanken über unsere Aufnahmepolitik zu machen".
Der Mann sitzt für die Partei im Berliner Abgeordnetenhaus. Selbst Bildungssenatorin Scheeres sieht die Abweisung kritisch.
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https://www.sueddeutsche.de/bildung/waldorfschule-afd-berlin-1.4257213
Waldorfschule lehnt Kind ab, weil Vater in der AfD ist
00/12/2018
An deutschen Schulen kommt die ökonomische Bildung zu kurz. Das ist von Wirtschaftsverbänden und Unternehmen immer wieder zu hören. Und viele Menschen teilen diese Ansicht: Schließlich wissen nur wenige Schüler am Ende der Schulzeit, wo sie einmal arbeiten wollen und wie sie dann für das Alter vorsorgen sollen. Die Landesregierung von CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen hat nun Fakten geschaffen: Vom Schuljahr 2020/21 an soll an allen allgemeinbildenden Schulen im Land das Pflichtfach Wirtschaft unterrichtet werden. Der Unternehmerverband gratulierte prompt. Aber ist das wirklich nötig? Reinhold Hedtke, Sozialwissenschaftler an der Uni Bielefeld, beobachtet die Debatte seit Jahren mit Skepsis. "Von dem einen Lager wird mehr Wirtschaft gefordert, von dem anderen mehr politische Bildung, aber niemand weiß genau, wie die Lage an den Schulen wirklich ist", sagt er. Zusammen mit seinem Kollegen Mahir Gökbudak hat er sich deshalb Lehrpläne und Stundentafeln vorgenommen und durchgerechnet, wie sich die gesamte Lernzeit für Wirtschaft, Politik und Sozialkunde an allgemeinbildenden Schulen von Klasse fünf bis zehn verteilt - ein kompliziertes Unterfangen, weil Fragen etwa zum politischen System der Europäischen Union oder zum Freihandel oft in einem Fach besprochen werden. Das überraschende Ergebnis liegt der Süddeutschen Zeitung exklusiv vor: Schon jetzt ist für Schüler in NRW viel mehr Zeit für ökonomische als für politische und gesellschaftliche Themen vorgesehen. Die Schlussfolgerung ist für Hedtke klar: "Bildungspolitiker lassen sich durch gefühlte Fakten leiten." Je nach Schulform machen wirtschaftliche Inhalte an NRW-Schulen 56 bis 69 Prozent der Inhalte in diesem Fachbereich aus, die Politik 20 bis 28 Prozent. Sämtliche soziale Themen werden in elf bis 18 Prozent der Lernzeit durchgenommen. Am größten ist der Wirtschaftsanteil an den Gesamtschulen. In anderen Bundesländern, vermuten die Wissenschaftler, könnte die Tendenz sogar noch deutlicher ausfallen. Verlässliche Zahlen liegen noch nicht vor. Hedtke widerspricht daher auch SPD und Grünen in NRW, die der Regierung eine für Union und FDP typische Klientelpolitik vorwerfen. "Wenn Interessensvertretungen jahrelang den Mangel an ökonomischer Bildung beklagen, setzt sich in den Köpfen fest, dass da ein Handlungsbedarf besteht - und zwar bei Bildungspolitikern aller Couleur", sagt er. Ins Gewicht fällt bei der Berechnung, dass Hedtke und Gökbudak auch außerunterrichtliche und außerschulische Bildung einbezogen haben, die für Schüler in NRW verpflichtend ist. Im Bereich Wirtschaft sind da aufzuzählen: die Berufsorientierung bei der Bundesagentur für Arbeit; eine "Potenzialanalyse" für Achtklässler, die von privatwirtschaftlichen Anbietern durchgeführt wird; "Berufsfelderkundungen" wie ein mindestens zweiwöchiges Betriebspraktikum. Ähnliche Maßnahmen gibt es in den Bereichen Politik und Soziales nicht: kein verpflichtendes Sozialpraktikum, kein Politikpraktikum, in dem Schüler lernen würden, in politischen Zusammenhängen aktiv zu werden. Zwar könnten engagierte Lehrer diese Lücke schließen, aber das überlasse die Bildungspolitik dem Zufall, sagt Hedtke: "Angesichts dessen, dass immer mehr Menschen sich von der Demokratie distanzieren, dass die soziale Ausgrenzung und der Fremdenhass zunimmt, finde ich das bedenklich. Wenn man etwas über Gesellschaft und Politik lernen will, muss man aus der Schule rausgehen." Untersuchungen zum Thema fehlen Betrachtet man den Anteil von Wirtschaftsunterricht im Kontext aller Fächer, schwindet der scheinbare Eindruck der Dominanz allerdings. 62 Minuten Unterrichtszeit pro Woche werden an Gesamtschulen im Schnitt für Ökonomie genutzt, am Gymnasium sind es 48 Minuten. Und am Ende sind es doch oft die Schüler selbst, die klagen, dass sie nicht wissen, welcher Weg der richtige für sie ist. Brauchen sie dabei nicht doch mehr Hilfe? "Ich bin überhaupt nicht optimistisch, dass man das mit Maßnahmen der Berufsorientierung in den Griff bekommen kann", sagt Hedtke. "Wenn ich mir allein die Zahl der Ausbildungsberufe und Studiengänge anschaue, ist eine rationale Entscheidung gar nicht möglich. Die Schüler brauchen Abstand und dann treffen sie eine Entscheidung." Tatsächlich fehlen bisher Untersuchungen dazu, wie effizient verschiedene Maßnahmen der Berufsorientierung sind. Diese sollte man aber anstellen, bevor man mehr davon fordert, sagt Reinhold Hedtke: "Wenn man bildungspolitisch etwas ändern will, dann bitte auf wissenschaftlicher Grundlage."
Nordrhein-Westfalen führt das Schulfach Wirtschaft ein, um das Ökonomie-Defizit zu lindern. Doch das gibt es gar nicht, zeigt eine Studie - im Gegenteil.
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https://www.sueddeutsche.de/bildung/schule-wirtschaft-politik-lehrer-nrw-1.4254017
Schule - Brauchen wir mehr ökonomische Bildung?
00/12/2018
Fast jeder zweite Hauptschüler in Deutschland fühlt sich von ungewissen Zukunftsaussichten verunsichert - deutlich mehr als noch vor fünfzehn Jahren. Der Grund: Sie profitieren kaum von der guten wirtschaftlichen Gesamtlage. Fast jeder zweite Hauptschüler in Deutschland fühlt sich von ungewissen Zukunftsaussichten verunsichert - deutlich mehr als noch vor fünfzehn Jahren. Das geht aus einer Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) hervor, für die bundesweit knapp 1200 Schüler kurz vor dem Hauptschulabschluss befragt wurden. Die Untersuchung liegt der Süddeutschen Zeitung exklusiv vor. Keine Frage treibt die befragten Jugendlichen demnach mehr um. Nicht zu wissen, was einmal aus ihnen wird, empfinden 46 Prozent von ihnen als Belastung. Das Thema rangiert damit weit vor gesundheitlichen Problemen (37 Prozent) sowie Ärger mit den Eltern (27 Prozent) oder mit Gleichaltrigen (20 Prozent). Bei der letzten Befragung 2004 hatten nur 37 Prozent von Zukunftssorgen berichtet. Jeder vierte Jugendliche verlässt die Schule maximal mit einem Hauptschulabschluss. Die Zahlen spiegeln laut DJI wider, dass Hauptschüler kaum von der guten wirtschaftlichen Gesamtlage profitieren. So habe sich zwar der Anteil unbesetzter Ausbildungsstellen in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt, dennoch erhalte nur jeder zweite Schulabgänger mit Hauptschulabschluss eine vollwertige Ausbildungsstelle. "Dieses Ergebnis weist darauf hin, dass sich trotz der steigenden Zahl an unbesetzten Lehrstellen bei Jugendlichen mit Hauptschulabschluss große Unsicherheiten zeigen", sagt Studienleiterin Birgit Reißig. In der Befragung gaben mehr Männer als Frauen an, sich unsicher zu fühlen (54 gegenüber 40 Prozent). Unter den angestrebten Berufen findet sich Einzelhandelskauffrau bzw. -mann bei Hauptschülerinnen auf dem ersten, bei Hauptschülern auf dem zweiten Platz. Dies deute, so die Studie, "auf die vorgezeichnete Ausübung von Dienstleistungsberufen im Niedriglohnsektor hin"; geringe Bildungsvoraussetzungen drohten sich so "in prekär entlohnte Beschäftigungsverhältnisse zu verfestigen". Darüber hinaus deuteten die Berufswünsche auf das Fortwirken überkommener Geschlechterklischees hin. Viele Schülerinnen wollen Erzieherin oder Arzthelferin werden, Schüler zieht es vor allem in männlich konnotierte Handwerksberufe wie Kfz-Mechatroniker, Tischler oder Schreiner.
Fast jeder zweite Hauptschüler in Deutschland fühlt sich von ungewissen Zukunftsaussichten verunsichert - deutlich mehr als noch vor fünfzehn Jahren. Der Grund: Sie profitieren kaum von der guten wirtschaftlichen Gesamtlage.
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https://www.sueddeutsche.de/bildung/hauptschule-ungewisse-aussichten-1.4254019
Ungewisse Aussichten
00/12/2018
Wer sich ausgerechnet im Internet kundig machen möchte, warum es sinnvoll ist, Bücher zu lesen, richtige Bücher mit Seiten aus Papier und gedruckten Buchstaben darauf, der wird reichlich mit gutem Rat versorgt. Er stößt auf Einträge volksbildnerischer Institutionen und Persönlichkeiten, die uns die "10 Gründe, warum lesen wichtig ist" verraten oder "9 gute Gründe, die für das Buch sprechen" oder auch "Die 7 nützlichen Vorteile guter Lektüre". Bei letzterer Empfehlung habe ich Vorbehalte. Wer gute Lektüre bloß für einen Vorteil hält, noch dazu für einen nützlichen, der ist vielleicht doch nicht beim wahren Glück des Lesens angekommen. Denn er verharrt noch in einem Denken, in dem alles seinen Nutzen haben muss, und zwar einen vorteilhaften, also bei einer Sicht auf die Welt, die die Literatur gerade erschüttern möchte, indem sie uns an die Notwendigkeit des Überflüssigen, vermeintlich Nutzlosen erinnert. Aber ich mag nicht über andere lästern, die aus anderen Gründen als ich zum Lesen von Büchern auffordern. An zwei Gründe ist gerade in der Vorweihnachtszeit zu erinnern: Erstens sind Bücher vorzügliche Geschenke, sie kosten nicht allzu viel, sind leicht zu transportieren, und wer in eine Buchhandlung geht, kann dort stöbern, um das zu finden, was ihm fehlte, ohne dass er es wusste; und er trifft auf Buchhändlerinnen, die ihn beraten, was das Richtige für ihn oder für ein Geschenk sein könnte, das er jemand ganz Besonderem machen möchte. Wer Bücher kauft, sichert zudem den Buchhandlungen, diesen Nahversorgern mit Überlebensmitteln, die Existenz, und das ist eine wichtige Sache für unsere Zivilisation, nicht nur, weil es von deren traurigem Verfall zeugen würde, wenn wir beim Erwerb von Büchern auf Amazon angewiesen wären. Wer möchte sich bei Menschen, die er schätzt, schon mit einem Geschenk einstellen, das von schlecht bezahlten, permanent überwachten Arbeitssklaven bereitgestellt und angeliefert wird, deren Dienstherr sein weltweites Imperium darauf gründet, immer neue Tricks zu finden, wie er straflos gegen Arbeitsgesetze verstoßen kann und Steuern, die fällig wären, nicht entrichten muss? Ja, wer möchte das schon? Offenbar viele, unglaublich viele. Wer den Siegeszug von Amazon und anderen Konzernen der digitalen Ära betrachtet, muss darüber ins Zweifeln kommen, ob der Mensch als Konsument dazu befähigt ist, Mitgefühl zu empfinden oder gar Solidarität zu üben; denn sobald seine Bequemlichkeit oder sein noch so geringer finanzieller Vorteil auf dem Spiel stehen, ist es mit dem einen wie der anderen nicht weit her. Wie es in den Lagerhallen von Amazon zugeht oder was Airbnb auf dem Wohnungsmarkt anrichtet, das ist ja kein Geheimnis, wir alle wissen es; aber Millionen, die über den unerträglichen Druck klagen, dem sie selbst an ihrem Arbeitsplatz ausgesetzt sind, oder über die horrenden Summen, die sie für ihre Wohnungen aufzuwenden haben, bestellen doch alle Tage bei Amazon und mieten sich in den Ferien über Airbnb ein. Bücher haben es heute schwer Ehe ich mich in einem völlig nutzlosen Lamento verliere, zurück zu den Büchern. Die haben es heute tatsächlich schwer. Auf einer literarischen Tagung traf ich kürzlich einen Literaturprofessor aus Skandinavien, und weil er mir mit seinem klugen Referat aufgefallen war, fragte ich ihn, ob ich seinem Institut ein Gratisabonnement der von mir herausgegebenen Literaturzeitschrift stiften solle. Da machte der beredte Mann, ein Mensch der Bücher von seiner Profession und aus alter Leidenschaft, verzweifelte Miene und klärte mich auf, welcher Fortschritt über die schwedischen Universitäten verhängt worden sei. Seit zwei Jahren, erfuhr ich, dürfen die Bibliotheken der philosophischen Fakultäten keine Bücher mehr erwerben, weil sie dazu verpflichtet wurden, die bereits vorhandenen zu digitalisieren und neue nur in dieser Form zu erstehen. Bücher sind also gerade dabei, aus dem Sichtbereich der Studierenden und Forschenden zu verschwinden, werden die Lesesäle doch von ihnen wie von Zeugnissen einer düsteren Ära leer geräumt, dafür aber digital hochgerüstet. Haben Bibliothekare früher geklagt, zu wenig Geld zu haben, um all die Bücher zu bestellen, die sie für wichtig halten, müssen sie sich heute damit abfinden, dass es ihnen nicht einmal mehr gestattet ist, Büchergeschenke anzunehmen. Wenn in Bibliotheken Bücher wie staubiger Müll behandelt werden, den es zu beseitigen gilt, lobe ich mir den Müllmann José Alberto Gutiérrez, der die Bücher aus dem Müll holt und mit ihnen seine eigenen Bibliotheken schafft. Gutiérrez hat kein Studium der Literatur absolviert, dafür aber 20 Jahre bei der Müllabfuhr der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá gearbeitet, einer Universität des Lebens, die ihn den Wert des Buches lehrte. Rund 50 000 Bücher hat er über die Jahre im Abfall entdeckt und gerettet. Irgendwann kam ihm die Idee, dass gerade Bücher die richtige Sache für die Leute in den Armenvierteln wären. Mittlerweile hat er rund hundert vorstädtische Bibliotheken gegründet und mit einer kleinen Anzahl von Büchern für Kinder und Erwachsene ausgestattet. Seine Kollegen, die seine Leidenschaft anfangs belächelten, sind längst dazu übergegangen, ihm von ihren Touren Bücher mitzubringen, auf dass er sie der Hauptbibliothek in seinem eigenen Häuschen eingliedere oder in eine von deren Filialen bringe. Zur Weihnachtszeit werde ich manchmal gefragt, welche Bücher ich als Geschenk empfehle. Ob es ein umfangreicher Roman, eine schmale Sammlung stillschöner Gedichte oder ein wohlrecherchiertes Sachbuch ist - gleichviel. Man kann es mit dem, welches Buch es sein soll, auch übertreiben. So wie die beiden russischen Literaturfreunde aus der Stadt Irbit im Ural, die darüber in Streit gerieten, wem die höhere Ehre gebühre, der Prosa oder der Lyrik. Den beiden Betrunkenen war die Frage so wichtig, dass sie erregter und erregter argumentierten, bis der eine das Messer zog und am Ende der Freund der Prosa verblutete, der Verehrer der Lyrik hingegen zum Mörder geworden war. Bücher sind aber dazu da, dass wir besser leben, nicht dass wir zu töten lernen. Darauf möchte ich nicht nur zur Weihnachtszeit bestehen.
Viele greifen bloß zu Büchern, die nützlich sind. Dabei liegt das Besondere beim Lesen im vermeintlich Überflüssigen.
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https://www.sueddeutsche.de/bildung/buecher-das-wahre-glueck-des-lesens-1.4253428
Kolumne von Karl-Markus Gauß: Lesen
00/12/2018
Fünf Milliarden Euro will Berlin für die Digitalisierung der Schulen zahlen. Doch die dafür vorgesehene Verfassungsänderung lehnen die Länder ab. Die Länder haben die vom Bund angestrebte Grundgesetzänderung für Finanzhilfen zur Schul-Digitalisierung vorerst gestoppt. Der Bundesrat beschloss einstimmig, den gemeinsamen Vermittlungsausschuss mit dem Bundestag für eine "grundlegende Überarbeitung" anzurufen. In der Sitzung der Länderkammer machten mehrere Ministerpräsidenten über Parteigrenzen hinweg grundlegende Vorbehalte gegen die Pläne des Bundes deutlich. Dies sei ein "Frontalangriff auf unsere föderale Ordnung", sagte der baden-württembergische Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne). "Wir wollen keine Verzwergung der Länder." Bei der digitalen Ausstattung der Schulen gelte es, richtig Gas zu geben. Mit der geplanten Grundgesetzänderung hätten Bundesregierung und Bundestag aber einen falschen Weg eingeschlagen. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) zeigte sich verärgert, "wie durch die Hintertür das Selbstbestimmungsrecht der Länder beschnitten werden soll". Schleswig-Holsteins Regierungschef Daniel Günther (CDU) mahnte: "Das Grundgesetz ist viel zu wichtig, als dass man in einem Schnelldurchlauf jetzt wesentliche Änderungen dort trifft." Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow (Linke) warnte vor einer dauerhaften Zerstörung des Föderalismus. "Das ist ein vergiftetes Geschenk der schlimmsten Art." Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte, mit der Bildung als Urkompetenz der Länder werde "der föderale Nerv getroffen". Der Bundestag hatte die umstrittenen Pläne Ende November beschlossen, nachdem sich die große Koalition mit FDP und Grünen geeinigt hatte. Demnach soll das Grundgesetz geändert werden, so dass der Bund die geplante Digitalisierung der Schulen fördern kann, obwohl nicht er für die Schulen zuständig ist, sondern die Länder. Der Bund will den Ländern dafür in den kommenden fünf Jahren fünf Milliarden Euro überweisen. Er will aber auch ein Mitspracherecht bei Qualität und Personal der Schulen haben. Das wollen viele Länder allerdings nicht. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) sagte bereits vor der Bundesratssitzung der Rheinischen Post, sie hoffe auf eine vernünftige und zügige Einigung im Vermittlungsausschuss. Auch die Grünen-Fraktionschefin im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, rief zu einem raschen Ende des Streits auf. "Es ist wichtig, dass der Vermittlungsausschuss sich rasch zusammensetzt und ein gemeinsames Ergebnis findet", sagte sie. "Der Digitalpakt und wichtige Investitionen in Bildung dürfen nicht politisch verstolpert werden."
Damit kann auch der Digitalpakt zur finanziellen Unterstützung der Schulen durch den Bund vorerst nicht in Kraft treten.
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https://www.sueddeutsche.de/bildung/digitalpakt-schule-bundesrat-1.4253469
Digitalpakt - Länder rufen Vermittlungsausschuss an
00/12/2018
Forscher behaupten immer wieder das Gegenteil. Richtig aber ist: Die Gene haben kaum einen Effekt - es kommt auf die Förderung an. Manchmal ergibt ein einziges Wort einen großen Unterschied. Carol Dweck, eine der weltweit führenden Forscherinnen auf dem Gebiet der Lernmotivation, erzählt dazu in Vorträgen gerne von einer Schule in Chicago, auf der Schüler nach einer schlechten Leistung anstatt der Note "nicht bestanden" die Note "noch nicht bestanden" bekommen. Ein minimaler Unterschied, mit großer Wirkung. Das "noch" transportiert nämlich etwas, das sich in zahlreichen Studien mit Hunderttausenden Schülern als einer der zentralen Motoren für Lernen und Leistung erwiesen hat: die Überzeugung, dass jeder prinzipiell zu guten Leistungen fähig ist, weil Intelligenz nichts Angeborenes oder Festes ist, sondern vielmehr erst durch bestimmte Lernerfahrungen entsteht. Und diese kann man durch bessere Lernstrategien, mehr Anstrengung oder besseren Unterricht erreichen. Schlägt man aktuell eine Zeitung auf, findet man immer wieder Beiträge von Wissenschaftlern, in denen die gegenteilige Überzeugung verbreitet wird - dass Intelligenz hochgradig vererbt sei. Aus diesem angeblichen Einfluss der Gene werden bildungsbezogene Schlüsse gezogen: "Das Verständnis, dass die DNA den wichtigsten Einfluss auf den Bildungserfolg hat, kann Eltern helfen, die Schwierigkeiten ihres Kindes zu akzeptieren", schrieb der Genforscher Robert Plomin Anfang Oktober in der Zeit. 2015 behauptete er dort sogar: "zehn Prozent sind das, was Lehrer aus einem Kind herausholen können". Und die Intelligenzforscherin Elsbeth Stern schrieb unlängst in der Zeitschrift Forschung und Lehre: "Ich halte sehr viele Vorträge vor Lehrern und Lehrerinnen, und die akzeptieren inzwischen, dass angeborene Intelligenzunterschiede existieren". Solche Sätze haben eine fatale Wirkung auf Schüler, Eltern und Lehrkräfte. Demnach wären schlechte Leistungen naturgegeben und müssten hingenommen werden. Anstatt zu versuchen, etwas zu lernen, sollten die betroffenen Kinder dann besser lernen, mit ihrer Dummheit gut zu leben. In den entsprechenden Beiträgen wird auf umfangreiche Studien verwiesen, die scheinbar zeigen, dass die Intelligenz zu mindestens 50 Prozent und im Erwachsenenalter sogar bis zu 70 Prozent oder mehr vererbt sei. Ein genauerer Blick hinter diese Studien eröffnet allerdings eine Welt, in der nichts so ist, wie es zunächst erscheint, und in der sich offenbar selbst Fachexperten verirren. Der Begriff der "Erblichkeit" ist in dieser Welt sehr eigentümlich definiert, ohne dass dies bei der Interpretation der Ergebnisse beachtet und in der Kommunikation nach außen kenntlich gemacht wird. Um es vorwegzunehmen: Der Blick hinter diese Studien zeigt genau das Gegenteil - dass Gene in Wirklichkeit bei der Intelligenz kaum eine Rolle spielen. Diese sogenannten populationsgenetischen Studien halten diverse Überraschungen bereit. Die wohl größte ist: Die Studien untersuchen gar nicht, ob bestimmte Gene die Intelligenz verringern oder erhöhen. Das wird erst in jüngerer Zeit erforscht - mit ganz anderen Ergebnissen, wie wir noch sehen werden. Stattdessen ermitteln die Studien, wie stark in einer Gruppe die IQ-Werte von Individuen um den Mittelwert der Gruppe streuen - egal, wo dieser Mittelwert liegt. Die Annahme ist, dass die Streuung durch genetische Unterschiede und unterschiedliche Umwelteinflüsse erzeugt wird. Je unterschiedlicher die Gene und die jeweilige Umwelt sind, umso breiter die Streuung. Ein logischer Fehlschluss Durch den Vergleich bestimmter Personengruppen versucht man dann, darauf zu schließen, welchen Anteil die Gene an der Streuung haben. Etwa bei gemeinsam aufgewachsenen Zwillingen: Streuen die IQ-Werte der Eineiigen weniger als die der Zweieiigen, schließt man, das beruhe auf den Genen, weil die Umwelt pro Zwillingspaar ja gleich war. Fällt die Streuung zum Beispiel um 25 Prozent geringer aus, wird daraus errechnet, dass 50 Prozent der Streuung genetisch bedingt sind. (Da sich zweieiige Zwillinge die Hälfte ihres Genmaterials teilen, wird zur Abschätzung der Geneffekte der Wert verdoppelt.) Worauf also fußt eine solche angebliche "Erblichkeit" von 50 Prozent? Sie stützt sich auf nichts weiter als auf die Streuung von Intelligenzwerten in Gruppen. Schlussfolgerungen über den Einfluss von Genen auf die Intelligenz von Individuen, beispielsweise von Schülern, oder auf die durchschnittliche Intelligenz einer Gruppe, lassen sich daraus grundsätzlich nicht ziehen. Eben das ist aber der Aspekt, der Eltern, Lehrer oder Bildungsforscher interessiert. Daher ist die Aussage, "zehn Prozent sind das, was Lehrer aus einem Kind herausholen können", auch so gefährlich. Sie ist ein klassischer logischer Fehlschluss.
Forscher behaupten immer wieder das Gegenteil. Richtig aber ist: Die Gene haben kaum einen Effekt - es kommt auf die Förderung an.
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https://www.sueddeutsche.de/bildung/paedagogik-intelligenz-ist-nicht-angeboren-1.4245200
Pädagogik - Intelligenz ist nicht angeboren
00/12/2018
Digitaler Unterricht an einer Grundschule in München. Im Bild spielen Schüler das Märchen vom Froschkönig auf einem Tablet nach. Im Streit um mehr Geld für Digitalisierung an Schulen fühlen sich die Länder vom Bund gegängelt. Zu Unrecht, findet FDP-Politiker Marco Buschmann. Fünf Milliarden Euro stecken im Digitalpakt - Geld für Schulcomputer und Internet. Gegen eine von Union, SPD, Grünen und FDP zu diesem Zweck beschlossene Änderung des Grundgesetzes aber laufen die Länder Sturm. An diesem Freitag werden sie den Vermittlungsausschuss anrufen. In der Sache will Marco Buschmann, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP, dort hart bleiben. SZ: Herr Buschmann, glaubt die FDP an die Allheilkraft des Zentralstaates? Marco Buschmann: Die Liberalen glauben daran, dass es anspruchsvolle Leistungsstandards geben muss, aber auch die nötige Freiheit, sie zu erreichen. Es wäre gut, wenn wir bundesweit mehr Ehrgeiz entwickeln würden im Bildungssystem. Am besten wäre es, wenn wir den Schulen dabei mehr Freiraum einräumen würden. Von den Ländern sprechen Sie gar nicht. Geht es darum, die Bildung als letzte Bastionen des Föderalismus zu schleifen, wie Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann vermutet? Vom Schleifen des Föderalismus kann überhaupt keine Rede sein. Erstens gibt es andere wichtige Bereiche, in denen die Länder Verantwortung tragen, etwa die Kriminalitätsbekämpfung. Auch bei der Bildung greift niemand in den Föderalismus ein. In der Vergangenheit hatte der Bund sogar eine Rahmengesetzgebungskompetenz für Bildung. Die war fast 40 Jahre unproblematisch und kein Untergang des föderalen Prinzips. Heute setzen wir uns lediglich dafür ein, dass im Grundgesetz das Ziel steht, bundesweit Leistung und Qualität in der Bildung zu steigern. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein. Den meisten Protest dagegen halte ich für Theaterdonner. Immerhin haben Sie 16 Länder gegen sich. Glauben Sie, ohne Änderung des Grundgesetzes zum Ziel zu kommen? Wir wollen, dass sich die Finanzierungsbasis der Bildung verbessert. Das ist zwingend nötig, denn Bildung ist in Deutschland strukturell unterfinanziert. Die Länder sagen: Gebt uns mehr Geld. Und wir sagen: Wir geben gerne mehr Geld. Es muss aber durch eine Zweckbindung sichergestellt sein, dass das Geld wirklich vollständig in die Bildung fließt. Da geht es gar nicht nur um den Digitalpakt. Die Verfassungsänderung würde auch andere Projekte ermöglichen. Geld, das der Bund zusätzlich für Bildung gibt, muss aber auch zu hundert Prozent zusätzlich in die Bildung fließen. Verstehen Sie, dass das für manche nach Erpressung klingt? Nein, die Länder wollen einfach so viel Spielraum bei der Verwendung der Mittel wie möglich. Das verstehe ich aus deren Perspektive. Das gehört zum politischen Spiel. So erklärt sich die fundamentale Kritik. Herr Kretschmann sieht das vielleicht wirklich so ideologisch, aber die allermeisten Ministerpräsidenten sind pragmatische Leute. Sie werden im Vermittlungsausschuss einfach versuchen, möglichst viel an Flexibilität in den Verhandlungen rauszuholen. Sie werden den Schülern, Lehrern und Eltern in ihren Bundesländern aber nicht erklären wollen, dass sie aus grundsätzlichen Überlegungen auf Geld verzichten, mit dem sie die Qualität der Bildung zuhause verbessern könnten.
Im Streit um mehr Geld für Digitalisierung an Schulen fühlen sich die Länder vom Bund gegängelt. Zu Unrecht, findet FDP-Politiker Marco Buschmann.
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https://www.sueddeutsche.de/bildung/digitalpakt-niemand-in-berlin-wird-lehrplaene-umschreiben-koennen-1.4248738
"Digitalpakt - ""Niemand in Berlin wird Lehrpläne umschreiben können"""
00/12/2018
In den USA werden etwa 60 Prozent aller Onlineeinkäufe zwischen 9 und 17 Uhr erledigt. Sollten auch Sie sich während der Arbeitszeit mit bürofremden Dingen befassen oder ein paar Minuten Ablenkung von Kollegen, Kantine und E-Mails suchen, haben wir einen Vorschlag: Nutzen Sie die Zeit und trainieren Ihr Gehirn - mit dem wöchentlichen Rätsel auf SZ.de. Finden Sie die Lösung? Das Rätsel der Woche Sie haben Gäste zu Kaffee und Kuchen eingeladen. In wie viele Stücke können Sie den Kuchen maximal teilen, wenn Sie dafür nur drei Schnitte setzen dürfen? Detailansicht öffnen Knobelei der Woche (Foto: Illustration Jessy Asmus) Die Lösung Liebe Leser, mit Kuchen kennen Sie sich offensichtlich aus. Jedenfalls haben uns zahlreiche korrekte Antworten erreicht. Eins vorweg: Manche Mitknobler haben angemerkt, dass man die Menge an Kuchenstücken fast unendlich steigern kann, wenn man die drei Schnitte in Kurven setzen darf. Wir wissen natürlich nicht, wie es bei Ihnen ist - aber unsere Oma wäre ganz schön beleidigt gewesen, wenn wir den Kuchen kurvig geschnitten hätten. Also drei gerade Schnitte. Um möglichst viele Stücke zu erhalten, müssen Sie dabei nur einmal die Schnittebene wechseln. Zuerst vierteln Sie den Kuchen, damit sind zwei Schnitte verbraucht. Dann wechseln Sie von der Vertikalen in die Horizontale und schneiden den Kuchen einmal komplett durch. So entstehen insgesamt acht Stücke. Guten Appetit! Wir wünschen Ihnen noch eine schöne Restwoche und freuen uns auf die nächste Knobelei!
Ein kleines Rätsel zur Auflockerung des Büroalltags gefällig? Diesmal muss ein Kuchen zerteilt werden.
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https://www.sueddeutsche.de/bildung/raetsel-der-woche-knobelei-1.4247948
Rätsel der Woche - Knacken Sie das Kuchenrätsel?
00/12/2018
In Hamburg arbeitet eine Expertenkommission daran, den Mathematikunterricht zu verbessern. Sie wünscht sich unter anderem mehr und besser ausgebildete Lehrer sowie mehr Praxisbezug im Unterricht. Hätte sie ihre Arbeit etwas früher aufgenommen, wären womöglich zahllosen Schülern teils traumatische Erlebnisse erspart geblieben. Hier erzählen SZ-Mitarbeiter von lustigen, niederschmetternden und, ja, auch triumphalen Episoden aus ihrer Schulzeit. Der eingebildete Kranke Drei Dinge müssen zusammenkommen, wenn man sich als Achtklässler erfolgreich einer Mathearbeit entziehen möchte. Erstens: die richtige Witterung; zweitens: nicht zu wenig kriminelle Energie; drittens: ein Glaube an das Gute im Menschen. Es war insofern glückliche Fügung, dass auf vielen Straßen Glatteisgefahr herrschte, als für meine 8b in der ersten Stunde an jenem Dienstagmorgen eine schriftliche Überprüfung unseres Geometrie-Wissens anstand. Ich für meinen Teil wäre verloren gewesen. Strahlensätze oder wie man die Breite eines Sees berechnet - mir egal, völlig egal. Eine Lösung des Problems musste her. Schwänzen kam nicht in Frage als Lehrerkind, vielleicht können das andere nachvollziehen. Ein Fehlen bei einer Klassenarbeit macht im Lehrerzimmer schnell die Runde. Die Lösung, dachte ich: ein Fahrradunfall. Kein echter natürlich, ich wollte doch am Nachmittag zu meiner ersten festen Freundin, Pubertät und so. Nein, ein vorgetäuschter. Ich ließ mir also Zeit, kam noch später als für gewöhnlich, klopfte an die Klassentür, zaghaft, wie es Schwerverletzte nun mal zu tun pflegen. Ich bat die eifrige wie ungewöhnlich lebenserfahrene Referendarin, die gerade dabei war, die Aufgabenblätter zu verteilen, vor die Tür. Ich sei verunfallt, log ich, auf dem Weg zur Schule, Glatteis und so. Ich hielt mir den Ellenbogen der rechten Schreibhand, natürlich. Ihren Blick werde ich genauso wenig vergessen wie den Satz des Pythagoras. "Ausrede!", schrie er. Ihr Mund hingegen sprach: "Wenn das so ist, dann musst du wohl ins Krankenhaus." ( a + b )² = a² + 2ab + b² Denken Sie auch mit besonderem Grausen - oder Freude - an Ihren Matheunterricht zurück? Dann schreiben Sie uns an karriere-online@sz.de! Die besten Einsendungen veröffentlichen wir auf SZ.de. Im Krankenhaus, das praktischerweise wenige Hundert Meter vom Schulgebäude entfernt lag, zeigte ich meine Privatversichertenkarte (Lehrerkind) und schilderte, was mir vorgeblich widerfahren war. Wieder skeptische Blicke, diesmal eine Krankenschwester. Meine Rettung: der Oberarzt. Nach Ansicht des Röntgenbildes meines rechten Ellenbogens, das er zusammen mit meiner inzwischen hinzugeeilten Lehrer-Mutter in Augenschein nahm, glaubte er an meine Geschichte und in dem durchleuchteten Knochen etwas erkennen zu können, das gut und gerne auch ein Haarriss hätte sein können. "Man weiß ja nie bei Heranwachsenden", sagte er. Meine Rückkehr in die nächste Mathestunde mit Gipsverband war ein Triumph. Das Ergebnis der zwei Wochen darauf nachgeschriebenen Geometriearbeit war keiner. Philipp von Nathusius Von Rauten und Spinnen Stochastik, Diagramme, Kurvendiskussionen - als es ernst wurde mit der Mathematik, bekamen wir Herrn K. als Mathelehrer. Er erfüllte viele Mathelehrer-Klischees, die wir damals noch gar nicht als solche benennen konnten. Er hatte schütteres Haar, war blass und trug Rautenpullover. Erklären konnte Herr K. ziemlich gut. Und oft ging ein Lächeln über sein Gesicht, wenn sich eine Gleichung an der Tafel in eine kurze, übersichtliche Zeile aufräumte, fast wie von selbst. Die unvergesslichste Stunde war aber jene kurz vor den Ferien. Man hatte immer schon raunen gehört, dass Herr K. eine nicht eben kleine Sammlung an Vogelspinnen besaß, und an diesem Tag brachte er eine - ungefährliche - mit in den Unterricht. Wer wollte, konnte sie über seine Hand krabbeln lassen. Es muss die rationale Atmosphäre in seinem Klassenzimmer gewesen sein, die mich, trotz Phobie, dazu brachte, mich zu melden. Spinnenfüße, das weiß ich seit jener Mathestunde, fühlen sich an, als würden Schulbleistifte mit dem kleinen Radiergummi am Ende über den Handrücken wandern. Kathleen Hildebrand
Von traumatisch bis triumphal - SZ-Mitarbeiter schildern Erlebnisse aus ihrem Mathematikunterricht.
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https://www.sueddeutsche.de/bildung/schule-mathematik-lehrer-1.4244634
Schule - Episoden aus dem Matheunterricht
00/12/2018
Die Kultusminister der Länder haben sich ein neues Verfahren ausgedacht, nach dem die Studienplätze in Humanmedizin, Zahnmedizin, Tiermedizin und Pharmazie künftig vergeben werden. Über Details wird noch in den Bundesländern zu beraten sein. Schon jetzt steht aber fest: Ratifizieren die Landesparlamente den Vorschlag, werden viele Kandidaten über Jahre hinweg vergebens auf einen Medizinstudienplatz gewartet und auf ein Versprechen vertraut haben: dass sie unabhängig von ihrer Abiturnote irgendwann zugelassen werden - angehende Humanmediziner zuletzt spätestens nach 15 Semestern. Das sei zu lang, urteilte im vergangenen Jahr das Bundesverfassungsgericht, das das Zulassungsverfahren in den zentral vergebenen Studienfächern in Teilen für verfassungswidrig erklärte. Die Kultusminister haben sich nun entschlossen, die Wartezeitquote ganz zu streichen. Von der Studienplatzgarantie übrig geblieben ist in dem neuen Verfahren das Recht auf eine Chance, auch ohne sehr gutes Abitur einen Medizinstudienplatz zu bekommen. Sie wird in der "zusätzlichen Eignungsquote" gewahrt. Bei der Vergabe von einem kleinen Teil der Studienplätze kann künftig alles berücksichtigt werden, was Kandidaten für einen medizinischen Beruf qualifiziert - alles außer der Note. Über die genauen Kriterien dürfen die Bundesländer bestimmen oder sie überlassen den Hochschulen diese Entscheidung. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden sie bei der Auswahl der Human- und Zahnmediziner großen Wert auf ein gutes Abschneiden in dem Studierfähigkeitstest TMS legen. Er prüft etwa, ob Teilnehmer komplexe Informationen erfassen und interpretieren können, wie viel sie sich merken können und wie gut ihr räumliches Vorstellungsvermögen ist. Auch Vorerfahrungen in einem medizinischen Beruf wie der Pflege kommen in Betracht. Das alte Wartezeitversprechen haben die Kultusminister nicht vergessen. Ihre Lösung für die Frage der Langzeitwartenden dürfte viele dieser Bewerber dennoch frustrieren: Für eine Übergangszeit von zwei Jahren soll die Wartezeit in der Eignungsquote berücksichtigt werden. Konkret heißt das für das Sommersemester 2020 und das Wintersemester 2020/2021: Jeder Bewerber kann im Verfahren für die zusätzliche Eignungsquote maximal 100 Punkte bekommen, von denen maximal 45 durch Wartezeit zu erreichen sind. Für jedes Halbjahr gibt es drei Punkte. Die volle Punktzahl können somit nur Bewerber erzielen, die 15 Semester und mehr gewartet haben. Im darauffolgenden Jahr werden pro Semester nur noch zwei Punkte angerechnet. Das bedeutet: Besonders eng wird es für diejenigen, die jetzt sieben oder acht Semester warten. Der Weg ist frei für die Landarztquote Wie viele Bewerber um diese Studienplätze konkurrieren werden, ist offen - genau wie die Anzahl der dann zur Verfügung stehenden Plätze. Erstens, weil in dem neuen Verfahren vorab bis zu zwei Zehntel der Studienplätze unter anderem an Bewerber vergeben werden könnten, die sich zu einer Tätigkeit als Landarzt verpflichten. Lediglich die dann verbliebenen Plätze werden über weitere Quoten verteilt: zu 30 Prozent an die Abiturbesten, zu 60 Prozent an die Besten der hochschuleigenen Verfahren, in denen Abinoten ebenfalls eine Rolle spielen, und zu zehn Prozent eben an all diejenigen, die dabei nicht zum Zug kommen. Zweitens ist unklar, wie viele zu Letzteren zählen könnten. Zum aktuellen Wintersemester konnten 9232 Menschen bundesweit das Studium aufnehmen. Bei den 40 000 Bewerbern dürfte es sich jedoch nicht um alle Studienwilligen handeln: Wer keinen Einserabschluss und eine Wartezeit von weniger als 13 Semestern hatte, wusste um seine Chancenlosigkeit. Das ist künftig anders. Die Zusatzquote wird für sie alle zum Schlupfloch ins Medizinstudium. Wird die Anzahl der Plätze nicht erhöht, passen nur ein paar Hundert hindurch. Wer auf einen der wenigen Studienplätze zum Sommersemester 2020 spekuliert, sollten sich jetzt zum Studierfähigkeitstest anmelden. Die Frist endet Mitte Januar 2019.
Wer darf künftig Arzt werden? Vor allem Spitzenschüler. Viele Studienanwärter, die seit Jahren auf einen Platz warten, werden bei dem neuen Vergabeverfahren leer ausgehen.
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https://www.sueddeutsche.de/bildung/medizinstudium-studium-universitaet-wartezeit-1.4246133
Medizinstudium: So funktioniert die Eignungsquote
00/12/2018
Im Streit um den "Digitalpakt Schule" zweifelt Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) die Kompetenz des Bundes in der Schulpolitik grundsätzlich an. "Wieso sollte der Bund für Bildungsaufgaben kompetenter sein?", sagte Kretschmann der Süddeutschen Zeitung. Die Länder seien "die Experten für Schulpolitik". Der Bund dagegen habe mit Schulen gar keine Erfahrung und auch keine Behörden für diesen Bereich. Warum sollte er, sagte Kretschmann, "besser Bescheid wissen als wir, wie man Schulen digitalisiert?" Selbst da, wo der Bund tatsächlich zuständig sei, überzeuge er oft nicht. "Ich sage nur: Bamf, Kraftfahrzeugbundesamt, Eisenbahnbundesamt, Bundeswehr", so Kretschmann. Die von der Bundesregierung als Voraussetzung für den Digitalpakt geforderte und vom Bundestag bereits beschlossene Grundgesetzänderung lehnt Kretschmann ab. Sie sei "ein grundsätzlicher Eingriff in die Selbständigkeit der Länder. Das geht nicht." Die Grundgesetzänderung hätte den Bund legitimiert, künftig flächendeckend Milliardensummen in Schulen investieren zu können, genauso wie in den sozialen Wohnungsbau und die Verkehrsinfrastruktur. Die 16 Bundesländer wollen die Grundgesetzänderung an diesem Freitag im Bundesrat scheitern lassen und den Vermittlungsausschuss anrufen. Baden-Württemberg sowie die vier unionsgeführten Länder Bayern, Sachsen, Nordrhein-Westfalen und Hessen werten die Gesetzesänderung vor allem als Angriff auf die föderale Grundstruktur. Kretschmann führt den Widerstand an - und verärgert damit auch Politiker aus der eigenen Partei Sie warnen davor, dass der Bund Einfluss auf die Schulbildung nehmen könnte. Die übrigen Länder stoßen sich eher daran, dass sie bei Bund-Länder-Kooperationen in der Bildung ab 2020 zu jedem Euro vom Bund einen Euro aus eigenen Mitteln beisteuern sollen. Mit dieser 50-50-Regelung sei den ärmeren Bundesländern nicht geholfen, so die Kritik. Kretschmann steht an der Spitze des Widerstands der Länder - und positioniert sich damit zugleich gegen grüne Parteikollegen in der Bundestagsfraktion. Neben den Regierungsparteien hatten auch Grüne und FDP die Grundgesetzänderung mit ausgehandelt und im Bundestag verabschiedet. Die innerparteiliche Abstimmung sei "in keiner Partei gelungen", sagte der baden-württembergische Landeschef. "Hier stoßen die Interessen von Bund und Ländern hart aufeinander." Die Bundespolitiker hätten gemerkt, dass die Bildung in den vergangenen Jahrzehnten ein Top-Thema geworden sei. "Jedenfalls wollen sie mitmischen", sagte Kretschmann. Dennoch glaubt Kretschmann, dass der "Digitalpakt Schule" noch zu retten ist - auch ohne Grundgesetzänderung. Der Bund könne den Ländern die fünf Milliarden Euro "ohne weiteres über die Umsatzsteuer geben", so Kretschmann. "Dann geht der Digitalpakt blitzschnell über die Bühne." Zugleich dämpfte er aber die Erwartungen an das Programm, dessen Mittel in die digitale Ausstattung der Schulen fließen sollen, in WLAN, Computer, interaktive Tafeln, Schulserver und anderes. "Mit diesen fünf Milliarden können Sie umgerechnet auf alle Schulen mal gerade zwei Tablets je Klasse finanzieren. Wer glaubt, der Digitalpakt sei ein Riesending, irrt", so Kretschmann.
Der Bund will das Grundgesetz ändern, um flächendeckend und direkt in Schulen investieren zu können. Baden-Württembergs Ministerpräsident leistet Widerstand - und zweifelt die Kompetenz des Bundes an.
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https://www.sueddeutsche.de/bildung/schule-digitalpakt-winfried-kretschmann-1.4246541
Digitalpakt - Kretschmann attackiert Bundesregierung
00/12/2018
Detailansicht öffnen Der Digitalpakt soll Schüler mit Tablets versorgen - ein juristisch heikles Unterfangen. (Foto: imago/photothek) Es würde wohl kaum jemand bestreiten, dass ein hoch entwickelter Industriestaat ein intelligentes Bildungssystem benötigt. Das Schicksal des "Digitalpakts Schule", dessen Start im Januar, nach zwei Jahren des Wartens, soeben geplatzt ist, zeigt aber: Das Selbstverständliche ist nicht so selbstverständlich, wie es erscheint. Damit der Bund in schnelles Internet, Tablets und digitale Tafeln für Deutschlands Schulen investieren darf, für die bekanntermaßen die Länder zuständig sind, muss eine juristische Basis gefunden werden. Um zu verstehen, warum das so schwierig ist, hilft ein Blick in die Geschichte der Verfassung. Ende der 1960er-Jahre wurde eine Formel gefunden, die den damaligen Wildwuchs diverser Bund-Länder-Programme in ein einheitliches Konzept überführen sollte: der kooperative Föderalismus. Die Verfassungsreform von 1969 nahm dieses Konzept auf und regelte im Grundgesetz in den Artikeln 91a, 91b und 104a Abs. 4 das Zusammenwirken zwischen dem Bund und einzelnen oder mehreren Ländern. Diese Erlaubnis zur Kooperation stand jedoch auf der "Kürzungsliste" der Föderalismuskommission, was dazu führte, dass die Artikel merklich verändert wurden. Besonders deutlich wird das bei Artikel 104b, zu dem der "alte" Artikel 104a hin verändert wurde. Der Unterschied zwischen beiden Bestimmungen ist, dass der Bund nur in den Bereichen, für die er selbst eine Gesetzgebungskompetenz hat, den Ländern Finanzhilfen gewähren kann - und zwar für besonders bedeutsame Investitionen der Länder selbst oder der Kommunen. Das hätte zunächst fast das Aus für die meisten Bildungs- und Wissenschaftsprogramme unter Bundesbeteiligung bedeutet, hätte es nicht Artikel 91b gegeben. Er erlaubt eine solche Zusammenarbeit bei der Wissenschaft in einem gewissen Rahmen. Allerdings war dieser Rahmen viel zu eng gesetzt. Das zeigte sich nicht zuletzt daran, dass Artikel 104b verändert wurde. Von 2009 an gestattete er auch Finanzhilfen des Bundes jenseits seiner Gesetzgebungskompetenz: Nämlich dann, wenn die Abwehr von Notsituationen wie Naturkatastrophen die Bundeshilfe erforderte. 2014 wurde auch Artikel 91b verändert, seitdem kann der Bund langfristige Kooperationen zwischen Forschungsinstituten und Hochschulen finanzieren. Zum Glück, denn ein hoch entwickelter Industriestaat braucht auch ein intelligentes Forschungssystem. Bei den Schulen aber blieben Kooperationen schwierig, wie jetzt der Digitalpakt zeigt. Um ihn verfassungsrechtlich abzusichern, liegen drei Vorschläge auf dem Tisch: Die frühere Forschungsministerin Johanna Wanka brachte 2016 den Artikel 91c des Grundgesetzes ins Spiel. Er regelt die Kooperation von Bund und Ländern bei informationstechnischen Systemen. Allerdings ist die Regelung so speziell, dass sie eine haushaltstechnisch hoch anspruchsvolle Gestaltung des "Digitalpakts Schule" nach sich ziehen würde. Aus diesem Grund vereinbarten CDU, CSU und SPD im vergangenen März in ihrem Koalitionsvertrag einen anderen Weg: den Artikel 104c zu ändern (oder einen neuen Artikel 104d hinzuzufügen). Die dritte Möglichkeit bringt der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann immer wieder ins Gespräch: eine Neuverteilung der Umsatzsteuereinnahmen nach Artikel 106 Abs. 4. Laut Kretschmann könnten Finanzbedarfe der Länder dadurch so abdeckt werden, dass sich Bundeshilfen erübrigen. Dieser Idee scheinen sich jetzt mehrere Bundesländer angeschlossen zu haben. Über alle drei Möglichkeiten lässt sich diskutieren. Hier soll jedoch noch eine vierte ins Spiel gebracht werden: Warum ändert man nicht Artikel 91b des Grundgesetzes dahingehend, dass er auch den Schulbereich (oder zumindest dessen digitale Ausstattung) erfasst? Artikel 91b Abs. 2 betrifft ohnehin schon eine Frage des Bildungswesens, nämlich die "Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich" (Stichwort: Pisa). Wenn ohnehin das Grundgesetz geändert werden soll, so fragt sich, warum man nicht an der Stelle ansetzt, die eine längerfristige Kooperation zwischen Bund und Ländern erlaubt. Und bei der der Bund in einzelnen Programmen durchaus 100 Prozent der Kosten tragen kann - so wurde es 2006 bei der damaligen Neufassung von Artikel 91b Abs. 3 nämlich verabredet. Wieso ergänzt man nicht den Artikel 91b um einen Absatz 2a, der dieses erlaubt? Wenn jeder Vertragspartner seine Gelder und seine Kompetenz einbringt, so bedarf es nicht des kleinteiligen Systems der Hin- und Rückausnahmen, wie sie derzeit für Artikel 104b und 104c diskutiert werden - so ist zumindest zu hoffen. Man sollte einfach einmal darüber nachdenken. Margrit Seckelmann, 46, ist Expertin für Wissenschaftsrecht, Geschäftsführerin des Forschungszentrums für öffentliche Verwaltung in Speyer und Vertreterin eines Lehrstuhls an der dortigen Universität für Verwaltungswissenschaften.
Warum es so schwer ist, den "Digitalpakt Schule" rechtlich abzusichern - und wie es funktionieren könnte.
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https://www.sueddeutsche.de/bildung/digitalpakt-versus-verfassung-in-der-zwickmuehle-des-gesetzes-1.4245202
Digitalpakt versus Verfassung - In der Zwickmühle des Gesetzes
00/12/2018
"Die Schule soll weniger bei den Eltern abladen" Für viele Schüler immer wieder ein Frust: der Mathematikunterricht. Experten versuchen, den Matheunterricht in Hamburg zu verbessern. Mathematik-Professor Janko Latschev hat ihren Bericht gelesen. Mit Spannung verfolgen Lehrer und Didaktiker, wie Hamburg versucht, die relativ schwachen Leistungen seiner Schüler in Mathematik zu verbessern. Kann der Stadtstaat einen besseren Matheunterricht entwerfen? Eine Expertenkommission unter Leitung des Kieler Professors Olaf Köller und des früheren Staatssekretärs Burkhard Jungkamp ist der Frage im Auftrag des Schulsenators Ties Rabe (SPD) nachgegangen. Der Mathematik-Professor Janko Latschev hat ihren Bericht gelesen. SZ: Herr Professor Latschev, wie finden Sie die Empfehlungen der Kommission? Janko Latschev: Die Kommission will mehr Fachlichkeit, in der Lehrerausbildung und in der Schule. Das begrüßen wir. ( a + b )² = a² + 2ab + b² Denken Sie auch mit besonderem Grausen - oder Freude - an Ihren Matheunterricht zurück? Dann schreiben Sie uns an karriere-online@sz.de! Die besten Einsendungen veröffentlichen wir auf SZ.de. Auf der Liste stehen mehr Unterrichtszeit, mehr Klassenarbeiten, mehr Lehrerfortbildungen. Begabte und schwächere Schüler sollen zudem mehr gefördert werden. Sind das nicht Standardlösungen? Ich sehe darin die Forderung nach mehr Verbindlichkeit: Die Schule soll mehr von dem leisten, was ihre Aufgabe ist, und weniger bei den Eltern abladen. Das beugt auch sozialer Ungerechtigkeit vor. Hätte die Kommission nicht auch inhaltliche Empfehlungen geben müssen? Mag sein, aber sie hatte nur ein Jahr Zeit. Außerdem hat die Kultusministerkonferenz sehr detailliert festgelegt, was im Schulunterricht vorkommen soll. Warum mehr Klassenarbeiten? Schriftliche Prüfungen bringen klarere Ergebnisse und sind vergleichbarer als mündliche. Bisher gab es zum Teil nur eine Klausur pro Semester, neben anderen Prüfungsformen, die oft besser ausfielen. Hamburg klagt schon lange über schlechte Matheleistungen. Sagt das mehr über den Unterricht oder über die Schüler? Großstädte haben eine komplexere soziale Zusammensetzung, das schafft spezielle Herausforderungen. Trotzdem kann guter Unterricht die Leistungen verbessern. Und wenn Sie die Mathematikkompetenz stärken, stärken Sie auch andere Kompetenzen. Ein Beispiel: Vor Kurzem las ich einen Artikel über eine Säuberungsaktion im Ozean. Dort kamen auch Zahlen vor, wie viel Plastik pro Jahr neu dazukommt, wie viel mit der Aktion eingesammelt werden soll. Wer da mitrechnet, stellt fest: Bestenfalls wird 1/600 des Plastikmülls entfernt, der in der gleichen Zeit dazukommt. Das hilft dann, die Sache einzuordnen. Aber der Matheunterricht stellt den Bezug zur Wirklichkeit nicht gut dar. Das Konzept der Modellierung sollte in Hamburg Abhilfe schaffen. Modellierung heißt: Ich habe ein Problem aus der Wirklichkeit und versuche, es in ein Stück Mathematik zu übersetzen. Aber modellieren kann man nur, wenn man die Methoden dazu beherrscht, und die sind bei realistischen Beispielen verdammt schwierig. Muss der Unterricht anschaulicher sein? Wir müssen es zunächst einmal hinkriegen, dass die Mathematik allen Beteiligten mehr Freude macht. Zum Beispiel sind viele Lehrerinnen und Lehrer wirklich an neuen Entwicklungen im Fach interessiert. Für sie ist es schade, dass sie nach der Ausbildung von der Wissenschaft weg sind. Sie sollten in Kontakt mit der Uni bleiben können. Janko Latschev, 48, ist Professor für Mathematik an der Universität Hamburg und forscht über symplektische Geometrie. Zudem betreut er an seinem Fachbereich die Reform der Lehramtsstudiengänge, insbesondere für Grundschullehrer.
Experten versuchen, den Matheunterricht in Hamburg zu verbessern. Mathematik-Professor Janko Latschev hat ihren Bericht gelesen.
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https://www.sueddeutsche.de/bildung/schule-mathematik-lehrer-1.4245204
"Mathematik: ""Schule soll weniger bei Eltern abladen"""
00/12/2018
Bund und Länder sind sich ja einig, eigentlich: Der Digitalpakt Schule, in dem der Bund den Ländern und Kommunen über einen Zeitraum von fünf Jahren gut fünf Milliarden Euro zur Verfügung stellt, um Tablets et cetera zu kaufen, ist eine tolle Sache. Wie und wann er kommt, ist trotzdem unklar. Der Bundesrat will in seiner Sitzung am 14. Dezember den Vermittlungsausschuss anrufen, um über eine vom Bundestag bereits beschlossene Grundgesetzänderung zu diskutieren. Sie soll das Kooperationsverbot in der Bildung lockern, findet in den Ländern aber keine Zustimmung. Aber wie sieht es eigentlich an den Schulen derzeit in puncto Digitalisierung aus? Dazu kann Robert Plötz eine Menge erzählen. Er unterrichtet seit 2000 an einem Münchner Gymnasium Mathematik, Physik und Informatik. In einem Youtube-Video erklärt er seinen Kollegen, wie das mit dem digitalgestützten Unterricht in Zukunft laufen könnte. SZ: Herr Plötz, Sie nutzen viele digitale Hilfsmittel im Unterricht. Haben Sie Ihre Kollegen schon anstecken können? Robert Plötz: Es gibt es verschiedene Lager im Kollegium, die meisten aber sagen, sie würden gerne mehr digital machen. Unsere neueste Beamergeneration bietet Lehrkräften zum Beispiel die Möglichkeit, das private Tablet per App mit dem Beamer zu verbinden. Das finden viele Kollegen toll, weil sie direkt mit dem Tablet unterrichten können, das sie von zuhause gewöhnt sind und mit dem sie souverän umgehen können. Trotzdem sind wir in puncto Ausstattung noch nicht da, wo wir in meinen Augen sein sollten. Haben Sie ein konkretes Beispiel? Ich habe mir 2017 privat einen Beamer gekauft und den von Klassenzimmer zu Klassenzimmer geschleppt, weil wir in der Schule einfach nicht genug davon hatten. Der Mangel an Hardware fördert bei ohnehin skeptischen Kollegen nicht gerade die Lust am digitalen Unterrichten. Wo liegen neben dem Mangel an Hardware die größten Probleme? Frustrierend wird es immer, wenn die Technik schlicht nicht funktioniert. Man liest ja ständig, die Lehrkräfte wären in Sachen Digitalisierung noch nicht so weit. Aber eigentlich stimmt das nicht, es fehlen einfach moderne Geräte in ausreichender Zahl, pädagogisch vernünftige Softwarekonzepte - und vor allem schnelles Wlan. Wenn ich in der Klasse noch nicht mal ein Youtube-Video laden kann, bringen mir die tollsten Tablets nichts. Bevor der Bund in den Ländern auch in Fortbildungen für die Lehrkräfte investiert, braucht es also erst mal eine bessere technische Ausstattung? Absolut. Natürlich ist es auch wichtig, die Lehrkräfte bei der Digitalisierung pädagogisch zu unterstützen. Aber nochmal: So doof und hinter dem technischen Fortschritt zurückgeblieben, wie das oft dargestellt wird, sind die allermeisten Lehrkräfte nicht. Wenn ich mir die Smartphoneschwemme im Lehrerzimmer anschaue, die längst auch etwa die älteren Kollegen aus den Geisteswissenschaften ergriffen hat, mache ich mir wirklich keine Sorgen. In Ihrem Erklärvideo auf Youtube betonen Sie, dass die Software bei der Diskussion um digitalen Unterricht oft vergessen wird. Was stellen Sie sich vor? Selbst wenn die Schulen mit Hardware gut ausgestattet wären, sehe ich die Gefahr, dass die Geräte ohne ordentliche Lernsoftware kaum zu Einsatz kommen. Mit dem Tablet kann man mal einen Film machen oder etwas aufschreiben, das war es dann aber auch. Wir brauchen gute Softwarekonzepte, die die Schüler begeistern und motivieren. Und die Entwicklung dieser Konzepte ist keine Aufgabe der Länder und auch nicht vom Bund, es ist eine europäische Aufgabe. Das müssen Sie erklären. Im Moment überlassen wir das den Lehrbuchverlagen, aber die sind dafür eindeutig zu klein. Ich bin zum Beispiel überzeugt, dass das Englischbuch in zehn Jahren per Spracherkennung mit dem Schüler reden kann. Es hat aber kein Verlag die Kapazität, eine eigene Spracherkennung zu programmieren - und wir können schon aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht die Programme von Google oder Apple nehmen. Warum also sollte nicht Experten aus ganz Europa die notwendige Software gemeinsam konzipieren, die in allen Ländern Europas zum Einsatz kommen kann? Wenn der Schüler nur ein PDF zu lesen bekommt, ist das doch mager und auch kein Lernanreiz. Die Technik kann so viel mehr, das müssen wir für die Schule nutzen.
Lehrer Robert Plötz unterrichtet seit Jahren mit digitalen Hilfsmitteln. Ein Gespräch über fortschrittliche Pädagogen und langsames Internet.
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https://www.sueddeutsche.de/bildung/digitalpakt-digitalisierung-lehrer-schule-1.4242364
"Schule: ""Doof sind die allermeisten Lehrkräfte nicht"""
00/12/2018
Warum gerade sie? Warum bekommen 1,0-Abiturienten leichter einen Medizinstudienplatz als andere? Sie sitzen immerzu am Schreibtisch, sind sozial inkompetent - das sind Argumente, die Gegner des Numerus clausus gern anführen. Dabei vergessen sie: Wer eine Matheklausur genauso meistert wie ein Gruppenprojekt, muss feinfühlig sein und teamfähig. Deshalb ist es richtig, dass die Kultusminister nun bei der Vergabe der Studienplätze die Abiturnote stärken. Über Wartesemester soll niemand mehr ins Medizinstudium kommen. Genauso wichtig aber ist es, dass künftig auch die Eignung eine größere Rolle spielt. Wer etwa nach dem Abitur eine Ausbildung oder ein Praktikum in der Pflege absolviert hat, könnte bei der Vergabe nach oben rücken. Wer kranke Menschen betreut hat, wer im Rettungsdienst Schwerverletzte beruhigen musste, weiß, worauf er sich einlässt. Von solchen Bewerbern können die Hochschulen - und später die Patienten - nur profitieren. Nebenbei könnte noch etwas anderes passieren. Wer als Pfleger im Nachtdienst 30 Patienten versorgen musste und dafür nur mäßig bezahlt wurde, wird wohl später als Arzt mehr Respekt vor der Arbeit anderer haben. Das könnte die oft beklagte Kluft zwischen Medizinern und Pflegern ein wenig auflösen und die Pflegeberufe stärken.
Wer berufliche Erfahrung mit Kranken hat, sollte leichter Medizin studieren können.
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https://www.sueddeutsche.de/bildung/medizinstudium-pfleger-werden-aerzte-1.4242049
Medizinstudium - Pfleger werden Ärzte
00/12/2018
Bewerber ohne hervorragende Abiturnote haben künftig bessere Chancen, schnell einen Studienplatz in Medizin und anderen begehrten Fächern zu bekommen. Die Möglichkeit, einen Platz über Wartesemester zu bekommen, soll dagegen entfallen. Das geht aus dem Entwurf für einen Staatsvertrag über die Hochschulzulassung hervor, der auf der Kultusministerkonferenz am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde. Jeder zehnte Platz in den zentral verwalteten Studiengängen Medizin, Zahnmedizin, Tiermedizin und Pharmazie soll demnach künftig anhand von Kriterien vergeben werden, die von der schulischen Leistung unabhängig sind - etwa berufliche Vorerfahrung. Im Gegenzug wird die Bedeutung der Abschlussnote an anderer Stelle gestärkt: Künftig sollen 30 statt wie bisher 20 Prozent der Plätze an die Besten eines Abiturjahrgangs gehen. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts hatte die Neuregelung nötig gemacht. Im Dezember 2017 hatten die Karlsruher Richter das bisherige Vergabeverfahren für teilweise verfassungswidrig erklärt. Es sieht vor, dass je 20 Prozent der bundesweit etwa 11 000 Studienplätze an die Abiturbesten und über die Wartezeitquote vergeben werden sowie 60 Prozent von den Hochschulen selbst. Die Richter monierten unter anderem, eine Wartezeit von 15 Semestern sei zu lang. Zudem bemängelten sie, die Hochschulen berücksichtigten in ihrem Verfahren zu häufig nur die Abiturnote. Dafür aber seien die Leistungsanforderungen von Bundesland zu Bundesland zu unterschiedlich. Künftig sollen die Hochschulen weiterhin 60 Prozent der Studienplätze vergeben, allerdings nicht mehr allein auf Basis der Note eines Bewerbers. Stattdessen müssen sie in Zahnmedizin, Tiermedizin und Pharmazie je ein schulnotenunabhängiges Kriterium berücksichtigen, in Humanmedizin sogar zwei. Neben beruflichen Erfahrungen kann dies etwa ein Eignungstest wie der Medizinertest sein. Die Hochschulen berücksichtigen bei der Bewertung eines Bewerbers nicht, in welchem Bundesland dieser sein Abitur erworben hat. Bei der Abiturbestenquote ist das anders, diese bezieht sich jeweils auf ein Bundesland. Vom Verfassungsgericht war sie daher auch nicht bemängelt worden. Dass sie nun angehoben werden soll, begründete die Kultusministerkonferenz mit der hohen "Prognosekraft" der Abiturdurchschnittsnote für den Studienerfolg. Man trage damit "vielfachen wissenschaftlichen Erkenntnissen" Rechnung. Über die Reform müssen noch die Finanzminister- sowie die Ministerpräsidentenkonferenz beraten, anschließend muss der Staatsvertrag in den Landesparlamenten ratifiziert werden. Die Neuerungen sollen frühestens zum Sommersemester 2020 in Kraft treten. Eine Übergangsregelung soll für Bewerber gelten, die bereits seit langer Zeit auf einen Studienplatz warten. Ihre Wartesemester sollen nicht mit Inkrafttreten der Reform verfallen, vielmehr können sie ein Faktor sein in dem neuen, notenunabhängigen Bewerbungsverfahren für zehn Prozent der Studienplätze.
Bei der Vergabe von Studienplätzen sollen außerdem künftig auch andere Kriterien als die Abiturnote berücksichtigt werden.
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https://www.sueddeutsche.de/bildung/medizinstudium-zulassung-wartezeit-1.4241861
Medizinstudium - Kultusminister schaffen Wartezeit ab
00/12/2018
Der Bund will den Schulen für die Digitalisierung fünf Milliarden Euro schenken. Aber alle 16 Bundesländer sind dagegen. Wieso der Digitalpakt plötzlich auf der Kippe steht, erklärt SZ-Bildungsredakterin Susanne Klein. Der Bund will den Schulen für Computer, Notebooks und Tablets fünf Milliarden Euro schenken. Aber Bildung ist Ländersache, also muss man das Grundgesetz ändern. Der Bundestag stimmt mit Zwei-Drittel-Mehrheit zu. Aber alle 16 Bundesländer sind dagegen. Was die Länder an dem sogenannten Digitalpakt stört, erklärt SZ-Bildungsredakteurin Susanne Klein. So können Sie unseren Nachrichtenpodcast abonnieren "Auf den Punkt" ist der Nachrichtenpodcast der SZ mit den wichtigsten Themen des Tages. Der Podcast erscheint von Montag bis Freitag immer um 17 Uhr. Sie finden alle Folgen auf sz.de/nachrichtenpodcast. Verpassen Sie keine Folge und abonnieren Sie unser Audio-Angebot, etwa bei: iTunes Spotify Deezer oder in Ihrer Lieblings-Podcast-App. Sie haben Fragen oder Anregungen? Dann schreiben Sie uns: podcast@sz.de.
Der Bund will den Schulen für die Digitalisierung fünf Milliarden Euro schenken. Aber alle 16 Bundesländer sind dagegen. Wieso der Digitalpakt plötzlich auf der Kippe steht, erklärt SZ-Bildungsredakterin Susanne Klein.
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"SZ-Podcast ""Auf den Punkt"" - Nachrichten vom xx.xx.xxxx"
00/12/2018
Geht es nach dem Kultusministern, bekommen die Ländern so bald wie möglich Geld vom Bund, um die Digitalisierung der Schulen voranzutreiben. Die Länder beschlossen bei einer Sitzung der Kultusministerkonferenz (KMK) eine entsprechende Erklärung. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) sprach sich ebenfalls dafür aus, dass der Digitalpakt Schule "schnell" auf den Weg kommt. Als Folge der Vereinbarung sollen die etwa 40 000 Schulen in Deutschland mit digitaler Technik wie WLAN ausgestattet werden. Schulen sollen mit einem Teil von vorgesehenen fünf Milliarden Euro vom Bund auch Tablets oder Laptops für ihre Schüler beschaffen können. Grundsätzlich sollen die Schüler die Geräte aber selbst mitbringen. Uneins sind sich die Länder darüber, ob der Digitalpakt wie von Bund und Bundestag vorgesehen im Zusammenhang mit einer Grundgesetzänderung beschlossen werden soll. Zu einem bereits vom Bundestag beschlossenen Gesetz für so eine Grundgesetzänderung wollen die Länder am 14. Dezember im Bundesrat den Vermittlungsausschuss beider Kammern anrufen. Der Sprecher der SPD-geführten Länder, Hamburgs Schulsenator Ties Rabe, warb dafür, den eingeschlagenen Weg über die Grundgesetzänderung zu gehen und erst im Fall eines Scheiterns neu nachzudenken. Seine baden-württembergische Kollegin Susanne Eisenmann (CDU) hielt dem für die unionsgeführten Länder entgegen, dass der Digitalpakt ohne Grundgesetzänderung kommen solle. Rabe sagte, seine Erwartung sei es, "dass wir im kommenden halben Jahr den Digitalpakt Schule auf jeden Fall haben können". Bundesministerin Karliczek meinte: "Zügig ist das Zauberwort." Eisenmann betonte, wenn der Pakt im Sommer 2019 komme, werden seit der ersten Ankündigung durch die damalige Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) drei Jahre vergangen sein. Fraglich sei, "ob das wirklich zügig in der Definition von zügig ist". Karliczek hatte entgegen ursprünglichen Plänen am Mittag doch kurzfristig an einer Pressekonferenz der KMK zum Thema teilgenommen.
Das beschlossen die Länder bei einer Sitzung der Kultusminister. Wie es nun weitergeht, bleibt aber unklar.
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https://www.sueddeutsche.de/bildung/schule-digitalpakt-schule-soll-zuegig-in-kraft-treten-1.4242745
"Schule: Digitalpakt Schule soll ""zügig"" in Kraft treten"
00/12/2018
In den USA werden etwa 60 Prozent aller Onlineeinkäufe zwischen 9 und 17 Uhr erledigt. Sollten auch Sie sich während der Arbeitszeit mit bürofremden Dingen befassen oder ein paar Minuten Ablenkung von Kollegen, Kantine und E-Mails suchen, haben wir einen Vorschlag: Nutzen Sie die Zeit und trainieren Ihr Gehirn - mit dem wöchentlichen Rätsel auf SZ.de. Finden Sie die Lösung? Das Rätsel der Woche Gegeben sind vier kleine Quadrate, durch Verschieben von genau drei Zündhölzern sollen daraus drei Quadrate gleicher Größe entstehen. Es darf kein Hölzchen zerbrochen oder komplett entfernt werden, außerdem müssen alle Hölzchen verwendet werden. Detailansicht öffnen Knobelei der Woche (Foto: Illustration Jessy Asmus) Die Lösung Liebe Leser, als souveräne Zündholverschieber haben Sie auch diesmal wieder wenig Schwierigkeiten mit der Aufgabe gehabt. Oder um den Hinweis unter der korrekt eingesandten Lösung eines Mitspielers zu zitieren: "Im Konferenzraum zwischen zwei Meetings ..." Daher wollen wir auch nicht lange um das heiße Rätsel herum reden. Hier eine Lösungsmöglichkeit - je nachdem, an welcher Stelle man verschiebt, kann die gebildete Figur aber auch anders ausgerichtet sein: Detailansicht öffnen Knobelei der Woche (Foto: Illustration Jessy Asmus) Wir wünschen Ihnen noch eine schöne Restwoche und freuen uns auf die nächste Knobelei!
Ein kleines Rätsel zur Auflockerung des Büroalltags gefällig? Diesmal müssen Zündhölzer verschoben werden.
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https://www.sueddeutsche.de/bildung/raetsel-der-woche-streichholzraetsel-knobelei-1.4239007
Rätsel der Woche - Knacken Sie das Streichholzrätsel?
00/12/2018
Trotz der einhelligen Ablehnung einer Grundgesetzänderung durch die 16 Ministerpräsidenten der Länder drängt SPD-Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles auf eine schnelle Einigung über den Digitalpakt. "Die offenen Fragen zwischen Bund und Ländern müssen nun zügig im Vermittlungsausschuss geklärt werden", sagte Nahles der Süddeutschen Zeitung. Obwohl auch alle sozialdemokratischen Ministerpräsidenten gegen den Beschluss des Bundestages votierten, sagte Nahles: "Die SPD setzt sich geschlossen dafür ein, dass das Gesetzgebungsverfahren zu den Grundgesetzänderungen schnellstmöglich zu einem erfolgreichen Abschluss geführt wird". Wichtigstes Ziel bleibe "die Abschaffung des strikten Kooperationsverbots zwischen Bund und Ländern in der Bildungspolitik". Nur mit den Grundgesetzänderungen würden auch "die dringend nötigen Investitionen in den sozialen Wohnungsbau und den öffentlichen Personennahverkehr möglich". Nahles erinnerte daran, dass alle diese Vorhaben auch im Koalitionsvertrag verabredet worden seien. An dessen Entstehen waren auch zahlreiche Ministerpräsidenten beteiligt.
Nach der Ablehnung der Grundgesetzänderung durch die Ministerpräsidenten mahnt die SPD-Chefin zur Einhaltung des Koalitionsvertrages.
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https://www.sueddeutsche.de/bildung/nahles-digitalpakt-bundeslaender-1.4241145
Nahles fordert schnelle Einigung über Digitalpakt
00/12/2018
Der Schritt hatte sich abgezeichnet. Noch vor dem Kultusministertreffen am Donnerstag, bei dem es um die Grundgesetzänderung für den Digitalpakt gehen sollte, haben die Ministerpräsidenten entschieden: Das Grundgesetz wird vorerst nicht geändert, obwohl sich der Bundestag mit großer Mehrheit dafür ausgesprochen hatte. Die Grundgesetzänderung sollte das bisherige Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in der Bildung lockern und es so dem Bund ermöglichen, den Ländern trotz deren Zuständigkeit für den Bildungsbereich Mittel für eine bessere IT-Ausstattung von Schulen zur Verfügung zu stellen. Gleiches soll dann auch für den öffentlichen Nahverkehr und den sozialen Wohnungsbau gelten. Bei den geplanten Investitionen in die Bildung stören sich viele Länder vor allem an einem Zusatz, der erst kurz vor der Abstimmung im Bundestag aufgenommen wurde. Demnach sollen die Länder ab 2020 die Hälfte der Kosten tragen, wenn der Bund sie hinsichtlich der Schulen finanziell unterstützt. Laut Linken-Politiker Helmut Holter, zuständiger Minister Thüringens und Präsident der Kultusministerkonferenz, war dies nicht abgesprochen. "Das geht so nicht. Das ist einfach ungeschickt und frech gegenüber den Ländern", sagte Holter. Wie es aus Koalitionskreisen hieß, hatten die Haushälter von Union und SPD den Passus eingearbeitet, um zu verhindern, dass die Länder sich bei der Finanzierung bestimmter Projekte einen "schlanken Fuß" machen können und vor allem der Bund zahlt. Beim fünf Milliarden schweren und weiterhin unumstrittenen Digitalpakt dagegen soll die Kostenaufteilung 90 zu 10 sein. Baden-Würtembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), Kritiker der Grundgesetzänderung, hatte bereits am Mittwochmorgen dem Bund die Zuständigkeit für Bildungsfragen erneut abgesprochen. "Der Bund hat gar keine Kompetenz. Aber er hat auch gar keine Ahnung davon", sagte Kretschmann im ZDF-Morgenmagazin. Es geht um die "Zukunft des Föderalismus" Am 14. Dezember hätte der Bundesrat der Grundgesetzänderung mit Zweidrittelmehrheit zustimmen müssen. Nach Kritik aus den Ländern zeichnete sich aber seit einigen Tagen ab, dass eine entsprechende Mehrheit nicht zustandekommen würde. Die Länder streben nun ein Vermittlungsverfahren an, alle 16 Bundesländer stimmten dafür. Ziel sei es, den Entwurf des Bundestages grundlegend zu überarbeiten. Saarlands Regierungschef Tobias Hans (CDU), Sprecher der unionsgeführten Länder, sagte, es gehe um die "Zukunft des Föderalismus". In Regierungskreisen hieß es, der Digitalpakt und andere Projekte könnten sich um einige Monate verschieben und erst bis Ostern kommen.
Damit wird der Bund wohl auch nicht von Januar 2019 an in die Digitalisierung der Schulen investieren können. Nun soll ein Vermittlungsausschuss helfen.
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https://www.sueddeutsche.de/bildung/digitalpakt-grundgesetzaenderung-laender-1.4240665
Digitalpakt: Länder stoppen Grundgesetzänderung vorerst
00/12/2018
Deutschland braucht keine Einheitsschule von Kiel bis Konstanz, sondern einen Wettbewerb der Ideen. Die Länder sollten sich im Ringen um den Digitalpakt vom Bund keine Kompetenzen abkaufen lassen. In Deutschland gibt es einen eigentümlichen Glauben an die Überlegenheit zentralstaatlicher Entscheidungen. Der Glaube wird umso fester, je unzufriedener man mit der Politik der Bundesländer ist. Man ruft nach Hilfe aus Berlin, wenn die Regierung in Stuttgart oder Erfurt nicht liefert. Die Bildungspolitik ist dafür ein wunderbares Beispiel. Ja, es gibt ausreichend Anlass, sich darüber zu ärgern, man denke nur an den Wechsel von G 9 zu G 8 und wieder zurück. Aber wer deshalb den Bildungsföderalismus abschaffen will, der gibt sich der Vermutung hin, der Bund könne das besser. Dass zentralistisch gesteuerte Bildungssysteme im internationalen Vergleich vorne liegen - dieser Beweis müsste erst noch erbracht werden. Zwar winkt der Bund nun mit Milliarden für den Digitalpakt - Geld, das bitter nötig ist und das die Länder nicht haben. Aber dass die große Koalition damit den Ländern Zuständigkeiten abkaufen und selbst in die Bildungspolitik hineinregieren will, ist ein grotesker Irrweg, der tief ins demokratische Nebelreich führt. Wer eine informierte Entscheidung an der Wahlurne treffen soll, muss wissen, wer für den Zustand an den Schulen, für Lehrermangel und Stundenausfall verantwortlich ist. Je stärker Bundes- und Länderkompetenzen aber verflochten werden, desto diffuser ist die Schuldfrage. Klare Zuständigkeiten sind im Bundesstaat kein Formalismus, sondern eine demokratische Mindestbedingung. Sicher, den Ländern neues Geld ohne Zweckbindung zuzugestehen, birgt das Risiko, dass es doch nicht in die Bildung fließt. Aber dann müssten die Landespolitiker damit rechnen, dass die Demokratie am Wahltag zurückschlägt. Bildung ist das letzte wirklich wichtige Politikfeld, über das die Länder zu entscheiden haben. Deshalb sollten sie sich trauen, beim Digitalpakt die Konfrontation mit dem Bund zu suchen. Bildung lässt sich im Land sehr viel zündender zum Wahlkampfthema machen als auf Bundesebene, wo sie sich irgendwo zwischen den Ressorts für Soziales, Wirtschaft und Verteidigung einreiht. Es läge ein echter demokratischer Mehrwert darin, die Verantwortlichkeit der Länder für Bildung klarer zu konturieren, statt sie durch einen Zuständigkeitsmix zu verwischen. Schüler, Lehrer, Eltern, Großeltern: Sie alle verfolgen wachsam, was an den Schulen geschieht. Versäumnisse der Politik können sie am Wahltag ahnden. Die Chance liegt also in einer Stärkung des Föderalismus, nicht in seiner Abschaffung. Ehrlicherweise muss man hinzufügen: Die Deutschen lieben ihre föderale Vielfalt nur, solange sie weder Brüche noch Ungleichheiten verursacht. Niemand will, dass die Kinder beim Umzug in ein anderes Schulsystem mit Aufholstress oder Langeweile gestraft werden. Genau besehen ist dies aber ein Argument für die Reform des Bildungsföderalismus. Um Gräben zwischen den Ländern zu verhindern, müssen Grundbedingungen vereinheitlicht werden - Dauer der Bildungsgänge, Standards der Abiturprüfung, solche Dinge. Dafür gibt es Staatsverträge und eine Kultusministerkonferenz. Die große Einheitsschule von Kiel bis Konstanz würde den Wettbewerb zwischen den Ländern um die besten Ideen unterbinden. Dabei ist es das, was Deutschland am meisten braucht, um international bestehen zu können: gute Ideen für die Bildung.
Deutschland braucht keine Einheitsschule von Kiel bis Konstanz, sondern einen Wettbewerb der Ideen. Die Länder sollten sich im Ringen um den Digitalpakt vom Bund keine Kompetenzen abkaufen lassen.
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https://www.sueddeutsche.de/bildung/schule-foederalismus-digitalpakt-1.4238644
Pro: Bildungsföderalismus - Traut euch, Länder!
00/12/2018
Der schulpolitische Flickenteppich ist eine Qual für Lehrer, Eltern und Schüler. Das Lamento der Ministerpräsidenten über den Digitalpakt ist ein Lamento über ihre eigenen Defizite. Es ist bezeichnend, dass über den Föderalismus nur noch dann geredet wird, wenn es ums Geld geht. Dann wachen die Länder auf, dann fällt ihnen ein, dass die Schule und die Bildung ihre Sache ist, um die sie sich kümmern wollen und sollen. Dann raunen sie mit Ehrfurcht und mit Stolz in der Stimme vom Bildungsföderalismus und von der ureigenen Sache der Länder. Sie sollten sich genieren. Die Länder haben die Bildung verkommen lassen, die deutsche Bildungslandschaft ist keine Landschaft, sondern nur noch ein einziger Verhau. Bildung und Schule sind, so steht es im Grundgesetz, Ländersache. Die Länder pochen auf ihr Recht, aber aus dieser Pocherei besteht der Großteil ihrer Tätigkeit. Für große inhaltliche Debatten reicht die Kraft nicht mehr, für die Harmonisierung der 16 Bildungspolitiken der 16 Bundesländer auch nicht. Aus der ureigenen Sache ist so ein ureigenes Chaos geworden: Tausende Lehrpläne und Lernkonzepte unterschiedlichster Art, Tausende Fußangeln, Tausende Inkompatibilitäten. Die Fußnoten sind in diesem Bildungssystem wichtiger als die Noten. Der Umzug mit schulpflichtigen Kindern von Bremen nach Stuttgart ist ein hochriskantes Abenteuer. Die Anforderungen an den Gymnasien weichen so voneinander ab, dass Jugendliche besser in Köln bleiben, wenn die Eltern beruflich nach München wechseln. Und ein Juniorprofessor wechselt lieber von Berlin nach Bologna als nach Potsdam; das ist einfacher. Der real existierende Bildungsföderalismus in Deutschland ist ein fortgesetzter Missbrauch des Föderalismus. Er ist verkommen - er ist eine Qual für Lehrer, Eltern und Schüler. Der Föderalismus sollte praktizierte Bürgernähe sein, er soll das Leben leichter, nicht schwerer machen. Im Bereich von Schule und Bildung ist er praktizierter Sadismus. Es ist bitter, dass man das als ein Anhänger des Föderalismus konstatieren muss: An diesem real existierenden Bildungsföderalismus ist nicht mehr viel verteidigenswert. Die Länder wollen nun den Digitalpakt mit dem Bund scheitern lassen, weil sie die Gefahr sehen, dass der Bund mit seinem Geld zu viel in die Bildungspolitik hineinredet. Dabei wäre es schon einmal gut, wenn überhaupt miteinander geredet und nicht nebeneinander herumgewurstelt würde. Also: Wie soll denn eine Digitalstrategie an den Schulen ausschauen? Sie kann ja nicht schon darin bestehen, dass man in einen einzigen Satz möglichst oft das Wort "digital" hineinpackt. Und es ist auch noch keine Strategie, ein paar Hunderttausend Tablets mit Bundes- und Landesmitteln zu kaufen und dann in gewaltigen Paketen in den Lehrerzimmern abzuwerfen. Es geht im Kern um die ganz große Frage: Wie lernen Kinder künftig? Und welche Rolle spielen in diesem Lernen Kunst, Literatur und Musik? Darüber sollten die Ministerpräsidenten streiten, darüber sollte die Kultusministerkonferenz verhandeln. Diese KMK ist ein Bürokratiemoloch; sie sollte aber ein kluges Steuerungselement des Föderalismus sein. Von beruflicher Mobilität ist unendlich viel die Rede. Der Bildungsföderalismus steht ihr im Weg. Der reale Bildungsföderalismus ist ein törichter und enger Föderalismus. In seiner jetzigen Form ist er antiquiert. Das Lamento der Bildungsföderalisten über den Digitalpakt ist ein Lamento über ihre eigenen Defizite.
Der schulpolitische Flickenteppich ist eine Qual für Lehrer, Eltern und Schüler. Das Lamento der Ministerpräsidenten über den Digitalpakt ist ein Lamento über ihre eigenen Defizite.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/schule-foederalismus-digitalpakt-1.4238646
Contra: Bildungsföderalismus - Schämt euch, Länder!
00/12/2018
"Heute ist ein guter Tag für Schüler, Eltern und Lehrer in Deutschland", verkündete Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) am vorvergangenen Freitag. Endlich sei der Weg frei für den Digitalpakt, ein Fünf-Milliarden-Programm für die digitale Aufrüstung der Schulen. Union, SPD, Grüne und FDP hatten sich zuvor darauf verständigt, dem Bund durch eine Grundgesetzänderung mehr Spielraum bei der Finanzierung von Bildungsprojekten zu gewähren. Mittlerweile ist klar: Dieser Kompromiss hat keineswegs den Weg frei gemacht. Er ist Anlass für massiven Widerstand auf Seiten der Länder - und der Grund, warum der Digitalpakt endgültig zum politischen Desaster zu werden droht. Die wichtigsten Fragen und Antworten. Was sieht die Verfassungsänderung vor? Das Grundgesetz setzt dem Bund bislang enge Grenzen, wenn er sich an den Kosten für Bildung beteiligen will. Artikel 104c erlaubt Finanzhilfen aus Berlin bislang nur "für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen der finanzschwachen Gemeinden". Union und SPD hatten sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, das Wort "finanzschwache" zu streichen und das sogenannte Kooperationsverbot so aufzuweichen. Der nun mit Grünen und FDP erzielte Kompromiss geht darüber deutlich hinaus. Er gäbe dem Bund erstens die Möglichkeit, die Länder auch "zur Sicherstellung der Qualität und der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens" finanziell zu unterstützen sowie Hilfe für "damit verbundene besondere unmittelbare Kosten" zu gewähren. Zweitens soll ein "Zusätzlichkeitskriterium" sicherstellen, dass die Länder die Finanzhilfen des Bundes in "mindestens gleicher Höhe" ergänzen: Für jeden Euro aus Berlin steuern auch die Länder einen Euro bei. Diese Bestimmung soll von 2020 an gelten, also noch nicht für den Digitalpakt. Am Donnerstag stimmte der Bundestag der Grundgesetzänderung zu. Wie kam es dazu? Um das Grundgesetz zu ändern, ist eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat nötig. Im Parlament waren Grüne und FDP bereit, Union und SPD zu unterstützen, allerdings stellten sie Bedingungen: Der Bund solle nicht nur in die Bildungsinfrastruktur investieren dürfen, in Beton und Steine, sondern auch in Köpfe: in Lehrer und deren Ausbildung. Die Einigung, wenngleich schwammig formuliert, sahen beide Parteien als Erfolg. Dass die Länder Bundesmittel künftig aufwiegen sollen, geht dagegen dem Vernehmen nach auf eine Initiative der Union zurück, der sich die SPD anschloss. Diese Regelung ist es, die nun den meisten Ärger verursacht - und zwar besonders bei Ministerpräsidenten, die selbst der Union angehören.
Wer darf künftig für Bildung zahlen? Darüber streiten Bund und Länder. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Digitalpakt.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/digitalpakt-kooperationsverbot-fragen-antworten-1.4237896
Digitalpakt - Warum streiten Bund und Länder?
00/12/2018
Die berufliche Bildung sei so viel wert wie die akademische, betont die Politik. Doch zunehmend fehlen Lehrkräfte - die wahre Lehrernot werde klein gerechnet, kritisieren Experten. Eigentlich kann das nicht so kompliziert sein. In der Werkstatt hantieren sie auch ständig mit Autobatterien. Doch als Christian Göbel einen Schaltkreis an die Tafel zeichnet, sitzen die elf Jungs reglos da. Verziehen keine Miene, als ihr Lehrer erklärt, dass sie gleich mit dem Multimeter die Spannung messen. Und den Innenwiderstand. Was war noch mal der Innenwiderstand? Zehn Jungs mit Kapuzenpulli, einer mit Basecap, kein Mädchen: die Klasse 117.14B des Oberstufenzentrums Kraftfahrzeugtechnik (OSZ KFZ) in Berlin-Charlottenburg . Also die eine Hälfte, denn heute ist Laborunterricht. Die elf wollen KFZ-Mechatroniker werden. Das heißt: Zwei Wochen arbeiten sie im Betrieb, lernen Reifen wechseln, Diagnosegeräte bedienen, Ersatzteile einbauen. Es folgt eine Woche Berufsschule, dann notieren sie Formeln, lösen Arbeitsblätter. Sie melden sich, damit der Lehrer sie dran nimmt. Oder ducken sich, damit genau das nicht passiert. Es ist ein ständiges Wandern zwischen den Welten auf dem Weg in den Beruf, und dieses Wandern hat einen Namen, der - so behaupten zumindest die Politiker - international einen hervorragenden Klang hat: duale Ausbildung. Eine ziemlich einzigartige Verknüpfung von Theorie und Praxis, die am Ende hoch qualifizierte Facharbeiter hervorbringen soll. Kaum irgendwo ist die Jugendarbeitslosigkeit so niedrig wie in Deutschland. Das ist die eine Hälfte der Geschichte. Die andere fand sich zuletzt häufiger in den Nachrichten. Die Berufsausbildung hat ein Imageproblem. Mehr als 50 Prozent eines Altersjahrgangs drängt an die Hochschulen, Firmen finden keine Azubis mehr. "Nach dem Pisa-Schock haben wir den Jugendlichen 20 Jahre lang erzählt, dass der wahre Mensch mit dem Abitur beginnt", sagt Petra Jendrich, die den Ausschuss für Berufliche Bildung der Kultusministerkonferenz leitet. Das sei in Unkenntnis der Kompetenzen, die eine duale Ausbildung vermittle, geschehen. Inzwischen habe ein Umdenken eingesetzt, lobt Jendrich, doch das dauere. Gleichzeitig bekommen viele Jugendlichen keinen Ausbildungsplatz. Mangels Qualifikation, oder weil die Betriebe zu wählerisch sind. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) nutzt jede Gelegenheit, die "Gleichwertigkeit" von akademischer und beruflicher Bildung zu betonen. Zuletzt plädierte sie dafür, es solle bei den Ausbildungsabschlüssen einen "Berufsbachelor" und "Berufsmaster" geben. Die Hochschulen protestieren: Identische Bezeichnungen für unterschiedliche Kompetenzen führten zu Intransparenz. Auch in den Berufsschulen regt sich Widerstand. "Mehr Anerkennung schaffe ich nicht durch Titel, sondern indem Berufsschulen die politische Unterstützung bekommen, die sie brauchen", sagt Ronald Rahmig. Er ist Vorsitzender von "Berufliche Bildung Berlin", einer Vereinigung von Leitern berufsbildender Schulen. Aber im Hauptberuf leitet Rahmig das OSZ KFZ, an dem Christian Göbel unterrichtet. Studien zeigen, dass das Imageproblem der Berufsschulen auch den Lehrermangel verschärft: Bis 2030 könnten 26 500 voll ausgebildete Pädagogen fehlen (siehe Kasten). Schon heute sind in Berlin 20 Prozent der neuen Berufsschullehrer Quereinsteiger ohne reguläres Lehramtsstudium. Noch höher liegt ihr Anteil an Schulen, die auf technische Berufe vorbereiten.
Die berufliche Bildung sei so viel wert wie die akademische, betont die Politik. Doch zunehmend fehlen Lehrkräfte - die wahre Lehrernot werde klein gerechnet, kritisieren Experten.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/berufsschule-lehrermangel-schule-1.4236486
Quereinsteiger sollen Berufsschulen retten
00/12/2018
Die bereits vom Bundestag beschlossene Grundgesetzänderung für die Digitalisierung der Schulen droht im Bundesrat zu scheitern. Die Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen machten in einem gemeinsamen Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung ihre Ablehnung deutlich. Aus ihrer Sicht greift die Änderung zu sehr in die Länderhoheit ein. "Die Länder wollen einen Digitalpakt ermöglichen. Wir möchten allerdings einen besseren Weg zu seiner Umsetzung finden", schreiben die Länderchefs Winfried Kretschmann (Grüne), Volker Bouffier, Armin Laschet, Michael Kretschmer (alle CDU) und Markus Söder (CSU). "Eine Änderung des Grundgesetzes brauchen wir dafür eigentlich nicht." Die fünf Ministerpräsidenten plädieren für eine Lösung des Konflikts im Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag. "Diese Chance sollten wir nutzen." Die Grundgesetzänderung soll die Mitfinanzierung der Schulen durch den Bund ermöglichen. Damit könnte der Bund ab 2019 fünf Milliarden Euro in die Digitaltechnik an Schulen fließen lassen. Ohne die Zustimmung der fünf Länder im Bundesrat wird der Plan jedoch an der nötigen Zwei-Drittel-Mehrheit scheitern. Die Länderchefs sehen in dem Beitrag "zentrale Grundsätze des deutschen Föderalismus" gefährdet. Die Gesetzänderung gehe in mehreren Punkten über das hinaus, "was zur Umsetzung eines Digitalpakts erforderlich wäre".
Fünf Bundesländer haben angekündigt, eine Änderung des Grundgesetzes zu blockieren. Artikel 104 soll dem Bund erlauben, die Schulen mitzufinanzieren.
bildung
https://www.sueddeutsche.de/bildung/grundgesetz-showdown-um-digitalpakt-1.4236488
Showdown um Digitalpakt
00/12/2018
Mittlerweile ist nicht nur Gras über die Sache gewachsen, sondern auch große Bäume und viele dichte Büsche, die sich an diesem Herbsttag wehmütig im Wind biegen. Still ist es hier, erstaunlich still, denn an Plätzen wie diesem war doch immer das geschäftige, das einst pulsierende Ruhrgebiet, die Herzkammer der deutschen Schwerindustrie. Aber auf dem ehemaligen Gelände der Zeche Eintracht Tiefbau kündet nichts mehr davon, dass hier mal mehr als 2000 Menschen gearbeitet haben, etliche davon unter Tage, wie es fachmännisch heißt. Also unter der Fläche, auf die das Tageslicht fällt. Der Kohleabbau im Ruhrgebiet, war eine Angelegenheit für lichtscheue Gestalten, die mit weißer Bergmannsjacke, aber auch weißen Gesichtern und weißen Händen in die Grube fuhren und von oben bis unten am ganzen Köper schwarz eingestäubt wieder nach oben kamen. Nur der graue Kokskohlenturm und einer paar rote Ziegelmauern erinnern noch an die Zeche Eintracht Tiefbau, wo der Großvater des Autors in den Berg eingefahren ist. Die Zeche lag in Freisenbruch, einem Stadtteil am Rand von Essen, einen Kilometer weiter beginnt Bochum. Die Szene auf dem menschenleeren Gelände ist eine Erinnerung, so wie das ganze Zechenruhrgebiet längst zu einer Erinnerung geworden ist, eine Museumsangelegenheit fürs Weltkulturerbe - so wie die nahe Zeche Zollverein samt Kokerei. Ausstellungsorte, Eventschauplätze, Hallen mit Bildern an den Wänden. Und oft mit einer bunten Schautafel wie in Freisenbruch. Die Zeche Eintracht Tiefbau steht auch dafür, dass das Kommen und Gehen von Bergwerken in früheren Zeiten eine alltägliche Angelegenheit gewesen ist. Und dass, wenn eine Zeche schloss, weil die Flöze erschöpft waren und die nutzlos gewordenen Schächte verfüllt wurden, das nicht das Ende des Bergbaus war, sondern durchaus auch irgendwo anders der Anfang einer neuen Förderanlage. Der Pott und die industriell geförderte Steinkohle, das war für 200 Jahre nicht zu trennen. Irgendwie ging es immer weiter, bis eben zum 21. Dezember 2018, dem Tag, an dem mit der Zeche Prosper Haniel in Bottrop das letzte Steinkohlebergwerk des Ruhrgebiets und Deutschlands geschlossen wurde. In einer großen Feierstunde, die eigentlich eine Trauerfeier war, hielt Frank-Walter Steinmeier die Abschiedsrede. Auch der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker war Zeuge, als Steinermeier den letzten Brocken aus der Zeche überreicht bekam. Ein Sieben-Kilo-Stück, das im Berliner Präsidialbüro einen Ehrenplatz bekommen soll. Das war der offizielle, durchaus bewegende Teil des Abschieds. Die letzten Bergleute waren bereits am 14. September zum letzten Mal in den 1200 Meter tiefen Schacht 10 hinabgefahren. Wie es wohl in 100 Jahren in Bottrop aussehen wird? Bestimmt nicht wie bei der kleineren Eintracht Tiefbau. Der Autor wollte an diesem vergessenen Ort seinem unbekannten Großvater näherkommen, den er nur aus Erzählungen kannte. Der Großvater hatte hier als junger Mann gearbeitet, bis die Zeche 1925 geschlossen wurde. Das Grubenfeld wurde von einer anderen Zeche übernommen. Die oberirdischen Schachtanlagen verschwanden, sie trugen Namen wie Heintzmann oder Justus. Von dem Großvater gibt es nur ein einziges Familienfoto, denn Fotos waren teuer. Es zeigt einen schmalen blassen Mann, mit 29 musste er in Frührente. Zu schmal und blass war er für die Strapazen der Arbeit in der heißen, feuchten, stickigen Luft Hunderte Meter unter der Erde. Mit 32 starb er an der Staublunge. Er war weg vom Fenster, wie man im Ruhrgebiet sagte, wenn wieder einer seinen Platz mit Blick auf die Straße der Zechensiedlung mit dem Aussichtspunkt oben im Himmel vertauscht hatte. Die beispiellose Erfolgsgeschichte des Steinkohlebergbaus im Ruhrgebiet hatte ihren hohen Preis, den die Steiger und Hauer mit ihrer Gesundheit, die Familien mit verrußten Häuserfronten, schmutzigen Fensterscheiben und dem allgegenwärtigen Gestank der Kokereien und Hochöfen bezahlen mussten. Daran mag in diesen Tagen niemand mehr denken, wenn nun die ultramoderne Prosper Haniel mit ihren unterirdischen Hallen und mehr als 100 Kilometer langen Gängen schließt. Schließlich ist die Luft des Ruhrgebiets und die Wäsche auf den Leinen zwischen den Bergmannsiedlungen längst sauberer geworden. Die Eckkneipen für das schnelle Pils nach der Schicht sind fast alle verschwunden. Schon 2005 gab es in ganz Deutschland nur noch neun Zechen. 1957 waren es 153. Die Geschichte des Kohlebergbaus mit seinen ikonografischen Bildern von Fördertürmen und qualmenden Kokereien besteht auch aus unzähligen Geschichten von schuftenden Kumpeln, und sie handelt immer auch von dem Stolz und dem Humor, mit dem sie ihre Arbeit versahen und den Strapazen, denen ihr Körper und ihre Seele ausgesetzt waren. Wie der Pott in den glorreichen Fünfzigern ausgesehen hat, damals, als die höchsten Produktionszahlen erreicht wurden und mehr als 384 000 Menschen im Ruhrgebiet (und im Saarland) unter Tage arbeiteten, das hat kaum jemand so eindrucksvoll wie schonungslos dokumentiert wie Karl Heinz Hargesheimer, der sich Chargesheimer nannte. Detailansicht öffnen Kumpels nach der Schicht, vor 1958. (Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln) Gerade als der wirtschaftliche Erfolg der jungen Bundesrepublik sich nirgendwo so symbolisch manifestierte wie in seiner produktivsten Industrieregion, als die Hochöfen der Stahlwerke glühten und die Kokereien riesige Rauchsäulen in den Himmel schickten, die allzu gern als Zeichen des Aufstiegs gelesen wurden, fotografierte der Kölner den Pott in körnigen, düsteren Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Er zeigte die Kehrseite des kargen Schuftens und der rasch hochgezogenen Wohnsiedlungen. Die wie schwarze Gebirge aufragenden Halden kündeten von einer gemarterten und wenig menschenfreundlichen Arbeitslandschaft, in welcher der Mensch mehr schlecht als recht seinen Platz behaupten musste. Sicher, der Pott konnte mancherorts mindestens so grün wie das Sauerland sein und so idyllisch wie am Baldeneysee, so windsorhaft protzig wie die Villa Hügel der Krupp-Dynastie, aber er war eben auch schwarz, staubig und trist, die Häuser eingekesselt von Fertigungshallen. Chargesheimers legendäres Buch "Im Ruhrgebiet", das mit einem langen sozialkritischen Text von Heinrich Böll versehen ist, löste 1958 beim Erscheinen im Pott vielerorts Empörung und ungezügelte Wut aus. Der Essener Bürgermeister Wilhelm Nieswandt ließ in einem offenen Brief seiner Entrüstung freien Lauf: "Die Ruhrgebietsstädte sind es gründlich leid, von Außenseitern in einer Weise dargestellt zu werden, die nicht einmal mit der Realität der Gründerjahre übereinstimmt, geschweige denn mit der Gegenwart." Die Wirtschaft boomte, die Menschen hatten Arbeit, mochte sie auch schwer sein und der Gesundheit abträglich. Und dann schreibt im Text zu Chargesheimers Bildern einfach ein gewisser Heinrich Böll, gut, ein Katholik, aber ausgerechnet aus dem unseriösen Köln: "Das Wort Fortschritt bleibt bittere Ironie, solange dem Menschen die Elemente: Erde, Luft und Wasser entzogen oder vergiftet werden." Doch es herrschte Vollbeschäftigung. Wer einmal nachts am Fenster eines Mietshauses in Dortmund-Hörde gestanden hatte und auf die glühenden Stahlströme der mitten durch den Stadtteil führenden Walzstraßen hinabschaute, der brachte es kaum fertig, sich gegenüber dieser dunklen Faszination zu verschließen: Das war die Magie, die vom ruhelosen, wie eine einzige große Maschine rumorendem Ruhrpott ausging. Böll aber schrieb: "Unter Tage hat die Zukunft keine Chance." Und: "Zwischen Dortmund und Duisburg ist Weiß nur ein Traum." Sein Text hatte gleichwohl eine zweite Ebene, nämlich die Hochachtung für die Bewohner dieser Gegend: "Aber es riecht vor allem nach Menschen, nach Jugend, Barbarei und Unverdorbenheit." Nirgendwo seien die Menschen "unpathetischer, einfacher und herzlicher". Bölls Lobpreisung und Chargersheimers Fotos adelten den rauen Pott - wegen des Menschenschlags, den er hervorgebracht hatte. Es kommt einem bitteren, kohleschwarz schimmernden Witz der Geschichte gleich, dass zeitgleich mit dem Erscheinen des Buchs eine das ganze Ruhrgebiet erfassende Krankheit namens Zechensterben ausbrach. Erdöl und Gas waren deutlich günstiger; der ohne die Steinkohle nicht mögliche, gewaltige industrielle Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg konnte ohne die teure Steinkohle weiter befeuert werden. Die deutschen Bergwerke hatten auf dem Weltmarkt ohnehin immer einen schweren Stand gehabt, Weltmarktführer in der Produktion waren andere Länder, wo die Steinkohlefelder leichter zugänglich sind. Wo die Schächte nicht so tief sein mussten und die Sicherheits- und Sozialstandards nicht so hoch. Ende der 50er-Jahre führten die ersten Schließungen zu einer Welle des Protests. 60 000 Kumpel demonstrierten 1959 in Bonn gegen die drohende Schließung weiterer Zechen. Der CDU-Politiker Rainer Barzel scheute keine pathetischen Vergleiche, als er feststellte: "Wenn es an der Ruhr brennt, gibt es im Rhein bei Bonn nicht genug Wasser, das Feuer zu löschen." Was folgte, ist hinlänglich bekannt: Die Politik wälzte staatliche Subventionen in Höhe von geschätzt insgesamt 200 Milliarden Euro in den nicht konkurrenzfähigen Steinkohlebergbau, um das Schlimmste zu verhindern, sprich so viele Arbeitsplätze wie möglich und um die hoch entwickelte deutsche Bergwerkstechnik zu erhalten. So wertvoll wie die Technik, die sie hervorbrachte, war über Jahrhunderte auch die Steinkohle des Ruhrgebiets gewesen, der hohe Brennwert der Fettkohle oder der noch hochwertigeren Anthrazitkohle, die bis zum 17. August diesen Jahres in Ibbenbüren abgebaut worden ist, hatte sie so wertvoll für die Stahlindustrie gemacht. Das "Schwarze Gold" bestand zu 70 Prozent aus Kohlenstoff (Anthrazit zu mehr als 90 Prozent). Mit dieser dichten, brennbaren Masse konnten die riesigen Feuer entfacht werden, die nötig waren, um Eisenerz zum Schmelzen zu bringen und die Eisenströme der Walzwerke zum Fließen. Die im Tagebau vergleichsweise kinderleicht, eben wie mit einer großen Schaufel abzubauende Braunkohle, die an der Oberfläche weggebaggert werden kann (allerdings mit unbändiger Zerstörungskraft, was den natürlichen Lebensraum betrifft), erreicht nur etwas mehr als die Hälfte der Brennkraft von Steinkohlekoks. Es gab übrigens einmal eine Zeit, da war die Steinkohle genauso leicht zu haben wie die Braunkohle. So hatte schließlich alles angefangen. Schon in der Antike hatten die Menschen Kohle genutzt, um kräftige Feuer zu entfachen, die man für Schmiedearbeiten brauchte. Sie hatten nur nicht danach graben müssen, schon gar nicht in jenen unbegreiflichen Tiefen, in welche die Schächte des Ruhrgebiets am Ende getrieben worden sind. Immer im Wissen um die Gefahren, die von eindringendem Wasser ausgehen können und verpuffenden Gasen, die sich beim Abbau bilden. Detailansicht öffnen Eine Welt, die niemals mehr wiederkommt: Bergbau-Stadt, 1958 für das Buch „Im Ruhrgebiet“ von Karl-Heinz Chargesheimer fotografiert. Wohl um den allgemeingültigen Charakter der Fotos zu betonen, sind die Legenden der Bilder denkbar allgemein gehalten, in den allermeisten Fällen fehlt jede Andeutung, die auf den Ort schließen lassen könnte. Hier ein Fußballplatz. (Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln) Auch im späteren Ruhrgebiet lag die Steinkohle anfangs vereinzelt gewissermaßen auf der Straße oder besser gesagt auf dem Feld oder im Waldesgrund, auf jeden Fall: an der Erdoberfläche. Seit dem Ende des 13. Jahrhunderts ist dort der Abbau schriftlich belegt. Abbau ist allerdings ein großes Wort, gemessen an den Fördertechniken, die am Ende des Mittelalters zum Einsatz kamen. Zu jener Zeit ging der Bauer mit einem Behälter zum Flöz und sammelte so viel Brennmaterial er eben gerade brauchte. Vorzugsweise im Winter taten die Bauern das, weil es da sowieso nicht viel zu arbeiten gab, und da konnten sie ja ebenso gut dieses schwarze Zeug aus der Erde kratzen, das fürs Feuer nützlich war. Mehr lässiger Zeitvertreib als Gewerbe war damals der Bergbau. Bis das Abholzen der Bäume dazu führte, dass der am leichtesten verfügbare Brennstoff knapp zu werden begann. Und die Steinkohle interessant wurde. Die Crux bestand aber darin, dass die offen zutage liegenden Felder bald abgetragen waren. Und auch der Abbau in Gräben und Löchern, die Pingen genannt wurden, keine befriedigenden Ergebnisse mehr hervorbrachte. Vom 16. Jahrhundert an musste die Suche nach der Kohle aufwendiger betrieben werden. Die Flöze, die ein paar Meter unter der Erdoberfläche verliefen, erreichten die Männer noch in Stollen, die sie in Flusstälern anlegten. Noch war das Steinkohleschürfen eine Arbeit, die nur in der Waagerechten ausgeführt werden konnte. Als die Wiege des Ruhrbergbaus gilt das Muttental bei Witten, wo seit 1578 Kohle in Stollen abgebaut wurde. Die große Zeit begann im 19. Jahrhunderts, als die Industrielle Revolution Deutschland erreichte. Die Hochöfen für die Eisenverarbeitung wurden immer leistungsfähiger, und sie brauchten gewaltige Mengen an Koks. Die hochwertige Steinkohle des Ruhrgebiets war der ideale Ausgangsstoff für die Veredelung des Brennstoffs in Kokereien, großen Öfen, in denen der Kohle bei mehr als 1000 Grad Wasser, Teer und Schwefel entzogen wurden. Das Ergebnis waren kleine Klumpen, die weniger Rauch und Gas abgaben. Genau das Richtige für Dampfmaschinen und Hochöfen. Der Stoff, den auch die von Friedrich Krupp 1811 gegründete Gussstahlfabrik für ihr Schmelzhaus brauchte, aber lag hier tief und immer noch tiefer in der Erde verborgen. 1832 wurde der erste Tiefbauschacht angelegt. Die noch immer weitgehend landwirtschaftlich geprägte Gegend wurde durch die Allianz von Schwerindustrie und Zechen zum "Pott". Hansestädte waren Dortmund, Bochum, Essen und Duisburg vorher gewesen, verbunden durch den Westfälischen Hellweg. Der wurde zur Bundesstraße 1, der Lebensader eines der größten Industriestandorte der Welt. Bölls wehmütige Anklage der Lebensbedingungen dort beginnt mit der Rückkehr eines jungen Paares auf einer Straße unweit des Hellwegs. Sie waren mit ihrem kleinen Wagen zum Zelten an der Côte d'Azur. Die beiden sind noch regelrecht benommen von der luziden Schönheit der vergangenen Wochen. Auf einer Brücke, die über die Ruhr führt, möchte die Frau, "etwa 30, modisch gekleidet, schlank, blond", kurz aussteigen. Und was tut sie? Sie schnuppert. Als sie zum Auto zurückkommt, fragt der Mann, was los war. Sie sagt: "Nichts war los. Ich wollte nur sehen, wollte riechen, ob wir wirklich zu Hause sind." "Warum gerade hier?" fragt er. "Weil es hier anfängt", sagt die junge Frau. "Hier fängt der Lichtwechsel an, hier schmeckt die Luft bitter, werden die Häuser dunkel, und hier sprechen die Leute, wie ich spreche." Und dann eröffnet sie ihm, dass sie die Berge, die Seen, diese sauberen Dörfchen keine zwei Tage mehr ausgehalten hätte. Dass sie sich aufs Kintopp an der Ecke der Bochumer Straße freut, auf Bierchen und Schnaps, auf den Fußballplatz, und auf den Schrebergarten vom Großvater hinter der Kokerei. Auf "das ganze Geklatsche und Geklöne". Die Sonnenbrille für Südfrankreich hatte sie schon vorher mit "nüchterner Endgültigkeit" weggeräumt. Harald Hordych Der Bildband Sechs Monate lang hatten der Fotograf Chargesheimer (bürgerlicher Name: Karl Heinz Hargesheimer) und der Schriftsteller Heinrich Böll die Region für den 1958 erschienenen Fotoband "Im Ruhrgebiet" bereist. Das Ruhrmuseum Essen widmete 2014 den 157 Fotos und bisher unveröffentlichtem Material eine Ausstellung. Der 1972 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnete Böll (1917 - 1985) hatte zu dieser Zeit bereits "Haus ohne Hüter" und "Das Brot der frühen Jahre" veröffentlicht. Aber der Erfolg von "Billard um halb zehn" und "Ansichten eines Clowns" stand noch aus. Chargesheimer (1924 - 1971) war ein Chronist deutschen Alltagslebens. Bekannt wurde er durch das legendäre Porträt von Bundeskanzler Konrad Adenauer, das der Spiegel kurz vor der Bundestagswahl 1957 als Titel zeigte. "Im Ruhrgebiet" (Kiepenheuer & Witsch) ist nur antiquarisch erhältlich. Wie aus einer anderen Zeit: Bilder aus den Bergbau-Städten, 1958 für das Buch "Im Ruhrgebiet" von Karl Heinz Chargesheimer fotografiert. Wohl um den allgemeingültigen Charakter der Fotos zu betonen, sind im Buch die Informationen zu den Bildern ganz kurz und lakonisch. In den meisten Fällen fehlt jede Andeutung, die auf den Ort schließen lassen könnte. Links: "Fußballplatz", rechts oben "Kumpels nach der Schicht", rechts unten: "Nachmittag". Fotos: Rheinisches Bildarchiv Köln
Kurz vor Weihnachten schließt das letzte deutsche Steinkohle-Bergwerk. Mit ihm verschwindet auch die Welt der Kumpel aus dem Ruhrgebiet.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/steinkohle-in-grauer-vorzeit-1.4270207
In grauer Vorzeit
00/12/2018
Ein Champagner muss seinen individuellen Geschmack haben: So sehen das zumindest die Winzer der neuen Generation, die ihre Schaumweine selbst keltern und nicht an die großen Marken abliefern. Es ist nur eine winzige Gasse, die neben dem Eingang zu Champagne Leclerc Briant den Hang hinaufführt. Doch wer ihr folgt, auch dann noch, wenn sie zu einem schmalen Feldweg zwischen grünen Hecken wird, der entdeckt einen Schatz: Einen kleinen Weinberg, wo Vögel zwitschern und die Betriebsamkeit des Champagnerstädtchens Épernay gleich vergessen ist. Im Sommer wachsen hier zwischen den Rebstöcken Klee und Rauke, Löwenzahn und Ringelblume, Schmetterlinge flattern umher. Auf diese kaum 0,6 Hektar ist Hervé Jestin, Kellermeister von Leclerc Briant, so stolz wie auf keine andere seiner Rebflächen. "In diesem Weinberg ist Leben", sagt er zufrieden. "La Croisette", so der Name des kleinen Paradieses, ist für ihn das, was für Harry Potter der Bahnsteig 9 3/4 in King's Cross Station ist: das Tor zu einer anderen Welt, der Welt der biologisch-dynamischen Landwirtschaft. "Der Boden von La Croisette hat noch nie Chemie erlebt", sagt Jestin, "und das ist in der Champagne wie in jeder anderen Weinbauregion weltweit heute eine große Seltenheit." Schon in den Sechzigerjahren, als die Segnungen der chemischen Industrie in den Weinbergen rund um Épernay Einzug hielten, entschied sich die Familie Leclerc so weiterzumachen wie ihre Vorväter und setzte auf biologischen Anbau, seit 1990 sogar auf biodynamischen. Damals war das exotisch, heute gilt das kleine, feine Champagnerhaus als Vorreiter einer Bewegung, der sich immer mehr Winzer in der Region anschließen. Die Champagne, jenes grüne, sanft gewellte Hügelland südlich von Reims, ist in den vergangenen Jahren gründlich in Bewegung geraten. Engagiert und persönlich geführte Betriebe wie Leclerc Briant setzen den Markenprodukten der großen Häuser ein neues Weinprofil entgegen: Champagner mit Persönlichkeit wie der facettenreiche La Croisette, von dem es nur 3000 Flaschen pro Jahr gibt. Immer mehr Weinbauern entschieden sich in den vergangenen Jahren, ihre wertvollen Trauben nicht mehr an die großen Häuser wie etwa Moët & Chandon (60 Millionen Flaschen im Jahr) abzugeben, sondern eigenen Wein auszubauen. "Champagne de Vigneron", Winzerchampagner, liegt im Trend. Von den 15 000 Weinbauern in der Region setzt inzwischen ein Drittel auf das Wagnis der eigenen Produktion, investiert in Kellertechnik und vertraut auf die Stärken einzelner Lagen. Rund um das Weinbaustädtchen Épernay, wo seit Jahrhunderten jeder nur mögliche Quadratmeter für die Reben genutzt wird, tragen die Dörfer Namen, die Champagnerfreunden in den Ohren klingen, weil sie wertvolle Grand Cru-Lagen besitzen: Ambonnay und Avize, Bouzy und Cramant, Mesnil-sur-Oger und Verzy. Heute gilt: Einige der besten Tropfen finden sich nicht in schmucken Châteaux hinter schmiedeeisernen Toren, sondern oft an den unscheinbarsten Adressen. Das Schlagwort vom "Garagenwinzer" fällt einem ein, wenn man das Auto im 1000-Seelen-Weindorf Verzenay vor einem schlichten Wohnhaus parkt. Hier produziert David Pehu auf sechs Hektar, fast ausschließlich prestigeträchtige Grand-Cru-Lagen, einen Champagner, der Stefan Weiß, Chefeinkäufer im Münchner Feinkosthaus Dallmayr, bei einer Verkostung so faszinierte, dass er sich aus dem Stand die exklusive Vertretung für Deutschland sicherte. Pehu, ein bodenständiger Mann in Jeans und kariertem Hemd, ist kein Mann des Marketings, er hat nicht mal eine eigene Website. "Meine Weinberge sollen für sich sprechen", sagt er. Deshalb baut er jede Parzelle im Keller einzeln aus, um ihre Charakteristik bestmöglich zum Ausdruck zu bringen. Für den Aufbruchsgeist in der Region stehen nicht nur hemdsärmelige Winzer, dafür steht auch ein neues Hotel, das im Sommer an einem geschichtsträchtigen Ort eröffnet hat: das "Royal Champagne Hotel & Spa". Schon Napoleon soll gerne auf dem Hügel oberhalb von Épernay übernachtet haben, wo sich damals eine Poststation befand. Mit dem jetzigen Neubau, des Ausblicks wegen wie ein Amphitheater gestaltet, zog der Geist des 21. Jahrhunderts ein, mit Spa und Gourmetrestaurant. Von der Panoramaterrasse schaut man auf das nahegelegene Dörfchen Hautvillers, einen echten Kultort der Champagne. Dem Mönch Dom Pérignon glückte die Gärung perlenden Weins - der Legende nach Der Legende nach entwickelte dort in der ehemaligen Benediktinerabtei der Mönch Dom Pérignon im 17. Jahrhundert die berühmten Bläschen: "Ich sehe Sterne", soll er ausgerufen haben, als ihm die Flaschengärung glückte und er das erste Glas des perlenden Weins probierte. An den Sonnenkönig Louis XIV. schrieb er: "Sire, ich schicke Euch hier einige Flaschen des besten Weins der Welt" - es war der Beginn des Mythos Champagner. Auch wenn man heute weiß, dass neben dem Mönch noch ein paar andere ihre Finger im Spiel hatten - ein Abstecher zur Abteikirche von Hautvillers, wo Dom Pérignons Grabstein steht, gehört zu einem Besuch.
So feierte zumindest der Erfinder des Champagners das prickelnde Getränk. Winzer besinnen sich nun auf alte Traditionen und wollen weg vom Einheitsgeschmack.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/frankreich-champagne-champagner-winzer-1.4261894
Frankreich: Eine Reise zu den Winzern in der Champagne
00/12/2018
Was macht der Tourismus mit dieser Kleinstadt, die sich als Märchen aus dem Mittelalter verkauft? Besuch in einem Ort, der von Urlaubern lebt - aber mehr sein möchte als nur Kulisse. "Wie bei Cinderella daheim." "Gleich kommt eine Fee um die Ecke." "Fabelhaft." Wenn Besucher Rothenburg ob der Tauber beschreiben, mit seinem Fachwerk und den bunten Bürgerhäusern, von einer Stadtmauer und Türmen schützend umringt, fallen vielen nur noch Märchenfloskeln ein. Die fränkische Kleinstadt im Dreieck zwischen Heilbronn, Würzburg und Nürnberg wirkt wie aus dem Mittelalter in die Moderne gezaubert. Dass dieses historische Original fast zur Hälfte nach einem Bombenangriff 1945 wieder aufgebaut werden musste, sieht und weiß fast keiner. Das soll so sein, schließlich ist der pittoreske Anblick die wichtigste Zutat, um weiter Urlauber aus Asien, den USA, Europa und auch Deutschland anzulocken. Doch wie lebt es sich in einer Stadt, die für Touristen die ideale Selfie-Kulisse ist? Gut, sagt Walter Hartl. Das muss er, er ist seit 2006 Oberbürgermeister von Rothenburg. Allerdings ist Hartl inzwischen selbst in ein Haus mitten in der Herrngasse gezogen. Von hier aus hat er das Rathaus und den Marktplatz im Blick und die Hauptroute der Urlauber, die weiter zum Burggarten wollen, vor der Tür. Doch Hartl genießt es, mit einem Schritt "im Leben" zu stehen und auf der Rückseite des Hauses seine Ruhe zu haben. Eigentlich sei das in der ganzen Altstadt so: In einigen Gassen - alle Straßen innerhalb der Stadtmauer heißen Gassen, egal wie eng oder breit sie sind - prägt ein ständiges Kommen und Gehen und Fotografieren das Bild. Detailansicht öffnen Oberbürgermeister Walter Hartl (Foto: Antonia Küpferling) "Aber ein paar Meter weiter ist man ganz allein", betont Hartl. Es ist ihm wichtig, diese unbekannte Seite zu zeigen, die auf und vor der Stadtmauer zu finden ist, aber auch in kleinen Nebenstraßen. Denn Rothenburg ist zum geflügelten Wort für Overtourism geworden, noch bevor dieser Begriff modern wurde, der Touristenmassen beschreibt, die den Einheimischen zur Last werden. Der Ort wurde als Negativbeispiel bei der Talkshow "Hart aber fair" genannt und bei einer Tagung andere Stadtherren wurden diese vor einer "Rothenburgisierung" gewarnt. Das alles ärgert Hartl: Es treffe einfach nicht zu. Früher vielleicht, vor seiner Amtszeit: Da durften Gastronomen noch keine Tische auf die Plätze stellen. Die Touristen wurden durchgeschleust und verweilten nicht, obwohl es doch so schön war. Und Rothenburger, die außerhalb der historischen Stadtmauer lebten, hatten keinen Grund, in die Altstadt zu kommen. So waren die Gassen voll, aber dennoch ohne Leben. Heute, wenn Oberbürgermeister Hartl an lauen Abenden sein geräumiges Büro im zweiten Stock des Rothenburger Rathauses verlässt, die enge Wendeltreppe hinabsteigt und vor das Tor tritt, muss er sich manchmal seinen Weg zum Marktplatz, an dessen Rändern Cafés und Restaurants ihre Gäste draußen bewirten, mit vorsichtigen Schritten bahnen: "Abends sitzen die Menschen auf den Rathaustreppen, das freut mich." Doch die Freude ist nicht ungetrübt, selbst bei Hartl nicht: Zu viele lassen ihren Müll liegen - irgendjemand wird in dem malerischen Rothenburg schon dafür bezahlt werden, hinter den Besuchern herzukehren. Die Welt ist zu Gast, jeden Tag "Was soll da ein Gast aus Japan sagen?", fragt sich der Bürgermeister. Er hat selbst gesehen, dass es in Tokio nicht nur sauber ist, sondern rein. Dagegen könnte sein durchaus aufgeräumtes Städtchen beinahe verlottert wirken. Bis der Straßenkehrer kommt. In Rothenburg sieht man die Stadt auch mit den Augen der anderen, schließlich ist die Welt zu Gast, jeden Tag. Und: Sie ist im Gegensatz zu Dubrovnik oder Barcelona noch immer willkommen. Meistens jedenfalls. 11 000 Einwohner leben in der Kleinstadt, davon 2500 in der Altstadt, die jedes Jahr Ziel von 340 000 Urlaubern ist, die über Nacht bleiben. Die etwa 1,7 Millionen Tagesgäste, die auf eigene Faust oder mit Bussen anreisen, sind da noch nicht mitgezählt. Weil von Januar bis März weniger los ist, bleiben neun Monate, in denen am Tag auf einen Altstadtbewohner drei Touristen kommen. Sie alle haben das gleiche Ziel und viele nehmen denselben Weg: gegenüber von den Busparkplätzen durch die wehrhafte Spitalbastei, die heute allen und sogar Autos offensteht, hinauf zum "Plönlein", um gleich eines der meistfotografierten Gebäude-Ensembles in Rothenburg abzuhaken, und weiter hoch die Schmiedgasse bis zum Marktplatz am Rathaus. Detailansicht öffnen Das "Plönlein" - also kleiner Platz - mit dem Siebersturm links, dem Kobolzeller Tor rechts und adrett dazwischen ein schmales Fachwerkhaus mit einem Brunnen davor (Foto: Antonia Küpferling) In kleinen Prozessionen spazieren Gruppen gemächlich den hochgereckten bunten Schildern ihrer Führer nach, womit sie als Ausflugsgruppe einer Flusskreuzfahrt erkennbar sind. Auf der Tauber selbst ist diese Schifffahrt nicht möglich, aber im nahen Würzburg wird angelegt. Die wenigen Einheimischen, die an einem Werktag in der Altstadt zwischen Spaniern, Amerikanern, Russen und Schwaben unterwegs sind, erkennt man an ihrer doppelt so schnellen Gehgeschwindigkeit. Daran, dass sie ein Ziel haben und keine Souvenirtüte in der Hand. Oder daran, dass sie ihren Hund ausführen wie Andreas Baatz. Zu Hause macht sich der sportliche Mann mit den kurzgeschorenen Haaren ein Spiel daraus, bei geöffnetem Fenster zu erraten, in welcher Sprache sich die Menschen darunter unterhalten. "Neugier ist doch normal" Das stört ihn nicht, auch wenn an der Nachtwächter-Führung schon mal 300 Leute teilnehmen. Aber Rothenburg sei ja kein Ziel von lautstarken Partytouristen. Dass Besucher neugierig in den Hof schauen, "ist doch normal, das kann ich ihnen nicht vorwerfen". Und schließlich profitierten auch Einwohner wie er davon, dass die Stadt einen guten Eindruck machen will, "das fängt schon bei den Blumen im Burggarten an". Und davon, dass Konkurrenz das Geschäft belebt: Bei dieser Restaurantdichte seien die Preise unschlagbar, der Umgang mit Gästen professionell. Baatz hat auch deshalb einen anderen Blick auf Rothenburg, weil er selbst im Tourismus arbeitet und Kanutouren anbietet. "Wenn wir da am Unstrut-Radweg in Gaststätten einkehren, merkt man: Die braten vielleicht zweimal am Tag ein Schnitzel." Diese seien dann zwar gut, aber für die Gastronomen sei der Aufwand für so wenige Gäste außerordentlich hoch. Detailansicht öffnen Andreas Baatz mit Hündin Ronja (Foto: Antonia Küpferling) So positiv wie Andreas Baatz sieht nicht jeder Rothenburg: Sein Zwischenmieter wollte nach kurzer Zeit nichts wie weg aus dieser Altstadt. Nur im Advent wird es selbst Baatz fast zu viel. Dann ist Reiterlesmarkt, der "komplette Wahnsinn". Dabei ist in Rothenburg eigentlich immer Weihnachten. Eine Frau mit dunkel gefärbten Haaren, die eine Tüte mit aufgedrucktem Christbaum trägt, stöhnt laut auf: "Ich hab jetzt genug von Weihnachten." Der gebrechliche Mann neben ihr stützt sich schwer auf seinen Rollator: "Ja, das war jetzt die volle Dosis." Die bekommt man in "Käthe Wohlfahrts Weihnachtsdorf". Vor der Tür steht ein riesiger Nussknacker, in der Herrngasse parkt ein - natürlich disneymärchenhafter - schwarz-roter Oldtimer-Bus mit bunten Geschenken auf dem Dach. Er ist nach dem Plönlein wohl das meistfotografierte Motiv in der Stadt. Detailansicht öffnen Ja, es ist Weihnachten. Immer noch. (Foto: Antonia Küpferling) Auch im Laden herrscht akuter Kitsch-Alarm, es blinken Lichterketten an Christbäumen, Stofftiere von Steiff animieren winkend zum Kauf, es gibt Glaskugeln, Krippen und hölzerne Adventskalender, die eine mittelalte Kundin aus den USA verzücken: "Adorable! If we had this when the kids were young ..." Einen Gang weiter prallt der kommerzialisierte Zauber der Weihnacht an einer Frau ab, deren Kindheitserinnerung an das Glück der Bescherung ebenfalls schon Jahrzehnte alt ist: "Den ganzen Kram hat meine Mutter gerade weggeworfen, das war viel zu viel." Offenbar eine nüchterne Ausnahme: Vor der Kasse bildet sich eine Schlange, dahinter rotieren vier Verkäuferinnen. Wer nun noch sehen möchte, wie Heiligabend früher war, geht hinauf in den ersten Stock ins Weihnachtsmuseum. Wer eher wieder zur Besinnung kommen will, lässt das Christmaswonderland hinter sich und biegt nach Norden in die Kirchgasse ein. Der wahre Schatz ist hölzern Nach wenigen Metern steht man vor der Jakobskirche mit ihren zwei unterschiedlich hohen Türmen. Im Inneren der gotischen Kirche, die evangelisch ist, aber nicht so aussieht, befindet sich ein Meisterwerk. Prunkvoll leuchtet der goldverzierte Zwölfboten-Altar an der Stirnseite der Kirche. Doch nicht seinetwegen kommen die Besucher, sondern wegen des hölzernen Heiligblutaltars auf der Empore. Der berühmte Bildschnitzer Tilman Riemenschneider hat den filigranen Flügelaltar gefertigt: ein versöhnliches Bild vom Abendmahl, in dem Judas im Mittelpunkt steht und nicht Jesus. So ganz genau weiß mancher Besucher allerdings nicht, was ihn in der Kirche erwartet: "Es wurde schon nach dem Romy-Schneider-Altar gefragt", erzählt Oliver Gußmann, der hier als Pilger- und Touristenpfarrer wirkt. Detailansicht öffnen Am Heiligblutaltar steht Judas im Zentrum - und kann herausgenommen werden. (Foto: Antonia Küpferling) Währenddessen bemüht sich ein Paar redlich, umsonst Einlass zu erhalten: "Wir zahlen Kirchensteuer, allerdings an die Katholiken ... das zählt wohl nicht?" Zumindest nicht hier, denn für den Erhalt des Gotteshauses und der kunstvollen Altäre kommt kein Steuergeld an, so dass von Erwachsenen 2,50 Euro Eintritt verlangt wird, außer zu Gottesdiensten. "Das Eintrittsgeld ist schwierig, wenn Leute nur in die Kirche wollen, um zu beten", findet Gußmann. Nur: Allein könnte die Gemeinde das Gotteshaus nicht finanzieren. Doch die halbe Stunde Orgelmusik am späten Mittwochnachmittag ist frei, dann sitzt eine internationale Zuhörerschaft auf den Bänken. "Meist ist es so, dass unter der Woche Kirchenmuseums-Besucher kommen und die Einheimischen am Sonntag zum Gottesdienst", meint Gußmann - ohne die Touristen wären die Gänge und Bänke an Wochentagen leer. Dann lieber Besucher, denen Kirchenführer die christlichen Geschichten über die Heiligen näherbringen. Tatsächlich wäre es schwierig, die Kirche offen zu halten, wenn weniger Menschen in die Jakobskirche kämen, noch weniger: Vor zehn Jahren waren es ohne Gruppen noch knapp 100 000 Besucher, nun sind es nicht mal 70 000 Menschen. Der Pfarrer arbeitet seit dem Jahr 2000 in der Stadt, damals sah er manche mit bedruckten T-Shirts herumlaufen: Ich bin kein Tourist, ich wohne hier. Heute höre er nur noch vereinzelt Stimmen, die sich über nächtlichen Lärm auf dem Marktplatz und in der Herrngasse beklagen. Detailansicht öffnen Touristen- und Pilgerpfarrer Oliver Gußmann (Foto: Antonia Küpferling) Direkt vor der Jakobskirche steht ein Modell von Rothenburg, so ist die Stadt für Blinde ertastbar und für diejenigen überschaubar, die nicht über die steile Wendeltreppe auf den Rathausturm steigen wollen. Hier sieht man, wie die kleine Stadt im Mittelalter wuchs, ein zweiter Mauerring wurde notwendig. Bezahlt haben ihn im 14. Jahrhundert vor allem die Juden der Stadt mit einer Sondersteuer, die eigentlich ein Schutzgeld war, damit sie unbehelligt in Rothenburg leben konnten. Doch ihren Frieden konnten sie nicht erkaufen, die jüdische Geschichte in Rothenburg ist immer wieder eine Geschichte der Vertreibung.
Was macht der Tourismus mit dieser Kleinstadt, die sich als Märchen aus dem Mittelalter verkauft? Besuch in einem Ort, der von Urlaubern lebt - aber mehr sein möchte als nur Kulisse.
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https://www.sueddeutsche.de/reise/jahresrueckblick-tourismus-in-rothenburg-ob-der-tauber-overtourism-1.4146087
Rothenburg ob der Tauber: Eine Stadt, die schön scheint
00/12/2018
Seefeld putzt sich heraus. Wenn die Nordischen Skiweltmeisterschaften im Februar 2019 beginnen, wird alles fertig sein: Das Skistadion, die Straßen, die Schanzen für die Skispringer stehen bereit. Die neue Skirollerstrecke, die im Sommer den Athleten zum Training dient, zählt zu den modernsten in den Alpen und ist vor wenigen Tagen dank kühler Temperaturen und einer leistungsfähigen Beschneiungsanlage in eine schöne Loipe verwandelt worden. Teams aus ganz Österreich und aus Deutschland nutzen diese weit und breit einzige Möglichkeit, endlich auf Schnee zu trainieren, während an den angrenzenden Gebäuden noch gehämmert und gebohrt wird. Der Bahnhof ist mit Zuschüssen neu gebaut worden, künftig kann man per Zug von Hamburg oder Düsseldorf direkt anreisen. "Das alles hätten wir allein nie finanzieren können. Aber ich habe jetzt trotzdem eine Baggerphobie", sagt Bürgermeister Werner Frießer. Die Sache mit den Baggern hat ihr Gutes: Seefeld hat mit der baulichen Frischzellenkur auch sein Image aufpoliert. Bei Langläufern und Freunden des Wanderns, des Fischens und Eisstockschießens hatten Seefeld und die umliegenden Gemeinden Leutasch, Reith, Scharnitz und Mösern-Buchen - die sich gemeinsam als Olympiaregion Seefeld vermarkten - ohnehin schon einen guten Ruf. Ein ausgedehntes Wegenetz steht im Sommer wie im Winter zur Verfügung. Die Höhenlage auf 1200 Metern auf einem sonnigen Plateau über dem Inntal verspricht Schneesicherheit. Und falls bis November kein Schnee kommt, greifen die Seefelder auf ihr Schneedepot aus der vergangenen Saison zurück. Damit haben sie schon am 9. November eine Loipe am schattigen Rand von Leutasch aufgeschüttet, im Stadion ist auch seit ein paar Tagen gespurt. Das ist nur der Anfang des 260 Kilometer langen Loipennetzes. Dagegen nehmen sich die Skigebiete Rosshütte und Gschwandtkopf mit ihren 20 und fünf Pistenkilometern bescheiden aus. Erweiterungspläne des Skigebiets hinüber zur Zugspitze haben die Seefelder nicht realisiert, auch aus finanziellen Gründen. Dass Seefeld keine Zukunft als alpiner Skiort haben sollte, hat Walter Frenes früh erkannt. Der 82-Jährige war von 1955 bis 1997 Tourismusdirektor. "Im Alpinen waren wir nicht so stark, und ich habe gedacht, das Langlaufen wäre etwas für uns." Den Startschuss dafür gaben die Olympischen Spiele 1964 in Innsbruck, die Nordischen Wettbewerbe fanden in Seefeld statt. Nur das Spuren der Loipen, bei Olympia vom Militär übernommen, hat nach den Spielen nicht mehr so gut geklappt, erinnert sich Frenes. "Wir haben mit einem Skidoo aus Kanada experimentiert." Erst als gute Spurgeräte auf den Markt kamen und die Langlaufanzüge schicker wurden, wurde der Sport populärer. Der Ort selbst wurde wesentlich schneller populär als das Langlaufen. Seefeld konnte sich in den 60er- und 70er-Jahren kaum retten vor Gästen. Eine Million Übernachtungen zählte man in den 60er-Jahren. Es wurde gefeiert, kleine und große Stars kamen, schon am Nachmittag konnte man Getränke nur noch flaschenweise bestellen. Ein Casino wurde gegen den Widerstand des Innsbrucker Bischofs etabliert, ein 18-Loch-Golfplatz, der zweite Österreichs, wurde angelegt. Seefeld hatte alles, was ein Monaco der Alpen brauchte. "Wir waren ein Hotspot der Unterhaltung, es gab 14 Livebands", erzählt Frenes und lächelt bei der Erinnerung an diese Zeiten. Keine Freunde machte er sich aber, als er vor den Olympischen Spielen 1976, bei denen wiederum die Nordischen Wettkämpfe in Seefeld ausgetragen wurden, die Fußgängerzone durchsetzte. Grundstücke mussten enteignet werden. Der Ärger war aber bald vergessen, mit den Weltmeisterschaften 1985 folgte das nächste Großereignis. Sieben Fünf-Sterne-Hotels gab es. Es schien, als könne Seefeld nichts aus der Erfolgsspur werfen. Ein Trugschluss. "Die Zeit ist in den 90er-Jahren an uns vorbeigaloppiert", sagt Alois Seyrling, Obmann des Tourismusverbands und Besitzer des Hotels Klosterbräu. Der 38-Jährige hat das nur als Kind erlebt. Mit 22 Jahren übernahm er das Hotel, als Seefeld nur noch ein Schatten des mondänen Orts war. Die Zahl der Übernachtungen war gesunken, viele Häuser waren zu altmodischen Schuppen verkommen, die Architektur der 70er-Jahre ist bis heute sichtbar. Auch dauerte es Jahre, bis die Loipen an die neue Skatingtechnik angepasst wurden - Seefeld hatte eine weitere Neuerung verschlafen. Das 1999 eröffnete Play Castle, das nach wie vor ungenutzt am nördlichen Ortseingang steht, erwies sich als gigantische Fehlinvestition. Die Geldgeber, viele aus der Region, versenkten 200 Millionen Schilling, etwa 14,5 Millionen Euro, in der schlossartigen Eventlocation, die nur ein Jahr lang geöffnet war. Dieses Geld fehlte für Investitionen. Es wäre wieder ein Wunder nötig gewesen, wie einst das mittelalterliche Hostienwunder von Seefeld, das um 1500 bereits so viele Pilger anlockte, dass man im Ort ein Kloster für deren Beherbergung baute. "Aber es tut sich was, wenn der Leidensdruck groß genug ist", sagt Seyrling, dessen Klosterbräu sich in den historischen Klostergebäuden befindet. "Vor zehn Jahren hat mir vieles nicht gefallen, es gab nur noch zwei Fünf-Sterne-Hotels, viele Souvenirläden und Ramsch."
Nach langem Stillstand geht es in Seefeld voran. Auch dank der Nordischen Ski-WM, die nächstes Jahr dort stattfindet.
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https://www.sueddeutsche.de/reise/seefeld-tirol-langlauf-nordische-ski-wm-1.4228090
Seefeld in Tirol - Wieder in der Spur
00/12/2018
Die Anstrengung der Reederei Aida, ein Kreuzfahrtschiff bauen zu lassen, das statt mit Schweröl oder Diesel mit Flüssiggas (LNG) betrieben wird, muss man loben. Doch der Großteil der Branche verfeuert weiterhin giftigste Billig-Treibstoffe. Tue Gutes und rede darüber! Diese Maxime wird nicht nur von Stiftungen und Vereinen, sondern mit Nachdruck auch von Konzernen verfolgt. Das ist grundsätzlich ok. Man sollte allerdings genau hinsehen. Die Anstrengung der Reederei Aida, ein riesiges Kreuzfahrtschiff bauen zu lassen, das statt mit Schweröl oder Diesel hauptsächlich mit Flüssiggas (LNG) betrieben wird, muss man zunächst einmal loben. Das Flüssiggas verursacht keine oder kaum Abgase wie etwa das giftige Schwefeloxid, Stickoxid, Ruß und Feinstaub, für deren massiven Ausstoß die Kreuzfahrtbranche zurecht an den Pranger gestellt wird. Aber ist es deshalb gleich ein "Öko-Schiff", wie manche Medien schreiben? Natürlich nicht. Ein schwimmendes Hochhaus für 6000 Passagiere kann nicht nachhaltig oder gar ökologisch verträglich sein. Zum einen, weil auch die Verbrennung von Flüssiggas nicht viel weniger CO₂ und damit das schlimmste Treibhausgas verursacht, als andere Brennstoffe. Noch dazu, wo das LNG mit großem Energieaufwand erst einmal auf minus 162 Grad heruntergekühlt werden muss, damit es sich verflüssigt und die Schiffe damit betankt werden können. Da es noch fast keine Hafentankstellen gibt, muss der große Pott begleitet werden von einem anderen großen Pott, einem Flüssiggas-Tankschiff. Man muss da unweigerlich an die Diskussion mit den Elektroautos denken: Die Produktion der Akkus verschlingt ebenfalls Unmengen von Energie, noch bevor das Auto einen Kilometer gefahren ist. Trotzdem ist es für die Menschen in den Großstädten und die Bewohner von Küsten und Hafenstädten viel besser, wenn saubere Autos, respektive Schiffe unterwegs sind. Die Deutschen lieben nun mal Kreuzfahrten, in zehn Jahren hat sich die Zahl der Passagiere verdreifacht, auf heute 2,5 Millionen jährlich. Es wäre deshalb gut, wenn mehr schadstoffarme Schiffe gebaut würden. Das ist nur teilweise der Fall: Aida hat zwei weitere LNG-Schiffe bestellt, Tui Cruises stattet seine Neubauten mit sogenannten Scrubbern und SCR-Katalysatoren aus, die Schwefel- und Stickoxid reduzieren. Hurtigruten fährt in den empfindlichen arktischen Gebieten nur mit Marinediesel und setzt auf Hybridantriebe. Doch die Branche insgesamt fährt nach wie vor großteils mit giftigem Schweröl, auch die Mehrheit der neuen Schiffe. Und nach wie vor werden kaum effiziente Katalysatoren und Partikelfilter eingesetzt. So gesehen muss man sagen: Die Anstrengungen sind gute erste Schritte, aber es muss sich noch viel mehr tun.
Die Anstrengung der Reederei Aida, ein Kreuzfahrtschiff bauen zu lassen, das statt mit Schweröl oder Diesel mit Flüssiggas (LNG) betrieben wird, muss man loben. Doch der Großteil der Branche verfeuert weiterhin giftigste Billig-Treibstoffe.
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https://www.sueddeutsche.de/reise/kommentar-ein-erster-schritt-1.4262390
Kommentar - Ein erster Schritt
00/12/2018
Die Deutschen fliegen, als gäbe es kein Morgen. Weder der bekannte, starke Beitrag, den der Flugverkehr zum CO₂-Ausstoß und damit zum Klimawandel leistet, noch die vielen Verspätungen und Flugausfälle in diesem Jahr halten die Menschen vom Fliegen ab. 136 Millionen Fluggäste zählte das Statistische Bundesamt 2004, 2018 waren es bereits 213 Millionen, also fast doppelt so viele. Und der Flugverkehr nimmt weiter zu, was auch daran liegt, dass die Tickets wegen des steuerfreien Flugbenzins und des Preiskampfes unter den Fluggesellschaften immer noch ziemlich günstig sind. Allerdings führt dies dazu, das Airlines, Flughäfen und Flugsicherung immer öfter überlastet sind.
Nach einem Jahr mit besonders vielen Verspätungen und Flugausfällen stellt sich die Frage: Wie kommen Passagiere an ihre Entschädigung? Ein Überblick.
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https://www.sueddeutsche.de/reise/passagierrechte-flug-gestrichen-und-nun-1.4262378
Fluggastrechte - Flug annulliert, und nun?
00/12/2018
Keine Lust auf volle Pisten und lange Schlangen am Lift? Es geht auch anders: Drei Orte für entspannte Ferien im Schnee. Stil und Stille in Tschlin im Engadin Pssst! Man darf das nicht zu laut sagen, dass es sich bei Tschlin um das stillste Dorf der Schweiz handelt. Sonst läutet wieder pausenlos das Telefon am Dorfplatz neben dem alten steinernen Brunnen. Georg Janett, der Wirt des Hotels Macun, kann sich gut erinnern, wie er und die anderen Bewohner des auf 1550 Meter gelegenen Unterengadiner Dorfes im Sommer vor einem Jahr bis zu 700 Mal pro Tag den Hörer des Fernsprechers abgenommen haben. "Das war verrückt. Leute aus der ganzen Welt haben angerufen", so der 63-jährige gebürtige Tschliner. Das Ganze war eine sehr erfolgreiche virale Marketingaktion von Graubünden Tourismus. Seitdem ist längst wieder Ruhe eingekehrt, und das ist gut so, findet Janett. Besonders jetzt im Winter ist das 150-Einwohner-Dorf mit seinen ehrwürdigen, mit feinen Sgraffiti verzierten Bündner Häusern ein wunderbarer Ort für sanften Tourismus. Für Skitourengeher ist es ideal. Sie können ihre Latten am Dorfrand anschnallen und zu einer Reihe von lohnenden Bergen aufsteigen: zum Eingehen auf die Fuorcla Salet, dann auf den Piz Arina oder gar auf den Muttler, eine der schönsten Skitouren im Engadin. Zurzeit liegen 60 Zentimeter Schnee. Rodler können in die Nachbarorte Strada oder Martina hinuntersausen. Und auch das Dorf selbst ist so still nicht: Es gibt eine Käserei, in der 16 Sorten vor allem von Ziegen- und Schafskäse hergestellt und verkauft werden. Am oberen Dorfrand hat sich die neue Bierbrauerei Girun in einer alten Schreinerei einquartiert, und einmal im Monat gibt es in einem dafür adaptierten Stall eine Kinovorführung. Wer in Georg Janetts gemütlicher Pension übernachtet, deren Preise das Vorurteil von der teuren Schweiz widerlegen, bekommt beste Bündner Küche vorgesetzt, mit Wild und Lamm von hier. Wenn der Wirt Zeit hat, führt er Gäste in das Haus des Künstlers Not Vital, wo es eine interessante Mischung aus altem Bauernhaus und moderner Kunst zu sehen gibt. (www.buntschlin.ch) Hans Gasser
Keine Lust auf volle Pisten und lange Schlangen am Lift? Es geht auch anders: Drei Orte für entspannte Ferien im Schnee.
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https://www.sueddeutsche.de/reise/alpen-winterurlaub-tipps-1.4262560
Alpen: Winterurlaub für Genießer
00/12/2018
Freiwillig auf Ferienzeit verzichten - das macht doch niemand? Von wegen. Statt auch An- und Abreise zu genießen, warten die meisten schlecht gelaunt, bis sie endlich am Ziel sind. Und vergeuden so kostbare Lebenszeit. Früher war nicht alles besser, aber schicker. Wer verreiste, tat dies mit Stil und einer kleinen Auswahl von drei bis zehn Schrankkoffern. Damen im Reifrock und Herren mit Zylinder ließen die Blicke schweifen über die Reling des Dampfers oder aus dem Fenster im Orient Express und waren dabei selbst eine sehenswerte Erscheinung. Und heute? Unterscheiden sich Frauen und Männer vielleicht noch in der Farbe der gemütlichen Hose, gerne Jogging, und ihr Rollköfferchen wuchten sie selbst ins Handgepäckfach. Das Reisen hat den Zauber des Exklusiven verloren, was gut ist, denn damit verschwand auch das Elitäre: Früher sahen nur Betuchte ferne Länder, heute reist das Volk. Leider versäumt es dabei, den ganzen Urlaub zu genießen. Wie bitte, das machen wir doch, rufen nun entrüstet die Viel- und Weniger-oft-Reisenden. Aber auch Anfang und Ende? Neben dem Wegfall des Elitären ist dies der zweite große Unterschied, und darum ist es nun wirklich schade: Einst gehörte der Weg eindeutig zum Ziel, Anreise und Abfahrt wurden zelebriert. Heute fiebern alle dem Ankommen entgegen, davor ist ödes Warten: Dass die Autofahrt von A nach B möglichst staufrei zu Ende geht. Dass das Flugzeug endlich abhebt. Dass es wieder landet. Dass der Zug einfährt. Viele sind genervt, gereizt, gelangweilt - wären sie nur schon da! Doch was sie als vergeudete Lebenszeit empfinden, sind eigentlich verschenkte Ferienstunden. Öde warten oder lieber Spaß haben Würde man sie auffordern, zwei Tage ihres Jahresurlaubs ohne Gegenleistung abzutreten, die Empörung wäre groß. Dabei machen das die meisten freiwillig. Für sie beginnt Urlaub erst am Ziel. Doch mit einer Prise Gelassenheit und einer großen Portion Humor fängt der Urlaub an der Haustür an - und endet erst dort wieder. Wir wissen ja in etwa, was auf uns zukommt; also machen wir etwas draus, möglichst das Beste. Das funktioniert wie im Job: Angestellte, die nichts selbst entscheiden dürfen, fühlen sich äußeren Zwängen - manche nennen sie "Chef" - ausgeliefert und machen wenn überhaupt Dienst nach Vorschrift. Diejenigen aber, die möglichst viel Verantwortung übernehmen und entscheiden dürfen, sind zufriedener. Also lassen wir uns auch auf Reisen nicht von äußeren Umständen die gute Laune verderben. Schließlich singen wir alle das tägliche Klagelied, wie wenig Zeit für uns selbst bleibt. Statt also zu jammern, nur weil wir noch nicht am Ziel sind, gönnen wir uns doch lieber selbst die Wahl: Soll mir der Masseur während der Wartezeit am Airport schon mal die verspannten Schultern lockern? Fange ich endlich mit den ersten Lektionen in meiner Lieblings-Fremdsprache an? Vertiefe ich mich in Reisetipps und erhöhe so die Vorfreude? Und einen Stau oder eine allzu lange Fahrt verkürzen Hörbücher und Entdeckerfreude: Wer sagt denn (außer Österreicher), dass man auf der Autobahn ausharren muss, solange es keine Vollsperre ist - unterwegs kann man Sehenswürdigkeiten am Rande mitnehmen und so die Fahrt mit Etappenzielen verschönern. Genauso wenig ist es verboten (außer vielleicht in Österreich), sich in der Pause von der Hauptroute zu entfernen: Ein schönes Spiel mit Raum für Entdeckungen ist es, von der Autobahn abzufahren, wenn ein Ort ausgeschildert ist, dessen Name gefällt. Hat dieser zu viel versprochen, bekommt das nächste Dorf eine Chance. Zeit für Entdecker Nur so stießen wir einmal auf der Fahrt Richtung Alpen nahe der A8 auf ein Naturschauspiel in Blaubeuren mit dem märchenhaft-prosaischen Namen "Blautopf": Ein kreisrunder Tümpel in Türkis, das an Karibik denken lässt mitten in der Schwäbischen Alb. Gespeist wird die Karstquelle durch Wasser, das durch ein enormes Höhlensystem rinnt und in der Steinzeit Schutz bot: Schon vor 40 000 Jahren schnitzten hier Menschen Figuren aus Mammutelfenbein - heute die ältesten bekannten Kunstwerke. Seit dem Sommer 2017 gehört das Höhlensystem zum Welterbe der Unesco, was wohl nicht kausal mit unserem Besuch zusammenhängt, aber doch eine schöne Bestätigung ist. Wären wir auf der Autobahn geblieben, die Tank&Rast-Gaststätte hätte keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Es lohnt also, den Entdecker in sich nicht erst am Ziel rauszulassen. Und irgendwann muss man die mühsam erlernte Achtsamkeit ja anwenden. Wir haben keine Zeit zu verschenken, also zelebrieren wir sie! Vielleicht ziehen wir dabei sogar etwas Schönes an.
Freiwillig auf Ferienzeit verzichten - das macht doch niemand? Von wegen. Statt auch An- und Abreise zu genießen, warten die meisten schlecht gelaunt, bis sie endlich am Ziel sind. Und vergeuden so kostbare Lebenszeit.
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https://www.sueddeutsche.de/reise/ferien-urlaub-anreise-abreise-1.3665112
Freiwillig auf Urlaubstage verzichten
00/12/2018
Wer würde schon viel Geld zahlen, um seinen Urlaub auf einer vielbefahrenen Straßenkreuzung mitten in der Großstadt zu verbringen? Und dann auch noch genüsslich durchatmen: So gut, die Luft! Schiffspassagiere machen dies, wenngleich sie ihren Liegestuhl an Deck und nicht am Gehweg zurechtrutschen. Dort weht nur vermeintlich eine frische Meeresbrise, vor allem wenn man seinen Platz hinter dem Schornstein gewählt hat: Messungen haben ergeben, dass die Feinstaubbelastung auf einem Kreuzfahrtschiff vier Mal so hoch ist wie an einer vielbefahrenen Straßenkreuzung. Da ist es doch eine gute Nachricht, dass nun die Aida Nova - unter anderem wegen eines Brandes etwas verspätet - ihren Dienst auf See antritt und erst einmal ihre Runden um die Kanaren und nach Madeira dreht: Als bislang einziges Kreuzfahrtschiff fährt sie mit schadstoffarmem Flüssigerdgas (LNG) und hat Marinediesel nur zum Starten der Maschinen und für den Notfall dabei. Also können sich nun Schiffstouristen mit reinem Gewissen übers Meer kutschieren lassen? Ja und nein. Der LNG-Antrieb ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Er ist erfolgt, weil sich die Einstellung der Urlauber mit der wachsenden öffentlichen Kritik an den schwimmenden Dreckschleudern geändert hat. Sauber wird von den Kunden nachgefragt, ganz sauber läuft die Sache dennoch nicht. "Wenn man schon eine Kreuzfahrt machen möchte, dann ist das aktuell mit der Aida Nova am umweltschonendsten. Allerdings: Die Aida Nova ist das graue unter den schwarzen Schafen", sagt Dietmar Oeliger, Verkehrsexperte beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Der Verband bringt jährlich ein Umweltranking für Kreuzfahrtschiffe heraus, in dem die deutschen Reeder zwar ganz oben stehen - aber nur mit ihren neuesten Schiffen. Und bis auf die Aida Nova halten alle an Schweröl als Treibstoff fest, die meisten ohne Stickoxid-Katalysatoren oder Rußfilter. Da ist es also wirklich eine gute Nachricht, dass laut Reederei der Flüssiggas-Antrieb der Aida Nova den Ausstoß von Stickoxiden um bis zu 80 Prozent, die CO₂-Emissionen um 20 Prozent verringert. Allerdings könnten die entsprechenden Motoren noch besser werden, oft entweicht bei der Verbrennung zu viel Methan - ebenso wie schon bei der Lieferkette vom Bohrloch bis aufs Schiff, was wieder der Klimabilanz schadet: Wird zu viel Methan freigesetzt, schwindet der Vorteil gegenüber Marine-Diesel drastisch. Dieser ist schadstoffärmer als Schweröl, aber teurer und wird daher weniger eingesetzt. Flüssiggas bleibt ein fossiler Brennstoff Und es gibt noch einen Haken beim Flüssiggas: Es bleibt ein fossiler Brennstoff. Wird es gar in den USA mit umstrittenen Fracking-Methoden gewonnen, fällt die Umweltbilanz weitaus negativer aus. Daher fordert der Nabu, in Zukunft auch im Schiffsverkehr auf regenerative Energien zu setzen, sei es auf Kreuzfahrten oder Frachttransporten - Flüssiggas sei zwar löblich, aber nur eine Zwischenlösung. Wie wirklich umweltverträgliche Lösungen aussehen könnten, bleibt die große Frage - vor allem wenn Reedereien nicht gezwungen sind, sie überhaupt ernsthaft zu stellen. Vielleicht wird man irgendwann doch wieder die Segel setzen.
Die "Aida Nova", weltweit erstes Kreuzfahrtschiff mit Flüssiggas-Antrieb, ist von Teneriffa zur Premierenfahrt aufgebrochen. Können Passagiere nun mit ruhigem Gewissen ihre Schiffsreise genießen? Nicht ganz.
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https://www.sueddeutsche.de/reise/kreuzfahrt-aida-nova-fluessiggas-lng-1.4260547
"Schadstoffarme ""Aida Nova"" - Das Kreuzfahrt-Problem"
00/12/2018
Dubrovnik ist ein beliebtes Ziel für Kreuzfahrten. Doch die Altstadt ist viel zu klein für die vielen Besucher. Kreuzfahrt-Tourismus presst Tausende Urlauber für kürzeste Zeit in Städte und erstickt dort das Alltagsleben. Das darf Veranstaltern nicht mehr egal sein. Die neue Aida Nova sticht in See, und das so schadstoffarm wie kein anderes Kreuzfahrtschiff - wobei auch der Antrieb mit Flüssiggas den ein oder anderen Haken hat. Trotzdem: Eigentlich könnten sich die etwa 6000 Urlauber auf der Aida Nova nun mit gutem Gewissen zurücklehnen, oder? Leider nicht, denn das Grundproblem der Kreuzfahrten löst auch der umweltfreundlichste Antrieb nicht: Sobald die Schiffe anlegen, werden sie zu einem Problem. Dann verlässt nicht nur ein Urlauber seinen Liegestuhl und möchte vor allem Stadt und weniger Land und Leute kennenlernen, denn das ist in der Kürze der Zeit gar nicht möglich. Mit ihm gehen im schlimmsten Fall 5999 andere Touristen von Bord. Sie überschwemmen die Innenstadt, haben Zeit für ein paar Selfies und vielleicht einige Souvenirs made in Asia, dann müssen sie wieder zurück. Wofür sie keine Zeit haben: Wirklich den Ort zu entdecken, an dem das Schiff vor Anker gegangen ist, und dabei Geld in Geschäften und in der Gastronomie zu lassen. Nicht nur geschlafen wird an Bord, sondern auch all-inclusive gegessen. Hohe See statt Städte anschauen? Das treibt inzwischen nicht mehr nur die Bewohner von Venedig oder Dubrovnik zur Verzweiflung, die sich mit Verboten wehren. Auch Bürger von Orten, die von Flusskreuzfahrern heimgesucht werden, beschweren sich sowohl über die dicke Luft als auch über einen Verlust an Lebensqualität. Doch wäre es eine Lösung, mit abgasarmen Schiffen nur noch über das Meer zu schippern und gar nicht mehr anzulegen? Einige Kreuzfahrten laufen ja genauso schon ab. An Bord der Schiffe wird so viel Unterhaltungsprogramm geboten, dass es den Passagieren nicht langweilig wird. Außer sie wussten vorher nicht, dass Club-Urlaub auf See bei ihnen einen verschärften Lagerkoller auslöst. Doch die meisten erfreuen sich an Pools, Kletterwänden, Rutschen, Bars, Joggingstrecken (rings um den Schornstein) und Gokart-Bahnen. Doch die meisten Kreuzfahrten lassen sich nur über die Städte verkaufen, die angesteuert werden: Hier ist der Vorteil nicht (nur) das Bordprogramm, sondern dass man spannende Ziele entspannt erreicht, ohne ständig seine Koffer packen zu müssen. Doch damit diese Bequemlichkeit nicht auf Kosten der besuchten Städte geht, müssten nicht allein dort Strategien gegen Overtourismus entwickelt werden, sondern auch in den Chefetagen der Reedereien. Die Schiffe dürften nicht nur dorthin fahren, wo alle anderen auch schon sind, sondern müssten unbekanntere Orte ins Programm aufnehmen - die dann bei längeren Liegezeiten entdeckt werden können, auch im Hinterland. Überhaupt sollte das Ausflugsprogramm entzerrt werden, weg von den Must-see-Sehenswürdigkeiten hin zu alternativen Touren etwa durch Künstlerviertel. Museen könnten mit eigens für die Schiffspassagiere angebotenen Führungen unterstützt werden und Essen-Coupons der Touristen dürften lokale Gastronomen bei den Reedereien einreichen. Nur wenn Veranstalter bei kreativen Lösungen für Overtourismus eng mit den Verantwortlichen in den Städten zusammenarbeiten, würden alle von den Kreuzfahrten profitieren - auch Urlauber, die wirklich etwas sehen möchten von Zielen, die weitaus mehr verdient haben als nur ein schnelles Konsumieren. Passagiere, denen das zu anstrengend ist, bleiben eben auf dem Schiff. In der Stadt wird sie niemand vermissen.
Kreuzfahrt-Tourismus presst Tausende Urlauber für kürzeste Zeit in Städte und erstickt dort das Alltagsleben. Das darf Veranstaltern nicht mehr egal sein.
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https://www.sueddeutsche.de/reise/kreuzfahrt-overtourismus-staedtereise-1.4260657
Kreuzfahrt: Reeder müssen etwas gegen Overtourismus tun
00/12/2018
Die Ankunftstafel am Flughafen Gatwick zeigt am Mittwoch verspätete und umgeleitete Füge an. Nach dem Drohnen-Chaos der vergangenen zwei Tage hat der Londoner Flughafen Gatwick den Flugverkehr wiederaufgenommen. Die Start- und Landebahn ist derzeit geöffnet. Eine begrenzte Zahl von Flügen sind für Abflug und Landung eingeplant, teilte der Airport am Freitagmorgen auf seiner Webseite mit. Dennoch sollten Passagiere den Status ihres Fluges prüfen, bevor sie sich auf den Weg zum Flughafen machten, hieß es dort weiter. Es werde weiterhin zu Verspätungen und Ausfällen von Flügen kommen. Am Donnerstag waren 115 000 Reisende betroffen, am Freitag werden eigentlich weitere 126 000 Menschen in Gatwick erwartet. Weil eine, zeitweilig sogar zwei Drohnen stundenlang über dem Sicherheitszaun und einer Landebahn gesichtet wurden, hatten sich die Behörden aus Sicherheitsgründen entschlossen, den Flugverkehr einzustellen. Mehr als 800 Flüge wurden bislang gestrichen. Seit Mittwochabend war in Gatwick - abgesehen von einer dreiviertelstündigen Unterbrechung - kein einziges Flugzeug mehr gelandet oder gestartet. Ankommende Maschinen mussten umgeleitet werden und teils Hunderte Kilometer entfernte Airports wie Amsterdam und Paris ansteuern. Das Unternehmen Ryanair kündigte an, soweit möglich auf dem Flughafen London-Stansted auszuweichen. Bei den mindestens zwei Drohnen handelt es sich nach Einschätzung der Polizei nicht um Hobby-Fluggeräte. Sie seien vielmehr für den professionellen Einsatz bestimmt. "Das ist eine präzise geplante Aktivität, die darauf ausgelegt wurde, den Flughafen lahmzulegen und maximale Behinderungen in der Vorweihnachtszeit zu bringen", teilte Gatwick-Geschäftsführer Stewart Wingate mit. Hinweise auf einen terroristischen Hintergrund gab es laut Behörden zunächst nicht. In den ersten 24 Stunden nach Einstellung des Flugbetriebs zählte die Polizei mehr als 50 Drohnen-Sichtungen.
Der zweitgrößte Flughafen des Landes war seit Mittwochabend im Ausnahmezustand. Wegen Drohnen über dem Rollfeld war der Flugverkehr eingestellt.
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https://www.sueddeutsche.de/reise/gatwick-flugverkehr-drohne-1.4262290
Flugverkehr: Flughafen Gatwick wieder geöffnet
00/12/2018
Unter Reisenden, die von London-Gatwick aus in die Weihnachtsfeiertage fliegen wollen, macht sich derzeit Panik breit. Der zweitgrößte Flughafen des Landes, eine halbe Stunde südlich der Hauptstadt gelegen, ist seit Mittwochabend, neun Uhr Ortszeit, im Ausnahmezustand. Und es ist bislang nicht klar, wann dieser Ausnahmezustand enden wird. Weil eine, zeitweilig sogar zwei Drohnen stundenlang über dem Sicherheitszaun und einer Landebahn gesichtet wurden, entschlossen sich die Behörden aus Sicherheitsgründen, den Flugverkehr einzustellen. Mehr als 800 Flüge wurden bislang gestrichen. Im schlimmsten Fall, so meldeten einige Medien, könne der Flughafen "tagelang" geschlossen bleiben. Der Flughafenleitung zufolge müssen sich Passagiere darauf einstellen, dass es in jedem Fall am Freitag bei der Schließung bleibt. Denn die Drohnen, die mit startenden und landenden Flugzeugen kollidieren könnten, wurden immer wieder über dem Flugfeld gesichtet. Der Billigflieger Ryanair lässt wegen der Schließung Gatwicks seine Jets am Freitag auf einen anderen Londoner Airport ausweichen. Das gab Ryanair am Donnerstagabend bekannt. Die Flüge starten und landen vorerst in Stansted nordöstlich von der britischen Hauptstadt. Alle Flüge der anderen Londoner Flughäfen sind ausverkauft Eine Drohne sei "aufgetaucht und verschwunden, aufgetaucht und verschwunden", sagte Flughafenchef Chris Woodroofe dem Sender Sky News. "Während ich hier stehe und wir sprechen, ist wieder eine Drohne über meinem Flugfeld." Er forderte Passagiere auf, in den kommenden Tagen nur anzureisen, nachdem sie sich informiert hätten, ob ihr Flug stattfinde. Wer umbuchen wollte, um Weihnachten zu Hause zu sein, wurde schwer enttäuscht: Praktisch alle Flüge von allen Londoner Flughäfen sind ausverkauft; auf den Webseiten der Fluglinien erschien der rot unterlegte Hinweis: "Flights to and from London Gatwick airport suspended due to drone activity" - alle Flüge von und nach Gatwick seien wegen Drohnenaktivitäten abgesagt. Mittlerweile sind Polizei und Politik involviert, sogar das Militär wurde alarmiert. Einen terroristischen Akt halten die Ermittler für unwahrscheinlich. Polizeieinheiten durchkämmten die Region auf der Suche nach den Personen, die die Drohnen einsetzen. Die Armee schickte Spezialisten, die helfen sollen, den Funkkontakt zur Basisstation zu stören, oder Kontrolle über die Drohnen zu übernehmen und sie zu landen. Das Verkehrsministerium sieht sich wachsender Kritik ausgesetzt, weil es "zu langsam auf die Bedrohung reagiert" habe. Man arbeite mit der Industrie zusammen, um Drohnen künftig besser abfangen zu können, hieß es aus dem Ministerium. Aktuell hilft das den Passagieren wenig. Hunderttausend waren am ersten Tag des Stillstands in Gatwick betroffen, und es werden stündlich mehr. Ankommende Flüge wurden innerhalb Englands, aber auch auf den Kontinent umgeleitet, Passagiere landeten in Birmingham, Amsterdam oder Bordeaux und waren dann auf sich gestellt. Diejenigen, die von Gatwick abfliegen wollten, saßen bis zu sechs Stunden auf dem Rollfeld in ihren Fliegern fest, ohne jede Information. Tausende weitere schliefen in der Nacht auf dem Fußboden. Riskante Sicherheitslage Sollten die Drohnenpiloten weiterhin nicht gefunden werden, droht sich das Chaos in das passagierreichste Wochenende des Jahres hinein fortzusetzen. Der Flughafen hätte kurz vor Weihnachten ohnehin mit Problemen zu kämpfen gehabt, weil der Zug zum Airport wegen Gleisarbeiten nicht fährt. Die Stilllegung durch die Drohnen sah da fast wie Ironie des Schicksal aus, aber die aktuelle Lage ist mehr als eine Unbill, sie ist für viele eine Katastrophe. Und sie zeigt, wie riskant die Sicherheitslage auf Flughäfen mittlerweile ist. Die Zahl der Drohnen, die den Flugverkehr gefährden, ist rasant angestiegen, auch in Deutschland. Allein in diesem Jahr, so die Deutsche Flugsicherung (DFS), seien hierzulande 152 Behinderungen durch Fluggeräte gemeldet worden. In Gatwick hat die Polizei bisher aus Sorge vor Querschlägern darauf verzichtet, die Fluggeräte abzuschießen. Mittlerweile sollen nach Medienangaben aber Scharfschützen am Flughafen angekommen sein. Erst im Juni war ein Gesetz erlassen worden, das es verbietet, Drohnen innerhalb eines Radius von einem Kilometer rund um Flughäfen einzusetzen. Den Drohnen-Piloten in Gatwick drohen nun bis zu fünf Jahre Haft.
Drohnen legen den Flughafen London-Gatwick lahm, Tausende Passagiere sind gestrandet, die Regierung hat das Militär um Hilfe gebeten - und niemand weiß, wann wieder Flugzeuge starten dürfen.
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https://www.sueddeutsche.de/reise/flughafen-london-gatwick-sperrung-drohnen-1.4261898
London-Gatwick: Sperre nach Drohnen-Alarm dauert an
00/12/2018
Drohnen werden in diesem Jahr unter vielen Christbäumen liegen. In London allerdings haben die kleinen Fluggeräte vielen Weihnachtsurlaubern den Start in die Ferien gründlich verdorben. Der Flugbetrieb am Airport Gatwick, dem siebtgrößten Flughafen in Europa, wurde komplett eingestellt, weil Drohnen über das Rollfeld flogen. Mehrere Zehntausend Passagiere sind davon betroffen. Die Sperrung begann am Mittwochabend, viele Passagiere saßen stundenlang in ihren startklaren Flugzeugen fest. In in der Nacht gab es zunächst Entwarnung, wenig später wurde der Flughafen jedoch wieder geschlossen, nachdem erneut Drohnen gesichtet worden waren. "Wir entschuldigen uns bei allen betroffenen Passagieren für die Unannehmlichkeiten, aber die Sicherheit unserer Passagiere und Mitarbeiter hat oberste Priorität", hieß es auf der Webseite des Flughafens. Gemeinsame Untersuchungen mit der Polizei seien angelaufen. In den sozialen Netzwerken machten derweil Reisende ihrem Ärger Luft. Passagiere beschwerten sich, dass ihre Flüge im Londoner Flughafen Heathrow, in Manchester, Birmingham und anderen britischen Städten gelandet seien. Andere fanden sich in Frankreich oder den Niederlanden wieder. Die Polizei in der Grafschaft Sussex bezeichnete die Störungen als "absichtliche Handlung", die sie mit allen verfügbaren Mitteln unterbinden werde. Hinweise auf einen terroristischen Hintergrund gebe es keine. Auf Twitter rief sie dazu auf, bei der Identifizierung der Drohnenpiloten zu helfen. #GatwickDrones | We are appealing for information to help us identify the operators of the #Gatwick #drones. If you know who's responsible or have any information please call 999 and quote ref 1350-19/12. Please RT pic.twitter.com/jkcakBohMr — Sussex Police (@sussex_police) 20. Dezember 2018 Reisenden und Abholenden wird geraten, auch im weiteren Tagesverlauf vorsichtshalber mit der jeweiligen Fluglinie den Flugstatus abzuklären. Das wiederum dürfte viele betreffen: Mit mehr als 45 Millionen beförderten Passagieren im vergangenen Jahr ist Gatwick der siebtgrößte Flughafen in der EU - und im Königreich die Nummer zwei hinter Europas größtem Airport London-Heathrow. Ende Juli waren in Großbritannien neue Regeln für Drohnenbesitzer in Kraft getreten. Sie machen sich strafbar, sobald sich ihre unbemannten Fluggeräte einem Flughafengelände auf weniger als einen Kilometer nähern. Wird ein Flugzeug durch die Drohne gefährdet, riskiert der Besitzer eine Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren. Behinderungen durch Drohnen gibt es immer wieder auch an deutschen Flughäfen. Der Deutschen Flugsicherung (DFS) zufolge wurden in diesem Jahr bis einschließlich November 152 Behinderungen gemeldet. Im bisherigen Rekordjahr 2017 waren es nur 88 Fälle.
Am siebtgrößten europäischen Airport kann seit Stunden kein Flugzeug mehr starten und landen. Aktuell sind alle Flüge ausgesetzt - und Zehntausende Passagiere gestrandet.
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https://www.sueddeutsche.de/reise/flughafen-gatwick-sperrung-drohnen-1.4261214
Drohnen legen Londoner Flughafen Gatwick lahm
00/12/2018
Immer komfortabler, immer spektakulärer: Auf das Klein Matterhorn bei Zermatt fahren jetzt Gondeln mit Glasboden - und die Schweiz diskutiert über Grenzen des Bergtourismus. Es ist noch gar nicht lange her, da wäre der Vorsatz, das Matterhorn zu erklimmen, eine Art Abschied von der modernen Welt gewesen. Wer den mehr als 4400 Meter hohen Felsenberg bezwingen wollte, brauchte nicht nur eine gute Ausrüstung, sondern auch ein Testament. Dass Menschen auf dem Weg nach oben starben, kam nicht nur zu Zeiten der spektakulären Erstbesteigungen im 19. Jahrhundert vor, sondern auch bis weit in das 20. Jahrhundert hinein. Wer heute dagegen nach Bildern aus der einst abgelegenen Welt sucht, stößt auf Videos, die eher nach Freizeitpark denn nach Abenteuer aussehen. Eine mit Swarovski-Kristallen geschmückte Kabine schwebt das ebenfalls fast 4000 Meter hohe Klein Matterhorn hinauf, irgendwo über dem Gletscher öffnet sich der Boden, zumindest sieht es so aus. Die Passagiere, nun nur durch eine Glasscheibe von der spektakulären Bergwelt getrennt, beginnen zu jubeln. Eine Stimme aus dem Off vergleicht die Seilbahnfahrt mit einem Helikopterflug und freut sich: "so bequem" habe man die Alpen noch nie erobern können. Der neue Glacier Ride der Zermatter Bergbahnen, der parallel zur bestehenden alten Seilbahn errichtet wurde, steht für einen aktuellen Trend im Bergtourismus: Immer spektakulärer und komfortabler muss es sein, damit auch der unsportlichste Tourist für einen halben Tag das Hochgebirge erleben kann. Seit November bringen die hochmodernen Kabinen, von denen vier den Glasboden mit angepriesener "3-D-Aussicht" haben, bis zu 2000 Passagiere in der Stunde auf das 3883 Meter hohe Klein Matterhorn. Für Skifahrer ist das Gebiet wegen seiner Schneesicherheit ohnehin attraktiv. Doch auch Ausflügler zieht es nun vermehrt hinauf. Wenn Landschaftsschützer Raimund Rodewald über die gläserne Bahn spricht, klingt es weniger euphorisch. Mit Gram in der Stimme erinnert der Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz an die Bergwelt, wie sie ursprünglich war: karg, felsig, unwirtlich. Und: einsam. Wer auf dem Berg stand, der genoss nicht nur die Aussicht und das Gefühl, etwas Großes bezwungen zu haben, sondern auch eine märchenhafte Stille. Was für den Landschaftsschützer eine Art traumhaften Urzustand darstellt, ist für die Bergbahnen eine ungemütliche Geräuschkulisse. Seit vielen Jahren sind die Betreiber der einst lukrativen Schweizer Seilbahnen in der Krise. Für Touristen aus Europa, die jahrzehntelang zum Wandern und Skifahren in die Schweizer Alpen kamen, ist das Land inzwischen so teuer geworden, dass sie oft lieber in die Nachbarländer ausweichen. Die Schweizer versuchten zwar, mit Sonderangeboten attraktiv zu bleiben und zumindest die inländischen Gäste zu halten, doch diese Strategie geht nur bedingt auf. Immer offensiver setzen die Touristiker daher auf "neue Märkte". Reisende aus China, Russland oder der arabischen Welt sollen die Lücke füllen, die Deutsche und Österreicher hinterlassen haben. Naturschützer Raimund Rodewald weiß, wie seine Kritik an diesem neuen Tourismus verstanden werden kann. "Es geht uns überhaupt nicht um die Nationalität der Gäste. Bei uns ist jeder herzlich willkommen", versichert er. Doch je stärker man das Angebot in der Schweiz auf Touristen ausrichte, die im Schnelldurchlauf durch Europa jetten, desto stärker werde sich das Gesicht der Berge verändern. Und das nicht zu deren Gunsten.
Immer komfortabler, immer spektakulärer: Auf das Klein Matterhorn bei Zermatt fahren jetzt Gondeln mit Glasboden - und die Schweiz diskutiert über Grenzen des Bergtourismus.
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https://www.sueddeutsche.de/reise/schweiz-zermatt-alpen-bergbahn-1.4249779
Schweiz: Neue Bergbahn in Zermatt
00/12/2018
Renommierte Architekten entwerfen neue Bergstationen. Das sieht gut aus. Aber wären die Berge allein nicht schon sehenswert genug? In jedem James-Bond-Film gibt es eine essenzielle und seit 1962 ("Dr. No") für Fans auch existenzielle Bar-Szene. Fast immer, wenn Bond einen Wodka Martini bestellt, muss dieser Running Gag bemüht werden: geschüttelt, nicht gerührt. Insofern macht der jüngste Bond ("Spectre", mit Daniel Craig) keine Ausnahme. Als Bond an der Bar des auf 3048 Metern am Gaislachkogl in Sölden, Tirol, gelegenen Restaurants Ice Q seinen Drink mit dem bewährten Gag bestellt, lautet die Antwort erstaunlicherweise aber so: "Wir servieren keinen Alkohol." Klar, denn im 007-Thriller ist der aufsehenerregende und viereinhalb Millionen Euro teure Bau nach einem Entwurf des Innsbrucker Architekten Johann Obermoser ja auch kein mondäner Restaurantkomplex aus gläsern übereinander gestapelten Kuben, sondern eine Bergklinik. Aber auch die ist Eisblöcken nachempfunden. Bond beantwortet die Abfuhr an der Bar schließlich auf eine so trockene Weise, wie er sich auch seine Drinks wünscht: "Ich merke schon, das wird mein Lieblingsort." Der Lacher im Kino ist Kalkül. Ein zweiter Lacher erfolgt gleich danach. Dann nämlich, wenn an der hochalpinen Bar, die in Wirklichkeit zu einer aus Stahl, Glas und einem faszinierenden Blick auf die umliegenden Berggipfel gefügten Gourmet-Arena gehört, Bonds Quartiermeister "Q" auftaucht. Im Ice Q lässt der namentlich hervorragend in die Szenerie passende Q den Barkeeper wissen: Er, also Bond, "nimmt einen Verdauungsenzym-Shake". Wenig später wird Bond den insofern trostbedürftigen Barmann darum bitten, den Drink im Klo runterzuspülen. Das ist dann der dritte Lacher. Detailansicht öffnen Eisblock-Architektur: Das Restaurant Ice Q in Sölden, Drehort für den James-Bond-Film Spectre. (Foto: Rudi Wyhlidal; Rudi Wyhlidal / Bergbahnen Sölden) Im Grunde ist es ja erstaunlich, dass ein Bond-Setting, das im Film als Versteck "am Ende der Welt" dient, das genussfeindlich und voller Verdauungsenzyme die Gletschereinöde fiktionalisiert, dennoch als Ort der Sinnes- und Leibeslust überzeugt. Mit dem Werbespruch "Ein Ja-Wort über den Wolken in Sölden" wird die "außergewöhnliche Hochzeits-Location" des Ice Q sogar als "Versprechen an die Liebe" gefeiert - "mit unzähligen Dreitausendern als zuverlässigen Trauzeugen". Ein Bond-Museum gibt es neben dem Restaurant seit den Dreharbeiten auch. Der Ort ist etwas Besonderes. Das hat nicht nur mit der Macht des Kinos etwas zu tun, sondern mit einem anderen Lieferanten suggestiver Bildkunst: mit einer hochambitionierten Architektur, die nicht nur der Baukultur, sondern auch der Schaukultur verbunden ist. Überhaupt ist es verblüffend, an welch entlegenen Stätten man seit einigen Jahren nicht nur der Spitzengastronomie oder dem Eventgedöns, sondern auch der dazugehörigen Sternearchitektur begegnet. Ein etwa 100 Millionen Euro teures Projekt soll in den nächsten Jahren auf dem Titlis entstehen. Auf dem 3238 Meter hohen Berg, der in der Zentralschweiz ein beliebtes Skigebiet überstrahlt, wird nach Plänen der Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron eine neue Bergstation samt Restaurant realisiert, wodurch auch der 50 Meter hohen Sendeturm zugänglich wird. Die Rede ist von einem "Leuchtturmprojekt". Als die Pläne kürzlich öffentlich vorgestellt wurden, sagte Pierre de Meuron: "Wir mussten nicht lange überlegen, ob wir das Projekt angehen sollen." Bergstationen seien zwar meist Zweckbauten, aber "wir haben den Anspruch, auf dem Gipfel des Titlis Zweck und Ästhetik zu vereinen". Die alte Bergstation, erbaut 1967, kann nach Angaben der Betreiber die zukünftigen Anforderungen nicht mehr erfüllen. Inzwischen besuchen über eine Million Gäste jährlich den Berg, in Spitzenzeiten sind bis zu 2000 Menschen gleichzeitig auf dem Gipfel.
Renommierte Architekten entwerfen neue Bergstationen. Das sieht gut aus. Aber wären die Berge allein nicht schon sehenswert genug?
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Alpen: Architektur auf dem Berg
00/12/2018
Mitten in ... Epterode Man hat Weihnachtskekse gebacken im nordhessischen Epterode. Die Küche duftet, Kleckse, Krümel und andere Schweinereien sind beseitigt, das polierte schwarze Backblech steht glänzend an der weißen Wand. Es läutet, Besuch, eine junge Mutter mitsamt fünfjährigem Sohn. Passt, es gibt frisches Gebäck. Das Kind, ein Energiemonster, das eigentlich nur im Schlaf die kleine Klappe hält, lässt Kekse Kekse sein und steht schweigend und äußerst nachdenklich vor dem blitzsauberen Backblech. Man wundert sich, das kennt man von ihm sonst gar nicht. Seine Finger zucken, erst leicht, dann konvulsivisch. In die Verwunderung mischt sich Sorge. Was ist bloß mit dem Jungen los? Irgendein Anfall womöglich? I wo. Das Kind des 21. Jahrhunderts hat lediglich eine Frage auf dem Herzen: "Wo ist denn die Fernbedienung für den Fernseher hier neben der Spüle?" Susanne Höll SZ vom 14. Dezember 2018
Im hessischen Epterode geschieht in der Adventszeit Unglaubliches: Ein Fünfjähriger verschmäht frischgebackene Plätzchen. Und in Boulder haben Haustiere Vorfahrt - oder doch nicht?
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Kurioses aus aller Welt
00/12/2018
Geschlossene Hütten und Liftbügel in Warteposition: Wenn die Saison vorbei ist, verharren viele Orte in den Alpen zwischen "nicht mehr" und "noch nicht". Der Schweizer Simon Walther hat diesen Schwebezustand fotografiert. Die Natur kennt keine Saison, nur die Jahreszeiten. Die Saison hat sich der Mensch einfallen lassen. Und ist dabei sehr auf die Natur angewiesen - mehr als ihm oft lieb ist. Weshalb er sich von ihr zu emanzipieren versucht, speziell winters in den Alpen. Indem er Berge künstlich beschneit, wenn kein Schnee fallen mag. Aber selbst dafür war es bislang zu warm, jedenfalls in den tiefer gelegenen Skigebieten. Der Beginn des Winters und der Wintersaison sind zweierlei. In den Alpen gibt es im Wesentlichen eine Sommer- und eine Wintersaison. Die Übergänge mögen mancherorts als Vor-, Nach-, Neben- oder Zwischensaison bezeichnet und vermarktet werden. Im Prinzip aber sind sie eine Unsaison. "Man müsste diese Tage überspringen oder zumindest abkürzen können", schreibt Markus Maeder in seinem Vorwort zu Simon Walthers Band "Zwischensaison" aus Perspektive der Hoteliers und Gastwirte, der Seilbahnbetreiber und anderweitig am Tourismus Verdienender: "Dieser Schwebezustand zwischen nicht mehr und noch nicht erwischt uns immer wieder auf dem falschen Fuß." Der Fotograf Simon Walther hat sich just in diesen Phasen aufgemacht in die schweizerischen Alpen, mit einem allradgetriebenen Camper, um die Zwischensaison zu dokumentieren. Wenn noch nicht oder nicht mehr genügend Schnee liegt für den Wintersport. Wenn noch oder schon zu viel Schnee liegt zum Wandern und Klettern. Wenn die Hotels und Gastwirtschaften geschlossen haben, die Lifte nicht fahren. Wenn die Hinterlassenschaften der vergangenen Saison noch nicht weggeräumt sind und die der anstehenden noch verstaut. Detailansicht öffnen Der Spielzeug-Rasenmäher eines Kindes harrt im Dorf Maloja auf den nächsten Sommer. (Foto: Simon Walther) Vieles steht dann wie entblößt da - Schilder, die augenblicklich niemandem nutzen, Motorschlitten auf einem Untergrund aus Kies, Matten, die Stürze von Skifahrern abmildern sollen. Doch auf den winzigen Schneeresten fährt niemand mehr. Lange rote Holzpflöcke, mit denen winters Straßenverläufe markiert werden, liegen aufgestapelt in einem Verschlag, Schleppliftbügel baumeln über braungrünen Hängen, Liegestühle behaupten eine andere Jahreszeit. In mancherlei Hinsicht ist die Zwischensaison jedoch auch eine sehr betriebsame Zeit. Wenn keine Gäste da sind, kann an- und umgebaut, kann die Infrastruktur erneuert werden. Simon Walther zeigt auf seinen Fotografien in diesem Bildband konsequent keine Menschen. Aber er dokumentiert zum Beispiel Baufahrzeuge oder einen mit alten, kaputten Stühlen übervollen Müllcontainer. Eine Schneelanze sprüht Kunstschnee auf die Riffelalp bei Zermatt - Walther hat diese Szene aus einem Blickwinkel aufgenommen, aus dem es so aussieht, als bekäme am Horizont der Gipfel des Matterhorns eine Sahnehaube verpasst. Detailansicht öffnen Wo ein Motorschlitten und Toilettenhäuschen stehen, war ein Zieleinlauf der Ski-WM 2017 in St. Moritz. (Foto: Simon Walther) Kuriositäten wie diese gibt es eine Menge: Sie resultieren oft aus dem Umstand, dass die Dinge in den Alpen eben nur eine saisonale Funktion haben. Manchmal sind die Dinge auch an sich merkwürdig: ein Transparent mit der Aufschrift "Ankommen und Genießen" zum Beispiel, angebracht an einem recht heruntergekommenen Haus. Ein geschlossener Imbissstand auf dem Gotthardpass neben einer steinernen Marienfigur. Das Restaurant Furkablick, an dessen Fassade sich nur die Buchstaben "Rest" erhalten haben. "Zwischensaison" gleicht dem Blick in einen Hinterhof. Wo sich Dinge stapeln, die man gewiss oder wenigstens vielleicht noch einmal braucht, und andere, die man wegzuwerfen sich bislang nicht die Mühe gemacht hat. Simon Walther streut in die Fotoserie aber auch immer wieder Motive ein, wo er nach der Schönheit der Zwischensaison sucht, nach besonderen Lichtstimmungen, wie sie nur der späte Herbst und der frühe Frühling hervorbringen. Es sind rare Momente, die der Trostlosigkeit trotzen. Hier zeigt sich der Unterschied zwischen Saison und Jahreszeit. Simon Walther: Zwischensaison. AS Verlag, Zürich 2018. 144 Seiten, 39,50 Euro.
Geschlossene Hütten und Liftbügel in Warteposition: Wenn die Saison vorbei ist, verharren viele Orte in den Alpen zwischen "nicht mehr" und "noch nicht". Der Schweizer Simon Walther hat diesen Schwebezustand fotografiert.
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https://www.sueddeutsche.de/reise/alpen-fotos-saison-1.4249787
Alpen: Fotos aus der Zwischensaison
00/12/2018
Mit dem Winter verhält es sich ungefähr so wie mit den Zügen der Deutschen Bahn: Jeder Mensch ahnt, dass er irgendwann kommen muss, nur keiner weiß, wann genau. Die Verspätung des Winters hat sich zur Normalität entwickelt. Wie soll das weitergehen? Mit dem Winter verhält es sich ungefähr so wie mit den Zügen der Deutschen Bahn: Jeder Mensch ahnt, dass er irgendwann kommen muss, nur keiner weiß, wann genau. Die Verspätung des Winters hat sich sogar derart zur Normalität entwickelt, dass selbst die im Grunde winterfesten Münchner teilweise bis kurz vor Weihnachten in ihren Cabriolets durch die Straßen heizen konnten, während die zwischen Winterreifen deponierten Skier bis weit in den Januar Rost ansetzten. Manch bayerischer Skeptiker warnt daher schon vor Zuständen wie in anderen deutschen Millionenstädten, wo heute eine Flocke als Naturwunder gilt, drei Zentimenter Schnee zum Verkehrschaos führen und der gelernte Skifahrer kurz vorm Aussterben steht. Und auch, wenn der Winter heuer erstaunlicherweise früh oder vielleicht einfach nur pünktlich Einzug hielt, drohen auch manchen Skigebieten der Alpen geradezu Berliner Verhältnisse. Denn die Verschiebung des Winters hat ja nicht nur eine zeitliche, sondern letztlich auch eine räumliche Komponente. Glaubt man beispielsweise einer Studie der äußerst glaubwürdigen Forscher vom Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos, werden sich die Klimazonen bis 2035 um 200 bis 500 Meter, bis 2085 gar um 700 bis 1000 Meter nach oben verschieben. Der Winter flüchtet mit der Zeit also gewissermaßen aus den Tälern in die höheren Lagen. Für die Seilbahnindustrie ist das zumindest mittelfristig noch nicht bedrohlich, weil im Notfall einfach schnell ein paar Gondeln gebaut werden, die mindestens so hoch führen wie der neue Glacier Ride am Klein Matterhorn. Wirklich geschäftsschädigend wäre freilich, wenn sich der Winter noch etwas genauer bei der Bahn umschaut und die Skiindustrie dazu zwingt, die gläsernen Liftstationen und Gondeln als Treibhäuser für Zitrusfrüchte zu verwenden: mit einem groß angelegten, flächendeckenden Streik.
Mit dem Winter verhält es sich ungefähr so wie mit den Zügen der Deutschen Bahn: Jeder Mensch ahnt, dass er irgendwann kommen muss, nur keiner weiß, wann genau. Die Verspätung des Winters hat sich zur Normalität entwickelt. Wie soll das weitergehen?
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https://www.sueddeutsche.de/reise/ende-der-reise-gondelnde-treibhaeuser-1.4249789
Ende der Reise - Gondelnde Treibhäuser
00/12/2018