text
stringlengths 276
36k
| summary
stringlengths 47
1.39k
| topic
stringclasses 21
values | url
stringlengths 36
209
| title
stringlengths 4
133
| date
stringclasses 108
values |
---|---|---|---|---|---|
Seit Jahren arbeiten Steuerfahnder, Polizisten und Staatsanwälte daran, das Dickicht im Cum-Ex-Skandal zu durchleuchten. Vor Gericht packen nun Kronzeugen aus. In den Fokus gerät wegen des Verdachts auf Steuerdiebstahl so auch die größte Bank der Welt. Die Akten sind mehrere Tausend Seiten stark, und fast jeden Tag kommen neue hinzu, in Köln, in Frankfurt, in München. Seit Jahren arbeiten Steuerfahnder, Polizisten und Staatsanwälte daran, das Dickicht im Cum-Ex-Skandal zu durchleuchten. Bis heute erhalten sie von Beschulditen - früheren Bankern, Börsianern und Anwälten - Details über diese Geschäfte, durch die sie sich wohl in atemberaubendem Ausmaß bereicherten, etwa zur verschwörerischen Sprache, die mutmaßliche Täter benützten. Viele Spuren hätten die Ermittler sonst kaum entdeckt. Spuren, die etwa zur Varengold Bank mit Hauptsitz in Hamburg führen. In den gut 20 Jahren ihrer Existenz hat kaum jemand in Deutschland von dieser kleinen Bank gehört. Auch der Staatsanwaltschaft Köln dürfte das Haus bis vor wenigen Jahren nicht bekannt gewesen sein. Bis zwei frühere Banker, die von den Ermittlern inzwischen mehr als 20 Mal als Beschuldigte vernommen wurden, anfingen zu schildern, was da gelaufen sei in den heißen Jahren des Steuerdiebstahls. Einer dieser Kronzeugen zeichnete nach, wie die Führungsmannschaft von Varengold, darunter die Gründer der Bank, sogar eigene Fonds aufgelegt habe, mit der Absicht, beim Handel von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende den Fiskus zu schröpfen. Dieser Kronzeuge tat das so überzeugend, dass die Staatsanwälte dem "Varengold-Komplex" ein eigenes Aktenzeichen gaben. Die Bank nimmt zu diesen Vorwürfen, die mit allerhand E-Mails, Excel-Tabellen und Gesprächsprotokollen belegt sind, auf Anfrage kaum Stellung. Selbstverständlich stehe man anfragenden Behörden "stets mit Auskünften kooperierend zur Verfügung", erklärt Varengold. Von den Personen, um die es gehe, arbeite keine mehr für die Bank, keine von ihnen könne Einfluss auf das Geschäft nehmen. Das stimmt: 2015 traten drei Vorstände und der gesamte Aufsichtsrat geschlossen zurück. Damit ist die Sache für die Bank aber nicht erledigt. Denn inzwischen haben die Strafverfolger etwas erreicht, das für das Hamburger Institut und viele andere Banken noch unangenehme Folgen haben könnte: Die beiden Beschuldigten aus dem Ausland, die in vielen Vernehmungen bei der Staatsanwaltschaft Köln umfangreich ausgesagt und viele Institute schwer belastet hatten, gaben ihr Wissen und ihre Vorwürfe inzwischen auch bei einer richterlichen Vernehmung beim Amtsgericht München zu Protokoll, wo ebenfalls ermittelt wird. Derlei Vernehmungen haben weit mehr Gewicht in einem möglichen Strafprozess: Der Kern dessen, was die beiden Verdächtigen den Kölner Ermittlern erzählt hatten, ist so für alle Fälle gesichert. Die Aussagen vor dem Richter sind für die Strafverfolger insofern ein entscheidender Fortschritt. Offiziell äußert sich die Staatsanwaltschaft München I nicht, sie bestätigt nur allgemein das laufende Verfahren. Einer der beiden Verdächtigen wird von der Staatsanwaltschaft Köln als geständig geführt, was den Vorwurf der Steuerhinterziehung in besonders schweren Fällen anbelangt. Ihre Strafverteidiger wollten die Vorgänge nicht kommentieren. Das will auch JP Morgan nicht, die größte Bank der Welt mit zahlreichen Zweigstellen in Europa, die einer der beiden Kronzeugen in seinen Aussagen schwer belastet hat. Die Bank habe, so schilderte er, zur heißen Zeit der Cum-Ex-Geschäfte eine eigene Handelsabteilung mit der Bezeichnung "Tax Structuring" - Steuerstrukturierung - betrieben. Diese Abteilung sollte am Kapitalmarkt Geschäfte aufsetzen mit dem Ziel, Schlupflöcher in nationalen Steuergesetzen auszunutzen. Er erzählte ausführlich, wie die Bank bis mindestens 2009 eingebunden gewesen sei in diesen speziellen Handel mit Aktien. Dabei hätten sich die Beteiligten von Deutschlands Finanzbehörden Steuern mehrfach erstatten lassen, die nur einmal gezahlt worden waren. Er erzählte, wie die Bank zur Rechtfertigung dieses offensichtlichen Steuerdiebstahls Rechtsgutachten bestellt habe, deren Ergebnis immer heißen sollte: alles nicht illegal. Das war Usus unter den Cum-Ex-Tätern. Auch mit ähnlichen Handelsstrategien mittels Phantom-Aktien in den USA, die SZ und WDR vor wenigen Wochen erstmals öffentlich machten, soll JP Morgan zu tun gehabt haben, sagte der Kronzeuge. JP Morgan lehnte eine Stellungnahme ab. Die riesige JP Morgan und die sehr kleine Varengold-Bank sind dabei nur zwei von mehreren Dutzend Banken, deren Namen wahrscheinlich ab 2019 in Strafprozessen zur Sprache kommen werden. Varengold hat übrigens bis heute einen prominenten Miteigentümer: Sanjay Shah, Hedgefonds-Manager, wegen Cum-Ex Beschuldigter bei der Kölner Staatsanwaltschaft, wohnhaft in Dubai und mutmaßlich einer der größten Steuerbetrüger Europas, halte über "Investmentvehikel" 18 Prozent der Anteile. Er kontrolliere aber, betont eine Sprecherin, nur etwa 2,5 Prozent der Stimmrechte: "Insofern verfügt er über keinerlei Einfluss auf die Geschäftstätigkeiten oder die Organe der Varengold Bank." | Seit Jahren arbeiten Steuerfahnder, Polizisten und Staatsanwälte daran, das Dickicht im Cum-Ex-Skandal zu durchleuchten. Vor Gericht packen nun Kronzeugen aus. In den Fokus gerät wegen des Verdachts auf Steuerdiebstahl so auch die größte Bank der Welt. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/steuerdiebstahl-starke-aussagen-1.4266822 | Steuerdiebstahl - Starke Aussagen | 00/12/2018 |
Nach dem zehnprozentigen Preisanstieg am Vortag geben die Notierungen wieder nach. Die Sorge vor einer Konjunkturabkühlung und gleichzeitig vor einem Überangebot an Rohöl greift um sich. Die Ölpreise sind am Donnerstag etwas zurück gegangen. Marktbeobachter sprachen von einer leichten Gegenbewegung, nachdem die Notierungen am Vortag stark gestiegen waren. Ein Barrel der Nordseesorte Brent (159 Liter) kostete am Abend 52,95 Dollar. Das waren knapp drei Prozent weniger als am Vortag. Der Preis für ein Barrel der US-Sorte WTI fiel um 1,8 Prozent auf 45,41 Dollar. Am Vortag waren die Ölpreise noch jeweils um etwa neun Prozent gestiegen. Allerdings hatten die Preise in den vergangenen Wochen auch stark unter Druck gestanden. Am Ölmarkt wird der Preissprung vom Mittwoch mit etwas nachlassenden Ängsten wegen einer möglichen Konjunkturabkühlung erklärt. An der Börse in New York hatte es starke Kursgewinne gegeben. Außerdem geht der russische Energieminister Alexander Nowak davon aus, dass der Ölmarkt in der ersten Hälfte des kommenden Jahres stabiler sein werde. Zudem werden die Ölpreise durch die Erwartung sinkender Ölreserven in den USA gestützt, hieß es weiter. Wegen der Weihnachtsfeiertage werden die Daten zu den Lagerbeständen an Rohöl erst am Freitag veröffentlicht. Am Markt wird mit einem kräftigen Rückgang gerechnet. Die Anleger packten sich weiterhin Gold in ihre Depots. Der Preis für die "Antikrisen-Währung" kletterte um 0,7 Prozent auf 1276 Dollar. Seit Mitte November legte der Preis um mehr als sechs Prozent zu. Am Devisenmarkt gewann der Euro leicht an Wert. Die europäische Gemeinschaftswährung wurde am Abend bei 1,1440 Dollar gehandelt und damit 0,7 Prozent höher als am Mittwochabend. Marktbeobachter erklärten die leichten Kursgewinne beim Euro mit einer allgemein freundlichen Stimmung an den Finanzmärkten sowie einer Gegenbewegung nach den jüngsten Verlusten. Händler sprachen gleichzeitig von einem eher impulsarmen Handel am Devisenmarkt. | Nach dem zehnprozentigen Preisanstieg am Vortag geben die Notierungen wieder nach. Die Sorge vor einer Konjunkturabkühlung und gleichzeitig vor einem | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/rohstoffe-und-devisen-oelpreise-sinken-wieder-1.4266684 | Rohstoffe und Devisen - Ölpreise sinken wieder | 00/12/2018 |
Maja Lunde, Autorin des Bestsellers "Geschichte der Bienen", über das Verhängnis der Klimakatastrophe und was Menschen tun können, um besser mit der Erde umzugehen. Mit der "Geschichte der Bienen" landete Maja Lunde im vergangenen Jahr einen Sensationserfolg. Allein in Deutschland war es 2017 der bestverkaufte Roman. Auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse machte die Norwegerin dennoch wenig Aufhebens um sich. Lieber als über Erfolg redet die 43-Jährige über ihre Angst vor dem Klimaschock, der im Zentrum ihrer Romane steht. | Maja Lunde, Autorin des Bestsellers "Geschichte der Bienen", über das Verhängnis der Klimakatastrophe und was Menschen tun können, um besser mit der Erde umzugehen. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/maja-lunde-autorin-1.4266824 | "Maja Lunde: ""Wir müssen unser Leben generell verändern""" | 00/12/2018 |
Der Deutsche Mieterbund warnt schon jetzt: "Es gibt keine Faktoren, die den Anstieg der Mieten bremsen dürften", sagt Direktor Lukas Siebenkotten. Er befürchtet, dass die höheren Mietpreise bei Neuverträgen zukünftig auch auf bestehende Mieten durchschlagen. Die für Mieterhöhungen maßgebliche ortsübliche Vergleichsmiete "wird in den Städten voraussichtlich um drei bis fünf Prozent steigen", sagt Siebenkotten. Eine Wohnung oder ein Haus zu mieten, ist aber nicht überall teurer geworden, erst recht nicht, wenn man die zum Teil deutlich gestiegenen Löhne berücksichtigt. Das zeigt jetzt eine neue Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). In den meisten Regionen Deutschlands ist demnach die Miete gemessen an den Nettolöhnen nicht teurer, sondern sogar erschwinglicher geworden. Laut Statistischem Bundesamt beläuft sich das mittlere Nettoeinkommen eines Ein-Personen-Haushalts im Durchschnitt auf 2013 Euro. 523 Euro im Monat oder 26 Prozent des Nettoeinkommens gehen davon für die Kaltmiete drauf. Was man dafür bekommen kann, ist jedoch höchst unterschiedlich. In Salzgitter, Pirmasens oder Zweibrücken sind die Mieten im Vergleich zum Lohn bundesweit am niedrigsten, hier kann sich nach Angaben des IW ein Arbeitnehmer für 26 Prozent seines Nettolohns Wohnungen mit 100 Quadratmetern und mehr leisten. In München reiche es dagegen gerade einmal für eine 41-Quadratmeter-Wohnung, in den umliegenden Landkreisen nur für minimal mehr. Das Institut hat bei dieser Rechnung allerdings - methodisch nicht ganz exakt - das Einkommen von Ein-Personen-Haushalten auf alleinstehende Arbeitnehmer mit einem Vollzeitjob übertragen. Ein verblüffendes Ergebnis kommt nun bei einem Fünf-Jahres-Vergleich heraus: 2017 können sich laut IW in zwei Dritteln aller 401 Kreise in Deutschland Vollzeitbeschäftigte von ihrem Nettolohn 2017 mehr Wohnfläche leisten als im Jahr 2013. In einigen Gegenden von Thüringen waren es sogar zehn Prozent mehr als noch vor fünf Jahren. Deutlich stärker als die Mieten seien die Löhne auch etwa in Teilen Westfalens gestiegen, im Emsland oder auch in Nordbayern, heißt es in der Studie. Für Berliner und Münchner sieht die Lage anders aus Anders sieht es in Berlin und vor allem in München und im Umland der Landeshauptstadt aus. Dort hätten sich die mittleren Löhne langsamer erhöht als die Mieten. "In besonders beliebten Gegenden ist Wohnen natürlich deutlich teurer geworden", sagt der IW-Immobilienexperte und Studienautor Michael Voigtländer. Für die Untersuchung im Auftrag der Deutschen Reihenhaus AG wurden Mietspiegel sowie Lohnstatistiken der Bundesagentur für Arbeit ausgewertet, bei den Mieten wurde der durchschnittliche Quadratmeterpreis für eine Wohnung mittleren Ausstattungsniveaus im jeweiligen Kreis herangezogen. Voigtländer rechnet damit, dass der Mietanstieg in den Städten 2019 nicht mehr ganz so stark ausfällt. Die Zuwanderung gehe zurück, zugleich werde mit der verschärften Mietpreisbremse und den neuen Regeln bei einer Modernisierung der Spielraum für Vermieter enger, die Miete zu erhöhen, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Selbst Mieterbund-Direktor Siebenkotten hält es für möglich, "dass sich in den extrem hochpreisigen Städten der Preisanstieg verlangsamt, da Mieten hier nicht mehr bezahlbar sind". Dafür könnte es im Umland der Städte deutlich teurer werden. | Wohnen wird zwar immer teurer. Aber in den meisten Regionen steigen die Löhne schneller als die Mieten. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/wohnung-mieten-preise-1.4266802 | Wo Mieten in Deutschland erschwinglicher geworden sind | 00/12/2018 |
Eurowings-Chef Thorsten Dirks hat eine wichtige Nachricht für seine Kunden, und damit es auch möglichst viele mitbekommen, hat er sie ins neueste Bordmagazin drucken lassen. Seit Beginn des Winterflugplanes Ende Oktober habe Eurowings "rund 30 000 Flüge absolviert, die mit einer Zuverlässigkeit von rund 99 Prozent zu Buche stehen". Dies entspreche dem Qualitätsniveau, "das Sie von uns erwarten". Zu den pünktlichsten Airlines in Europa zu zählen sei "unser Anspruch - und daran werden wir uns messen lassen". Dirks Kunden ist natürlich zu wünschen, dass der Airline-Chef recht behält und die Lufthansa-Tochter 2019 nicht schon wieder so negativ auffällt wie nach der zeitweise chaotischen Übernahme von Teilen der insolventen Air Berlin im vergangenen Sommer. Allerdings wäre noch zu definieren, was genau es denn heißt, zu den pünktlichsten Fluggesellschaften zu gehören, wenn im nächsten Frühjahr die Zahl der Flüge in Europa wieder deutlich ansteigt und die Infrastruktur anders als im verkehrsarmen Winter wieder an ihre Grenzen gerät. Denn nicht wenige glauben, dass das System Luftverkehr dann wieder kollabieren wird. Wer dann noch zu den pünktlichsten Airlines gehört, könnte dennoch schlechten Service bieten (müssen). "Die Infrastruktur wächst nicht, der Druck wird angesichts des Verkehrswachstums weiter steigen", glaubt etwa der Prologis-Berater Gerd Pontius. 2018 war aus Sicht der Passagiere eine einzige Katastrophe. Nach Daten des Fluggastrechteportals EU-Claim sind bis 18. Dezember 28 613 Flüge von, nach und innerhalb Deutschlands annulliert worden. 8420 Flüge waren mehr als drei Stunden verspätet. Die Lufthansa musste demnach 12 523 Flüge streichen, die viel kleinere Eurowings 5091. Ryanair, die viel von Streiks betroffen war, kam auf 1630. Eurowings hatte die meisten Flüge mit mehr als drei Stunden Verspätung (1359), gefolgt von Lufthansa mit 1016. Besonders häufig dabei waren Flüge von Palma de Mallorca nach Köln/Bonn, Düsseldorf und München. Düsseldorf - München war mit 319 Flügen die Strecke, die am häufigsten von Flugausfällen betroffen war. Den geplagten Eurowings- und Lufthansa-Passagieren mag es ein geringer Trost sein, dass drei der fünf am längsten verspäteten Flüge laut EU-Claim Condor zuzurechnen sind. Der Rekord des Jahres 2018 lag bei 50 Stunden und 18 Minuten - Flug DE2235 von Santo Domingo nach Frankfurt, eigentlich geplant für den 13. August. Es hat dann aber doch ein bisschen länger gedauert. Die Airlines kommt das Chaos extrem teuer. Das Fluggastrechte Portal Flightright hat ausgerechnet, dass die Passagiere europaweit insgesamt Ansprüche auf Entschädigungen in Höhe von 800 Millionen Euro haben, 2017 waren es 500 Millionen Euro. Die Kompensationszahlungen sind aber nur ein kleiner Teil der tatsächlichen Kosten. Hinzu kommt der innerbetriebliche Aufwand, um den Flugbetrieb wieder in Ordnung zu bringen. Die Airlines schimpfen bevorzugt über schlechte Flughäfen und die unterbesetzte Flugsicherung. Über Weihnachten, so Lufthansa per Pressemitteilung, hätten 3000 Passagiere in Frankfurt ihren Flug verpasst, weil sie an den Sicherheitskontrollen bis zu 90 Minuten warten mussten. 88 Flüge seien verspätet gestartet, weil Gepäck von Passagieren, die es nicht rechtzeitig geschafft haben, wieder ausgeladen werden musste. Doch was die Kunden derzeit erleben, ist auch Ergebnis eines langjährigen Trends, ausgelöst durch das starke Wachstum der Billigfluggesellschaften, die die Etablierten zwangen zu reagieren: "Der Kostendruck war in den vergangenen 15 Jahren der dominierende Treiber der Luftfahrtbranche", so Pontius. Deswegen "wurden Puffer ausgedünnt zugunsten der Profitabilität, zulasten der Pünktlichkeit und der Zuverlässigkeit der Flugpläne". Selbst kleine Störungen können gravierende Folgen haben Die nötigen Konsequenzen liegen auf der Hand. "Die einzige Chance besteht darin, mehr in Puffer und Infrastruktur zu investieren", glaubt Pontius. "Das kostet viel Geld und ist ohne höhere Flugpreise nicht zu finanzieren. Die reine Fokussierung auf Kosten und möglichst niedrige Preise ist der falsche Weg." Wer also als Passagier wieder mehr Qualität will im Luftverkehr und nicht nur niedrige Preise, der wird bereit sein müssen, dafür zu zahlen. Denn das System ist derzeit bei den meisten Anbietern so knapp kalkuliert, dass selbst eine kleine Störung, die früher noch zu kompensieren war, heute gravierende Auswirkungen hat. Besonders anfällig dafür sind nicht unbedingt Drehkreuz-Betreiber wie Lufthansa, die Umsteigeverbindungen anbieten, sondern auf den Direktverkehr spezialisierte Airlines wie Eurowings. "Die operative Flugsteuerung ist bei Eurowings inzwischen komplexer als bei Lufthansa," so Pontius. "Eine einmal eingefangene Verspätung kann über den Tag hinaus in der Regel nicht mehr aufgeholt werden." Eurowings und Lufthansa betonen, sie hätten ihre Lektion gelernt. Im kommenden Sommer sollen mehr Ersatzflugzeuge und zusätzliche Besatzungen bereitstehen, wenn der Flugplan wieder einmal durcheinandergeraten sollte. Lufthansa hat auch deswegen bei Airbus zusätzliche Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge nachbestellt, obwohl sie das geplante Wachstum für den nächsten Sommer reduziert hat. | Im Chaos-Jahr 2018 beklagten sich die Airlines über schlechte Organisation an Flughäfen und unterbesetzte Flugsicherung. Doch für die vielen Ausfälle sind sie selbst verantwortlich. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/flugzeug-flugverkehr-verspaetung-1.4265871 | Flüge: Billig und mit Verspätung | 00/12/2018 |
Ein neues Gesetz von Justizministerin Katarina Barley (SPD) soll Anlegern mehr Mitspracherecht in Aktiengesellschaften einräumen. So soll die Hauptversammlung künftig auch über Gehaltsrichtlinien für Vorstände abstimmen. Dieses Votum, so heißt es im Referentenentwurf, werde allerdings lediglich einen "beratenden Charakter" haben. Das letzte Wort habe der Aufsichtsrat, so Barleys Vorschlag. "An dieser etablierten Kompetenzordnung soll auch in Zukunft festgehalten werden", heißt es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen. Die Ministerin setzt mit dem Gesetz eine EU-Richtlinie um. Dass Aktionäre künftig nur beraten, sei im Rahmen dieser Richtlinie möglich, heißt es. Obergrenzen für Managergehälter stehen schon heute im Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK), den eine Regierungskommission jährlich überprüft. Doch "eine wirksame Begrenzung überhöhter Managerbezüge und eine Ausrichtung dieser am langfristigen Unternehmenserfolg ist durch die freiwilligen Empfehlungen des DCGK bisher ausgeblieben", bemängelt die wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen, Kerstin Andreae. So verweist sie auf Meldungen über die VW-Managerin Christine Hohmann-Dennhardt, die nach etwa einem Jahr bei dem Unternehmen eine Abfindung von rund zwölf Millionen Euro erhalten habe. Das Justizministerin hält dagegen: "Trotz vereinzelt entgegenstehender Berichterstattung in den Medien hat sich der DCGK als erfolgreiches Instrument der Selbstregulierung erwiesen", heißt es in der Antwort. Empirische Untersuchungen hätten wiederholt bestätigt, dass sich Unternehmen an den Kodex hielten. Weitere Gesetze, die aus den freiwilligen Richtlinien eine Verpflichtung machen, seien daher nicht notwendig. Man setze auf Selbstregulierung. Gegen überhöhte Managergehälter soll aber laut Justizministerium künftig ein Vergütungsbericht helfen. Der müsse Veränderungen bei den Durchschnittsgehältern der Arbeitnehmer in den vergangenen fünf Jahren anzeigen und diese den Managergehältern gegenüber stellen. Auch diesen Bericht sollen Aktionäre in der Hauptversammlung billigen. Dieses Votum "soll eine zusätzliche kontrollierende und disziplinierende Wirkung auf die Praxis der Gesellschaft ausüben", heißt es. Mehr Transparenz wird im neuen Gesetz auch den institutionellen Anlegern, Vermögensverwaltern und Stimmrechtsberatern verordnet. Sie müssen demnach Informationen über ihre Mitwirkungspolitik oder ihre Anlagestrategie veröffentlichen - oder aber erklären, warum sie auf diese Offenlegung verzichten wollen. Wer sich nicht an die neue Regel hält, müsse mit einer Geldbuße von bis zu 25 000 Euro rechnen, heißt es aus dem Ministerium. | Justizministerin Barley will die Mitbestimmungsrechte von Aktionären reformieren - aber moderat. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/aktiengesellschaften-mehr-kontrolle-1.4265645 | Aktiengesellschaften | 00/12/2018 |
An der Wand sind vier Gärtanks aufgereiht; die größeren beiden fassen jeweils 1100 Liter. Laborkittel hängen an einem Kleiderständer, darunter stehen Gummistiefel. Tom Wilson geht zu einem Becken, in dem ein kleiner Haufen Reis liegt, umhüllt von einem Tuch. Er öffnet das Tuch und zeigt die Körner. Der geschälte und gedämpfte Reis ist von einem Schimmelpilz überzogen - und das ist gewollt. "Dies ist der erste Schritt der Sake-Produktion", sagt der 33-Jährige. Sake, also Reiswein, ist Japans Nationalgetränk. Wilsons kleine Sake-Manufaktur befindet sich aber fast 10 000 Kilometer entfernt von Japan, im Süd-Londoner Stadtteil Peckham. Der Brite und seine Frau Lucy eröffneten in dem früher armen, nun sehr hippen Viertel Anfang 2017 die erste Sake-Brauerei des Vereinigten Königreichs. | Japans Nationalgetränk Sake wird im Westen immer beliebter - auch in London. Großbritannien ist einer der am schnellsten wachsenden Märkte für dieses Produkt. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/getraenkeindustrie-reiswein-von-der-themse-1.4265877 | Reiswein von der Themse | 00/12/2018 |
Die US-Börsen haben sich am Mittwoch beflügelt von kräftigen Kursgewinnen bei Hochtechnologie- und Einzelhandelswerten auf Erholungskurs begeben. Händler sagten, die Jagd nach günstigen Kaufgelegenheiten werde voraussichtlich noch ein paar Tage andauern. Der Dow Jones legte um fünf Prozent auf 22 878 Punkte zu. Der Index der Technologiebörse Nasdaq stieg sogar um 5,2 Prozent auf 6512 Punkte. Händler begründeten die Kursaufschläge auch mit einem Bericht des Kreditkartenanbieters Mastercard. Für rund 850 Milliarden Dollar kauften demnach US-Kunden im Feiertagsgeschäft ein. Verglichen mit 2017 stiegen die Einnahmen der Händler vom 1. November bis 24. Dezember um 5,1 Prozent. Das ist der höchste Wert seit sechs Jahren. Der Versandhändler Amazon sprach von einem Rekordverkauf. Bei den Einzelwerten legten die Aktien von Amazon um 9,4 Prozent zu. Die Anteilsscheine des Einzelhändlers Walmart verteuerten sich um rund fünf Prozent. Auch beim sozialen Netzwerk Facebook stiegen die Börsianer wieder ein. Die Aktie schnellte um 8,2 Prozent in die Höhe. Am Montag hatten die Indizes noch zwischen zwei und drei Prozent nachgegeben. Die Anleger waren wegen der jüngsten Entwicklungen in Washington verunsichert. Hintergrund ist der Haushaltsstreit zwischen Präsident Donald Trump und den oppositionellen Demokraten, der teilweise zu einem Stillstand der Arbeit der US-Regierungsbehörden führte. Ferner fuhr Trump eine neue Verbalattacke gegen die US-Notenbank Fed. Finanzminister Steven Mnuchin berief kurzfristig eine Krisengruppe aus Vertretern von Aufsichtsbehörden zu Beratungen über die jüngste Börsentalfahrt ein. Hierzulande wurde wie an den meisten anderen Börsenplätzen in Europa von Montag bis einschließlich Mittwoch wegen der Weihnachtsfeierlichkeiten nicht oder nur verkürzt gehandelt. Der Aktienmarkt in Japan erholte sich nur leicht von den jüngsten Kurseinbrüchen. Nach einer Berg-und-Talfahrt schloss der Nikkei-225-Index knapp ein Prozent höher. Der vorangegangene Kursrutsch an der Wall Street hatte dem japanischen Börsenbarometer am Dienstag ein Minus von fünf Prozent eingebrockt. Die Aktien der Schwergewichte Toyota und Sony waren je fünf Prozent abgesackt. Als Exportwerte wurden sie zusätzlich von der anziehenden japanischen Währung belastet. | Nach den jüngsten Verlusten an den US-Börsen nutzen Schnäppchenjäger die Gelegenheit zum Aktienkauf. Der Dow Jones legt stark zu. Auch die Börse in Japan schließt im Plus. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/boersen-kraeftige-erholung-an-der-wall-street-1.4265643 | Kräftige Erholung an der Wall Street | 00/12/2018 |
Der Euro hat sich am Mittwoch nach den Kursverlusten der vergangenen Woche etwas stabilisiert. Am Freitag hatten noch schwache Daten aus wichtigen Ländern der Eurozone den Euro belastet und unter die Marke von 1,14 Dollar gedrückt. Die Gemeinschaftswährung konnte sowohl am Montag als auch am Mittwoch Boden gut machen, was auf die Verluste des Dollar zurückzuführen war. Die Gemeinschaftswährung notierte zeitweise 0,4 Prozent höher bei 1,1421 Dollar. Vor allem die Sorgen um den Zustand der US-Wirtschaft belasteten die Stimmung. Auch die Aussicht auf weitere Zinserhöhungen in den USA machten die Anleger am Devisenmarkt unruhig. Zum Yen gab der US-Dollar deutlich nach. Die Notierung fiel zeitweise auf rund 110 Yen je Dollar, den niedrigsten Stand seit vier Monaten. Die japanische Währung gilt unter Anlegern als sicherer Hafen. Japan sorgt sich vor einem Wiedererstarken der heimischen Währung. "Wir haben die Marktbewegungen eng im Blick", sagte Vize-Finanzminister Masatsugu Asakawa am Dienstag nach einem Treffen mit Vertretern der Notenbank. Wenn sich die Schwankungen am Markt verstärkten, werde die Regierung die notwendigen Maßnahmen ergreifen, fügte er hinzu, ohne Details zu nennen. Die Ölpreise legten kräftig zu. Ein Barrel der Nordseesorte Brent (159 Liter) kostete am Mittwochabend 54,60 Dollar. Das waren 8,8 Prozent mehr als am Montag. Der Preis für ein Barrel der US-Sorte WTI stieg sogar um knapp zehn Prozent auf 46,59 Dollar. Die vorherigen Verkäufe seien zum Teil übertrieben gewesen, sagte ein Analyst. Experten verwiesen zudem auf Hoffnungen, dass sich das Ölproduzenten-Kartell Opec und seine Partner erneut treffen könnten, um eine Begrenzung ihrer Förderung zu diskutieren. Nach Auffassung des russischen Energieministers Alexander Novak dürfte der Ölmarkt in der ersten Hälfte des kommenden Jahres stabiler sein. | Die US-Währung gibt in dem normalerweise ruhigen Feiertagshandel sowohl zum Euro als auch zum japanischen Yen nach. Zu groß sind derzeit die Sorgen vor der Abschwächung der US-Konjunktur. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/rohstoffe-und-devisen-dollar-mit-verlusten-1.4265647 | Rohstoffe und Devisen - Dollar mit Verlusten | 00/12/2018 |
Der asiatische Staat deckelt die Zahl seiner Autos und hat dafür ein besonders engmaschiges Netz von Bussen und U-Bahnen errichtet. Das funktioniert, aber viele träumen dennoch vom eigenen Fahrzeug. Der Student Yue Jie hat es natürlich ausprobiert. Wie lange braucht er mit dem Auto zur Uni und wie lange mit U-Bahn und Bus? Neulich nahm er also den Wagen seiner Mutter, denn ein eigenes Auto besitzt der 24-Jährige nicht. Ob jung oder alt, sehr viele Menschen haben in Singapur kein eigenes Auto. "Wir sind daran gewöhnt", sagt Yue. "Wir kommen damit schon klar, auch wenn es manchmal ganz schön kompliziert ist. Aber alles in allem: Kein großes Ding, ohne Auto." Eine gute halbe Stunde fuhr er also mit dem Auto seiner Mama zur Uni, gar nicht schlecht für eine Strecke von Simei nach Clementi, einmal quer über die Insel, vom Osten in den Westen der Stadt. Mit dem öffentlichen Nahverkehr braucht Yue täglich zwischen 70 bis 90 Minuten, je nach Anschlusszeiten der Busse. Zwei bis dreimal so lange wie mit dem Auto. "Das ist ganz schön viel", dachte sich der junge Mann nach diesem Test. Und doch: "Ein Auto ist keine Alternative für mich, das kostet alles viel zu viel, Anschaffung, Zulassungskosten, Steuern, City-Maut, Parkgebühren, Instandhaltungskosten." Jedes Auto, und sei es noch so klein, ist hier eine Großinvestition, die sich jeder zweimal überlegt. Ein 1,6-Liter-Auto kostet hier dreimal so viel wie in den USA und fünfmal so viel wie in Japan. "Viele Eltern sagen ihren Kindern, wenn sie groß werden: Vergiss das mit dem eigenen Auto und investier lieber in eine Wohnung, davon hast du später mehr." Dass Autos so teuer sind, hat natürlich System in einem Land, das nichts dem Zufall überlässt. Für den Verkehr bedeutet dies, dass das Credo des früheren Transportministers Lui Tuck Yew immer noch Gültigkeit hat: "Privates Autofahren kann nicht die Mobilitätslösung für Städte des 21. Jahrhunderts sein." Die Ironie der Geschichte: Jene, die in dieser Stadt ein Auto besitzen, stoßen auf den Straßen auf nahezu paradiesische Zustände. Denn alles fließt. Meistens jedenfalls. Und wenn es doch mal "stop and go" gibt, trommeln die Taxifahrer schon ungeduldig auf ihr Lenkrad und schimpfen, warum sie schon wieder in einem Stau stehen, der eigentlich gar keiner ist. In den Nachbarmetropolen Jakarta, Manila oder Bangkok geht es schon ganz anders zu, dort wälzt sich der Autoverkehr wie zähe urbane Lava durch die Häuserschluchten, immerzu ätzend und äußerst ungesund. Detailansicht öffnen Staus? Von wegen. Die Autodichte in München ist etwa dreimal so hoch wie in Singapur. Wer da ein Auto besitzt, hat es eher bequem und stressfrei. (Foto: Nicky Loh/Bloomberg) Auch der Singapurer Yue weiß natürlich, dass es mit der flotten Autofahrt zur Singapurer Uni schnell vorbei wäre, wenn jeder in seiner Stadt auf einmal mit dem eigenen Wagen herumdüsen würde. Die Zahl der Fahrzeuge - und das macht diese Stadt sehr besonders - ist nach oben hin gedeckelt. In den vergangenen Jahren stieg sie nur noch sehr langsam an, für 2018 soll der Zuwachs sogar auf null gedrosselt werden. Die Autodichte in München ist etwa dreimal so hoch wie in Singapur. Wie das alles geht? Die Stellschraube hat drei Buchstaben und heißt COE. Das "Certificate of Entitlement" ist die Zulassung für ein Kraftfahrzeug - und eines der kostbarsten Papiere, die der Staat zu vergeben hat. Die COE ist für eine Laufzeit von zehn Jahren zu ersteigern, dann wird ein Wagen in der Regel verschrottet oder ins Ausland weiterverkauft, und die frei werdende COE kommt erneut auf den Markt. Die Nachfrage regelt den Preis, er schwankt manchmal mächtig hin und her, wer Glück hat, bezahlt für seine Zulassung 20 000 Euro, es können aber auch, wie noch vor wenigen Jahren üblich, um die 60 000 Euro sein. So wird jedes Auto zum kostspieligen Privileg, und das ist nicht gerade populär. Längst nicht alle jungen Leute sind begeistert, dass sie jeden Tag U-Bahn und Bus fahren. Eine Umfrage ergab 2016, dass immerhin zwei Drittel der 18- bis 35-Jährigen in Singapur noch immer vom eigenen Auto träumen. Dennoch ist eine strikte Begrenzung des Individualverkehrs in einem Staat mit teils beschränkten Freiheiten durchsetzbar - aber auch nur, solange es praktikable Alternativen gibt. Viele Pendler sind täglich an die zwei Stunden in Bus und U-Bahn unterwegs In Singapur funktioniert das vor allem deshalb recht gut, weil der Staat schon sehr früh und weitsichtig vorgebaut und seine Insel konsequent mit Bus und U-Bahn vernetzt hat. Dazu kommt - und auch das ist für den Erfolg des Systems wesentlich - dass einzelne Taxifahrten für viele immer noch bezahlbar erscheinen. Kürzere Strecken kosten 2,50 Euro, für lange Touren über die 50 Kilometer breite Insel muss man etwa 25 Euro hinlegen. Fürs tägliche Pendeln auf langen Strecken taugt das Taxi damit kaum, für einzelne zwingende Erledigungen zwischendurch aber eben schon. Detailansicht öffnen Die Serie "Unterwegs in die Zukunft. Leben ohne eigenes Auto" ist im SZ-Wirtschaftsteil zwischen 15. Dezember 2018 und 2. Februar 2019 erschienen. Im Jahre 2016 waren sechs von zehn singapurischen Haushalten bereits weniger als zehn Minuten zu Fuß von einer Bushaltestelle oder einer U-Bahn entfernt. Bis 2030 sollen es acht von zehn sein, dann will der Staat sein Schienennetz auf 360 Kilometer verdoppelt haben. Größere Laufdistanzen in den heiß-feuchten Tropen mit häufigen Stürmen und sehr viel Regen empfinden viele Bürger als unzumutbar. "Aber in Singapur gibt es doch nur sehr wenige Stellen, die man mit dem öffentlichen Verkehr gar nicht erreichen kann", sagt der Student Yue. "Deshalb haben sich viele daran gewöhnt, ohne Auto auszukommen." Ein heikles Thema bleiben dennoch die langen Fahrzeiten, die meisten Menschen sind in Singapur am Tag etwa zwei Stunden in Bus und U-Bahn unterwegs. Das bringt zwar eine gute Auslastung und ermöglicht extrem günstige Tarife, aber es ist doch auch eine lange Zeit, wie Experten einer Studie des Lee Kuan Yew Centre for Innovative Cities anmerken. Deshalb wird unter anderem daran gearbeitet, wie man Arbeitsplätze aus dem Central Business District in andere Gebiete verlagern kann, sodass tägliche Wege kürzer werden. Transportexperte Walter Theisera von der Singapore University of Social Science sagt: "Leute kaufen vor allem Autos, um Zeit zu sparen." Am kompliziertesten ist es wohl für junge Familien. "Es ist einfach nervtötend mit kleinen Kindern im Bus oder der U-Bahn", sagt Joanne-Marie Sim, Mutter von zwei kleinen Kinder, in einem Interview mit Channel News Asia. In Stoßzeiten gelingt es manchmal gar nicht, sich noch mit dem Kinderwagen in den Zug hineinzuquetschen. Nur: Für das Second-Hand-Auto, das sich die Familie gekauft hat, muss sie aber doch auch Opfer bringen. Die Renovierung der Wohnung ist erst einmal abgesagt. | Der asiatische Staat deckelt die Zahl seiner Autos und hat dafür ein besonders engmaschiges Netz von Bussen und U-Bahnen errichtet. Das funktioniert, aber viele träumen dennoch vom eigenen Fahrzeug. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/singapur-wer-fahren-will-muss-viel-zahlen-1.4265883 | Wer fahren will, muss viel zahlen | 00/12/2018 |
Es riecht leicht nach verbranntem Toast. Der Geruch geht aber nicht von kokelndem Weißbrot aus, sondern von Kaffeebohnen, die in einer großen Apparatur in der Mitte des Raumes geröstet werden. Lärmend dreht sich die kupferne Rösttrommel des Geräts. An einer Wand sind 60-Kilo-Säcke Rohkaffee auf einer Palette gestapelt. Direkt am Eingang steht ein Tresen, dahinter hantieren junge Männer an Kaffeemaschinen. Die Tafel vor der Theke gibt die Preise an. Egal ob Espresso, Cappuccino oder Latte - alles kostet 1,50 Pfund, etwa 1,65 Euro. Das ist billig, sehr billig. Doch dieses kleine Café samt Rösterei ist auch kein gewöhnlicher Betrieb: Der gekachelte Raum befindet sich in einem Flügel des Jugendgefängnisses Aylesbury. | Britische Gefängnisse sind überfüllt, Häftlinge finden nach der Entlassung keinen Job und werden rückfällig. Ein Deutscher hat eine Kaffeerösterei eröffnet, um aus Sträflingen Bohnenspezialisten zu machen. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/grossbritannien-gefaengnis-kaffeeroesterei-barista-1.4264274 | Großbritannien - Baristas hinter Gittern | 00/12/2018 |
Es geht um eine Luxusfrage, mit der sich jedes Jahr Hunderttausende herumplagen. Die Lebensversicherung wird mit dem Eintritt in den Ruhestand ausbezahlt, oder es gibt beim Ausscheiden aus dem Betrieb eine hohe Abfindung. Man erbt eine ansehnliche Summe oder eine Immobilie ist schuldenfrei und wird verkauft. Was aber soll man dann mit zum Beispiel 100 000 Euro am besten tun? Wie lässt sich das Kapital in laufendes Einkommen umwandeln, um jeden Monat eine sichere, attraktive Zusatzrente zu bekommen? Zum Ziel führen viele Wege, aber nicht alle lohnen sich wirklich. Der Klassiker Sofortrente Die Sofortrente gilt als Standardprodukt für alle, die aus einem Batzen Geld eine lebenslange Rente machen wollen. Dabei wird das gesamte Kapital auf einen Schlag in eine private Rentenversicherung eingezahlt, die dann jeden Monat bis zum Tod des Versicherten eine Zusatzrente auszahlt. Die Sofortrente kommt deshalb vor allem für Menschen in Frage, die im Alter ein Zusatzeinkommen brauchen, große Sicherheit schätzen, sich nicht um ihr Geld aktiv kümmern wollen - und erwarten, lange zu leben. "Man muss aber schon sehr alt und deutlich über 90 werden, damit sich das wirklich lohnt und der Kunde über die Jahre mehr zurückbekommt, als er am Anfang eingezahlt hat", sagt Niels Nauhauser, Finanzexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Die Versicherer müssen nämlich damit rechnen, dass ihre Kunden lange leben - und sie entsprechend lange zu zahlen haben. "Und dieses Risiko lassen sie sich teuer bezahlen", sagt der Rentenspezialist Werner Siepe. Hinzu kommt, dass das eingesetzte Kapital bei neuen Verträgen nur noch mit 0,9 Prozent garantiert verzinst wird. "Zieht man die Kosten ab, bewegt sich die Rendite bei solchen Verträgen dann gegen Null Prozent", warnt Nauhauser. So hat die Stiftung Warentest vor einem Jahr 26 Angebote untersucht. Das Ergebnis: Setzt ein 65-jähriger Modellkunde 100 000 Euro ein, zahlt ihm der Testsieger, der Versicherer Europa, lebenslang eine garantierte Rente von 321 Euro im Monat, ohne Überschüsse gerechnet. Erst ab dem 91. Geburtstag bekommt ein Kunde garantiert mehr ausgezahlt, als er eingezahlt hat. Die Versicherung garantiert aber, die Rente 20 Jahre lang zu bezahlen, wenn der Kunde früh stirbt. So haben mögliche Kinder oder Partner auch noch etwas vom eingezahlten Geld. Diese Garantie kostet einen Aufschlag. Verzichtet der Einzahler darauf, wäre die Rente bei der Europa um 18 Euro höher. Fazit: Sofortrenten sind bequem und sicher, der Ertrag allerdings oft so mager, dass es bessere Möglichkeiten gibt. Wer sich trotzdem dafür entscheidet, sollte Angebote vergleichen, raten Verbraucherschützer. Die richtige Wahl kann gut 20 Euro mehr oder weniger im Monat ausmachen. Für schwerkranke Menschen ist die Sofortrente eher nichts. Gute alte Verträge Ganz anders sieht es aus, wenn die Sparer alte Lebensversicherungen aus den 80- und 90er Jahren oder einen Vertrag bis Ende 2003 abgeschlossen haben - aus zwei Gründen. Der Garantiezins war damals mit bis zu 4,0 Prozent noch deutlich höher. Außerdem kalkulierten die Versicherer mit einer kürzeren Lebenserwartung. Diese alten Zusagen sind weiter gültig. Hat also der Kunde das Wahlrecht und kann sich die Versicherung verrenten lassen, springt eine deutlich höhere Sofortrente heraus als bei den Neuverträgen. Experte Siepe rät, sich einmal auszurechnen, wie viele Monate/Jahre es dann dauert, bis man sein eingesetztes Kapital über die Zusatzrente zurückbekommen hat. Fazit: "Angesichts der Minizinsen am Kapitalmarkt und fehlender sicherer Anlagealternativen kann sich bei solchen Altverträgen eine Sofortrente lohnen", sagt Finanzexperte Nauhauser. Auszahlplan der Bausparkasse Auch Bausparkassen bieten Auszahlpläne an. Besonders attraktiv sind nach den Berechnungen des Finanzmathematikers Siepe die Angebote der Debeka und der Bausparkasse Mainz. Beispiel: Ein 65-Jähriger zahlt 100 000 Euro ein, vereinbart das Kapital komplett aufzubrauchen und sich dafür 25 Jahre eine Zusatzrente monatlich auszahlen zu lassen. Die Zinsen sind bei beiden Anbietern gestaffelt, je länger die Laufzeit, desto mehr gibt es. Bei 25 Jahren beläuft sich der feste Zinssatz auf 1,75 Prozent. Die Summe aller Auszahlungen liegt dann bei 123 300 Euro oder monatlich 411 Euro. Das bringt deutlich mehr als ein von 2004 an abgeschlossener Vertrag bei einer privaten Rentenversicherung. Hier springen nach 25 Jahren weniger als 100 000 Euro heraus. Dafür ist das Geld beim Angebot der Bausparkasse verbraucht, wenn der 65-jährige Kunde mehr als 90 Jahre alt wird. Anleger, denen das zu riskant ist, haben noch zwei andere Optionen: Sie vereinbaren eine Laufzeit von 30 Jahren, bei der Bausparkasse Mainz ist das möglich. Die monatliche Zahlung sinkt dann auf 369 Euro, dafür steigt der feste Zins auf 2,0 Prozent und die Auszahlungssumme auf 132 840 Euro. Oder sie legen einen Teil der Zusatzrente zurück auf ein Tagesgeldkonto, um für ein Alter von 90 aufwärts eine Reserve zu haben. Nauhauser rät, das Thema Pflege nicht zu vergessen. "Viele ältere Menschen beschäftigt die Frage: "Bin ich flüssig genug, wenn ich ein Pflegefall werde?", sagt er. Fazit: "Diese Angebote sind wenig bekannt, aber eine echte Alternative für Kunden, die auf Sicherheit großen Wert legen", sagt Siepe. Er rät, bei der Hausbank nachzufragen, ob diese bei diesen Angeboten mithalten kann. Meist sei dies allerdings nicht der Fall. Die Konditionen der Geldinstitute seien schlechter, deren Laufzeiten für Auszahlpläne beliefen sich oft nur auf fünf oder zehn Jahre. | Rückt der Ruhestand näher, quält viele Anleger eine Frage: Wie lässt sich zum Beispiel das Geld aus einer Lebensversicherung in eine Zusatzrente umwandeln? Ein Leitfaden. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/altersvorsorge-geld-fuer-ein-langes-leben-1.4264270 | Altersvorsorge - Geld für ein langes Leben | 00/12/2018 |
Nach sechs Gewinnjahren in Folge wird der deutsche Leitindex Dax 2018 wohl mit einem Minus enden. Experten sprechen schon von einer schlechten Stimmung bei Anlegern. In der verkürzten Weihnachtswoche hoffen die Anleger am deutschen Aktienmarkt auf ein halbwegs versöhnliches Ende eines verkorksten Jahres. Doch an diesem Donnerstag und Freitag dürfte es kaum gelingen, die bislang miese Bilanz noch entscheidend aufzupolieren. "Die Stimmung der Anleger hat inzwischen Züge der Kapitulation angenommen", beschrieb Guido Schäfers im Bernecker-Börsenbrief die aktuelle Lage. Belastungsfaktoren wie die Sorge vor steigenden Zinsen, die Anleihen attraktiver machen könnten, die internationalen Handelsstreitigkeiten oder der Brexit dürften Börsianern zufolge dafür sorgen, dass der deutsche Leitindex Dax nach sechs Gewinnjahren in Folge 2018 nun wohl im Minus endet. Die vergangene Handelswoche beendete der Dax 2,1 Prozent im Minus. | Nach sechs Gewinnjahren in Folge wird der deutsche Leitindex Dax 2018 wohl mit einem Minus enden. Experten sprechen schon von einer schlechten Stimmung bei Anlegern. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/finanzmaerkte-schwaches-aktienjahr-geht-zu-ende-1.4264281 | Finanzmärkte - Schwaches Aktienjahr geht zu Ende | 00/12/2018 |
In diesem Jahr wurde viel über Gerechtigkeit diskutiert. Gut so, Politik und Öffentlichkeit sollten aber vor allem über Chancengerechtigkeit reden, denn die Weichen für ein besseres Leben werden bei den Kindern gestellt. Dieses Weihnachten wird es den Predigern leicht fallen, ihr Thema zu finden: Es könnte mit gutem Grund die Gerechtigkeit im Land sein. Viele Menschen haben in diesem Jahr über Gerechtigkeit geredet und geschrieben. Offensichtlich ist es ein starkes Gefühl im Land, dass es nicht mehr gerecht zugehe in der Gesellschaft, in der Welt sowieso nicht, aber auch nicht im wirtschaftlich starken Deutschland. Es gibt freilich andere, die mit ebenfalls guten Gründen diese Sorgen relativieren. Das Problem der Debatte ist, dass niemand verbindlich definieren kann, was Gerechtigkeit ist, oder besser: Wann es gerecht und wann ungerecht zugeht. Seit Jahrhunderten schlagen sich die Denker damit herum, allgemein gültige Maßstäbe dafür zu entwickeln, was gerecht ist oder sozial - und besonders, wie man in diesen Zustand kommt. Je nach Zeitgeist waren die Ergebnisse sehr unterschiedlich. Erst recht schwierig wird es, wenn es um konkrete Sachverhalte geht, schon die Datenermittlung ist ein Hindernis, auch im Vergleich heute zu früher. Welchen Zeitraum nimmt man für die Frage, wie gerecht es in Deutschland (noch) zugehe? Wie bewertet man unterschiedliche Vermögenszustände? Wie schlagen Umweltbedingungen, eigene Leistung, Fremdzuwendungen, Transfers oder ideelle Werte zu Buche? In Deutschland wurde heftig über Hartz IV diskutiert. Stigmatisiert das von der rot-grünen Regierung eingeführte Arbeitslosensystem diejenigen, die in der Leistungsgesellschaft scheitern, oder hilft es vielen sogar, damit sie möglichst schnell zurück in Arbeit finden? Hat Altersarmut bereits ein bedrohliches Niveau erreicht oder geht es den Rentnern mit wenigen Ausnahmen nicht eklatant besser als ihren Eltern und Großeltern in viel härteren Zeiten? Darüber kann man lange streiten. Politik und Öffentlichkeit sollten sich besser auf einen Minimalkonsens verständigen und eine spezielle Form der Gerechtigkeit in den Blick nehmen: die Chancengerechtigkeit. Dabei geht es um die Erkenntnis, dass die beste Gesellschaft diejenige ist, die es möglichst vielen Menschen ermöglicht, aus ihrem Leben etwas zu machen. Chancengerechtigkeit darf nicht nur theoretisch gelten, wie in der berühmten Formulierung der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776, wo das "Streben nach Glück" neben Leben und Freiheit als unveräußerliches Recht jedes Menschen postuliert wurde, sondern Chancengerechtigkeit muss ganz konkret und im Alltag einlösbar sein. Gerecht ist eine Gesellschaft, die allen Menschen effektive Startmöglichkeiten gibt, und jenen, die benachteiligt sind, einen Extra-Schub. In diesem Sinne geht es in Deutschland ganz sicher nicht ausreichend gerecht zu, weil immer noch viel mehr Akademiker-Kinder ins Studium und auf Elite-Akademien kommen als Kinder aus sogenannten einfachen Verhältnissen. Weil Privatschulen boomen und auf den Business Schools die Kinder von Managern und Unternehmern den Ton angeben. Weil Kinder von Alleinerziehenden tendenziell schlechte Zukunftsperspektiven haben, von Kindern aus Hartz-IV-Haushalten ganz zu schweigen. Chancengerechtigkeit also ist sehr wichtig, auf sie muss man sich konzentrieren. Sie ist wichtiger als alle anderen Formen der Gerechtigkeit, und sie braucht deshalb auch die höchste Aufmerksamkeit des Staates. Hierher müssen besonders viele soziale Transfers umgeleitet werden, hierfür müssen die Bemühungen in den Schulen konzentriert werden, hier müssen sich Spender und Stifter engagieren. Was immer am Ende als gerecht angesehen wird, die Weichen für ein besseres Leben werden bei den Kindern gestellt. | In diesem Jahr wurde viel über Gerechtigkeit diskutiert. Gut so, Politik und Öffentlichkeit sollten aber vor allem über Chancengerechtigkeit reden, denn die Weichen für ein besseres Leben werden bei den Kindern gestellt. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/kommentar-wer-wirklich-schwach-ist-1.4264262 | Kommentar - Wer wirklich schwach ist | 00/12/2018 |
Die Wirtschaft Afrikas ist wieder in den Schlagzeilen. Vor ein paar Tagen fand in Wien das EU-Afrika-Forum statt, in dem zu mehr europäischen Investitionen in Afrika aufgerufen wurde. Im Oktober schon empfing Bundeskanzlerin Angela Merkel afrikanische Regierungschefs zum Afrikagipfel in Berlin. Hauptfokus ebenfalls: die Ankurbelung privater ausländischer Investitionen - auch von deutscher Seite - in afrikanische Länder. Merkel hat eine Summe von bis zu einer Milliarde Euro, für die jetzige Legislaturperiode, zum Aufbau eines Investitionsfonds in Aussicht gestellt. Dieser soll das Ziel haben, die Risiken bei Investitionen in Afrika abzusichern. Doch solche Instrumente werden wohl nicht ausreichen, denn häufig fehlt es in Afrika an den grundlegenden Strukturen für Investitionen. Trotz vieler guter Absichten ist die deutsche Bilanz, was Investitionen in Afrika angeht, bislang mau. Von rund 112 Milliarden Euro, die von deutschen Unternehmen 2017 im Ausland investiert wurden, gingen gerade einmal 0,5 Prozent nach Afrika - und dort hauptsächlich nach Südafrika, das Land mit der am besten entwickelten Wirtschaft auf dem Kontinent. Das geringe Engagement ist aber keine Besonderheit deutscher Investoren. Insgesamt sind ausländische Direktinvestitionen auf dem afrikanischen Kontinent niedrig, und es hat in den vergangenen Jahrzehnten keinen nennenswerten Zuwachs gegeben. Es gehen gerade einmal rund 2,5 Prozent aller weltweiten Direktinvestitionen nach Afrika. Damit verpasst der Kontinent viele Entwicklungsmöglichkeiten. Wirtschaftswissenschaftliche Studien zeigen klar, dass ausländische Investitionen ein großes Potenzial haben, um die Wirtschaft im Empfängerland anzukurbeln. Sie bringen wichtiges Kapital in das Land und schaffen Arbeitsplätze in neu gegründete Unternehmen. Wichtiger sind jedoch die Transfereffekte, die durch solche Investitionen entstehen: Viele Studien zeigen, dass durch die Kooperation von einheimischen Betrieben mit multinationalen Unternehmen Wissen an die ersteren transferiert wird. Dieses Wissen betrifft beispielsweise die Modernisierung des Produktionsprozesses, Produktinnovationen, die Bereitstellung von Aus-, und Weiterbildungsmöglichkeiten, der Transfer von Technologie sowie die gemeinsame Gestaltung von Produkten. Dies steigert die Produktivität und Innovationskraft in einheimischen Unternehmen, was sich wiederum positiv auf Beschäftigung und Löhne auswirkt. Durch solche Wissenstransfers können die Modernisierung und der Ausbau der einheimischen Wirtschaftstätigkeit gefördert werden. Eine stärkere Investitionstätigkeit ausländischer Unternehmen in Afrika könnte also dementsprechend als wichtige "Hilfe zur Selbsthilfe" dienen - wenn sie denn nur stattfände. Investoren brauchen Sicherheit. Geld sollte daher in stabilisierende Institutionen fließen Grundsätzlich bieten die Länder des afrikanischen Kontinents gute Voraussetzung für eine stärkere Investitionstätigkeit und damit einhergehend einer stärkeren Integration in die Weltwirtschaft. Dafür spricht eine große und junge Bevölkerung, die mit der richtigen Ausbildung und technischen Fertigkeiten ausgestattet ein enormes Reservoir an Fachkräften bilden könnte. Auch die geografische Nähe zu Europa, das neben Asien der größte Handelspartner Afrikas ist, bietet einen zentralen Vorteil für investierende Unternehmen aus Europa. Ein entscheidendes Problem, welches es zu überwinden gilt, ist eher wirtschaftspolitischer Natur: Für ausländische Investitionen ist entscheidend, dass die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gegeben sind, um unvorhergesehene Risiken zu vermeiden oder zumindest abzuschwächen. Gerade in afrikanischen Ländern sind jedoch häufig jene Institutionen schlecht entwickelt, die für diese sicheren und stabilen Rahmenbedingungen sorgen. So ist zum Beispiel Korruption ein ernst zu nehmendes Problem: Acht der zehn Länder mit dem höchsten Korruptionsindex von Transparency International befinden sich in Afrika. Das schreckt ausländische Investoren ab. Ob die eine Milliarde Euro, die Kanzlerin Merkel für Investitionsgarantien in Aussicht gestellt hat, hier einen großen Unterschied machen wird, ist fraglich. Nach Informationen des Bundeswirtschaftsministeriums ist der Bund schon jetzt mit Investitionsgarantien in Milliardenhöhe in Afrika involviert. Trotzdem sind die Investitionen von deutschen Unternehmen gering. Dass diese durch eine weitere Milliarde, verteilt über die Legislaturperiode (sprich drei Jahre), signifikant erhöht werden, ist eher unwahrscheinlich. Um ausländische Investitionen nachhaltig anzukurbeln, bedarf es vielmehr einer allgemeinen Reform wirtschafts- und sozialpolitischer Rahmenbedingungen in afrikanischen Ländern, um die notwendigen Grundlagen zu schaffen. Institutionen müssen geschaffen werden, um Korruption zu bekämpfen und damit Investoren und Unternehmen Sicherheit zu gewährleisten. Der Aus- und Weiterbildungssektor benötigt weitreichende Investitionen, um die für eine Modernisierung der eigenen Wirtschaft notwendigen qualifizierten Arbeitskräfte zu schaffen. Eine aktive und angemessene Investitionspolitik seitens afrikanischer Länder würde dazu beitragen, ein unternehmerfreundliches Klima zu schaffen und damit geeignete Investitionsquellen zu identifizieren und anzuziehen, welche die Wahrscheinlichkeit von Wissenstransfers und Modernisierung erhöhen. Nur dann besteht längerfristig die Möglichkeit, Investitionen aus dem Ausland zu bekommen, die nachhaltig die einheimische Wirtschaft beleben können und dadurch positiv zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in afrikanischen Ländern beitragen. Die Entwicklungspolitik der Bundesregierung unterstützt auch heute schon Maßnahmen, die der Korruptionsbekämpfung und dem Ausbau der Bildung insbesondere in afrikanischen Ländern dienen. So wurden laut Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit 2016 rund 555 Millionen Euro in Bildungsmaßnahmen in Entwicklungsländern investiert. Anstatt Geld zur Risikoabsicherung zu geben, sollte man aber lieber solche Projekte unterstützen, die Institutionen und Bildung in afrikanischen Ländern stärken. Sobald sich in einem Land stabile Institutionen entwickeln, die die Risiken für Investoren senken, werden sich Unternehmen finden, die in diesen Ländern investieren wollen - auch ohne staatliche Absicherung. | Deutsche Unternehmen investieren wenig in Afrika. Damit werden viele Entwicklungsmöglichkeiten verpasst - auf beiden Seiten. Nötig wären sichere Rahmenbedingungen. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/forum-es-geht-noch-mehr-1.4264268 | Es geht noch mehr | 00/12/2018 |
Wirtschaftsverbände und Unionspolitiker bestehen auf raschen Entlastungen für deutsche Unternehmen. Um Wachstum und Arbeitsplätze zu sichern, sei eine "umfassende rechtsformneutrale Unternehmensteuerreform mit echten Entlastungen" nötig, forderte Hans Michelbach, Vize-Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag am Wochenende in Berlin. Unternehmen sollten künftig nur noch maximal 25 Prozent Steuern zahlen, sagte Michelbach. Die Gewerbesteuer sollte vollständig auf Einkommen-und Körperschaftsteuer angerechnet, Abschreibungsbedingungen verbessert und der Solidaritätszuschlag für Unternehmen gestrichen werden. Spitzenverbände der Wirtschaft erheben ähnliche Forderungen. "Bei den Steuern gibt es dringenden Handlungsbedarf", sagte Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, in Berlin. "Wenn sich die Koalition intern nicht auf Entlastungen für unsere Unternehmen einigen kann, nimmt sie billigend in Kauf, dass die deutsche Wirtschaft an Wettbewerbsfähigkeit einbüßt." Besonders drastisch hört sich die Warnung von Dieter Kempf an, dem obersten Industrielobbyisten Deutschlands. Für Unternehmen werde es "zunehmend existenzgefährdend", dass sich die Bundesregierung nicht dem internationalen Steuerwettbewerb stelle. Hintergrund der Sorge ist der von US-Präsident Donald Trump ausgelöste Steuerwettbewerb. Trump hat Unternehmen in den USA steuerlich massiv entlastet. Die britische Premierministerin Theresa May hat angekündigt, die Unternehmensteuern nach dem Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union zu senken, um damit Standortnachteile auszugleichen. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron will die Steuern für Unternehmen senken. Die Sorge ist nun, dass deutsche Unternehmen bei gleichbleibender Steuerlast zu teuer werden könnten. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat den lauten Forderungen nach massiven Steuersenkungen für Unternehmen bereits eine Absage erteilt. Allerdings plant er, solche Unternehmen, die forschen, steuerlich zu entlasten. Eine entsprechende Gesetzesinitiative soll nach Information der Süddeutschen Zeitung Anfang kommenden Jahres gestartet werden. Scholz plädiert dafür, den Standort Deutschland insgesamt attraktiver zu machen, anstatt Steuern zu senken. Michelbach beziffert die Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften aktuell auf mehr als 30 Prozent. Sie könne bei Personenunternehmen schon mal mehr als 50 Prozent betragen. Moniert wird vor allem der Solidaritätszuschlag, der von der Einkommensteuer abhängt. Deutschland entwickle sich "zu einem Höchststeuerland", warnte Michelbach. Diese Gefahr müsse zügig mit einer umfassenden Reform gebannt werden, "bevor es zu einem Verlust an Standortattraktivität mit negativen Rückwirkungen auf Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze kommt." | Wirtschaftsverbände und Unionspolitiker fordern deutliche Entlastungen, um im internationalen Wettbewerb mithalten zu können. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/unternehmenssteuern-25-prozent-reichen-1.4264443 | Unternehmenssteuern - 25 Prozent reichen | 00/12/2018 |
Steve Wynn hat wirklich kein Glück mit seinen Picasso-Gemälden. 2006 durchstieß er nach eigenen Angaben versehentlich das Werk "Le Rêve" mit seinem Ellbogen, danach kämpfte er öffentlichkeitswirksam mit seinem Versicherer um die Höhe der Entschädigung. Jetzt hat der schillernde Milliardär und Kasinokönig aus Las Vegas ein neues Picasso-Problem. Der Gemäldesammler wollte Medienberichten zufolge im Mai das Bild "Le Marin" des spanischen Malers beim Auktionshaus Christie's verkaufen. Doch das Haus zog die Versteigerung zurück, weil das Gemälde bei der Aufbewahrung schwer beschädigt worden war. Was genau passiert ist, will Christie's nicht sagen. Nach Angaben von Wynns Anwalt hat ein umgefallener Metallstab die Leinwand durchstoßen. Wie der Fall versichert ist, ist noch unklar. Im Ellbogenfall zog Wynn seine Klage gegen den Londoner Versicherungsmarkt Lloyd's schließlich 2007 zurück. Zwar bewahren die meisten privaten Kunstsammler keinen Picasso in ihren vier Wänden auf, sondern erfreuen sich an Werken mit weniger hohen Werten. Aber Fälle wie der von Wynn sind typisch. Missgeschicke mit Bildern, Skulpturen und Installationen passieren privaten Sammlern besonders häufig, sagt Dorothee Hamm-Neumann, Kunsthistorikerin bei der Axa Art. "Im privaten Bereich sind es oft unvorhergesehene Schadenereignisse wie ein verschüttetes Glas Wein, ein Stoß ins Bild durch einen Gegenstand oder eine Person, die ein Kunstwerk beschädigen." Häufig geht ein Stück auch kaputt, weil es von der Wand oder einem Sockel herunterfällt. In solchen Fällen kann eine Kunstversicherung greifen. "Eine separate Kunstversicherung ist ab Werten von etwa 100 000 Euro sinnvoll", sagt Michael Braun vom Berliner Versicherungsmakler Kuhn & Bülow, der sich auf Kunst spezialisiert hat. Denn die gängige Hausratversicherung deckt Schäden an wertvoller Kunst nur bis zu einem bestimmten Prozentsatz der Versicherungssumme ab, meist sind es 20 Prozent. Bei einer Versicherungssumme von 200 000 Euro für den Hausrat wären das 40 000 Euro. Dazu kommt: Die Hausratpolice zahlt nur bei den festgelegten Gefahren Feuer, Leitungswasser, Hagel, Sturm und Einbruch. Von Ellbogen durchstoßene Bilder sind nicht gedeckt. "Idealerweise werden die versicherten Summen jährlich überprüft und angepasst." "Eine Kunstversicherung ist eine Allgefahrendeckung", erklärt Braun. Sie greift bei allen Risiken, die der Anbieter nicht explizit ausschließt. Das können auch kuriose Ereignisse sein. Braun berichtet von einem Fall, bei dem ein Hund sich eine Mappe mit wertvollen Grafiken geschnappt und zerbissen hatte. Ausgeschlossen seien dagegen in der Regel Vorsatz durch den Besitzer, Krieg, Schäden durch Kernenergie und Verschleiß. Darunter fallen das Vergilben von Zeichnungen oder die sogenannten Krakelee-Risse in Ölgemälden. Versichert werden kann alles, was größeren Wert hat. Neben Gemälden und Skulpturen können Sammler auch Verträge für Schmuck, antike Möbel, teure Oldtimer oder sehr wertvolle Musikinstrumente abschließen. Bevor Sammler sich für eine Police entscheiden, sollten sie die Bedingungen lesen und auch Preise vergleichen. Generell haben Kunstliebhaber zwei Möglichkeiten, ein Stück zu versichern. "Eine Variante ist es, mit dem Versicherer eine festgelegte Taxe für jedes Objekt zu vereinbaren, diesen Betrag erhält der Besitzer dann im Schadenfall ausgezahlt", erklärt Makler Braun. "Das ist unabhängig davon, wie viel das Stück zum Zeitpunkt des Schadens wert ist oder beim Kauf wert war." Die andere Version orientiert sich am Wiederbeschaffungswert eines Kunstgegenstandes. Er wird durch den Betrag festgelegt, den der Kunde investieren müsste, um sich ein gleichwertiges Objekt zu kaufen. In beiden Fällen ist es sinnvoll, seine Sammlung regelmäßig auf ihren Wert zu überprüfen, rät Axa Art. "Idealerweise werden die versicherten Summen jährlich überprüft und bei Bedarf angepasst", sagt Axa Art-Manager Christian Metten. Denn Kunst unterliegt Moden, und was vor zehn oder zwanzig Jahren noch angesagt war, ist heutzutage oft nur noch die Hälfte wert. Barockmöbel und edle Teppiche sind sehr im Wert gefallen "Derzeit besonders gefragt sind Ostasiatika, aber auch russische und chinesische Kunst", berichtet Makler Braun. Er erklärt das damit, dass in diesen Regionen immer mehr wohlhabende Kunstliebhaber bereit sind, viel Geld für Kunstwerke auszugeben. Barockmöbel und edle Teppiche dagegen seien sehr im Wert gefallen. Die Prämien für Kunstversicherungen im Bereich Privatkunden werden immer günstiger, so Braun. "Unter den Anbietern herrscht ein heftiger Wettbewerb, und die Schäden halten sich in Grenzen." Neben der Axa Art sind Allianz, Gothaer, Hiscox, die Mannheimer und Uniqua dort tätig. Eine besonders attraktive Zielgruppe für Kunstversicherer sind vermögende Privatkunden, dazu zählen Ärzte und Rechtsanwälte. | Wer zuhause teure Gemälde oder Skulpturen sammelt, sollte sich mit einer speziellen Versicherung schützen. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/kunstversicherung-wenn-das-pferd-stuerzt-1.4264272 | Kunstversicherung - Wenn das Pferd stürzt | 00/12/2018 |
Nachdem die US-Notenbank Fed mit ihren Zinsaussichten die Aktienkurse weltweit ins Minus gedrückt hatte, steuerten die Investoren wieder vermehrt "sichere Anlagehäfen" wie Gold an. Eine Feinunze des Edelmetalls verteuerte sich in der letzten Woche bis auf 1266 Dollar und notierte damit so hoch wie zuletzt im Juli dieses Jahres. Fed-Chef Jerome Powell stellte für das Jahr 2019 nur noch zwei statt zuvor drei Zinserhöhungen in Aussicht. Das belastete auch den Dollar, hinzu kamen weltweite Konjunktursorgen. Diese Gemengelage verlieh dem Goldpreis zusätzlichen Auftrieb. Nachholbedarf hat die Notierung allemal, hat sie doch seit Anfang des Jahres um mehr als drei Prozent nachgegeben. In den letzten drei Monaten konnte der Preis für das Edelmetall allerdings gut sechs Prozent zulegen. | Eine Feinunze verteuerte sich in der vergangenen Woche bis auf 1266 Dollar und notierte damit so hoch wie zuletzt im Juli dieses Jahres. Investoren suchen wieder nach den berühmten sicheren Häfen. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/edelmetalle-gold-fuer-anleger-wieder-interessant-1.4264293 | Edelmetalle - Gold für Anleger wieder interessant | 00/12/2018 |
Immer mehr US-Unternehmen lassen sich von Spezialisten berechnen, wie viel ihnen ein Konsument bis zum Tod einbringen wird. Wer viel wert ist, wird beim Einkauf hofiert - der Rest ignoriert. Wenn nur die grässliche Musik nicht wäre. Die fröhlich dahergeplapperten Durchhalteparolen und "Wussten Sie schon?"-Sprüche, das Knacken in der Leitung, das jedes Mal die trügerische Hoffnung weckt, ein echtes menschliches Wesen werde sich am anderen Ende melden und die Tortur beenden. Doch wieder nichts: Zum zehnten Mal in 30 Minuten beginnt die Dudelei von vorn, und der Anrufer fragt sich verzweifelt, warum er schon wieder in der Telefonwarteschleife festhängt, wo doch die Nachbarin immer sofort durchgestellt wird. Klar, kann Zufall sein - aber vermutlich ist es keiner, zumindest nicht in den USA. Weitaus wahrscheinlicher ist: Die Nachbarin hat einen deutlich höheren CLV. CLV, das steht für "customer lifetime value", zu Deutsch: "Kundenlebenszeitwert" - ein neues machtvolles Marketinginstrument, das Unternehmen in den Vereinigten Staaten so elektrisiert wie es Verbraucherschützer alarmiert, denn einen ähnlich groß angelegten Angriff auf die Privatsphäre von Millionen Flug-, Telefon-, Einzelhandels- und sonstigen Kunden dürfte es selbst in der US-Wirtschaftsgeschichte mit ihren dauernden Datenskandalen bisher nicht gegeben haben. Immer mehr Firmen lassen anhand Dutzender, Hunderter, gar Tausender persönlichen Daten berechnen, wie viel ihnen ein einzelner Käufer über sein gesamtes "Kundenleben" wohl in Dollar und Cent einbringen wird. Kommt jemand auf einen hohen CLV, wird er umgarnt und gepflegt, erhält Rabatte, Hochstufungen, persönliche Hotline-Ansprechpartner und andere schicke Sonderleistungen. Ist der Wert dagegen niedrig, fristet der meist ahnungslose Konsument fortan ein Leben in der Telefonschleife. "Viele Unternehmen glauben, dass Kunde gleich Kunde ist. Aber das stimmt nicht." Dass Unternehmen Verbraucher in unterschiedliche Kategorien einteilen, ist keine Erfindung des 21. Jahrhunderts. Wer früher Stammkunde im Tante-Emma-Laden um die Ecke war, bekam selbst in Berlin mit seinen notorisch übellaunigen Verkäufern einmal ein paar Kartoffeln oben drauf, fand die Brötchentüte beim Betreten des Geschäfts schon fertig gepackt vor oder konnte anschreiben lassen. Gelegenheitsbesucher hingegen mussten mit einem Mindestmaß an Freundlichkeit auskommen und damit rechnen, auch einmal von der Seite angepflaumt zu werden: "Wat anjefasst wird, wird ooch jekooft." Die modernen Kundenbewertungen in den USA jedoch haben mit derlei schnoddrig-eindimensionaler Kauzigkeit nichts mehr gemein. Heute führen Modehäuser, Mobilfunkanbieter, Kreditkartenfirmen, Hotelketten, Fluggesellschaften, Autohändler und viele andere Firmen nicht nur akribisch Buch darüber, wer in den vergangenen Jahren was wann wo wie oft gekauft oder gebucht hat. Vielmehr beauftragen sie Analyseunternehmen damit, bei sogenannten Datenbrokern weitere persönliche Informationen über einzelne Konsumenten zu erwerben, die Vielzahl an Informationen zu gewichten und daraus individuelle Kundenlebenszeitwerte zu berechnen. Der Marketingdienstleister Zeta Global etwa, das jüngste Start-up des früheren Apple- und Pepsi-Chefs John Sculley, bietet angeblich Profile von 700 Millionen Menschen an, die auf mehr als 2500 Einzelinformationen beruhen - pro Person. Der Fundus, aus dem die Analytiker mittlerweile schöpfen können, ist beinahe unendlich groß. Die Experten wissen, wer wie oft Waren reklamiert, bei Hotlines anruft und in Online-Portalen über ein Unternehmen herzieht. Sie kennen die Lieblingsgeschäfte, die Lieblingsrestaurants und -kneipen vieler Verbraucher, die Zahl ihrer "Freunde" bei Facebook, die Art und den Urheber von Anzeigen, die Social-Media-Nutzer angeklickt haben. Sie wissen, wer in den vergangenen Tagen die Webseite eines Konkurrenten des Auftraggebers besucht oder bestimmte Waren gegoogelt hat. Sie kennen die Hautfarbe, das Geschlecht, die finanzielle Lage eines Menschen, seine körperlichen Erkrankungen und seelischen Beschwerden. Sie wissen das Alter, den Beruf, die Zahl der Kinder, die Wohngegend, die Größe der Wohnung - schließlich ist es etwa für einen Matratzenanbieter durchaus interessant zu erfahren, ob ein Kunde Single ist oder im Fall der Fälle wohl gleich fünf Schaumstoffmatten für die gesamte Familie ordert. Detailansicht öffnen Illustration: Stefan Dimitriv Peter Fader, Professor für Marketing an der Universität von Pennsylvania und Miterfinder des CLV-Konzepts, räumt ein, dass die Verwendung von Kundenlebenszeitwerten für viele Menschen ein "bisschen unheimlich klingt, fast wie Hexenwerk." Für Firmen sei es jedoch von größter Bedeutung, sich nicht nur um die Entwicklung von Produkten, sondern mit der gleichen Intensität auch um die Belange der Kundschaft zu kümmern. "Viele Unternehmen glauben, dass Kunde gleich Kunde ist. Aber das stimmt nicht", sagt der frühere Versicherungsmathematiker. "Wenn man weiß, welche Kunden die größten Gewinne versprechen, kann man bei der Akquise und der Betreuung sehr viel zielgerichteter vorgehen und besonders treue Konsumenten durch eigens zugeschnittene Angebote und Rabatte an sich binden." Und damit nicht genug: Addiere man die Lebenszeitwerte aller Kunden auf, so der Wissenschaftler, sage die Summe oft mehr über die Zukunftsaussichten einer Firma aus als etwa der Aktienkurs. Nach Faders Erfahrung hat jeder US-Bürger mit einem Bankkonto und einem Handyvertrag heute mindestens zwei, drei verschiedene CLVs. Wer dazu viel shoppt, reist und ausgeht, kommt leicht auf ein, zwei Dutzend und mehr. Bei einem hohen Kundenwert lässt einen die Kreditkarten- oder die Mobilfunkfirma beispielsweise nicht einfach ziehen, wenn man sich über sie geärgert hat und mit Kündigung droht. Stattdessen bietet die Firma eine attraktivere Karte oder ein kostenloses neues Smartphone an. Autofirmen stellen "wertvollen" Kunden teure Ersatzwagen zur Verfügung, Fluggesellschaften versetzen Konsumenten mit einem hohen CLV in eine bessere Klasse und ersetzen ohne jede Nachfrage den beschädigten Koffer. Stammkundenprämien und Vorzugsbehandlungen gibt es natürlich auch in Europa. Dass Firmen aber aus Tausenden Daten einen konkreten "Lebenszeitwert" errechnen lassen, ist noch nicht verbreitet - was auch damit zu tun hat, dass Erhebung, Nutzung und Verkauf von Kundendaten durch die Datenschutz-Grundverordnung der EU viel stärker begrenzt ist als in den USA. Das heißt aber nicht, dass europäische Experten nicht über CLV-Konzepte nachdächten: "Ich weiß, dass etwa viele deutsche Kollegen an solchen Scores arbeiten", sagt Marketingprofessor Fader. Wie es aussieht, wenn sich ein Unternehmen dem CLV-Konzept verschreibt, zeigt die neue New Yorker Vorzeigefiliale von Nike. Der Sportartikelhersteller hat in diesem Frühjahr Faders Datenanalyse-Firma Zodiac gekauft - und nutzt sie jetzt rege. Betritt ein Kunde mit Nike-App auf dem Smartphone den schicken, sechsstöckigen Laden an der Fifth Avenue, wird er von der Geofencing-Software erkannt und kategorisiert. Die Startseite der App ändert sich und anstelle von Online-Angeboten erscheinen auf dem Bildschirm Neuheiten, persönlich zugeschnittene Sonderangebote und Empfehlungen, die im Geschäft angeboten werden. Besonders treue Kunden erhalten gleich im Laden kleine Geschenke und können sich sämtliche Waren per Smartphone in die Umkleidekabine liefern lassen. "Zodiac und die von der Firma entwickelten Instrumente werden uns dabei helfen, unsere Beziehung zu den Kunden in aller Welt noch weiter zu vertiefen", so Nike-Chef Mark Parker im Frühjahr. 14 Billionen Dollar werden die US-Bürger 2018 in etwa ausgeben. Die Hälfte des Geldes fließt in Wohnung, Gesundheit, Lebensmittel, Energie und andere unabdingbare Posten. Um den Rest streiten sich Bekleidungs- und Möbelgeschäfte, Benzin- und Elektroautoanbieter, Fluggesellschaften und Hotelketten, Friseure und Nagelstudios. Sie alle konnten in früheren Jahrzehnten kaum mehr tun, als möglichst originell um Käufer zu werben. Heute gehen die Firmen sehr viel zielgerichteter vor, denn Untersuchungen haben gezeigt, dass es sich lohnt, seine Kunden genau zu kennen. Denn eine Frau aus einer guten Wohnlage beispielsweise trägt viel mehr Geld in ein Bekleidungsgeschäft als ein Mann aus einer armen Gegend. hul Tatsächlich: Mancher Kunde empfindet es wohl als Gewinn an Komfort und Annehmlichkeit, wenn er die Umkleidekabine gar nicht mehr verlassen muss, weil das Modehaus seine Kleidergröße, den persönlichen Geschmack und einzelne Vorlieben kennt. Auch haben die Amerikaner generell weniger Berührungsängste mit sogenannten "Scorings", schließlich bekommt jeder Bürger mehrmals im Jahr von der Bank seine aktuelle Kreditwürdigkeitsnote mitgeteilt. Und: Der Konsum spielt in der US-Gesellschaft eine noch viel größere Rolle als etwa in der deutschen - notfalls hat dabei auch die Privatsphäre zurückzustehen. "Ich kaufe, also bin ich" lautet das Lebensgefühl, das von der Dauerwerbung im Fernsehen, aber auch von vielen Politikern vermittelt wird. So war es keineswegs eine peinliche Panne, als am Tag nach den verheerenden Terroranschlägen vom 11. September 2001 der damalige New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani den Menschen nicht etwa dazu riet, innezuhalten und über das Leben nachzudenken, sondern einkaufen zu gehen. Verbraucher wissen nicht, wie Bewertungen zustandekommen und wer sie wofür verwendet Pam Dixon, die Geschäftsführerin der Daten- und Verbraucherschutzorganisation World Privacy Forum (WPF), lehnt die Verwendung von Kundenlebenszeit-, Verbraucherwichtigkeits- oder Verbraucherprofitabilitätswerten deshalb auch nicht grundsätzlich ab. Sie beklagt jedoch, dass die Bürger darüber im Dunkeln gelassen würden, welche Beurteilungen es gibt, wie sie zustandekommen und wer sie wofür verwendet. "Wir brauchen dringend Regeln: Es kann nicht sein, dass Menschen keine Chance haben herauszufinden, wie sie bewertet werden und warum jemand so oder so mit ihnen umspringt", sagt Dixon. Manche Konsumenten würden als "Kunden zweiter Klasse" behandelt - einige sogar, weil bei der Berechnung des CLV Fehler passiert sind oder weil, was in den USA immer wieder vorkommt, ihre Identität gestohlen und missbraucht wurde. Dixon verlangt deshalb, dass jeder Konsument seine Bewertungen einsehen, korrigieren und notfalls löschen lassen kann. Manche Experten befürchten, dass Kunden womöglich schon deshalb mit einem niedrigeren Lebenszeitwert abgestempelt werden, weil sie die falsche Hautfarbe haben, in einem weniger guten Stadtteil leben, als arm oder zu alt gelten. Sogar Fader räumt ein, dass diese Gefahr besteht. Die CLV-Befürworter verweisen aber zugleich darauf, dass Vorurteile, Fehleinschätzungen und Diskriminierung keine Erfindungen des Internetzeitalters sind, sondern dass sie schon immer trauriger Bestandteil des Geschäftslebens waren. Als vor etwa zwei Jahrzehnten das Zeitalter des Online-Shoppings begann, da konnte man für einen kurzen Moment auf den Gedanken kommen, dass in diesem vermeintlich anonymen Universum erstmals alle Konsumenten tatsächlich gleich sein würden. Keine Prognose der Welt hätte unzutreffender sein können. | Immer mehr US-Unternehmen lassen sich von Spezialisten berechnen, wie viel ihnen ein Konsument bis zum Tod einbringen wird. Wer viel wert ist, wird beim Einkauf hofiert - der Rest ignoriert. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/konsum-die-vermessung-des-kunden-1.4264260 | Die Vermessung des Kunden | 00/12/2018 |
Draußen im Halbdunkel auf der Audi-Plaza ist fast nichts mehr los. Der Abend bricht herein, und es ist schon Urlaubszeit. Auch der neue Chef Bram Schot, 57, ist bald beim Skifahren. Mit den beiden Söhnen, die noch mutiger seien beim Carven als er: "Die Jungs legen die Ohren auf den Schnee." Aber zuvor will er noch sprechen über das, was Audi ändern muss. Das ist einiges, das Unternehmen steckt in der Krise. Breitbeinig sitzt Schot auf dem Sofa, blauer Anzug, man merkt ihm seine Ungeduld an: Viel will er sagen, es ist nur eine Stunde Zeit. | Der gerade ernannte Audi-Chef Bram Schot über seinen Vorgänger Rupert Stadler, nächtliches Fitnesstraining in Ingolstadt und sein charmantes Holländer-Deutsch. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/audi-bram-schot-interview-1.4264264 | Audi-Chef Bram Schot im SZ-Interview | 00/12/2018 |
Ein Holländer soll den Autobauer Audi nun aus der Krise führen. Im Interview erklärt er, was er anders machen will als sein Vorgänger Rupert Stadler. Krawatte trägt ja kaum noch ein Vorstand in der Automobilbranche. Aber schwarzer Rollkragenpulli unterm blauen Anzug, so wie es Bram Schot macht? Das ist nun auch ungewöhnlich. So wie dieser Manager ein bisschen aus der Reihe fällt. In der nächsten Stunde wird ganz viel geduzt und ganz schnell geredet werden: Schot, ein Holländer und Fan des Fußballklubs Feyenoord Rotterdam, will viel über die Firma sagen, die in der Krise steckt, zu sehr in Hierarchien denkt. Und dann will er ja auch noch loswerden, dass er ziemlich gut Ski fährt. Man trifft sich im Besprechungsraum des Vorstandsgebäudes in Ingolstadt, das A50 heißt. Im Regal stehen Audimodelle, ein gelbes Coupe, das so echt aussieht, dass man gleich ein wenig herumfingern mag. Hier hat sich vor einigen Monaten noch Rupert Stadler erklärt, seine Sicht auf den Dieselskandal und die Herausforderungen der Branche, die sich im Umbruch befindet. Nur Stunden nachdem Stadler im Juni wegen Betrugsvorwürfen im Zusammenhang mit dem Dieselskandal in Untersuchungshaft genommen worden war, wurde Bram Schot als Interimschef eingesetzt. Eine Arbeit, die zehrt, auch weil er seitdem bis spätnachts im Laden ist: Zehn Kilo hat er inzwischen abgenommen. Und die Verantwortung wird künftig nicht weniger. Vor wenigen Tagen hat ihn der Aufsichtsrat zum ordentlichen Chef berufen; zugleich zieht er zum Jahreswechsel in den Vorstand des Mutterkonzerns Volkswagen ein. Sein Rollenverständnis dabei: "Es gibt immer einen, der am Ende verantwortlich ist, und der heißt Bram Schot." Es sei natürlich kein einfacher Moment, Verantwortung zu übernehmen, kein einfacher Moment in diesem Unternehmen, das unter schlechten Absatzzahlen leidet und immer noch den Aufräumarbeiten des Dieselskandals. "Aber es ist auch eine Chance", sagt er: "Wir haben die Gelegenheit, alles auf den Prüfstand zu stellen und die Dinge zu verändern." Die letzten zwei Jahrzehnte, bis zum Skandal, sei der Autobauer verwöhnt gewesen, sei "ein bisschen träge" geworden - und habe sich verzettelt: "Wir müssen uns mehr fokussieren, wir machen gerade zu viel", sagt Schot. Und fordert mehr Leistung: Der Output der 90 000 Mitarbeiter sei zu gering. Wobei es nicht einfach darum gehe, mehr zu arbeiten: Die vielen Ideen im Unternehmen müssten gedeihen können. Dafür sei das Klima entscheidend: "Wie gehen wir miteinander um? Die Leute müssen sich wieder frei fühlen!" Lesen Sie im ausführlichen Antrittsinterview, welche fünf Stoßrichtungen der neue Audi-Chef hat, was seine Opas ihm lehrten und weswegen es praktisch ist, dort Gewichte zu heben, wo die eigenen Mitarbeiter sind. | Ein Holländer soll den Autobauer Audi nun aus der Krise führen. Im Interview erklärt er, was er anders machen will als sein Vorgänger Rupert Stadler. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/audi-bram-schot-interview-1.4265147 | Audi-Chef Bram Schot im SZ-Interview | 00/12/2018 |
Die Bahn war mal ein Symbol für Verlässlichkeit. Heute ist der Ausnahmezustand bei ihr häufig normal. Über einen Weltkonzern, der sich von seinen Passagieren entfremdet. Für Millionen Deutsche beginnt Weihnachten in diesen Tagen irgendwo an einem Bahnhof. Die Feiertage und Silvester gehören für die Bahn seit jeher zu den Phasen mit den meisten Fahrgästen im Fernverkehr. Wenn nicht noch ein kleines Wunder passiert, werden die Stationen in diesem Jahr allerdings vielerorts nicht nur zu Orten der Sehnsucht, sondern auch zu denen der Erkenntnis. Deutschlands Bahnhöfe zeigen, wie die Bahn sein könnte und wie sie oft noch ist, sie können Symbole der Moderne sein oder stinkende Baracken. Die Zuganzeiger an den Gleisen machen klar, wo derzeit das größte Problem des Konzerns liegt: in seiner schwindenden Zuverlässigkeit. Seit Jahrzehnten steht die Bahn in Deutschland eigentlich für das Gegenteil: Sie symbolisiert Sicherheit, Sorgfalt und Verlässlichkeit. Weil sie bis in fast jeden Winkel des Landes fährt und in fast jeder Lebenslage ein Angebot für die Fortbewegung liefert: bei der Fernreise mit dem ICE, bei der Fahrt ins Grüne mit der Regionalbahn oder mit der S-Bahn ins Büro. Das Grundvertrauen hat auch damit zu tun, dass die moderne Gesellschaft Mobilität im vorvergangenen Jahrhundert mit der Entstehung der Bahn überhaupt erst gelernt hat - und noch vieles mehr. In ihrer Entstehungszeit im 19. Jahrhundert verkürzte die Bahn die Reisezeiten in vielen europäischen Regionen drastisch. Sie wurde zum Transportmittel der industriellen Revolution, öffnete Gütern neue Märkte. Durch sie konnte sich die Schwerindustrie entwickeln. Sie selbst schuf einen enormen Bedarf an Eisen und Stahl. Der moderne Brücken- und Tunnelbau entstand, um Eisenbahntrassen zu bauen. Auch die moderne Aktiengesellschaft gilt als Folge des Kapitalbedarfs der Bahn. Der aktuelle Ärger in der Gesellschaft über die Unzulänglichkeiten des Systems macht klar, dass ihre Bedeutung nach wie vor weit über den reinen Transport hinausgeht. Die Bahn ist heute zwar nur noch Teil eines viel umfassenderen Verkehrssystems. Sie ist technisch eigentlich ersetzbar geworden durch Auto und Flugzeug. Und doch steht sie nach wie vor Pars pro Toto für den Zustand des gesamten Landes. Wird eine Schnellbahntrasse nach zwei Jahrzehnten eröffnet, ist das ein Signal des Aufbruchs, den wie selbstverständlich Hunderte Kameras, Feuerwerk und die Bundeskanzlerin begleiten; hat der Premierenzug Verspätung, berührt dies das Selbstverständnis der Nation. Das gilt gleichermaßen für die Statistiken, die erstaunlich viele Deutsche herunterbeten können. Nicht wie geplant 82 Prozent der Fernzüge kommen halbwegs pünktlich an, also weniger als sechs Minuten zu spät; es sind nur noch peinliche 70 Prozent. Wer am Bahnsteig in Abschnitt A wartet, erfährt oft erst Minuten vor Abfahrt, dass der Einstieg für den gebuchten Sitzplatz sich ausnahmsweise in Abschnitt G befindet. Auch die Fahrzeugflotte ist in teils desolatem Zustand. Geschlossene Restaurants, verbarrikadierte Toiletten zeugen von einem Notstand bei der Wartung. Immer häufiger fallen Züge während der Fahrt aus. Der Ausnahmezustand wird auf Deutschlands Gleisen gerade immer häufiger zum Normalfall. Man kann die Klagen über schlechten Service, überlange Fahrten und holprige Verbindungen für übertrieben halten - auch auf der Straße oder am Flughafen läuft nicht immer alles nach Plan. Doch die Ärgernisse schlagen wohl auch deshalb so hohe Wellen, weil Passagiere spüren und Fachleute wissen, dass sie Symptome einer viel tiefer liegenden Krise des Unternehmens sind. Denn das Debakel findet nicht nur auf dem Bahnsteig statt. Auch in der Bilanz gibt es Störungen im Betriebsablauf. Die Schulden der Bahn haben mit fast 20 Milliarden Euro einen Rekordstand erreicht - nur knapp unter der Schuldengrenze, die die Bahn sich selber gesetzt hat. Gleichzeitig gehen die Gewinne zurück. In dieser ohnehin schwierigen Lage stehen nun auch noch Milliardeninvestitionen in ersehnte neue Züge, die Digitalisierung des Unternehmens, in mehr Personal und ein weniger anfälliges Schienennetz an. Es geht in den nächsten Jahren dabei um einen zweistelligen Milliardenbetrag. Einen, den die Bahn sicher nicht alleine stemmen kann. Die Bahn bricht Passagierrekorde, veranschlagt aber kein neues Personal Wer wissen will, wie es so weit kommen konnte, muss sich diesen Konzern genauer anschauen. Die Bahn ist entgegen aller Klischees heute längst keine schläfrige Beamtenbahn mehr. Der Konzern ist ein hochkomplexes Unternehmen geworden, das täglich gewaltige internationale Verkehrsströme koordinieren und bewältigen muss. Aktiv ist der Konzern weltweit in über 130 Ländern, er beschäftigt weit mehr als 300 000 Mitarbeiter. Davon gut zwei Drittel in Deutschland. Die Bahn transportiert pro Jahr rund 271 Millionen Tonnen Güter auf der Schiene. Zusätzlich sind es rund 100 Millionen Sendungen auf Europas Straßen, 1,3 Millionen Tonnen Luft- und 1,2 Millionen Container an Seefracht. Und hier beginnen auch die Probleme, die nun die Passagiere ausbaden müssen. Denn die Geschichte der Deutschen Bahn war in den vergangenen Jahren eine der rasanten Expansion, und das betraf viele Verkehrsmittel, nicht bloß den Zug. Inzwischen lässt die Deutsche Bahn Doppeldeckerbusse in London fahren, eine andere Bahn-Tochter steuert den Royal Train, den Hofzug des britischen Königshauses. Die Bahn verleiht auch Fahrräder in der Slowakei, sie betreibt Elektrobusse in Tschechien, sie baut eine neue Metro im australischen Canberra. Selbst an der Planung einer inzwischen fertigen Hochgeschwindigkeitsstrecke in Saudi-Arabien war sie beteiligt. Interne Charts notieren: "Mitarbeiteranzahl in Deutschland seit 2015 nahezu stabil - außerhalb Deutschlands kontinuierlicher Aufbau". Man darf sich getrost fragen, wie das sein kann. Wie ein Konzern Jahr für Jahr im Heimatland Passagierrekorde bricht, mehr Züge auf nagelneuen Strecken verkehren lässt und dafür nicht mehr Personal veranschlagt. Wie das gleiche Unternehmen zwar Güter von der Straße auf die Schiene bringen will, gleichzeitig aber seit 2015 allein im Güterverkehr 1600 Stellen abbaut. Die Antwort ist einfach: Es lässt sich nicht verstehen. Und so muss die Führung der Güterverkehrstochter Cargo kurz vor Weihnachten Brandmails verschicken, weil es einen Rückstau von 110 Zügen gibt. Für die nach dem Sparprogramm verbliebenen Cargo-Mitarbeiter sind ruhige Feiertage nicht in Sicht. Für den 24. und den 26. Dezember sind Schichtverlängerungen um jeweils vier Stunden geplant. | Die Bahn war mal ein Symbol für Verlässlichkeit. Heute ist der Ausnahmezustand bei ihr häufig normal. Über einen Weltkonzern, der sich von seinen Passagieren entfremdet. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/verkehr-das-bahn-debakel-1.4262655 | Deutsche Bahn: Das Debakel | 00/12/2018 |
Der Name Tengelmann steht heute nicht mehr auf Supermarkt-Filialen. Zum Konzern gehören allerdings viele andere bekannte Ketten, darunter Obi, Kik und Tedi. Nach dem Verschwinden von Chef Karl-Erivan Haub steht nun fest, wie es bei dem Handelskonzern weitergeht. Das Unternehmen wird künftig von dessen jüngerem Bruder geführt. Acht Monate nach dem Verschwinden des Firmenchefs Karl-Erivan Haub in den Schweizer Bergen, steht nun fest, wie es bei dem internationalen Handelskonzern Tengelmann (Obi, Kik, Tedi) weitergeht. Die Unternehmensgruppe wird nicht in eine reine Beteiligungsfirma, ein sogenanntes Family Office, umgewandelt. Karl-Erivans jüngerer Brüder Christian Haub zieht mit seiner Familie von den USA nach Deutschland und übernimmt alle Funktionen, die bislang der Vertraute der Familie, Peter Zühlsdorff, übergangsweise für unbestimmte Zeit wahrgenommen hatte. Der ehemalige Wella-Chef Zühlsdorff wird von 2019 an nicht mehr für Tengelmann tätig sein, auch nicht beratend. Das erfuhr die Süddeutsche Zeitung aus Unternehmenskreisen. Christian Haub wird mit dem Jahreswechsel das Management des Handelskonzerns mit 7,5 Milliarden Euro Umsatz und weltweit mehr als 86 000 Mitarbeitern übernehmen. Er wird zudem von kommendem Jahr an Aufsichtsratsvorsitzender der Baumarktkette Obi sein, an der Tengelmann mit 74 Prozent beteiligt ist. Die Aufsicht über das Management der einhundertprozentigen Firmentöchter gehört ebenfalls zu seinen Aufgaben, darunter der Immobilienentwickler Trei Real Estate und die Beteiligungsfirma Tengelmann Ventures, die Anteile an mehr als 70 Start-ups und Firmen hält wie Uber, Zalando und Delivery Hero. Bisher hatte es geheißen, Christian Haub, 54, könne und wolle die Führungsrolle nicht auf Dauer übernehmen. Ziel sei es angeblich gewesen, eine extern gemanagte Beteiligungsholding aufzubauen. Christian Haub habe die Rolle des alleinigen Geschäftsführers der Tengelmann-Gruppe nur vorübergehend übernommen. Er lebe in den USA und wolle dort seinen Lebensmittelpunkt behalten. Angeführt wurde auch, dass er den amerikanischen Lebensmittelfilialisten A&P in die Pleite geführt habe, weshalb er damals auf Wunsch seines Bruders Karl-Erivan und seines Vaters nicht mehr operativ tätig, sondern vor allem mit der Vermögensverwaltung betraut gewesen sei. Nun verlässt Haub mit seiner Familie Greenwich, einen Vorort von New York City, in dem viele Reiche leben, und zieht nach Nordrhein-Westfalen. "Eine reine Verwaltung von Vermögen und Beteiligungen kann ich mir nicht vorstellen", habe Christian Haub im April gesagt, und das gelte weiter, sagt ein Berater. "Im Herzen sind wir Händler, und wir werden immer unternehmerisch und operativ tätig bleiben." Zu gegebener Zeit soll die nächste Generation übernehmen. All jene Vertrauten, welche die Umwandlung in eine Beteiligungsholding favorisierten, scheiden aus. Neben Zühlsdorff auch einer, den manche schon als künftigen Chef der Holding gesehen haben: der Düsseldorfer Rechtsanwalt Thomas Kramer. Er war 20 Jahre lang für Tengelmann tätig, zehn davon saß er als Vorsitzender im Beirat der Unternehmensgruppe, in dem wichtige strategische Entscheidungen getroffen werden. An seiner Stelle positioniert Haub einen Freund der Familie, Franz Markus Haniel, den Aufsichtsratschef des gleichnamigen Handelskonzerns aus Duisburg, der sich über die Jahre seinerseits zu einer Beteiligungsholding entwickelt hat. Auf Franz Markus Haniel fiel die Wahl, weil er die "Wertschätzung und das Vertrauen aller Gesellschafterstämme" genießt. Zwischen den Familien der drei Brüder, neben Karl-Erivan und Christian ist da noch Georg Haub, sollen in vielen Fragen Differenzen geherrscht haben. Als Geste der Versöhnung interpretieren Beobachter, dass Christian Haub seinen ältesten Bruder Georg zurück in den Beirat geholt hat. Georg Haub gilt als das schwarze Schaf in der Familie und wurde lange Zeit aus unterschiedlichen Gründen, die seinen Lebenswandel betrafen, ausgegrenzt. Noch ist Karl-Erivan Haub nicht für tot erklärt worden Zu den Veränderungen, die das Verschwinden von Karl-Erivan Haub bewirkt hat, gehört auch der geplante Verkauf des Unternehmenssitzes. Für die weitläufige Zentrale in Mülheim an der Ruhr ist nach Informationen der SZ ein Verkaufsmandat erteilt worden. Tengelmann will das nicht kommentieren. Der Verkauf wäre ein historischer Schritt. Das vor mehr als 150 Jahren gegründete Familienunternehmen ist auf diesem Gelände zu seiner heutigen Größe gewachsen. Es liegt etwas abseits des Stadtzentrums von Mülheim in der Nähe der Ruhr und ist so groß wie sieben Fußballfelder. Inzwischen verlieren sich aber nur noch wenige Mitarbeiter in dem Flachbau aus roten Ziegelsteinen. Viele langjährige Tengelmänner und -frauen haben die Firma stillschweigend verlassen. Es herrscht eine gespenstige Atmosphäre. Zu klären sind auch noch der Nachlass von Karl-Erivan Haub und die Zahlung der Erbschaftsteuer. Noch ist er nicht für tot erklärt worden, auch wurde seine Leiche noch nicht gefunden. Sein offiziell erklärtes Ableben ist aber die Voraussetzung für viele Formalien, die alles andere als banal sind. So können die Hinterbliebenen, Karl-Erivan Haubs Frau und Kinder, dessen Anteil erst dann erhalten und in den Gesellschafterkreis eintreten. Ein anderer Punkt ist die fällige Einkommensteuer für das noch laufende Jahr. Die Finanzbeamten sind dazu verpflichtet, sie einzuholen. Die Frage ist, wie sie das handhaben, wenn jemand offensichtlich nicht mehr lebt, aber noch nicht für tot erklärt wurde. Theoretisch könnte auch der Staat einen "Todesantrag" stellen, wie es im Juristendeutsch heißt. Das klingt pietätlos. Aber im Zweifelsfall, sagt ein Erbschaftsrechtler, sind die Behörden sogar dazu verpflichtet. | Nach dem Verschwinden von Chef Karl-Erivan Haub steht nun fest, wie es bei dem Handelskonzern weitergeht. Das Unternehmen wird künftig von dessen jüngerem Bruder geführt. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/tengelmann-kaiser-s-haub-1.4262657 | So will Tengelmann neu anfangen | 00/12/2018 |
Wegen einer kleinen und billigen Drohne wird Großbritanniens zweitgrößter Flughafen mehr als einen Tag lang geschlossen. Das zeigt, wie fragil unsere technikgläubige Welt geworden ist. Detailansicht öffnen Caspar Busse beobachtet Konzerne schon seit Jahren – und wundert sich oft. Ganz langsam lief am Freitag der Betrieb am Flughafen Gatwick wieder an. Der Airport, der etwa 45 Kilometer südlich von London liegt und mit 43 Millionen Passagieren im Jahr der zweitgrößte in Großbritannien ist (nach Heathrow), war zuvor mehr als einen Tag lang weitgehend lahmgelegt. Über der Landebahn und den Sicherheitszäunen waren mehrmals unbekannte Drohnen gesichtet worden, die startende und landende Maschinen gefährden könnten. Daraufhin wurde der Flughafen geschlossen, Hunderte Flüge fielen aus, 150 000 Passagiere waren mitten in der verkehrsreichen Vorweihnachtszeit betroffen, es gab Auswirkungen auch an vielen anderen Flughäfen. Der Zwischenfall zeigt besonders drastisch, wie verletzlich unsere hoch technisierte Gesellschaft geworden ist, wie überraschend fragil unsere komplexen Verkehrssysteme sein können. Kleine Dinge können ganz große Folgen haben. In Gatwick waren es unbemannte Fluggeräte, inzwischen fast überall und für fast jeden für wenige Hundert Euro erhältlich und im Vergleich zu den großen Düsenflugzeugen winzig. Sie kreisten mehrmals in der Luft und brachten so ein hochkomplexes Gebilde wie einen internationalen Flughafen völlig aus dem Gleichgewicht. Wer für das Chaos verantwortlich ist, war zunächst nicht zu klären. Die Polizei suchte fieberhaft nach dem oder den Tätern, ohne Erfolg. Aber wie kann das sein? Noch dazu in einer weltweit vernetzten Welt, in der heute dank der Digitalisierung angeblich kaum noch etwas verborgen bleiben kann und sich viele vor großer Kontrolle fürchten. Es herrscht eine allgemeine Hilflosigkeit in einer Zeit, in der alle an den Fortschritt glauben Was die Sache auch beunruhigend macht, ist die allgemeine Hilflosigkeit in einer Zeit, die an den Fortschritt und die Technik glaubt. In einer Zeit, in der eigentlich keiner mehr irgendetwas dem Zufall überlassen will. Gerade an einem Flughafen ist das heute so, alle Arbeitsabläufe, ob am Boden, in den Flugzeugen oder später in der Luft, sind minutiös geplant. Alles folgt einem unsichtbaren Plan. So groß die Sicherheitsvorkehrungen auch sein mögen: Diese komplexen Drehscheiben können einfach so außer Gefecht gesetzt werden. Auch wenn sich viele das wünschen und viele daran mit Hochdruck arbeiten, es gibt keine absolute Kontrolle. Die Lehre nicht nur aus Gatwick, mit der sich alle abfinden müssen, lautet: Je technisierter die Welt, desto größer die Verletzlichkeit. Gatwick ist auch kein Einzelfall. In München lief vor wenigen Monaten eine Passagierin einfach durch die Sicherheitskontrolle, der Flughafen musste ebenfalls für mehrere Stunden gesperrt werden, der Schaden erreichte schnell Millionenhöhe. Oder wenn ein Flugzeug wegen einer Kleinigkeit nicht zur Verfügung steht, hat das große Konsequenzen. Da das Tagesprogramm der Maschinen eng getaktet ist, fallen gleich mehrere Flüge aus. Im Bahnverkehr ist das nicht anders: Ein metallbeschichteter Luftballon, der eine Oberleitung berührte und dann zu einem fatalen Kurzschluss führte, hat vor vier Wochen in München zum Beispiel fast den gesamten S-Bahn-Verkehr lahmgelegt. Auch viele Probleme der Deutschen Bahn im Fernverkehr resultieren oft aus vergleichsweise kleinen Problemen. Dazu kommt, dass die Systeme an ihre Grenzen stoßen. Der Luftraum über Europa ist inzwischen voll. Der Flugverkehr wächst weiter, immer mehr Menschen wollen fliegen (am liebsten zu billigen Ticketpreisen), die Kapazitäten an den Flughäfen werden aber kaum noch ausgebaut. Schon in diesem Jahr waren in Europa so viele Maschinen verspätet und so viele Flüge ausgefallen wie noch nie. Entspannung ist nicht in Sicht. Die Passagieren müssen mit weiteren Problemen rechnen - nicht nur durch Drohnen. | Wegen einer kleinen und billigen Drohne wird Großbritanniens zweitgrößter Flughafen mehr als einen Tag lang geschlossen. Das zeigt, wie fragil unsere technikgläubige Welt geworden ist. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/kommentar-die-verletzliche-gesellschaft-1.4262645 | Kommentar - Die verletzliche Gesellschaft | 00/12/2018 |
"Liebe Leserinnen und Leser", so fängt ein kurzer Text an, der derzeit immer wieder auf Seite 1 der SZ steht. Er enthält den Hinweis, dass in einer der Druckereien, in denen die Zeitung hergestellt wird, erneut gestreikt wird und die gedruckte Ausgabe daher dünner und anders sortiert als gewohnt ist. Ein Ende des Konflikts ist nicht absehbar. Die Gewerkschaft Verdi und der Bundesverband Druck und Medien (BVDM) verhandeln seit September. Die Angelegenheit zieht sich nicht nur, weil beide Seiten unterschiedliche Vorstellungen in der Sache haben - sondern auch, weil sie uneins sind, über welche Sache sie eigentlich zu reden haben. Nur über den Lohn? Sönke Boyens, Verleger der Dithmarscher Landeszeitung in Heide und Verhandlungsführer des BVDM, sagt: "Wir können gerne über den Lohn sprechen, aber wir haben auch noch ein anderes Thema." Verdi fordert fünf Prozent mehr Geld, für zwölf Monate; die Arbeitgeber bieten derzeit 3,8 Prozent plus 400 Euro extra für 30 Monate. Sie verlangen dafür jedoch einen neuen Manteltarifvertrag, also neue Regeln zu Arbeitszeit, Zuschlägen, Weihnachts- und Urlaubsgeld. Verdi hingegen will an diesem Mantel wenig ändern und bereden. Boyens sagt: "Das macht die Sache natürlich schwierig." Der Manteltarifvertrag enthält im Westen die 35-Stunden-Woche; die Arbeitgeber würden gerne auf 38 Stunden (wie bereits im Osten) erhöhen. Er enthält "Antrittsgebühren" für Sonn- und Feiertage sowie Zuschläge, die - je nach Tag und Uhrzeit - den Stundenlohn um 25 bis 170 Prozent erhöhen. Das Weihnachtsgeld beträgt 95 Prozent eines Monatslohns, das Urlaubsgeld beläuft sich auf 70 Prozent. Die Arbeitgeber finden, dies alles seien Regelungen aus goldenen Zeiten. Heute indes sinke die Zahl der Betriebe und der Beschäftigten ebenso wie die Produktivität; das einzige, was steige: Papierpreise und Insolvenzen. Der Verband will Zuschläge, Weihnachts- und Urlaubsgeld kürzen; wenn auch nur für künftige Mitarbeiter. Verdi lehnt dies ab. Verhandlungsführer Frank Werneke ist bereits in den Weihnachtsurlaub abgeflogen, sein für die Druckindustrie zuständiger Bereichsleiter Andreas Fröhlich sagt am Freitag: "Die Zeitungsdruckereien sind durchaus in der Lage, diese Leistungen zu bezahlen. Sie sind nicht in einer Notlage." Fröhlich sieht zwar, dass in den Druckereien rationalisiert wird, dass es Schließungen und Auslagerungen gibt - aber nach seinen Angaben nicht wegen schlechter Geschäfte, sondern "um die Rendite nicht zu gefährden". Wenn in einem Tarifkonflikt solche Äußerungen fallen, ist es immer ein schlechtes Zeichen - weil sie zeigen, dass die Kontrahenten unterschiedliche Blicke auf die Realität pflegen. Doch auch die Arbeitgeber hantieren mit Unterstellungen. In einem offenen Brief warf ihr Verhandlungsführer Boyens vor zwei Wochen dem Gewerkschafter Werneke vor, die bisherigen Verhandlungen mit dem Satz beendet zu haben, nun müsse die "große Schlacht beginnen". Dem Mann gehe es darum, "sich vor dem Verdi-Bundeskongress in einem strahlenden, aber auch künstlichen Licht darstellen zu wollen". Werneke, bisher Verdi-Vize, soll auf dem Kongress im September 2019 an die Spitze der Gewerkschaft rücken. In den Weihnachtsferien macht die Schlacht wohl Pause; Urabstimmung und unbefristete Streiks stehen nach Angaben von Verdi-Bereichsleiter Fröhlich ohnehin nicht zur Debatte. Neue Gespräche zeichnen sich frühestens für Mitte Januar ab. | Die Gewerkschaft Verdi und die Arbeitgeber hantieren beide mit Unterstellungen. Warum der Tarifkonflikt in der Druckindustrie so lange dauert. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/drucker-streik-die-grosse-schlacht-1.4262666 | "Drucker-Streik - ""Die große Schlacht""" | 00/12/2018 |
Bei Internetattacken auf Unternehmen ist meist von externen Hackern die Rede. Doch es kann sich auch mal um einen gefeuerten Mitarbeiter handeln, wie ein Gerichtsprozess in Böblingen zeigt. Ulrich Bartholmös saß auf dem Rennrad, als sein Arbeitgeber vernichtet werden sollte. Es war halb sechs Uhr morgens, sein Smartphone klingelte, er ging nicht ran. Dann klingelte das Telefon ein zweites Mal. Er sah, dass der Anruf von der Firma kam, hob ab und erfuhr von einem Totalausfall. Bartholmös ist IT-Sicherheitschef einer Digitalagentur, sie verwaltet Kunden-Webseiten und Datenbanken. Die Webseiten waren offline, mindestens eine Marketing-Datenbank wurde komplett gelöscht. Ein Kunde der Firma ist Titelsponsor bei der Tour de France, die wenige Tage später beginnen sollte. Er habe gelernt, sich von Kunden anschreien zu lassen, sagt Bartholmös, als er die Geschichte im Juli 2017 erzählt, bei einem Treffen, wo Staatsanwälte mit dem Schwerpunkt Cyberkriminalität für ihre Arbeit werben. Die Staatsanwälte sagen: Hacker machen Fehler, Hacker können erwischt werden. Wichtig sei, dass eine Anzeige gestellt wird. Bartholmös stellte eine Anzeige. Anderthalb Jahre später sitzt Bartholmös im Amtsgericht in Böblingen, gerade hat der Richter ein Urteil gefällt, den Täter schuldig gesprochen. Bartholmös bittet darum, noch ein paar Momente in Ruhe gelassen zu werden. Er schaut in Richtung des Verurteilten, eines 26 Jahre alten Mannes. Bartholmös fixiert ihn mit seinem Blick, der Mann redet abwechselnd mit Polizisten und seinem Anwalt, lässt sich Handschellen anlegen und wird abgeführt. Bartholmös verlässt den Saal, der Prozess ist gewonnen, doch zu feiern gibt es wenig: 2,8 Millionen Euro Schaden, ein Mensch hinter Gittern und eine Firma, die gerade noch einmal davongekommen ist. Sie hat eine der gefährlichsten Arten von Hackerangriffen überstanden, mit der es Unternehmen weltweit zu tun haben: einen Angriff durch Innentäter. Der verurteilte junge Mann ist ein Ex-Mitarbeiter von Bartholmös. Ist von Cyberangriffen die Rede, vermutet die Öffentlichkeit dahinter in aller Regel wildfremde Menschen oder Hacker im Staatsauftrag. Dabei geht von Innentätern eine größere Gefahr aus, da ihre Angriffe "größere Aussicht auf Erfolg" haben, wie es das für IT-Sicherheit zuständige Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) formuliert. Denn der Angreifer habe "bereits Zugang zu internen Ressourcen einer Organisation und (könne) so Schutzmaßnahmen und Schwachstellen über einen langen Zeitraum analysieren". Auch der Ex-Mitarbeiter von Bartholmös hatte Zugang zu internen Ressourcen. Während des Prozesses schweigt der Mann. Ein IT-Forensiker, der den Angriff technisch analysiert hat, geht aber davon aus, dass er für die Attacke einen Account benutzte, der vor Jahren angelegt, aber nie verwendet wurde. Er modifizierte ihn so, dass er sich über einen VPN-Zugang einloggen, also sich bequem von zu Hause aus in das Firmennetz einwählen konnte. Dann schlummerte das Konto ungenutzt ein halbes Jahr vor sich hin. In dieser Zeit wurde dem Mitarbeiter gekündigt, es gab einen Aufhebungsvertrag und eine Abfindung. Um 2:37 Uhr in der Nacht vom 25. auf den 26. Juni startete er den Angriff in zwei Wellen. "Der Täter bewegte sich virtuos im System", notierte die Staatsanwaltschaft Zu Beginn des Angriffs - IT-Sicherheitschef Bartholmös sitzt noch auf seinem Rennrad - werden alle Daten auf den Servern überschrieben, die Konfigurations-Dateien werden gelöscht. Schnelles Reagieren ist ausgeschlossen, da die Zugänge der Administratoren entfernt wurden. "Wir befanden uns vollkommen im Blindflug", wird Bartholmös später im Zeugenstand sagen. 60 Kunden werden informiert, zu diesem Zeitpunkt ist noch unklar, wie systematisch der Hacker vorgegangen ist. Eine externe Firma wird hinzugezogen, sie analysiert die IT-Systeme. Die Spuren, die der Hacker hinterließ, zeigten, dass sich die Person sehr gut im System auskannte. "Der Täter bewegte sich virtuos im System", fasst es die Staatsanwaltschaft zusammen. Normalerweise schauen sich Hacker zunächst in Netzwerken um. Sie analysieren, wie das Netzwerk aufgebaut ist, welche Berechtigungen sie haben und wo wichtige Daten liegen könnten - sie sind schließlich zum ersten Mal im Unternehmensnetz. Nicht so in diesem Fall. Der Täter kannte das System genau und wusste, wo er hinmusste. Der erste Angriff richtete großen Schaden an, doch Bartholmös hatte Back-ups der Daten auf alten Bandlaufwerken, die Prozesse können wiederhergestellt werden. Doch dann beginnt ein paar Tage später die zweite Attacke: Der Mailverkehr wird ausgeschaltet, die Web-Auftritte werden auf eine Pornoseite umgeleitet. Technisch ist dieser Angriff nicht besonders ausgefeilt, aber er verunsichert die Mitarbeiter und erweckt zumindest kurzzeitig das Gefühl, erneut die Kontrolle zu verlieren. Der Tatverdacht fiel schnell auf den Angeklagten, da die Angriffe von Accounts gestartet wurden, die er angelegt hatte. Doch glasklare Beweise fehlen. Der Prozess, der gegen den Angeklagten geführt wird, basiert auf Indizien. Zwar weiß man in diesem Fall, dass es sich um einen Innentäter gehandelt haben muss, um einen Administrator, aber davon gibt es mehrere. Ein paar von ihnen können ausgeschlossen werden, aber eben nicht alle. Wie also hat man den Angreifer überführt? Bei dem Angeklagten habe es sich nicht um einen "High-Class-Hacker" gehandelt, führt der Staatsanwalt in seinem Plädoyer aus. Ihm unterliefen also Fehler. Als die Polizei seine Wohnung durchsucht, findet sie einen Rechner, auf dem sie eine Verzeichnisstruktur rekonstruieren kann. Es sind Ordner mit Namen wie "Mitarbeitergespräche" und "Verträge". Jemand hatte von diesem Rechner aus auf Daten zugegriffen, die auf den Firmenservern lagen. Für die Staatsanwaltschaft ist dies "der große Fehler", der dem Angeklagten unterläuft. Er griff außerdem ausschließlich auf Dateien zu, die während seiner Zeit in der Firma schon vorhanden waren. Neuere Dateien, die ihm also unbekannt waren, ignorierte er. Den Richter haben die Staatsanwälte mit ihren Argumenten überzeugt. Er verurteilt den 26-Jährigen zu drei Jahren und drei Monaten: Computersabotage in besonders schwerem Fall. Der Angeklagte wird Berufung einlegen. | Bei Internetattacken auf Unternehmen ist meist von externen Hackern die Rede. Doch es kann sich auch mal um einen gefeuerten Mitarbeiter handeln, wie ein Gerichtsprozess in Böblingen zeigt. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/cyberattacken-angriff-von-innen-1.4262671 | Angriff von innen | 00/12/2018 |
Verspätete Briefe, Sendungen ins Nirgendwo, kaputte Pakete: Immer mehr Menschen zeigen sich mit der Post und ihren Konkurrenten unzufrieden. "Nie zuvor haben sich so viele Verbraucher bei der Bundesnetzagentur beschwert wie in diesem Jahr", sagt Jochen Homann, Präsident der Behörde. Fast 12 000 Beschwerden zählt die Netzagentur seit Januar. Das ist zwar immer noch wenig, wenn man bedenkt, dass alleine die Deutsche Post etwa 20 Milliarden Briefe und Pakete jährlich verschickt. Doch zählt die Behörde schon jetzt knapp doppelt so viele Beschwerden wie im Vorjahr. Und in diesen Tagen vor Weihnachten nehmen die Kunden noch mal besonders viele Briefe und Pakete entgegen. | Immer mehr Kunden beklagen sich über kaputte Päckchen oder fehlgeleitete Briefe. Schuld seien auch die Arbeitsbedigungen, sagt die Gewerkschaft Verdi. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/bundesnetzagentur-mehr-aerger-mit-post-und-paketen-1.4263248 | Bundesnetzagentur - Mehr Ärger mit Post und Paketen | 00/12/2018 |
Zum Jahreswechsel geht der Blick zurück: auf die Ab- und Absteiger der Wirtschaft, auf neue und gefeuerte Lenker von Unternehmen. Und er geht nach vorn: zum Beispiel auf neue Verkehrsmittel am Himmel. Es sind keine schönen Zeiten, um Audi-Chef zu werden: Dieselskandal, Strafermittlungen und schlechte Zahlen. Doch der neue Vorstandsvorsitzende, der Niederländer Bram Schot, sagt: "Es ist auch eine Chance: Wir haben die Gelegenheit, alles auf den Prüfstand zu stellen und Dinge zu verändern." Schließlich sei der Autohersteller "träge" geworden ob des früheren Erfolgs. Was er verändern will und wie ihm die Erfahrung seiner beiden Opas hilft, ist im Montags-Interview nachzulesen, seinem ersten Pressegespräch seit Amtsantritt. Einer der traurigsten Orte, um Heiligabend zu feiern, ist das Gefängnis. Doch in der Weihnachtsausgabe am Montag berichten wir über ein Projekt, das Hoffnung macht. Ein junger Deutscher hat in einem englischen Jugendgefängnis eine Kaffeerösterei eröffnet - weltweit die einzige hinter Gittern. Die Sträflinge werden zu Baristas ausgebildet, und die veredelten Bohnen an Cafés und Restaurants verkauft. Die ersten Absolventen des Programms sind inzwischen wieder in Freiheit, und sie haben Jobs als Baristas gefunden. Profitgierige Investoren, Ermittlungen der Justiz, üble Grapschereien oder schlicht Managementfehler - es gab viele Gründe, warum Manager und Unternehmer im vergangenen Jahr scheiterten, Pleiten hinlegten oder ihren Job verloren (und manchmal auch ihren guten Ruf). Und wer rückte nach oben? Wer überraschte durch erstaunliche Leistungen oder spektakuläre Übernahmen? Lesen Sie am Donnerstag in der großen Übersicht der Auf- und Absteiger, wer 2018 besonders aufgefallen ist. "Die Geschichte der Bienen" war im vergangenen Jahr der erfolgreichste Roman in Deutschland. Die norwegische Autorin Maja Lunde macht das Geld für die ökologischen Probleme unseres Planeten verantwortlich - und misstraut ihrem eigenen Erfolg. Am Freitag spricht sie darüber im Reden-wir-über-Geld-Interview. Ebenfalls am Freitag beschäftigt sich ein Schwerpunkt in unserer Serie "Leben ohne eigenes Auto" mit Flugtaxen: Es klingt wie der Stoff von Science-Fiction-Filmen, aber weltweit arbeiten Start-ups und etablierte Konzerne an Drohnen, die Passagiere durch Städte transportieren sollen - hoch über den überfüllten Straßen. Ein Hersteller aus England will solche Flugtaxen schon für 30 000 Euro verkaufen; bis März soll das Modell zu Probeflügen abheben. Der Deutsche Alpenverein (DAV) hat 150 Jahre nach seiner Gründung in vielen Bereichen eine Stellung wie ein mittelständisches Unternehmen. Merkt nur kaum jemand, dafür sorgen 26 000 ehrenamtliche Helfer und 356 Sektionen, die einzeln Buch führen und der Bundesorganisation des größten Bergsportvereins der Welt darüber nicht gesondert Rechenschaft ablegen müssen. Der Report am Samstag beschäftigte sich mit dem Verbund und seinen Kampf für den Erhalt der Alpen - und den Konflikten, die sich dadurch in den wichtigsten Wirtschaftszweigen in den Bergen ergeben: dem Tourismus im Allgemeinen und dem Skifahren im Besonderen. Was noch? An diesem Sonntag jährt sich zum 100. Mal der Geburtstag von Helmut Schmidt, dem einstigen Bundeskanzler. Von ihm stammt ein Satz, der gut zu Weihnachten passt: "Hoffnung? Das ist ein Gebot, dem die Politiker nicht ausweichen dürfen!" | Zum Jahreswechsel geht der Blick zurück: auf die Ab- und Absteiger der Wirtschaft, auf neue und gefeuerte Lenker von Unternehmen. Und er geht nach vorn: zum Beispiel auf neue Verkehrsmittel am Himmel. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/was-kommt-flugtaxen-und-andere-abfluege-1.4262649 | Was kommt - Flugtaxen und andere Abflüge | 00/12/2018 |
Sie reisten mit dem D-Zug an, gut ein Dutzend Chinesen, einen Termin hatten sie nicht. Vom Bahnhof liefen sie zur Wache Sandkamp - fast eine halbe Stunde zu Fuß. Dann standen sie fröstelnd in ihren blauen Mao-Anzügen vor dem Wolfsburger Stammwerk, es war November 1978. Einer der Männer sprach den Pförtner an. "Ich bin der chinesische Maschinenbauminister und möchte einen Verantwortlichen von VW sprechen", sagte er, sein Dolmetscher übersetzte. Die Wache telefonierte aufgeregt: ein Minister mit Delegation vor dem Haupteingang, und das ohne Termin. Sie hatten Glück: Ein Mitglied des Vorstandes hob ab und erklärte sich bereit, den Besuch zu empfangen, es wurde ein Treffen, das die Geschichte von Volkswagen verändern sollte. 40 Jahre ist das nun her. Heute ist der Konzern der wichtigste Hersteller in China, dem größten Automarkt der Welt. 4,2 Millionen Fahrzeuge setzt das Unternehmen pro Jahr in der Volksrepublik ab. Vier von zehn Fahrzeugen verkauft Volkswagen in China. Bei der Kernmarke VW ist es sogar jedes zweite Auto. Die Ergebnisse aus China retten seit Jahren schon die Zahlen. Ohne den Erfolg in Fernost wären die Auswirkungen der Dieselaffäre viel stärker in der Bilanz zu spüren. Es ist keineswegs übertrieben, wenn man behauptet, dass Volkswagen inzwischen nicht nur ein deutscher, sondern auch ein chinesischer Konzern ist. Und wie in Deutschland, ist der Aufstieg mit einem Auto verbunden. Der Käfer war der Wirtschaftswunderwagen, erst ein Erfolg in Deutschland und dann in der ganzen Welt. In China war es der Santana. Seit 1981 auf dem Markt, benannt, wie der Golf oder der Passat nach einem Wind, dem "Santa-Ana", einem Föhn, der zwischen der Sierra Nevada und den Rocky Mountains entsteht und trockene warme Luft nach Südkalifornien trägt. Den Teufelshauch nennen die Amerikaner ihn. Ein großer Name für ein eher unspektakuläres Auto: Der Santana ist eine solide, aber eher spießige Limousine. In Deutschland war rasch Schluss. Mit der Modellpflege 1985 verschwand er nach vier Jahren wieder aus dem Angebot. Da ging es in China überhaupt erst los. Jeder Mitarbeiter erhielt zunächst das gleiche Gehalt Der "Sangtana", wie er auf Chinesisch heißt, wurde zum roten Käfer. Millionenfach gebaut, inzwischen in der fünften Generation, ist er für viele Chinesen zum Inbegriff des Automobils geworden. Als alles anfing, vor 40 Jahren war Volkswagen in China unbekannt. Die bleiernen Mao-Jahre waren gerade vorüber, eine neue Führung hatte in Peking die Macht übernommen. Nach Jahrzehnten der Isolation, die ersten Reisen, der erste Austausch. 1978 sollte die Exkursion des Ministers nach Stuttgart führen. Die Deutschen fahren schließlich Mercedes. Das wusste man selbst im abgeschotteten China der Siebzigerjahre. In der Bundesrepublik angekommen, sahen die Chinesen Autos - viel mehr als zu Hause. Doch wo waren die Mercedes-Modelle? Auf den Straßen stattdessen lauter Kleinwagen und auf den Kühlern zwei Buchstaben eng verschlungen, ein V und ein W. "Was ist das für eine Marke?", fragte sich die Delegation. "Volkswagen", hieß es in Stuttgart. Nach einer Höflichkeitsvisite bei Daimler setzte sie sich in den Zug und fuhr nach Wolfsburg. Fünf Jahre verhandelten Chinesen und Deutsche, dann war man sich einig. Volkswagen eröffnete als erster deutscher Autokonzern eine Produktion in China. Detailansicht öffnen Chinesische Taxifahrer bekommen in Nanjing, im Osten Chinas neue Fahrzeuge. Das Modell: ein VW-Santana. Das Bild wurde 2005 aufgenommen, den Wagen gibt es in China mittlerweile in der fünften Generation. (Foto: China Daily CDIC/Reuters) Am 11. April 1983 fertigen Arbeiter der Shanghaier Traktoren und Automobilfabrik (STAC) den ersten Volkswagen. Auf dem Dach ein Schild: "1. VW Santana Assembeld by STAC." Im Jahr darauf wurde das Joint Venture von Volkswagen in Shanghai gegründet, das noch heute besteht. Einer der ersten Mitarbeiter damals war Xu Zhirong, 57 Jahre alt. Inzwischen ist er der letzte Mann der ersten Stunde, der noch immer für Volkswagen in China arbeitet. Er hat Fahrzeugtechnik studiert, sein Jahrgang war der erste, der nach der Kulturrevolution wieder an die Universität gehen durfte. 1979 fing er bei STAC an. Im Vorort Anting fertigten sie den "Phoenix", den Nachbau eines Mercedes aus dem Jahr 1956. Vielleicht 300 Stück im Monat - alles in Handarbeit. Heute ist Anting das chinesische Wolfsburg. Der Formel-1-Zirkus macht einmal im Jahr Station. Mehrere Werke wurden hochgezogen. Volkswagen, Škodas und bald auch Audis werden hier hergestellt. In unmittelbarer Nachbarschaft hat General Motors seine Fabriken errichtet. Im Sog von Volkswagen siedelten sich etliche deutsche Firmen an. Erst die Zulieferer, die Türen, Scharniere, Bremsen anfertigten. Bald kamen auch die großen Unternehmen, wie die BASF. Das Volkswagen-Joint-Venture brauchte schließlich jede Menge Lack. Xu Zhirong sitzt in einem Besprechungsraum der chinesischen VW-Zentrale, die Halle, in der der erste Santana zusammengeschraubt wurde, ist gleich um die Ecke. Einer der Deutschen, erinnert er sich, habe damals eine Ansprache gehalten: "In einigen Jahren wird jeder von euch sich einen Santana kaufen können", sagte der Mann. "Wir dachten, der spinnt", sagt Xu. 46 Yuan verdiente er damals pro Monat. Für einen Santana hätte er mehr als 100 Jahre sparen müssen. Private Käufer gab es in den ersten Jahren nicht, ausgestattet wurden Taxibetriebe und Behörden. Mehrmals reiste Xu nach Deutschland. Nach Emden und nach Ingolstadt, dort lernte er die moderne Produktion kennen mit Fließbändern und Schweißrobotern. Auch ein paar deutsche Wörter kann er seitdem. "Bier" zum Beispiel oder "Toilette" und "Zählpunkt acht". Einen Ort, den es in jedem Volkswagenwerk der Welt gibt - die Qualitätskontrolle ganz zum Schluss. Grelle Neonlampen leuchten jeden Quadratzentimeter aus. Kratzer im Lack? Schließt der Kofferraum? Und wie steht es um die Spaltmaße, also den Abstand, zwischen Kotflügel und Motorhaube, der Ex-Patriarch Ferdinand Piëch immer so wichtig war? Zehn Jahre baute Xu Autos, ohne selbst fahren zu können, 1989 machte er den Führerschein. Acht Monate in der betriebseigenen Fahrschule. Dann kaufte er sein erstes Auto, natürlich einen Santana. Zunächst hatten die Chinesen überlegt, den Audi 100 zu produzieren, und den Kadern hätte der größere Audi vermutlich auch besser gefallen, letztlich siegte aber der Verstand über den Komfort, weil sich beim Santana die Produktion in kürzerer Zeit auf chinesischen Boden umsetzen ließ. Möglichst viel Wertschöpfung im eigenen Land, genau darum ging es der Regierung in Peking schon damals. "Ich habe direkt mit Ministern, häufig sogar den Premiers verhandelt. Autos aus Deutschland, das war ein großes Thema", erinnert sich Carl Hahn. Der Santana in China, das war seine Idee. Von 1982 bis 1992 war Hahn Vorstandschef von Volkswagen. Heute ist er 92 Jahre alt. Wer ihn als "rüstig" bezeichnet, beleidigt ihn. Er ist agil, wie eh und je und empfängt in seinem Büro, gleich neben dem Wolfsburger Kunstmuseum. Er hat noch immer ein Sekretariat, einen Assistenten und eine E-Mail-Adresse von Volkswagen. Manchmal kommt er sechs Mal die Woche ins Büro. "Ich mache viele verrückte Dinge", sagt er. Hahn berät den Präsidenten Kirgistans, ist stellvertretender Aufsichtsratschef einer isländischen Geothermikfirma. Er ist Pate mehrerer Schulen und seit einiger Zeit interessiert er sich auch für Genetik. Erst vor ein paar Tagen ist er aus Peking zurückgekehrt. Ein chinesisches Magazin hat ihm den Titel "Impact China Person of the Year" verliehen. Die Plakette liegt in einem der Schaukästen im Flur. Detailansicht öffnen Ein altes Santana-Modell: Der „Sangtana“, wie er in China heißt, wurde für viele Chinesen zum Inbegriff des Automobils – wie der VW-Käfer in Deutschland. Ließ sich der Erfolg von Volkswagen in China Anfang der Achtzigerjahre erahnen? "Im ersten Jahr hatten wir 27 Prozent Marktanteil. Mit insgesamt 5000 Autos. Meinen Kritikern habe ich bewiesen, dass es großer Blödsinn war, nach China zu gehen", sagt Hahn und zwinkert. "Nein im Ernst: Meine Rechnung damals war simpel. Ich bin davon ausgegangen, dass China im schlechtesten Fall eine ähnlich hohe Motorisierung wie Nigeria erreichen würde." 70 000 Neuwagen bei damals 70 Millionen Einwohnern. "Auf die Volksrepublik übertragen wären das bei einer Milliarde Chinesen eine Million Autos pro Jahr gewesen. Da lohnt sich ein Werk." Und wie: Heute unterhält der Konzern 33 Fabriken in China. Jedes Jahr werden hier 24 Millionen Pkws verkauft. Der chinesische Automarkt ist genauso groß, wie der amerikanische und europäische zusammen. Als ersten Chef setzte Hahn Martin Posth ein. Damals Anfang 40 und ein Überflieger im Konzern. Bevor er nach China versetzt wurde, war er Personalvorstand bei Audi. Viele im Unternehmen sahen das damals als Degradierung. Posth aber wollte es genau so, vor ein paar Jahren hat er ein Buch über seine Zeit in Shanghai geschrieben, vergangenes Jahr ist er früh gestorben. Auch Hahn verteidigt Posth: "China hatte Priorität, es ging darum, die besten Leute nach Shanghai zu schicken." Als technischen Leiter stellte Volkswagen Posth Hans-Joachim Paul zur Seite, als Chef des Werks in Kassel war er dafür genau der Richtige. Posth und Paul bauten die Fertigung mit einer eigenen Ausbildung auf. Und Wolfsburg ließ sie gewähren. 1986 etwa führten sie einen Tarifvertrag mit 18 Lohngruppen ein. Ausgerechnet in dem Land, das noch Maos "eiserne Reisschüssel" gewohnt war. Zuvor hatte noch jeder Mitarbeiter das gleiche Gehalt bekommen. Die Putzfrau genauso viel, wie der Kranführer. Der Hilfsarbeiter erhielt die identischen Bezüge, wie ein Ingenieur. Wer nun gute Arbeit leistete oder höhere Stückzahlen als gefordert produzierte, der bekam eine Prämie - in China war das vollkommen neu. Zwei Jahre später ließ Posth gar eine Volkswagen-Anleihe auflegen - ebenfalls Neuland. Das Joint Venture brauchte Geld. "Meine Vorgabe war damals, das Geschäft muss sich selber tragen", sagt Hahn. Statt Devisen überlegte man in Wolfsburg, auch Naturalien zu akzeptieren. Eine Shanghaier Werft baute extra zwei Frachtpötte, um eventuell chinesische Kohle nach Deutschland zu schippern. Die größte Belastung für das Budget waren allerdings die deutschen Mitarbeiter, in den Anfangstagen verdienten sie zweihundert Mal mehr als ihre chinesischen Kollegen. Auch die Wohnungen kosteten ein Vermögen. Die Miete für das schäbige japanische Fertighaus, das Statthalter Posth mit seiner Familie bewohnte, betrug mehrere Tausend Dollar im Monat. Eine deutsche Schule gab es noch nicht, auch keine Supermärkte mit importierten Lebensmitteln. Wurden irgendwo in der Stadt wieder einmal Konserven angeboten, machten sich die VW-Mitarbeiter auf den Weg. Abends trafen sie sich meist im Hengshan-Hotel, an der Rattenbar, die so hieß, weil man häufiger irgendwelche Nager sah. Über das Problem mit beschwerte sich sogar Chinas Ministerpräsident An der Straße zum Flughafen stellte Volkswagen ein handgemaltes Plakat auf: "Santana the Trendsetter for Motoring" stand darauf, es war eine der ersten Werbetafeln in Shanghai. Und bald kannte das ganze Land Volkswagen: Für wenig Geld sicherte sich das Unternehmen die Nutzungsrechte an einer Staffel der ZDF-Serie Traumschiff - Sascha Hehn synchronisiert auf Chinesisch. Das bot man dem Staatsfernsehen an. Einzige Bedingung: begleitende Volkswagen-Werbung im Fernsehen. Noch heute erinnern sich ältere Chinesen an das Traumschiff, und natürlich den Santana, das Auto von Volkswagen. Detailansicht öffnen Hergestellt wird der Santana noch immer, einige Hundert Kilometer nördlich von Shanghai, tief in der Provinz Jiangsu, und weit weg im Nordwesten Chinas, in Urumqi. (Foto: Alamy/mauritius images) Ohne Veränderungen für den chinesischen Kunden ging es aber nicht. "Das Auto wurde verlängert", erinnert sich Hahn. Schwierigkeiten machte die Hupe. Die Chinesen wollten sie am liebsten selbst herstellen. Das Problem: Nach 50 000 Hupvorgängen gaben die chinesischen Sirenen klein bei. In Europa wäre das kein Problem gewesen, wer hupt schon 50 000-mal? In China war das der Alltag, vor allem in den Achtzigerjahren, als sich die Fahrer noch Wege durch Heerscharen von Radlern bahnen mussten. Volkswagen verlangte, die Hupen müssen bis zu 120 000-mal zu hören sein. Auf chinesischer Seite verstand man nicht, warum der deutsche Standard sogar übertroffen werden sollte. "Am Ende hat sich sogar der chinesische Ministerpräsident am Rande einer UN-Sitzung bei Bundeskanzler Helmut Kohl über die Hupen beschwert", erinnert sich Hahn. Der Konzern blieb hart, die Hupen mussten importiert werden; dafür gab es keinen Verschleiß. "Xin Sangtana" (Neuer Santana) heißt das aktuelle Modell. Hergestellt wird es in zwei Werken, einige Hundert Kilometer nördlich von Shanghai, in der Provinz Jiangsu, und weit weg im Nordwesten Chinas, in Urumqi - ausgerechnet in der Autonomen Region Xinjiang, in der bis zu einer Million Uiguren in Umerziehungslagern festgehalten werden. Das Werk in Urumqi ist unerreichbar, Journalisten werden bei Recherchen auf Schritt und Tritt vom Geheimdienst verfolgt, die Fabrik in Jiangsu aber kann man besuchen. Ein Auto pro Minute bauen sie hier. 85 Prozent der Produktion sind automatisiert, 3400 Angestellte arbeiten in zwei Schichten. Mit Golfwägelchen wird man durch die Fertigung gefahren, in der es aussieht, wie in so vielen anderen VW-Werken der Erde. Seit einigen Jahren werden die Fabriken nur noch nach demselben Muster gebaut. Wie die Filialen von McDonald's an der Autobahn - nur deutlich komplexer. Es gibt eine Lackiererei, ein Stanzwerk, Bänder, Roboter und natürlich eine Teststrecke, die auf Deutsch ausgeschildert ist: "Belgisches Pflaster. Länge: 60 m. Geschwindigkeitsbegrenzung: 20 km/h." Jeder Santana muss darüber. Das Auto, das China mobilisiert hat, fährt noch immer. | Vor 40 Jahren entdeckte Volkswagen den chinesischen Markt. Los ging es mit dem Modell Santana, der zum Käfer Chinas wurde. Dann kamen Ratten und Sascha Hehn. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/report-herr-xu-und-sein-auto-1.4262679 | Report - Herr Xu und sein Auto | 00/12/2018 |
Drohnen haben den Flughafen London-Gatwick lahmgelegt. Warum sie zum Problem für die Luftfahrt werden und was man dagegen tun kann. Detailansicht öffnen Warten unterm Weihnachtsbaum: Wegen der Drohnensichtungen am Flughafen London-Gatwick mussten Zehntausende am Boden bleiben. (Foto: Tim Ireland/AP) Schon ein Gerät, das für wenige Hundert Euro erhältlich ist, genügt, um einen der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte Europas lahmzulegen: Wegen verdächtiger Drohnenflüge musste der Flughafen London-Gatwick diese Woche mehr als 36 Stunden lang den Flugverkehr einstellen, Zehntausende Fluggäste waren betroffen. Am Freitag konnten Flugzeuge in Gatwick vorerst wieder starten und landen. Wie groß ist das Drohnen-Problem an Flughäfen? Es wird immer größer. In Deutschland gab es nach Angaben der Deutschen Flugsicherung im laufenden Jahr bislang 152 gemeldete Vorfälle mit Drohnen, davon 119 an Flughäfen. Es gibt auch Berichte über Kollisionen mit Flugzeugen, die gerade landen oder starten. In Europa wurden auch schon Flughäfen stundenweise wegen gesichteter Drohnen gesperrt, aber noch nie so lange wie nun in Gatwick. Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV) fordert schon länger schärfere Regeln, unter anderem eine Registrierungspflicht für Drohnen. Sie sollen auch mit Sendern ausgestattet werden, die sie für Fluglotsen und Piloten sichtbar machen. Welche Gefahr droht Passagieren und Piloten? Ein Zusammenstoß mit einer Drohne muss nicht in einer Katastrophe enden. Anfang Dezember kollidierte in Mexiko eine Boeing 737-800 höchstwahrscheinlich mit einem unbemannten Fluggerät. Die Flugzeugnase war eingedellt, die für einen Vogelschaden typischen Blutspuren fehlten. Schaden richten aber beide Ursachen an: "Ein Vogel muss nicht kleiner als eine Drohne sein", sagt Janis Georg Schmitt, Sprecher der Pilotenvereinigung Cockpit und selbst Pilot. Beides könne die dünne Aluminium-Außenwand eines Flugzeugs beschädigen. Nach einer solchen Kollision könne ein Flugzeug wie die Boeing-Maschine in Mexiko meist noch normal landen. Gefährlicher sind die Folgeschäden, wenn zum Beispiel größere Teile aus der Flugzeug-Außenwand herausbrechen und ins Triebwerk fliegen. Einen anderen Drohnenunfall haben Forscher vom Dayton Research Institute jüngst simuliert. Allerdings nicht bei einer üblichen Landegeschwindigkeit, sondern bei maximaler Fluggeschwindigkeit einer Propellermaschine: Die Drohne bohrte sich in den Flügel hinein und beschädigte die Elektronik im Innern massiv. Was kann noch passieren? Selbst einfache Drohnen können enorm leistungsfähig sein. Sie sind teils extrem schnell und können schwere Lasten, zum Beispiel auch Sprengstoff, tragen. Drohnen sind deshalb nicht nur für Flugzeuge gefährlich. Mit ihnen können auch Sicherheitskontrollen umgangen werden. Denkbar ist etwa, dass der Sicherheitszaun überflogen und gefährliche Gegenstände auf dem Gelände platziert werden. Wie teuer ist der Ausfall in Gatwick für den Flughafenbetreiber und die Airlines? Der Schaden für Fluggesellschaften und Flughafen dürfte ein zweistelliger Millionenbetrag pro Tag sein. Besonders betroffen ist die Airline Easyjet, die in Gatwick eine ihrer größten Basen betreibt. Grundsätzlich können sich Flughafenbetreiber und Fluglinien gegen Betriebsunterbrechungen versichern. Dafür muss meist ein Sachschaden vorliegen, etwa, wenn durch einen Brand die Abfertigung unterbrochen wird. Ein Sachschaden liegt im Fall von Gatwick nicht vor. Rainer Breeck vom Versicherungsmakler Aon sagt, eigentlich müssten die Verursacher haften: "Das wird in diesem Fall schwierig, die Drohnenlenker sind im Moment noch nicht gefunden." Selbst eine Drohnenhaftpflichtversicherung würde wohl nicht greifen. Welche Strafen gibt es? Drohnen dürfen in Deutschland an Flughäfen und in einer Schutzzone von rund 1,5 Kilometern rund herum nicht fliegen. Verstöße dagegen sind ein "gefährlicher Eingriff in den Luftverkehr", es drohen bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe. Betroffene Unternehmen wie Flughafenbetreiber und Airlines könnten außerdem Schadenersatz für entstandene Kosten fordern. Kriegen betroffene Fluggäste nun ihr Geld zurück? Flugausfälle wegen Drohnen werden als höhere Gewalt eingestuft. Daher können Passagiere sich nicht auf die EU-Richtlinie 261 berufen, die zum Teil hohe Entschädigungszahlungen vorsieht. Die Fluggesellschaften müssen sich aber um die Verpflegung die und Unterbringung der Fluggäste kümmern, außerdem müssen sie diese umbuchen oder den Ticketpreis erstatten, wenn ihre Kunden dies fordern. Britische Fluggäste mit einer sogenannten Reiseunterbrechungsversicherung erhalten möglicherweise einen Teil ihrer Verluste zurück. Deutsche Reisende eher nicht, so eine Option wird hier nicht angeboten. Wer ist für die Gefahrenabwehr zuständig? Normale Radargeräte können Drohnen in der Regel nicht erfassen. Meist werden sie von den Piloten nur aus dem Cockpit heraus gesichtet und der Flugsicherung gemeldet. Da es sich um eine Straftat handelt, ist für die Abwehr der Drohnen dann die jeweilige Landes- oder Bundespolizei zuständig. Welche Maßnahmen können gegen die Gefahr durch Drohnen helfen? Außerhalb von Flughäfen ist es möglich, mit Hilfe von Störsendern das Signal zwischen Drohne und Fernsteuerung zu unterbrechen. Im Fachjargon ist dann von "jammen" die Rede. Ist das Funksignal gestört, fliegen Drohnen oft automatisch zu ihrem Startpunkt zurück oder landen. Diese Methode trifft allerdings komplette Funkbänder und eignet sich darum nicht für Flughäfen. Dort ist ein funktionierender Funkverkehr essenziell. Eingesetzt werden stattdessen Netzkanonen und Fangdrohnen, mit deren Hilfe Netze auf die Drohnen geschossen werden. Allerdings ist es schwierig, die oft hoch und schnell fliegenden Fluggeräte damit zu erwischen. Ein Abschuss mittels Gewehr gilt aus den gleichen Gründen als problematisch. Und auch die Drohnen-Jagd mit Greifvögeln ist nicht erfolgversprechend. Unternehmen wie das Start-up Dedrone setzen darum auf neuere Methoden: Mithilfe von Sensoren werden die Funkfrequenzen der Drohnen erfasst. Eine Software errechnet die Flugbahn der Drohne und kann mitunter auch den Gerätetyp bestimmen und damit das Gefahrenpotenzial der Drohne abschätzen. Ziel ist es dann, direkt den Drohnenpiloten ausfindig zu machen. | Drohnen haben den Flughafen London-Gatwick lahmgelegt. Warum sie zum Problem für die Luftfahrt werden und was man dagegen tun kann. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/flugausfaelle-kleines-geraet-grosse-gefahr-1.4262661 | Flugausfälle - Kleines Gerät, große Gefahr | 00/12/2018 |
Das Sparbuch wurde immer wieder politisch missbraucht, mal um Kriege zu finanzieren, mal um Revolten zu verhindern oder den Antisemitismus zu schüren. Als Karl Marx wieder mal klamm war, notierte er in eine Zettelsammlung, dass dieser ganze Drang zum Sparen sowieso keinen Sinn habe. Die Sparer betrieben bloß "Knickerei", verwandelten sich in "Rechenmaschinen" und zementierten durch ihre Kniepigkeit doch nur die eigene "Lumperei", ihre Armseligkeit. Knausern, Knickern, Pfennigfuchsen, das wird aus den Zeilen klar, sind die Sache des jungen Mannes nicht. Als Student verzechte Marx in Bonn und Berlin mehr Geld in Kneipen, als Ratsherren verdienten. In seinen Brüsseler Tagen der späten 1840er-Jahre war Marx so abgebrannt, dass er neben dem Familiensilber und -gold auch seine Bettwäsche im Leihhaus versetzen musste. Marx' Aversion gegen das Sparen war keineswegs nur seiner persönlichen Unfähigkeit dazu geschuldet. Das Sparen? "Eine dreifache Maschine des Despotismus", notiert Marx. Ihm ging es wie immer ums große Ganze. Marx' Bemerkungen haben dem Sparbuch nicht geschadet, für die Deutschen wurde das Büchlein zum Lebensbegleiter. Es ist ein Stück Inventar der Republik, manche sagen gar: ein nationales Heiligtum. "Sparen ist ein Wert an sich geworden", sagt die Finanzpsychologin Monika Müller. Ganze Großelterngenerationen legten ihren Enkeln ein Sparbuch in die Wiege. Das Sparbuch gehörte zum Hausrat der Bonner Republik wie Gartenzwerge und die Capri-Fischer. Heute noch, so eine Studie der Commerzbank, besitzen 45 Prozent der Deutschen ein Sparbuch. Dass das vermeintlich private Büchlein oft politisch missbraucht wurde, wird oft übersehen. Politikern kam es zupass, dass aus Arbeitern mithilfe des Sparbuchs Kleinbürger wurden, und sie nutzten die Spareinlagen, um nicht nur Prestigeprojekte, sondern auch Kriege zu finanzieren. Niemand konnte ahnen, welche Karriere das Büchlein machen würde, als an jenem 15. Juni 1818 die kommunale Berliner Sparkasse um neun Uhr ihren Betrieb aufnahm. An der Königs-, Ecke Spandauer Straße hatten sich die Sparkassenmitarbeiter in einem Anbau des Rathauses einquartiert. "Über die eingezahlten Summen erhält jeder Interessent ein sogenanntes Quittungs-Buch, welches eine Nummer enthält und mit der Unterschrift des Curatoriums versehen ist", notierte der Rechnungsführer der Sparkasse. Vorher hatten die wenigen deutschen Sparkassen ihren Kunden einzelne Scheine oder Bögen ausgegeben, mit der jede Einlage einzeln quittiert wurde. An deren Stelle trat nun ein unscheinbares Büchlein. Für Experten ist dieser Junitag vor 200 Jahren der bisher erste bekannte Verweis auf ein Sparbuch in Deutschland. Als Marx 1847 seine Abrechnung mit den Sparkassen zu Papier brachte, hatte er das politische Potenzial des Sparbuchs schon erkannt. In vielen deutschen Städten rühmten sich die Magistraten, den Armen damit eine Perspektive zu geben. Ihre Spargroschen sollten nicht länger im Sparstrumpf versauern, sondern bei der Bank "auf Zins" angelegt werden. Marx hielt diese Mildtätigkeit für vorgeschoben. "Die Sparkasse ist die goldene Kette, woran die Regierung einen großen Teil der Arbeiterklasse hält", notierte er in sein Diarium. Mit anderen Worten: Wer spart, hat etwas zu verlieren. "Und wer etwas zu verlieren hat, so der Gedanke, macht keine Revolution", sagt Wirtschaftshistoriker Robert Muschalla vom Deutschen Historischen Museum in Berlin, der sich mit der deutschen Spargeschichte auseinandergesetzt hat. Krupp gründete eine Fabriksparkasse - um Aufständen vorzubeugen Marx war mit seiner Meinung keineswegs allein. Großindustrielle wie Friedrich Alfred Krupp unterstützen die Sparbewegung, richteten eigenen Fabriksparkassen ein, um die aufkeimende Arbeiterbewegung niederzuhalten. Besonders deutlich wurden die Verfasser des Deutschen Staatswörterbuchs von 1865: Die Sparkasseneinlage sei "ein Damm gegen kommunistische Gelüste und revolutionäre Gedanken", schrieben sie. Detailansicht öffnen Marx mochte es nicht, Kaiser Wilhelm II. machte es zur nationalen Sache und noch heute schwören die Deutschen darauf: das Sparbuch. Nebenbei arbeiteten die Kommunen mit dem Geld der Anleger in den oft städtischen Sparkassen, investierten es in eigene Kommunalanleihen. "Viele Kommunen waren nach den napoleonischen Kriegen und in der beginnenden Industrialisierung dringend auf Kredite angewiesen", sagt Wirtschaftshistoriker Muschalla. Ohne die Sparbücher hätten die Magistrate ihren Traum vom großflächigen Straßenbau Anfang des 19. Jahrhunderts kaum finanzieren können. Ein interessanter Zufall, dass ausgerechnet jener Plöner Ratsherr, der eine neue Straßenbaumethode erprobte und den Grundstein für viele Chausseen in Norddeutschland legte, auch das älteste noch erhaltene deutsche Sparbuch beantragte. Doch es sollte nur wenige Dekaden dauern, bis das Sparbuch nicht nur Straßen finanzierte, sondern auch Kriege. Am 1. August 1914 versammelte sich eine große Menschenmenge auf dem Platz vor dem Berliner Stadtschloss. Kriegsfiebrig jubelten die Berliner ihrem Kaiser Wilhelm II. zu. Eben hatte das Deutsche Reich Russland den Krieg erklärt. In seiner "Balkonrede" beschwor Wilhelm II. die nationale Einheit und sprach - mit knarziger Stimme - jene Worte, die später seine bekanntesten werden sollten: "Ich kenne keine Parteien und auch keine Konfessionen mehr, wir sind heute alle deutsche Brüder und nur noch deutsche Brüder." Diese Losung zierte fortan die ersten Seiten vieler Sparbücher, deren Umschläge damals ihr neutrales Blau oder Schwarz verloren und nun in Reichsfarben gedruckt wurden. Jeder sollte sehen können, dass das kleine Buch nicht mehr dem individuellen Sparen diente. Sondern der nationalen Sache. Zwei Monate nach Beginn des Ersten Weltkrieges begab das Reich die erste Kriegsanleihe, um die Schlachten zu finanzieren. Selbst jene, die sich von der Kriegsanleihe ferngehalten hatten, mussten später feststellen: Sparkassen und Genossenschaftsbanken hatten die Gelder der Sparbuch-Anleger im Rahmen ihrer eigenen Geschäfte zum Großteil in Kriegsanleihen angelegt. Manche sprechen deshalb auch von einer "geräuschlosen Kriegsfinanzierung", eine Methode, die später auch die Nationalsozialisten ausgiebig nutzten. Wie kaum ein anderer stellte Hitler das Sparbuch in den Dienst der Propaganda. Hier der Deutsche, der mit seiner Hände Arbeit ehrlich Geld verdient. Der sät, wartet und später mehr oder weniger reichlich erntet. Dort das als jüdisch bezeichnete "Finanzkapital", das vorgeblich mit Spekulation dem Rest der Welt das Geld aus der Tasche zieht. Damit knüpften die Nationalsozialisten auch an psychologische Faktoren an: "Spekulation wird in Deutschland emotional viel negativer empfunden als anderswo", sagt Finanzpsychologin Müller. Hier die Bienen, dort die Spinnen, so die Ikonografie des Regimes. Detailansicht öffnen Im Herbst 2008 rüttelte es die Deutschen aus ihrer Sparseligkeit: Der Zusammenbruch der Bank Lehman in den USA schlug weltweit Wellen, die Bürger fürchteten um ihre Ersparnisse. Wie weit der Zynismus der Nationalsozialisten ging, zeigte sich, als im Herbst 1942 ein Schild im Konzentrationslager Theresienstadt aufgehängt wurde. Am Gebäude Q619 prangte fortan der Schriftzug "Bank der jüdischen Selbstverwaltung". Deportierte Juden mit Bankerfahrung mussten hier als Direktoren arbeiten, sich ein luxuriöses Büro einrichten - so wollte es das Drehbuch der Nationalsozialisten. Vor einem Besuch des Internationalen Roten Kreuzes wollte die SS das Lager als Mustersiedlung inszenieren. Ausgerechnet die Existenz von Sparbüchern beziehungsweise Sparkarten, die jeder Häftling bei sich führen musste, sollte beweisen, dass im Lager alles mit rechten Dingen zuging. Auf jene Sparkarten wurde den Insassen ein Teil ihres Lohnes überwiesen, der größtenteils eingefroren wurde, ihnen also gar nicht zur Verfügung stand. Vom mageren Rest konnten sie eine schwarze Brühe erwerben, die sich Kaffee nannte. Oder jene Mäntel kaufen, die ihnen die Nazis zuvor abgenommen hatten. Dergleichen wollte man in der frühen Bundesrepublik vergessen machen. Die Menschen richteten sich in einer Welt aus munteren Schlagern und dem warmen Klang der Röhrenradios ein. Die Sparkassen warben mit der Reklamefigur Sparefroh, die in Österreich bald bekannter war als der Bundespräsident. Eisernes Sparen war gestern, die Gegenwart gehörte dem Konsumsparen: Waschmaschine, Fernseher, Italienreise, das Sparbuch machte es möglich. Kinder sammelten derweil die Knax-Comics der Sparkasse, in denen Didi, Dodo und Pomm-Friedel gegen die Räuberbande auf der Burg Fetzenstein kämpfen. Diese bunte Werbewelt vermittelte ein bürgerliches Ideal: In den Comics ging es um ehrliche Handwerker, um Land- und Gastwirte. Bei den Volksbanken schwirrte die Biene Sumsi herum. Die Banken machten auf Biedermeier, während auf den Straßen wütende Studenten gegen den herrschenden Moralkodex der Bundesrepublik revoltierten. Doch im Herbst 2008 rüttelte es die Deutschen aus ihrer Sparseligkeit. Der Zusammenbruch der Bank Lehman in den USA schlug weltweit Wellen - auch in Deutschland. Die Bürger fürchteten um ihre Ersparnisse, die Angst vor einem Bankenrun war groß. Das zwang die Bundesregierung zum Handeln. An einem Sonntag im Oktober 2008 traten Kanzlerin Angela Merkel und der damalige Finanzminister Steinbrück im Lichthof des Kanzleramts vor die Fernsehkameras. "Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind", versprach die Kanzlerin und nickte mit dem Kopf, als könnte sie ihre Aussage damit bekräftigen. Die Sparbuchmacher reagierten prompt, als das Vertrauen in die Finanzbranche schwand. 2009 gab die Berliner Sparkasse ein "goldenes Sparbuch" in den Druck. Unter die goldene Aufschrift setzten die Macher das Symbol der Quadriga. "Ein nationales Symbol wohlgemerkt", sagt Wirtschaftshistoriker Muschalla. Hier die deutschen Sparer, dort das internationale Finanzkapital, so könnte man es interpretieren. Auch in neuen Zeiten steht das Sparbuch in alter Tradition: Es ist vielschichtiger, als man denkt. | Das Sparbuch wurde immer wieder politisch missbraucht, mal um Kriege zu finanzieren, mal um Revolten zu verhindern oder den Antisemitismus zu schüren. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/sparbuch-das-kleine-rote-1.4262669 | Das kleine Rote | 00/12/2018 |
Kurz vor dem Weihnachtsfest hat sich der Dax am Freitag nach einem erneuten Jahrestief stabilisiert. Der deutsche Leitindex schaffte es am "Hexensabbat" nach schwachem Auftakt knapp ins Plus. Zum Handelsschluss lag er 0,1 Prozent höher bei 10 622 Punkten. Zuvor war der Dax noch bis auf 10 512 Punkte und damit auf ein neues Tief seit zwei Jahren gefallen. Die Sorgen um die US-Konjunktur und die Aussicht auf weitere Zinserhöhungen in der weltweit größten Volkswirtschaft machten die Investoren nervös. Allein in den vergangenen drei Monaten verlor der Dax fast 14 Prozent, auf Jahressicht kommt er auf einen Abschlag von knapp 18 Prozent. Unter den Einzelwerten sorgte der "Hexensabbat" für ordentlich Bewegung: Im Tagesverlauf verfallen Optionen und Futures auf Aktienindizes sowie Optionen auf einzelne Aktien. Investoren versuchen an solchen Tagen, die Preise derjenigen Wertpapiere, auf die sie Derivate halten, in eine für sie günstige Richtung zu bewegen. Im Dax zählten die Titel der Lufthansa mit einem Plus von 3,6 Prozent zu den größten Gewinnern. Auf der Verliererseite hatten die Anteile des Dialyse-Konzerns Fresenius Medical Care das Nachsehen und gaben knapp zwei Prozent ab. Unter besonderer Beobachtung standen die Papiere von Sportartikelherstellern nach starken Geschäftszahlen von Nike. Bei Adidas ging es zunächst munter hin und her, zuletzt lagen sie mit 0,5 Prozent im Plus. Puma-Papiere zogen im M-Dax um 2,3 Prozent an. Bei Nike laufen die Geschäfte dank eines starken Online-Handels besser als gedacht. Darüber hinaus konnte der Konzern auf seinem Hauptmarkt Nordamerika mehr hochpreisige Schuhe losschlagen. Interne Änderungen sorgen zudem dafür, dass neue Produkte schneller in die Verkaufsläden kommen. Für das Jahr 2019 zeigte sich Nike daher optimistischer als zuletzt. Die Nike-Aktie verteuerte sich um 7,2 Prozent. Ein drohender Regierungsstillstand hat den Börsen an der Wall Street zu schaffen gemacht. Der US-Präsident Donald Trump weigert sich, Haushaltsmittel freizugeben, bis der Kongress fünf Milliarden Dollar für den geplanten Bau der Grenzmauer zu Mexiko bewilligt. Damit könnten ab Samstag zahlreiche Staatsbedienstete in den USA in unbezahlten Zwangsurlaub geschickt werden. Der Leitindex Dow Jones schloss 1,8 Prozent im Minus bei 22 445 Punkten. | Am letzten Handelstag vor Weihnachten sind die Anleger zurückhaltend. Der Dax fällt zeitweise auf ein Zwei-Jahres-Tief. Für teils erratische Kurssprünge sorgt der sogenannte "Hexensabbat". | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/aktienmaerkte-anleger-bleiben-vorsichtig-1.4262357 | Anleger bleiben vorsichtig | 00/12/2018 |
Es war eine Woche des Umweltschutzes: neue Kohlendioxid-Vorgaben für Autos, das Verbot von Einweg-Plastik. Doch dann isolierte sich Deutschland noch, als es um Grenzwerte für Lkw in Europa ging. Die Sitzung hatte noch nicht begonnen, da war für Svenja Schulze schon klar: "Es lohnt sich, dicke Bretter zu bohren." Ein Regelwerk für den internationalen Klimaschutz, neue CO₂-Vorgaben für Autos, ein Verbot von Einweg-Plastik. Aus Sicht der deutschen Umweltministerin ließ die Woche nicht viel zu wünschen übrig. Dann kam die Sitzung. | Es war eine Woche des Umweltschutzes: neue Kohlendioxid-Vorgaben für Autos, das Verbot von Einweg-Plastik. Doch dann isolierte sich Deutschland noch, als es um Grenzwerte für Lkw in Europa ging. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/klima-politik-deutschland-1.4262664 | Klimaschutz - Einsam in Europa | 00/12/2018 |
Der allgemeine Konjunktur-Pessimismus schlägt sich auch im Ölpreis nieder. Nach den deutlichen Verlusten der vergangenen Tage geben die Notierungen nach. Am Devisenmarkt geht es mit dem Euro ebenfalls nach unten. An den Rohstoffmärkten haben sich die Ölpreise am Freitag ihre jüngsten Verluste ausgeweitet. Am Abend kostete ein Fass der Nordseesorte Brent 53,64 Dollar. Das waren 1,3 Prozent weniger als am Donnerstag. Die Ölnotierungen stehen seit Wochen unter erheblichem Druck. Seit Anfang Oktober sind sie um etwa 40 Prozent eingebrochen. Gründe dafür finden sich sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite. Das Rohölangebot zeichnet sich derzeit durch eine Überversorgung aus. Ausschlaggebend ist unter anderem die stetig steigende Erdölförderung der Vereinigten Staaten, die sich aufmachen, zum weltweit größten Ölproduzenten aufzusteigen. Auf der Nachfrageseite kommen Befürchtungen hinzu, die globale Konjunktur könnte sich merklich eintrüben. In den USA hatte zuletzt die amerikanische Notenbank Fed mit einem relativ unbeirrten Zinserhöhungskurs die Sorge ausgelöst, sie könne es mit ihrer geldpolitischen Straffung übertreiben und so die US-Konjunktur abwürgen. Bislang ist davon jedoch wenig zu sehen. Am Devisenmarkt konnte der Euro seine Gewinne vom Vortag nicht halten und fiel auf 1,1362 Dollar zurück von zuvor 1,1444 Dollar. Konjunkturdaten aus der Eurozone signalisierten letztlich keinen überzeugenden Stimmungswandel für einen dauerhaften Anstieg der europäischen Gemeinschaftswährung. So droht der französischen Wirtschaft eine Konjunkturabkühlung. Die Stimmung der Firmenchefs ist dort mittlerweile so schlecht wie seit mehr als zwei Jahren nicht mehr, wie das Statistikamt Insee mitteilte. Besonders die Einzelhändler zeigten sich pessimistisch, da ihre Geschäfte von den gewaltsamen "Gelbwesten"-Protesten direkt betroffen sind. Viele von ihnen mussten etwa in Paris ausgerechnet während des umsatzträchtigen Weihnachtsgeschäftes schließen. Auch in Italien hat sich die Stimmung von Unternehmen und Verbrauchern erneut eingetrübt. | nieder. Nach den deutlichen Verlusten der vergangenen Tage geben die Notierungen nach. Am Devisenmarkt geht es mit dem Euro ebenfalls nach unten. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/rohstoffe-und-devisen-oelpreise-fallen-weiter-1.4262359 | Rohstoffe und Devisen - Ölpreise fallen weiter | 00/12/2018 |
Ex-Nissan-Chef Ghosn bleibt doch weiter in Haft, weil die Tokioter Staatsanwaltschaft ein Mittel gefunden hat, ihn länger zu halten. Sie setzt auf ein Geständnis. Carlos Ghosn bleibt im Gefängnis. Seine Anwälte hatten erwartet, der gestürzte Renault-Nissan-Chef und sein angeblicher Komplize Greg Kelly, die seit 33 Tagen in Untersuchungshaft sitzen, würden demnächst gegen Kaution freigelassen. Mit einer sogenannten Neuverhaftung hat die Staatsanwaltschaft ihre Haft am Freitag jedoch um mindestens zehn Tage verlängert. Damit setzte sie sich über ein rechtskräftiges Urteil des Bezirksgerichts Tokio hinweg. Das Gericht hatte den Antrag um Haftverlängerung Ghosns am Donnerstag abgelehnt. Das kommt selten vor, 90 Prozent aller Haftanträge werden bestätigt. Die Vorwürfe, mit denen die Staatsanwaltschaft Ghosns Haft verlängern wollte, so das Gericht, seien die gleichen wie bisher, bloß umformuliert. Die Staatsanwaltschaft appellierte, blitzte jedoch in der Berufung ab. Deshalb hat sie Ghosn und Kelly am Freitag "neu verhaftet", nun wegen "groben Vertrauensbruchs". Ghosn habe seine Pflicht als Nissan-Chef "verraten" und dem Unternehmen "damit finanziellen Schaden zugefügt". Mit der Neuverhaftung beginnt die Zehntagefrist neu, während der Ghosn und Kelly ohne Anklage festgehalten werden können. Japans Staatsanwälte nutzen das Instrument der Neuverhaftung, um Beschuldigte monatelang ohne Anklage festzuhalten. Ihr Ziel ist es, ein Geständnis zu erzwingen. Der japanische Anwaltsverband nennt das "Geisel-Justiz", das Geständnis sei wie ein Lösegeld. Geständnisse garantieren in japanischen Strafprozessen eine Verurteilung, auch falsche und erzwungene. Amnesty International und die UN haben Japan dafür kritisiert. Shin Kukimoto, stellvertretender Chef der Tokioter Staatsanwaltschaft, hielt dem entgegen: "Japan ist ein Rechtsstaat. Es gehört sich nicht, Japan zu kritisieren, nur weil unser Rechtssystem anders ist." | Ex-Nissan-Chef Ghosn bleibt doch weiter in Haft, weil die Tokioter Staatsanwaltschaft ein Mittel gefunden hat, ihn länger zu halten. Sie setzt auf ein Geständnis. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/carlos-ghosn-weihnachten-im-gefaengnis-1.4262659 | Weihnachten im Gefängnis | 00/12/2018 |
Neulich gab es einen interessanten Beitrag im Schweizer Fernsehen, er befasste sich mit Superpendlern. Das sind Menschen, die in irgendeinem europäischen Land leben und in der Schweiz arbeiten. Aus Deutschland, der Niederlande, Lettland, aus Belgien kommen sie Montagfrüh an und reisen am Freitag wieder zurück. Natürlich: mit dem Flieger. Es sind Tausende, die das so machen. Pendler sind zu einer eigenen Spezies Mensch geworden wie Eremiten, Asketen oder Eunuchen. Sie alle nehmen ihrem Leben freiwillig etwas und leiden einsam. Die Pendler stehlen sich Lebenszeit und versenken sie im Bauch eines Verkehrsmittels. Nein, das ist nicht super. Nichts am Pendeln ist super, und am unsupersten ist der ökologische Fußabdruck, den die Superpendler auf den Wolken hinterlassen, als Wanderer zwischen den Welten. Und ja, Flugreisende lassen sich geduldig wie Luftfracht am Gate abstellen, bei Flugausfall mit dem Verlust von vielen Stunden umbuchen, sie verlassen sich darauf, dass der Ganzkörperscanner sie wirklich nicht nackig macht, sie werden in enge Reihen gepfercht wie Autos in eine Duplexgarage und werfen vor dem Einsteigen noch schnell das teure Haarspray weg, damit das Handgepäck nur noch 7,99 Kilo wiegt und nichts extra kostet. Alles klaglos. Und weil das so jämmerlich, so schäbig, so würdelos ist, lautet ein modernes Argument, sei Bahnfahren einfach toll. Das ist die gleiche Argumentation, mit der ein Fahrrad mit einem platten Reifen besser ist als eines ganz ohne Luft, auch wenn beide nicht fahren. Würde sich der Mensch in seinem Aggregatszustand als Kunde stets mit der zweitschlechtesten Lösung zufrieden geben, wir würden noch alle grunzend in unseren Höhlen hocken und ums Feuer tanzen. Höhle trocken, Feuer warm, schnurr, schnurr, besser als draußen. Fahrgastrechteformular? Hol's das Mammut! Vielfahrer mit der Deutschen Bahn müssen nicht wie diese glücksglucksenden Schatz-ich-nehm-heut-mal-die-Bahnfahrer auf jedem zurückgelegten Gleiskilometer darüber sinnieren, wo sie jetzt wohl mit dem Auto stecken würden, wenn sie heute nicht "mal die Bahn" genommen hätten. Vielfahrer nehmen nicht die Bahn, sie sind Bahn: Die Strecke zwischen den verschiedenen Enden ihres zerrissenen Lebens ist geschottert und elektrifiziert, in den seltensten Fällen allerdings digitalisiert. Das will die Bahn, ohne sich festzulegen, vielleicht bis 2040 angehen - während rundherum, in der Schweiz oder in Dänemark zum Beispiel, der Prozess bereits heute ganz oder beinahe ganz abgeschlossen ist. Der Bahn fehlen Zehntausende Mitarbeiter, zig Züge und irgendwas um die vier Milliarden Euro, genau in diesem Moment fehlt ihr auch der Kaffee im ICE 885 zwischen München und Hannover. Das Bordrestaurant des ICE 4 ist defekt, so wie das Bordbistro auf drei der letzten fünf Fahrten auf dieser Strecke defekt war; die Filterkaffeepumpkannen waren kurz hinter Würzburg leer, frischer Kaffee soll in Kassel-Wilhelmshöhe geliefert werden. So muss sich das früher angefühlt haben, wenn das Carepaket kam. Hmmm, Filterkaffee! Auf manchen Umsteigebahnhöfen addieren sich die Verspätungen zu Menschenleben Ein läppischer Einzelfall? Für Vielfahrer gibt es keine Einzelfälle. Vielfahrer nehmen alles mit, das kleine Kaffeeärgernis, die Zaubertüren zwischen den Waggons, die sich nicht öffnen lassen, den Totalschaden des Triebwagens, alle Störungen im Betriebsablauf, jeden vorausfahrenden langsameren Zug, und okay - lassen wir das mit den Toiletten. Vielfahrer sitzen immer in dem Zug, der auf den Anschlusszug wartet, und nie in dem Zug, auf den gewartet wird. Es gibt kaum etwas Schlimmeres als eine Reservierung im Wagen 36 für einen Zug, der "heute leider ohne Wagen 36" fährt. Vielfahrer haben schon rein statistisch keine Chance, der Unpünktlichkeitsquote von 30 Prozent und der Zugkaputtheitsquote von 80 Prozent zu entgehen. Auf manchen Umsteigebahnhöfen, etwa in Hannover, addieren sich die durchgesagten Verspätungen zu ganzen Menschenleben, jeden Tag. Zeitfresser. Es ist so eine Art enttäuschte Liebe. Kritische Bahnkunden haben sich bereits für die Bahn entschieden, gegen das Auto, gegen das Flugzeug. Und für diese Entscheidung möchten sie zurückgeliebt werden, auch weil die Bahn Vielfahrern genau das verspricht: den Gewinn von Lebenszeit. Also von Leben. Die Superpendler der Deutschen Bahn wollen ihren idiotischen Lebensentwurf nicht auch noch allmorgendlich reingerieben bekommen, weil sie auf einem zugigen Bahnhof einem weißen Laufband dabei zuschauen, wie sich die zu erwartende Verspätung von 15 auf 20 auf 30 Minuten steigert, ehe kurz vor dem Eintreffen des Ersatzzuges ("heute ohne gastronomischen Service und ohne Reservierungen") ein Gleiswechsel angesagt wird. Wir wollen es doch nur warm, trocken und pünktlich haben in unserem Höhlenabteil. | Für uns Superpendler sind Verspätungen keine Einzelfälle. Wir warten ständig: auf den ICE 885 und auf den Filterkaffee, der erst in Kassel-Wilhelmshöhe an Bord kommt. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/deutsche-bahn-ihr-zug-hat-mal-wieder-verspaetung-lesen-sie-zum-trost-diesen-text-1.4258064 | Hat ihr Zug Verspätung? Lesen Sie diesen Text | 00/12/2018 |
Stundenlang ging nichts mehr am Flughafen London-Gatwick, weil Drohnen gesichtet wurden. Welche Unfälle drohen und was man dagegen tun kann. Für Kosten von ein paar Hundert Euro für eine Drohne kann man einen der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte Europas lahmlegen: Wegen verdächtiger Drohnenflüge musste der Flughafen Gatwick seit Mittwochabend mehr als einen Tag lang den Flugverkehr einstellen, Zehntausende Fluggäste waren betroffen. Inzwischen dürfen Flugzeuge wieder starten und landen, aber die Drohnenpiloten sind noch nicht gefasst. Die wichtigsten Fragen und Antworten. Wie groß ist das Drohnen-Problem an Flughäfen? Das Problem wird immer größer. In Deutschland gab es laut Deutscher Flugsicherung im laufenden Jahr bislang insgesamt 152 gemeldete Vorfälle mit Drohnen, davon 119 an Flughäfen. Es gibt auch Berichte über Kollisionen mit Flugzeugen, die gerade landeten oder starten wollten. In Europa wurden auch schon Flughäfen stundenweise wegen gesichteter Drohnen gesperrt, aber noch nie so lange wie Gatwick. Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV) fordert schon länger schärfere Regeln, unter anderem eine Registrierungspflicht der Drohnen. Sie sollen auch mit Sendern ausgestattet werden, die sie für Fluglotsen und Piloten sichtbar machen. Welche Gefahr droht Passagieren und Piloten? Ein Zusammenstoß mit einer Drohne muss nicht in einer Katastrophe enden. Anfang Dezember kollidierte in Mexiko eine Boeing 737-800 höchstwahrscheinlich mit einem unbemannten Fluggerät. Die Flugzeugnase war eingedellt, die für einen Vogelschaden typischen Blutspuren fehlten. Schaden richten aber beide Ursachen an: "Ein Vogel muss nicht kleiner als eine Drohne sein", sagt Janis Georg Schmitt, Sprecher der Pilotenvereinigung Cockpit und selbst Pilot. Beides könne die dünne Aluminium-Außenwand eines Flugzeugs beschädigen. Nach einer solchen Kollision könne ein Flugzeug wie die Boeing-Maschine in Mexiko meist noch normal landen. Gefährlicher sind die Folgeschäden, wenn zum Beispiel größere Teile aus der Flugzeug-Außenwand herausbrechen und in die Triebwerke gelangen. Einen anderen Drohnenunfall haben Forscher vom Dayton Research Institute jüngst simuliert. Allerdings nicht bei einer üblichen Landegeschwindigkeit, sondern bei maximaler Fluggeschwindigkeit einer Propellermaschine: Die Drohne bohrte sich in den Flügel hinein und beschädigte die Elektronik im Inneren massiv. Drohnenhersteller halten ein solches Szenario allerdings für unrealistisch. Denn die Geräte erreichen nie die normale Flughöhe von Flugzeugen. Was kann noch passieren? Selbst einfache Drohnen können enorm leistungsfähig sein. Sie sind teils extrem schnell und können Lasten - zum Beispiel auch Sprengstoff - tragen. Drohnen sind deshalb nicht nur für den Flugverkehr selbst gefährlich. Mit ihnen können auch Sicherheitskontrollen umgangen werden. Denkbar ist etwa, dass der Sicherheitszaun überflogen und gefährliche Gegenstände auf dem Gelände platziert werden. Wie teuer ist der Ausfall für den Flughafenbetreiber Gatwick und die Airlines? Der Schaden für Fluggesellschaften und Flughafen dürfte ein zweistelliger Millionenbetrag pro Ausfalltag sein. Besonders betroffen ist die Airline EasyJet, die in Gatwick eine ihrer größten Basen betreibt. Die Folgen der Schließung werden noch Tage später zu spüren sein, weil Flugzeuge und Besatzungen erst langsam wieder dort hin befördert werden, wo sie laut Flugplan eigentlich sein sollten. Welche Strafen drohen? Drohnen dürfen in Deutschland an Flughäfen und in einer Schutzzone von rund 1,5 Kilometern drum herum nicht fliegen. Verstöße dagegen sind ein "gefährlicher Eingriff in den Luftverkehr", es drohen bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe. Betroffene Unternehmen wie Flughafenbetreiber und Airlines könnten außerdem Schadenersatz für entstandene Kosten fordern. Was können Fluggäste bei solchen Ausfällen tun, erhalten sie Geld zurück? Flugausfälle wegen Drohnen gelten als höhere Gewalt. Daher können Passagiere sich nicht auf die EU-Richtlinie 261 berufen, die zum Teil hohe Entschädigungszahlungen vorsieht. Die Fluggesellschaften müssen sich aber um Verpflegung und Unterkünfte der Fluggäste kümmern, diese umbuchen oder den Ticketpreis erstatten, wenn ihre Kunden dies fordern. So entstehen für die Unternehmen trotzdem Kosten. Wer ist für die Gefahrenabwehr zuständig? Drohnen werden durch normale Radargeräte nicht erfasst. Sie werden bislang meist nur von Piloten aus dem Cockpit heraus erkannt und der Flugsicherung gemeldet. Da es sich um eine Straftat handelt, ist für die Abwehr der Drohnen dann die Landes- oder Bundespolizei zuständig. Welche Maßnahmen helfen gegen die Gefahr durch Drohnen? Außerhalb von Flughäfen ist es möglich, mit Hilfe von Störsendern das Signal zwischen Drohne und Fernsteuerung zu unterbrechen. Im Fachjargon ist von "jammen" die Rede. Ist das Funksignal gestört, fliegen Drohnen oft automatisch zu ihrem Startpunkt zurück oder landen. Diese Methode trifft allerdings komplette Funkbänder und eignet sich darum nicht für Flughäfen. Dort ist ein funktionierender Funkverkehr essentiell. Eingesetzt werden stattdessen Netzkanonen und Fangdrohnen, mit deren Hilfe Netze auf die Drohnen geschossen werden. Allerdings ist es schwierig, die oft hoch und schnell fliegenden Fluggeräte damit zu erwischen. Ein Abschuss mittels Gewehr gilt aus den gleichen Gründen als problematisch. Und auch die Drohnen-Jagd mit Greifvögeln ist nicht erfolgversprechend. Unternehmen wie das Start-up Dedrone setzen darum auf neuere Methoden, die auch schon an Flughäfen eingesetzt werden: Mit Hilfe von Sensoren werden die Funkfrequenzen der Drohnen erfasst. Eine Software errechnet die Flugbahn der Drohne und kann mitunter auch den Gerätetyp bestimmen und damit das Gefahrenpotenzial der Drohne abschätzen. Ziel ist es dann, den Drohnenpiloten direkt ausfindig zu machen. | Stundenlang ging nichts mehr am Flughafen London-Gatwick, weil Drohnen gesichtet wurden. Welche Unfälle drohen und was man dagegen tun kann. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/gatwick-drohnen-sicherheit-1.4262505 | Flugausfälle - Wie groß ist die Gefahr durch Drohnen? | 00/12/2018 |
Hunderte Pilger kamen an manchen Tagen zum Gebet in die Marienbasilika mit ihrer Renaissance-Fassade oder in die barocke Kapelle der Heiligen Jungfrau, deren Grundriss an die Form der Jakobsmuschel erinnert. Die Stadt Pontevedra in Galicien, der verregneten grünen Nordwestecke Spaniens, war einer der Hauptorte auf dem portugiesischen Jakobsweg, der von Lissabon nach Santiago de Compostela führt. Im Gegensatz zum französischen Jakobsweg von den Pyrenäen westwärts, der jedes Jahr neue Rekorde meldet, sind es heute nur noch wenige Pilger, die auf dieser Strecke gehen. Doch wie in vergangenen Zeiten, als die Beherbergung und Versorgung der Pilger ein wichtiger Wirtschaftszweig war, haben die Fußgänger im 21. Jahrhundert zumindest das Zentrum wiedererobert. Pontevedra ist zum Modell für eine fundamentale Änderung der Verkehrs- und Mobilitätspolitik geworden. Delegationen aus aller Welt reisen deshalb in die etwa 80 000 Einwohner zählende Stadt an der Mündung des Flusses Lérez in den unruhigen Atlantik. Die "Stadt ohne Autos", so lautet das Motto. Ganz stimmt es nicht, denn Autos gibt es im Zentrum noch, aber nur sehr wenige, nämlich die von Anwohnern sowie Lieferwagen und den öffentlichen Nahverkehr. Doch die revolutionäre Neuerung fällt sofort auf: Im Zentrum gibt es keine Fahrbahnmarkierungen, keine Unterschiede zwischen Bürgersteig, Fahrradweg und Fahrbahn für die Autos. Ebenso sind alle Verkehrszeichen und Ampeln verbannt. Die Grundregeln sind sehr einfach: Fußgänger haben immer Vorfahrt. Am zweitwichtigsten sind die Radfahrer, erst dann kommen motorisierte Fahrzeuge, die auch nur höchstens 30 Stundenkilometer schnell sein dürfen. Und es funktioniert. Der Anlass für diese kleine Revolution war banal: Vor zwei Jahrzehnten war die Lage im Zentrum unerträglich geworden, weil es zu wenig Parkplätze und Tiefgaragen gab. Während des Wirtschaftsbooms in den ersten Jahren nach dem Ende der Franco-Diktatur (1939-1975) wuchs der allgemeine Wohlstand. Immer mehr Familien kauften ein Auto. Die Spanier versuchten, im Eiltempo das nachzuholen, was die Städteplaner in den anderen Ländern Westeuropas in den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Krieg forciert hatten: die Schaffung der autogerechten Stadt. Detailansicht öffnen In Zentrum von Pontevedra gibt es (fast) keine Autos, stattdessen zeigt der Plan, wie schnell man zu Fuß durch die Stadt kommt. (Foto: oh) In Pontevedra und seinen Vororten waren Mitte der Neunzigerjahre bei damals insgesamt rund 70 000 Einwohnern fast 50 000 Kraftfahrzeuge zugelassen, der städtische Fuhrpark eingerechnet. In der Innenstadt herrschte Dauerstau, die Suche nach einem Parkplatz dauerte mitunter eine Viertelstunde, die Luft war verpestet, es wurde oft gehupt, die gesamte Atmosphäre war nervös bis aggressiv. Eine groß angelegte Befragung ergab, dass 70 Prozent aller Einkäufe auf dem Stadtgebiet mit dem Auto erledigt wurden. Die Kommunalwahlen 1999 brachten eine Überraschung: War die Stadt bislang fest in der Hand der konservativen Volkspartei (PP), hinter der Wirtschaftskreise und auch Autolobbyisten standen, so bekam unerwartet der Kandidat des grün-linken Nationalistischen Galicischen Blocks (BNG), der Arzt Miguel Anxo Fernández Lores, im neuen Stadtrat eine Mehrheit zusammen. Seit 19 Jahren ist er nun im Amt und nennt sich selbst den "Fußgänger Nr. 1". Denn er machte die Peatonalización des Zentrums, eine Wortschöpfung, die man mit "Verfußgängerung" übersetzen könnte, neben der Begrünung des Stadtgebiets zu seiner Priorität. Kurz nach seinem Einzug in das neoklassizistische Rathaus sorgte Fernández Lores für landesweites Aufsehen und für erste Proteste: Auf einen Schlag machte er die gesamte Altstadt mit ihren gotischen Kirchen und Renaissance-Häusern zur Fußgängerzone. Betroffen waren neben dem Durchgangsverkehr 500 dort wohnende Autobesitzer. Die Ladenbesitzer, die anfangs gegen die Einrichtung der autofreien Zone protestiert hatten, beruhigten sich indes schnell: Denn entgegen den Befürchtungen stiegen ihre Umsätze. Die Altstadt ist seitdem eine Bummelzone geworden, die mit Straßencafés zum Verweilen einlädt. Viele Parkplätze außerhalb der Stadt sind gratis Nicht anders war die Entwicklung in den Vierteln, die das historische Zentrum umgeben. Erst protestierten viele Geschäftsleute, bis auch sie merkten, dass sie von der drastischen Beschränkung des Autoverkehrs profitierten. Dass die Umsätze stiegen, hatte einen ganz banalen Grund: Die nervöse und zeitraubende Parkplatzsuche hatte immer mehr potenzielle Kunden abgeschreckt. Nun kommen entspannte Kunden zu Fuß oder mit dem Fahrrad - und geben mehr Geld aus. Ein Nebeneffekt: Im Gegensatz zu den meisten anderen spanischen Städten verlagerte sich das Gros des Einzelhandels nicht an riesige Supermärkte am Stadtrand. Die Verbannung der Autos wurde allgemein akzeptiert, weil gleichzeitig an den Durchgangsstraßen, die einen großen Bogen um das Zentrum machen, knapp 15 000 Parkplätze eingerichtet wurden. Zwei Drittel sind gratis; Autobesitzern, die im Zentrum arbeiten, sind Plätze reserviert. Beim Rest kostet die Stunde einen Euro. Zudem verbinden kleine Stadtbusse, deren Benutzung ebenfalls gratis ist, die Parkplätze mit den wichtigsten Punkten im Zentrum. Noch fahren viele Busse mit Verbrennermotoren, bald werden sie durch Elektro-Busse ersetzt. Auch stehen Leihfahrräder zur Verfügung, die sich per App freischalten lassen. An den Parkplätzen stehen Hinweistafeln mit einem Schema, aufgemacht wie die Streckenpläne der Untergrundbahnen in den großen Metropolen. Doch es sind Pläne für Fußgänger. Sie sehen dort die Entfernungen in Metern und in Minuten zu den wichtigsten Punkten in der Innenstadt. Bürgermeister Fernández Lores verweist auf mehrere Effekte: Die Kohlendioxid-Emissionen im Zentrum sind um 70 Prozent zurückgegangen. Gab es früher dort jährlich im Durchschnitt drei bis vier Todesopfer bei Verkehrsunfällen - meist wurden Fußgänger von Autos überfahren -, so waren in den letzten Jahren im Zentrum überhaupt keine Verkehrstoten mehr zu verzeichnen. Hinzu kommt: "Wer zu Fuß geht, bleibt länger gesund und fit." Die Stadtbewohner erledigen mittlerweile die meisten Besorgungen zu Fuß. Jeder freie Flecken wurde bepflanzt Mit einem Nebeneffekt hat der Bürgermeister allerdings nicht gerechnet: "Unsere Kinder werden selbständiger." Seit sich der Verkehr in den Innenstadtbezirken beruhigt hat, haben die Eltern keine Angst mehr, ihre Kinder allein auf den Schulweg zu schicken. Fernández Lores sagt lächelnd: "Das ist unser Beitrag gegen Helikoptereltern." Kindergärten und Schulen profitieren noch in anderer Weise vom neuen Verkehrskonzept: Auf Parzellen, auf denen früher zu saftigen Gebühren Pendler parken konnten, entstanden kleine Sport- und Spielplätze, umgeben von Büschen und Bäumen. Das gesamte Stadtbild hat sich geändert: Jeder freie Flecken wurde bepflanzt. Die verbliebenen Autos der Anwohner in neue Tiefgaragen verbannt. Und was ist mit den Menschen, die nach dem Einkaufen schwere und sperrige Dinge verladen müssen, oder es eilig haben? Sie können einfahren, ganz langsam, und an einem der 1000 verbliebenen Parkplätze parken. Doch ist die Zeit auf 15 Minuten begrenzt, das muss reichen, heißt es im Rathaus. Die Stadt hat so erheblich an Attraktivität gewonnen: Nachdem die Zahl der Einwohner lange kontinuierlich abgenommen hatte, nimmt sie nun stetig zu. Fernández Lores verweist nicht ohne Stolz auf zahlreiche internationale Preise, die Pontevedra bekommen hat. So schließt sich ein Kreis: Man pilgert wieder in die Stadt an der verregneten Atlantikküste. Jetzt sind es Stadtplaner aus allen Himmelsrichtungen, denen weniger am Apostel Jakobus gelegen ist, sondern vielmehr an den Konzepten, wie man die Menschen dazu bringt, auf das Auto zu verzichten. Die Wissenschaftler aus dem fernen Madrid oder die wissbegierigen Gesandten aus dem Ausland bekommen gleich zu Beginn die erste praktische Lektion: Zum Rathaus müssen sie zu Fuß gehen. | Im spanischen Pontevedra haben Fußgänger Vorrang. Das freut mittlerweile sogar Ladenbesitzer und ist hilfreich gegen Helikoptereltern. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/pontevedra-fussgaenger-autos-1.4259542 | Pontevedra: So funktioniert eine Stadt ohne Autos | 00/12/2018 |
Magnus Wehrle hat es nicht weit zur Arbeit: 1,2 Kilometer sind es von seinem Zuhause bis zum Elektronikhersteller FSM in der Nähe von Freiburg, wo er als stellvertretender Produktionsleiter arbeitet. Trotz des kurzen Weges zur Arbeit kam der 38-Jährige vor rund zweieinhalb Jahren zu dem Schluss, dass es sich lohnen könnte, ein Fahrrad zu leasen. Seit 2014 bietet FSM entsprechende Verträge an - es war einer der Gründe, warum das Unternehmen vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) als fahrradfreundlichster Arbeitgeber Deutschlands ausgezeichnet wurde. Aus Sicht von Wehrle barg das Leasing Vorteile: Die Leasing-Rate sollte von seinem Bruttogehalt abgezogen werden, so dass er weniger Steuern und Sozialabgaben zahlen musste. Im Internet rechnete er durch, ob sich das Leasing für ihn tatsächlich lohnen würde. "Wichtig für die Berechnung waren vor allem die Höhe meines Gehalts und der Preis des Rades", sagt Wehrle. Zwei Fahrrad-Varianten kamen für ihn in Betracht: Entweder sollte es ein gutes Mountainbike sein. Oder er würde ein günstigeres Stadtrad nehmen, das für den Weg zur Arbeit ausreichte. Bald war klar, dass das Leasing beim teuren Mountainbike einen größeren Spareffekt hatte. Falls Wehrle am Ende der Laufzeit das Fahrrad übernehmen würde, könnte er im Vergleich zum Neupreis einen zweistelligen Prozentsatz sparen, "vielleicht waren es 15 oder 18 Prozent", sagt er. Letztlich entschied er sich für das Mountainbike, zumal sein Arbeitgeber auch noch Geld darauflegt: FSM übernimmt monatlich 20 Euro für den Versicherungsbeitrag und einen Teil der Leasingrate. Mehr Hundertausend Diensträder bereits unterwegs So wie Wehrle machen es gerade viele: Offizielle Zahlen gibt es zwar nicht, doch allein bei Deutschlands größtem Leasing-Anbieter Jobrad hat sich in den vergangenen drei Jahren die Zahl der teilnehmenden Unternehmen verzehnfacht und damit auf mehr als 10 000 erhöht. 250 000 geleaste Räder sollen derzeit in Deutschland unterwegs sein, sagen andere Experten. Selbst wenn diese Zahlen nur Anhaltspunkte liefern, signalisieren sie doch großes Interesse an dem Leasingmodell, das vor etwa zehn Jahren erstmals in Deutschland angeboten wurde. Neben Jobrad sind Unternehmen wie Eurorad, Business-Bike oder Mein-Dienstrad.de in der Branche aktiv. Warum boomt offensichtlich das Geschäft mit dem Leasing? Für Unternehmen birgt es durchaus praktische Vorteile: Wer ein Fahrrad least, nutzt vielleicht weniger oft ein Auto für den Weg zur Arbeit. Und Räder benötigen nur einen Bruchteil der Stellfläche, die von Autos in Anspruch genommen werden. Zugleich deuten manche Studien darauf hin, dass Radfahrer im Unternehmen weniger oft krank sind. Doch das allein dürfte kaum ausschlaggebend sein. Wichtiger ist wohl, dass das Steuerrecht vereinfacht wurde und erstaunlich viele Seiten von dem Geschäft profitieren können: Da ist der Provider, also die Firma, die das Geschäft mit den Unternehmen abwickelt; der Arbeitgeber, der sich unter Umständen Abgaben spart; die Leasingbank sowie der Händler, der das Fahrrad bestellt - und der Mitarbeiter selbst, der sich mit Hilfe des Leasings zu günstigen Konditionen ein Rad finanziert. Sofern er es am Ende der Laufzeit übernimmt, spart er im Vergleich zum regulären Neupreis oft durchaus Geld. Aber wie kann es funktionieren, dass so viele Beteiligte Nutzen aus den Leasingverträgen ziehen können? Auf den ersten Blick geht es ja nur um eine Gehaltsumwandlung in eher bescheidenem Umfang. Hinzu kommt aber, und das ist weniger auffällig, dass die Mehrwertsteuer für das Rad zunächst wegfällt: Diese kann ein Arbeitgeber meist als Vorsteuer abziehen. Die Finanzverwaltung hat außergewöhnliche Bedingungen geschaffen "Die Finanzverwaltung hat hier Rahmenbedingungen geschaffen, die es im Steuerrecht ansonsten kaum gibt", sagt Oliver Hagen, der sich in Berlin als Steuerberater auf Lohn-Optimierungsmodelle spezialisiert hat. Dass ein meist wohl überwiegend privat genutzter Gegenstand wie das Rad steuerlich derart gefördert wird, sei schon außergewöhnlich. Der Nutzer des Rades hat zudem alle Freiheiten: Er darf sich das Fahrrad in der Regel nach Belieben aussuchen. Es kann ein Carbon-Rennrad, ein Downhill-Bike oder ein Luxus-E-Bike sein - alles ist erlaubt. Und selbst wenn er mit dem Fahrrad nicht einen Meter dienstlich unterwegs ist, muss er die private Nutzung lediglich mit einem Prozent des Listenpreises versteuern. Das ist der gleiche Satz, der bei einem herkömmlichen Dienstwagen anfällt. Doch anders als bei Autos fallen keine weiteren kilometerabhängigen Steuern an. Der Fahrradindustrie kommt die großzügige steuerliche Regelung natürlich entgegen. Zumal die Hersteller derzeit vor allem mit den E-Bikes in Preisregionen vorstoßen, die sonst eher Spitzenrädern oder günstigen Kleinwagen vorbehalten waren. Mochten bislang viele Radler davor zurückschrecken, sich für drei-, vier- oder fünftausend Euro ein Fahrrad zu kaufen - mit dem Leasing wird es zumindest leichter. Hinzu kommt in manchen Städten noch eine öffentliche Förderung für Elektroräder. Obwohl die Regelung zum Fahrradleasing also schon recht vorteilhaft ist, freuten sich manche im Herbst, als es hieß, dass der Bundestag Diensträder nun sogar komplett von der Steuer befreien wolle. Doch dieser Beschluss gilt nur für Fahrräder, die der Arbeitgeber zusätzlich zum Gehalt zur Verfügung stellt. Das machen allerdings nur wenige Unternehmen - eine Jobrad-Vertreterin spricht von etwa zehn Prozent der Firmen, die ein solches Leasingmodell anbieten. Die große Mehrheit der Unternehmen setzt hingegen auf die Gehaltsumwandlung. Am Ende stellt sich die Frage: Leiht man ein neues Gerät oder übernimmt das alte? Haben sich Arbeitnehmer für das Leasing entschieden, wird es für sie vor allem am Ende der Vertragslaufzeit von meist drei Jahren spannend. Dann stellt sich die Frage: Übernimmt man ein Rad zu dem angebotenen Preis - oder gibt man es zurück und least vielleicht ein neues Rad? Manch einer mag sich auch sorgen, dass das Fahrrad zu viele Macken im Rahmen und Kratzer im Lack hat. Beim ADFC heißt es allerdings, dass es da bislang keine Beschwerden von Fahrradnutzern gibt. Andererseits gilt: Die Branche hat mit der Rücknahme von Rädern noch relativ wenig Erfahrung, da viele Nutzer bislang ihre Räder am Ende übernehmen. Doch das könnte sich in den nächsten Jahren ändern. Und dann ist es durchaus möglich, dass der Leasingnehmer, also der Arbeitgeber, mal eine Rechnung bekommt, wenn der Nutzer mit seinem Rad eher schludrig umgegangen ist. FSM-Mitarbeiter Wehrle hat bislang keine schlechten Erfahrungen mit dem Leasing gemacht. Wenn im März sein Leasing-Vertrag ausläuft, wird er wohl ein neues Rad leasen. Vielleicht wird es dann ein Stadtrad - oder wieder ein neues Mountainbike. | Viele Arbeitgeber bieten ihren Mitarbeitern an, einen Teil des Gehalts für ein Fahrrad zu verwenden. Die Beschäftigten können sich so manch kühne Träume erfüllen. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/betriebsfahrrad-ich-leas-dann-mal-ein-rad-1.4261016 | Betriebsfahrrad - Ich leas' dann mal ein Rad | 00/12/2018 |
Lebensmittel-Boxen aus Styropor sind bei Restaurants und Imbissen beliebt, weil sie günstig und leicht sind und dabei noch das Essen warmhalten. Für die Umwelt sind die Behältnisse hingegen weniger gut. Das Problem ist weiß und besteht aus Millionen kleiner Kügelchen. Zusammengeschmolzen werden sie zu Styropor und finden als To-Go-Verpackung jeden Abend den Weg in Abertausende Haushalte in Deutschland. Auch Vinh Pham benutzt diese Verpackungen. Er betreibt ein kleines vietnamesisches Restaurant an einer viel befahrenen Straße im Münchner Osten, seinen echten Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen. Wer bei ihm zu Mittag isst, wie es an diesem Tag Dutzende Menschen tun, bemerkt die Styropor-Kartons nicht, die sich in der Küche in drei Türmen bis zur Decke stapeln. "Es war mit Abstand die günstigste Alternative" Wer hingegen ein To-Go-Menü bestellt oder liefern lässt, kommt nicht um sie herum. "Es war mit Abstand die günstigste Alternative", antwortet Pham auf die Frage, warum er Styropor-Kartons verwende. Der Preisunterschied zu umweltfreundlicheren Alternativen beträgt zwar oft nur wenige Cent. Bei mehreren Hundert Kartons, die er jede Woche brauche, stelle ihn das trotzdem vor ein Problem, sagt er. Geht es nach der EU, soll damit künftig Schluss sein. Unterhändler des Europäischen Parlaments und der EU-Staaten haben sich am Mittwoch auf ein Verbot von Wegwerfprodukten aus Einweg-Plastik geeinigt. Darunter fallen Strohhalme, Plastikwattestäbchen oder Stäbe von Luftballons, aber eben auch Lebensmittel- und Getränkebehältnisse aus Styropor. Sie sollen binnen zwei Jahren aus dem Alltag der Europäer verschwinden. Voraussetzung für ein solches Verbot ist lediglich, dass ohne Weiteres erschwingliche Alternativen zu den jeweiligen Produkten zur Verfügung stehen. Viele Imbiss- und Restaurantbesitzer stehen nun vor einer Herausforderung. Denn der Kunststoff, den Experten "expandiertes Polystyrol" nennen, gehört zu den am meisten verwendeten Verpackungsmaterialien in Deutschland. Und das, obwohl er für die Umwelt alles andere als verträglich ist: Für seine Herstellung werden viele Liter Erdöl benötigt, er ist biologisch nicht abbaubar und macht auch im Recycling große Probleme. Firmen schätzen ihn trotzdem, denn er ist billig, leicht und gleichzeitig stabil. Hinzu kommt, dass er den Inhalt wahlweise warm oder kalt hält. Viele Restaurants und Imbisse liefern deshalb ihr Essen in solchen Behältern aus. In die Natur gelangen Styropor-Behälter als Ganzes nur selten. Das Problem liegt aber im Grundstoff, den kleinen Granulat-Kügelchen. Die werden bei der Herstellung der Produkte verklebt, sie verschmelzen aber nicht völlig miteinander und können sich deshalb auch vergleichsweise leicht voneinander lösen. Diese Kügelchen gelangen dann in die Umwelt und landen über Flüsse in die Weltmeere, wo sie sich nie vollständig zersetzen. Probleme beim Recycling Auch in Recycling-Anlagen führt das zerkleinerte Styropor zu großen Problemen. "Die Kügelchen reiben sich überall ab, kleben dann an anderen Materialien und sind in der Sortierung kaum noch von anderen Kunststoffen zu trennen", sagt Carolina Schweig. Die Ingenieurin berät Firmen bei der Suche nach fortschrittlichen Verpackungslösungen und hält geschäumtes Polystyrol für eine der schlechtesten Alternativen. Erst kürzlich habe sie in einer Entsorgungsanlage beobachtet, in welchem Ausmaß die Styropor-Kügelchen ein effizientes Recycling verhindern. "Wenn wir die einzelnen Stoffe nicht auseinander bekommen, werden wir uns immer wieder die Stoffströme kaputt machen." Den Vorstoß der EU findet Schweig daher richtig. Allerdings gebe es auch mit dem Verbot zu viele Einweg-Verpackungen im Umlauf - ein Problem, das sie vor allem auf die Zunahme an großen Lieferdiensten zurückführt. Die haben das Problem mit Styropor-Verpackungen mittlerweile erkannt. So will etwa der britische Lieferdienst Deliveroo, der hierzulande in Berlin, München, Köln, Hamburg und Frankfurt Essen ausliefert, bis Ende des Jahres allen Restaurantpartnern kunststofffreie Verpackungen zur Verfügung stellen. Lösungen aus Pappe Auch der Berliner Konzern Delivery Hero, zu dem etwa Lieferheld und Foodora gehören, ist laut eigenen Angaben bereits dabei, das Problem anzugehen - allerdings auf rein freiwilliger Basis, wie Dorette Stüber aus der Nachhaltigkeits-Abteilung betont. "Wir können den Restaurants statt Aluminium und Styropor zwar Lösungen aus Pappe anbieten, zwingen können wir sie aber nicht", sagt sie. Es gebe immer Restaurants, die Mehrkosten scheuten oder den Aufwand, ihre Gewohnheiten umzustellen. Das liege dann jedoch nicht in der Verantwortung der Lieferdienste. Tatsächlich bieten die Verpackungsfirmen den Restaurants in ihren Online-Shops zahlreiche Alternativen an. Diese sind in der Regel allerdings aus Papier oder Pappe und häufig zudem mit Plastik-Elementen versehen. Das Problem an der Papier-Alternative: Ihre Herstellung erfordert ebenfalls viel Energie, Wasser und Chemikalien. Ähnlich verhält es sich mit vermeintlich nachhaltigeren Materialien wie Holz, Bambus oder Jute. "Diese Alternativen lohnen sich erst, wenn sie mehrfach verwendet werden, und das ist bei den Behältern der Lieferdienste schlicht nicht vorgesehen", sagt Christine Wenzl vom Bund für Umwelt und Naturschutz. "Es wäre das Beste, wir kämen zu echten Mehrweg-Lösungen. Das geht aber nicht allein mit Verboten." Ihrer Ansicht nach braucht es ein höheres gesellschaftliches Bewusstsein. Es müsse normal werden, die eigene Metalldose und den eigenen To-Go-Becher von zu Hause mitzunehmen. "Aber vielleicht gewöhnen wir uns ja auch einfach wieder an, den Kaffee direkt aus der Tasse zu trinken", sagt Wenzl. "Quasi als Coffee-to-stay." | Wer ein Gericht beim Lieferdienst bestellt, bekommt es meist in einer Box aus Styropor - noch. Jetzt geht die EU dagegen vor. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/umweltschutz-warum-essensverpackungen-grosse-probleme-machen-1.4260994 | Warum Essensverpackungen große Probleme machen | 00/12/2018 |
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt hat gegen den Unternehmer wegen versuchter Anstiftung zum Mord und Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung Klage erhoben. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt hat gegen den Unternehmer Alexander Falk wegen versuchter Anstiftung zum Mord und Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung Klage erhoben. Falk, Erbe des gleichnamigen Stadtplan-Verlags, sitzt in Untersuchungshaft und bleibt einstweilen im Gefängnis. Das entschied die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Frankfurt am Donnerstag bei einem Haftprüfungstermin. Es ist davon auszugehen, dass die Kammer die Anklage zulässt und im kommenden Jahr ein Prozess gegen Falk ansteht. "Unser Mandant bestreitet die Vorwürfe" Die beiden Verteidiger von Falk, Björn Gercke und Daniel Wölky, erklärten auf Anfrage: "Unser Mandant bestreitet die Vorwürfe. Es ist nun unsere Aufgabe, das Gericht von seiner Unschuld zu überzeugen." Dem Verlagserben wird vorgeworfen, vor knapp einem Jahrzehnt einen Mord an einem Frankfurter Wirtschaftsanwalt in Auftrag gegeben zu haben. Der Anwalt, der damals eine Millionenklage gegen Falk vorbereitet hatte, war 2010 vor seinem Haus angeschossen worden. Selbst eine Fahndung über die ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY ... ungelöst" brachte damals keinen Erfolg, der Fall blieb rätselhaft. Erst in diesem Jahr fiel der Verdacht auf Falk, dessen Vater einst den Stadtplan-Verlag gegründet hatte. Falk wurde Anfang September festgenommen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Anfang des Jahrzehnts hatte Falk nach mehreren Prozessen wegen versuchtem Betrug im Gefängnis gesessen. Falk hatte den Wert einer Firma namens Ision durch Scheingeschäfte geschönt und Ision, zusammen mit Managern dieser Firma, zu einem überhöhten Preis verkauft. Falk wurde später auch noch zu mehr als 200 Millionen Euro Schadenersatz verurteilt. Ob der Streit um Ision mit dem angeblichen Mordauftrag zusammenhängt, dürfte eine der Fragen bei dem absehbaren Prozess gegen Falk sein. | Die Staatsanwaltschaft Frankfurt hat gegen den Unternehmer wegen versuchter Anstiftung zum Mord und Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung Klage erhoben. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/staatsanwaltschaft-frankfurt-anklage-gegen-alexander-falk-1.4262254 | Anklage gegen Alexander Falk | 00/12/2018 |
Aufgerissene Kartons in den Regalen, verschlissene Paletten, kaputte Lampen an der Decke. So sieht es bei Aldi in Norddeutschland häufig heute noch aus. Bemerkenswert, denn das große Buzz-Wort der Einzelhändler ist seit geraumer Zeit "Einkaufserlebnis". Es steht für eine Traumwelt, in welcher der Kunde dem Kaufrausch allein deshalb verfällt, weil der Händler die Ware so unwiderstehlich zu verkaufen versteht. Bei Aldi Nord war das "Einkaufserlebnis" eher deprimierend. Freudlos präsentierte Lebensmittel in trostloser Schlichtheit. Die Anmutung: nüchtern, billig und steril. So wollte es der Gründer Theo Albrecht. Jetzt zahlt der Discounter den Preis für seine Sparmanie. Aldi Nord, der Pfennigfuchser aus Essen, schreibt in Deutschland erstmals in seiner Geschichte rote Zahlen. Von einem Minus in zweistelliger Millionenhöhe ist die Rede. Und auch 2019 wird's nicht besser. Im Heimatland rechnet Aldi Nord auch dann mit Miesen. Weil der deutsche Markt der wichtigste und größte in Europa und weltweit für Aldi Nord ist, reißt der Einbruch auf dem Heimatmarkt das Ergebnis der ganzen Unternehmensgruppe mit nach unten. Der ganze Konzern macht aber keine Verluste. Aldi Nord redet ganz offen über die Misere. Wer hätte das noch vor wenigen Jahren gedacht? Torsten Hufnagel ist der Mann, der die Bestandsaufnahme in aller Schonungslosigkeit publik gemacht hat und nun öffentlich darüber redet. Er hat im September den Posten des Gesamtverantwortlichen der Unternehmensgruppe übernommen. Sein Vorgänger Marc Heußinger hatte den Laden jahrzehntelang in der Tradition von Theo Albrecht gemanagt. Sparen, sparen, sparen stand auch bei ihm immer an erster Stelle. Konkurrent Lidl hat Aldi Nord mit einem besseren Angebot auf Platz zwei degradiert Erst kürzlich hatte die ARD eine Verfilmung von Theo Albrechts Leben ausgestrahlt. Darin zu sehen war, wie sich die Brüder Albrecht wegen des ausgeprägten Spartriebs Theos schon in den 50er-Jahren auseinander entwickelten. Karl gründete Aldi Süd. Heute ist der Unterschied der Filialen deutlich zu sehen. Aldi Süd gilt als innovativ, Aldi Nord oft als nicht mehr zeitgemäß. Während sich Aldi Nord jeglicher Modernisierung verweigerte, näherten sich andere Discounter wie Lidl, aber auch Aldi Süd vom äußeren Erscheinungsbild und vom Sortiment her immer mehr den Supermärkten an. Weil die Kunden das so wollen. Der Charme der Fünzigerjahre verfängt nicht mehr. Konkurrent Lidl degradierte Aldi Nord schließlich im Reich nördlich des Aldi-Äquators zur Nummer zwei. Hufnagel hatte 2017 das Investitionsprogramm Aniko ausgeheckt. Fünf Milliarden Euro ist es schwer. 60 Prozent der 2200 Filialen in Deutschland haben es durchlaufen. Jetzt ist das Programm der wichtigste Grund für die roten Zahlen. Das mag widersprüchlich klingen, ist aber so. Es hakt vielerorts auch nach offizieller Darstellung an der Umsetzung. Das Sortiment hat sich verdoppelt, der Arbeitsablauf verändert, viele Mitarbeiter sind zwar geschult worden, aber das reicht nicht. Es müssten auch die Dienstpläne geändert werden. Statt ein oder zweimal am Tag, müssten die Mitarbeiter fünf oder sechsmal am Tag an der Frischetheke nach dem Rechten sehen. Das alles funktioniert in vielen Filialen noch nicht richtig. 30 bis 40 Filialen werden fortlaufend umgebaut und sind dann sechs bis acht Tage geschlossen. Auch das drückt den Umsatz. Die Umsätze sind in diesem Jahr nur um ein Prozent gestiegen. Erst im April wird der Umbau voraussichtlich abgeschlossen sein. Aniko hat sich bislang also nicht ausgezahlt. Im Gegenteil. Investitionsstau war zu groß geworden Die Antwort des Discounters? Er will jetzt zusätzlich eine noch größere Milliardensumme investieren und noch stärker umbauen. Der Krise begegne der Konzern nicht mit einem Spar-, sondern mit einem "Wachstumsprogramm", lautet die offizielle Botschaft der Konzernführung. Niemand werde entlassen. Zwischen den sonst bisher zerstrittenen Gesellschaftern herrscht sogar reumütige Einigkeit darüber, dass der Investitionsstau viel zu groß geworden ist. Jetzt wollen sie mit Wucht dagegen halten. Bezahlt wird alles aus der eigenen Tasche. Die Aldis sollen noch nie einen Bankkredit aufgenommen haben. Branchenexperten halten es allerdings für ziemlich schwierig, die Filialen einfach so wieder auf Erfolgskurs zu bringen. Gerade im Lebensmitteleinzelhandel zeigen zum Beispiel die teils heruntergewirtschafteten Real-Märkte, die jetzt zum Verkauf stehen, wie verheerend Kaputtsparen sein kann. Die Kunden wenden sich ab, Wachstum ist schwierig zu finden, weil die Margen gering sind, der Markt gesättigt ist. Beim Umbau der Filialen will es Aldi Nord deswegen nicht belassen. Auch die Essener Firmenzentrale sortiert sich neu. Der Zentraleinkauf wird zum Dienstleister für die einzelnen Ländergesellschaften im Ausland. Der Einkauf kümmert sich dann um die Warenbeschaffung in Europa, er wird aber getrennt vom sogenannten Category Management. Damit sind Warengruppen und das Sortiment gemeint. Dahinter steht der Gedanke, dass die einzelnen Länder besser wissen, was sie brauchen. Wenn Spanien beschließt, vier verschiedene Olivenöle zu brauchen, soll die Landesgesellschaft das dort tun. Auch über Service, Marketing und Verkauf bestimmen fortan die Länder eigenverantwortlich. Das ist ein fundamentaler Wandel für Aldi Nord. "Prozesse müssen der Kundensicht folgen und nicht umgekehrt", sagt Hufnagel. Der Discounter scheint in der Gegenwart angekommen zu sein. | Der Discounter verabschiedet sich von der Sparmanie seines Gründers und steckt Milliarden in die Modernisierung. Doch es gibt ein Problem. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/discounter-aldi-nord-macht-erstmals-verlust-1.4261033 | Aldi Nord macht erstmals Verlust | 00/12/2018 |
Für wen es sich lohnt, ein Fahrrad zu leasen, wie man sich selbst die Rate ausrechnen kann und welche Unterschiede es bei den E-Bikes gibt - ein Überblick. Ein Fahrrad leasen - das muss man wissen Für wen lohnt es sich, ein Rad zu leasen? Die Faustregel ist: Je höher der persönliche Steuersatz ist, desto höher ist tendenziell die Ersparnis durch das Leasing im Vergleich zum Privatkauf eines Rades. Wie kann der Arbeitnehmer herausfinden, ob sich Leasing persönlich lohnt? Die Anbieter von Leasingverträgen bieten auf ihren Webseiten entsprechende Rechner an. Dort tragen Interessenten beispielsweise Angaben zu ihrem Gehalt, zu ihrer Steuerklasse und den Preis des Rades ein und erfahren, wie die Ersparnis im Vergleich zum Kauf ist. Wie kann sich der Interessent selbst die Rate überschlägig ausrechnen? Der monatliche Mietpreis für das Rad, der sogenannte Leasingfaktor, liegt meist bei etwas mehr als drei Prozent des Neupreises. Bei einem Rad, das inklusive Mehrwertsteuer 1000 Euro kostet, können das beispielsweise 31 Euro sein. Hinzu kommt noch die Steuer für die private Nutzung des Rades sowie Beiträge etwa für eine Vollkasko-Versicherung oder die Wartung des Fahrrads. Warum ist es wichtig, dass der Arbeitgeber zum Abzug der Vorsteuer berechtigt ist? Weil nur dann die Mehrwertsteuer (Vorsteuer) von der Leasingrate abgezogen werden kann. Die Rate von 31 Euro würde sich so auf etwas mehr als 25 Euro verringern. Banken, Versicherer und auch Behörden dürfen keine Vorsteuer abziehen. In dem Fall gilt das Leasen eines Rades als kaum noch attraktiv. Ist es relevant, ob jemand ein Pedelec oder ein S-Pedelec least? Ja. Viele Unternehmen schließen das Leasen eines S-Pedelecs sogar aus, weil diese rechtlich Kraftfahrzeugen gleichgestellt und damit aufwendiger in der Buchhaltung sind. Beim S-Pedelec wird von Januar 2019 an die Bemessungsgrundlage für die Berechnung der Steuer für die private Nutzung halbiert - es wird also so getan, als würde das Rad nur die Hälfte kosten. Die Besteuerung liegt dann rechnerisch bei 0,5 statt einem Prozent. Zusätzlich fällt eine Steuer für jeden Entfernungskilometer zum Arbeitsplatz in Höhe von 0,03 Prozent des halben Listenpreises an. Hat der Arbeitnehmer die Pflicht, ein geleastes Rad regelmäßig zu warten? Viele Arbeitgeber, formal der Leasingnehmer, wollen, dass ein Fahrrad regelmäßig zur Inspektion gebracht wird. Für den Vertragsanbieter ist es hingegen wichtig, dass das Rad am Ende der Laufzeit im ordentlichen Zustand abgegeben wird. Dies wird anhand einer Checkliste geprüft. Was passiert, wenn das Fahrrad gestohlen wird? In solchen Fällen springt die obligatorische Versicherung ein. Manche Anbieter rechnen bei anschließenden neuen Leasingverträgen einen Teil der bisherigen Laufzeit an. Worauf muss der Arbeitnehmer achten, wenn er beim Unternehmen kündigt oder vorzeitig in Rente geht? Das kann für den Arbeitnehmer teuer werden. Es ist beispielsweise möglich, dass er in diesem Fall das Fahrrad übernehmen muss. In der Branche gilt: Leasing ist nur dann sinnvoll, wenn der Vertrag am Ende auch erfüllt wird. | Für wen es sich lohnt, ein Fahrrad zu leasen, wie man sich selbst die Rate ausrechnen kann und welche Unterschiede es bei den E-Bikes gibt - ein Überblick. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/fahrrad-leasing-das-muss-man-wissen-1.4262231 | Fahrrad-Leasing: Das muss man wissen | 00/12/2018 |
Der Zinsentscheid in den USA zog am Donnerstag den nächsten Kursrutsch beim Dax nach sich. Im Sog eines internationalen Ausverkaufs rutschte der deutsche Leitindex zwischenzeitlich auf 10 563 Zähler und damit auf den tiefsten Stand seit zwei Jahren ab. Zuletzt betrug der Abschlag noch 1,4 Prozent auf 10 611 Punkte. Der weltweite Ausverkauf war zuvor bereits in den USA und Asien weiter gegangen. Anleger fürchten insbesondere, dass weitere Zinsanhebungen der US-Notenbank Fed das Wachstum bremsen werden. Die Fed hatte am Mittwoch zwar signalisiert, dass es - angesichts einer sich absehbar abkühlenden Konjunktur 2019 - im kommenden Jahr nicht mehr so viele Erhöhungen geben soll wie im vergangenen. Aber manche Börsianer hatten sich ein noch vorsichtigeres Vorgehen gewünscht. Aktien als Anlageklasse profitieren für gewöhnlich von einer weniger straffen Geldpolitik, diese Hoffnung wurde nun enttäuscht. Die Fed schraubte den Leitzins weiter in die Höhe - der Schlüsselsatz zur Versorgung der Geschäftsbanken mit Geld steigt um einen Viertelpunkt auf die neue Spanne von 2,25 bis 2,5 Prozent. Im Dax sorgten die Aktien der Deutschen Bank mit dem Fall auf ein Rekordtief für Aufsehen. Der Abschlag betrug sieben Prozent, nachdem das kanadische Analysehaus RBC seine Erlösschätzungen wegen mangelnder Flexibilität bei den Kosten und ungünstiger Aussichten im Investmentbanking nach unten korrigierte. Die Commerzbank-Papiere büßten im Zuge dessen 6,6 Prozent ein. Die Titel von Airbus standen im M-Dax mit minus 4,2 Prozent ebenfalls auf der Verliererseite. Gerüchte über eine vom US-Justizministerium eingeleitete Untersuchung gegen den Flugzeugbauer wegen möglicher unrechtmäßiger Geschäftspraktiken wirkten sich hier belastend aus. Im S-Dax erholten sich Ceconomy-Papiere um 4,4 Prozent von dem Kurseinbruch, den sie am Vortag wegen enttäuschender Zahlen und einer gestrichenen Dividende erlitten hatten. Auch an der Wall Street gab es kräftige Verluste. Der Dow Jones verlor weitere zwei Prozent. Unter den Einzelwerten verloren die Anteilsscheine des Dow-Jones-Mitglieds Walgreen Boots Alliance fünf Prozent an Wert. Die Apothekenkette lag mit ihrer Umsatzentwicklung unter den Erwartungen des Marktes. | Die Stimmung ist zunehmend frostig. Der Dax setzt seine Verlustserie fort. Im Fokus steht die Aktie der Deutschen Bank. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/aktien-dax-rutscht-weiter-ab-1.4260860 | Dax rutscht weiter ab | 00/12/2018 |
Viele Unternehmen kennen ihre Risiken, verschweigen sie aber den Aktionären. Das kritisiert die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK). "Wir wollen einfach die Informationen haben", sagt Hans-Georg Köglmayr, Wirtschaftswissenschaftler an der Hochschule Pforzheim. Die Unternehmen hätten Abteilungen, die fundiert Risiken einschätzten, weil die Firmen ja auch daran interessiert seien. Sie teilten diese Informationen nur nicht mit ihren Aktionären. Die SdK vertritt die Interessen von privaten Aktionären und will Aktien als Altersvorsorge etablieren. Dass Aktien als Altersvorsorge dienen können, hänge auch davon ab, wie die Unternehmen über Risiken berichteten. Nur 61,5 Prozent der Dax-Konzerne informieren so gut über Risiken, dass sie den aktuell gültigen Standard, den deutschen Rechnungslegungsstandard, erfüllen. Das ergab eine Untersuchung Köglmayrs im Auftrag der SdK. Die SdK will aber nicht nur, dass sich die Aktiengesellschaften an die bisherigen Regeln halten. Sie will, dass diese härteren Informations-Regeln folgen. Unternehmen informierten ihre Aktionäre bisher nicht umfassend genug, weil sie Angst davor hätten, dass der Aktienkurs sinke, wenn sie alle Risiken offen darlegten. Hätte ein Autokonzern wie Volkswagen oder Daimler frühzeitig über die drohenden finanziellen Folgen des Diesel-Skandals informiert, wäre dessen Aktienkurs vermutlich zuerst eingebrochen. Um so etwas zu vermeiden, will die SdK, dass alle Unternehmen gleichzeitig durch einen Kodex verpflichtet werden, ihre Aktionäre über Risiken zu informieren. Konkrete Pläne, wie das umgesetzt werden könnte, hat sie allerdings noch nicht. Falls das mit dem Kodex nicht funktioniere, müsse aber ein Gesetz her, sagt SdK-Vorstand Markus Kienle. Dass es bei Aktien auch Risiken gibt, die eine Aktiengesellschaft selbst nicht prognostizieren kann, zeigt die SdK in ihrem jährlich erscheinenden Schwarzbuch, in dem nachzulesen ist, wer am Aktienmarkt besonders getrickst hat. Der Hypoport AG, eine Berliner Fintech-Firma, hat der Staat ins Geschäft gegrätscht: Hypoport hatte ihren Hauptsitz in einem gemieteten Gebäude auf einem gemieteten Grundstück. Das Grundstück wollte sie kaufen, um den Unternehmenssitz dort zu erhalten. Kurz bevor Hypoport das Grundstück endgültig kaufen konnte, erwarb es die Stadt Berlin. Der hatte das Grundstück früher mal gehört, deswegen hatte sie ein Vorkaufsrecht. Der Umzug in ein anderes Gebäude auf ein anderes Grundstück kostet die Aktiengesellschaft natürlich erneut Geld. Wenn der Berliner Senat kein Gremium einer Behörde wäre, "dann würden wir von Raubtierkapitalismus sprechen", sagt Kienle. | Die Unternehmen ahnen, welche Risiken und Schäden ihnen drohen. Sie wollen es nur nicht ihren Aktionären sagen, behaupten Aktionärsvertreter. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/risiken-sie-wissen-es-aber-sagen-es-nicht-1.4262207 | Risiken - Sie wissen es, aber sagen es nicht | 00/12/2018 |
Zwei Jahre ist es her, dass der ukrainische Finanzminister die größte Bank des Landes verstaatlichen musste. Die Privat Bank, die den Oligarchen Igor Kolomoisky und Gennadij Boholjubow gehörte, war durch massive Kreditvergabe an Insider und andere fragwürdige Manöver in Schieflage geraten. Der Finanzminister musste zur Rettung der Bank 5,5 Milliarden Dollar Steuergeld zuschießen - das entsprach weit mehr als einem Zehntel des Staatshaushaltes. Die nun staatliche Privat Bank versucht, sich zumindest einen Teil des Geldes zurückzuholen und hat die ehemaligen Besitzer verklagt. Allerdings nicht in Kiew, sondern in London. Der Grund: Die Bank fürchtet, dass sie bei einheimischen Richtern keine Chance gegen die ebenso reichen wie politisch einflussreichen Oligarchen habe. Das Vorgehen der Staatsbanker ist so bemerkenswert wie begründet. Bis in die Spitzen des Staates sind korrupte oder politisch kontrollierte Amtsträger - Polizisten und Geheimdienstler, Staatsanwaltschaften und Richter eingeschlossen - auch für die Wirtschaft das mit Abstand größte Hindernis, wie kürzlich die Weltbank oder Umfragen der Nationalbank bei Unternehmern bestätigten. Würden nicht jedes Jahr viele Milliarden des Staatshaushaltes gestohlen, bräuchte Kiew keinen Euro Kredit. Gleichwohl haben Kiews internationale Geldgeber, geführt von Internationalem Währungsfonds (IWF), Weltbank und EU, der Ukraine gerade weitere Milliardenkredite bewilligt. Washington und Brüssel stützen in Kiew ein korruptes System, weil sie glauben, dass ihnen im geopolitischen Ringen gegen das expansive Russland nichts anderes übrig bleibt. Kredite sollen eigentlich helfen, Reformen umzusetzen oder zu beschleunigen Kredite sollen helfen, Reformen umzusetzen oder zu beschleunigen. Das haben sie in der Ukraine nur in Ausnahmefällen erreicht: Die staatliche Gasgesellschaft Naftogaz wurde ebenso reformiert wie der Bankensektor; gerade wurde auch der Gaspreis für private Haushalte erhöht, der bisher massiv subventioniert wird. Generell aber haben die Milliarden aus Washington und Brüssel Präsident Petro Poroschenko und seinen Alliierten Zeit gekauft, um nichts zu tun oder Reformen gar zu sabotieren. Weder kam eine Landreform in Gang noch die Privatisierung verlustbringender Staatsbetriebe. Zoll und Steuerdienst sind weiter politisch kontrollierte, notorisch korrupte Selbstbedienungsläden. Das Gleiche gilt für die Armee und für den Inlandsgeheimdienst SBU, der Poroschenko untersteht und oft Unternehmer unter Druck setzt. Gewiss, bevor etwa der IWF eine Kredittranche überweist, müssen bestimmte Reformgesetze verabschiedet sein. Doch die Reformansätze der westlichen Geldgeber gehen von vornherein nicht weit genug. Zudem ist die Verabschiedung von Gesetzen eine Sache, ihre Umsetzung eine andere. Reformen wurden und werden in der Ukraine gern imitiert. Da werden Anti-Korruptions-Behörden gegründet, doch vom Präsidialapparat kontrolliert, oder Ermittlungen von politisch kontrollierten oder korrupten Staatsanwälten und Richtern sabotiert. Ein nominell gegen Korruption kämpfender Sonderstaatsanwalt ist diskreditiert, doch darf im Amt bleiben. Da wird zwar das Oberste Gericht neu besetzt, doch nach der ebenfalls vom Präsidialapparat kontrollierten Auswahl landen dort wieder Dutzende korrumpierter oder anders diskreditierter Richter. Die Ukraine braucht dringend ausländische Investitionen, um ihren wirtschaftlichen und technologischen Rückstand aufzuholen. Doch Investoren sehen Korruption und dysfunktionale Justiz - und gehen lieber etwa nach Polen. Beim Ende des Kommunismus standen Polen und die Ukraine auf einer Stufe. Heute liegt der ukrainische Mindestlohn bei nur umgerechnet 130 Euro, Polen verdienen mindestens das Drei- oder Vierfache. So pendeln Hunderttausende Ukrainer nach Polen - und bald, wenn am 1. Januar das Zuwanderungsgesetz in Kraft tritt, weiter nach Deutschland, um dort Geld zu verdienen. Im eigenen Land kommen normale Ukrainer oft auf keinen grünen Zweig. Dagegen ist das Vermögen der 100 reichsten Ukrainer dem Ökonomen Olexander Honcharov zufolge zwölf Mal stärker gewachsen als die Wirtschaft. Die 100 reichsten Ukrainer, von denen etliche ihren Reichtum in kurzer Zeit mit oft zweifelhaften Manövern aufgebaut haben, kontrollieren Vermögen von 37,5 Milliarden Dollar - das ist der Hälfte der Staatsschuld. Doch nicht ein Oligarch, nicht ein hoher Amtsträger ist in der Präsidentschaft Poroschenkos wegen Korruption oder unseriöser Geschäfte im Gefängnis gelandet. Kein Wunder: Poroschenko gehört selbst zu den Oligarchen. Gewiss, Kiews Geldgeber sind nicht blind. Der IWF etwa fror im Sommer 2017 die Kreditauszahlung wegen ausbleibender Reformen ein - doch nur vorübergehend. Nach mehrjähriger Verzögerung durch Poroschenko beschloss das Parlament vor Kurzem zwar die Gründung eines Anti-Korruptions-Gerichtes. Doch die von einem diskreditierten ukrainischen Gremium geleitete Auswahl der Richter verläuft bisher nicht besser als beim diskreditierten Obersten Gericht. Gleichwohl haben jetzt IWF, EU und Weltbank den Geldhahn wieder aufgedreht - und ihren alten Sündenfall wiederholt. Bleibt Poroschenko nach der Präsidentschaftswahl im März 2019 im Amt, wird er kaum Grund haben, seine Linie zu ändern. Und sollte die frühere Ministerpräsidentin Julia Timoschenko an die Stelle Poroschenkos treten, dürfte auch sie mit Blick auf mangelnde Konsequenz der westlichen Kreditgeber kaum Anlass sehen, Reformen zuzustimmen, die die Korruption, welche die Ukraine im Würgegriff hat, endlich aufbrechen würden. | Internationaler Währungsfonds, Weltbank und Europäische Union stützen das korrupte System in der Ukraine mit Milliardenkrediten. Nur in Ausnahmefällen treibt das Geld wichtige Reformen voran. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ukraine-neuer-suendenfall-in-kiew-1.4261025 | Neuer Sündenfall in Kiew | 00/12/2018 |
Die Unsicherheit über die künftige Zinspolitik der amerikanischen Notenbank Federal Reserve hat an den Aktienmärkten für schlechte Stimmung gesorgt. Der deutsche Leitindex Dax verlor am Donnerstag in der Spitze 1,9 Prozent auf 10563 Zähler und fiel damit auf den tiefsten Stand seit mehr als zwei Jahren. Der europäische Aktienindex EuroStoxx50 gab ebenfalls knapp zwei Prozent nach. Die US-Notenbank hat am Mittwoch zum vierten Mal in diesem Jahr den Leitzins erhöht - auf die Spanne von 2,25 bis 2,5 Prozent. In ihrem Ausblick haben die Währungshüter aber angedeutet, dass man angesichts der sich abschwächenden Wirtschaft im nächsten Jahr nur noch mit zwei statt der bislang drei anvisierten Zinserhöhungen rechnen könne. Die Aktienmärkte waren überrascht. Sie hatten angenommen, die Fed würde 2019 nur noch ein Mal den Zins anheben. Hohe Zinsen hemmen Aktieninvestments, weil sie als Wachstumsbremse interpretiert werden und Investoren ihr Geld verstärkt in Anleihen stecken. Entsprechend deutlich fielen die Aktienkurse, die in diesem Jahr sowieso schwach abgeschnitten haben. Der Dax wird wohl das Jahr 2018 erstmals nach langer Zeit mit einem Verlust abschließen. Bislang beträgt das Minus im Dax auf Jahressicht knapp 17 Prozent. An der Wall Street sieht es ähnlich aus. Das Minus beim Dow Jones Index beträgt für dieses Jahr knapp sechs Prozent. Deutlich nach oben ging es dagegen für den Euro. Die Gemeinschaftswährung kletterte aufgrund der schwächelnden US-Währung um fast ein Prozent auf 1,14 Dollar und markierte damit den höchsten Stand seit sechs Wochen. Die straffere Geldpolitik in den USA steht in scharfem Kontrast zur lockeren Geldpolitik in Japan und Europa. Die Europäische Zentralbank hat vergangene Woche zwar beschlossen, den Ankauf neuer Anleihen zum Jahresende einzustellen, nachdem sie auf diesem Weg seit 2015 insgesamt 2,6 Billionen Euro ins Finanzsystem gepumpt hat. Doch die EZB wird die Einnahmen aus getilgten Anleihen auch künftig in neue Anleihen investieren. Die lockere Geldpolitik geht damit weiter, gerade auch bei den Zinsen. Ein weiteres Problem: Europas Bankensektor leidet unter dem Strafzins der EZB. Die Kreditinstitute müssen für ihre Überschüsse, die sie auf dem Konto der Zentralbank deponieren, 0,4 Prozent bezahlen. EZB-Ratsmitglied Ewald Nowotny möchte die Strafzinsen für Banken jetzt rasch abschaffen. Österreichs Notenbankchef bezeichnet den Negativzins als "eine Besonderheit der EZB. Die USA hatten nie einen negativen Zinssatz". Auch die britische Notenbank hält ihre Zinsen auf niedrigerem Niveau als die USA. Die Bank of England teilte am Donnerstag mit, ihr Leitzins verbleibe bei 0,75 Prozent. Auf diesem Niveau liegt er seit vergangenem Sommer. Die Notenbank Schwedens hat ihren Leitzins erstmals seit sieben Jahren angehoben, und zwar um 0,25 Punkte auf minus 0,25 Prozent. Experten hatten erst später damit gerechnet. Nota bene: Der Leitzins liegt damit immer noch im negativen Bereich - die Notenbank subventioniert Kredite an die Banken. | Die Entscheidung der amerikanischen Notenbank beunruhigt die Anleger; in den USA liegt der Leitzins höher als in Europa. Dort verfolgt die Europäische Zentralbank auch nächstes Jahr eine straffe Geldpolitik. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/zinspolitik-nervoese-maerkte-1.4261031 | Nervöse Märkte | 00/12/2018 |
Der Chipkonzern siegt gegen Apple vor dem Landgericht München. Das stellte fest, dass Rechte verletzt wurden. Es geht um die Modellreihen iPhone 7 und 8 sowie das iPhone X aus dem vergangenen Jahr. Apple nimmt nach einer Niederlage vor Gericht zwei iPhone-Modelle aus den Verkaufsregalen in Deutschland. Im Endspurt des Weihnachtsgeschäfts kündigte der US-Konzern am Donnerstag überraschend an, die Smartphone-Modelle iPhone 7 und 8 würden in den 15 Apple-Stores in der Bundesrepublik nicht mehr angeboten. Apple zieht damit die freiwillige Konsequenz aus einem Urteil des Landgerichts München, das am selben Tag einer Patentklage des US-Chipherstellers Qualcomm gegen Apple stattgegeben hatte. Damit ist der weltweit geführte Patentstreit beider Konzerne um eine Facette reicher. Die Modelle Xs, Xs Max und Xr würden jedoch unverändert in den deutschen Apple-Läden angeboten, erklärte das Unternehmen. Zudem seien sämtliche iPhone-Modelle unverändert bei Händlern und anderen Vertragpartnern an 4300 Standorten in Deutschland erhältlich. Apple werde das Münchner Urteil anfechten und während des Berufungsverfahrens auf einen Verkauf der iPhones 7 und 8 in seinen deutschen Läden verzichten. Zuvor hatte das Landgericht München entschieden, dass Qualcomm ein Verkaufsverbot für bestimmte iPhones in Deutschland erzwingen kann. Qualcomm habe die Möglichkeit, den Verkauf von iPhones der Modellreihen 7plus, 7, 8, 8plus und X zu stoppen und bereits verkaufte Geräte zurückrufen zu lassen. Grund sei, dass ein bestimmtes elektrisches Bauteil in den Smartphones ein Patent von Qualcomm verletze. Nach Einschätzung des Analysehauses Bernstein ist der Rückschlag für Apple begrenzt, da Deutschland ein vergleichsweise kleiner Markt für den Konzern sei und nur ein älterer Teil der Modellpalette betroffen sei. Voraussetzung eines Verkaufsverbots sei aber, dass Qualcomm als Sicherheit 668 Millionen Euro hinterlege, sagt Richter Matthias Zigann bei der Urteilsverkündung. Es stehe Qualcomm frei, sich dafür oder dagegen zu entscheiden. Qualcomm wollte sich zum Vorgehen des Konzerns zunächst nicht äußern. Derartige Sicherheitsleistungen sind für den Fall vorgesehen, dass ein Beteiligter nach einem Etappensieg den Prozess in einer höheren Instanz doch noch verliert und dann seinerseits Schadenersatz zahlen muss. Denn das Urteil ist nicht rechtskräftig, sondern kann von beiden Parteien beim Oberlandesgericht angefochten werden. | Der Chipkonzern siegt gegen Apple vor dem Landgericht München. Das stellte fest, dass Rechte verletzt wurden. Es geht um die Modellreihen iPhone 7 und 8 sowie das iPhone X aus dem vergangenen Jahr. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/patentstreit-qualcomm-darf-iphones-stoppen-1.4261850 | Qualcomm darf iPhones stoppen | 00/12/2018 |
Tokio will aus der internationalen Kommission IWC aussteigen, um die Meeressäuger wieder fangen zu dürfen. Dabei haben die Japaner nie wirklich damit aufgehört, und das, obwohl es für das Fleisch gar keine Nachfrage gibt. Japan will aus der Internationalen Walfangkommission (IWC) austreten, damit es wieder kommerziellen Walfang betreiben kann. Das meldete die Agentur Kyodo am Donnerstag unter Berufung auf Regierungsquellen. Offiziell muss Tokio seine Mitgliedschaft noch vor dem 1. Januar kündigen, um 2019 auszuscheiden. Japan war bei der IWC-Konferenz im September mit seinem Vorstoß abgeblitzt, die kommerzielle Jagd auf Wale, die seit 1987 verboten ist, wieder zuzulassen. Danach drohte Chefunterhändler Hideki Moronuki mit Japans Austritt. Allerdings wurde erwartet, Tokio werde sich nicht vor Olympia 2020 über die Beschlüsse einer internationalen Organisation hinwegsetzen - zumal es selber oft auf internationales Recht pocht. Trotz Moratorium hat Japan freilich nie aufgehört, Wale zu jagen. Als Forschung verbrämt, erlegte seine Flotte im Süd- und Nordpazifik jährlich bis zu 1000 Minke-Wale, in den vergangenen Jahren allerdings weniger. Die Forschung sei nur ein Vorwand, urteilte der Internationale Gerichtshof in Den Haag vor vier Jahren. Er ordnete an, Japan müsse seinen Walfang im Südpazifik stoppen. Doch nach einem Jahr Pause lief die Fangflotte wieder aus. Falls Tokio nur noch Küstenwalfang betriebe, würde der Streit um die Jagd im Südpazifik hinfällig. Der Minke-Wal sei nicht vom Aussterben bedroht, argumentiert Moronuki. Walfang sei Teil der Kultur Japans, die es sich nicht verbieten lasse. Die IWC sei nicht zum Schutz der Wale gegründet worden, sondern um deren Bewirtschaftung zu regeln. Früher gab es in Japan nur Gelegenheits-Walfang. Wenn sich einer der Meeressäuger in ihre Bucht verirrte, wurde er erlegt. Zur traditionellen Küche gehörte Walfleisch nicht. Japan organisierte erst nach dem Zweiten Weltkrieg eine Fangflotte, auf Druck der US-Besatzer, da Japan unter Proteinmangel litt. Damals schon hatten große Walfangnationen erkannt, dass der industrielle Walfang zu Ende ging. Ohne staatliche Zuschüsse wäre die Fangflotte schon längst Pleite "Kommerziell" wird der japanische Walfang auch künftig nicht. Die Mehrheit der Japaner isst keinen Wal. Ältere Leute erinnern sich an ranziges Walfleisch, das sie in der Nachkriegszeit in Schulkantinen aßen. Außerdem gilt Walfleisch als mit Quecksilber verseucht. In den seltenen Restaurants für Wal-Gourmets - das Fleisch schmeckt ähnlich wie Hirsch - sitzen meist nur Männer. Für manche von ihnen ist der Konsum von Wal ein Akt des Trotzes gegen den Druck des Auslands. Wirtschaftlich spielt der Walfang keine Rolle. Ohne jährliche Staatszuschüsse von 40 Millionen Euro wäre die Walfangflotte längst Pleite. Der Jahresertrag des "wissenschaftlichen" Fang - das Fleisch kam stets auf den Markt - betrug etwa 5000 Tonnen. Das ist mehr als die derzeitige Nachfrage. Falls Japan nur noch Küstenwalfang betreiben würde, könnte die Flotte auf den größten Teil der Staatszuschüsse verzichten. Allerdings dürfte auch dies Japans Ruf schädigen und damit seine Industrie-Exporte belasten. | Tokio will aus der internationalen Kommission IWC aussteigen, um die Meeressäuger wieder fangen zu dürfen. Dabei haben die Japaner nie wirklich damit aufgehört, und das, obwohl es für das Fleisch gar keine Nachfrage gibt. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/japan-jagd-auf-wale-1.4261041 | Jagd auf Wale | 00/12/2018 |
Der Greenback kommt seit dem US-Zinsentscheid vom Vorabend nicht richtig in die Gänge. Davon profitiert im Gegenzug der Euro. Der Euro hat am Donnerstag von der Schwäche des Dollar profitiert und sich zeitweise um ein Prozent auf 1,1485 Dollar verteuert. Der Dollar komme nach dem Zinsausblick der Fed vom Mittwochabend nur schwer auf einen grünen Zweig, sagte Alvin Tan, Währungsstratege bei der Société Générale. Der schwächere Greenback machte andere "sichere Häfen" als Anlage attraktiver. So kletterte der Preis für eine Feinunze Gold um 1,4 Prozent auf 1260 Dollar. Zudem deckten sich Anleger mit Bundesanleihen ein. Die Rendite der zehnjährigen Titel fiel zeitweise auf ein Sieben-Monats-Tief von 0,203 Prozent. An den Rohstoffmärkten gaben aber auch einige Preise deutlich nach. So verbilligte sich Rohöl wegen anhaltender Konjunktursorgen und der Befürchtung vor einem weltweiten Überangebot erneut deutlich. Ein Fass der Rohölsorte Brent kostete mit 54,35 Dollar fünf Prozent weniger, der Preis für die US-Sorte WTI sank zwischenzeitlich um 4,8 Prozent auf 45,88 Dollar. Ferner setzte die Aussicht auf eine Aufhebung der US-Sanktionen gegen den russischen Aluminium-Produzenten Rusal dem Aluminium-Preis zu. Das Leichtmetall verbilligte sich um gut ein Prozent auf 1905 Dollar je Tonne. Das war der niedrigste Stand seit August 2017. Die USA haben zwar weitere Sanktionen gegen russische Einrichtungen und Bürger verhängt. Gegen drei russische Unternehmen sollen bereits bestehende Strafmaßnahmen allerdings aufgehoben werden, dazu gehört das von dem Oligarchen Oleg Deripaska kontrollierte Unternehmen Rusal. Als die Sanktionen im April angekündigt worden waren, hatten die Anleger auf Versorgungsengpässe spekuliert und den Aluminiumpreis auf den höchsten Stand seit mehr als sechseinhalb Jahren getrieben. Die Cyberwährung Bitcoin erholt sich weiter von ihren jüngsten drastischen Verlusten. Ein Bitcoin kostete in der Spitze mit 4140 Dollar 13 Prozent mehr als am Vortag. | Der Greenback kommt seit dem US-Zinsentscheid vom Vorabend nicht richtig in die Gänge. Davon profitiert im Gegenzug der Euro. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/anleihen-devisen-rohstoffe-dollar-mit-schwaechen-1.4260862 | Anleihen, Devisen, Rohstoffe - Dollar mit Schwächen | 00/12/2018 |
Der Generalstaatsanwalt des Bezirks Washington, D.C., verklagt Facebook wegen des fahrlässigen Umgangs mit Nutzerdaten. Er wirft dem Konzern vor, die Daten seiner Nutzer unzureichend vor Missbrauch geschützt zu haben. Das Unternehmen habe Mitglieder der Plattform über die Verwendung ihrer Daten getäuscht und Datenlecks nicht rechtzeitig oder gar nicht offengelegt. Verschärft werde das Problem dadurch, dass die Facebook-Nutzungsbedingungen missverständlich seien. Die Facebook-Aktie hatte am Mittwoch nach Bekanntwerden mehr als sieben Prozent verloren. Anlass für die Klage sind offenbar die Enthüllungen im Zuge des Cambridge-Analytica-Skandals. Im März 2018 hatte ein ehemaliger Mitarbeiter von Cambridge Analytica enthüllt, dass die britische Politik-Marketing-Agentur Daten von mehr als 70 Millionen Facebooknutzern verwendete, um detaillierte Persönlichkeitsprofile zu erstellen und Nutzer mit zielgerichteter politischer Werbung auf Facebook zu beeinflussen. Die Nutzerdaten stammten von einer Psychotest-App und wurden ohne Wissen der Nutzer an Cambridge Analytica weiterverkauft. In welchem Ausmaß das passierte, zeigt die Klageschrift: Demnach luden zwar nur 852 Nutzer in Washington, D. C., die Psychotest-App herunter. Die App griff allerdings auch auf die Daten der Freunde dieser Nutzer zu. Bei Cambridge Analytica sollen dadurch die Daten von 340 000 Einwohnern gelandet sein. Die Enthüllungen im Frühjahr 2018 hatten weltweit Empörung ausgelöst. Facebook-Chef Mark Zuckerberg und andere Top-Manager mussten in Folge des Skandals unter anderem dem US-Kongress und dem Europäischen Parlament Rede und Antwort stehen - und versprachen, besser auf die Daten der Nutzer aufzupassen. Trotzdem wurden in den vergangenen Wochen erneut Fälle bekannt, die zeigen, dass Datenschutz innerhalb des Unternehmens immer noch nicht höchste Priorität genießt. So veröffentlichte die New York Times gerade einen Bericht, wonach Facebook großen Tech-Konzernen wie Spotify, Netflix und Amazon weitreichende Zugriffsrechte auf Nutzerdaten zugestand - und zwar unabhängig von den Privatsphäre-Einstellungen der Nutzer. Auch auf diese Praxis nimmt der Washingtoner Staatsanwalt in seiner Klage Bezug. Bei einem Bundes-Verfahren könnten Milliardenstrafen auf den Konzern zukommen Die Klage ist insofern ungewöhnlich, als hier Generalstaatsanwalt - also quasi der Justizminister - des Hauptstadtdistrikts Facebook wegen Verstößen gegen ein lokales Verbraucherschutzgesetz verklagt. Dabei wäre ein bundesweites Vorgehen gegen Facebook vermutlich sinnvoller. Dass die lokale Justiz jetzt Fakten schaffen will, könnte damit zusammenhängen, dass bislang völlig unklar ist, inwieweit Bundesbehörden gegen Facebook vorgehen werden. Die ebenfalls zuständige Aufsichtsbehörde FTC hat zwar bestätigt, das Verhalten Facebooks zu untersuchen, sich aber seit März nicht in die Karten schauen lassen. Auch in Europa steht Facebook spätestens seit dem Skandal um Cambridge Analytica unter verschärfter Beobachtung, EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager gehört zu den lautesten Kritikern des Konzerns. Während sie Konzerne wie Google oder Apple wegen Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht kräftig zur Kasse gebeten hat, baut sie beim Datenschutz nicht nur auf Regulierung, sondern auch darauf, das Angebot durch die Nachfrage zu beeinflussen: "Wir müssen dem Markt und der Gesellschaft auch Gelegenheit geben, selbst Antworten zu finden", sagte sie Anfang des Monats dem Handelsblatt. "Jeder von uns ist klein. Aber weil wir viele sind, können wir immer auch gemeinsam Veränderung herbeiführen." Im Sommer sagte die Dänin, die kein Profil bei dem Netzwerk besitzt, sie würde für Facebook lieber mit Geld als mit ihren Daten zahlen. Unklar ist, wie teuer das Verfahren in Washington für Facebook werden könnte. In der Klageschrift fordert die Staatsanwaltschaft zwar Schadenersatz für betroffene Nutzer und wirtschaftliche Schäden, nannte aber keine Summe. Die Gesetze, auf die sich die Anklage bezieht, erlauben Strafen von bis zu 10 000 Dollar pro Verstoß. Eine Strafe wäre also auch davon abhängig, in wie vielen Fällen solche Verstöße festgestellt würden. In der Klage ist die Rede von 340 000 Betroffenen in Washington, D.C. Bei einem möglichen Verfahren zum Cambridge-Analytica-Skandal auf Bundesebene, wo auch die Verbraucherschutzbehörde FTC zuständig wäre, halten Experten Milliardenstrafen für denkbar. | Die US-Bundesbehörde für Verbraucherschutz prüft seit Monaten, ob Facebook die Daten seiner Nutzer missbraucht hat. Jetzt schafft ein Generalstaatsanwalt Fakten - und verklagt das Unternehmen auf lokaler Ebene. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/datenskandal-facebook-verklagt-1.4260996 | Facebook verklagt | 00/12/2018 |
Tim Höttges holt Plätzchen aus dem Ofen, es qualmt in der adventlich geschmückten Küche. "Für Sie alle war 2018 ein spannendes Jahr", sagt der Telekom-Chef im Video an seine Beschäftigten. "Sie haben richtig viel gebacken bekommen." Höttges knetet Teig, malt Plätzchen an, nascht Zuckerguss. Nebenbei erzählt der 56-Jährige von den jüngsten Übernahmen, "ganz frisch aus der Röhre". Die Telekom werde ihren Konkurrenten nun "ordentlich Feuer im Ofen machen". Halleluja! Vorbei die Zeit, in denen Chefs schnöde Weihnachtsgrüße verschickten, wie altbacken. Heute verpackt man Botschaften selbstironisch zwischen Mehl und Milch. Amüsant wird das, wenn die Firmen auch Pannen ihrer Drehs auftischen. Höttges hat manche Probleme, gleichzeitig zu backen und die richtigen Zahlen in die Kamera zu frohlocken. Ganz ohne Schimpfwörter kommt er nicht aus. In seiner Küche zu Hause sehe es zuweilen ähnlich chaotisch aus, scherzt der Telekom-Chef in den sogenannten Outtakes am Ende. Blöd nur, dass mehrere PR-Agenturen dieselbe Idee hatten. So steht auch Hannes Ametsreiter, Chef von Vodafone Deutschland, in seinem Video an die Beschäftigten in Backschürze in der Küche. Vodafone lasse sich "das Geschäft nicht vom Wettbewerb versalzen", wortwitzelt der 51-Jährige, während er Eiweiß aufschlägt und so tut, als könnte er in Windeseile ein Häuschen aus Teig kneten. Man habe nicht bei der Telekom abgeschaut, beteuert die Firma, die ihr Video schon wenige Stunden nach Höttges' Premiere als Bäcker veröffentlicht hat. So schnell könne man tatsächlich kein Imitat produzieren, erkennt man auch bei der Telekom an. Gleichwohl debattierten die Konkurrenten per Twitter, welcher Chef nun mehr gebacken bekommen hat. Als Gottvater des Weihnachtsvideos gilt hierzulande Dieter Zetsche. Daimler zeigt seinen im Mai scheidenden Boss diesmal auf verzweifelter Jobsuche. Erst versagt der 65-Jährige kläglich am Fließband, dann scheitert er als Rennfahrer schon beim Anziehen des Overalls. Die Bewerbung als Fußballer lässt Bundestrainer Jogi Löw abblitzen: "Du bisch ne starke Führungspersönlichkeit, aber der Timo Werner is scho noch schneller als du." Am Ende wird Zetsche Weihnachtsmann, testweise für zwei Jahre. Ho, ho, ho. Thyssenkrupp ließ derweil den gesamten Vorstand beim Plätzchenbacken filmen. "Dabei darfst du dir auch die Hände schmutzig machen", ordnet Konzernchef Guido Kerkhoff im Pinguin-Pulli einem Vorstandskollegen an. Auch der Industriekonzern verweist auf eine Idee seiner PR-Agentur. Der beste Wortwitz gelingt hier Oliver Burkhard: "Mach mal 'n Roll-out", scherzt der Personalvorstand, als sein Chef mit dem Nudelholz über den Teig fährt. Was für eine schöne Bescherung. | Deutsche Konzernchefs naschen in Schürze und Weinachtspulli Plätzchen. Warum bloß? | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/internetvideos-frisch-aus-der-roehre-1.4261039 | Frisch aus der Röhre | 00/12/2018 |
Wer notfallmäßig krank wird, sollte sich dafür nicht gerade das Wochenende aussuchen. Die Kliniken sind dann schlechter besetzt und weniger Fachärzte vor Ort als werktags. Dutzende Studien belegen, dass Patienten nicht so gut versorgt werden und - im Fall ernster Erkrankungen - geringere Überlebenschancen haben, wenn sie an einem Samstag oder Sonntag ins Krankenhaus müssen. Ähnliche Daten gibt es auch für jene Patienten, die eine Notfallambulanz in der Nacht aufsuchen müssen. Insofern ist es ein naheliegender Vorschlag der gesetzlichen Krankenkassen, dass Arztpraxen häufiger abends und samstags geöffnet haben sollten. Auch mit der von vielen Medizinern gepflegten Tradition, die Praxis am Mittwoch- und Freitagnachmittag abzusperren, soll nach dem Wunsch der Kassenvorstände bald Schluss sein. Es könne ja wohl nicht angehen, dass immerhin 80 Prozent der Doktoren an diesen beiden Tagen schon kurz nach Mittag Feierabend machen. "Krankheiten richten sich nicht nach den Lieblingsöffnungszeiten der niedergelassenen Ärzte", sagt Johann-Magnus von Stackelberg vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen, ein gelernter Betriebswirt. Klingt richtig, klingt logisch - ist aber in der Schlussfolgerung trotzdem falsch. Zwar können Menschen immer und überall krank werden, aber in den Praxen der niedergelassenen Ärzte sind Notfälle in der Minderheit. Die meisten Patienten machen einen Termin aus, und die Prognose ihres Leidens ist nicht davon abhängig, ob sie ein paar Stunden früher oder später kommen. Bei vielen Kontroll- oder Vorsorgeterminen kommt es sogar oft nicht auf den Tag und manchmal nicht mal auf die Woche an. Für die meisten Patienten braucht es keine zusätzlichen Öffnungszeiten, es sei denn aus Bequemlichkeit. Und echte Notfälle werden in jeder seriösen Arztpraxis sowieso vorgezogen, wenn sie nicht gleich in der Notaufnahme oder beim Rettungsdienst landen. Wer die Praxis mittags schließt, geht selten auf den Golfplatz. Sondern arbeitet Verwaltung ab Wer "patientenfreundlichere" Sprechzeiten fordert, macht ein paar populistische Punkte, verkennt aber den Alltag in der Arztpraxis. Wie wäre es stattdessen, bei Patienten ein "arztfreundlicheres" Verhalten anzumahnen? Das ist zwar wenig populär, doch immer mehr Doktoren klagen darüber, dass sich Patienten wiederholt Termine geben lassen, dann aber - ohne abzusagen - einfach nicht erscheinen. In der Sprechstunde klafft dadurch eine Lücke, die sich längst nicht immer mit anderen Patienten schließen lässt - was dazu beiträgt, dass sich wiederum andere beschweren, erst so spät einen Termin bekommen zu haben. Ein weiterer Befund illustriert die überzogene Erwartungshaltung mancher Patienten: In Notaufnahmen häufen sich Fälle von Patienten mit banalen Beschwerden. Sie hatten keine Lust, in der Praxis zu warten, vorher war keine Zeit, deshalb sind sie jetzt vorbeigekommen, außerdem seien ja alle Geräte hier verfügbar - so lauten die dreistesten Erklärungen, wenn Ärzte fragen, warum jemand mit verdorbenem Magen oder Kreuzweh um Mitternacht in die Ambulanz kommt (um sich dann als Arzt noch beschimpfen zu lassen, wenn man einen echten Notfall vorzieht). In einem wohlhabenden Land gehört die flächendeckende medizinische Betreuung zwar zur Daseinsvorsorge. Das bedeutet aber nicht, den Anspruch zu haben auf Arztpraxen mit 24-Stunden-Service, am besten noch im Drive-in-Modus und mit Päckchensammelstelle. Wer einen Termin beim Doktor wahrnimmt, sollte sich des Privilegs bewusst sein, dass ihm der Luxus einer freien Arztwahl zusteht und überall im Land zumeist rasch geholfen wird. Dafür kann man sich durchaus an die vorgegebenen Sprechstunden halten und zum vereinbarten Termin erscheinen. Für alles andere gibt es Notdienste, Rettungsstellen und Krankenhäuser, übrigens auch so dicht verteilt wie in sonst keinem anderen Flächenland. Wenn Ärzte am Mittwoch und Freitag ihre Praxis bereits zur Mittagszeit zusperren, verschwinden sie außerdem nur selten auf dem Golfplatz oder der Segeljacht. Vielmehr telefonieren sie stundenlang Befunden hinterher, schreiben Arztbriefe und sitzen tagelang an der vorgeschriebenen Dokumentation. Ärzte in dieser Hinsicht zu entlasten, wäre eine lohnende Aufgabe für Kassen und Politik - und käme zudem direkt den Patienten zugute, weil den Doktoren mehr Zeit für sie bliebe. | Im deutschen Gesundheitssystem liegt einiges im Argen. Die Forderung nach mehr Arztsprechstunden wird die Probleme aber nicht lösen. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/kommentar-populismus-hilft-nicht-1.4260992 | Kommentar - Populismus hilft nicht | 00/12/2018 |
Gelegentlich ist es gut, daran erinnert zu werden, wie sehr sich die deutsche Gesellschaft über die Jahrzehnte verändert hat. Im Godesberger Programm der SPD von 1959 zum Beispiel lautete eine wichtige Forderung: "Mütter von vorschulpflichtigen und schulpflichtigen Kindern dürfen nicht genötigt sein, aus wirtschaftlichen Gründen einem Erwerb nachzugehen." Gewerkschaften, CDU und CSU sahen das damals vermutlich ganz ähnlich. Heute wird das, was die SPD seinerzeit verhindern wollte - dass junge Mütter in ihrem Beruf arbeiten -, von der Gesellschaft nicht nur akzeptiert, sondern angestrebt, zuvörderst von der SPD. Viele Gesetze dienen diesem Zweck, zuletzt das neue "Gute-Kita-Gesetz", das die Große Koalition vorige Woche beschlossen hat. Der Bund verteilt 5,5 Milliarden Euro unter die Länder, damit diese die Qualität ihrer Kindertagesstätten verbessern können. So etwas hätte sich in den 60er-Jahren niemand vorstellen können, auch nicht, dass Gesetze einmal so lustige Namen tragen würden wie "Gute Kita". Heute weiß man: Kitas sind nicht nur gut für berufstätige Frauen, sondern auch für die Kinder, die Wirtschaft und die Integration ausländischer Familien. Ziemlich altertümlich ist dagegen der Streit, der um einen Teilaspekt des Gesetzes entbrannt ist. Familienministerin Franziska Giffey will es den Ländern überlassen, wie sie das Geld aus der Bundeskasse verwenden, für längere Öffnungszeiten der Kitas, für die Weiterqualifizierung der Erzieher und Erzieherinnen - und auch für die komplette Abschaffung der Kita-Gebühren. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig zum Beispiel plant genau dies. Das ist ungerecht, sagen die Kritiker. Und sie haben recht: Beitragsfreie Kitas sind unsozial. Das knappe Geld des Staates, das Steuerzahler aller Schichten aufbringen müssen, wird gleichmäßig an Bedürftige und nicht Bedürftige verteilt. In den Genuss der Subvention kommen viele Familien, die sie gar nicht nötig hätten. Das Geld fehlt dann bei der Bezahlung die Erzieherinnen, der Ausstattung der Kitas und anderem. Der Zusammenhang ist so offensichtlich, dass man sich fragt, warum trotzdem so viele Menschen für kostenfreie Kitas kämpfen, besonders solche, denen die soziale Gerechtigkeit am Herzen liegt. Dahinter steckt ein grundlegendes Problem, das in der Ökonomie unter dem Begriff "Realtransfer" diskutiert wird. Wenn der Staat nicht Geld an die Bedürftigen verteilt, sondern reale Güter und Dienstleistungen (subventionierte Lebensmittel etwa oder eben Kita-Plätze), dann passieren zwei Dinge: erstens Verschwendung. Es wird mehr nachgefragt als nötig, wie man gut an dem subventionierten Brot und den Gratis-Kitas der DDR beobachten konnte. Und zweitens kommt ein großer Teil der Leistungen eben bei den falschen Leuten an. Der Kampf gegen Studiengebühren und für den Nulltarif - ein Missverständnis Trotzdem sind Realtransfers heute beliebter denn je, und dies aus einem einfachen Grund: Sie sind sinnlich wahrnehmbar. Daher ist eine Lobby für Gratis-Kitas viel leichter zu organisieren als für einen Steuerfreibetrag oder einen Aufschlag bei Hartz IV. So kommt es, dass seit August in Berlin die meisten Kitas kostenfrei sind. In Bayern wollen die Freien Wähler dies ebenso erreichen wie die SPD. Bei anderen Realtransfers sieht es ähnlich aus. Zum Beispiel an den Hochschulen. Heute stellt der deutsche Staat jedem Abiturienten, der gewisse Voraussetzungen erfüllt, einen Studienplatz zur Verfügung. Das ist eine riesige Subvention für junge Menschen, die in ihrem späteren Berufsleben mehrheitlich gut bis sehr gut verdienen werden - unter dem Aspekt der Gerechtigkeit also eine große Fehllenkung. Nun gibt es viele gute Gründe, trotzdem die Universitäten kostenfrei zu machen: Die ganze Gesellschaft hat etwas davon, wenn ihre Mitglieder hervorragend ausgebildet sind (Bildung ist ein "meritorisches Gut", wie einst der Finanzwissenschaftler Richard Musgrave sagte). Aber wäre es nicht trotzdem sinnvoll, wenn die angehenden Ärzte, Lehrer, Manager und Anwälte einen bescheidenen Beitrag zu ihrem Studium leisteten? Das Geld könnte dann den notorisch klammen Universitäten zugutekommen. Das war die Idee hinter den Studiengebühren, die in einigen Bundesländern eine Zeitlang galten. Inzwischen sind sie wieder abgeschafft, nach massiven Protesten der Studenten, die sich im Namen der sozialen Gerechtigkeit für die Subventionierung der künftigen Gutverdiener engagierten - sich selbst also. Schließlich gibt es ein drittes, sehr zeitgemäßes Beispiel für die Problematik des Realtransfers: der Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr. Im Februar veröffentlichte die Bundesregierung einen Plan, in fünf deutschen Großstädten Busse und Bahnen probeweise umsonst fahren zu lassen. Die Jusos sind sowieso für den Nulltarif, die Linke ist es ebenfalls. Auch hier gibt es hehre Ziele für die Forderung: Die Menschen sollen dazu bewegt werden, vom Auto auf die Öffentlichen umzusteigen, damit die Luft in den Städten besser wird und vor allem, dass Deutschland seine Klimaziele schneller erfüllt. Die Motive für den Nulltarif sind sehr ehrenwert, aber das löst das Problem der Fehlleitung und Verschwendung von Staatsgeld nicht. Wer täglich gezwungen ist, die überfüllte und störanfällige Münchner S-Bahn zu benutzen, der weiß, dass das Problem dort ganz sicher nicht darin liegt, dass zu wenig Leute den öffentlichen Nahverkehr benutzen, sondern dass im Gegenteil die Kapazitäten für die vielen Fahrgäste nicht mehr reichen. Die Subventionen sollten also in deren Ausbau fließen und nicht darin, die Überfüllung noch zu vergrößern. Es gibt sehr viel zu tun für den Staat in Deutschland. Da verbietet es sich eigentlich, mutwillig das Geld der Steuerzahler zu verschwenden. | Gebühren für Kindertagesstätten zu streichen, gilt als gerecht. Stimmt nicht. Denn sind Dienstleistungen gratis, führt das zu Verschwendung. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/pipers-welt-gute-kitas-1.4261023 | Süddeutsche.de | 00/12/2018 |
Mit dem Verkauf von Tickets kennt man sich aus bei CTS Eventim. Das Unternehmen ist international einer der größten Vermarkter für Konzertkarten, es vertreibt unter anderem Shows von Künstlern wie Rammstein oder Herbert Grönemeyer. Künftig will Eventim sein Geld auch mit dem Zugang zu einer ganz anderen deutschen Institution verdienen: der Autobahn. Gemeinsam mit dem österreichischen Konzern Kapsch Trafficcom soll CTS Eventim die geplante Pkw-Maut eintreiben, teilten das Bundesverkehrsministerium und die beiden Unternehmen mit. Voraussetzung für einen finalen Zuschlag ist, dass kein anderer Bieter bis zum 30. Dezember Rechtsmittel einlegt. Die beiden Firmen sollen zuletzt allerdings die einzigen verbliebenen Interessenten für das Projekt gewesen sein. | Eine Firma, die Konzertkarten vermarktet, soll die geplante Pkw-Maut eintreiben: CTS Eventim arbeitet dabei mit einem österreichischen Konzern zusammen, der Erfahrung mitbringt. Die Maut könnte allerdings noch gekippt werden. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/pkw-maut-strassenmusik-1.4261105 | Pkw-Maut - Straßenmusik | 00/12/2018 |
Fünf Minuten können verdammt lang sein. Riccardo Chailly musste sich neulich so lang gedulden, bevor er den Taktstock heben und den Prolog der Verdi-Oper Attila anstimmen konnte. Denn das Premierenpublikum der Mailänder Scala hatte der Bühne den Rücken zugekehrt - es war aufgestanden, hatte den Blick zur königlichen Loge erhoben und dem Staatspräsidenten Sergio Mattarella 300 Sekunden applaudiert. Bevor das Drama des Hunnen-Königs begann, huldigten die Mailänder dem Gast aus Rom, dem Garanten ihrer Demokratie. | Da läuft's, dort nicht: Größer könnte der Kontrast zur Wirtschaftsmetropole Mailand nicht sein. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/mailand-rom-1.4261035 | Bei uns in Rom - Hauptstädter hinterm Mond | 00/12/2018 |
Der Bund stellt Milliarden für schnelles Internet bereit - schließlich surft man in Deutschland ausgesprochen langsam, auch zum Schaden der Industrie. Ausgezahlt wurde aber nur ein Bruchteil. Das Geld ist nicht das einzige Problem. Verkehrsstaatssekretär Steffen Bilger fand im November blumige Worte beim Spatenstich im Kreis Bautzen: "Deutschland soll an der Spitze bleiben - dafür brauchen wir superschnelles Internet, egal ob in der Stadt oder auf dem Land", sagte der CDU-Politiker. Bilger reiste extra in das Dorf Schmochtitz in Ostsachsen, um für das geplante Glasfaserkabel vor Ort die Erde eigenhändig mit dem Spaten wegzuschaufeln. Solche Projekte sind schließlich ziemlich selten geworden. | Der Bund stellt Milliarden für schnelles Internet bereit - schließlich surft man in Deutschland ausgesprochen langsam, auch zum Schaden der Industrie. Ausgezahlt wurde aber nur ein Bruchteil. Das Geld ist nicht das einzige Problem. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/internetgeschwindigkeit-1.4261027 | Schnelles Internet - Im Netz der Eieruhr | 00/12/2018 |
Wer notfallmäßig krank wird, sollte sich dafür nicht gerade das Wochenende aussuchen. Kliniken sind dann schlechter besetzt und es sind weniger Fachärzte vor Ort als werktags. Dutzende Studien belegen, dass Patienten nicht so gut versorgt werden und - im Fall ernster Erkrankungen - geringere Überlebenschancen haben, wenn sie an einem Samstag oder Sonntag ins Krankenhaus müssen. Ähnliche Daten gibt es auch für jene Patienten, die eine Notfallambulanz in der Nacht aufsuchen müssen. Insofern ist es ein naheliegender Vorschlag der gesetzlichen Krankenkassen, dass Arztpraxen häufiger abends und samstags geöffnet haben sollten. Auch mit der von vielen Medizinern gepflegten Tradition, die Praxis am Mittwoch- und Freitagnachmittag abzusperren, soll nach dem Wunsch der Kassenvorstände bald Schluss sein: Es könne ja wohl nicht angehen, dass immerhin 80 Prozent der Mediziner an diesen beiden Tagen schon kurz nach Mittag Feierabend machen. "Krankheiten richten sich nicht nach den Lieblingsöffnungszeiten der niedergelassenen Ärzte", sagt Johann-Magnus von Stackelberg vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen, ein gelernter Betriebswirt. Klingt richtig, klingt logisch - ist aber in der Schlussfolgerung trotzdem falsch. Zwar können Menschen immer und überall krank werden, aber in den Praxen der niedergelassenen Ärzte sind Notfälle in der Minderheit. Bei vielen Kontroll- oder Vorsorgeterminen kommt es oft nicht auf den Tag und manchmal nicht mal auf die Woche an. Für die meisten Patienten braucht es keine zusätzlichen Öffnungszeiten, es sei denn, weil das bequemer für sie wäre. Echte Notfälle werden in jeder seriösen Arztpraxis sowieso vorgezogen, wenn sie nicht gleich in der Notaufnahme oder beim Rettungsdienst landen. Wer "patientenfreundlichere" Sprechzeiten fordert, macht ein paar populistische Punkte, verkennt aber den Alltag in der Arztpraxis. Wie wäre es stattdessen, bei Patienten ein "arztfreundlicheres" Verhalten anzumahnen? Das ist zwar wenig populär, doch immer mehr Mediziner klagen darüber, dass sich Patienten wiederholt Termine geben lassen, dann aber - ohne abzusagen - einfach nicht erscheinen. Ein weiterer Befund: In den Notaufnahmen häufen sich seit Jahren die Fälle von Patienten mit banalen Beschwerden. Luxus-Situation in Deutschland In einem wohlhabenden Land gehört die flächendeckende medizinische Betreuung zwar zur Daseinsvorsorge. Das ist aber nicht gleichbedeutend mit dem Anspruch auf Arztpraxen mit 24-Stunden-Service. Wer einen Termin beim Doktor wahrnimmt, sollte sich des Privilegs bewusst sein, dass ihm der Luxus einer freien Arztwahl zusteht und überall im Land zumeist rasch geholfen wird. Dafür kann man sich durchaus an die vorgegebenen Sprechstunden halten und zum vereinbarten Termin erscheinen. Für alles andere gibt es Notdienste, Rettungsstellen und Krankenhäuser, übrigens auch so dicht gewoben wie in sonst keinem anderen Flächenland. Wenn Ärzte am Mittwoch und Freitag ihre Praxis bereits zur Mittagszeit zusperren, verschwinden sie übrigens nur selten auf den Golfplatz oder die Segelyacht. Vielmehr telefonieren sie noch stundenlang Befunden hinterher, schreiben Arztbriefe und sitzen tagelang an der vorgeschriebenen Dokumentation. Ärzte in dieser Hinsicht zu entlasten, wäre eine lohnende Aufgabe für Kassen und Politik - und käme auch den Patienten zugute, weil den Medizinern dann mehr Zeit für sie bliebe. | "Patientenfreundlichere" Sprechzeiten zu fordern, ist reiner Populismus. Wichtiger wäre, dass Patienten nicht ständig Termine absagen oder mit Banalitäten in die Notaufnahme gehen. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/arzt-termin-patienten-1.4261090 | Praxis-Öffnungszeiten: Patienten sind Teil des Problems | 00/12/2018 |
Es ist der erste Strafprozess, in dem es auch um Cum-Ex geht, um jene Aktiendeals also, mit denen Banken und Börsenhändler den deutschen Fiskus um einen Milliardenbetrag geschädigt haben. Vor Gericht stehen aber nicht diejenigen, die in die Staatskasse gegriffen haben. Und das Verfahren findet nicht hierzulande statt, sondern in der Schweiz. Das Bezirksgericht Zürich verhandelt am 26. und 28. März 2019 gegen den Stuttgarter Anwalt Eckart Seith und zwei Ex-Beschäftigte der Privatbank Sarasin aus Basel. Seith hat in Deutschland für den Drogerie-Milliardär Erwin Müller 45 Millionen Euro Schadenersatz von Sarasin erstritten, in einem Fall, der mit Cum-Ex zu hatte. Müllers Anwalt soll aber mit illegalen Mitteln agiert haben. Deshalb der Prozess in Zürich, zu dem sich Sarasin nicht äußert. Die Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich bezichtigt Seith unter anderem des "Wirtschaftlichen Nachrichtendienstes", sprich der Wirtschaftsspionage. Der Stuttgarter Anwalt soll vor Jahren den damaligen Leiter der Rechtsabteilung von Sarasin angestiftet haben, widerrechtlich geheime Dokumente der Bank über den Kunden Müller herauszugeben. Mit diesen Unterlagen hat Seith für seinen Mandanten Müller das 45-Millionen-Euro-Schadenersatzverfahren erst beim Landgericht Ulm und dann beim Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart gegen Sarasin gewonnen. Er habe dabei keine Schweizer Gesetze verletzt, sagt Seith. Sein Mandant Müller habe als geschädigter Bankkunde Anspruch auf die Offenlegung von Dokumenten gehabt. Doch nun schlagen die Bank und die Schweiz zurück. Sarasin tritt bei dem Prozess gegen Seith als Privatkläger auf. Und die Staatsanwaltschaft Zürich fordert dreieinhalb Jahre Haft für den Müller-Anwalt, der sich dem Verfahren stellen will. Seith rechnet mit einer Verurteilung, er muss aber nicht befürchten, gleich hinter Gittern zu kommen. Er will durch alle Instanzen gehen, bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Eine Strafe werde in der Schweiz erst vollzogen, wenn das Urteil rechtskräftig sei, betont das Bezirksgericht Zürich. Das Gericht hat Seith einstweilen "freies Geleit zugesichert". Gleichwohl wäre es der erste Schuldspruch bei Cum-Ex. Und das lange bevor sich diejenigen verantworten müssen, die den Fiskus beim Handel von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende getäuscht haben. Der Trick: Sie ließen sich eine nur einmal gezahlte Kapitalertragsteuer auf Dividendenerlöse mehrmals erstatten. Steuerfahnder und Staatsanwälte aus der halben Bundesrepublik untersuchen mehr als 400 derartige Aktiendeals im Umfang von mehr als fünf Milliarden Euro. Ob das alles kriminell war, oder ob eine Gesetzeslücke dies erlaubte, muss die deutsche Justiz erst noch entscheiden. Die Schweizer Bank, die nach einem Inhaberwechsel inzwischen unter J. Safra Sarasin firmiert, hat selbst keine derartigen Aktiengeschäfte gemacht. Und solche nach eigenen Angaben auch nicht initiiert oder konzipiert. Die Privatbank mit Stammsitz in Basel und einer Eiche im Wappen hat aber reichen Kunden, darunter Müller, spezielle Kapitalanlagefonds vermittelt. Fonds, die zusammen mit Partnern Aktiendeals betrieben und tolle Renditen versprachen. Nach Erkenntnissen deutscher Behörden nahmen die Fonds und deren Partner den hiesigen Fiskus aus. Als das aufflog und einem dieser Fonds das Geld ausging, verlor Müller rund 50 Millionen Euro und verklagte Sarasin auf Schadenersatz. Das OLG Stuttgart befand, der Drogerie-Unternehmer sei von Sarasin "unzulänglich informiert worden"; die Bank habe ihre Beratungspflichten verletzt. Das inzwischen rechtskräftige Urteil beruht vor allem auf jenen Dokumenten, die Müllers Anwalt auf Umwegen bei Sarasin besorgt hatte. In der Schweizer Anklage wird beschrieben, wie sich Seith im März 2013 in Schaffhausen am Rhein im Untergeschoss eines Restaurants hinter einer verschlossener Weinkellertüre mit dem damaligen Leiter der Sarasin-Rechtsabteilung getroffen habe. Mit dabei: Ein Ex-Angestellter der Bank, der den Kontakt vermittelt habe. Nach zehn Minuten sei man per Du gewesen. Beim Essen sei besprochen worden, wie Müller bei dessen Klage gegen Sarasin mit Dokumenten geholfen werden könne. Man habe vereinbart, dass Seith seinen Mandanten Müller fragen solle, wie viel dem Drogerie-Unternehmer das wert sei. Es sei zu weiteren Treffen gekommen, bei denen zahlreiche Dokumente übergeben worden seien. Seith habe seine beiden Kontaktleute an Müllers Prozesserlös beteiligen und ihnen somit einen illegalen Vermögensvorteil verschaffen wollen. Seith erstattete mit den Sarasin-Dokumenten Strafanzeigen Seith bestreitet die Treffen und die Übergabe der Dokumente nicht. Er habe aber kein Geld angeboten. Das sei "kompletter Unsinn". Er habe von seinem Mandanten Müller auch gar nicht die Befugnis erhalten, "irgendwelche Zusagen zu machen". Welche Version stimmt, wird das Gericht klären müssen. Unstrittig ist, welch großen Wert die geheimen Unterlagen aus der Schweiz für die Aufklärung von Cum-Ex in Deutschland hatten. Seith erstattete mit den Sarasin-Dokumenten Strafanzeigen bei der Staatsanwaltschaft Köln. Die leitete ein Verfahren ein und ermittelt inzwischen gegen mehrere Dutzend Banken und Beschuldigte. Dass Seith die Sarasin-Papiere an die Kölner Strafverfolger und andere deutsche Behörden weitergereicht hat, wird ihm in der Schweiz zur Last gelegt. Die beiden Ex-Beschäftigten von Sarasin, die unter anderem wegen Verrat von Geschäftsgeheimnissen zusammen mit Seith vor Gericht stehen, haben in dieser Sache bereits in Untersuchungshaft gesessen. Wegen mutmaßlichem Steuerbetrug mit Cum-Ex-Geschäften war aber noch niemand hinter Gittern. | Ein Anwalt hatte für den Drogerie-Milliardär Erwin Müller viel Geld erstritten. Nun muss der Jurist selbst vor Gericht - die Staatsanwaltschaft Zürich wirft ihm Wirtschaftsspionage vor. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/mueller-sarasin-prozess-1.4259532 | Die Schweiz schlägt zurück | 00/12/2018 |
Feigheit kann man Jerome Powell beim besten Willen nicht vorwerfen, im Gegenteil: Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass die US-Notenbank Fed und ihr Chef auch im Zeitalter des Präsidenten Donald Trump ihre Unabhängigkeit zu wahren gedenken, dann haben sie ihn am Mittwochabend geliefert. Trotz aller Warnungen, Drohungen und wütenden Proteste Trumps im Vorfeld hob die Fed-Führung ihren wichtigsten Leitzins, die sogenannte Tagesgeldzielspanne, um einen weiteren Viertelprozentpunkt an - zum vierten Mal in diesem Jahr auf nun 2,25 bis 2,5 Prozent. Der Präsident, der Powell erst vor gut einem Jahr persönlich ins Amt gehievt hatte, dürfte geschäumt haben. Mit den steigenden Leitsätzen will die Fed die Banken des Landes zu einer Verteuerung von Krediten an Firmen und Verbraucher anregen. Das soll wiederum eine Überhitzung der Konjunktur und rasche, unkontrollierte Preissteigerungen verhindern. Die Vermeidung von Inflation bei gleichzeitig möglichst niedriger Arbeitslosigkeit ist die Kernaufgabe der Notenbank. Zugleich bedrohen die Währungshüter mit ihrem Kurs jedoch Trumps Vorhaben, das Wirtschaftswachstum mit Gewalt auf Werte über drei oder gar vier Prozent zu steigern. Der Präsident hält es zudem für "ungerecht", dass er mit steigenden Zinsen zu tun hat, während diese in der Amtszeit seines Vorgängers Barack Obama praktisch durchgängig nahe null lagen. Dabei übersieht er jedoch, dass die Fed ihre Politik nicht danach ausrichtet, wer im Weißen Haus regiert, sondern wie es um die Wirtschaft bestellt ist. So musste Obama mit den Folgen der schwersten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg klar kommen, während Trump bei Amtsantritt eine gut laufende Wirtschaft vorfand. Powell machte im Anschluss an die letzte turnusmäßige Sitzung des zinspolitischen Ausschusses in diesem Jahr deutlich, dass die Zinserhöhung allein ökonomische Gründe habe. Zwar räumte er vor Journalisten ein, dass sich die Konjunkturaussichten weltweit ein wenig eingetrübt und die Kursschwankungen an den Börsen ausgeweitet hätten. Dennoch sei der Aufschwung in den USA weiter robust - wovon zwar nicht alle, aber doch viele Amerikaner profitierten. So werde die mit 3,7 Prozent ohnehin historisch niedrige Arbeitslosenquote im kommenden Jahr voraussichtlich weiter auf 3,5 Prozent sinken. Deshalb werde die Fed ihren Kurs der langsamen, stetigen zinspolitischen Normalisierung aus heutiger Sicht auch 2019 fortsetzen. Allerdings sei statt der bisher erwarteten weiteren drei Zinserhöhungen eher mit nur zwei Anhebungen zu rechnen. Auf Trumps Drohungen im Vorfeld der Ausschusssitzung ging Powell nur indirekt ein. Er betonte, die Fed orientiere sich bei ihren Beschlüssen allein am Mandat, das ihr der Kongress gegeben habe. "Politische Erwägungen haben bei unserer Entscheidung keinerlei Rolle gespielt", betonte er und fügte an: "Nichts wird uns davon abhalten, das zu tun, was wir für richtig halten." Trump, der sich wiederholt in die Arbeit unabhängiger Behörden wie der Fed oder des Justizministeriums eingemischt und Loyalität verlangt hatte, dürfte letztere Aussage als Provokation empfunden haben. Der Präsident hatte in den vergangenen Wochen wiederholt geklagt, er sei mit seiner Entscheidung von Ende 2017, Powell als neuen Fed-Chef zu nominieren "kein bisschen glücklich". Die Notenbank sei für die Vereinigten Staaten mittlerweile "ein noch viel größeres Problem als China". Es sei "unglaublich, dass die Fed angesichts der Tatsache, dass die Welt um uns herum explodiert, dass Paris brennt und es in China bergab geht, eine weitere Zinserhöhung auch nur erwägt". Was die Konjunkturabkühlung in China oder gar die Demonstrationen in Frankreich mit der US-Geldpolitik zu tun haben sollen, konnte oder wollte Trump allerdings nicht weiter erläutern. Angesichts der ungewisseren Konjunkturaussichten war die Ausgangslage für die Fed schon ohne die Einmischung des Präsidenten kompliziert. Das gilt umso mehr, als die Notenbank mit dem jetzigen Zinsschritt erstmals seit Ausbruch der Weltfinanzkrise vor zehn Jahren wieder in "neutrale" Gefilde vorstößt, in eine Region also, in der die Geldpolitik das Wirtschaftswachstum weder aktiv befeuert, noch bremst. Nach Schätzung der Währungshüter liegt dieser "neutrale Leitzins" irgendwo zwischen 2,5 und 3,5 Prozent. Dass die Fed nun gerade einmal die unteren Grenze dieser Spanne erreicht, zeigt, wie wenig Substanz Trumps Dauervorwurf hat, die Notenbank untergrabe mit ihrer Geldpolitik seine Bemühungen um einen nachhaltigen Wirtschaftsaufschwung. Vielmehr war es der US-Präsident selbst, der Powell zu den Zinserhöhungen der vergangenen Monate gewissermaßen nötigte: Wer in einen seit Jahren laufenden Aufschwung und eine Phase annähernder Vollbeschäftigung hinein die Steuern radikal senkt, wie Trump es zu Jahresbeginn getan tat, kann sich zwar eine Zeit lang mit zusätzlich aufgeblähten Wachstumsraten schmücken. Er erhöht aber zugleich das ohnehin bestehende Inflationsrisiko. Trump intensivierte seine Attacken zuletzt noch Die Aktienbörsen reagierten mit deutlichen Kursverlusten auf die Entscheidung der Fed. Nicht wenige Händler befürchten, dass die Notenbank die Zinsen zu schnell und zu aggressiv anhebt und den Aufschwung damit letztlich abwürgen wird. Der S&P-500-Index verlor zunächst rund zwei Prozent, auch die Renditen an den Anleihemärkten gaben nach. Das dürfte den Ärger Trumps, der sich bis in den Herbst hinein regelmäßig mit den damaligen Kursgewinnen an den Börsen gebrüstet hatte, zusätzlich erhöhen. Nach einer heftigen Talfahrt sind viele Aktien mittlerweile billiger als zu Jahresbeginn. Zahlreiche Anleger haben also Geld verloren. | Der Leitzins steigt auf 2,25 bis 2,5 Prozent. Obwohl Präsident Trump vorab lautstark dagegen protestiert hat. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/fed-leitzins-trump-1.4259530 | Fed: US-Notenbank erhöht Zinsen | 00/12/2018 |
Viele privat Krankenversicherte haben in den vergangenen Jahren gegen Beitragserhöhungen geklagt - vor den unteren Instanzen oft mit Erfolg. Doch nun sind ihre Chancen auf Rückzahlungen deutlich gesunken. In einem Grundsatzurteil hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einer heftig umstrittenen Frage klar zugunsten der privaten Krankenversicherungen (PKV) entschieden. Es geht dabei um die Unabhängigkeit der gesetzlich vorgeschriebenen Gutachter, von deren Genehmigung jede Beitragsanhebung abhängig ist. Aus Sicht von Kritikern sind viele dieser "Treuhänder" allerdings nicht wirklich unabhängig, weil sie entweder ein finanzielles Interesse an versicherungsfreundlichen Entscheidungen hätten oder mit der Versicherungswirtschaft verwoben seien. Der BGH hat nun aber entschieden, dass deren Unabhängigkeit gerichtlich überhaupt nicht überprüft werden kann. Dies sicherzustellen, sei allein Aufgabe der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin), die für die behördliche Aufsicht zuständig ist. Damit ist den Versicherungskunden ein wesentliches Argument aus der Hand geschlagen, mit dem sie in den vergangenen Jahren zahlreiche Prozesse gewonnen haben. Sie hatten argumentiert, die Unabhängigkeit der Treuhänder sei eine unabdingbare Voraussetzung jeder Beitragserhöhung und müsse daher gerichtlich überprüfbar sein. Bis 1994 waren die Erhöhungen sogar behördlich kontrolliert worden, und zwar durch die Bafin; erst eine Deregulierung des Versicherungswesens auf EU-Ebene brachte die Treuhänder ins Spiel. Im konkreten Fall ging es um Beitragserhöhungen der Axa-Krankenversicherung aus den Jahren 2012 und 2013. Der Anwalt des klagenden Kunden hatte die Unabhängigkeit in Abrede gestellt, weil der Treuhänder bereits seit fünfzehn Jahren sämtliche Prämienerhöhungen der Axa prüfe. Dafür, so schätzen die Kläger, erhalte er mindestens 150 000 Euro im Jahr, was vermutlich den Großteil seines Einkommens ausmache. Zudem war er in den 90er-Jahren für ein Jahr im Vorstand einer mit dem Axa-Konzern verbundenen Versicherung; aus dieser Zeit bezieht er noch eine Pension. Nach Einschätzung des Fachanwalts Knut Pilz aus Berlin, der nach eigenen Angaben etwa 100 Urteile zugunsten Versicherungskunden erstritten hat, stecken die Treuhänder oft in Interessenkonflikten. Es gibt derer zwar nur 16 - überwiegend Versicherungsmathematiker, die früher selbst bei Versicherungen angestellt waren -, aber ihre Verträge seien jederzeit kündbar. Die Bafin beschränke sich auf die Prüfung formaler Aspekte und nehme diese finanziellen Abhängigkeiten nicht in den Blick. Tatsächlich hat die Bafin in den vergangenen zehn Jahren nur einen einzigen Treuhänder abgelehnt - weil dieser vom Unternehmen, das er prüfen sollte, eine Altersversorgung bezog. Rechtsanwalt Ralph Schmitt, der den Kläger vor dem BGH vertrat, argumentierte, der Gesetzgeber habe den "unabhängigen Treuhänder" eigentlich zum Schutz der Versicherungskunden eingebaut. Der BGH dagegen ist der Ansicht, dass die vorgeschriebene Prüfung durch einen Experten nicht so sehr dem einzelnen Kunden diene, sondern der Gesamtheit der Versicherten. "Der Kunde muss sich darauf verlassen können, dass die Versicherung über einen sehr langen Zeitraum Leistungen für alle erbringt", sagt die Senatsvorsitzende Barbara Mayen. Würde eine Erhöhung allein wegen fehlender Unabhängigkeit des Treuhänders verworfen, drohten Störungen der Beitragsstabilität. Die Kunden seien zudem nicht schutzlos, weil sie die Anhebung der Beiträge inhaltlich in vollem Umfang gerichtlich prüfen lassen könnten. Das Verfahren wurde an das Landgericht Potsdam zurückverwiesen, das den neuen Beitrag möglicherweise noch einmal nach den Regeln der Versicherungsmathematik unter die Lupe nehmen muss. Starke Prämienerhöhungen sorgen für Ärger Für Ärger sorgen Prämienerhöhungen vor allem deshalb, weil es häufig zu großen Sprüngen kommt - die Versicherten bekommen einige Jahre überhaupt keine Prämienerhöhung, und dann steigen die Beiträge plötzlich im zweistelligen Prozentbereich. Das ist auf die Kalkulationsgrundlagen in der PKV zurückzuführen. Die Krankenversicherer dürfen die Prämien erst anpassen, wenn sogenannte auslösende Faktoren anspringen. Das sind einerseits Veränderungen in der Sterblichkeit, andererseits - und das ist der wichtigste Punkt - die Steigerung der Leistungsausgaben. Ist nach einem dieser Punkte eine Erhöhung angezeigt, dann muss der Versicherer bei der Kalkulation auch alle anderen Faktoren berücksichtigen, die Einfluss auf die Höhe der Prämien haben. In der jüngsten Vergangenheit ist das vor allem die Zinsentwicklung. Die PKV und die Deutsche Aktuarvereinigung machen sich deshalb seit Längerem für eine Änderung der entsprechenden gesetzlichen Regelungen stark. Sie soll es den Unternehmen ermöglichen, die Prämien regelmäßiger und mit weniger Sprüngen anzupassen. Über alle Unternehmen und Tarife hinweg sind die Prämien in der privaten Vollversicherung nach einer Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der PKV von 2009 bis 2019 im Schnitt um 2,8 Prozent pro Jahr gestiegen, die Werte für 2018 und 2019 sind dabei geschätzt. In der gesetzlichen Krankenversicherung gab es im selben Zeitraum ein Plus von durchschnittlich 3,3 Prozent. Die Durchschnittszahlen sagen allerdings nichts über einzelne Unternehmen und einzelne Tarife aus, dort kann es durchaus drastische Ausreißer geben. Für 2019 hat der PKV-Verband die durchschnittliche Anpassung in der Vollversicherung mit 1,9 Prozent beziffert. | Immer wieder klagen Kunden, weil ihre Krankenversicherung deutlich teurer wird. Nun hat Karlsruhe ein grundsätzliches Urteil gefällt, das den Konzernen hilft. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/bgh-urteil-private-krankenversicherung-1.4259515 | Krankenversicherung - BGH enttäuscht Privatversicherte | 00/12/2018 |
Gemessen daran, dass viele Manager selbst in hoffnungslosen Lagen gern blumige Worte wählen, legt der neue starke Mann bei Mediamarkt-Saturn, der Spanier Ferran Reverter, eine schonungslose Bestandsaufnahme vor. Auf der Bilanzpressekonferenz von Ceconomy, dem Mutterkonzern von Mediamarkt und Saturn, stellt er sich zunächst kurz vor: 45 Jahre alt, drei Kinder, seit 2002 bei Mediamarkt-Saturn, anfangs Marktleiter, seit zehn Wochen Chef der Media-Saturn-Holding. | Mediamarkt und Saturn sollen ganz eng zusammenrücken, auch beim Warenangebot. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/mediamarkt-saturn-ceconomy-1.4259536 | Media-Saturn - Zwei Marken, selber Inhalt | 00/12/2018 |
Vor einem Jahr überschlugen sich die Auguren noch vor Optimismus - die deutsche Wirtschaft schien endlos zu boomen. Jetzt droht der Abschwung. Dass die Experten irrten, hat viel mit Donald Trump zu tun. Donald Trump überrascht Menschen gern. Das trifft in der Regel Gesprächspartner wie Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Launen des Präsidenten machen allerdings auch einer anderen Berufsgruppe stark zu schaffen: all jenen, die mit professionellen Mitteln und Erfahrung versuchen, die Wirtschaftsentwicklung vorauszusagen. Jedenfalls lagen die Auguren für 2018 mit ihren Prognosen für die deutsche Wirtschaft relativ deutlich daneben - ähnlich wie schon 2017, nachdem sie in den Jahren zuvor noch ziemlich treffsicher waren. Statt eines fortgesetzten Booms folgte diesmal ein herber Rückschlag. Und der Grund für die Fehlprognosen könnte in beiden Jahren der gleiche gewesen sein. Das Prognosegeschäft fällt schwerer, seit Politik und Handelsbeziehungen der größten Volkswirtschaft der Welt von jenem US-Präsidenten bestimmt werden, dessen Launen nicht so einfach vorherzusagen sind. Als Donald Trump Ende 2016 gewählt wurde, kursierten unter den Prognostikern eher düstere Mutmaßungen. Der Mann drohe, die Welt in Handelskriege zu stürzen und bei Investoren für große Unsicherheit zu sorgen. Tatsächlich blieb 2017 der Handelskrieg (noch) aus, die deutsche wie die US-Wirtschaft setzten stattdessen zu einem neuen Boom an. Worauf die Auguren ihre Prognosen für 2018 Ende vergangenen Jahres kräftig nach oben setzten: weil Trump ja doch nicht so schlimm sei. Detailansicht öffnen Womit nur wenige Experten gerechnet hatten: Der überraschende Anstieg der Ölpreise im Sommer (hier eine Förderanlage in Texas) ließ den Verbrauchern weniger Geld für anderes. (Foto: Spencer Platt/AFP) Wieder falsch. Zum Jahresende 2018 ist klar, dass der US-Präsident die Prognostiker erneut überrascht hat - nur diesmal zum Negativen, wie die jährliche Auswertung der Vorhersagen von rund 50 professionellen Prognostikern aus Banken und Forschungsinstituten, von Bundesregierung und Organisationen ergab. Die deutsche Wirtschaft hat 2018 nur 1,5 Prozent zugelegt Vor zwölf Monaten noch überboten sich die Experten in ihren Boom-Erwartungen. Jeder Dritte erwartete für 2018 einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts von 2,5 und mehr Prozent. Selbst bewährte Prognostiker wie Carsten Klude von MM Warburg machten mit - und veranschlagten sogar ein Plus von 2,7 Prozent. Weil sich die Ängste des Vorjahres nicht bewahrheitet hätten, könne die Wirtschaft mit fortgesetzter Dynamik rechnen. Weil es überall boomt, würden die Exporte stark wachsen und die Firmen mehr investieren. Und weil so viel wirtschaftliche Dynamik dazu führt, dass mehr Leute Arbeit finden, würden die Deutschen auch viel konsumieren. Von wegen. Zwölf Monate später ist klar, dass die deutsche Wirtschaft 2018 um gerade einmal 1,5 Prozent zugelegt hat - so schwach wie es kein einziger Prognostiker erwartet hatte. Schon zu Beginn des Jahres begannen Frühindikatoren wie der Geschäftsklima-Index des Münchner Ifo-Instituts zu kippen. Und mit jedem Monat wurde klarer: die befragten Unternehmen schienen vor allem dadurch verunsichert, dass der US-Präsident nun doch zu Tiraden gegen die Handelspartner ansetzte - und mit Zöllen gegen Chinesen und Europäer Ernst zu machen schien. Wobei Donald Trump nicht allein schuld ist, sondern auch stellvertretend für das Phänomen populistischer Politik in unserer Zeit steht. Ebenso schwer vorhersehbar war für die Konjunkturexperten das Wirrwarr um den Brexit - oder dass in Italien eine rechts-links-populistische Regierung gewählt wurde, die seither für viel Verwirrung sorgt. Detailansicht öffnen US-Präsident Donald Trump will Zölle auf Autos erheben. (Foto: Ingo Wagner/AFP) In beiden Ländern ist die Konjunktur gekippt, was zu einem Abwärtstrend auch in der Euro-Zone beitrug. Dazu kamen zeitweise hohe Ölpreise, die den Verbrauchern weniger Geld zum Ausgeben ließen - und in Deutschland noch ein ganz anderes Kuriosum: die Wirtschaftsleistung schrumpfte im Sommer auch deshalb, weil die Autoindustrie es nicht schaffte, rechtzeitig neue EU-Normen umzusetzen, und die Produktion deshalb zeitweise stillstand. All das hat gereicht, um den Boom in Deutschland kippen zu lassen - womit kein Prognostiker so gerechnet hat. Zwar lagen sie noch einigermaßen richtig mit ihren Erwartungen für die Investitionslust der Unternehmen: Die investierten tatsächlich noch einmal gut vier Prozent mehr in ihre Ausrüstungen, was immerhin ein Drittel der Experten prognostiziert hatten. Viel zu optimistisch waren sie dagegen, was den Anstieg des Konsums angeht - der dürfte 2018 bei mickrigen ein statt mehr als zwei Prozent gelegen haben, wie es Optimisten erwartet hatten. Am stärksten daneben lagen die Auguren bei ihren Prognosen zum Export. Nur drei der knapp 50 Experten hatte überhaupt damit gerechnet, dass das Plus bei den deutschen Ausfuhren unter vier Prozent liegen würde. Die Experten vom IWH-Institut in Halle hatten sogar einen Zuwachs von gut sechs Prozent erwartet. Dass es angesichts von Handels- und Polit-turbulenzen bei wichtigen Abnehmerländern nur historisch schwache zwei Prozent würden, ahnte keiner der Experten. Einigermaßen nahe kamen der Wirklichkeit diesmal nur ein halbes Dutzend Konjunkturexperten - mit einem prognostizierten Wachstum von rund zwei statt 1,5 Prozent. Dabei kam etwa den Experten des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zugute, dass sie ihre Prognose vor dem großen Optimismus-Schub im Herbst 2017 fertig gestellt hatten - und von der kurzzeitigen Euphorie daher noch nicht angesteckt schienen. Ähnliches gilt für die Prognosen des Internationalen Währungsfonds und der Gemeinschaftsdiagnose der führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute. Am nächsten lag neben IW-Konjunkturchef Michael Grömling am Ende der Chefvolkswirt der ING Diba, Carsten Brzeski. In den Brexit-Wirren und den Risiken einer protektionistischen Politik des US-Präsidenten, so die Vorahnung der IW-Leute im Herbst, lägen "erhebliche Gefahren" für die deutsche Wirtschaft. Eine Vorahnung. Brzeski rechnete immerhin vor einem Jahr schon mit einem relativ schwachen Plus sowohl beim Konsum als auch beim Export. Keine glorreiche Prognose. Aber eine, die weniger daneben lag als beim Gros der Konkurrenz. Mitarbeit: Hannah Münch | Vor einem Jahr überschlugen sich die Auguren noch vor Optimismus - die deutsche Wirtschaft schien endlos zu boomen. Jetzt droht der Abschwung. Dass die Experten irrten, hat viel mit Donald Trump zu tun. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/oekonomen-und-sie-ahnten-es-nicht-1.4259524 | Ökonomen - Und sie ahnten es nicht | 00/12/2018 |
Detailansicht öffnen Die EU will energisch vorgehen gegen Strohhalme, gegen Plastikwattestäbchen, gegen Stäbe von Luftballons. (Foto: Olivier Morin/AFP) Es war ein besonderer Trauerzug, der im vorigen Sommer durch den Berliner Stadtteil Kreuzberg zog. Die Kapelle trug schwarz, aber ihre Musik war fröhlich. Und statt eines Sarges trug die Trauergemeinde einen riesenhaften Becher durch die Straßen. So sollte er aussehen, der Abschied vom Einweg-Kaffeebecher. Passanten erhielten von der Stadtreinigung einen Mehrwegbecher geschenkt, doch richtig gewirkt hat es noch nicht. Stattdessen werden nun überall in der Stadt größere, kugelrunde Mülleimer aufgestellt: Die laufen nicht so schnell über, angesichts der Flut weggeworfener Becher. Auch der EU sind die Wegwerf-Artikel ein Dorn im Auge, auch sie hat es lange mit Freiwilligkeit versucht. Ihre Aktion "Be ready to change" wirbt für die Vorzüge von Mehrwegbechern, Mehrwegbesteck, Mehrwegtellern. "Helft, unsere Strände und Ozeane zu bewahren", heißt es da. "Startet eine Langzeitbeziehung mit einer smarteren Alternative." Doch wenn das nicht hilft, müssen Gesetze her. Oder, wie Umweltkommissar Karmenu Vella sagt: "Wenn wir in einer Lage sind, dass wir im einen Jahr den Fisch in einer Tüte heimbringen und im nächsten die Tüte in einem Fisch, dann müssen wir hart und schnell reagieren." Plastik im Meer - es ist der mittlerweile sichtbarste Teil des Problems. 25 Plastiktüten, 115 Plastikbecher, zwei Flip-Flops, einen Nylonsack und 1000 weitere Plastikteile fanden sich unlängst im Bauch eines toten Wals, der an der indonesischen Insel Sulawesi gestrandet war. Einer Studie der Beratungsfirma McKinsey zufolge könnte das Wachstum der Weltwirtschaft den Plastikmüll bis 2030 noch einmal um 80 Prozent steigern lassen: von 260 auf 440 Millionen Tonnen im Jahr. Schon jetzt sei mehr als die Hälfte des Mülls Plastik aus "kurzlebigen Anwendungen". Und genau die soll nun auch ein Verbot der EU treffen. Strohhalme, wie sie sich zu Millionen an Stränden finden, Plastikwattestäbchen, Rührstäbe von der Cocktailbar, Stäbe von Luftballons. Auch sogenannte oxo-abbaubare Kunststoffe will die EU verbieten: Das sind Stoffe, die sich unter UV-Licht zwar in Einzelteile auflösen, deren Reste sich aber nicht weiter abbauen. Das alles soll 2021 verschwinden - zwei Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie, auf die sich nun EU-Parlament, Rat und Kommission geeinigt haben. Auch der Einweg-Kaffeebecher kommt an die Reihe. Die Variante aus aufgeschäumtem Polystyrol soll komplett verschwinden, ähnlich übrigens wie die Verpackungen, in denen Restaurants ihr Außer-Haus-Essen verkaufen. Die Zahl der Pappbecher sollen die Mitgliedstaaten sichtbar senken. Schließlich sind die selten nur aus Pappe, sondern von innen mit einer dünnen Kunststofffolie versehen. Auch Warn- und Entsorgungshinweise sollen beim Abschied helfen. Ein öffentliches Begräbnis wie in Kreuzberg wäre also mit dem neuen EU-Recht vollkommen kompatibel. Obendrein kommen die Hersteller nun doppelt dran. Nicht nur müssen sie Einbrüche beim Plastik fürchten. Finden sich weiter massenhaft Plastikartikel in der Umwelt, soll eine "erweiterte Herstellerverantwortung" greifen. Die Unternehmen können dann an den Aufräumkosten beteiligt werden. Selbst für Luftballons soll das gelten, wenn sie schlapp irgendwo in der Umwelt landen. Dafür wurde nicht verboten, sie frei fliegen zu lassen. "Müll gehört nicht in die Landschaft", sagt der Europaabgeordnete Karl-Heinz Florenz (CDU), der Verhandlungsführer der konservativen EVP-Fraktion war. Es gehe auch um ein verändertes Bewusstsein: "Vermeintlicher Abfall bedeutet in Wirklichkeit oft wertvolle Rohstoffe", sagt Florenz. Weshalb die Richtlinie auch mehr Recycling etwa bei Plastikflaschen verlangt - und einen höheren Recycling-Anteil im Plastik der Flaschen. Auch Umweltschützer sind zufrieden. "Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, um die Einweg-Plastikflut zu stoppen", sagt Olaf Tschimpke, Chef des Naturschutzbundes Nabu. Andere bedankten sich für das "vorgezogene Weihnachtsgeschenk". Und zwar eins ganz ohne Verpackung. | Die Europäische Union will die Flut an Plastikabfällen eindämmen - und lässt viele Produkte im Jahr 2021 verschwinden. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/plastik-der-letzte-strohhalm-1.4259517 | Der letzte Strohhalm | 00/12/2018 |
Der Vorstand des Internationalen Währungsfonds (IWF) hat zugestimmt: Bis zu 3,9 Milliarden Dollar kann die Ukraine bis zum Frühjahr 2020 beim IWF abrufen, dazu eine Milliarde Euro von der EU. Die Weltbank bürgt für weitere 750 Millionen Dollar. Geld fließt noch vor Jahresende: 500 Millionen Euro von der EU und 1,4 Milliarden Dollar vom IWF. Und dank der Weltbankgarantie kann sich Kiew international weitere 750 Millionen Dollar leihen. Mit den Milliarden bedient die Regierung alte Schulden: Insgesamt muss das Land der Nationalbank zufolge schon in den kommenden zwei Jahre 17 Milliarden Dollar zurückzahlen. Eine gewaltige Summe angesichts eines Staatshaushaltes von umgerechnet rund 40 Milliarden Dollar. Ohne die Milliarden von IWF und EU wäre die Ukraine zahlungsunfähig, gab Ministerpräsident Wolodymyr Groysman kürzlich zu. Dieses Risiko wollten offenbar weder Washington noch Brüssel eingehen, vor allem nicht angesichts der sich zuspitzenden Konflikte mit Russland. Präsident Petro Poroschenko allerdings feierte die Kreditgarantie der Weltbank als angeblichen Beleg für "greifbaren Fortschritt auf dem Reformpfad" der Ukraine. | Die Regierung der Ukraine steckt in finanzieller Not. Jetzt bekommt sie 1,2 Milliarden Euro von der IWF und der EU. Doch die Wirtschaft des Landes leidet unter der Korruption. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ukraine-milliardenkredit-in-letzter-minute-1.4259538 | Ukraine - Milliardenkredit in letzter Minute | 00/12/2018 |
Die Anleger wagen sich am Mittwoch vor dem Zinsentscheid in den USA ein Stück weit aus der Deckung. Auf den Verkaufslisten steht die Aktie der Deutschen Post nach einer Gewinnwarnung des US-Konkurrenten Fedex. Die Anleger haben erleichtert auf die Einigung im Haushaltsstreit Italiens mit der EU reagiert. Der Dax legte am Mittwoch um 0,2 Prozent auf 10 766 Punkte zu. Im Börsianer warteten zugleich gespannt auf den Zinsentscheid der US-Notenbank (Fed) am Abend (MEZ). Italien senkte sein Defizitziel für kommendes Jahr auf 2,04 von bislang 2,4 Prozent der Wirtschaftsleistung. Nach wochenlangem Streit verzichtet die Brüsseler Behörde daraufhin auf disziplinarische Schritte. Anleger deckten sich mit italienischen Aktien ein. Der Mailänder Index kletterte um 1,6 Prozent nach oben. Auftrieb erhielten vor allem die italienischen Banken, die zahlreiche Bonds in ihren Depots haben. Der Branchenindex stieg um 2,2 Prozent. Am deutschen Aktienmarkt rückte Ceconomy ins Blickfeld. Die Titel des MediaMarkt-Saturn-Konzerns fielen um mehr als 17 Prozent auf ein Rekordtief von 2,96 Euro, nachdem das Unternehmen für das Geschäftsjahr 2018/2019 einen Rückgang des operativen Gewinns angekündigt hatte. Bislang sei am Markt ein Plus von etwa zehn Prozent erwartet worden, sagte ein Börsianer. Die gekappte Prognose des US-Konkurrenten Fedex machte der Deutschen Post zu schaffen. Die Post-Aktien fielen um 4,2 Prozent. In New York lagen Fedex-Titel um 10,2 Prozent im Minus. Die im Nebenwerteindex M-Dax notierten Aktien von Evotec stiegen um knapp vier Prozent. Das Biotechunternehmen erfreut seine Anleger kurz vor den Weihnachtsfeiertagen mit einer höheren Ergebnisprognose. Für 2018 werde nun mit einem Anstieg des bereinigten Betriebsgewinns von mehr als 45 Prozent gerechnet, teilte Evotec am Mittwoch mit. In Tokio, beim Börsendebüt von Software Corp, einer Tochter des japanischen Technologiekonzerns Software Group, schlossen die Aktien des Mobilfunkers 14,5 Prozent unter dem Ausgabepreis. Mit einem Volumen von umgerechnet knapp 21 Milliarden Euro war die Emission die bislang größte in Japan. Nachdem die US-Notenbank am Abend bekannt gab die Leitzinsen um einen viertel Prozentpunkt anzuheben, gab der Dow Jones seine deutlichen Gewinne wieder ab und schloss 1,5 Prozent im Minus. Höhere Zinsen machen andere Anlageklassen gegenüber Aktien attraktiver. | Zinsentscheid in den USA ein Stück weit aus der Deckung. Auf den Verkaufslisten steht die Aktie der Deutschen Post nach einer Gewinnwarnung des US-Konkurrenten Fedex. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/aktienmaerkte-dax-legt-leicht-zu-1.4259366 | Dax legt leicht zu | 00/12/2018 |
Die nächste peinliche Enthüllung für Facebook: Der Konzern hat anderen großen Unternehmen weitreichenden Zugriff auf Nutzerdaten ermöglicht - in einigen Fällen ohne das Wissen der Nutzer. Zugriffsrechte bekamen etwa Microsoft, Amazon, Yahoo und Netflix, geht aus einer Recherche der New York Times hervor. Etwa 150 Unternehmen konnten demnach Daten der Nutzer abgreifen, selbst wenn diese überhaupt keinen direkten Kontakt mit den jeweiligen Firmen gehabt hatten. Auch angesichts der neuen Enthüllungen drohen US-Politiker mit Konsequenzen. Es sei offensichtlich, dass Soziale Netzwerke sich nicht freiwillig um die Privatsphäre ihrer Nutzer kümmerten, erklärte Mark Warner, Senator der Demokraten: "Der Kongress muss eingreifen." Auch die Republikaner üben Kritik. Damit könnte in den USA eine Diskussion um Datenschutzgesetze beginnen; bislang geht man dort sehr liberal mit Daten um. Zugleich droht dem größten sozialen Netzwerk der Welt auch rechtlicher Ärger in den USA: Der Generalstaatsanwalt aus Washington D.C., Karl Racine, reichte Klage gegen den Konzern von Milliardär Mark Zuckerberg ein: "Facebook hat es verfehlt, die Privatsphäre seiner User zu schützen und sie darüber getäuscht, wer Zugang zu ihren Daten hatte und wie diese genutzt wurden." Im Zuge des Cambridge-Analytica-Skandals hatte Facebook immer wieder beteuert, den Datenzugriff für andere Firmen seit 2014 deutlich eingeschränkt zu haben. Cambridge Analytica hatte Nutzerdaten für Wahlkämpfe missbraucht. Der New York Times zufolge ging die Datenübermittlung für ausgewählte Unternehmen danach aber noch Jahre weiter: Nachrichten, die Nutzer einander auf Facebook schrieben, waren jahrelang noch weniger privat als gedacht. Drittfirmen wie Spotify, Netflix und die Bank of Canada hatten nicht nur Lese-, sondern sogar Schreibrechte für private Nachrichten. Das bedeutet: Die Unternehmen waren nicht nur in der Lage, Facebook-Nutzer auszuspionieren, sie hätten die Nachrichten auch verändern können. Es ist völlig unklar, warum diese Fähigkeit nötig gewesen sein soll. Kooperationen von Facebook und anderen Diensten ermöglichen, dass Nutzer Funktionen beider Firmen kombinieren können, sie können beispielsweise Lieder von Spotify direkt auf Facebook teilen. Der Zugriff auf die Nachrichten sollte in dem Fall ermöglichen, Facebook-Nachrichten direkt aus der Spotify-Desktop-App verschicken zu können. Die Unternehmen erklärten allerdings, gar nicht gewusst zu haben, dass sie solche Rechte gehabt hätten. Es ist auch kein Fall bekannt, in dem sie von dieser Möglichkeit Gebrauch machten. Die Unterlagen verraten auch mehr über eine mysteriöse Facebook-Funktion Die internen Dokumente verraten der Times zufolge auch etwas über die mysteriöse Facebook-Funktion "Personen, die du kennen könntest". Sie verunsichert Mitglieder des Netzwerkes seit Jahren, weil sie Verbindungen mit Menschen herstellt, die nichts mit dem Facebook-Freundeskreis der Betroffenen zu tun haben. Dem Bericht zufolge nutzte Facebook Kontaktlisten von Amazon, Huawei und Yahoo, um Nutzern mögliche neue "Freunde" vorzuschlagen. Amazon konnte demnach Namen und Kontaktinformationen von Nutzern herausfinden, ohne mit diesen direkt Kontakt gehabt zu haben - und ohne dass die Betroffenen dies mitbekamen. Der Online-Dienst Yahoo konnte wohl noch diesen Sommer Beiträge von Nutzern sehen, die gar keinen Kontakt mit dem Unternehmen hatten. Auch Microsofts Suchmaschine Bing konnte bis 2017 auf Daten nichtsahnender "Freunde" von Nutzern zugreifen, obwohl Facebook erklärt hatte, diese Möglichkeit 2014 abgeschafft zu haben. Facebook gab zu, einige Schnittstellen nicht geschlossen zu haben, auch nachdem die heiklen Features offiziell abgeschafft worden waren. Die neuen Informationen über Zugriffsmöglichkeiten Dritter könnten auch gegen eine Abmachung zwischen Facebook und der Handelskommission FTC verstoßen haben, die in den USA über den fairen Wettbewerb wacht. Die Vereinbarung sieht vor, dass Nutzer informiert werden müssen, wer wie auf ihre Daten zugreift. Diese Abkommen mit dem Staat, die auch Google und Twitter geschlossen haben, gehören zu den wenigen Datenschutzregeln, die es in den USA überhaupt gibt. Das Land verfügt nicht über ein umfassendes rechtliches Datenschutz-System wie die Europäische Union und Deutschland. Facebooks Rechtfertigung klingt abenteuerlich: Die Drittunternehmen habe man als Erweiterungen von Facebook selbst angesehen, zitiert die Times Steve Satterfield, im Konzern für den Datenschutz der Nutzer zuständig. Deshalb habe man Facebook-Nutzer auch nicht gesondert um Erlaubnis fragen müssen, was diese anderen Unternehmen mit ihren Daten machen dürfen. | Facebook hat anderen Tech-Konzernen Zugriff auf Nutzerdaten gewährt. Netflix und Spotify etwa konnten private Chats mitlesen und löschen. Nun wollen US-Politiker und auch die Justiz einschreiten. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/facebook-spionage-netzwerk-1.4259544 | Spionage-Netzwerk | 00/12/2018 |
Etwas mehr als ein Jahr lang hat Christel Augenstein unter diesem Urteil gelitten. Die Reputation der ehemaligen Pforzheimer Oberbürgermeisterin war tief gesunken, nachdem das Landgericht Mannheim sie im November 2017 wegen schwerer Untreue zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt hatte. Doch nun kann die ehemalige FDP-Politikerin zumindest vorübergehend aufatmen: Der Bundesgerichtshof hat das Urteil aufgehoben. Der Fall um hochriskante Spekulationsgeschäfte im Namen der Stadt muss nun vor einer anderen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts neu verhandelt werden. | Das Verfahren gegen Pforzheims ehemalige Oberbürgermeisterin Christel Augenstein und ihre Stadtkämmerin muss wegen eines mangelhaften Urteils am Landgericht Mannheim neu aufgerollt werden. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/derivate-affaere-bgh-kassiert-zinswetten-urteil-1.4259534 | Derivate-Affäre - BGH kassiert Zinswetten-Urteil | 00/12/2018 |
Erstmals in der langen Geschichte von Thyssenkrupp rückt eine Frau ganz nach oben, an die Spitze des Aufsichtsrats: Bei der Hauptversammlung im Februar sollen die Aktionäre Martina Merz als neue Kontrolleurin bestätigen. Gleich danach soll die 55-Jährige den Vorsitz übernehmen. Das hat der Industriekonzern nun bekannt gegeben. Merz ist die zweite Frau in der hiesigen Wirtschaftsgeschichte, die den Aufsichtsrat eines Dax-Konzerns leiten soll. Sie weiß, was es heißt, in vermeintlichen Männerdomänen Karriere zu machen. | Martina Merz soll den Aufsichtsrat von Thyssenkrupp leiten. Die Ingenieurin weiß, was es heißt, in vermeintlichen Männerdomänen Karriere zu machen. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/thyssenkrupp-merz-1.4259519 | Thyssenkrupp - Ein Faible für Technik | 00/12/2018 |
Auswahl: Welcher Experte hat am besten vorhergesagt, wie gut die Konjunktur in Deutschland läuft? Wie in jedem Jahr seit 2002 haben Ökonomen des Internetportals Wirtschaftswunder rund 50 Prognosen von Forschungsinstituten, Banken und Organisationen sowie von Regierung und der Bundesbank ausgewertet. Berücksichtigt wurden dabei die jeweils letzten Vorhersagen vom Ende des Vorjahres. Als einzige Vorhersage aus dem Januar wird jeweils der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung berücksichtigt. Die Prognosen werden dann mit der tatsächlichen Entwicklung verglichen. Kriterien: Wichtigster Maßstab für die Treffgenauigkeit ist, wie gut die Experten den Anstieg des realen deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) vorausgesagt haben. In diesem Jahr lag das tatsächliche Plus nach den aktuellen Konsens-Schätzungen von Bundesbank und anderen Experten bei 1,5 Prozent. In einem zweiten Schritt wird bei der Auswertung berücksichtigt, wie gut die Experten einzelne Ausgaben vorhergesagt haben, die zum BIP beitragen - den Konsum der Privathaushalte, die Investitionen in Ausrüstungen und den Export von Waren und Dienstleistungen. Wurde die Entwicklung innerhalb einer bestimmten Fehlermarge richtig prognostiziert, wird dies als Treffer gezählt (grün). Zudem wurde noch berechnet, um wie viel diese Detailprognosen im Durchschnitt prozentual von der tatsächlichen Entwicklung abwichen. Schließlich wird in der Endauswahl berücksichtigt, ob treffend begründet wurde, warum sich die deutsche Wirtschaft so entwickelt hat, wie sie sich tatsächlich entwickelt hat. Rangfolge: Für 2018 ergab die Auswertung, dass die Prognostiker ohne Ausnahme zu optimistisch waren, was den Anstieg des Bruttoinlandsprodukts angeht. Im Durchschnitt lagen die Experten 0,8 Prozentpunkte über dem tatsächlichen Wachstum von 1,5 Prozent. Eine kleinere Gruppe kam dem Ergebnis immerhin bis auf etwa einen halben Prozentpunkt nahe. Einige Experten trafen zudem mit ihren Prognosen für Konsum, Export und Investitionen, wenn auch keiner alle drei Werte richtig prognostizierte. Langzeit: Wie schon 2017 hat auch im ablaufenden Jahr 2018 erschwerend für die Prognostiker gewirkt, dass die Wirtschaftsentwicklung stark durch politische Schocks und schwer vorhersehbare Ereignisse wie Produktionsschwierigkeiten in der Autoindustrie und Turbulenzen an Finanzmärkten geprägt wurde. Solche Einflüsse sind ökonomisch per Definition schwer vorhersehbar. Dennoch gibt es Experten, die im Durchschnitt der Jahre besonders gut liegen. An der Spitze gibt es dabei seit Jahren ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem Chefvolkswirt von MM Warburg und den Experten der Société Générale, wobei letztere dieses Jahr ihren ersten Platz zurückeroberten. | Seit 2002 werten Ökonomen des Internetportals Wirtschaftswunder Prognosen von Instituten, Banken und Regierung aus. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/analyse-die-kriterien-1.4259526 | Analyse - Die Kriterien | 00/12/2018 |
Der Pharmakonzern Glaxo Smith Kline spaltet sich auf und schmiedet mit dem US-Rivalen Pfizer ein milliardenschweres Bündnis bei rezeptfreien Gesundheitsprodukten. Zusammen stehen die beiden Geschäfte mit Marken wie Sensodyne, Voltaren und Fenistil von Glaxo sowie Centrum-Vitaminen und Baldriparan-Schlaftabletten von Pfizer für einen Umsatz von knapp 13 Milliarden Dollar. Glaxo will das geplante Gemeinschaftsunternehmen, an dem die Briten 68 Prozent und Pfizer 32 Prozent halten sollen, innerhalb von drei Jahren abspalten und an die Börse bringen. Der Mutterkonzern würde sich dann auf die Geschäfte mit verschreibungspflichtigen Medikamenten und Impfstoffe konzentrieren. An der Börse kamen die Pläne gut an. Die Aktien von Glaxo stiegen nach Bekanntgabe in London um mehr als fünf Prozent. Glaxo-Chefin Emma Walmsley, die 2017 das Ruder übernommen hatte, würde den Pharmakonzern damit deutlich umformen. Einige Investoren hatten bereits eine Aufspaltung gefordert, das hatte Walmsley bislang aber zurückgewiesen und betont, der Vorstand stehe hinter der Struktur von Glaxo. Nun sagt sie: Der mit Pfizer angekündigte Deal sei eine "einmalige Gelegenheit". Mit dem Zusammenlegen der beiden Geschäfte werde ein Marktführer bei rezeptfreien Gesundheitsprodukten mit großem Abstand zur Konkurrenz geschaffen. Glaxo könne dadurch zudem Investitionen in seine Pharma-Forschung besser planen. Walmsley sagte, der Deal habe einen "unvermeidlichen Einfluss" auf Arbeitsplätze, was wohl bedeutet: Jobs werden gestrichen. Zugleich würden auch Kosten in der Beschaffung und in der gesamten Lieferkette reduziert. All das freut zwar natürlich nicht die Beschäftigten - aber die Börsen. Innerhalb von fünf Jahren nach Abschluss der Transaktion, die für das zweite Halbjahr 2019 erwartet wird, kann Glaxo alleine entscheiden, ob und wann das Gemeinschaftsunternehmen an die Börse gebracht wird. Danach hätte Pfizer ein Mitspracherecht. Glaxo hatte erst im Frühjahr das Geschäft mit rezeptfreien Gesundheitsprodukten weiter ausgebaut und für 13 Milliarden Dollar die Beteiligung der Schweizer Novartis an dem Bereich gekauft. Die beiden Deals stehen beispielhaft für die Umbrüche in der Branche. Viele Pharmakonzerne trennen sich von dem Geschäft, zu dem zwar oft bekannte Marken gehören, es wirft aber niedrigere Renditen ab als hochspezialisierte, verschreibungspflichtige Arzneimittel. Dazu kommt hoher Preisdruck wegen der Konkurrenz durch Online-Händler und günstigere Marken. Der Leverkusener Bayer-Konzern leidet deshalb bereits seit längerem unter mauen Geschäften in dem Bereich. Die Merck-Gruppe hat seine entsprechende Sparte gerade für 3,4 Milliarden Euro an Procter & Gamble verkauft. | Der Konzern Glaxo Smith Kline spaltet sich auf - und kooperiert mit Pfizer. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/pharmaindustrie-einmalige-gelegenheit-1.4259370 | """Einmalige Gelegenheit""" | 00/12/2018 |
Die Bundesregierung will unter anderem Kinderjoghurts weniger süß machen. Verbände der Lebensmittelwirtschaft und der Zuckerhersteller sehen das kritisch. Die Lebensmittelwirtschaft soll nach dem Willen der Bundesregierung den Konsum von Zucker, Salz und Fett verringern. Eine entsprechende Strategie verabschiedete das Kabinett. Darin hat sich die Branche nach Worten von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner dazu verpflichtet, schrittweise die Verwendung dieser Stoffe in Fertigspeisen zu verringern. Ziel ist es, Übergewicht und ändere ernährungsbedingte Erkrankungen in der Bevölkerung zu bekämpfen. Während Verbraucherorganisationen Klöckner vorwarfen, eine zahnlose Regelung präsentiert zu haben, lehnte die Lebensmittelwirtschaft Zwangsmaßnahmen ab, sollte die jetzige freiwillige Regelung wirkungslos bleiben. | Die Bundesregierung will unter anderem Kinderjoghurts weniger süß machen. Verbände der Lebensmittelwirtschaft und der Zuckerhersteller sehen das kritisch. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/zucker-gesetz-1.4259546 | Bundesregierung - Zehn Prozent weniger Zucker | 00/12/2018 |
Nach dem Zinsentscheid der US-Notenbank (Fed) hat der Euro am Mittwoch den größten Teil seiner Gewinne abgegeben. Die Gemeinschaftswährung fiel unmittelbar nach dem Zinsentscheid von 1,1433 Dollar auf 1,1370 Dollar. Ungeachtet der erneuten Kritik von US-Präsident Donald Trump erhöhte die amerikanische Notenbank den Leitzins um einen viertel Prozentpunkt auf 2,25 bis 2,5 Prozent. 2019 sollen nur noch zwei Anhebungen folgen. Im September hatte die Fed noch drei Erhöhungen signalisiert. Die Aussicht auf ein Ende des Streits um den italienischen Haushalt ermuntert Anleger zum Kauf von Anleihen des Landes. Dies drückte die Rendite der zehnjährigen Titel am Mittwoch auf ein Drei-Monats-Tief von 2,76 Prozent. Die zweijährigen Papiere rentierten mit 0,395 Prozent sogar so niedrig wie zuletzt vor sieben Monaten. Der italienischen Regierung zufolge ist der Streit mit der EU-Kommission um das Haushaltsdefizit 2019 beigelegt. Insidern zufolge akzeptierte die Brüsseler Behörde den aktuellen Budgetentwurf mit einem Fehlbetrag von 2,04 statt 2,4 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. "Mit einer Einigung hatten alle gerechnet", sagte Commerzbank-Anlagestratege Michael Leister. "Allerdings erst im ersten oder zweiten Quartal nächsten Jahres." Die Ölpreise erholten sich etwas von ihren starken Einbußen an den vergangenen Tagen. Ein Barrel der Nordseesorte Brent stieg um 0,6 Prozent auf 56,61 Dollar. US-Rohöl WTI kostete mit 47,96 Dollar um 3,7 Prozent mehr. Seit Wochenbeginn haben die Ölpreise ihre Verlustserie trotz der jüngsten Erholung ausgeweitet. Seit Anfang Oktober sind die Weltmarktpreise um etwa 40 Prozent eingebrochen. Daran hat selbst die Ankündigung des Ölkartells Opec, die Förderung im kommenden Jahr spürbar zu reduzieren, nichts ändern können. An der Kürzung wollen sich auch andere große Förderstaaten wie Russland beteiligen. | Da die EU-Kommission und die italienische Regierung nach wochenlangem Gezerre ihren Defizitstreit beigelegt haben, greifen viele Anleger bei italienischen Anleihen zu. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/anleihen-devisen-rohoel-italienische-anleihen-gefragt-1.4259368 | Anleihen, Devisen, Rohöl - Italienische Anleihen gefragt | 00/12/2018 |
Detailansicht öffnen (Foto: Robyn Beck/dpa) Für Tausendsassa Elon Musk hätte es am Dienstag gleich eine doppelte Premiere werden können: Eine Falcon 9 seiner Raketenfirma Space-X sollte für die US-Luftwaffe den ersten Satelliten der neuen Generation des Navigationssystems GPS in die Erdumlaufbahn starten. Dies verzögerte sich aber wegen eines technischen Problems. Dafür klappte ein anderes Projekt: Die neu gegründete Boring Company präsentierte am Space-X-Sitz in Hawthorne bei Los Angeles einen gut drei Kilometer langen Testtunnel für den unterirdischen Straßenverkehr. In einer solchen Röhre sollen laut Musks Vision irgendwann normale Fahrzeuge mit Stützrädern und einem Schienensystem mit mehr als 240 Stundenkilometern unterwegs sein können, um den stockenden Verkehr in LA zu entlasten. Die ersten Testfahrten absolvierte Musks Firma mit einem weißen Tesla X. Allerdings nur mit Tempo 80 und auf unebenem Boden recht holprig, wie Reporter berichteten. Musk, der kaum einen Superlativ auslässt, beschrieb die ersten Fahrten in neun Metern Tiefe als "Heureka-Moment". Die Fahrbahn soll künftig glatt wie Glas sein, dafür habe diesmal die Zeit nicht gereicht. Für Fußgänger und Radfahrer sollen gesonderte Fahrzeuge bereitstehen. "Es wird sich anfühlen, als ob man innerhalb einer Stadt teleportiert", schwärmte Musk per Twitter. | Tesla-Gründer Elon Musk präsentiert: ein Loch. Das kann angeblich alle Verkehrsprobleme lösen. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/elon-musk-holprig-in-die-zukunft-1.4259540 | Holprig in die Zukunft | 00/12/2018 |
Pünktlich zwischen Stollen, Dominosteinen und Glühwein verkündet die Bundesregierung nun also den "Durchbruch" bei Fertiglebensmitteln: Bis 2025 soll der Gehalt an Zucker, Fett und Salz sinken - verspricht die Industrie, freiwillig. In sieben Jahren enthielte ein halber Liter Coca-Cola dann statt bisher 53 noch gut 45 Gramm Zucker, 15 Prozent weniger als bisher. Das aber wäre immer noch fast das Doppelte dessen, was die Weltgesundheitsorganisation als tägliche Ration für einen Erwachsenen empfiehlt. Und wenn sich die Unternehmen nicht an ihre Zusagen halten? Dann will Ministerin Julia Klöckner "weitere Maßnahmen prüfen". Eine entschlossene Ansage an die Industrie klänge anders. Dabei wäre genau die längst überfällig. Seit Jahren steigt die Zahl der Menschen, die unter Übergewicht und Typ-2-Diabetes leiden. Für 2015 schätzten Forscher die Zahl der Zuckerkranken in Deutschland auf 6,5 Millionen, inzwischen dürften es schon mehr als sieben Millionen sein. Mehr als 95 Prozent von ihnen leiden an der sogenannten Altersdiabetes. Nur dass die immer weniger mit dem Alter, dafür aber immer mehr mit den Lebensgewohnheiten in jüngeren Jahren zu tun hat. Und diese Kranken verursachen enorme Kosten im Gesundheitssystem: Für 2010 kam eine Auswertung zu dem Ergebnis, dass die Behandlung von Typ-2-Diabetes mehr als 16 Milliarden Euro gekostet hat. Seither ist nicht nur die Zahl der Erkrankten deutlich gestiegen, neue Medikamente und Behandlungsmethoden dürften auch die Ausgaben pro Patient in die Höhe getrieben haben. Hinzu kommen noch die Kosten für Folgeerkrankungen von Diabetes, zum Beispiel Blindheit oder Nierenversagen. Sie verschlingen ebenfalls Milliardenbeträge. Angesichts solcher Zahlen darf sich die Politik nicht länger mit windelweichen Selbstverpflichtungen der Industrie zufrieden geben. Sie muss die Lebensmittelhersteller und die Verbraucher dort zu fassen bekommen, wo es wirklich schmerzt: am Portemonnaie. Ein Mittel dazu könnte sein, Kristallzucker deutlich stärker zu besteuern. Bisher gilt der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent, außerdem erhalten Rübenbauern und Zuckerhersteller noch immer umfangreiche EU-Subventionen. Der Staat zügelt also keineswegs den ungesunden Zuckerkonsum seiner Bürger, er fördert ihn mit Milliardenbeträgen. Natürlich wäre eine solche Zuckersteuer ein Eingriff in die unternehmerische Freiheit. Und ja, sie würde Menschen mit geringerem Einkommen härter treffen als Besserverdiener. Beides aber wäre gerechtfertigt und sogar wünschenswert. Die Daten der Krankenkassen belegen, dass Typ-2-Diabetes gerade dort besonders häufig ist, wo die Arbeitslosigkeit hoch ist und das Durchschnittseinkommen niedrig. Gerade dort, so lässt sich also vermuten, machen die Hersteller mit den zuckrigen Produkten ein besonders gutes Geschäft. Auf den Kosten aber bleibt die Allgemeinheit sitzen. Julia Klöckner, die im Kabinett auch für Ernährung und Verbraucherschutz zuständig ist, versteht sich aber offenbar vor allem als Landwirtschaftsministerin. Statt eine Veränderung per Gesetz zu erzwingen, geht sie einen Deal mit der Agrar- und Lebensmittellobby ein - so wie schon andere Landwirtschaftsminister vor ihr. Die Industrie wehrt sich bisher erfolgreich gegen strengere Gesetze Schon 2010 scheiterte deshalb beispielsweise die sogenannte Lebensmittel-Ampel im EU-Parlament. Sie sollte, so der Plan, mit einem einfachen Rot-Gelb-Grün-Schema aufzeigen, ob ungesunde Mengen an Zucker, Fett oder Salz in einem Produkt stecken. Die Industrie machte dagegen Front, das Gesetz kam nie zustande. Stattdessen locken nun viele Produkte im Supermarkt mit Versprechen wie "fettreduziert" oder "weniger Zucker" - und demnächst dann wohl "noch weniger Zucker". Wobei "noch weniger" eben immer noch ziemlich viel sein kann. Höhere Steuern und weniger Förderung für den Zucker hätten da wohl deutlich mehr Effekt. Das belegt das Beispiel Alkopops: 2004 wurde eine Sondersteuer auf die süßen Limo-Schnaps-Gemische eingeführt, wenig später ging der Konsum deutlich zurück. Ziel erreicht. Entsprechend könnte eine Zuckersteuer wirken: Die Industrie müsste besonders zuckerhaltige Lebensmittel entweder deutlich teurer machen oder auf einen Teil ihrer Gewinne verzichten. Alternativ könnte sie freilich auch ihre Rezepte abwandeln. So oder so: Die Allgemeinheit würde profitieren - entweder durch eine gesündere Ernährung oder aber, indem sie sich einen Teil der durch den Zucker verursachten Kosten wiederholt. | Die Industrie verspricht gesündere Lebensmittel mit weniger Zucker. Der Politik genügt das. Dabei müsste der Staat eigentlich viel härter durchgreifen. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ernaehrung-zucker-steuer-1.4259521 | Ernährung - Zucker muss teurer werden | 00/12/2018 |
Die EU-Kommission und Italien haben ihren wochenlangen Streit über den Haushalt der Regierung in Rom beigelegt. Die Brüsseler Behörde teilte mit, sie verzichte auf disziplinarische Schritte. Italien müsse dazu die vereinbarten Maßnahmen umsetzen. Das hoch verschuldete Land hat zugesagt, das Staatsdefizit im kommenden Jahr auf 2,04 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu begrenzen. Ursprünglich hatte die Regierung 2,4 Prozent in Aussicht gestellt - dreimal so viel wie ihre Vorgängerregierung. Die Brüsseler Behörde lehnte den Plan daraufhin als Verletzung der EU-Regeln ab. "Die auf dem Tisch liegende Lösung ist nicht ideal", sagte Kommissions-Vizepräsident Valdis Dombrovskis. "Sie bietet noch keine langfristige Lösung für die wirtschaftlichen Probleme in Italien. Aber damit können wir ein Verfahren wegen eines übermäßigen Defizits zu diesem Zeitpunkt vermeiden." Das Wirtschaftswachstum für 2019 prognostiziert die italienische Regierung nun mit 1,0 Prozent - statt wie bisher mit 1,5 Prozent. Ministerpräsident Giuseppe Conte hatte vergangene Woche nach einem Treffen mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker angekündigt, dass die Neuverschuldung für 2019 weniger hoch als ursprünglich geplant ausfallen soll. Damit reagierte er auf den Einspruch der EU-Kommission. Am Mittwoch referierte Conte im römischen Senat nun über die erzielte Einigung, der sich die Regierung mit "großem Einsatz" gewidmet habe. Man sei in den zehnwöchigen Verhandlungen mit der EU-Kommission nie von den eigenen Zielen abgewichen. "Wir haben inhaltlich nicht nachgegeben", sagte Conte. Insbesondere bei den beiden wichtigsten Maßnahmen des Haushalts, einer Absenkung des Rentenalters und der Einführung eines Bürgergelds für Arbeitslose, habe man "keine Abstriche" gemacht. Die Finanzierung der beiden Wahlversprechen koste einfach weniger als zunächst veranschlagt, sagte Conte. Euphorische Reaktionen an den Börsen In Rom beginnt nun ein Wettlauf gegen die Zeit, um den Etat vor der Weihnachtspause zu verabschieden. Die Regierung wird die ausgehandelten Korrekturen am Mittwoch in einem Änderungsantrag in den Senat einbringen. Ohne eine Passage in den Ausschüssen und ohne Debatte muss das Budget dann von den beiden Parlamentskammern angenommen werden. "Das ist der erste Haushalt, der in Brüssel verabschiedet wurde", griff der Sozialdemokrat und frühere Regierungschef Paolo Gentiloni (PD) die populistische Koalition aus Lega und Cinque Stelle an. An der Mailänder Börse und an den Anleihenmärkten löste die vorläufige Beilegung des Haushaltsstreits euphorische Reaktionen aus. Der Risikoaufschlag italienischer Staatsanleihen gegenüber den deutschen Bundesschatzbriefen fiel auf 2,5 Prozentpunkte. Nach der Ankündigung des Strafverfahrens gegen Italien betrug die Differenz zeitweise 3,3 Punkte. Die Rendite der römischen Anleihen ging auf 2,78 Prozent zurück, den niedrigsten Stand seit drei Monaten. Der Mailänder Börsenindex FtseMib legte am Mittag um 1,9 Prozent zu. Unter den Gewinnern befanden vor allem die schwer gebeutelten Bankenaktien. | Die Kommission verzichtet nun doch auf disziplinarische Schritte gegen das südeuropäische Land: Italien hat ausreichend Zugeständnisse gemacht. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/italien-haushalt-einigung-eu-1.4259672 | EU und Italien einigen sich im Haushaltsstreit | 00/12/2018 |
Wer auf den Rest der Welt wartet, fängt nie mit dem Umweltschutz an Die EU verbietet Wegwerfprodukte aus Plastik. Es ist ein sehr kleiner Schritt, doch er ist besser als Stillstand. Die europäischen Staaten müssen nun als plastische Beispiele vorangehen. Falls es einen Schöpfergott geben sollte, könnte er beim Jüngsten Gericht gleich die ganze Menschheit anklagen, als verbrecherische Vereinigung. Zu ihren Todsünden gehören nicht nur die Untaten, die Menschen einander antun, sondern auch die Frevel an der Natur. Klimaerhitzung, Artenvernichtung, - und besonders auch die Verdreckung der Ozeane. Jahr für Jahr gelangen Millionen Tonnen Plastik in die See: Verpackungen, Wegwerfprodukte, Rückstände aus Kosmetika, herausgewaschene Teilchen von Kleidungsstücken aus Kunststoff. Das langsam in immer kleinere Partikel zerfallende Plastik überspült ganze Inseln, es überzieht die Meeresböden mit Teppichen aus Abfall und bildet in den Weiten der Ozeane gigantische Müllstrudel, die um ein Vielfaches größer als Deutschland sein können. Immerhin: Jetzt reagiert die EU. Sie verbietet von 2021 an etliche Artikel aus Einwegplastik wie Wattestäbchen, Trinkhalme oder Wegwerfgeschirr, zu denen es umweltfreundlichere Alternativen gibt. Damit spare die Allgemeinheit Milliarden Euro an Folgekosten, argumentiert Brüssel. Vor allem aber gelange so weniger Plastik über die Flüsse ins Meer. Schon gut, aber - möchte man einwenden. Warum werden nicht auch Einwegflaschen aus Kunststoff verboten? Warum nicht auch die vielen unnötigen Plastikverpackungen? Und was ist mit Staaten wie den Philippinen oder Indonesien, aus denen extrem viel Plastikmüll im Meer landet? Zugegeben, das neue Gesetz aus Europa ist nur ein kleiner Schritt zur Erhaltung der Weltmeere. Aber besser ein kleiner Schritt vorwärts als Stillstand oder Rückschritt. Wer darauf wartet, dass die ganze Welt mitmacht, braucht niemals anzufangen mit Umwelt- und Klimaschutz. Und vergleichsweise reiche Staaten wie die europäischen können es sich leisten, als gute Beispiele voranzugehen. Das Verbot von Tellern, Besteck oder Trinkhalmen aus Kunststoff wird jeder im Alltag zu spüren bekommen. So kann es die Sensibilität für Umweltfragen steigern. Und es wird die Industrie anspornen, weniger umweltschädliche Materialien herzustellen. Ideen gibt es genug. Ein bretonisches Unternehmen ersetzt zum Beispiel Plastik durch einen Stoff aus Algen. Vor allem aber zeigt der Vorstoß der EU, dass Umweltzerstörung nicht unvermeidlich ist. Andere Staaten werden folgen müssen. Andernfalls braucht die Menschheit nicht auf das Jüngste Gericht zu warten. Sie bestraft sich vorher selbst - durch Mikroplastik im Trinkwasser und in der Nahrung, etwa in Fischen und Meeresfrüchten, und durch die Zerstörung der Ozeane, aus denen doch das Leben kommt. | Die EU verbietet Wegwerfprodukte aus Plastik. Es ist ein sehr kleiner Schritt, doch er ist besser als Stillstand. Die europäischen Staaten müssen nun als plastische Beispiele vorangehen. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/plastikmuell-eu-verbot-1.4259636 | Wer auf den Rest der Welt wartet, fängt nie an | 00/12/2018 |
Jetzt klagen die Automanager wieder und befürchten den Untergang einer Kernindustrie. Der Verband der deutschen Autohersteller hat bereits das Propaganda-Gebläse angeworfen, um gegen die EU Stimmung zu machen. Bis 2030 sollen nach dem Willen von Kommission, Europaparlament und Mitgliedsstaaten der durchschnittliche Kohlendioxid-Ausstoß der Autos um 37,5 Prozent gesenkt werden. "Völlig unrealistisch", heißt es in Deutschland, damit werde die Branche im internationalen Wettbewerb benachteiligt, Arbeitsplätze seien in Gefahr. Dieses Lied wird aber stets gesungen, wenn die Autobranche mal wieder mit Umweltauflagen belegt werden soll. Zwar stellt Brüssel die Autokonzerne tatsächlich vor teure technische Herausforderungen. Es ist aber wahrscheinlich, dass die Befürchtungen der Branche unberechtigt sind. Es gab auch in der Vergangenheit hohe Umweltansprüche. Die deutsche Autoindustrie hat sie gemeistert, sie gilt gerade deshalb als die beste der Welt. Auch die chemische Industrie musste viele politische Attacken von Umweltschützern und Regierungen überstehen. Sie hat sich angepasst und ist heute eine Vorzeigebranche der deutschen Wirtschaft. Der heimische Maschinenbau ist weltweit mit moderner Umwelttechnologie hochgeschätzt. Die von der Politik verordnete Energiewende hat für viel Wirbel und für den Absturz großer Konzerne gesorgt, doch die Hinwendung zur Stromerzeugung mit Hilfe regenerativer Quellen hat zur Modernisierung der Volkswirtschaft beigetragen. Die deutsche Wirtschaft insgesamt wird als Exportweltmeister in der ganzen Welt bewundert, nicht obwohl, sondern weil sie zu Hause gezwungen ist, hohe Umweltstandards zu erfüllen und dafür neue Technologien zu entwickeln. Allerdings braucht eine glaubwürdige Wirtschaftspolitik, die den Umweltschutz ernst nimmt, eine ganz andere Verlässlichkeit, als die Bundesregierung sie zuletzt häufig bot. Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass nach der Klimakonferenz von Kattowitz mächtige Verbände der deutschen Industrie die Bundesregierung um anspruchsvolle Vorgaben für den Umweltschutz baten, allerdings auch um klare Rahmenbedingungen und Fristen, in denen die Anforderungen umgesetzt werden müssen. Die Industrie wünscht sich im Grunde mehr Umweltschutz, nicht nur weil er dem Klima dient, sondern auch weil neue Technologien die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Volkswirtschaft beleben. Viele in der Industrie haben kein Verständnis dafür, dass die Bundesregierung ihre früher aufgestellten Klimaziele wieder aufgegeben hat. Der Staat darf nicht vorschreiben, dass das Elektroauto die Lösung aller Probleme ist Wo Klima und Umwelt leiden, zeigt sich ein klares Versagen des Marktes. Deshalb muss der Staat handeln und regulierend eingreifen. Aber in Deutschland versagt leider auch der Staat. Er ist sprunghaft, wie auch in der Energiewende deutlich wurde, und er legt sich oft auf bestimmte Technologien fest, mit denen er seine Klimaziele erreichen will. Das sollte er nicht tun. Er darf nicht - wie es gerade in Deutschland geschieht - das Elektroauto zum politischen Ziel der Bundesregierung machen. Dazu fehlt ihm die Sachkompetenz. Er muss nur klare Ansagen machen darüber, welche Emissionen bei Autos in den kommenden Jahren maximal zugelassen sein werden und wann sie ganz emissionsfrei rollen müssen. Wie die Hersteller das umsetzen, kann die Politik getrost den Unternehmen überlassen. Diese Technologieoffenheit dient dem Wettbewerb, und sie lässt offen, welche Verfahren die Autos von morgen antreiben werden. Deutsche Wirtschaftspolitiker sollten weniger auf die eigene Autoindustrie mit ihren vielen Arbeitsplätzen schielen, sondern häufiger nach Amerika schauen. Dort entwickelt sich längst eine ganz neue Mobilitätsindustrie, welche die Arbeitsplätze von morgen kreiert. Das geschieht aber nicht im alten Autozentrum rund um Detroit, sondern in Kalifornien. Der Bundesstaat an der Westküste ist nicht nur das Digitalzentrum der Welt, sondern auch das Land mit den rigidesten Emissionsgesetzen für Autos, mit denen sich alle Hersteller der Welt schon lange herumschlagen. Nicht zuletzt wegen dieser harten Auflagen wachsen auf diesem Boden gerade spektakuläre neue digitale Technologien für die Mobilität der Zukunft. Davor sollten sich die vom Staat verwöhnten europäischen Autokonzerne nun tatsächlich fürchten. | Jetzt jammern die deutschen Hersteller über die neuen EU-Klimaziele. Doch die Gefahr kommt nicht aus Brüssel. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/grenzwerte-eu-autoindustrie-1.4257828 | CO₂-Grenzwerte - Nicht die EU ist die Gefahr | 00/12/2018 |
Im Kampf unter anderem gegen Fettleibigkeit will die Ernährungswirtschaft Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten reduzieren und sich dazu auch überprüfen lassen. Bundesernährungsministerin Julia Klöckner hat sich mit mehreren Branchen der Lebensmittelindustrie auf eine Reduzierung von Zucker, Salz und Fett in Fertigprodukten bis 2025 geeinigt. "Die Ernährungswirtschaft hat sich erstmalig dazu verpflichtet und will sich in ihren Schritten überprüfen lassen, Zucker, Fette und Salz in Fertignahrungsmitteln zu reduzieren", sagte die CDU-Ministerin der Bild-Zeitung. Es handelt sich dabei um eine Art freiwillige Selbstverpflichtung, nicht um ein Gesetz. Die Ziele sollen kommenden Herbst erstmals überprüft werden, sagte Klöckner. Demnach verpflichtet sich zum Beispiel der Verband der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft, Zucker in Kinder-Frühstückscerealien um mindestens 20 Prozent zu reduzieren. Die Getränkebranche will den Zuckeranteil von Säften und Softdrinks um 15 Prozent reduzieren. An diesem Mittwoch soll sich das Bundeskabinett mit den Vorschlägen befassen. Die Verbraucherorganisation Foodwatch kritisierte, Klöckner kusche vor der Lebensmittelindustrie. Andere Länder machten Ernst im Kampf gegen Fettleibigkeit und beschränkten unter anderem Werbung für Kinder oder besteuerten überzuckerte Limonaden. Dagegen bitte die Ministerin "die Hersteller freundlich, etwas weniger Zucker in ihre Produkte zu kippen - und überlässt es den Unternehmen, ob sie mitmachen oder nicht", sagte Foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker. Die Ministerin hob hervor, dass sich die Branche erstmals verpflichtet habe, Zucker, Salz und Fette zu reduzieren und sich in ihren Schritten überprüfen zu lassen. "Wenn die Wirtschaft nicht mitmacht, werden wir weitere Maßnahmen prüfen", sagte sie. In Deutschland gelten laut Ministerium 47 Prozent der Frauen, 62 Prozent der Männer und 15 Prozent der Kinder als übergewichtig. Zu viel Zucker, Fett und Salz erhöhen das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes. | Das Kabinett soll die Pläne der Ernährungsministerin für eine Selbstverpflichtung besprechen. Verbraucherschützern geht das Vorhaben nicht weit genug. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/kloeckner-zucker-salz-fett-fertigprodukte-1.4259291 | Fertigprodukte - Weniger Zucker, Salz und Fett bis 2025 | 00/12/2018 |
Im Regionalzug durch die Republik: 23 Jahre lang bot die Bahn ein "Schönes-Wochenende-Ticket" an, nun schafft sie das Angebot ab. Die Deutsche Bahn schafft nach 23 Jahren ihr Wochenend-Angebot für bundesweite Reisen in Nahverkehrszügen ab. Das "Schönes-Wochenende-Ticket" (SWT) werde im kommenden Sommer eingestellt, teilte das Unternehmen mit. Das staatseigene Unternehmen nannte mangelnde Nachfrage sowie eine "Vereinfachung der Tarifstruktur" als Gründe. Kunden könnten aber weiterhin täglich das "Quer-durchs-Land-Ticket" (QDL) für bundesweite Fahrten mit Nahverkehrszügen nutzen, teilte ein Bahnsprecher am Dienstag in Berlin mit. Unterschied zum SWT ist, dass Reisende das QDL nicht für Fahrten mit Bussen sowie U- und S-Bahnen in Verkehrsverbünden nutzen können. Der Bahnsprecher betonte aber, dass das SWT zuletzt nur in 19 von 61 Verbünden gültig war. "Darüber hinaus wären Preisanpassungen nötig geworden, um das SWT weiter anbieten zu können", sagte der Sprecher. Das SWT war im Februar 1995 eingeführt worden, kostete damals 15 D-Mark und galt für bis zu fünf Personen. Zuletzt kostete ein Ticket für einen Reisenden 44 Euro und war je einen Tag gültig. Das QDL kostet 44 Euro für einen Reisenden. Dieser kann bis zu vier weitere Personen mitnehmen, für einen Aufpreis von jeweils acht Euro pro Person. | Grund sei die mangelnde Nachfrage, teilt der Staatskonzern mit. Kunden könnten weiterhin ein ähnliches Angebot nutzen. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/deutsche-bahn-schoenes-wochenende-ticket-1.4259283 | "Deutsche Bahn schafft ""Schönes-Wochenende-Ticket"" ab" | 00/12/2018 |
Das EU-Verbot von Plastiktellern, Trinkhalmen und anderen Wegwerfprodukten aus Kunststoff steht. Unterhändler des Europäischen Parlaments und der EU-Staaten einigten sich am Mittwochmorgen in Brüssel auf die Einzelheiten. Das Verbot soll dazu beitragen, die Massen von Plastikmüll in der Umwelt und in den Weltmeeren einzudämmen. "Nach 12,5 Stunden Verhandlungen haben wir eine vorläufige Einigung erzielt", schreibt die österreichische EU-Ratspräsidentschaft auf ihrem Twitter-Account. "Die neuen Regeln werden Meeresmüll wesentlich reduzieren!" Die EU-Kommission hatte im Mai vorgeschlagen, Einmalgeschirr, Strohhalme, Wattestäbchen und andere Wegwerfartikel aus Plastik zu verbieten. Verboten werden sollen nur Gegenstände, für die es bessere Alternativen gibt. Die Menge an Lebensmittel-Verpackungen und Trinkbechern soll mit Reduktionszielen zurückgedrängt werden. Europaparlament und EU-Länder hatten die Pläne im Gesetzgebungsverfahren leicht verändert. Sie müssen die Einigung der Unterhändler noch offiziell bestätigen. In Kraft treten werden die Änderungen voraussichtlich in gut zwei Jahren. Die Strategie gegen Plastikmüll dürfte für fast jeden im Alltag spürbare Veränderungen bringen. Bedeutsam ist das Paket vor allem für die Kunststoffbranche, die nach Behördenangaben 2015 einen Umsatz von 340 Milliarden Euro machte und 1,5 Millionen Menschen beschäftigte. Die Maßnahmen sollen den Ausstoß von Kohlendioxid um 3,4 Millionen Tonnen verringern. Die Kommission begründet den Vorstoß zudem mit dem Schutz der Ozeane. Mehr als 80 Prozent des Mülls in den Meeren seien Plastik. Teil der neuen Strategie ist die Beteiligung von Herstellern an den Kosten für das Aufräumen. So könnte die Tabakindustrie künftig für das Einsammeln von Zigarettenstummeln zur Kasse gebeten werden. | Das EU-weite Verbot von bestimmten Kunststoffprodukten steht. Betroffen sind Plastikteller, Trinkhalme und andere Wegwerfartikel. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/plastik-plastik-verbot-strohhalm-1.4259269 | Umweltschutz - EU beschließt Verbot von Einweg-Plastik | 00/12/2018 |
An einem Mandat arbeitet sie manchmal mehrere Jahre. Mit der Familie ist das oft schwer zu vereinbaren, sagt Bettina Breitenbücher. Sie verlieren den Überblick über die Finanzen, scheitern an der Steuererklärung oder werden zahlungsunfähig: Wenn ein Unternehmen, egal, ob Konzern oder Dönerladen, in finanziellen Schwierigkeiten steckt, kommt Bettina Breitenbücher. Bettina Breitenbücher hat es sich in einem spanischen Restaurant in Karlsruhe bequem gemacht und pikst mit einem Zahnstocher in eine Dattel im Speckmantel. "Am Essen lag es nicht, dass der Laden Insolvenz anmelden musste", sagt sie. Doch der spanische Besitzer sei nicht mit dem deutschen Steuersystem zurecht gekommen und habe nicht mehr zu bewältigende Steuerschulden angehäuft. Also sprang Breitenbücher ein. | Sie verlieren den Überblick über die Finanzen, scheitern an der Steuererklärung oder werden zahlungsunfähig: Wenn ein Unternehmen, egal, ob Konzern oder Dönerladen, in finanziellen Schwierigkeiten steckt, kommt Bettina Breitenbücher. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/insolvenz-bettina-breitenbuecher-1.4257834 | Insolvenzverwalterin im Porträt: Die Frau fürs Ende | 00/12/2018 |
Auf der Suche nach frischem Kapital ist der Nord-LB ein wichtiger Bieter abhanden gekommen. Nach SZ-Informationen hat sich der US-Finanzinvestor Apollo aus dem Bieterverfahren um die hannoversche Landesbank zurückgezogen. Dem Vernehmen nach verhandelt die Nord-LB nun nur noch mit den US-Fonds Centerbridge und Cerberus. Zuletzt hatten auch die Commerzbank und die Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) von einem Gebot Abstand genommen. Das Land Niedersachsen verhandelt nun nur noch mit zwei Finanzinvestoren Der Rückzug des Finanzinvestors dürfte die Verhandlungen für Niedersachsen weiter erschweren. Die Eigner der Landesbank suchen seit Monaten nach Wegen, um die vergleichsweise dünne Kapitaldecke des Kreditinstituts zu stärken. Die Landesbank, die etwa 6000 Mitarbeiter beschäftigt, leidet unter Abschreibungen auf Schiffskredite und benötigt rund 3,5 Milliarden Euro neues Kapital. Mehrheitseigentümer ist das Land Niedersachsen, der Rest der Anteile liegt bei Sachsen-Anhalt sowie den Sparkassen im Norden. Die Länder suchen nach einem Investor, der einen Minderheitsanteil übernimmt. Man ist aber auch offen für eine Fusion etwa mit der Helaba sowie prinzipiell dazu bereit, selbst bis zu 2,5 Milliarden Euro in die Bank zu stecken. Dabei muss das Land zwingend auch private Investoren ansprechen. Andernfalls könnte die EU-Wettbewerbsbehörde in Brüssel die Kapitalerhöhung als unerlaubte staatliche Beihilfe untersagen. Das Land hatte ursprünglich gehofft, bis zum Jahresende eine Lösung für die Zukunft des Geldhauses zu präsentieren. Die Entscheidung fällt nun womöglich erst zu Beginn des kommenden Jahres. Die Zeit drängt jedoch. Allein durch die wohl vergleichsweise niedrigen Preise, die im Bieterverfahren aufgerufen wurden, könnte neuer Abschreibungsbedarf in der Bankbilanz entstehen. Auch die Bankenaufsicht dringt auf eine baldige Lösung. Der US-Fonds Cerberus, der sich auch die HSH Nordbank einverleibt hat, steht zugleich kurz davor, ein Paket fauler Schiffskredite der Nord-LB zu kaufen. Diese Kredite bekommt Cerberus mit einem deutlichen Abschlag zu deren Bilanzwert. Apollo war laut Finanzkreisen daran interessiert, diese Kredite zunächst in der Nord-LB zu belassen und nicht wie von den Eigentümern geplant rasch zu verkaufen. Gut möglich allerdings, dass Cerberus am Ende nur die billigen Schiffskredite herauskauft und die Länder mit dem Rest der Landesbank stehen lässt. | Der Nord-LB läuft auf der Suche nach neuem Kapital langsam die Zeit davon. Nun hat sich noch ein weiterer bislang aussichtsreicher Bieter aus dem Verkaufsverfahren um die angeschlagene hannoversche Landesbank zurückgezogen. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/landesbank-ein-bieter-weniger-1.4258074 | Landesbank - Ein Bieter weniger | 00/12/2018 |
Für die einen ist es ein Geschenk, mit dem der Staat viel Geld zum Fenster hinauswirft. Für die anderen eine Prämie, die Familien hilft, den Traum vom Haus zu verwirklichen. Sicher ist: Das Baukindergeld ist begehrt. Drei Monate nach Einführung der Subvention haben bereits fast 47 500 Familien mit mehr als 82 000 Kindern die Leistung beantragt. Laut Bundesinnenministerium kommen mehr als 10 000 und damit die meisten Anträge aus Nordrhein-Westfalen, gefolgt von Baden-Württemberg (gut 6400), Niedersachsen (etwa 6000) und Bayern (fast 6000). In Berlin, wo die Wohnungsnot groß ist und viele einkommensschwache Bürger wohnen, ist die Zahl der Anträge mit 725 hingegen äußerst gering. Gewährt wird Baukindergeld nur Familien und Alleinerziehenden mit einem zu versteuernden Haushaltseinkommen von 90 000 Euro im Jahr bei einem Kind. Mit jedem weiteren Kind erhöht sich die Grenze um 15 000 Euro. Die 1200 Euro jährlich - gezahlt über zehn Jahre also 12 000 Euro pro Kind - gibt es beim Bau oder Kauf einer Immobilie, die die Familie selbst bewohnt. Das Baukindergeld lässt sich seit 18. September bei der Staatsbank KfW beantragen, auch rückwirkend, wenn das Projekt dieses Jahr gestartet wurde. Erwartungsgemäß habe es zum Start "eine Bugwelle von Anträge" gegeben, sagte eine KfW-Sprecherin. Viele Familien holen sich jetzt offenbar noch schnell die Förderung, weil rückwirkende Anträge nur bis 31. Dezember gestellt werden können. Ökonomen wie Claus Michelsen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung hatten vor diesem Mitnahmeeffekt gewarnt. Familien, die sich nachträglich das Geld holen, hätten ja auch ohne den Zuschuss bauen oder kaufen können. Anträge auf Baukindergeld sind bis zum 31. Dezember 2020 möglich. Bei im Durchschnitt zwei Kindern reicht das Fördervolumen von knapp drei Milliarden Euro im Jahr demnach für jährlich 125 000 Anträge. Sollte diese Mittel nicht ausreichen, greift das Windhund-Verfahren: Diejenigen, die zuerst kommen, erhalten das Geld. Wer zu spät kommt, geht leer aus, sofern das Budget dann ausgeschöpft ist. Bundesbauminister Horst Seehofer (CSU) sagte, das Baukindergeld ermögliche vielen Familien "den Schritt in das Wohneigentum, auch als Absicherung im Alter". Richtig viel bringt die Förderung aber nur Familien, die in wirtschaftsschwachen Regionen mit niedrigen Boden- und Immobilienpreisen wohnen, wie etwa im nordöstlichen Bayern oder im Südharz. In solchen Gebieten kann das Baukindergeld mehr als zehn, teilweise sogar gut 20 Prozent zur gesamten Finanzierung einer Vier-Zimmer-Wohnung beisteuern. Das ergab eine Analyse des Internetportals Immowelt. Zum Vergleich: In Städten wie München oder Starnberg bewegt sich in solchen Fällen die Förderung für eine Familie mit einem Kind bei ein bis zwei Prozent des Kaufpreises. | Fast 50 000 Familien haben bereits das Baukindergeld beantragt. Ökonomen sprechen von Mitnahmeeffekten. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/baukindergeld-beim-staat-kassieren-1.4258076 | Beim Staat kassieren | 00/12/2018 |
Wie konnte alles nur so schief gehen? Liegt es vielleicht auch am Namen? Ceconomy. Das Kunstwort steht für Consumer Electronics Economy. Auf Deutsch: Unterhaltungselektronik. Aber wer soll das verstehen? Und sollte man in etwas investieren, was man nicht versteht? Großinvestor Warren Buffett sagt: nein. Eben jene Ceconomy-Holding, hinter der sich die Marken Media-Markt und Saturn verbergen, ist nach eigenen Angaben "Europas größter Elektronikhändler". Von ihr spaltete sich im Sommer 2017 der Lebensmittelgroßhändler Metro ab. Heute ist die im Nebenwerte-Index SDax notierte Holding an einem neuen Tiefpunkt angelangt. Der Aktienkurs sank am Tag vor der Bilanzvorlage an diesem Mittwoch zwischenzeitlich auf das bislang niedrigste Niveau überhaupt. Seit zehn Wochen hat die Holding keinen Chef. Pieter Haas musste aufgrund schlechter Ergebnisse von einem Tag auf den anderen gehen, ein Nachfolger ist nicht in Sicht. Seit Dienstag gibt es immerhin einen neuen Finanzvorstand - zumindest übergangsweise. Bernhard Düttmann, bislang im Aufsichtsrat des Unternehmens, übernimmt von Januar an interimistisch die Aufgaben des bisherigen Finanzchefs Mark Frese. Wenn Ceconomy einen neuen Finanzvorstand gefunden habe, werde der 59 Jahre alte Düttmann in den Aufsichtsrat zurückkehren. Auch der Dauerstreit mit den Hinterbliebenen des Media-Saturn-Großaktionärs Kellerhals ist noch nicht geschlichtet. An der Börse ist der große Elektronikhändler gegenwärtig nicht einmal mehr 1,3 Milliarden Euro wert. Drei "Gewinnwarnungen" in einem Jahr haben Ceconomy zu einem der größten Börsenverlierer in den vergangenen zwölf Monaten gemacht. Ob die Aktie noch tiefer sinken kann, wird sich an diesem Mittwoch zeigen. Gegenwärtig stehen viele börsennotierte Einzelhändler unter Druck, vor allem Textilanten, siehe Asos, H&M und Zalando. Ceconomy würde sich daher einen Gefallen tun, wenn es bei der Bilanzvorlage glaubwürdig darlegt, wie es gedenkt, in Zukunft Einnahmen und Gewinne zu generieren. Vor allem in Bezug auf Deutschland, wo das Geschäft zuletzt besonders schlecht lief und etliche Manager ausgetauscht wurden, müsste das Unternehmen etwas sagen. Wünschenswert aus Anlegersicht wäre ein Hinweis darauf, wie das für Einzelhändler so wichtige Weihnachtsgeschäft bisher lief. Das ist zwar erst im kommenden Jahr vorgesehen, doch eigentlich liegen die Zahlen bereits vor. Im vergangenen Jahr hatte es Ceconomy fertig gebracht, sich mit zu vielen und zu hohen Online-Rabatten das Weihnachtsgeschäft zu vermasseln. Zumindest das wird das kopflose Unternehmen dieses Jahr vielleicht ausgeschlossen haben. | Die Holding von Media-Markt und Saturn erlebt ein Debakel an der Börse. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ceconomy-tief-tiefer-am-boden-1.4257876 | Tief, tiefer, am Boden? | 00/12/2018 |
Der Angriff der CDU auf die Deutsche Umwelthilfe beschäftigt nun auch die Europäische Kommission. Die DUH teilte am Dienstag in Berlin mit, sie habe Brüssel wegen der Behinderung ihrer Arbeit eingeschaltet. Per Brief habe sich die Organisation an EU-Jusitz- und Verbraucherschutz-Kommissarin Věra Jourová gewandt. "Wir haben sie darüber informiert, wie in Deutschland eine zivilgesellschaftliche Organisation behindert wird." Eine ähnliche Beschwerde bekam auch die Generaldirektion für Wettbewerb, bei der die DUH eine Kartellklage gegen die Autoindustrie angestrengt hatte. Man wolle deutlich machen, wie hier zu Lande die Aufklärungsarbeit verhindert werden solle. "Dabei tun wir nichts anderes, als am Schutz von europäischem und internationalem Recht zu arbeiten", klagt Resch. | Die Deutsche Umwelthilfe schaltet im Streit mit der CDU die EU-Kommission ein. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/umwelthilfe-cdu-1.4258080 | Gemeinnützigkeit - Umwelthilfe sucht Schutz | 00/12/2018 |
Auch in Peking sind Leihfahrräder zur Plage geworden. Die Anbieter liefern sich einen harten Wettbewerb - und machen Fehler. Jetzt droht sogar dem Marktführer die Pleite - Millionen Fahrräder wären dann führungslos. Auf einmal waren sie da, diese Fahrräder. Den Anfang machte die Firma Ofo, fast über Nacht stellte das Unternehmen 50 000 gelbe Räder in Peking auf: Einheitsgröße, keine Gangschaltung, lausige Bremsen, aber immerhin eine ordentliche Klingel. Dann passierte das, was in China immer passiert, wenn ein Start-up eine neue Idee hat. Es gibt sofort Nachahmer. Auf den Bürgersteigen vieler chinesischer Städte muss man seitdem Slalom laufen, überall diese Fahrräder. Gut ein Dutzend Anbieter sind es alleine in der Hauptstadt. Vor einem Jahr vermeldete die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua erste Zahlen: 2,35 Millionen Leihfahrräder in Peking! Um der Massen an abgestellten Fahrrädern Herr zu werden, haben die Behörden inzwischen damit begonnen, Parkverbote für bestimmte Straßen auszusprechen. Herrenlose Räder landen auf Bike-Friedhöfen außerhalb der Stadt. Dennoch nahmen die meisten Chinesen die Fahrradschwemme erst einmal erstaunlich gelassen hin. Keine Proteste wie in München - wegen wohlgemerkt nicht einmal 10 000 Rädern (Auf den meisten Hauptverkehrsstraßen in Peking stehen mehr). Stattdessen traten die Chinesen in die Pedale: Genutzt werden die Räder vor allem für die letzten ein, zwei Kilometer. Wenn Taxis und Busse mal wieder im Stau stecken und die nächste U-Bahn-Station nicht in Sicht ist. Jetzt aber könnte der Leihfahrradboom einen Dämpfer erhalten. Im Fokus: Ofo, die Firma der ersten Stunde. Im Internet ist ein Shitstorm aufgezogen, der die Existenz des Unternehmens bedroht. Vom Erdgeschoss bis hoch in den fünften Stock standen an diesem Montag Hunderte aufgebrachte Kunden in der Pekinger Firmenzentrale. Sie alle forderten ihre Kaution zurück, die man bei der Anmeldung hinterlegen muss. Aktuell sind es 199 Yuan, umgerechnet 25 Euro. Seit einigen Wochen schon wird über das Schicksal von Ofo spekuliert. Eine finanzielle Schieflage bestreitet das Unternehmen. Fakt ist jedoch auch, dass mehrere Fahrradhersteller das Unternehmen wegen unbezahlter Rechnungen verklagt haben. Immer neue Fahrräder und dazu ein Geschäftsmodell, das nicht sofort zu durchschauen ist - das sorgt für Unsicherheit bei vielen Kunden. Das Unternehmen selbst erklärt nicht sonderlich gut, was es vor hat. Eine Stunde Fahrradfahren kostet derzeit einen Yuan. Oft aber zahlt man nichts. Ständig bekommt man Gutschriften, so erbittert ist der Wettbewerb auf den Straßen in China. Viele der Start-ups haben Geld von den großen Technologiefirmen eingesammelt. Ofo zum Beispiel wird vom Versandhändler Alibaba unterstützt. Aber auch Tencent, Chinas Social-Media-Konzern, mischt mit. Die Internetunternehmen interessieren sich nicht sonderlich fürs Fahrradfahren. Ihnen geht es wohl eher um Daten: Von wo bis wo ist der Nutzer gefahren? Wie lange sitzt er auf dem Sattel? An welchen Restaurants fährt er vorbei? Welche Läden liegen auf der Strecke? Wie oft nimmt er dieselbe Route? Stellt er sein Rad immer korrekt ab oder auch mal im Halteverbot? Informationen, die in Werbung, aber auch in die Bewertung der Bonität fließen. Alles wird gesammelt, archiviert und analysiert. Wird Ofo den Shitstorm überleben? Verlangen Millionen Nutzer ihre Einlagen zurück, könnte es existenziell werden. Die Ursache für den Kautions-Run: Vergangene Woche veröffentlichte ein Internetnutzer einen Blogbeitrag, er schrieb, er habe seine Einlagen zurückverlangen wollen, da ihm die Zukunft von Ofo zu unsicher erscheine. Früher wurde das Geld innerhalb von drei Tagen ausbezahlt, inzwischen dauert es laut Ofo-App drei Wochen. Viele Internetnutzer beklagen, dass sie noch deutlich länger warten müssten. Ein Kunde outete sich als Ausländer, um schneller an sein Geld zu kommen - mit Erfolg Der Blogger versuchte es zunächst bei der Telefonhotline. Warteschleife. Dann ersann er eine List, die er später die "Ausländer-Klage-Strategie" nannte. Er schrieb eine E-Mail und behauptete, er stamme aus Kalifornien, lebe erst seit zwei Jahren in China und spreche kaum Chinesisch. Wenn Ofo ihm nicht sofort seine Kaution zurückzahle, werde er das Unternehmen verklagen, drohte er. Einen Tag später veröffentlichte er die Ofo-Antwort: Ein Entschuldigungsschreiben des Kundenservices; das Geld war auch schon eingetroffen. Im Internet löste das eine Debatte aus, gespickt mit nationalen Ressentiments. Der Hashtag "Vorgeben, Ausländer zu sein, und Ofo zahlt Kaution in Sekunden zurück", wird seitdem millionenfach geteilt. Am Montag schwappte der Protest aus dem Netz dann auf die Straße, die Firmenzentrale wurde belagert. "Aufgrund der großen Kundenbasis von Ofo ist es möglich, dass die Anzahl der Rückerstattungsanträge drastisch steigt", teilte das Unternehmen hernach kühl mit. Die bislang einzige nennenswerte Insolvenz eines Fahrradverleihers war einer Marketingpanne geschuldet. Auch damals fing es im Internet an. Im vergangenen Juni änderte der Anbieter Bluegogo auf einmal das Symbol in seiner Buchungsapp. Ein Miniatur-Panzer zeigte an, wo das nächste freie Fahrrad steht. Just zu dem Zeitpunkt der Umstellung jährte sich allerdings das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Im Netz machte rasch ein Screenshot von der Chang'an Avenue die Runde, jener zehnspurigen Magistrale, auf der sich am 4. Juni 1989 die echten Panzer reihten und den Protest Tausender Studenten niederwalzten. Niemand traute sich mehr, bei Bluegogo zu investieren. Das Blutbad im Herzen Pekings wird in China totgeschwiegen. Der Firmengründer schrieb zum Abschied, dass sein Unternehmen "im Juni verflucht" worden sei. Nun könnte es den Marktführer erwischen. | Auch in Peking sind Leihfahrräder zur Plage geworden. Die Anbieter liefern sich einen harten Wettbewerb - und machen Fehler. Jetzt droht sogar dem Marktführer die Pleite - Millionen Fahrräder wären dann führungslos. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/kolumne-china-valley-ausgeklingelt-1.4257832 | Kolumne China Valley - Ausgeklingelt | 00/12/2018 |
Spekulationen von Anlegern auf ein weltweites Überangebot an Rohöl haben die Preise für den Rohstoff am Dienstag belastet. Ein Fass der Ölsorte Brent aus der Nordsee verbilligte sich um mehr als fünf Prozent auf 56,26 Dollar und damit auf den tiefsten seit 14 Monaten. Der Preis für US-Leichtöl WTI sackte sogar um mehr als sieben Prozent auf 46,30 Dollar ab. Bei den Investoren steige die Sorge, dass die vom Opec-Kartell geplanten Produktionskürzungen nicht die gewünschte Wirkung erzielten, sagte Analyst Benjamin Lu Jiaxuan vom Brokerhaus Phillip Futures. Hinzu komme die Furcht vor einem weltweiten Wirtschaftsabschwung. Anfang Oktober hatte ein Barrel Brent-Öl noch deutlich mehr als 80 Dollar gekostet. Die Organisation Erdöl exportierender Länder (Opec) und weitere Staaten wie Russland, die nicht Mitglieder der Opec sind, haben sich auf eine Produktionsdrosselung um 1,2 Millionen Barrel pro Tag ab 2019 verständigt. Die Fördermengen waren zuletzt deutlich gestiegen, wozu auch der Fracking-Boom in den USA beitrug. Die Aussicht auf eine neue Brexit-Abstimmung des britischen Parlaments im Januar gab dem Pfund Sterling Auftrieb. Außerdem kam Unterstützung vom vergleichsweise schwachen Dollar. Das Pfund verteuerte sich in der Spitze um ein halbes Prozent auf 1,2705 Dollar. Die britische Premierministerin Theresa May stellte die verschobene Abstimmung im Parlament über die Brexit-Vereinbarung mit der Europäischen Union für die dritte Januarwoche in Aussicht. Außerdem schloss sie eine zweite Volksbefragung über den Austritt Großbritanniens aus der EU aus. "Einige mögen argumentieren, dass das fehlgeschlagene parteiinterne Misstrauensvotum gegen May die Unsicherheit ein Stück verringert hat", sagte Commerzbank-Devisenanalystin Thu Lan Nguyen. Das ändere aber nichts an den Wahrscheinlichkeiten, ob es zu einem geordneten oder ungeordneten Brexit kommt. | Die Sorgen vor einer möglichen Ölschwemme drücken die Preise für Rohöl kräftig nach unten. Am Devisenmarkt zieht das Pfund Sterling etwas an. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/devisen-und-rohstoffe-rohoel-kostet-deutlich-weniger-1.4257874 | Devisen und Rohstoffe - Rohöl kostet deutlich weniger | 00/12/2018 |
Es hätte nicht viel gefehlt und Nikita Fahrenholz, Mitte 30, wäre Pilot geworden. Seine Mutter, alleinerziehend, stammt aus Russland. Daheim im Plattenbau im Ostberliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf träumte der Sohn von Größerem. Es gab Zeiten, da galten Piloten als Stars, Menschen, die strahlen, die man bewundert. Fahrenholz hat dann doch Betriebswirtschaft in Reutlingen und Lancaster studiert. Er fing bei McKinsey an und stieg dort aus, um 2009 mit ein paar Kumpels in Berlin die Online-Plattform Lieferheld zu gründen, die 2012 in der seit Mitte 2017 börsennotierten Plattform Delivery Hero aufging. Fahrenholz blieb noch eine Weile, stieg dann aus, um weiter zu gründen, etwa das Putz-Portal Book a Tiger. Für Julian Kawohl ist Fahrenholz ein Star, ein Gründer-Star. Das sind für ihn Menschen, die inspirieren, erfolgreich sind und in deren Firmen Investoren gerne und viel Geld stecken. "Menschen sind wichtiger als Ideen", sagt Kawohl, Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin: "Ohne die richtigen Menschen, scheitert auch die beste Idee." Für eine Studie haben sich Kawohl, seine Mitautoren Julia Heinrichs und Florian Nöll, Gründer und Chef des Bundesverbandes Deutsche Startups, auf die Suche nach erfolgreichen Start-ups und deren Gründern gemacht. Maß für den Erfolg ist in der Studie das seit der Gründung bis zum Börsengang, der Übernahme oder gar, wie im Falle des Onlinehändlers Lesara, der Insolvenz eingesammelte Risikokapital. "Es ist das höchste Gütesiegel, es zeigt wie viel Vertrauen Dritte in die Fähigkeit der Gründer haben", sagt Kawohl. Es ist auch ein Maßstab der Nikita Fahrenholz gefällt. Geld sei für ihn ein wichtiger Antrieb gewesen, sagte er dem Magazin Capital. "Ich habe es aber eher als eine Art Schulnote für Erfolg gesehen. Man kann daran messen, ob man etwas erreicht hat." Detailansicht öffnen Ein Fahrer von Foodora, ein Tochterunternehmen von Delivery Hero, unterwegs in München. (Foto: Robert Haas) 40 Start-ups haben die Autoren der Studie ausgemacht mit insgesamt 100 Entrepreneur-Stars. Die Gründer von Delivery Hero, darunter Fahrenholz, führen das Ranking an. Bis zum Börsengang sammelte das Start-up bei Investoren 2,6 Milliarden Dollar ein und galt als eines der wenigen "Unicorns" in Deutschland, das sind Unternehmen, die Risikokapitalgeber mit mehr als einer Milliarde Dollar bewerten. Zu den Einhörnern gehört immer noch der Gebrauchtwagen-Onlinehändler Auto1. In das Ranking schafften es auch die Liefer-Plattformen Hello Fresh und der Ende 2016 von Delivery Hero übernommene Dienst Foodpanda. An all diesen Lieferanten ist die Gründermaschine Rocket Internet der Samwer-Brüder beteiligt. Die Namen von Marc, Oliver und Alexander Samwer tauchen nicht in der Rangliste auf, weil sie mittlerweile "reine Company Builder" sind, aber nicht als Vorstand oder Geschäftsführer in einem Start-up tätig sind, sagt Wirtschaftswissenschaftler Kawohl. Zwar ist auch Nikita Fahrenholz nicht mehr operativ für Delivery Hero tätig, aber das Gründen kann er nicht lassen. Gründen ist männlich. Nur vier Frauen schafften es unter die Top 100 Die Autoren der Studie haben sich die Lebensläufe angesehen und Schlüsse gezogen. Die Stars unter den Gründern favorisieren Fintechs wie N26 und Spotcap und E-Commerce-Firmen wie Auto1. Knapp 70 Prozent haben ihren Sitz in Berlin, gefolgt von München mit zehn Prozent und Hamburg mit sieben Prozent. Die meisten, knapp ein Drittel, der Start-ups wurden von zwei Personen gegründet. Die meisten Stars sind Männer. In die Top 100 haben es nur vier Gründerinnen geschafft: Eine "absolute Ausnahme" bilden Anna Alex und Julia Bösch, die Gründerinnen des personalisierten Online-Herrenausstatters Outfittery. In das Ranking haben es auch Jessica Nilsson von Hello Fresh und Janna Schmidt-Holtz von Glossybox geschafft, sie haben allerdings der Studie zufolge keine geschäftsführende Position inne. Die Spitzenkräfte der deutschen Gründerszene sind, so wie Nikita Fahrenholz, gut ausgebildet. Mehr als die Hälfte besitzt einen Master-Abschluss, viele davon in einem wirtschaftswissenschaftlichen Fach. Angestellt waren die meisten der Gründer auch schon mal. Bevor sie gründeten, haben viele für Beraterfirmen wie McKinsey und Boston Consulting oder Banken wie Goldman Sachs oder Deutsche Bank gearbeitet. Zehn der Stars arbeiteten für den Inkubator Rocket Internet der Samwer-Brüder. 43 Prozent der Stars sind Seriengründer. Ihr Geld stecken sie häufig nicht nur in das eigene Unternehmen, sondern auch in andere. Nikita Fahrenholz ist seinem Profil auf dem Berufsnetzwerk Linkedin zufolge in mehr als 20 Start-ups investiert. Gute Netzwerker sind die besten Gründer auch, fast die Hälfte der Entrepreneure nahm an einer der etablierten Tech-oder Start-up-Konferenzen teil, wie Noah in London und Berlin oder Bits & Pretzels in München. Detailansicht öffnen Ganz so grell wie die Stars der US-Gründerszene, Männer wie Elon Musk (Paypal, Tesla, Space-X), Mark Zuckerberg (Facebook) oder Evan Spiegel (Snapchat), strahlen die deutschen Spitzenkräfte nicht. "Musk ist aber auch ein extremer Selbstdarsteller und selbst eine Marke", erklärt Forscher Kawohl: "Die deutschen Gründer sind zwar selbstbewusst, aber auch bescheidener. Sie versuchen erst einmal, ihre Firma groß zu machen." Und Stars strahlen mal mehr, mal weniger. In die Rangliste schaffte es auch der Online-Händler Lesara, der fast 67 Millionen Dollar bei Investoren einsammelte. Mitte November musste das Start-up Insolvenzantrag stellen. Für Kawohl sind die Gründer trotzdem Stars: "Scheitern gehört dazu, es gibt immer mal wieder Gründer, die scheitern, dann fangen sie eben wieder etwas Neues an. Auch Elon Musk ist nicht alles, was er anpackte, gelungen." | Die Stars der heimischen Gründerszene strahlen nicht ganz so hell wie die Konkurrenz aus den USA. Dennoch gelingt es ihnen, Investoren für ihre Idee zu begeistern. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/gruenderszene-sterne-aus-deutschland-1.4258066 | Sterne aus Deutschland | 00/12/2018 |
Netzlautsprecher liegen im Trend, und das hat einen ganz einfachen Grund. Denn bei vielen, vor allem den jüngeren Nutzern kommt die Musik aus dem Netz. CDs oder andere Tonträger horten wollen die meisten nicht mehr, allenfalls auf dem Smartphone sind noch Tondateien gespeichert. Und selbst, wer das Knistern analoger Schallplatten liebt - an viele der netzwerkfähigen Produkte kann man auch einen Plattenspieler anschließen, braucht dann aber meist ein kleines Zusatzgerät, das das Signal verstärkt und entzerrt. So ist das auch bei den Prime Wireless Lautsprechern der US-Firma SVS. Im Gegensatz zu den meisten anderen Lautsprechern aus diesem Segment bieten die kompakten SVS-Boxen eine Fülle von Anschlussmöglichkeiten. Von einem optischen Digitaleingang über Cinch-Buchsen, einen Klinkeneingang bis hin zu einem kabelgebundenen Netzwerkanschluss und funkbasierter Zuspielung ist so gut wie alles vorhanden, was man möglicherweise brauchen könnte. Funk bedeutet dabei sowohl Bluetooth als auch Wlan. Über eine App von dts kommunizieren die Boxen mit dem Standard PlayFi auch mit Medienservern wie sie beispielsweise die beliebten Fritzbox-Router an Bord haben. Auch das funktioniert problemlos. Die Lautsprecher gibt es nur als Paar, für das 700 Euro fällig werden. Eine der Boxen bringt zwei Drehregler mit. Über den einen können der gewünschte Eingang sowie Sound-Voreinstellungen gewählt werden, über den anderen regelt man die Lautstärke. Bei letzterer zeigen die Boxen ihre einzige größere Schwäche. Sie lassen sich zwar sehr einfach über Bluetooth oder Wlan mit Musik bespielen. Die Lautstärke kann man aber nur am Gerät selbst einstellen. Das können andere Hersteller besser. Mit ihrem Klang aber brauchen sich die Boxen der Firma aus Youngstown, Ohio, nicht zu verstecken. Sie können mit den guten Herstellern wie etwa Sonos durchaus mithalten. Das Sonos-System ist flexibler, akzeptiert dafür aber kein Bluetooth. Einige Streamingdienste lassen sich ebenfalls nutzen, darunter Spotify, Amazon Music und Tidal, letzterer bietet Musikdateien in hoher Qualität. Die SVS-Boxen sind ebenfalls mit einem hochwertigen Digital-Analog-Wandler ausgestattet. Aufgrund ihrer Größe - etwa der eines Schuhkartons - erreichen sie aber natürlich nicht den Klang größerer und teurerer Boxen. Wer den Klang nach unten hin noch ein wenig ausbauen möchte, kann an die Drahtlos-Lautsprecher einen Subwoofer anschließen; die kleinen Boxen aktivieren dann eine Frequenzweiche und leiten alle tiefen Frequenzen an den Basslautsprecher weiter. Somit wird man mit den SVS-Boxen gut bedient - vielleicht findet sich per Software-Update ja auch noch eine Lösung für das Lautstärken-Problem. | Die Prime Wireless-Boxen bieten viele Anschlüsse und klingen so gut wie die Produkte der Konkurrenz. Eine Schwäche haben sie aber schon. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/braucht-man-das-vernetzte-lautsprecher-von-svs-1.4257842 | Vernetzte Lautsprecher von SVS | 00/12/2018 |
In Deutschland müssen immer weniger Unternehmen Insolvenz anmelden. Waren es im Jahr 2009 noch 32 687 Betriebe, ging die Zahl seitdem Jahr für Jahr zurück: Im vergangenen Jahr schlitterten nur noch 20 093 Firmen in die Pleite. Das liegt an der guten Konjunktur, aber auch daran, dass sich kriselnde Firmen wegen der niedrigen Zinsen billiger Geld leihen und damit über Wasser halten können. Für Insolvenzverwalter bedeuten wirtschaftlich gute Zeiten also eher magere Zeiten. Die ganze Branche spürt diese Entwicklung. Einige ältere Kollegen hätten sich wegen der schlechten Auftragslage dazu entschieden, früher in den Ruhestand zu gehen, sagt Axel Bierbach, Insolvenzverwalter aus München und Vorstandsmitglied beim Verband Insolvenzverwalter Deutschlands (VID). Andere bewerben sich bei mehreren Amtsgerichten im Land um Aufträge und nehmen dafür auch längere Reisen in Kauf. Oder sie bieten zusätzliche Dienstleistungen an. "Viele Kollegen beraten inzwischen auch Gläubiger oder Schuldner und beraten wie Unternehmensberater bei Sanierungsmaßnahmen vor der Insolvenz", sagt Bierbach. Als Berater von kriselnden Firmen schreiten die Insolvenzverwalter bereits ein, bevor ein Insolvenzantrag gestellt werden muss. Auch Bettina Breitenbücher ist inzwischen nicht mehr nur als Insolvenzverwalterin im klassischen Sinne tätig. Sie nimmt zunehmend Restrukturierungsmandate an und berät Unternehmen, die den Weg in die sogenannte Insolvenz in Eigenverwaltung gehen. Dieses Konstrukt hat die damalige Bundesregierung im Jahr 2012 vorangetrieben, um kriselnden Unternehmen die Sanierung zu erleichtern. Dabei übernimmt nicht der Insolvenzverwalter die Geschäfte, sondern die alte Geschäftsführung bleibt im Amt und wird von einem Sachwalter überwacht und von Restrukturierungsexperten beraten. Breitenbücher übernahm etwa beim Modehändler Pohland diese beratende Rolle und beschloss gemeinsam mit der Geschäftsführung, unrentable Filialen zu schließen und den Einkauf umzugestalten. "Als Insolvenzverwalterin bin ich der Boss und gebe klare Anweisungen", sagt sie. Bei einer Restrukturierung hingegen werde sie nicht vom Gericht, sondern vom Geschäftsführer beauftragt. "In diesem Fall wird viel mehr diskutiert, zum Beispiel mit den Führungskräften und Steuerberatern." Weitere Beispiele für eine Insolvenz in Eigenverwaltung sind der Erotikhändler Beate Uhse und der Handschuhhersteller Roeckl. Ein solches Verfahren bietet sich vor allem auch für Unternehmen an, die wegen externer Einflüsse in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind - zum Beispiel, weil ein wichtiger Kunde seine Rechnungen nicht mehr bezahlen kann. Da ein Unternehmen seine Mitarbeiter bei einer Insolvenz in Eigenverwaltung leichter kündigen kann als im Regelbetrieb, haben Gewerkschaften in der Vergangenheit allerdings auch schon Bedenken geäußert, dass hinter dem Prozedere das Kalkül stecken könne, sich auf einfache Weise von einem Teil der Belegschaft zu trennen und danach den Geschäftsbetrieb fortzusetzen. | Seit der Reform des Insolvenzrechts werden die Kanzleien oft schon tätig, bevor eine Firma einen Antrag auf Insolvenz gestellt hat. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/magere-zeiten-berater-gefragt-1.4257836 | Magere Zeiten - Berater gefragt | 00/12/2018 |
Die Bausparkasse LBS Nord hat von ihren Bausparkunden zu Unrecht Gebühren in der Ansparphase genommen. Das hat das Landgericht in Hannover nach einer Klage des Bundesverbands der Verbraucherzentralen entschieden. Die Entscheidung dürfte für Unruhe in der Branche sorgen. Denn ähnliche Klauseln führen fast alle großen Bausparkassen und verlangen deshalb im Durchschnitt Gebühren zwischen neun und 18 Euro je Jahr für die reine Kontoführung in der Ansparphase. Sollte das Urteil eines Tages rechtskräftig oder höchstrichterlich bestätigt werden, müssten deshalb wohl viele Bausparkassen ihre Praxis ändern. In dem konkreten Fall hatte die LBS Nord nachträglich eine Kontogebühr von 18 Euro pro Jahr für all die Menschen eingeführt, die über einen Bausparvertrag für eine Immobilie sparen wollten. Wer im konkreten Fall beispielsweise 1000 Euro angespart hatte, bei im Schnitt rund einem Prozent oder zehn Euro Zinsen, hatte am Ende des Jahres weniger Geld als noch zu Anfang. | Erneut verliert eine Bausparkasse vor Gericht, weil sie ihren Kunden zu Unrecht Geld abverlangt hat. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/bausparkassen-kontogebuehren-sind-unzulaessig-1.4258068 | Bausparkassen - Kontogebühren sind unzulässig | 00/12/2018 |
Euro-Politik, Brexit, Populismus. Peter Altmaier hat auf alle Fragen eine Antwort. Der Bundeswirtschaftsminister sitzt in einem Pariser Luxushotel mit Unternehmern und anderen Honoratioren beim Frühstück und parliert in flüssigem Französisch über die großen Themen der Zeit. Nur einer Frage weicht er aus: "Welches ist Ihr Lieblingsrestaurant in Paris?" Sein Faible für gute Küche sei doch bekannt, alles andere sei "ein Staatsgeheimnis", sagt der deutsche CDU-Minister - und hat die Lacher auf seiner Seite. Altmaier ist unterwegs in Sachen deutsch-französische Beziehungspflege. Das ist nötig, denn die Beziehung hat gelitten. Seit Emmanuel Macron im Mai 2017 gewählt wurde, hat die Bundesregierung mit deutscher Gründlichkeit die wirtschaftspolitischen Visionen des französischen Präsidenten für Europa kaputtverhandelt. Von der Idee eines Euro-Finanzministers bleibt nichts. Aus dem Vorstoß für ein Euro-Zonen-Budget mit makroökonomischer Stabilisierungskraft wurde ein kleines "Finanzinstrument" im EU-Haushalt. Das Projekt einer fairen Besteuerung von US-Internetriesen muss Frankreich alleine umsetzen. Und nun gibt Macron selbst etwas von seinem europäischen Ehrgeiz auf: Um die massiven Proteste der Gelbwesten-Bewegung zu beruhigen, nimmt der Präsident in Kauf, dass Frankreich 2019 die EU-Defizitkriterien verletzt. Altmaier aber gibt den unerschütterlichen Optimisten: Ausgerechnet jetzt glaubt er an einen neuen deutsch-französischen Aufbruch. Wo immer er in Paris auftaucht, ob im Luxushotel, beim Bildtermin vor dem Eiffelturm oder im Ministerium seines Amtskollegen Bruno Le Maire: Altmaier spricht von "neuer Dynamik", von "Elan" und von "Schwung". Anders als mancher Parteikollege verkneift er sich bissige Bemerkungen zu Macrons neuem Schuldenkurs. Stattdessen: "Es gehört zur Partnerschaft, dass man nicht bei jeder Gelegenheit die Entscheidungen und die Politik des anderen kommentiert." Die Rolle als Frankreich-Versteher ist dem Saarländer und früheren EU-Beamten auf den Leib geschneidert. Mit Le Maire und anderen Pariser Spitzenpolitikern verbinden ihn langjährige Freundschaften. Außerdem gibt es im Bundeskabinett nicht so viele, die Altmaier diese Rolle streitig machen können - oder wollen. Als er im Frühjahr das Amt des Finanzministers, das er einige Monate kommissarisch geführt hatte, an Olaf Scholz (SPD) abgab, bemerkte die französische Seite schnell: Auf einen Beziehungsbonus brauchte sie in den Verhandlungen zur Zukunft der Euro-Zone nicht mehr zu setzen. Doch Altmaier kommt als Wirtschaftsminister wieder, mit Vorschlägen, die ganz nach französischem Geschmack sind. "Mit dem Airbus für künstliche Intelligenz habe ich den ersten konkreten industriepolitischen Vorschlag seit Airbus und der Ariane-Rakete gemacht", brüstet er sich. Industriepolitik, das war lange eine französische idée fixe, die in Deutschland verpönt war. Am Dienstag nun redet Altmaier mit Le Maire über Kooperationsprojekte zur Künstlichen Intelligenz und bei Batteriezellen. Trieben beide Länder die Entwicklung dieser Zukunftstechnologien nicht gemeinsam voran, gingen in Europa Millionen Jobs verloren, sagt er. Und dass "die Zeit der Sonntagsreden vorbei" sei. Die Regierungen Deutschlands und Frankreichs wollen nun eine gemeinsame Strategie ausarbeiten, damit die EU bei der Fertigung von Batteriezellen nicht den Anschluss auf dem Weltmarkt verliert. Altmaier und Le Maire unterzeichneten am Dienstag eine entsprechende Absichtserklärung. Le Maire sprach von einem "veritablen Durchbruch". In der gemeinsamen Erklärung heißt es, die Batteriefertigung sei eine "Schlüsseltechnologie" für die Industrie - für Elektro-Autos und andere Transportsysteme, für die Speicherung erneuerbarer Energien und für die Energienutzung privater Haushalte. | Bundeswirtschaftsminister Altmaier zu Besuch in Paris: Es gilt, das Verhältnis zu Frankreich zu kitten und Präsident Macron zu unterstützen. Es geht auch um gutes Essen - und ein Staatsgeheimnis. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/altmaier-in-paris-der-frankreich-versteher-1.4257830 | Altmaier in Paris - Der Frankreich-Versteher | 00/12/2018 |
Mit der Bahn zu reisen, ist einfach toll. Lesen, schreiben, speisen, schlafen, alles möglich. Davor und danach ein paar Schritte oder auch mehr zu Fuß unterwegs zu sein, tut ebenfalls gut. Und vor allem: Kein nerviges Autofahren auf überfüllten oder gar verstopften Straßen, keine lästige Parkplatzsuche, keine verlorene Zeit, weil sich im Pkw allenfalls telefonieren lässt. Und noch Musik hören. Aber das geht im Zug genauso. Dort lassen sich sogar Filme anschauen. Doch was machen viele Menschen im Lande: Schimpfen über die Bahn, statt deren Vorteile zu sehen und zu nutzen. Die Deutschen, ein Volk von Nörglern? Nun gut, manches und mancherorts auch mehr als nur einiges funktioniert nicht bei der Bahn. Und ein Streik, bei dem die Fahrgäste auf der Strecke bleiben, ist ärgerlich. Aber das ist, unterm Strich, wenig im Vergleich zu dem, was auf vielen Autobahnen und in vielen Städten los ist; inzwischen selbst in Kleinstädten. Autofahren wird immer mehr zum Stress pur. Doch das wird meist klaglos hingenommen. Weil Autofahren angeblich bequem ist. Es ist aber vor allem geistig bequem. Weil die Wenigsten daran denken wollen, wohin das führt. Noch mehr Autos, noch mehr Flächenfraß, von mehr Klimawandel, mit all den Folgen. Über die Bahn wird gerne geschimpft, immer und überall. Nicht immer zu Unrecht. Hier fällt ein Zug aus, dort gibt es eine satte Verspätung. Aber wo bleiben eigentlich die Protestwellen der Autofahrer? Die Verkehrsnachrichten im Radio sagen alles. Stau hier, zähflüssiger Verkehr dort, mit Angaben auf die Minute genau, wie viel länger das dauert. Wer das hört, müsste froh sein, im Zug zu sitzen. Doch was geschieht stattdessen: Es gibt Schimpfkanonaden über die Bahn, die angeblich marode ist und kurz vor dem Verfall steht. Geht's eigentlich noch? Statt ständig nur zu schimpfen, sollten wir gelassen bleiben und die Vorzüge erkennen Die Autolobby von ADAC und BMW, Mercedes und Volkswagen ist auch deshalb so mächtig, weil die Autofahrer lieber in den Stau steuern, statt sich endlich zu bewegen, gedanklich und körperlich. Und weil viele Bahnfahrer und viele von denen, die erst gar nicht in den Zug steigen, über die Bahn schimpfen statt über diejenigen, die den falschen Rahmen schaffen. Den Frust über echte oder vermeintliche oder auch nur kleine Mängel bekommen die Schaffner ab. Diejenigen also, die gar nichts dafür können. Wer schreibt eigentlich, das ginge ja ganz schnell, Mails an die Kanzlerin und den Verkehrsminister - mit der Forderung nach mehr Geld für das teilweise veraltete Schienennetz, für eine schnellere Sanierung veralteter Bahnsteige, für freundlichere Bahnhöfe und einiges mehr. Die Schaffner sollten einen neuen Service anbieten. Genervte Bahnfahrer können ihren Unmut per Bahn-Handy gleich bei der Regierung los werden. Und auch beim Bahn-Vorstand, den eine Mitschuld daran trifft, dass veraltete Strecken, Bahnhöfe und Züge nicht schnell genug saniert und modernisiert werden. Aber ganz so schlimm, wie das vielerorts zu hören ist, läuft es bei der Bahn ja nun auch nicht. Neue ICEs, neue Regionalzüge, neue Bahnhöfe, das ist inzwischen nicht mehr nur die Ausnahme. So zu tun, als drohe der Verfall der Bahn, ist schlichtweg übertrieben. Das ist Jammern auf einem verdammt hohen Niveau. Deutschland ist, auch bei der Bahn, kein zurückgebliebenes Land, in dem sich schlecht leben lässt. Manchmal täte mehr Gelassenheit ganz gut, statt über alles und jedes zu schimpfen, angefangen bei der Bahn. Und wo bleibt eigentlich die Aufregung über die wirklichen Probleme des Lebens? Über einen Lebenswandel mit viel zu viel Autoverkehr und immer größeren Benzinschleudern, was dazu beiträgt, unseren Kindern und Enkeln eine immer weniger lebenswerte Welt zu hinterlassen. Die drohenden, drastischen Folgen des Klimawandels sind nicht mehr weit weg. Zwei Generationen vielleicht nur. Wer heute kurz vor der Pensionierung steht und noch ein, zwei Jahrzehnte genießen möchte, der möge an seine Enkel denken, die dann im Rentenalter auch noch ein, zwei Jahrzehnte gut leben möchten. Aber das dann vielleicht nicht mehr können, weil viele Millionen Umwelt-Flüchtlinge auf der Erde umherirren und weit mehr Krisen und Kriege als heutzutage die Folge sein könnten. All das wäre viel mehr der Rede wert als die ständige Nörgelei über eine Bahn, die bei weitem nicht so schlecht ist wie ihr Ruf. Aber es ist allemal bequemer, über andere zu schimpfen, statt sich an die eigene Nase zu fassen, statt umzudenken und umzusteuern. Das ewige Jammern über die Bahn macht im Übrigen nichts besser, sondern sorgt nur für noch mehr schlechte Stimmung. Und die hilft niemandem, auch denen nicht, die sich über jede Minute Verspätung laut aufregen. Dieser Beitrag ist übrigens im Zug entstanden. Einem ICE, der pünktlich war. | Schreiben, speisen, schlafen, lesen: alles möglich im Zug. Trotzdem wird permanent auf die Bahn eingedroschen. Geht's noch? | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/pro-deutsche-bahn-sie-lieben-die-bahn-trotz-allem-dann-lesen-sie-diesen-text-1.4258062 | Hört auf mit dem Bahn-Genörgel | 00/12/2018 |
Nach der jüngsten Kursschwäche berappelt sich der deutsche Leitindex und liegt zeitweise im Plus. Schwächelnde Konjunkturzeichen lassen die Gewinne wieder abschmelzen. Die Anleger am deutschen Aktienmarkt haben sich am Dienstag nach der jüngsten Kursschwäche erneut zurückgehalten. Zwar schaffte es der Dax nach einem schwachen Start zeitweise sogar ins Plus, letztendlich überwog dennoch die Skepsis und der deutsche Leitindex beendete die Börsensitzung mit einem Abschlag von 0,3 Prozent auf 10 741 Punkte. Unter anderem belastete der viel beachtete Ifo-Index die Stimmung der Investoren. Genährt wurde der Konjunkturpessimismus zudem von der Rede des chinesischen Präsidenten Xi Jinping anlässlich des 40. Jahrestags der Marktliberalisierung. Börsianer äußerten sich enttäuscht, dass Xi kein neues Konjunkturprogramm angekündigt habe. Auch in den deutschen Chef-Etagen war die Stimmung vor dem Fest gedrückt. Der Ifo-Index fiel den vierten Monat in Folge - auf den niedrigsten Stand seit zwei Jahren. Das Wachstum werde 2018 wohl noch akzeptabel ausfallen, sagte Uwe Burkert, Chef-Volkswirt der LBBW. "Aber für 2019 muss man sich zunehmend Sorgen machen." Der Preisverfall des Rohöls machte den Ölkonzernen zu schaffen. Der europäische Branchenindex fiel um 1,5 Prozent. Zu den größten Verlierern zählte hier Royal Dutch Shell mit einem Kursminus von 1,7 Prozent. Profiteure des fallenden Ölpreises waren dagegen die Fluggesellschaften, für die Kerosin der größte Kostenfaktor ist. Die Aktien von Lufthansa verteuerten sich an der Dax-Spitze um 1,9 Prozent. Bei der Telekom waren Fortschritte bei den Fusionsplänen von T-Mobile US mit dem Konkurrenten Sprint kein positiver Kurstreiber. Die Aktie gab ein halbes Prozent nach, obwohl der Zusammenschluss eine erste wichtige regulatorische Hürde nahm. In der zweiten Reihe gab es größere Kursbewegungen, die vor allem von Studien getrieben wurden. Im M-Dax sanken die Anteile von Nemetschek um fünf Prozent auf den tiefsten Stand seit April, was Händler mit einer Abstufung durch die Experten von Kepler Cheuvreux begründeten. Pfeiffer Vacuum sackten im S-Dax um mehr als sechs Prozent ab, nachdem die britische Investmentbank HSBC den Hersteller von Vakuumpumpen abgestuft hatte. An der Wall Street nutzten die Anleger die jüngsten Verluste zum Wiedereinstieg. Der Dow Jones beendete den Handel mit einem Aufschlag von 0,4 Prozent bei 23 676 Punkten. | Kursschwäche berappelt sich der deutsche Leitindex und liegt zeitweise im Plus. Schwächelnde Konjunkturzeichen lassen die Gewinne wieder abschmelzen. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/aktienmaerkte-bei-dax-anlegern-ueberwiegt-die-skepsis-1.4257871 | Bei Dax-Anlegern überwiegt die Skepsis | 00/12/2018 |
Nichts geht mehr: ein Verkehrsstau in Frankfurt, mit vielen Autos, die viele Abgase in die Luft pusten. Die EU-Kommission will den Ausstoß von Kohlendioxid drastisch reduzieren. Die Autohersteller müssen nach dem Willen der EU den CO₂-Ausstoß der Fahrzeuge drastisch reduzieren. Da hilft nur eins: mehr Motoren mit Strom. Die europäische Politik ist sich einig, die Autoindustrie hingegen ist entsetzt. Am Montagabend haben sich Parlament, Rat und EU-Kommission nach zehnstündigen Verhandlungen auf neue Kohlendioxid-Vorgaben geeinigt: Die Autohersteller sollen nach 2021 die CO₂-Emissionen ihrer Flotten noch einmal massiv senken: um 15 Prozent bis zum Jahr 2025, um 37,5 Prozent bis zum Jahr 2030 - jeweils gemessen am schon ehrgeizigen Zielwert für 2021. In zwölf Jahren dürfen die Autos aus den Flotten im Schnitt nur noch 60 Gramm CO₂ je Kilometer ausstoßen, derzeit sind es in Europa durchschnittlich 118,5 Gramm und bei deutschen Herstellern 127,1 Gramm. "Das ist ein gutes Ergebnis, das uns bei Klimaschutz und Zukunftsjobs voranbringen wird", sagt Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD). "Das gibt einen Innovationsschub, der die alternativen Antriebe raus aus der Nische holen wird." Deutschlands oberster Autolobbyist Bernhard Mattes, der Präsident des Verbandes der Automobilindustrie, meint dagegen: "Diese Regulierung fordert zu viel." Was also verändert sich für die Hersteller und deren Kunden. Ein Überblick. Was bedeutet das für Autofahrer? Autos, die weniger Kohlendioxid ausstoßen, verbrauchen auch weniger Sprit, denn bei dessen Verbrennung entsteht das klimaschädliche Gas. In jedem Liter Benzin stecken 2,37 Kilogramm CO₂, in jedem Liter Diesel 2,65 Kilogramm. Ein Auto, das 95 Gramm CO₂ je Kilometer ausstößt, so der Zielwert für das Jahr 2021, muss sich folglich mit vier Litern Benzin oder 3,6 Liter Diesel begnügen. Weil sich die EU-Vorgabe daran orientiert, was die Fahrzeugflotte der Hersteller im Schnitt ausstößt, wird sich der höhere Wert nur durch viele neue Elektroautos erreichen lassen, sie drücken den Schnitt. Werden Autos dadurch teurer? Ja und nein. Die nötigen Verbesserungen würden Autos bis 2030 um etwa 900 Euro teurer machen, schätzt die Forschungsinstitution ICCT. Im Gegenzug spare ein Autofahrer etwa 2300 Euro an Kraftstoffkosten ein. "In der Summe ist das positiv für Verbraucher, und vor allem für die Gesellschaft als Ganzes", sagt ICCT-Europa-Chef Peter Mock, "da wir weniger Rohöl importieren müssen und stattdessen Jobs im europäischen Inland schaffen." Wieviele E-Autos müssen dann 2030 auf den Straßen sein? Zu schaffen sind die Vorgaben nur, wenn immer mehr Fahrzeuge ohne Emissionen verkauft werden, etwa reine Elektroautos. Volkswagen werde nun stärker umbauen müssen, damit im Jahr 2030 vier von zehn Neuwagen mit Strom fahren, sagt VW-Chef Herbert Diess. Umweltverbände hatten eigentlich eine Mindestquote von emissionsarmen Fahrzeugen verlangt - samt Sanktionen. Nach dem jetzt gefundenen Kompromiss fallen die CO₂-Grenzwerte für die Unternehmen schwächer aus, wenn sie viele Plug-in-Hybride oder Elektroautos verkaufen. Umweltverbände halten das für falsch. Wenn Autohersteller diesen Bonus auf ihre Benzin- und Diesel-Flotte anrechnen können, "müssen die Verbrenner gar nicht weit unter die heutigen 95 Gramm sinken", sagt Dietmar Öliger, Leiter Verkehrspolitik des NABU. Was bedeutet das für die Industrie? Hersteller, die die EU-Grenzwerte reißen, müssen Strafen zahlen. Dabei gilt die Formel: 95 Euro pro Gramm CO₂-Verfehlung, und das mal verkaufter Menge in Europa. Die Automobilwoche hatte jüngst errechnet, dass etwa VW 2021 rund 1,4 Milliarden Euro Strafe drohen, Fiat-Chrysler 700 Millionen Euro. Auch lässt sich mit Elektroautos lässt derzeit kaum Geld verdienen - wegen der Batterie, die oft ein Drittel des Fahrzeugwertes ausmacht. Die Hersteller müssen sie ihrerseits zukaufen. Wann kommt die nötige Infrastruktur? Die Unternehmensberatung McKinsey geht davon aus, dass 2030 sechs Millionen reine E-Autos sowie Hybrid-Autos verkauft werden müssen, damit die Quote gehalten werden kann. Dazu braucht es 3,6 Millionen Ladepunkte, aus denen pro Jahr 42 000 Gigawattstunden Strom gezapft wird. 4000 Großwindräder wären nötig, denn mit Kohle nutzt das E-Auto wenig. Wie viel bringt es für den Klimaschutz? Zahlen des Statistischen Bundesamtes zufolge stießen Deutschlands Autos im vorigen Jahr 115 Millionen Tonnen Kohlendioxid aus, 13 Prozent aller Emissionen. Die Emissionen des Schwerlastverkehrs kommen noch obendrauf. Damit ist der Verkehr der einzige Bereich, in dem klimaschädliche Emissionen nicht sinken, sondern steigen: Die Autos wurden zwar effizienter, aber größer und mehr. Mit den Vorgaben der EU muss der Ausstoß nun stark sinken, was die Regierung eigentlich freuen müsste: Sie will die Verkehrs-Emissionen bis 2030 um fast 40 Prozent drosseln. Welche Maßnahmen für den Klimaschutz wären sonst noch möglich? Besonders schnell wirken würde ein Tempolimit. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) prüft die Chancen für Tempo 120 auf Autobahnen. Damit lasse sich Klimaschutz im Verkehr auch bei jenen Autos erreichen, die schon auf der Straße seien, sagt DUH-Chef Jürgen Resch. "Wir prüfen, welche juristischen Möglichkeiten wir zur Durchsetzungen haben." Aber auch technisch gibt es noch Ideen, etwa sogenannte E-Fuels, oder synthetische Kraftstoffe, die in Verbrennerautos getankt werden könnten. Die Koalition wollte der Industrie zuliebe niedrigere Grenzwerte durchsetzen. Wieso hat sie sich nicht durchgesetzt? Die Bundesregierung hatte sich früh auf die Seite der Kommission geschlagen, die nur ein Minus um 30 Prozent wollte. Allerdings sind die Interessen in Europa ungleich verteilt: Viele Länder haben keine Autoindustrie, aber viele Autofahrer. Ihr Hauptinteresse liegt in verbrauchsarmen Autos. In anderen Ländern, vor allem in Italien und Frankreich, werden weniger große Autos gebaut als in Deutschland - dort könnten die Auflagen sogar zum Wettbewerbsvorteil werden. "Durch das neue Regelwerk", sagt Autoexperte Fabian Brandt von der Beraterfirma Oliver Wyman, "wird der Wettbewerb für die deutschen Hersteller nochmals ein ganzes Stück härter." | Die Autohersteller müssen nach dem Willen der EU den CO₂-Ausstoß der Fahrzeuge drastisch reduzieren. Da hilft nur eins: mehr Motoren mit Strom. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/co-grenzwerte-der-zwang-zum-e-auto-1.4259019 | CO₂-Grenzwerte - Der Zwang zum E-Auto | 00/12/2018 |
Kuka steht wie kaum ein anderes deutsches Unternehmen für die Fertigung von Robotern. Die Übernahme durch chinesische Investoren versetzte die deutsche Wirtschaft und Politik in Aufruhr. Das Außenwirtschaftsgesetz soll verschärft werden, um sicherheitsrelevante Firmen vor chinesischen Investoren zu schützen. Viel ändern wird sich dadurch nicht. Es gibt eine Reihe von Begriffen, auf die reagieren Politiker, Beschäftigte, Gewerkschafter, Unternehmer und ihre Lobbyisten wie die Pawlow'schen Hunde. Sie fühlen sich gereizt und reagieren auf die erlernte Weise, auch wenn nicht viel passiert ist, wie Pawlows Hunde. Der russische Wissenschaftler hatte um das Jahr 1900 Zwingerhunde so konditioniert, dass sie schon auf die Schritte ihres Herrn mit Speichelfluss reagierten, obwohl noch kein Futter in Sicht war. In der Wirtschaft lösen chinesische Investoren regelmäßig Pawlow'sche Reflexe aus. Jede ihrer Annäherungen an eine deutsche Firma wird argwöhnisch betrachtet. Es gab Übernahmen wie Putzmeister oder Kiekert, die nur wenige aufregten, aber seit sich der chinesische Hausgerätehersteller Midea 2016 an den Augsburger Roboterhersteller Kuka ranmachte, ist Deutschland bestens konditioniert. Die Offerte von Midea versetzte Politik und Wirtschaft in Aufruhr. Der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und der EU-Kommissar Günther Oettinger befürchteten den Ausverkauf deutscher Spitzentechnologie, weil Kuka wie kaum ein anderes deutsches Unternehmen für Roboter stand, ohne die die digitale Fabrik mit ihrer vernetzen Produktion nicht möglich ist. Politiker und Industrielle versuchten, ein Gegenangebot zu orchestrieren. Vergeblich. Den Preis von Midea, 115 Euro pro Aktie, wollte keiner überbieten. Die Trennung von Vorstandschef Till Reuter Ende November, noch nicht einmal zwei Jahre nach dem Vollzug der Übernahme von Kuka durch Midea im Januar 2017, wirkt wie eine Bestätigung aller Ängste vor dem rigiden Einfluss chinesischer Aktionäre: Die neuen Eigentümer schauen eine Weile zu und greifen dann durch. Wer nicht spurt, geht schneller. Solche Ängste kann auch die geplante neuerliche Verschärfung des Außenwirtschaftsgesetzes nicht zerstreuen. Der Entwurf der Novelle soll an diesem Mittwoch vom Kabinett verabschiedet werden. An der generellen "Prüfeintrittsschwelle" von 25 Prozent ändert sich nichts. Nur in besonderen Fällen, wenn es um verteidigungs- oder sicherheitsrelevante Unternehmen geht, wird die Schwelle auf zehn Prozent gesenkt. Als sicherheitsrelevant gelten "kritische Infrastrukturen", Energieversorger, Lebensmittelhersteller ab einer bestimmten Größe, aber auch Medienunternehmen. Die Bundesregierung kann auch weiterhin Übernahmen nur untersagen, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt. Die Eigentümer der Firmen sind mächtiger als jedes Gesetz Gut möglich also, dass die Bundesregierung wegen der niedrigeren Schwelle künftig mehr Übernahmen prüfen wird, ob sie sehr viel mehr verhindern wird, ist fraglich. Eine Übernahme eines deutschen Verlags durch Chinesen würde wohl verboten. Allerdings genießen Medienhäuser, anders als Robotik-Firmen, im Fünfjahresplan der Volksrepublik keine Priorität. Die Übernahme eines Stromnetzes würde dagegen leichter zu untersagen sein. Verhindern konnte sie die Bundesregierung allerdings schon jetzt, wie das Beispiel des Netzbetreibers 50 Hertz zeigte. Statt des Versorgers State Grid Corporation of China übernahm die staatliche KfW-Bank ein Fünftel der Anteile. Hätte ein Außenwirtschaftsgesetz in der geplanten neuen Form die Kuka-Übernahme verhindert? Eher nein. Die Augsburger stellen Roboter her, zu den großen Abnehmern zählen Autohersteller. Die Sicherheitsrelevanz ließe sich wohl kaum ordentlich begründen. Allzu fadenscheinig darf die Begründung nicht sein, wollen es sich die Deutschen mit dem wichtigen Handelspartner China nicht verderben und protektionistische Gegenschläge provozieren. Und, auch das will die Bundesregierung, Deutschland soll ein attraktiver Investitionsstandort bleiben. In einer vernetzten Weltwirtschaft ist es ohnehin schwierig, den Einfluss ausländischer Unternehmen einzudämmen. Er findet häufig viel subtiler statt als über teure Übernahmen. Der Netzwerkausrüster Huawei, undurchsichtig wie viele Konzerne aus China, ist ein gutes Beispiel. Er hat sich als wichtiger Zulieferer der Telekommunikationsunternehmen still und heimlich und ohne eine einzige Übernahme in das deutsche Telekommunikationsnetz eingeschlichen. Mächtiger als jedes Gesetz sind die Käufer von Produkten und Eigentümer von Firmen. Sie entscheiden über Kauf und Verkauf. Wenn sie weniger ihre eigenen Interessen im Blick gehabt hätten, hätten die Eigentümer die Kuka-Übernahme verhindern können. Niemand hat die Familienkonzerne Voith oder Loh gezwungen, ihre Aktien an Midea zu verkaufen. Sie hätten ihre Papiere einfach behalten können. Aber der Reiz des Geldes war wohl größer. | Das Außenwirtschaftsgesetz soll verschärft werden, um sicherheitsrelevante Firmen vor chinesischen Investoren zu schützen. Viel ändern wird sich dadurch nicht. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/kuka-aussenwirtschaftsgesetz-china-1.4256394 | Ein Gesetz hätte die Kuka-Übernahme kaum verhindert | 00/12/2018 |
Neuwagen in der EU müssen bis 2030 deutlich klimafreundlicher werden: Zwischen 2021 und 2030 soll der Kohlendioxid-Ausstoß im Flottendurchschnitt der Hersteller um 37,5 Prozent sinken. Darauf haben sich am Montagabend Vertreter der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission geeinigt. Der Wert von 37,5 Prozent steht am Ende von zähen Verhandlungen und ist ein Kompromiss zwischen der Forderung des Parlaments und dem, was die Mitgliedstaaten ursprünglich zugestehen wollten. Die EU-Staaten hatten 35 Prozent als Ziel ausgegeben, das Parlament hatte 40 Prozent gefordert. Bisher ist in der EU festgelegt, dass Personenwagen im Flottendurchschnitt 2021 nicht mehr als 95 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer ausstoßen sollen. Von dieser Basis aus soll die Senkung erfolgen. Auch leichte Nutzfahrzeuge müssen sauberer werden: Um 31 Prozent soll ihr CO₂-Ausstoß sinken. Für beide Fahrzeugklassen soll mit einer Senkung um 15 Prozent ein erstes Zwischenziel schon 2025 erreicht werden. Die österreichische Verkehrsministerin Elisabeth Köstinger nannte das jetzt erzielte Ergebnis einen "großen Erfolg für den Klimaschutz in Europa". Außerdem haben die Verhandlungsführer vereinbart, dass die Kommission von 2021 an jährlich überwachen soll, ob und wie weit die von den Herstellern gemessenen Emissionen von den tatsächlichen Emissionen abweichen. Autolobby und Klimaschützer kritisieren das Ergebnis Der jetzt erzielte Kompromiss ist deutlich ehrgeiziger, als die deutsche Regierung ursprünglich vorgehabt hatte: Die Bundesregierung hatte sich nur auf ein Ziel von 30 Prozent festlegen wollen. Um die neuen Zielwerte einzuhalten, muss die Autoindustrie stärker als bisher auf die Entwicklung emissionsarmer Fahrzeuge setzen, wie zum Beispiel Elektroautos. Auch für die deutschen Hersteller bedeutet das einen Umbau der Produktion, weswegen Industrievertreter vorab gewarnt hatten, allzu ehrgeizige Emissionsziele könnten Arbeitsplätze gefährden. Das Verhandlungsergebnis setze "scharfe Ziele und schafft zu wenig Impulse für neue Technologien", sagte Bernhard Mattes, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie nach der Entscheidung am Montagabend: "Niemand weiß heute, wie die beschlossenen Grenzwerte in der vorgegebenen Zeit erreicht werden können." Die neuen Zielvorgaben schwächten den Industriestandort Europa. Der europäische Herstellerverband Acea äußerte sich ähnlich. "Eine CO₂-Minderung um 37,5 Prozent zu liefern, mag sich plausibel anhören, aber gemessen am heutigen Stand ist es völlig unrealistisch." Umweltverbänden und Klimaschützern dagegen geht das Ergebnis nicht weit genug: Die neuen Ziele lägen "weit unter dem, was nötig ist, um die Klimaziele der EU für 2030 zu erreichen", heißt es in einer Stellungnahme des Verbandes Transport and Environment (T&E). Der europäische Verbraucherverband BEUC lobte das Ergebnis: Die Entscheidung sei ein "wichtiger Meilenstein, um Autohersteller dazu anzuspornen, Fahrzeuge mit niedrigen Emissionen auf den Markt zu bringen". Die neuen Zielvorgaben sollen dazu beitragen, die EU-weiten Klimaziele zu erreichen. Insgesamt stammt rund ein Viertel aller Klimagase der EU aus dem Verkehr, Autos und Lastwagen haben daran den größten Anteil. | Neuwagen sollen bis 2030 rund 37,5 Prozent weniger Kohlendioxid ausstoßen. Die europäische Einigung verlangt Deutschlands Autobauern mehr ab, als diese erhofft hatten. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/klimawandel-eu-grenzwerte-neuwagen-1.4257778 | Klimawandel - EU verschärft CO₂-Grenzwerte für Neuwagen | 00/12/2018 |
Ein gemeinsamer Finanztopf gegen Arbeitslosigkeit würde den Euroraum in der nächsten Krise kostengünstig stabilisieren. Die von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) vorgeschlagene Vorsorge würde ein Viertel möglicher Lohneinbußen von Arbeitslosen auffangen. Das zeigt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Deutschland müsste zwei Milliarden Euro im Jahr zahlen, hätte aber selbst schon Geld kassiert. Bei Finanz- und Währungskrisen geraten oft mehrere Länder in Bedrängnis und stecken sich mit ihren Problemen gegenseitig an. In den Jahren ab 2009 stieg die Arbeitslosigkeit im Euro-Raum von zwölf auf 19 Millionen Menschen, die Euro-Länder gerieten in bitteren Streit. Nach Scholz' Modell sollen sie künftig einen Finanztopf für Länder füllen, die einen Konjunkturschock mit deutlich mehr Arbeitslosen erleiden. Die Studie belegt, dass mit diesem Modell zwischen 2000 und 2016 insgesamt 40 Milliarden Euro geflossen wären. Durch einen solchen Fonds müssen Krisenstaaten weder das Arbeitslosengeld kürzen noch die Beiträge erhöhen, was die Konjunktur stützt. Die Forscher betonen, dass es sich nicht um dauerhafte Transfers zwischen Ländern mit niedriger und hoher Arbeitslosigkeit handelt, sondern um Hilfe bei Schocks. Außerdem muss das Geld binnen fünf Jahren zurückgezahlt werden. Das Vorhaben ist Teil des deutsch-französischen Kompromisspapiers für Reformen der Währungsunion vom Sommer. Mehrere nordeuropäische Staaten lehnen es ab, ebenso Unionspolitiker. Der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Eckhardt Rehberg, hatte erklärt, dass es dafür "keine Mehrheit im Deutschen Bundestags" gebe. In der Ressortabstimmung hatten Kanzleramt und Wirtschaftsministerium ihr Veto eingelegt. Allerdings erteilten die Euro-Finanzminister einen Prüfauftrag. "Ich gehe davon aus, dass die Union dieses Ergebnis mitträgt", sagt nun Cansel Kiziltepe, stellvertretende finanzpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Neben anderen als solide geltenden Euro-Staaten wie Finnland und Österreich hätte auch die Bundesrepublik schon direkt vom Fonds profitiert. Als 2003 die Arbeitslosigkeit rasch stieg, hätte Deutschland 2,5 Milliarden Euro erhalten. "Zwischen 2000 und 2016 wäre kein Land permanenter Nettozahler gewesen", so Christian Kastrop von der Bertelsmann-Stiftung. Um die Akzeptanz zu erhöhen, hat Scholz das Modell auf Kredite konzentriert, die Krisenstaaten zurückzahlen müssen, sobald es ihnen besser geht. Die Studie zeigt, dass der Fonds doppelt so viel helfen würde, wenn das Geld in Form von Zuschüssen fließen würde. Dann würden sogar die Hälfte der Einkommensverluste von Arbeitslosen kompensiert. Kritik kommt vom Wirtschaftsweisen Peter Bofinger: "Man braucht einen solchen Arbeitslosenfonds nicht. Die Staaten können sich Geld am Kapitalmarkt leihen. Und wenn das nicht geht, beim Stabilitätsmechanismus ESM. Der ökonomische Nutzen ist im Vergleich zu den politischen Kosten gering." | Der von Finanzminister Scholz vorgeschlagene europäische Finanztopf würde Deutschland pro Jahr zwei Milliarden Euro kosten. Doch er käme auch den Bundesbürgern zugute. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/scholz-europa-arbeitslosenversicherung-1.4256599 | Europa - Scholz schlägt Finanztopf für Arbeitslose vor | 00/12/2018 |
Wenn Banken in die Staatskasse greifen, kann es lange dauern bis zum ersten Prozess. Bald zehn Jahre ist es her, dass die Behörden dem größten Steuerskandal in Deutschland auf die Spur kamen. Am 16. September 2009 beschloss das Finanzamt Wiesbaden II, sich eine kleine Firma mit riesigen Aktiengeschäften genauer anzuschauen. Die Steuerprüfer entdeckten nach und nach, wie Banken, Börsenhändler und spezialisierte Anwälte den Fiskus systematisch ausgenommen hatten. Inzwischen ermitteln zahlreiche Finanzämter und mehrere Staatsanwaltschaften in mehr als 400 Verdachtsfällen gegen einige Dutzend Geldinstitute und deren Kompagnons; es geht um einen Schaden von mehr als fünf Milliarden Euro. Verurteilt worden ist bisher niemand - aber das soll sich im kommenden Jahr rasch ändern. Die Staatsanwaltschaft Köln plant eine Anklage wegen Steuerhinterziehung in besonders schweren Fällen gegen zwei frühere Bankmanager und Börsenhändler, die beide aus dem Ausland stammen. Gegen die beiden soll dann am Landgericht Bonn auch schnell verhandelt werden. Vielleicht wird daraus noch etwas bis zum zehnten Jahrestag der ersten Behördenaktion in diesem Skandal, der mit dem Kürzel Cum-Ex berühmt geworden ist. Die beiden Beschuldigten haben in mehreren Dutzend Vernehmungen bei der Kölner Staatsanwaltschaft umfangreich ausgesagt und ausgepackt. Sie wollen sich dem Verfahren stellen und einen Prozess nicht hinauszögern, sie hoffen, als Kronzeugen nicht ins Gefängnis zu müssen. Absprachen zwischen Verteidigung, Staatsanwaltschaft und Gericht gibt es nach inoffiziellen Angaben aus dem Kreise von Verfahrensbeteiligten aber nicht. Offiziell mag sich im Vorfeld der geplanten Anklage niemand äußern. Die SZ kennt die Namen der Beschuldigten, nennt sie aber nicht, um die Ermittlungen nicht zu erschweren. In diesem Fall soll das ganze System dargelegt werden, das könnte viele Monate dauern Nun werden sie wohl Protagonisten in einem Musterprozess. Beim Handel von Aktien vor (Cum) und nach (Ex) dem Dividendenstichtag ließen sich die Beteiligten nach Erkenntnissen der Behörden eine nur einmal gezahlte Steuer auf Dividendenerlöse mehrmals erstatten. Steuerdiebstahl sozusagen, über viele Jahre hinweg, bis die Bundesregierung ein lange bestehendes Steuerschlupfloch 2012 angeblich geschlossen hatte - wobei es inzwischen konkrete Hinweise auf neue Schlupflöcher gibt. Die beiden Beschuldigten, die in Bonn vor Gericht kommen sollen, sind zwei von insgesamt sechs Kronzeugen der Staatsanwaltschaft Köln. Die sechs, fast alle von ihnen ehemalige Banker und Börsenhändler, sagten umfassend aus, weil der Druck der Ermittler zu groß geworden ist. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt hat vor knapp 15 Monaten, mit Datum vom 27. September 2017, bereits eine erste Anklage beim Landgericht Wiesbaden vorgelegt. In diesem Fall geht es um die Hypo-Vereinsbank (HVB), die den von ihr verursachten Schaden inzwischen gutgemacht hat. Doch das Landgericht Wiesbaden kommt aus mehreren Gründen nicht so recht voran. Einer der Hauptbeschuldigten dort, der als Mister Cum-Ex bekannte Steueranwalt Hanno Berger, der sich für unschuldig hält, zieht alle juristischen Register, um einen Prozess zu verhindern. Nun sieht es so aus, als überholten die Staatsanwaltschaft Köln und das Landgericht Bonn das Verfahren in Wiesbaden. Ein möglicher Strafprozess soll monatelang dauern, nahezu alle Kronzeugen sollen aussagen. Nicht nur die beiden Beschuldigten, die nach Stand der Dinge auf der Anklagebank sitzen werden. Bei Beschuldigten, die reinen Tisch machen, läuft es vor Gericht oft so: Geständnis, keine große Beweisaufnahme, zwei, drei Verhandlungstage, schnelles Urteil. Doch in dieser Causa soll das ganze Cum-Ex-System ausgebreitet werden. Mit all den Namen von angeblich oder wirklich beteiligten Banken von HVB bis JP Morgan; darunter die halbe City of London und die halbe Wall Street. Mit all den heimlichen Absprachen, mit denen internationale Großbanken und abgezockte Händler Aktienpakete im Wert von vielen Milliarden Euro hin- und herschoben, um sich mutmaßlich Steuerbescheinigungen zu erschleichen. JP Morgan und viele andere Banken wollen sich auf Anfragen nicht äußern. Wer in Deutschland Kapitalertragsteuern auf Dividenden zahlt, kann sie mit anderen Abgaben verrechnen. Und wer mehr an den deutschen Staat gezahlt hat, als er das nach geltendem Recht musste, bekommt die Differenz erstattet. Das ist auch für Investoren im Ausland wichtig, die ihre Gewinne auch beim dortigen Fiskus versteuern. Bei den heimlichen Cum-Ex-Absprachen ging es darum, mit kaum zu durchschauenden Geschäften Schwachstellen in diesem System auszunutzen. Die Ermittler glauben beweisen zu können, dass diverse Banken bei zahlreichen Aktiendeals mehrere Bescheinigungen für eine nur einmal gezahlte Kapitalertragsteuer auf Dividendenerlöse ausgestellt haben. Bescheinigungen, mit denen sich die Cum-Ex-Partner mehr Steuern erstatten ließen, als sie zuvor gezahlt hatten. Die Gewinne teilten sie unter sich auf. Die Richter in Bonn kennen sich mit Cum-Ex-Deals aus, sie konnten sich schon einlesen Den Richtern am Landgericht Bonn wird man dazu nicht mehr alles von vorn erklären müssen. Die Kölner Staatsanwaltschaft schickte im März einen mehr als 60-seitigen Vermerk über die Kernaussagen von Kronzeugen an das Landgericht, dazu viele Tausend Seiten Ermittlungsakten. Die Bonner Richter haben sich schon einlesen können. Bonn ist zuständig, weil dort das Bundeszentralamt für Steuern sitzt, das Auslandsgeschäfte mit Aktien abrechnet - dort hatten die Cum-Ex-Akteure besonders viele nunmehr verdächtige Steuerbescheinigungen eingereicht. Die Taktik der Strafverfolger ist offensichtlich: Ein Musterprozess und ein Musterurteil sollen her, um vor allem den Banken deutlich zu machen, wie der Staat sich wehrt. Und um den Boden zu bereiten für weitere Gerichtsverfahren, in denen die Staatsanwaltschaft Köln und ihre ebenso hartnäckig ermittelnden Kollegen in Frankfurt und München etliche Beteiligte für Jahre ins Gefängnis bringen wollen. Manche Beschuldigte und deren Anwälte verweisen darauf, dass der Staat Cum-Ex-Geschäfte wissentlich hingenommen und somit erlaubt habe. Das wäre dann für die Akteure so etwas wie ein Verbotsirrtum gewesen. Abzuwarten bleibt, wie sich die beiden Beschuldigten einlassen, gegen die der Bonner Prozess laufen soll. Ob sie nicht nur schildern, was wie gelaufen ist, sondern auch ein Geständnis im juristischen Sinne ablegen - oder sich auf einen Verbotsirrtum berufen. Klar ist aber: Kommt es wie geplant zu diesem Verfahren, dann steht einer der bedeutendsten Wirtschaftsprozesse der deutschen Geschichte bevor. | In Deutschlands größtem Steuerskandal soll es nächstes Jahr zum ersten Strafverfahren kommen. Es geht um Wertpapierbetrug in Milliardenhöhe. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/cum-ex-steuerskandal-1.4256390 | Cum-Ex-Skandal: Kronzeugen kommen vor Gericht | 00/12/2018 |