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Die Bundesregierung will künftig häufiger mitreden können, wenn Investoren von außerhalb der Europäischen Union deutsche Firmen kaufen wollen. Und zwar dann, wenn es für die Sicherheit des Landes relevant ist. Detailansicht öffnen Roboterbau bei Kuka. Das Unternehmen ist in chinesischer Hand - ein Sicherheitsrisiko für Deutschland? (Foto: Krisztian Bocsi/Bloomberg) Der Krimi spielte sich hinter den Kulissen ab, er ging bis hinauf ins Wirtschaftsministerium. Ende Mai hatte der staatliche chinesische Stromnetzbetreiber State Grid (SGCC) seinen zweiten Anlauf gestartet, einen 20-Prozent-Anteil am ostdeutschen Netzbetreiber 50 Hertz zu übernehmen. Die Vorverträge waren schon unterzeichnet, da suchte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) den Kontakt zum belgischen Netzbetreiber Elia, dem das Paket einst gehörte. Elia hatte ein Vorkaufsrecht für die Anteile - und zog es auch. Ende August wanderten die Anteile an die deutsche Staatsbank KfW. "Die Bundesregierung hat aus sicherheitspolitischen Erwägungen ein hohes Interesse am Schutz des deutschen Übertragungsnetzes", stellte das Ministerium später klar. Und das geht künftig einfacher. Diesen Mittwoch soll eine Reform der Außenwirtschaftsverordnung das Kabinett passieren, nach einer monatelangen Befassung zwischen den Ministerien. Damit kann die Bundesregierung in Zukunft leichter eingreifen, wenn eine Firma von außerhalb der EU nach einem deutschen Unternehmen greift - jedenfalls, wenn es sich um sensible Bereiche handelt, wie etwa verteidigungsrelevante Unternehmen, um kritische Infrastrukturen wie Stromnetze und Kommunikations-Dienstleistungen. Auch Lebensmittelhersteller und Medienunternehmen sollen ihrer strategischen Bedeutung wegen eingehend geprüft werden. Schon nach dem Einstieg der chinesischen Midea beim Roboterbauer Kuka 2016 hatte der Bund die Verordnung verschärft. Die Wirtschaft ist nicht glücklich mit der Novelle Doch beim geplanten Einstieg ins ostdeutsche Stromnetz hatte State Grid die Vorgaben geschickt umschifft. Zweimal hatte die Staatsfirma sich um Aktienpakete bemüht, die die australische Investmentfirma IFM verkaufen wollte. Beide umfassten je 20 Prozent der Anteile - und lagen so unter der bisherigen Prüfschwelle von 25 Prozent. Nur über den Elia-KfW-Umweg konnte der Bund das Geschäft vereiteln. Das soll sich ändern. Denn mit der Novelle soll die "Prüfeintrittsschwelle" bei sicherheits- oder verteidigungsrelevanten Übernahmen auf zehn Prozent abgesenkt werden. Als erstes hatte darüber das Handelsblatt berichtet. Das Wirtschaftsministerium verweist darauf, dass die OECD, in der sich die Industriestaaten zusammengeschlossen haben, schon ab zehn Prozent einen bestimmenden Einfluss für möglich hält. Versagen kann der Bund eine Übernahme allerdings nur, wenn die Prüfung tatsächlich eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ergibt. Die Wirtschaft allerdings ist nicht glücklich mit der Novelle. "Es ist nachvollziehbar, wenn die Bundesregierung kritische Infrastrukturen schützen will", sagt Friedolin Strack, Abteilungsleiter internationale Märkte beim Industrieverband BDI. . Es gebe aber darüber hinaus die Neigung, auch auf den Verkauf von Technologien Einfluss zu nehmen. Dafür aber sei die Außenwirtschaftsverordnung, die auf sicherheitspolitische Belange abzielt, das falsche Instrument. Wenn es darum gehe, strategische Übernahmen durch ausländische Staatskonzerne zu verhindern, sei das Wettbewerbsrecht der richtige Ort, sagt Strack. "Da brauchen wir eher so etwas wie eine Antisubventionsprüfung." Auch dem FDP-Wirtschaftsexperten Reinhard Houben geht die Überarbeitung der Verordnung zu weit. So sei niemandem zu erklären, warum eine ausländische Beteiligung an einem Lebensmittelhersteller die Sicherheit der Bundesrepublik gefährdet, wenn sie zehn Prozent übersteigt. "Dem deutschen Einsatz für den globalen Freihandel erweist der Bundeswirtschaftsminister so einen Bärendienst." | Die Bundesregierung will künftig häufiger mitreden können, wenn Investoren von außerhalb der Europäischen Union deutsche Firmen kaufen wollen. Und zwar dann, wenn es für die Sicherheit des Landes relevant ist. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/wettbewerb-die-schwelle-zum-nein-1.4256425 | Wettbewerb - Die Schwelle zum Nein | 00/12/2018 |
Den Puls der Europäischen Zentralbank fühlt man am besten im Intranet. Dort gibt es für die 3500 Mitarbeiter ein Forum, in dem die Belegschaft geschützt und anonym Luft ablassen kann. Ein Thema bewegte die Gemüter in den vergangenen Wochen besonders stark. Viele Mitarbeiter erzählten erregt, wie leicht es doch sei, bei der Bewerbung um einen Job bei der EZB zu betrügen. Das liege vor allem daran, weil die Kandidaten den wichtigen Eingangstest ohne jegliche Kontrolle online zu Hause machen dürften. "Ich kenne Leute, die haben zur Pizza-Party geladen und die Fragen zusammen mit sechs Leuten auf einem großen Bildschirm im Wohnzimmer beantwortet", schrieb einer, der das unkontrollierte Auswahlverfahren als "Schande" bezeichnete. Ein anderer Angestellter wusste, dass die Lösungen dieser immer gleichen psychometrischen Tests in bestimmten Internet-Foren problemlos zu erhalten seien. Die Jobs bei der Europäischen Zentralbank sind sehr begehrt. Das Aufgabengebiet in Geldpolitik und Bankenaufsicht ist anspruchsvoll, die Bezahlung attraktiv, und die Kollegen aus vielen anderen EU-Staaten geben dem Arbeitsplatz ein elitäres Flair von Internationalität. Da überrascht es nicht, dass sich mitunter Hunderte Bewerber um eine Stelle streiten. Naheliegend also, dass die Personalabteilung früh aussieben möchte. Also beauftragte man dafür im Jahr 2014 einen externen Dienstleister, bei dem EZB-Bewerber einen umfassenden Fragenkatalog beantworten mussten. Das Ergebnis entschied über die Eignung des Bewerbers. Doch leider sprachen sich die Fragen und Antworten dieses Tests im Lauf der Zeit herum. Beim Betriebsrat gab es schon vor zwei Jahren Zweifel an dem Verfahren. Die Arbeitnehmervertreter informierten die Personalabteilung und die Chefinnen der EZB-Bankenaufsicht, Danièle Nouy und Sabine Lautenschläger. Doch nichts passierte. Erst vor einigen Tagen, nachdem der Ärger im Intranet riesig geworden war, reagierte die Notenbank auf den jüngsten Bewerbungsprozess. "Die EZB hat einige der Testergebnisse annulliert, nachdem Unregelmäßigkeiten ans Licht gekommen sind", teilte die EZB auf Anfrage der SZ mit. "Die EZB bedauert die Konsequenz für Kandidaten, die den Test in gutem Glauben gemacht haben." Die Angelegenheit ist brisant, weil die Personalabteilung den umstrittenen Auswahlprozess so lange hat laufen lassen. In vielen Kandidatenkreisen war die Kontrolllücke ein offenes Geheimnis. Einige nutzten das wohl aus. Sie bewarben sich online unter anderem Namen auf die Stelle, um unter falscher Identität die Testfragen zu erfahren. Dann besorgte man sich die Antworten. Im Intranet heißt es, die Tests seien zumindest in den vergangenen zwölf Monaten stets identisch gewesen. Mit dem Wissensvorsprung bewarb man sich dann erneut unter richtigem Namen und hatte so gute Chancen die erste Hürde zu nehmen. Später folgen stets weitere Tests und ein Bewerbungsgespräch, in dem schlechte Kandidaten ausscheiden. Das Problem war nur: Geeignete "ehrliche" Bewerber erreichten gar nicht in die zweite Runde, weil die unehrlichen Kandidaten alle richtigen Antworten zum Test kannten. Manche Bewerber kamen in Gewissenskonflikte. Sie mussten befürchten, dass die eigene Ehrlichkeit den Weg auf die Shortlist verbauen könnte. Wenn sich ein Bewerber allerdings die Lösungen vorab beschafft hatte, dann wusste er, dass er die ethischen Standards seines künftigen Arbeitgebers verraten würde. "Ein fairer Rekrutierungsprozess und Leistung sind Grundpfeiler für die Legitimität unserer Institution", sagte Emmanuel Larue, Präsident der Gewerkschaft bei der Notenbank, IPSO. "Betriebsräte hatten die EZB über die Risiken des Betrugs im Bewerbungsprozess informiert. Jetzt bezahlt die Notenbank den Preis dafür, nicht hingehört zu haben." Nun hat die Personalabteilung versprochen, man suche für die psychometrischen Eingangstests einen neuen externen Anbieter mit "besseren Sicherheitsvorkehrungen." | Wer sich in den vergangenen Jahren bei der EZB beworben hat, konnte recht einfach mogeln. Ehrliche Bewerber hingegen standen vor einem Dilemma. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ezb-bewerbungen-test-1.4256392 | Bewerben bei der EZB - Jahrelang die gleichen Fragen im Jobtest | 00/12/2018 |
Die EU hat sich auf deutlich schärfere Kohlendioxid (CO₂)-Grenzwerte für neue Autos bis 2030 geeinigt. EU-Kommission, das Europäische Parlament und die Mitgliedsländer verständigten sich vorläufig in einem Vermittlungsverfahren. Neuwagen sollen bis 2030 rund 37,5 Prozent weniger CO₂ ausstoßen, für leichte Nutzfahrzeuge wurde eine CO₂-Reduktion um 31 Prozent vereinbart. Für beide Fahrzeugklassen soll bis 2025 eine Minderung um 15 Prozent als Zwischenetappe erreicht sein. Die Einigung ist eine Überraschung, da vorherige Kompromissversuche gescheitert waren. Die Positionen lagen auseinander: Die EU-Länder forderten eine Senkung der CO₂-Grenzwerte um 35 Prozent für Neuwagen im Jahr 2030. Auch Deutschland trug das Ziel mit, obwohl die Bundesregierung eigentlich nur eine Minderung von 30 Prozent wollte. Das Europaparlament wollte 40 Prozent. Die EU-Kommission gab mit dem Vorschlag einer Reduktion um 30 Prozent vor gut einem Jahr den Startschuss für das Tauziehen um die schärferen Grenzwerte. Die Vorgaben sollen helfen, die Klimaziele der Europäischen Union insgesamt zu erreichen und die Emissionen aus dem Straßenverkehr zu drücken. Die Entscheidung ist für die Autoindustrie von großer Bedeutung. Zu schaffen sind die neuen Zielwerte nur, wenn Hersteller neben Diesel und Benzinern immer mehr Fahrzeuge ohne Emissionen verkaufen - also zum Beispiel reine Elektroautos. Nur so können sie ihren Schnitt insgesamt erreichen. Dafür müssen sie aber ihre Produktion umbauen. Die Bundesregierung befürchtet Jobverluste, falls der Umstieg auf neue Antriebe zu schnell vollzogen wird. Befürworter strenger Werte meinen dagegen, so könnten europäische Autobauer in der Konkurrenz zu China bestehen und neue Jobs schaffen. Bisher ist in der EU festgelegt, dass Neuwagen im Flottendurchschnitt 2021 nicht mehr als 95 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer ausstoßen sollen. Von dieser Basis aus soll die Senkung folgen. Doch ist die aktuelle Vorgabe für viele Hersteller noch nicht in Reichweite: Der europäische Durchschnitt lag zuletzt bei 118,5 Gramm. Insgesamt stammt rund ein Viertel aller Klimagase der EU aus dem Verkehr, Autos und Lastwagen haben daran den größten Anteil. | Ab 2030 sollen Neuwagen 37,5 Prozent weniger CO₂ ausstoßen. Die Einigung kommt überraschend, zuvor lagen Mitgliedsländer und EU-Parlament noch deutlich auseinander. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/co2-grenzwerte-autos-eu-1.4257773 | EU einigt sich auf schärfere CO2-Grenzwerte für Autos | 00/12/2018 |
Jeder kann heute Influencer sein. Hippe Kulissen locken Menschen, damit die Fotos auf Instagram auch nach etwas aussehen - zum Beispiel in Pop-up-Museen. Und Sponsoren sind gleich mit dabei. Lässig lehnt sich die junge Frau über die Flugzeugsitzbank. Alles, was sie umgibt, ist pink: die Sitze, die Flugzeugkabine, die Wolken hinter dem Fenster, die Kamera, mit der ihre Freundin sie ablichtet. Was nach einem süßen Teenietraum klingt, wird im Supercandy-Pop-up-Museum in Köln-Ehrenfeld zur Realität. Denn dies ist kein normales Museum: Die 1200 Quadratmeter große Halle ist eine riesige Fotokulisse. Besucher können hier an 20 bunten Stationen Bilder für Social-Media-Plattformen wie Instagram oder Snapchat schießen - im pinken Flugzeug, im Gummibärchen-Raum oder im Lakritz-Bällebad. In Zeiten, in denen man als Influencer genug zum Leben verdienen kann, wollen auch Amateure ihren Vorbildern nacheifern und das möglichst perfekte, Instagram-taugliche Foto aufnehmen. Ein gutes Bild zu machen, ist allerdings trotz guter Smartphone-Kamera und Farbfiltern leichter gesagt als getan: Mal stimmen das Wetter und die Lichtverhältnisse nicht, mal ist die eigene Wohnung nicht aufgeräumt oder aus anderen Gründen nicht vorzeigbar. Die sogenannten Pop-up-Museen bieten für jeden ideale Lichtverhältnisse und hippe Kulissen. 95 Prozent der Besucher des Supercandy-Pop-up-Museums sind weiblich, sagt Frank Karch. Er ist der Geschäftsführer der Ausstellung. 2016 erfuhr er das erste Mal von den Pop-up-Museen in den USA. Dort gibt es diese Form der Ausstellung bereits seit Jahren: In New York City und San Francisco lädt derzeit die Candytopia zum zuckersüßen Vergnügen ein, in Los Angeles gibt es das Museum of Ice Cream oder ab nächstem Jahr das Egg House. Die Idee faszinierte Karch, weshalb er beschloss, den Trend nach Deutschland zu bringen. Der Eintritt in sein Museum kostet stolze 29 Euro. Um den Besuch perfekt zu machen, gibt es Schminkspiegel und Umkleidekabinen. Viele der Besucherinnen brächten mehrere Outfits für die Bilder mit, einige sogar ganze Koffer, sagt Karch. Unternehmen sponsern die Veranstalter. Und nutzen die Räume dann für Werbung Jeder, so scheint es, möchte heute Influencer sein. Im Juni dieses Jahres hat Instagram die Marke von einer Milliarde aktiven Nutzern weltweit geknackt. In Deutschland sind mehr als 15 Millionen Menschen auf Instagram aktiv. "Der Anspruch an Instagram-Bilder hat sich gewandelt", sagt Anne Höweler, Expertin für Influencer-Marketing und CEO der Marketing-Agentur Cover Communications. "Im Namen Instagram steckt ja erst mal das Wort instant, also sofort. Anfangs sollte Instagram eine Plattform sein, auf der man Schnappschüsse hochladen kann." Inzwischen gehe es aber fast ausschließlich darum, sich selbst zu inszenieren - auf Hochglanzbildern. Insofern sind Selfie-Museen nach Ansicht von Höweler für alle Social-Media-Nutzer interessant. Influencer, die es sich leisten können, mieten sich ohnehin meist lieber individuelle Kulissen. Auch Geschäftsführer Karch betont: "Popularität und Selbstdarstellung wird durch die Digitalisierung ja sozusagen demokratisiert." In den Pop-up-Museen habe nun jeder die Möglichkeit, sich in den Candy-Kulissen von seiner Schokoladenseite zu zeigen. Oft werden die Museen von verschiedenen Firmen gesponsert, die Bereiche der Museen gestalten dürfen. "Das ist für die Unternehmen eine sehr interessante Form der Werbung, die sich sehr schnell verbreiten kann", erklärt Anne Höweler. Dabei gehe es weniger um das Präsentieren konkreter Produkte als um Markenpräsenz. Durch das Bewegen in der Kulisse und das Fotografieren entstehe eine Beziehung der Besucher zu den Marken. Und durch die Postings auf Instagram erhielten die Unternehmen zusätzliche Aufmerksamkeit. Auch für das Supercandy-Pop-up-Museum hat Karch Sponsoren gewonnen: den Süßwarenkonzern Haribo, den Eisproduzenten Kissyo und die Fotomarke Instax. Der Trend der Pop-up-Museen hat dieses Jahr Europa erreicht: Von Mai bis September gab es das Sweet-Art-Museum in Lissabon, in London entsteht gerade die Selfie Factory. In den USA ist die Entwicklung sogar noch einen Schritt weiter: Dort gibt es Immobilien, die ganzjährig geöffnet haben und ausschließlich als Kulisse für Instagrammer dienen. Dabei zahlen nicht nur die Besucher, sondern auch Einrichtungshäuser, um ihre Produkte dort zu positionieren. Die Werbeagentur Village Marketing hat sich auf Influencer-Marketing spezialisiert und ein Apartment für Foto-Shootings hergerichtet. Die Wohnung kann für umgerechnet circa 13 000 Euro monatlich gebucht werden. Dass es solche Dauer-Kulissen irgendwann auch in Deutschland geben wird, bezweifelt Influencer-Expertin Anne Höweler: "In den USA funktioniert die sogenannte magazinhafte Bildsprache deutlich besser." Dort sei es nicht so schlimm, wenn die präsentierte Wohnung nicht die eigene sei. In Deutschland dagegen sei für Influencer besonders wichtig, glaubwürdig und authentisch zu sein. Influencer, die auf ihre Followerschaft nahbar und echt wirkten, hätten meist eine deutlich höhere Quote an verkauften Produkten pro Bild. Zeitdruck wirkt: Eine kurze Ausstellungsdauer lockt mehr Besucher an Die meisten Selfie-Museen sind als temporäre Ausstellungen angelegt. Das zielt auf ein weiteres Phänomen in der jungen Generation ab, sagt Marketing-Expertin Höweler: die "Fear of Missing out", also die Angst, etwas zu verpassen. So könne eine kurze Ausstellungsdauer ein zusätzlicher Anreiz für einen Besuch sein. 10 000 Tickets hat Frank Karch für seine Ausstellung bereits verkauft. Eigentlich war sie bis Ende Dezember angesetzt, nun wird sie wegen des großen Interesses bis Februar verlängert. Köln ist der erste Standort. Im Frühjahr soll die Ausstellung noch durch andere Städte touren, sagt Karch. Welche das sein werden, sei allerdings noch nicht klar. Eines steht aber schon fest: Das Candy-Haus in Ehrenfeld, ehemals eine Druckerei, soll nach Ausstellungsende im Februar abgerissen werden - dagegen hilft auch der neue rosafarbene Anstrich nichts. | Jeder kann heute Influencer sein. Hippe Kulissen locken Menschen, damit die Fotos auf Instagram auch nach etwas aussehen - zum Beispiel in Pop-up-Museen. Und Sponsoren sind gleich mit dabei. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/instagram-schaut-her-hier-ist-alles-in-pink-1.4256423 | Schaut her, hier ist alles in pink | 00/12/2018 |
Die steigende Neuverschuldung Frankreichs ist bei den Anlegern am Anleihenmarkt nicht gut angekommen. Sie trennten sich am Montag von den Papieren des Landes, die Rendite der zehnjährigen Titel stieg im Gegenzug auf 0,74 Prozent. Der Risikoaufschlag zu der vergleichbaren Bundesanleihe notierte mit 0,48 Prozentpunkten in der Nähe eines vergangene Woche erreichten 18-Monats-Hochs. "Der Fokus am Anleihenmarkt liegt jetzt verstärkt auf Frankreich", sagte Marktstratege Cyril Regnat von der Bank Natixis. Anleihe-Investoren blickten bislang auf Italien, das wegen seiner Schuldenpläne im Clinch mit der EU-Kommission liegt. Frankreichs Regierung machte zuletzt aber Zugeständnisse für höhere Sozialausgaben nach wochenlangen Protesten gegen die Steuer- und Reformpolitik von Präsident Macron. Der französische Ministerpräsident Philippe sagte der Zeitung Les Echos, die Neuverschuldung seines Landes werde 2019 wohl bei rund 3,2 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen. Erlaubt sind in der Europäischen Union drei Prozent. Die Haushaltspläne des mexikanischen Präsidenten Obrador erfreuten die Investoren am Devisenmarkt. Sie deckten sich mit der Währung des Landes ein, der Dollar verbilligte sich im Gegenzug um ein Prozent auf 20,06 Peso. Nach den Plänen seien Staatsausgaben und Neuverschuldung geringer als erwartet, erklärten Analysten der Citi-Group. Das werde die Ratingagenturen zunächst davon abhalten, an den Bonitätsnoten Mexikos zu rütteln. Obrador ist seit erstem Dezember im Amt. Er hatte im Wahlkampf versprochen, mit den etablierten Parteien zu brechen, soziale Ungleichheit zu verringern, höhere Löhne und bessere Sozialleistungen zu bezahlen. Die Kritik von US-Präsident Donald Trump an der erwarteten Zinserhöhung der Notenbank Federal Reserve erhöhte den Druck auf den Dollar. Der Euro zog entsprechend einen halben US-Cent bis auf 1,1358 Dollar an. | Die Zugeständnisse der Macron-Regierung in Paris für höhere Sozialausgaben treiben die Neuverschuldung Frankreichs weiter nach oben. Anleihen des Landes werden daher verstärkt verkauft. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/anleihen-und-devisen-verschuldung-macht-anleger-nervoes-1.4256375 | Anleihen und Devisen - Verschuldung macht Anleger nervös | 00/12/2018 |
Die Furcht vor einem Konjunktureinbruch drückt nach wie vor die Stimmung der Anleger an den Börsen. Die Papiere des Onlinehändlers Zalando stehen wegen einer Gewinnwarnung im Fokus. Aus Furcht vor einer Abkühlung der Konjunktur trennten sich die Anleger an den europäischen Börsen erneut von ihren Aktien. Der Dax gab 0,9 Prozent auf 10 772 Punkte nach. Die Hoffnung auf Konjunkturhilfen der chinesischen Regierung verhinderten allerdings größere Verluste. Die Regierung in Peking will das Wachstum der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft 2019 "in einer vernünftigen Spanne" halten. Dies sei nur durch höhere Staatsausgaben und eine lockere Geldpolitik zu erreichen, sagte Anlagestratege Wang Shenshen vom Research-Haus Tokai Tokyo. Außerdem wuchs wegen der anstehenden geldpolitischen Beratungen der US-Notenbank Fed an diesem Dienstag und Mittwoch die Anspannung. Bei den Unternehmen sorgte eine Gewinnwarnung des britischen Online-Modehändlers Asos für Unruhe. Die Firma kassierte ihre Wachstumsziele für das Geschäftsjahr 2018/2019. Die Aktien fielen daraufhin um mehr als 40 Prozent. Die hierzulande im M-Dax notierten Papiere des Asos-Konkurrenten Zalando gerieten in den Abwärtsstrudel und stürzten zeitweise um knapp 18 Prozent ab. Die Titel von Innogy fielen 1,2 Prozent. Nach der Absage des britischen Versorgers SSE an eine Vertriebsfusion mit der Innogy-Sparte Npower kappte der deutsche Energiekonzern teilweise seine Jahresziele. Im Dax litt die Eon-Aktie mit minus 2,9 Prozent wegen der vor einiger Zeit mit RWE beschlossenen Neuaufteilung der Innogy-Geschäftsfelder. Dadurch geht der Vertriebsbereich von Innogy an Eon über. Kursverluste von Einzelhändlern und Krankenversicherern bescherten an der Wall Street dem Dow Jones ein Minus von 2,1 Prozent. Die Gewinnwarnung von Asos warf auch hier die Frage auf, wie stark das Weihnachtsgeschäft des Einzelhandels ausfallen werde. Mit einem Kursrutsch von 4,5 Prozent waren Amazon-Aktien besonders betroffen. Titel des Krankenversicherers United-Health gaben 2,6 Prozent nach. Auslöser war, dass ein Richter in Texas die Gesundheitsreform Obamacare als nicht verfassungskonform eingestuft hatte, weil damit Bürger zum Abschluss einer Krankenversicherung gezwungen würden. Wegen des Berichts über mit Asbest verseuchtes Babypuder verloren Johnson & Johnson drei Prozent. Offenbar wusste der Penaten-Babypflege-Hersteller schon seit Jahrzehnten von der Existenz des gesundheitsschädlichen Inhaltsstoffes in seinen Pudern. | Die Furcht vor einem Konjunktureinbruch drückt nach wie vor die Stimmung der Anleger an den Börsen. Die Papiere des Onlinehändlers Zalando stehen wegen einer Gewinnwarnung im Fokus. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/aktien-dax-und-dow-jones-erneut-mit-verlusten-1.4256377 | Dax und Dow Jones erneut mit Verlusten | 00/12/2018 |
Die Gewerkschaft Verdi nutzt im seit Jahren schwelenden Tarifstreit bei Amazon erneut das Weihnachtsgeschäft, um Druck auf den Online-Versandhändler zu machen. Verdi rief eine Woche vor dem Fest die Beschäftigten in zwei Logistik-Zentren zum Streik auf. Mitarbeiter des Zentrums im nordrhein-westfälischen Werne sollen bis Dienstag die Arbeit niederlegen, teilte die Gewerkschaft am Montag mit. In Leipzig sollen die Proteste bis Weihnachten andauern. "Wir sind gut auf Weihnachten vorbereitet", erklärte dagegen Amazon: "Die Kunden müssen sich keine Sorgen um Ihre Geschenke machen." "Wir haben Amazon immer wieder Zeit gelassen, auf unsere Forderung nach Tarifverhandlungen zu reagieren", begründete Verdi-Vertreter Thomas Schneider in Leipzig die Proteste. Dass Amazon diese Verhandlungen ablehne, sei eine "Provokation". "Wir werden sehen, ob das Versprechen an die Kunden, bis zum Weihnachtsabend alle Sendung pünktlich auszuliefern, haltbar ist." Die Proteste entstünden dezentral und spontan in den Verteilzentren, sagte ein Verdi-Sprecher. Es sei möglich, dass es auch an anderen Standorten zu Ausständen komme. Der Tarifkonflikt bei Amazon dauert hierzulande bereits seit 2013 an. Verdi fordert für die Mitarbeiter in den deutschen Amazon-Versandzentren tarifliche Regelungen, wie sie im Einzel- und Versandhandel üblich sind. Amazon nimmt indes Vereinbarungen der Logistikbranche als Maßstab, in der weniger bezahlt wird. Darüber hinaus geht es Verdi zunehmend auch um den hohen Druck, immer mehr in immer kürzerer Zeit zu schaffen. Der US-Konzern betont immer wieder, das Unternehmen sei auch ohne Tarifvertrag ein "verantwortungsvoller Arbeitgeber". | In Werne sollen die Proteste bis Dienstag gehen, in Leipzig gar bis Weihnachten. Den Kunden sollen sie nicht schaden. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/amazon-verdi-ruft-wieder-zum-streik-auf-1.4257096 | Verdi ruft wieder zum Streik auf | 00/12/2018 |
Wer sein Depot noch in diesem Jahr anpassen will, sollte sich sputen. Denn die Feiertage fallen 2018 auf Wochentage, was die Handelszeiten einschränkt. Anleger, die ihre Investments zum Jahresende noch neu ordnen möchten oder auch einzelne Titel abstoßen oder zukaufen wollen, sollten einen genauen Blick auf den Kalender werfen. Denn die Feiertage fallen 2018 alle auf Wochentage, was die Handelszeiten einschränkt. Wer auf Börsenplätze in Deutschland angewiesen ist, sollte seine Order spätestens am kommenden Freitag früh abgeben oder sich für den 27. und 28. Dezember Zeit nehmen, um die wichtigsten Aufträge im Online-Banking noch fürs alte Jahr zu platzieren. Wer auf einen persönlichen Kundenberater angewiesen ist für Transaktionen, die noch vor dem Jahresende geplant sind, sollte diesen zeitnah kontaktieren - oder gleich bis ins neue Jahr warten. Praktisch fest steht: Eine Jahresendrally, welche die bisherigen Kursverluste in Europa wieder vollständig aufholt oder gar überkompensiert, wird es wohl 2018 am Aktienmarkt nicht mehr geben. Der Dax liegt im Vergleich zu Anfang Januar mit mehr als 16 Prozent im Minus, der Euro-Stoxx-50 hat rund 13 Prozent verloren. Tabellarische Jahresvergleiche zu den Aktien-, Anleihen- und Rohstoffmärkten erscheinen im Kursteil der SZ am Samstag, den 29. Dezember. | Wer sein Depot noch in diesem Jahr anpassen will, sollte sich sputen. Denn die Feiertage fallen 2018 auf Wochentage, was die Handelszeiten einschränkt. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/geldanlage-endspurt-an-den-boersen-1.4256429 | Endspurt an den Börsen | 00/12/2018 |
Aktionäre des Versorgers Innogy müssen sich auf eine niedrigere Dividende im nächsten Jahr einstellen. Man werde 2018 etwa 100 Millionen Euro weniger Gewinn erwirtschaften als ursprünglich prognostiziert, teilt das M-Dax-Unternehmen mit. Wenn Innogy die bisherige Ausschüttungsquote beibehält, wäre eine Dividende von 1,60 Euro je Aktie wie in diesem Jahr demnach "nicht darstellbar". Anlass der Ankündigung ist, dass der Versorger sein verlustreiches Geschäft in Großbritannien vorerst doch nicht abspalten wird. Ein Jahr lang haben Innogy und der britische Konkurrent SSE darüber verhandelt, ihr Strom- und Gasgeschäft auf der Insel zusammenzulegen. Jetzt ist die Fusion geplatzt, weil sich die Partner nicht auf die Finanzierung ihres Unternehmens verständigt haben. "Leider konnten wir keine Einigung erzielen, die für beide Seiten akzeptabel war", sagt Innogy-Vertriebschef Martin Herrmann. Man prüfe nun Alternativen für das britische Geschäft. Die Probleme in Großbritannien sind ein Rückschlag in der kurzen, aber wechselvollen Geschichte von Innogy. Der Mutterkonzern RWE hat sein Geschäft mit Strom- und Gaskunden, Netzen und Ökostrom im Jahr 2016 in die eigenständige Firma ausgelagert und teilweise an die Börse gebracht. Viele Investoren hatten Interesse, Innogy startete zu 36 Euro je Anteilsschein. Doch musste die junge Firma vor einem Jahr schon einmal ihre Gewinnprognose senken, auch wegen der Verluste in Großbritannien. Damals brach die Innogy-Aktie um knapp 20 Prozent ein, Vorstandschef Peter Terium musste gehen, in Essen kursierten Übernahmegerüchte. Tatsächlich hat RWE Anfang dieses Jahres - hinter dem Rücken des Innogy-Vorstands - die Zerschlagung der Tochterfirma ausgehandelt: Der Rivale Eon wird das Netz- und Vertriebsgeschäft übernehmen; im Gegenzug gehen die Ökostromkraftwerke von Innogy und Eon an den RWE-Konzern, der zum reinen Erzeuger wird. Ob dieses milliardenschweren Tauschs ist der Innogy-Kurs wieder gestiegen, auf zuletzt gut 41 Euro. Für Aktionäre ist die Abspaltung der RWE-Tochter mithin ein Erfolg, trotz der Probleme in Großbritannien. Die Versorger auf der Insel stehen in scharfen Wettbewerb; der Staat reguliert den Energiemarkt stark. Innogy musste den Wert der Tochter Npower, die gut 2,6 Millionen Stromkunden zählt, um knapp eine halbe Milliarde Euro nach unten korrigieren. Sollte die Firma keine andere Lösung finden, würde das Vertriebsgeschäft in Großbritannien 2019 an Eon übergehen. Die Eon-Aktien verloren am Montag zeitweise drei Prozent, Innogy-Titel ebenso. Während Eon-Papiere seit Jahresanfang stark schwanken, gehören Innogy-Aktien mit plus 23 Prozent seit Januar zu den wenigen größeren Gewinnern im Aktienjahr. | Innogy wird das verlustreiche Großbritannien-Geschäft nicht los. Es drohen niedrigere Dividenden. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/versorger-fusion-geplatzt-1.4256373 | Fusion geplatzt | 00/12/2018 |
In der Korruptionsaffäre um den Staatsfonds 1MDB hat Malaysia die US-Investmentbank Goldman Sachs angeklagt. Zudem sollen sich zwei ehemalige Mitarbeiter der Bank, ein ehemaliger 1MDB-Mitarbeiter und ein malaysischer Investor wegen des Verstoßes gegen das malaysische Wertpapierrecht vor Gericht verantworten, wie Generalstaatsanwalt Tommy Thomas mitteilte. Malaysia fordert Schadenersatz in Milliardenhöhe. Der inzwischen abgewählte malaysische Ministerpräsident Najib Razak hatte 1MDB 2009 zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung aufgelegt. Das US-Justizministerium mutmaßt, dass hochrangige Fonds-Mitarbeiter und ihre Partner mehr als 4,5 Milliarden Dollar aus dem Fonds veruntreuten. Najibs Rolle in dem Skandal war eine der Hauptgründe für seine Abwahl. Bei einer Hausdurchsuchung im Mai fand die Polizei unter anderem umgerechnet fast 25 Millionen Euro in bar, 567 Luxus-Handtaschen sowie 423 Luxusuhren. Der ehemalige Regierungschef wurde der Korruption angeklagt. Er hat die Vorwürfe bestritten. Goldman Sachs hatte drei Anleiheemissionen von 1MDB im Gesamtvolumen von 6,5 Milliarden Dollar begleitet und kassierte dafür 600 Millionen Dollar an Gebühren. Laut Thomas wurden aus den Anleiheerlösen 2,7 Milliarden Dollar veruntreut. Die Staatsanwaltschaft werde von den Beschuldigten Schadenersatz fordern, der "deutlich" über den angeblich veruntreuten 2,7 Milliarden Dollar und den 600 Millionen Dollar an Gebühren liege. | Der Staat Malaysia verklagt die amerikanische Investmentbank Goldman Sachs auf Schadenersatz in Milliardenhöhe. In dem Fall geht es um dubiose Machenschaften bei dem Staatsfonds 1MDB. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/goldman-sachs-vorwurf-der-veruntreuung-1.4256417 | Vorwurf der Veruntreuung | 00/12/2018 |
Im Kampf gegen steigende Mieten und Wohnungspreise gab es laut Baubranche auch in diesem Jahr nicht genug Neubau. "Wir dürften im laufenden Jahr rund 300 000 Wohnungen erstellen", sagte Reinhard Quast, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes, am Montag in Berlin. Im vergangenen Jahr waren knapp 285 000 Wohnungen fertiggestellt worden. Im nächsten Jahr werde die Zahl auf 315 000 bis 320 000 steigen, sagte Quast. Union und SPD hatten im Koalitionsvertrag vereinbart, bis 2021 rund 1,5 Millionen neue Wohnungen zu schaffen. Gleichmäßig aufs Jahr gerechnet entspräche das 375 000 Wohnungen. Notwendig sind aus Sicht der Baubranche weitere steuerliche Erleichterungen, mehr günstiges Bauland und Typenhäuser, die nur einmal entwickelt und genehmigt werden müssen, aber vielfach gebaut werden können. Für Bauherren wird es unterdessen immer teurer. Nach einem Plus von 3,6 Prozent im Vorjahr kostete Bauen in diesem Jahr weitere 4,5 Prozent mehr, wie der Präsident des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, Peter Hübner, sagte. Darin spiegelt sich die hohe Nachfrage: Wohnungen gelten angesichts niedriger Zinsen als gute Geldanlage, die Wirtschaft sowie Bund und Länder investieren nach Branchenangaben wieder stärker in neue Gebäude, Straßen und Bahnschienen. Die Auftragsbücher der Baufirmen sind so voll wie nie. Mit einem Wert von 47,6 Milliarden Euro lag der Auftragsbestand im September um 14 Prozent über dem starken Vorjahreswert. In einigen Orten ist es für Bauwillige schwierig, ein Unternehmen zu finden, wie Hübner zugestand. Firmen wählten auch stärker aus, für welche Ausschreibungen sie Angebote abgeben. Hübner wies aber Vermutungen zurück, die Bauunternehmen nutzten die hohe Nachfrage aus, um ihre Gewinne zu maximieren. Baustoffe wie etwa Betonstahl und Bitumen für Straßen seien deutlich teurer geworden, sagte Hübner. "Man braucht nicht zu glauben, dass die steigenden Preise direkt die Margen der Bauunternehmen bedienen." Die Firmen seien endlich wieder in der Lage, ihre Risiken angemessen zu bepreisen. Um mehr bauen zu können, stellen die Firmen weiter ein. 20 000 neue Bauleute ließen die Mitarbeiterzahl in diesem Jahr auf 832 000 steigen, nächstes Jahr erwarten die Firmen weitere 18 000 neue Kollegen. | Die Zahl der Fertigstellungen steigt, aber auch die Kosten und Preise gehen in die Höhe. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/immobilien-mehr-wohnungen-gebaut-1.4257098 | Mehr Wohnungen gebaut | 00/12/2018 |
Ein Abend in Paris, Anfang 2018. Der Champagner fließt in Strömen, und auf der Bühne werden Köche gefeiert wie Superstars. Stets etwas abseits des Trubels: Jean-Dominique Senard. Der Schlaks im grauen Anzug überragt alle - und wirkt doch verloren. Glanz und Glamour sind seine Sache nicht. Dabei ist er der Gastgeber bei der Verleihung der begehrten Michelin-Sterne für Spitzenköche. Senards Kerngeschäft als Michelin-Chef sind aber nun einmal nicht Haute Cuisine und Hummer-Häppchen - sondern Reifen. Für Autos, Lastwagen, Baumaschinen. Das ist nicht glamourös, aber grundsolide. Wie Senard. | Während der Renault-Chef in Haft sitzt, wird in Paris ein Nachfolger gesucht. Beste Chancen hat der Chef des Reifenherstellers Michelin. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/renault-der-mann-nach-ghosn-1.4256926 | Der Mann nach Ghosn | 00/12/2018 |
Ist Stahl in Europa tot? Andreas Goss sagt: "Stahl lebt", zumal der Stoff in so vielen Produkten stecke. Optimismus kann der Oberpfälzer in seinem neuen Job gut gebrauchen. Andreas Goss ist einer, der für sein Produkt und für seine Leute werben kann. "Wir sind überall, wir verfolgen Sie", sagte der Chef der Thyssenkrupp-Stahlsparte kürzlich: Egal ob in Armbanduhren oder Getränkedosen, in Möbeln oder Windrädern, überall stecke der Werkstoff drin. "Wir wollen Signale senden, dass Stahl eben nicht stirbt", sagte Goss in einer Rede, als sein Konzern eine CO₂-sparende Technologie am Werk in Duisburg einweihte. "Das Gegenteil ist der Fall: Stahl lebt. It's alive and kicking." Gesund und munter. | Ist Stahl in Europa tot? Andreas Goss sagt: "Stahl lebt", zumal der Stoff in so vielen Produkten stecke. Optimismus kann der Oberpfälzer in seinem neuen Job gut gebrauchen. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/nahaufnahme-wenn-der-stahl-lebt-1.4256396 | Wenn der Stahl lebt | 00/12/2018 |
Der Schweizer Lebensmittelkonzern Nestlé streicht Hunderte Stellen in Deutschland. Nach monatelangen Verhandlungen mit Gewerkschaften und Betriebsräten habe man die Bedingungen für den Abbau von 380 Jobs beschlossen, teilte Nestlé Deutschland am Montag in Frankfurt mit. Das traditionsreiche Caro-Werk in Ludwigsburg bei Stuttgart und ein Lebensmittellabor werden geschlossen, zwei weitere Werke umstrukturiert. In Ludwigsburg sind rund 100 Mitarbeiter von dem Stellenabbau betroffen. Ferner gebe es für das Labor in Weiding mit 85 Beschäftigten keine wirtschaftliche Perspektive, auch weil es in unmittelbarer Nähe kein Nestlé-Werk gebe. Darüber hinaus sollten die Standorte im nordrhein-westfälischen Lüdinghausen und im bayerischen Biessenhofen, in denen Nestlé Maggi beziehungsweise Babynahrung produziert, 2019 neu aufgestellt werden. Man wolle die Kosten in deutschen Werken senken, hieß es. Auch sei die Produktion von Maggi in Lüdinghausen in den vergangenen Jahren "angesichts veränderter Ernährungs- und Konsumgewohnheiten" deutlich geschrumpft. Das Unternehmen bietet nun teils Angebote zu Altersteilzeit sowie besondere Abfindungen für ältere Mitarbeiter, wie es hieß. In Ludwigsburg und Weiding erhielten zwei Drittel der Beschäftigten betriebsbedingte Kündigungen. Es sei ein "außergewöhnlich gut ausgestatteter Sozialplan" ausgehandelt worden, sagte Ralf Hengels, Personalvorstand von Nestlé Deutschland. Betroffene Mitarbeiter könnten Anfang Februar in eine Transfergesellschaft wechseln. Auf Betriebsversammlungen vor Ort werde es Details, etwa zu Abfindungen, Weiterbildungen und Altersteilzeit, geben. Nestlé hatte das Aus für das Caro-Werk in Ludwigsburg im Sommer angekündigt. Der Konzern leidet darunter, dass die Nachfrage nach Caro, einem aus Getreide hergestellten Ersatzkaffee, sinkt. Das Werk in Luwigsburg sei bei Weitem nicht ausgelastet, teilte Nestlé weiter mit. Caro-Kaffee werde künftig in Portugal produziert. Bisher wurde er ausschließlich in Ludwigsburg hergestellt. Das Werk geht zurück auf eine Kaffeemanufaktur aus dem Jahr 1828, wo der Kolonialwarenhändler Johann Heinrich Franck als Erster im großen Stil den Landkaffee herstellte. Er mischte Gerste, Malz und Roggen mit der Zichorie-Pflanze. Die Marke Caro gibt es seit 1954. Nestlé vertreibt das Getränk seit 1971 weltweit, teils unter anderem Namen. | Die Marken Caro-Kaffee und Maggi verkaufen sich zunehmend schlechter, stellt der Schweizer Lebensmittelkonzern fest. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/nestle-hunderte-stellen-fallen-weg-1.4256421 | Hunderte Stellen fallen weg | 00/12/2018 |
Wenn in 50 Jahren ein Großvater seinem Enkel eine Geschichte erzählen will, die für den Knirps wirklich unglaublich klingen soll, dann könnte sich das so anhören: "Früher habe ich mir ein Auto der Marke BMW oder Mercedes gekauft. Wenn ich damit in die Stadt fuhr, stand ich lange im Stau. Und fürs Abstellen im Parkhaus musste ich dann viel Geld bezahlen." Der Enkel wird große Augen machen und fragen: "Was ist ein Stau? Was ist ein Parkhaus?" Dann wird er ungläubig den Kopf schütteln und den Großvater verspotten: "Wie kann man so irre sein und sich ein eigenes Auto kaufen?" Dann werden beide lachen. Und falls sich der Enkel gut mit Autos auskennt, könnte er auch noch fragen: "Sind BMW und Mercedes diese Firmen aus Süddeutschland, die für den Shuttle-Service die Fahrgestelle liefern und das Blech biegen?" Ja, wird der Großvater antworten, "die waren mal riesig und weltbekannt und sehr reich." Dann wird das gescheite Kerlchen aufspringen und sagen: "So wie Bosch und Continental heute?" Es muss, wohlgemerkt, nicht so kommen. Aber es könnte. Der Stuttgarter Technologie-Konzern Bosch will im Januar auf der Elektronikmesse CES in Las Vegas ein Konzeptfahrzeug vorstellen, das ein Vorbote sein könnte für eine komplett andere Auto-Welt. In dieser Welt sind die Menschen in den Innenstädten überwiegend in Minibussen unterwegs, die elektrisch betrieben, autonom gesteuert und per App geordert werden. Mehrere Mitfahrer können unabhängig voneinander ein- und aussteigen. In dieser Welt sind die bisherigen Auto-Zulieferer die mächtigen Unternehmen, weil sie alle wichtigen Bestandteile wie Sensoren, Halbleiter, Antrieb und Software selbst herstellen. Nur Komponenten wie Kunststoff- oder Blech-Verkleidung, Chassis und Sitze lassen sie sich von den bisherigen Autoherstellern liefern. PS und Design sind dann als Statussymbol nicht mehr wichtig, jedenfalls nicht für Bewohner der Städte. Klingt unrealistisch? Tatsache ist, dass die großen Zulieferer schon länger an ihrer Emanzipation arbeiten. Und sie sind inzwischen so weit, dass sie demnächst vielleicht mehr erreichen als nur ihre Gleichberechtigung mit den bisher übermächtigen Autoherstellern. Neben Bosch und Continental hat auch ZF Friedrichshafen - völlig unabhängig von den Herstellern - ein Vehikel entwickelt, das bald ganz autonom durch die Straßen kurven soll. Der neue Bosch-Minibus hat vier Sitze und bietet dem Fahrgast ein Komplettangebot inklusive Infotainment. "Bosch entwickelt ein weltweit einzigartiges Paket aus Hardware, Software und Mobilitätsdiensten für die Shuttle-Mobilität der Zukunft", sagt Bosch-Manager Markus Heyn. Das sind ungewohnt markige Töne für den ansonsten eher zurückhaltenden schwäbischen Stiftungs-Konzern. Das Selbstbewusstsein ist nicht ganz unbegründet. Denn als größter Auto-Zulieferer der Welt liefert Bosch fast alles, was so ein fahrerloser E-Minibus braucht: den elektrischen Achsantrieb, die 360-Grad-Rundum-Sensoren, die Mikroprozessoren, die App-Plattform, auf der die Passagiere ihre Fahrten bestellen und abrechnen können. Und demnächst auch: die künstliche Intelligenz. "Ohne digitale Services von Bosch wird in Zukunft kein Fahrzeug mehr unterwegs sein", tönt Heyn. Detailansicht öffnen Die Serie "Unterwegs in die Zukunft. Leben ohne eigenes Auto" ist im SZ-Wirtschaftsteil zwischen 15. Dezember 2018 und 2. Februar 2019 erschienen. Was für eine Ansage. Wer Bosch bisher nur als Hersteller von Bohr- und Waschmaschinen wahrgenommen hat, mag das gar als Größenwahn empfinden. Doch was viele nicht wissen: Bosch gilt längst als Weltmarktführer bei der Produktion sowohl von Sensoren als auch von Kfz-Halbleitern. In jedem neue Auto der Welt sind im Durchschnitt neun Bosch-Chips verbaut. Und es werden immer mehr - nicht nur wegen der zunehmend leistungsfähigeren Fahrassistenz-Systeme. "Der Hunger an Halbleitern ist enorm", sagt Dirk Hoheisel, der in der Bosch-Geschäftsführung unter anderem die Auto-Elektronik verantwortet. "Wir erwarten zehn Prozent Wachstum pro Jahr." Die zwei Prozessoren-Fabriken in Reutlingen seien inzwischen voll ausgelastet, deshalb baut Bosch derzeit für eine Milliarde Euro ein weiteres Werk in Dresden, das Ende 2019 in Betrieb gehen soll. Es ist die größte Einzelinvestition in der 132-jährigen Firmengeschichte. 700 Mitarbeiter werden dort von Beginn an tätig sein. Und weitere werden folgen. "Wir werden früher oder später auch eine Entwicklung in Dresden hochziehen", verrät Hoheisel. "Diese wird nach und nach eine dreistellige Mitarbeiter-Zahl erreichen." Zudem gebe es in Dresden die Möglichkeit, den Standort noch weiter auszubauen. Auch bei Radar-, Video-, Ultraschall und Laser-Sensoren für Autos ist Bosch gut im Geschäft. Sogar direkte Konkurrenten im Wettbewerb um das erste Roboterauto kaufen in Stuttgart ein. Die Sensoren sind so etwas wie die Augen des Autos, die Halbleiter entsprechen den Nervenzellen und Synapsen. Und damit das Auto eines Tages ganz allein fahren kann, bastelt Bosch am letzten fehlenden Element: dem Hirn. An einer künstlichen Intelligenz, die alle Daten der diversen Sinnesorgane mit den Signalen der GPS-Satelliten und den gespeicherten Landkarten verknüpft und eine Millisekunde später selbständig entscheidet: Bremsen oder Gas geben? Geradeaus fahren oder abbiegen? In der Fahrzeugentwicklung geht es um Software - nicht um Hardware Wer als erstes ein solches Hirn bauen kann, das auch im Dunkeln oder bei tief stehender Sonne keine Fehler macht, der darf sich auf große Umsätze und Gewinne freuen. Weil die jungen Großstadtbewohner keinen Wert mehr auf ein eigenes Auto legen, das ohnehin die meiste Zeit ungenutzt herumstehen würde, prophezeit die Unternehmensberatung Roland Berger eine stark wachsende Nachfrage nach autonomen Mitfahr-Minibussen. Es entsteht das neue Fahrzeugsegment "Shuttle". Allein in Europa, in den USA und in China sollen schon im Jahr 2020 etwa eine Million solcher Busse unterwegs sein, bis 2025 sogar 2,5 Millionen. Und spätestens ab 2025 sollen die Wagen ganz ohne Fahrer auskommen, prophezeit Berger. Es ist ein Milliardenmarkt, in den Bosch neben vielen anderen Herstellern, Zulieferern, Tech-Konzernen und Start-ups drängt. Wer am Ende siegt, wird sich wohl an der Frage der künstlichen Intelligenz (KI) entscheiden. Hier gelten die Firmen aus den USA und China derzeit als weltweit führend, während die deutschen noch hinterherhinken. Aber Bosch-Konzernchef Volkmar Denner gibt sich nicht geschlagen: "Unser Ziel ist es, in der künstlichen Intelligenz weltweit führend zu werden." KI sei eine "Schlüsseltechnologie, um aus unseren Produkten intelligente Assistenten zu machen", sagte Denner jüngst bei der Bosch-KI-Konferenz "AICon" auf dem Forschungscampus in Renningen. Detailansicht öffnen Das neue Shuttle-Konzeptfahrzeug will Bosch Anfang Januar auf der CES in Las Vegas vorstellen. (Foto: oh) Nach der Eröffnung entschwand Denner nicht sogleich zum nächsten Termin. Sondern blieb, um den Referaten zu lauschen und sich mit jungen Forschern auszutauschen. Das zeigt, wie wichtig dem promovierten Physiker das Thema ist. Erst 2017 hat er das Bosch Center for Artificial Intelligence (BCAI) gegründet. Die meisten der 170 Mitarbeiter forschen in Renningen bei Stuttgart, einige von ihnen sitzen in Pittsburgh, Sunnyvale (beide USA) und Bangalore (Indien). Ein fünfter Standort in China wird schon geplant, bald soll das BCAI 400 Mitarbeiter haben. "Lieber Geld verlieren als Reputation." Denner treibt seit Jahren den Wandel seines Konzerns vom reinen Hardware-Produzenten zum Software-Haus voran. Weil die Zeit der Zündkerzen und Diesel-Einspritzpumpen zu Ende geht, beschäftigt sich inzwischen ein Drittel aller Entwickler im Auto-Bereich mit Software. Das sind 18 000 Menschen. Wie viele davon an KI basteln, verrät Denner nicht, aber der Anteil dürfte stetig größer werden. Bosch hat es mit mächtigen Konkurrenten zu tun. Das Unternehmen gehört einer dem Gemeinwohl verpflichteten Stiftung und kämpft gegen Hightech-Konzerne aus den USA und gegen chinesische Staatsunternehmen, die über nahezu unbegrenzte Finanzmittel verfügen und in Ethik-Fragen wenig Vorbehalte kennen. Die Schwaben dagegen berufen sich auf den Leitspruch ihres Firmengründers Robert Bosch: "Lieber Geld verlieren als Reputation." Dennoch sehen sich die Stuttgarter auf der Suche nach den besten Talenten der KI-Welt gut gerüstet. "Unsere Algorithmen kommen als Ergebnis in konkreten Produkten auf den Markt, im Auto oder in der Küche", sagt Michael Bolle, der neue Technikgeschäftsführer von Bosch. "Das ist unser entscheidender Vorteil." Besonders stolz ist Bolle auf ein weiteres Projekt, mit dem das Unternehmen ebenfalls neue Wege geht: Im Mai 2019 wird Bosch voraussichtlich ein Gerät ins Weltall schicken. Das Sensorsystem Soundsee soll auf der internationalen Raumstation ISS eingesetzt werden. Die sogenannte Astrobiene (englisch Astrobee) wird autonom durch das Raumschiff fliegen und über Sensoren alle Geräusche aufnehmen, die dann von künstlicher Intelligenz analysiert werden. Sobald ein Teil der ISS schwächelt und ausgetauscht werden muss, schlägt das Roboterhirn made in Schwaben Alarm. So könnte die Weltraumbiene künftig verhindern, dass in der Raumstation etwas kaputtgeht oder gar das Leben der Besatzung gefährdet wird. "So ein spannendes Projekt zieht viele junge Menschen an", sagt Bolle. Nicht viele Software-Ingenieure hätten die Chance, für die Raumfahrt zu programmieren. Klingt gut, aber dies allein wird wohl nicht genügen, um das Tauziehen um die besten KI-Experten der Welt gegen namhaftere und reichere Konzerne wie Google, Amazon oder Baidu zu gewinnen. Deshalb braucht es weitere Initiativen, um die besten Köpfe zu locken und dann auch zu halten. | Der selbstfahrende Mini-Bus soll zu einem wichtigen Transportmittel in der Stadt werden. Der Zulieferer Bosch attackiert mit seinem "Roboter-Shuttle" das Geschäft der klassischen Autohersteller. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/bosch-vier-sitze-fuer-die-zukunft-1.4256398 | Vier Sitze für die Zukunft | 00/12/2018 |
Als Ulrich Spiesshofer, 54, vor nun schon fünf Jahren zum neuen Vorstandsvorsitzenden von ABB ernannt wurde, da hatte der Deutsche vielleicht andere Vorstellungen von dem Job. Es war seitdem zumindest keine einfache Zeit für ihn. Die ABB-Aktie läuft nicht gut, in diesem Jahr hat sie ziemlich an Wert verloren, das Geschäft mit den großen Energieunternehmen ist sehr schwierig, was auch Konkurrenten wie Siemens oder General Electric (GE) feststellen mussten. Spiesshofer musste sparen - und kam noch zusätzlich unter Druck. Denn der schwedische Investor Cevian beteiligte sich an ABB und mischt sich seitdem in die Arbeit Spiesshofers ein. | Der Schweizer Mischkonzern gibt ein Viertel seines Geschäfts auf, auch auf Druck von Finanzinvestoren. Nun setzt er auf die digitale Fabrik. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/abb-nicht-alles-ist-perfekt-gelaufen-1.4256917 | "ABB - ""Nicht alles ist perfekt gelaufen""" | 00/12/2018 |
Verwirrung um das Engagement des Emirats Katar bei der Deutschen Bank: Während Medien am Montag Yousuf Mohamed Al-Jaida, den Chef des Qatar Financial Centre (QFC), mit den Worten zitierten, Katar werde in Kürze "in Deutschland in eine große Finanzinstitution investieren", distanzierte sich das QFC wenig später von dieser Darstellung. Eine Sprecherin des komplett dem Staat gehörenden Finanzzentrums in der katarischen Hauptstadt Doha erklärte schriftlich, der Bericht der Zeitung basiere "ausschließlich auf unbegründeten Annahmen und nicht auf Fakten oder einer direkten Stellungnahme". Die Deutsche Bank selbst wollte sich weder zu dem Bericht noch der QFC-Stellungnahme äußern. Katar ist bereits seit rund vier Jahren an der Deutschen Bank beteiligt. Die Herrscherfamilie Al-Thani hält in zwei Paketen rund sechs Prozent der Anteile des größten deutschen Kreditinstituts. Zudem kontrolliert sie über hochkomplexe Derivatekonstruktionen weitere Anteile, deren genaue Höhe unbekannt ist und schwankt. Einem Insider zufolge liegt der gesamte Anteil der Al-Thanis bei knapp unter zehn Prozent. Dem Insider zufolge will die Herrscherfamilie so verhindern, dass sie sich einem Inhaberkontrollverfahren der Aufsicht stellen muss, das ab einer Beteiligung von zehn Prozent greifen würde. Denkbar wäre deshalb, dass eine Aufstockung des Anteils an der Deutschen Bank über ein anderes Investmentvehikel, zum Beispiel über den Staatsfonds Qatar Investment Authority, erfolgt. Das Handelsblatt hatte QFC-Chef Al-Jaida mit den Worten zitiert, das Engagement der Katarer sei am Wochenende "am Rande des Doha-Forums besprochen" worden. An der Konferenz hatte Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing als einziger Top-Manager eines deutschen Konzerns teilgenommen. | Das Emirat weist Spekulationen zurück, wonach es weitere Anteile an Deutschlands größtem Finanzinstitut erwirbt. Das Land ist derzeit mit weniger als zehn Prozent an dem Geldhaus beteiligt - aus guten Gründen. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/deutsche-bank-dementi-von-katar-1.4256427 | Dementi von Katar | 00/12/2018 |
"Künstliche Intelligenz ist wichtiger als die Erfindung von Feuer und Elektrizität", sagte Google-Chef Sundar Pichai Mitte des Jahres. Inzwischen habe auch Bundesregierung und EU-Kommission das Potenzial des maschinellen Lernens erkannt - und den Rückstand der europäischen Unternehmen gegenüber den Konzernen aus den USA und China, die mit viel Schwung, viel Geld und wenig Skrupeln vorangeprescht sind. Anfang Dezember hat die Bundesregierung einen Digitalgipfel in Nürnberg veranstaltet, bei dem Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und einige Minister auftraten. Doch die Reaktionen aus der Wirtschaft sind zurückhaltend, die Manager wünschen sich ein entschlosseneres Vorgehen der Politik. Immerhin nimmt die Regierung nun Geld in die Hand, damit Deutschland nicht zum KI-Entwicklungsland wird. Im Rahmen ihrer sogenannten "KI-Strategie" fördert sie Forscher, Firmen und Start-ups mit drei Milliarden Euro und richtet 100 neue Professoren-Stellen ein. Das klingt gut, ist aber wenig. Zum Vergleich: Allein Audi will in den kommenden vier Jahren 14 Milliarden Euro für Digitalisierung und autonomes Fahren ausgeben. So hält sich die Begeisterung für das Vorgehen der Regierung in Grenzen. "Das ist ein wichtiger erster Schritt", sagt Boschs Technik-Geschäftsführer Michael Bolle, aber jetzt komme es "vor allem auf die schnelle Umsetzung" an. "Dabei darf es keine Gießkannenförderung geben", fordert Bolle. Bundesweit solle es "fünf bis acht große, wirkliche Exzellenz-Zentren" geben, um an vorderster Front an KI zu forschen. Bernhard Schölkopf, Professor vom Tübinger Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme, sieht das ähnlich: 100 neue Professuren seien zwar gut für die Anwendung in der Breite, aber die internationalen Toptalente hole das nicht ins Land. Um weltweit wirklich sichtbar zu sein, sollten eher einige wenige Elite-Zentren eingerichtet werden, die dann auch besser ausgestattet sind. Wie etwa das sogenannte "Cyber Valley" in Baden-Württemberg. Dieses wurde 2016 von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik ins Leben gerufen. Ziel: Rund um die Universität Tübingen und den Industrie-Standort Stuttgart soll ein "Ökosystem" entstehen, das wissenschaftliche Erkenntnisse schnellstmöglich in konkrete Produkte überführt. Da hapert es in Deutschland bisher am meisten; Die Grundlagen-Forschung ist weltweit zwar führend, aber deren Erkenntnisse schaffen zu selten den Sprung zur Industrialisierung. So war es einst beim MP3-Format - in Deutschland entwickelt, aber erst dann in den USA hat diese Innovation viel Geld gebracht. Damit so etwas nicht in der KI passiert, schlägt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) einen Zusammenschluss europäischer KI-Firmen vor. Altmaier: "Ein einzelnes europäisches Unternehmen - und sei es noch so groß - wird gegen die großen amerikanischen Akteure allein nicht ankommen." Doch bis heute ist keine Kooperation nach dem Vorbild des Flugzeugbauers Airbus in Sicht. Auch die EU-Kommission hat eine KI-Arbeitsgruppe, die über Flaggschiffprojekte diskutiert. Bosch sitzt teilweise mit am Tisch, aber Geschäftsführer Bolle äußert sich sehr zurückhaltend. Er wäre schon zufrieden, wenn die Bundesregierung die Infrastruktur auf den neuesten Stand brächte: "Der Breitbandausbau muss in den nächsten zwei, drei Jahren passieren", fordert er. Nach dem Digitalgipfel habe er zwar den Eindruck, Berlin habe das "verstanden". Aber, so Bolle: "Ob es auch konkret umgesetzt wird, damit wir international wettbewerbsfähige Cluster sehen, wird sich zeigen." | Was sich die deutschen KI-Experten von den Politikern in Berlin wünschen - und was eher nicht. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/kuenstliche-intelligenz-gaspedal-her-giesskanne-weg-1.4256400 | Gaspedal her, Gießkanne weg | 00/12/2018 |
Frankreich musste mehr neue Schulden machen als erwartet. Das liegt auch an der Bundesregierung: Sie rivalisiert mit dem Nachbarland statt gemeinsam am Erfolg der EU zu arbeiten. Um nullkommazwei Prozentpunkte wird der französische Haushalt 2019 voraussichtlich über der erlaubten europäischen Neuverschuldungsgrenze liegen. Eine Winzigkeit, möchte man meinen; kein Anlass für ein großes Drama. Doch wer so kalkuliert, liegt falsch. Dass Frankreich entgegen allen Ankündigungen mehr neue Schulden machen muss als vorgesehen, ist eine niederschmetternde Nachricht. Für das Land selbst. Aber ebenso für Deutschland. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU ist erneut daran gescheitert, wirtschaftlich zu Deutschland aufzuschließen. Statt dass sich der Abstand verringert zwischen der französischen Wirtschaft und dem Exportweltmeister, der seit Jahren ohne neue Schulden auskommt, wächst er weiter. Die nullkommazwei Prozentpunkte über dem Limit sind deshalb nicht bloß eine Rechengröße. Sie sind das Symbol, dass das gemeinsame Vorhaben, die Lebensverhältnisse innerhalb des Euro-Gebietes einander anzugleichen, auf dem besten Weg ist, krachend zu scheitern. Wer jetzt mit Häme über den geschrumpften Sonnenkönig Emmanuel Macron oder mit Vorwürfen wegen eines Regelverstoßes reagiert, verkennt den Ernst der Lage. Das französische Defizit hält der Bundesregierung den Spiegel vor. Zu sehen sind keine europäischen Partner, sondern nationale Konkurrenten. Die deutsche Mitverantwortung an der Misere in Paris spiegelt sich in Zahlen wider Die alte und die neue große Koalition in Berlin weigerten sich, die ausgestreckte Hand des französischen Präsidenten zu ergreifen. Angela Merkel, Wolfgang Schäuble und Olaf Scholz lobten Macron für den Plan, das Defizit unter die erlaubten drei Prozent der Wirtschaftsleistung zu drücken. Die Bitte des Franzosen, dies als Vertrauensbeweis zu sehen und gemeinsam die Euro-Zone zu reformieren, ließen sie fahrlässig abtropfen. Merkel tat nichts gegen den deutschen Handelsbilanzüberschuss. Sie warb weder für ein großes Investitionsbudget noch für einen Euro-Finanzminister. Macron verlor ein ums andere Mal. Dass man sich im Regierungsviertel jetzt freut, der Präsident sei gut in Visionen, man selbst aber im pragmatischen Umsetzen, zeigt, dass hier nationale Interessen vor europäischen stehen. Sicher, jede Regierung ist zuerst ganz allein dafür verantwortlich, dass es wirtschaftlich gut läuft, dass reformiert wird und die Bürger am Wohlstand teilhaben. In einer Währungsunion sind aber die Probleme des einen Landes auch immer die der anderen. Dies gilt umso mehr, wenn es sich um die größten Ökonomien handelt. Die deutsche Mitverantwortung für die Misere in Paris spiegelt sich in Zahlen wider. Bis zur Finanzkrise lagen die Volkswirtschaften etwa gleichauf. Danach ging es auseinander. Dies hatte vor allem einen Grund: In Deutschland wuchs der Niedriglohnsektor, die Reallöhne sanken. In Frankreich dagegen stiegen sie, inflationsbedingt und um die Höhe des Produktivitätszuwachses. Über die Jahre hat sich das in einen massiven Vorteil deutscher Unternehmen übersetzt. Deutschlands Exporte nach Frankreich sind doppelt so hoch wie die Importe aus Frankreich. Die Arbeitslosenrate hier liegt bei 3,4 Prozent, die in Frankreich bei 9,3 Prozent. Entsprechend ist die Stimmung. Die Bundesregierung hat es am Montag vorgezogen zu schweigen. Lange wird sie sich das nicht leisten können. Spätestens dann, wenn Italien und Frankreich gemeinsam abdriften, muss Berlin die Bürger informieren, wie es weitergehen soll mit der Währungsunion. Oder ohne. | Frankreich musste mehr neue Schulden machen als erwartet. Das liegt auch an der Bundesregierung: Sie rivalisiert mit dem Nachbarland statt gemeinsam am Erfolg der EU zu arbeiten. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/frankreich-schulden-deutschland-1.4256549 | Deutschland ist mit schuld an der Misere in Paris | 00/12/2018 |
Die Größe seines Reiches kann Bahnchef Richard Lutz schon beim Blick aus dem Fenster erahnen. Aus seinem Büro weit oben im Bahn-Tower am Potsdamer Platz sieht er nicht nur auf das Kanzleramt hinunter, sondern auch auf den größten deutschen Bahnhof, den Berliner Hauptbahnhof. Und auch das ist nur ein kleiner Ausschnitt dieses großen Konzerns: 300 000 Mitarbeiter in 130 Ländern. 40 000 Züge und genauso viele Busse. 6000 Bahnhöfe. Täglich steigen 400 000 Menschen allein in die ICEs und ICs des Konzerns ein. Es ist, als würden sich alle Einwohner von Freiburg und Kassel auf den Weg machen. Vor Weihnachten werden es sogar noch viel mehr sein. Die Bahn ist der größte Staatskonzern. Und der wichtigste für die Mobilität des Landes. Das Potenzial des Unternehmens ist eigentlich riesig. Alle Welt redet von den enormen Veränderungen, die Digitalisierung und Klimaschutz für den Verkehr bedeuten. Allerdings ist dann oft von intelligenten Autos und elektrischen Bussen, von automatischen Lkw und fliegenden Taxis die Rede - und nur selten von der Bahn. Bei der diskutiert Deutschland derzeit über Pannen, falsche Wagenreihung und immer größere Verspätungen. Dabei passt kaum ein anderes Verkehrsmittel besser in die Zeit. Mit grünem Strom betrieben, ist die Bahn umweltfreundlich. Reisezeit im Zug ist nicht verloren. Für die gleiche Menge Passagiere und Fracht braucht sie weniger Fläche als die Straße. Die Bahn will deshalb eigentlich Treiberin der Wende sein. Doch sie wird in diesen Wochen mehr und mehr zur Getriebenen. Erst recht, seit die Bundesregierung am Wochenende angesichts immer größerer Probleme im Bahnverkehr klarmachte, dass es so nicht weitergeht. Enak Ferlemann, Verkehrsstaatssekretär und Bundesbeauftragter für den Schienenverkehr, forderte erstmals öffentlich eine Reform des Konzerns - und eine deutlich schnellere Antwort der Chefetage auf die aktuellen Probleme, als der Bahn-Vorstand das bislang plante. Im Januar soll die Konzernspitze zum Rapport ins Ministerium und zunächst Ideen, im März dann ein beschlussfähiges Konzept liefern, das noch im ersten Halbjahr Wirkung zeigt. Sollte das nicht gelingen, drohten personelle Konsequenzen, ließ Ferlemann wissen. Die Geduld der Regierung sei endlich, warnte er. Nach Einschätzung von Fachleuten im Bundestag braut sich da in Berlin etwas Ernstes zusammen. "Das war nichts anderes als eine Kriegserklärung der Regierung gegen den Bahn-Vorstand", sagt FDP-Verkehrsexperte Christian Jung. Es gehe um einen Vorstoß, der wohl von ganz oben gebilligt worden sei, heißt es in Regierungskreisen. Der innere Zirkel des Vorstands um Richard Lutz, Infrastrukturchef Ronald Pofalla und Fernverkehrs-Vorstandsmitglied Berthold Huber müsse nun liefern. Sonst werde man über weitere Schritte nachdenken. Im Klartext: Bei der Bahn könnte zumindest ein Teil der Führung ausgetauscht werden. Wie genau das nun so schnell klappen soll? Bei der Bahn macht sich angesichts der Forderungen aus der Politik Entsetzen breit. Der Vorstand schweigt. Aufsichtsräte halten den Zeitplan für kaum machbar. "Jahrelang wurde die Bahn von der Politik kaputtgespart", ärgert sich einer der Aufsichtsräte. "Jetzt fordert ausgerechnet die von der Bahn die Wende im Höchsttempo." Er spricht von einem "schweren Foul". Die Fronten sind seit einigen Wochen verhärtet. Die "Bahn der Bürger" sei ins "Ruckeln" gekommen, klagte Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) kürzlich neben dem Bahnchef. Das seien "Wachstumsschmerzen" entgegnete der. Zur Wahrheit gehört, dass die Bahn auch Opfer ihres eigenen Erfolgs ist. Mehr Pendler, mehr Fernbeziehungen: Die Bahn zählte im vergangenen Jahr 142 Millionen Fahrgäste - so viele wie noch nie. Binnen einer Dekade kamen 23 Millionen hinzu. Und die Fahrgastzahlen sollen weiter rasant wachsen - so wünscht es die Politik. Bis 2030 soll die Bahn die Fahrgastzahlen auf dann etwa 290 Millionen verdoppeln. Nachzulesen ist das im Koalitionsvertrag. Schon heute allerdings, rechnete kürzlich der Bundesrechnungshof vor, stehe das System an der Kapazitätsgrenze. Die Infrastruktur wurde auf Verschleiß gefahren und muss nun eigentlich runderneuert werden. Vor 24 Jahren wurde die Deutsche Bundesbahn in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Seitdem wird der Erfolg der Deutsche Bahn AG am Gewinn gemessen. Um diesen zu steigern, wurde Personal eingespart, wurden Trassen stillgelegt, andere zu lange nicht saniert. Zudem fehlt es an Zügen. Die Fahrgäste spüren genau das täglich. Wegen Engpässen bei den Zügen und wegen fehlender Kapazitäten in den Werkstätten können die ICEs des Konzerns viel zu oft nicht fertig gewartet werden. Sie gehen mit Mängeln wieder auf die Strecke. So fällt immer häufiger eine Toilette oder ein Bordrestaurant aus. Weil die Züge auf den letzten Drücker fertig werden, fahren sie morgens oft in der falschen Wagenreihung in die Bahnhöfe ein. Probleme, die sich mit der Zeit sogar noch verschärfen. Nur noch jeder fünfte ICE ist laut Bahn-Statistik derzeit ohne einen Defekt unterwegs. Die Probleme liegen in der Struktur Doch es gibt eben auch die Gründe für schwache Leistungen, die nichts mit Geld zu tun haben. Zum Problem würden auch interne Streitereien und Abstimmungsprobleme, heißt es in Bahn-Kreisen. Manche Spitzenmanager würden kaum noch miteinander sprechen. Von einem Klima des Misstrauens ist die Rede. Und von einer zersplitterten Struktur, die die nötigen schnellen Entscheidungen einfach unmöglich mache. Die Bahnhöfe, das Netz, der Fern- und der Nahverkehr werden aus eigenen Aktiengesellschaften heraus gesteuert - mit eigenem Vorstand und eigenem Aufsichtsrat. Eine derart komplexe Organisation gibt es in kaum einem anderen Unternehmen. Teilweise durften die Bereiche nicht einmal miteinander reden. "Das lähmt in Situationen, in denen Sie schnell eingreifen müssen", sagt ein Insider. Weitere Folge: Die digitalen Systeme der Töchter sind völlig unterschiedlich. Berater, die Projekte anschieben sollen, sprechen von einem "organisatorischen Albtraum". Dabei gilt der Fluss der Daten als Schlüssel zu mehr Kundenfreundlichkeit und neuen Geschäften. Als wahrscheinlich gilt, dass nun in einem ersten Schritt wenigstens der Nah- und Fernverkehr der Bahn in eine Gesellschaft zusammengelegt und weitere Gesellschaften aufgelöst werden. Einen raschen Effekt bringe das aber wohl nicht, heißt es bei der Bahn. Die verschickt derzeit Werbebotschaften mit einem Slogan, der nach Durchhalteparole klingt und für einen Mobilitätskonzern immerhin Fragen hinterlässt: "Bei einer Reise geht es nicht nur um Weg oder Ziel." | Die Zahl der Fahrgäste steigt - aber auch die der Probleme. Der Konzern muss jetzt schnell Lösungen präsentieren. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/deutsche-bahn-pannen-1.4256677 | "Deutsche Bahn - Ein ""organisatorischer Albtraum""" | 00/12/2018 |
Die meisten Deutschen würden ihre Eltern laut einer Umfrage pflegen, wenn das nötig wird. Die Brückenteilzeit soll das von Januar an erleichtern. Wer Mutter oder Vater betreut, kann von Januar an in Brückenteilzeit gehen. Das kann eine große Erleichterung sein - doch die Sache hat einen Haken. Wird ein Angehöriger pflegebedürftig, halten Familien zusammen. Die Pflegebereitschaft in Deutschland ist nach einer aktuellen Umfrage der Techniker Krankenkasse hoch: 86 Prozent der Befragten sind demnach dazu bereit, nahe Verwandte zu Hause zu betreuen. Sechs von zehn würden sogar ihr Arbeitspensum zurückfahren oder eine längere Auszeit nehmen. Bisher gibt es aber bestenfalls den Anspruch auf Sonderurlaub oder Teilzeit, und das auch nur für maximal zwei Jahre. Ab Januar kann die neue Brückenteilzeit eine längerfristige Option sein. Eine Ideallösung ist aber auch das neue Gesetz nicht, betont Catharina Hansen von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Millionen Beschäftigte in Kleinbetrieben haben nichts davon. Ihren Verdienstausfall müssen pflegende Angehörige ohnehin immer allein tragen. Wer heute pflegt, ist morgen arm - an dieser Bürde hat bisher noch keine Reform etwas geändert. Ein Überblick, was ist und was kommt. Im Notfall ein paar Tage frei Beim akuten Pflegefall, wenn schnell das Wichtigste organisiert werden muss, dürfen sich Arbeitnehmer von heute auf morgen bis zu zehn Tage lang frei nehmen. Keine Firma darf das verweigern. Die kurzfristige Auszeit muss drin sein, egal wie groß der Betrieb ist. Der Arbeitgeber kann nur verlangen, dass der Mitarbeiter ein ärztliches Attest vorlegt, wonach das kranke Familienmitglied voraussichtlich pflegebedürftig ist und Hilfe von Angehörigen braucht. Den Lohn braucht er nicht weiter zu zahlen, das wäre eine freiwillige Leistung. Sperrt sich der Chef, können pflegende Verwandte bei der Pflegekasse oder der privaten Pflegeversicherung des Patienten finanzielle Hilfe beantragen. Das Pflegeunterstützungsgeld beträgt maximal 103,25 Euro pro Tag und soll helfen, den Lohnausfall zu überbrücken. Bis zu fünf Jahre Teilzeit Über zwei Drittel der gut 2,6 Millionen Pflegebedürftigen werden aktuell von Angehörigen zu Hause betreut, meist von Frauen. Wollen die Beschäftigten nicht aus ihrem Berufsleben aussteigen, tut sich ab 1. Januar 2019 die neue Option auf befristete Teilzeit auf, auch Brückenteilzeit genannt. Arbeitnehmer, die länger als sechs Monate in einem Unternehmen beschäftigt sind, dürfen ihre Arbeitszeit künftig für mindestens ein Jahr und maximal fünf Jahre reduzieren. Danach haben sie Anspruch auf Rückkehr zu ihrem früheren Arbeitspensum und auf ihr altes Gehalt. Das neue Gesetz könne pflegenden Angehörigen helfen, den Job während der oft jahrelangen Pflegetätigkeit nicht ganz aufgeben zu müssen, erläutert Verbraucherschützerin Hansen. Der Haken: Die Lösung greift nur in Firmen mit mehr als 45 Arbeitnehmern. Die etwa sieben Millionen Beschäftigten in Kleinbetrieben haben nichts davon. Weitere Nachteile: Für Unternehmen mit 46 bis 200 Beschäftigten gibt es Zumutbarkeitsgrenzen. Ist von 15 Mitarbeitern bereits einer in Brückenteilzeit, darf der Chef ablehnen. Auch betriebliche Gründe können dagegen sprechen. Ein halbes Jahr Auszeit Ist der Kranke dauerhaft auf Hilfe angewiesen und mindestens in Pflegegrad 1, können Angehörige seit 2015 auf folgende Möglichkeiten bauen: Sie dürfen bis zu sechs Monate lang Sonderurlaub nehmen und die Arbeitszeit auf null runterfahren bei vollem Kündigungsschutz. Oder sie wechseln in Teilzeit, um einen Angehörigen daheim zu pflegen. Die Regelung gilt unter anderem für die Pflege von Großeltern, Eltern, Stiefeltern, Schwiegereltern, Geschwister, Ehe- und Lebenspartner sowie Kinder. Das halbe Jahr Pflegezeit oder eine Reduzierung der Arbeitsstunden mit Rückkehrrecht müssen mindestens zehn Tage vorher beim Arbeitgeber schriftlich angekündigt werden. Auch auf diese Pause vom Job haben pflegende Verwandte einen Rechtsanspruch - aber nur, wenn der Betrieb mehr als 15 Mitarbeiter hat. Wer in kleineren Firmen arbeitet, ist auf das Entgegenkommen des Chefs angewiesen. Zwei Jahre Familienpflegezeit Mit sechs Monaten Auszeit vom Job kommen die meisten pflegenden Angehörigen nicht weit. Wer mehr Zeit braucht, dem steht noch die 24-monatige Familienpflegezeit offen. Aber: Wer schon sechs Monate Auszeit vom Job hatte, kann nicht die vollen zwei Jahre Familienpflegezeit ausschöpfen, sondern nur noch 18 Monate im Anschluss nehmen. In der Familienpflegezeit müssen pflegende Angestellte zudem wieder in die Firma zurück, wenigstens 15 Wochenstunden arbeiten und weiter auf Gehalt verzichten. Dafür stehen sie unter Kündigungsschutz. Wer beide Angebote kombinieren will, sollte bedenken, dass die Gesamtpflegezeit nicht länger als 24 Monate dauern darf, wie Gisela Rohmann betont, Pflegeexpertin der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz. Auch dieser Anspruch ist rechtlich verankert - aber nur für Firmen mit mehr als 25 Mitarbeitern. Schulden Wer sich den unbezahlten Rückzug aus dem Job während der Pflegetätigkeit nicht leisten kann, hat zudem den Rechtsanspruch auf ein zinsloses Darlehen. Auf Antrag gewährt das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben mit Sitz in Köln, kurz Bafza pflegenden Angehörigen einen Kredit. Das Geld wird vom Amt in monatlichen Raten ausgezahlt und deckt maximal die Hälfte des fehlenden Nettogehalts ab, mindestens aber 50 Euro. Unter www.bafza.de lässt sich die Darlehenshöhe selbst berechnen. "Das Problem: Pflegende müssen das Geld sehr bald wieder zurückzahlen", gibt Rohmann zu bedenken. Die Nachfrage nach Darlehen sei daher auch äußerst verhalten. Wer zum Beispiel die vollen zwei Jahre Familienpflegezeit in Anspruch nimmt, hat anschließend nur zwei Jahre Zeit, seine Schulden zu tilgen. Und die können sich schnell auf einige Zehntausend Euro summieren. Nur in Härtefällen, wenn der Pflegende beispielsweise selbst krank wird, kann das Amt die Rückzahlung des Darlehens erlassen. | Wer Mutter oder Vater betreut, kann von Januar an in Brückenteilzeit gehen. Das kann eine große Erleichterung sein - doch die Sache hat einen Haken. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/brueckenteilzeit-wer-heute-pflegt-ist-morgen-arm-1.4255219 | Pflege: Wer heute pflegt, ist morgen arm | 00/12/2018 |
Ein sich drehender Roboterarm aus Stahl, ein künstlicher Bizeps, der mühelos mehrere Tonnen Gewicht bewegen kann. Und was sagt der Schöpfer, Till Reuter? "Fassen Sie mal an, Frau Kanzlerin!" Angela Merkel zögert, dann greift sie nach dem wirbelnden Arm, und tatsächlich: Der Roboter hält sofort inne. "Impressive", lobt der Ehrengast neben Merkel. Es ist der damalige US-Präsident Barack Obama, er ist zur Hannover-Messe gekommen, der wichtigsten Leistungsschau der Industrie. Das Foto der drei geht um die Welt: Obama, Merkel und der Roboterarm, auf dem genau vier Buchstaben stehen: Kuka. 2016 war das. Die Augsburger Firma kennt man seitdem in Deutschland. Und heute? Abgesagt. Kuka spart sich einen Stand bei der kommenden Messe. Die zwei, drei Millionen Euro will das Unternehmen nicht ausgeben. Der neue Eigentümer aus China macht sich Sorgen wegen schlechter Zahlen. "Wir haben uns für ein neues Konzept 'In-house-Messe' entschieden," teilt das Unternehmen mit. Heißt: Wer die Kuka-Roboter sehen will, soll bitte künftig nach Augsburg reisen. Dabei liegen die Probleme von Kuka gar nicht zu Hause, sondern im Land der Eigentümer: Der Handelsstreit zwischen den USA und der Volksrepublik China hat zum Investitionsrückgang geführt. Unternehmen in China haben die Anschaffung von Industrierobotern plötzlich aufgeschoben. Trotzdem begann das Stühlerücken in Deutschland, und ausgerechnet der Mann, der Merkel damals aufforderte, den Roboter anzufassen, ist nicht mehr dabei. Vor drei Wochen musste Till Reuter das Unternehmen verlassen - nicht ganz freiwillig. Reuter war es, der aus dem einstigen Sanierungsfall Kuka eine Vorzeigefirma für Robotik formte. Von 900 Millionen stieg der Umsatz auf mehr als drei Milliarden Euro. Wenige Wochen nach der Hannover-Messe war er es, der den Aktionären empfahl, das Übernahmeangebot des chinesischen Hausgerätekonzerns Midea anzunehmen. 4,6 Milliarden Euro zahlten die Chinesen. Der Fall Kuka wurde zum Symbol für die neue chinesische Kaufwut in Deutschland. Damals versicherte Midea: Kuka bleibt Kuka. Um Zweifeln vorzubeugen, wurde eine Investorenvereinbarung ausgehandelt, die Standorte und Beschäftigung sichert. Laufzeit bis 2023. Doch nicht nur das: In der Vereinbarung zwischen Midea und Kuka ist festgelegt, dass der Vorstand in Augsburg eigenständig agiert. Dass die Patente in Deutschland verbleiben. Und: dass Midea keinen Zugriff auf die Kundendaten hat. Vor allem in der Autoindustrie war zuvor die Sorge groß gewesen, Informationen könnten abfließen. Kuka erhält nämlich bereits Monate vor Produktionsbeginn Baupläne und Details für neue Modelle, damit passgenaue Roboter programmiert werden können. Der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) machte sich daher auf die Suche nach dem, was in Unternehmenskreisen ein "Weißer Ritter" heißt: ein guter Investor, der den bösen verhindert. Der Siemens-Konzern hätte ein solcher Retter in der Not sein können, aber den Münchnern war der Preis mit 115 Euro je Aktie zu hoch. 85 Euro, das wäre vielleicht okay gewesen. Bei Volkswagen überlegte Vorstandschef Matthias Müller deutlich ernsthafter, bei Kuka einzusteigen, doch die Wolfsburger waren mit ihrem Dieselskandal ausgelastet. Am Ende fand Gabriel niemanden, und die Chinesen kamen zum Zug. Macht nichts, dachten dann viele Beobachter, die Investorenvereinbarung wird ein Durchregieren der neuen Eigentümer verhindern. Die ersten Führungskräfte haben bereits das Unternehmen verlassen Überhaupt, so die Innensicht in der Kuka-Führung, könnte ihr Unternehmen ein Beispiel dafür sein, dass die Dinge eben doch zusammenpassen: deutsches Knowhow und chinesisches Geld, Marktwirtschaft hier und ein autoritäres politisches System dort. Nun wachsen in der deutschen Wirtschaft und Politik wieder die Zweifel: Gerät das Beispiel Kuka zum Menetekel? Die ersten Führungskräfte haben sich bereits entschieden und das Unternehmen verlassen. Die Angst vor einem "Brain Drain" geht um. Am Ende wird es darauf ankommen, wie belastbar die Investorenvereinbarung ist. Der Vorstand entscheide unabhängig, heißt es dort. Tauscht Midea aber über den Aufsichtsrat den Vorstand aus und beruft willfährige Manager, verliert das Abkommen an Wert. Noch ist es nicht so weit. Nach dem Abgang des Vorstandsvorsitzenden Reuter ist sein langjähriger Finanzchef Peter Mohnen zum Interims-CEO ernannt worden. Er steht erklärtermaßen hinter der Abmachung. Und dann ist da noch Chefjustiziar Siegfried Schwung, ein Mann mit Prinzipien. Er hat die Vereinbarung maßgeblich mitgestaltet. In Augsburg nennen sie ihn inzwischen den "Hüter des Grals". Wie lange sich die beiden Männer im Unternehmen halten werden, das ist der Lackmustest. Die erste Verfärbung zeigte sich, als sich Midea-Statthalter und Aufsichtsratschef Andy Gu bemerkenswert offen äußerte: "Peter Mohnen muss nun beweisen, dass er Kuka führen kann. Er muss die entsprechenden Ergebnisse liefern und uns überzeugen, dass er für die Aufgabe geeignet ist", sagte er dem Tagesspiegel. Eine Kampfansage an den neuen Chef, der gerade mal zwei Tage im Amt war. Ähnlich verstörend wirkten in Augsburg Gus Aussagen zur deutschen Unternehmenskultur. "Ich bin jetzt seit zwei Jahren bei Kuka und ich habe festgestellt, dass es einen fundamentalen Unterschied zwischen der deutschen und der chinesischen Herangehensweise gibt", sagte er. "Wenn es eine neue Sache gibt, sehen die Deutschen erst mal die Herausforderung - die Chinesen dagegen die Möglichkeit." Das genau könnte das Problem sein: Mideas Möglichkeiten erzeugen in Augsburg Ängste. | Die Übernahme der Roboter-Firma sollte beweisen, dass Chinesen ganz normale Investoren sind. Doch nun wachsen die Zweifel - und erste Führungskräfte verlassen das Unternehmen. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/chinesische-investoren-bei-kuka-geht-die-angst-um-1.4255117 | Chinesische Investoren: Bei Kuka geht die Angst um | 00/12/2018 |
Immer mehr menschliche Arbeitskraft wird durch die Digitalisierung überflüssig gemacht. In der Mitte der Gesellschaft geraten die Löhne durch den Einsatz von Computern und Robotern enorm unter Druck. Die Digitalisierung ist keine Naturgewalt. Es ist durchaus möglich, sie zu gestalten und Gewinne endlich gerecht zu verteilen - zum Beispiel nach dem Vorbild Alaskas. Viele der großen ökonomischen Trends unserer Zeit - Globalisierung, Digitalisierung, Automatisierung - haben eines gemeinsam: Sie sind gut für die Gesellschaft, aber nicht unbedingt gut für jeden Einzelnen. Der Wandel der Wirtschaft führt zu einer stärkeren Ungleichheit der Einkommens- und Vermögensverteilung. Gerade auf dem Arbeitsmarkt schafft die neue Ökonomie auch Verlierer. Es war ein großer Fehler der Politik, dass sie dieser Entwicklung zugesehen hat wie einem Hurrikan, der übers Land fegt. Aber Globalisierung und Digitalisierung sind keine Naturgewalten. Wirtschaftspolitik kann sie gestalten und sich gegen die Ungerechtigkeit auflehnen. Wie? Im Prinzip ganz einfach: Die Regierenden hätten den Globalisierungsgewinnern einen Teil ihrer Profite nehmen und sie den Verlierern geben müssen. So aber riss die Entwicklung einen tiefen gesellschaftlichen Graben auf, der den Aufstieg von Populisten beschleunigt hat. Der Spalt ist gewaltig, er darf durch den rasenden technologischen Fortschritt, den westliche Volkswirtschaften gerade durchlaufen, nicht noch größer werden. Dieses Mal muss es den Regierenden gelingen, die Märkte zum Wohle aller zu bändigen. Gerade in der Mitte der Gesellschaft geraten die Löhne durch den Einsatz von Computern und Robotern enorm unter Druck. Am stärksten gefährdet sind Facharbeiter in der Produktion, die mit Lohneinbußen rechnen müssen. Zu den Gewinnern zählen dagegen die Manager an der Spitze von Unternehmen, die neueste und modernste Technologien einsetzen, vor allem aber deren Gründer und Eigentümer. Kurz gesagt: Digitalisierung macht das Land reicher und ungleicher. Ihre Erträge häufen sich in Form steigender Unternehmens- und Vermögenseinkommen auf der Kapitalseite. Der Faktor Arbeit geht dagegen - abgesehen von Beschäftigten am oberen Ende der Lohnskala - leer aus. Die Folgen von Globalisierung und Digitalisierung kann man an den Statistiken ablesen. Während in Deutschland der Anteil der Arbeitseinkommen am Nationaleinkommen im Jahr 1975 noch 80 Prozent betrug, fiel er bis zum Jahr 2010 auf 70 Prozent. Spiegelbildlich nahmen die Kapitaleinkommen schneller als das allgemeine Wirtschaftswachstum zu; sie stiegen über diesen Zeitraum von 20 auf 30 Prozent des Nationaleinkommens. Die Höhe des Vermögens gewinnt damit zunehmend an Bedeutung für die gesellschaftliche Teilhabe, während die eigene Arbeitsleistung an Bedeutung verliert. Eine Robotersteuer wäre der falsche Ansatz Die wachsende Kluft lässt sich durch klassische Umverteilung nur schwer schließen. Denn ein Großteil dieser Umverteilung wird über die Systeme der Sozialversicherung geleistet, die finanzieren sich aber vorwiegend aus den bedrohten Arbeitskommen. Da die Lohnquote sinkt, gerät dieses System zunehmend selbst unter Druck. Auch eine Robotersteuer wäre der falsche Ansatz, folgt sie doch der rückwärtsgewandten Logik der Maschinenstürmer aus dem 19. Jahrhundert: Angriffe auf neue Technik, die Arbeitsplätze und soziale Verhältnisse zerstörte. Der Preis für eine neue Maschinenstürmerei wären erhebliche Wachstumseinbußen. Besser ist es dann schon, die Digitalisierungsgewinne einzustreichen, aber gleichzeitig dafür zu sorgen, dass sie gerechter verteilt werden. Ausgangspunkt muss die Frage sein, wem die Roboter, Algorithmen und intelligenten Maschinen gehören und wem folglich die Gewinne daraus zufließen. Diese Gewinne sollten künftig fairer verteilt werden. Die einfachste Form dafür wäre ein Staatsfonds, der in hochproduktive Unternehmen investiert und allen Bürgern eine soziale Dividende aus seinen Erträgen sichert. Dafür gibt es ermutigende Beispiele. So hat Alaska 1976 einen Staatsfonds gegründet, um die Gewinne aus den Ölvorkommen unters Volk zu bringen. Seit 1982 mit der Auszahlung begonnen wurde, hat sich Alaska von einem der US-Bundesstaaten mit der höchsten Einkommensungleichheit zu einem mit der geringsten entwickelt. Alaska könnte Vorbild für Deutschland sein - nur dass ein deutscher Staatsfonds nicht mit Vermögen aus Rohstoffen gespeist werden kann. Er bräuchte eine andere Geldquelle: wachstumsfreundliche Steuern. Dazu müssten die Produktionsfaktoren Kapital und Land relativ zum Faktor Arbeit steuerlich stärker belastet werden. Konkret ließen sich Einnahmen aus einer Bodenwertsteuer erzielen. Die Erbschaftssteuer könnte deutlich ausgeweitet und die Kapitalertragsteuer in die Einkommensteuer integriert werden, sodass auch dort die Sätze und Einnahmen steigen. Vor allem aber müsste man endlich eine europäische Digitalsteuer einführen und unproduktive Finanzgeschäfte höher besteuern. So ließen sich Jahr für Jahr viele Milliarden Euro für einen Fonds einsammeln, der nach einer Ansparphase Dividenden an jeden Bürger ausschüttet. Die Deutschen würden zum Volk der Aktionäre. Es wäre ein bisschen Sozialismus, geschaffen mit Mitteln des Kapitalismus. | Die Digitalisierung ist keine Naturgewalt. Es ist durchaus möglich, sie zu gestalten und Gewinne endlich gerecht zu verteilen - zum Beispiel nach dem Vorbild Alaskas. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/digitalisierung-arbeitsplaetze-loehne-1.4255178 | Digitalisierung macht das Land reicher - und ungleicher | 00/12/2018 |
Die Bundesregierung fordert von der Deutschen Bahn eine schnellere Reaktion auf die massiven Probleme im deutschen Zugverkehr. "Wir sind in Sorge über den Zustand des Konzerns", sagte Enak Ferlemann (CDU), Beauftragter der Bundesregierung für den Schienenverkehr, der Süddeutschen Zeitung. Die Bahnspitze hatte dem Aufsichtsrat zuletzt einen Zeitplan für Verbesserungen präsentiert - allerdings erst bis 2024. Der großen Koalition dauert dies zu lange. "Das muss schneller gehen", fordert Ferlemann. "Der Bahnvorstand weiß, dass wir Geduld haben. Aber irgendwann geht sie zu Ende." Bereits im Januar soll die Führung der Bahn nun zum Rapport ins Verkehrsministerium. Dann wird es um eine neue Struktur und den Finanzierungsbedarf der Bahn gehen. Die Bundesregierung macht auch zersplitterte Zuständigkeiten und Kommunikationsprobleme für die Misere verantwortlich. Anregungen der Mitarbeiter kämen nicht beim Vorstand und dessen Anweisungen nicht bei den Mitarbeitern an, klagt Verkehrsstaatssekretär Ferlemann. Es gebe zu viele Aktiengesellschaften mit eigenen Führungsgremien. "Das müssen wir ändern." Auch beim Koalitionspartner SPD wächst der Unmut. "Die Deutsche Bahn hat nur dann eine Chance, zum modernsten Mobilitätsdienstleister Deutschlands zu werden, wenn die einzelnen Sparten im Unternehmen miteinander und nicht gegeneinander arbeiten", sagte SPD-Fraktionsvize Sören Bartol. Weitere Streiks vor Weihnachten sind vom Tisch Die Zeit drängt. Eigentlich hatte sich die Bahn schon für dieses Jahr vorgenommen, pünktlicher zu werden. Geplant war, dass 82 Prozent der Züge nach Plan ankommen. Doch tatsächlich ging es in die entgegengesetzte Richtung. Nur 70,4 Prozent der Intercity, Eurocity und ICE fuhren im November nach Fahrplan - ein historisch schlechter Wert. Technische Probleme mit den Zügen häufen sich. Nur jeder fünfte ICE ist derzeit laut Bahnstatistik fehlerfrei auf den Schienen unterwegs. Die Bahn wollte sich am Sonntag nicht zu den Forderungen äußern. Aufsichtsratskreise verwiesen auch auf die Verantwortung der Politik. Die habe mit einem jahrelangen Sparkurs die aktuellen Probleme mitausgelöst. Ein neues Konzept für die Bahn soll bis März stehen. Welche Vorschläge die Bahn im Januar präsentiert, ist noch offen. Möglich wäre etwa die Zusammenlegung von Fern- und Nahverkehr in einem Vorstandsressort. Immerhin ein Risiko für Stillstand ist vorerst gebannt: Weitere Streiks vor Weihnachten wendete die Bahn ab und einigte sich am Wochenende mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) im Tarifstreit. Die Lösung sieht 6,1 Prozent mehr Lohn in zwei Stufen vor. Die Bahn stand nach den Warnstreiks vom Montag unter Zugzwang. Die mächtige EVG hatte im morgendlichen Berufsverkehr bundesweit Züge lahmgelegt. Davon waren Millionen Pendler betroffen. Allerdings steht noch eine Einigung der Bahn mit der kleineren Lokführergewerkschaft GDL aus. Zudem verschärfen die steigenden Löhne das Finanzproblem der Bahn. Regierungskreise gehen inzwischen von einer Lücke von fast fünf Milliarden Euro für die nächsten Jahre aus - einer Milliarde Euro mehr als bisher. | Der Reformdruck auf die Deutsche Bahn wächst. Der Vorstand soll im Januar zum Rapport ins Verkehrsministerium. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/deutsche-bahn-reform-bundesregierung-1.4255096 | Reformdruck auf Deutsche Bahn wächst | 00/12/2018 |
Da die Weihnachtsfeiertage und Silvester dieses Jahr komplett auf Wochentage fallen, ist die "stade Zeit" zumindest in Mitteleuropa auch weitgehend eine börsenfreie Zeit. In Paris, dem wichtigsten Handelsplatz der Mehrländerbörse Euronext, werden noch bis zum Nachmittag vor Heiligabend Wertpapiere gehandelt, und damit sogar länger als am Finanzplatz London, an dem trotz der angelsächsischen Nähe zu den Vereinigten Staaten bereits zur Lunchtime die Pforten schließen beziehungsweise die Computersysteme heruntergefahren werden. Während Europäer Geschenke auspacken, können Amerikaner noch schnell Aktien nachkaufen Das bedeutet: Durch die sechs- bis siebenstündige Zeitversetzung der Europäer zur US-Ostküste handeln die Amerikaner an ihrem "Christmas Eve" weitgehend isoliert. Während Europa Geschenke auspackt, können die Anleger von New York bis San Francisco noch mal schnell schauen, ob es sich lohnt, einen Fonds oder eine Aktie eben nachzukaufen oder lieber abzustoßen, um am Jahresende das Portfolio mit einer einigermaßen erträglichen Bilanz abzuschließen. Bescherung unterm Baum ist in Nordamerika erst am 25. Dezember, dem Christmas Day. Detailansicht öffnen Unruhige Dax-Kurve: Von Januar bis Anfang Dezember verbuchte der Deutsche Aktienindex einen Verlust von minus 16 Prozent. Das wird auch in einer Endrally kaum noch wetttzumachen sein. (Foto: dpa) Gerade für die sogenannten institutionellen Investoren, also etwa die Manager von Fonds und Pensionskassen, sind die Wochen und Tage vor dem Jahreswechsel mitunter entscheidend, um sich nach einem zumindest in Europa weitgehend verhagelten Aktienjahr noch halbwegs aus der Affäre zu ziehen. Denn die Anleger hintendran, die privaten Sparer und Unternehmen, die den Profis ihr Geld zur Vermehrung überlassen haben, wollen eine positive Rendite sehen. Gerade in Zeiten anhaltender Niedrigzinsen für Festverzinsliches sind Börsianer darauf angewiesen, dass beim zweitgrößten Wertpapierhandelsmarkt nach den Staatsanleihen, den Aktien, ein solides Plus am Ende steht. Doch noch sieht es nicht danach aus, als könnte eine wie auch immer geartete Jahresendrally die von Januar bis Anfang Dezember aufgelaufenen Verluste im Dax (minus 16 Prozent) und Euro-Stoxx-50 (minus 11 Prozent) noch aufholen. Etwas anders ist die Lage dagegen in den USA, wo Dow Jones und S&P-500 trotz zwischenzeitlicher Verluste das Jahr wohl ohne großen Schaden im Depot abschließen können. Der Technologie-Index Nasdaq Composite hält sich sogar noch leicht im Plus. Nach Geschenken und Weihnachtsgans bleiben in Deutschland und den meisten anderen europäischen Börsenhauptstädten dann noch zwei Handelstage, um das Jahr abzuschließen. Lediglich in Russland und China handeln die Börsianer die Weihnachtswoche durch. In diesen Ländern wird entweder später (Russische Weihnacht ab 7. Januar ) oder gar kein Weihnachten gefeiert. Das chinesische Neujahrsfest ist 2019 erst am 5. Februar. Für die Japaner gibt es die Besonderheit, dass sie wegen des Geburtstages ihres langjährigen Kaisers Akihito die Börsen traditionell am 23. und 24. Dezember schließen - 2018 wohl zum letzten Mal zu Ehren ihres amtierenden Tenno, denn dieser darf 2019 im April mit dann 85 Jahren abdanken - zugunsten seines ältesten Sohnes Naruhito. So hat es Japans Regierung beschlossen. Der Kronprinz hat am 23. Februar Geburtstag. Ob und wann die Börse ihm zu Ehren geschlossen bleibt und wie lange überhaupt Naruhito zu Ehren gefeiert wird, ist noch in der Diskussion. Für 2019 ist vorerst nichts im Kalender vermerkt. Die längste Ruhepause zwischen den Jahren gönnen sich die Schweizer Im Kursteil der SZ findet sich in der Ausgabe vom Samstag, 29. Dezember, ein Jahresvergleich der Kurse anstelle des sonst üblichen Tagesvergleichs. Lediglich für die asiatischen, britischen und amerikanischen Aktien und Anleihen ändert sich dann am Montag, dem 31. Dezember, noch einmal in Nuancen etwas an den Kursen. Der Kursteil am 2. Januar 2019 wird diese Änderungen enthalten und dann auch wie gewohnt mit den Kursen vom vorherigen Handelstag vergleichen. Die längste Ruhepause zwischen den Jahren gönnt sich die Schweizer Börse. Am Finanzplatz Zürich ruhen die Wertpapierhandelsgeschäfte bis einschließlich 2. Januar, dem alemannischen Berchtoldstag. Da sind die Asiaten schon längst wieder ins Börsengeschehen gestartet. An den Handelsplätzen in Japan und China werden wie jedes Jahr die ersten Vorzeichen für 2019 gesetzt. | Weihnachten und Silvester fallen auf Wochentage, Börsen und Banken haben zu. Wenig Zeit, das Depot zu ordnen. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/geldanlage-das-richtige-timing-1.4255224 | Das richtige Timing | 00/12/2018 |
Der Vorstand von VW will ein neues Werk in Osteuropa bauen. Infrage kommen Bulgarien oder Rumänien. Der Betriebsrat sieht das skeptisch. Er hätte es lieber, wenn der Konzern eine bestehende Fabrik in Ungarn oder Polen umwidmet. Neues VW-Werk oder neue Lösung für alte Werke? Eine geplante Fabrik für mehrere Marken in Osteuropa hat den Betriebsrat des Autogiganten auf den Plan gerufen. Geprüft werden solle, ob statt einer Neuinvestition nicht die Umnutzung eines bestehenden Standorts vorzuziehen sei, forderte die Arbeitnehmerseite nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa. Dies könne eines der Motorenwerke in Salzgitter, im polnischen Polkowice (Polkwitz) oder im ungarischen Györ sein. | Der Vorstand von VW will ein neues Werk in Osteuropa bauen. Infrage kommen Bulgarien oder Rumänien. Der Betriebsrat sieht das skeptisch. Er hätte es lieber, wenn der Konzern eine bestehende Fabrik in Ungarn oder Polen umwidmet. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/volkswagen-streit-um-standort-1.4255302 | Volkswagen - Streit um Standort | 00/12/2018 |
Die Weihnachtsrally müssen Anleger nach Einschätzung von Experten von ihrem Wunschzettel streichen. Das anhaltende Brexit-Chaos und andere Krisen bremsen die Aktienmärkte derzeit aus. "Der Optimismus bezüglich der Fortschritte in den Handelsgesprächen zwischen den USA und China ist wie so oft schon wieder verflogen", sagt Marktanalyst Milan Cutkovic vom Brokerhaus AxiTrader. "Die politischen Risiken bleiben, und damit sollten sich Investoren auch auf turbulente Vorweihnachtstage einstellen." In der vergangenen Woche kam der deutsche Leitindex Dax kaum vom Fleck. Der wichtigste Termin in dieser Woche ist für Börsianer der Zinsentscheid der US-Notenbank am Mittwoch. Eine Anhebung des Schlüsselsatzes um 0,25 Prozentpunkte auf 2,25 bis 2,5 Prozent gilt als sicher. | Das anhaltende Brexit-Chaos und andere Krisen bremsen die Aktienmärkte derzeit immer noch aus, der Dax kommt kaum vom Fleck. Anleger warten auf den US-Zinsentscheid. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/finanzmaerkte-kaum-chancen-auf-weihnachtsgeschenke-1.4255285 | Finanzmärkte - Kaum Chancen auf Weihnachtsgeschenke | 00/12/2018 |
China hat es bis an die Spitze der Weltwirtschaft geschafft, und das in nur vier Jahrzehnten. Es ist Zeit, dass das Land sich an die internationalen Spielregeln hält. Aber auch Europa müsste seine Haltung gegenüber China ändern. Das chinesische Wirtschaftswunder der vergangenen Jahrzehnte nahm seinen Anfang im Dezember 1978: Während der Sitzungen des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei vom 18. bis 22. Dezember vor 40 Jahren formulierte Deng Xiaoping aus heutiger Sicht wegweisende Gedanken. Es ging um die strategische Umorientierung und Öffnung der chinesischen Wirtschaft. So schuf er die Grundlage für Reformen, die das bis dahin verschlossenste Land der Welt an die Spitze der Weltwirtschaft führen sollten - und das in nur vier Jahrzehnten. | China hat es bis an die Spitze der Weltwirtschaft geschafft, und das in nur vier Jahrzehnten. Es ist Zeit, dass das Land sich an die internationalen Spielregeln hält. Aber auch Europa müsste seine Haltung gegenüber China ändern. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/forum-unter-partnern-1.4255127 | Unter Partnern | 00/12/2018 |
Die Kryptowährung Bitcoin gerät immer tiefer in den Abwärtsstrudel und steuert auf die Marke von 3000 Dollar zu. Vergangene Woche kostete ein Bitcoin an der Handelsplattform Bitstamp nur noch 3200 Dollar. Das war der tiefste Stand in diesem Jahr. "Die Marke von 3000 Dollar könnte bald fallen", sagte Experte Timo Emden von Emden Research. Der Bitcoin verliert seit Wochen drastisch an Wert. Fehlende Regulierung, Hackerangriffe auf Handelsplattformen und technische Aufspaltungen der von Computern geschaffenen Währung verdarben Anlegern die Lust an Kryptowährungen. Auf dem vorläufigen Höhepunkt des weltweiten Krypto-Hypes vor einem Jahr hatte ein Bitcoin 20 000 Dollar gekostet. Selbst Privatanleger sprangen damals auf den Zug auf. Viele haben sich mittlerweile aus dem Markt zurückgezogen. | Vergangene Woche kostete ein Bitcoin an der Handelsplattform Bitstamp nur noch 3200 Dollar. Der Hype scheint vorbei zu sein, viele Privatanleger ziehen sich aus dem Markt zurück. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/kryptowaehrungen-bitcoin-verliert-immer-weiter-an-wert-1.4255287 | Bitcoin verliert immer weiter an Wert | 00/12/2018 |
Auf dem Viktoriaplatz im schweizerischen Bern ist die Luft an diesem Freitagmittag halbwegs in Ordnung. Zumindest sieht das auf der digitalen Heat-Map von Hawa Dawa so aus. Die Messwerte für Stickstoffdioxid und Feinstaub sind geringer als in anderen Städten, in denen das Start-up die Luftqualität untersucht. Im April sah das anders aus. Da hatten sie in Bern Spitzenwerte für Feinstaub gemessen. "Daran kann man ansetzen", sagt Karim Tarraf. Der Geschäftsführer und Mitgründer von Hawa Dawa zeigt an diesem Freitag an einem Digitalmodell im Impact-Hub, einem Münchner Start-up-Zentrum, worin die Geschäftsidee seiner Firma besteht: Er und seine 14 Mitarbeiter sammeln und verarbeiten große Datenmengen zur Luftqualität. Und zwar räumlich so exakt und zeitlich so nah, dass daraus Handlungsvorschläge für Städte und Unternehmen entwickelt werden können. Von der Vermeidung von Diesel-Fahrverboten bis zu Verkehrsleitsystemen, die für bessere Luft sorgen. Die Möglichkeiten sind gewaltig, die mit den Modellen von Hawa Dawa möglich werden. Sie könnten die Art und Weise, wie sich Menschen in Städten fortbewegen, grundlegend verändern. Radfahrer finden den saubersten Weg durch die City, Auswanderer gesündere Viertel in Asien In acht Städten in Deutschland und der Schweiz untersucht Hawa Dawa - was auf Arabisch, Persisch und Türkisch übrigens Luftreinheit bedeutet - die Schadstoffbelastung. Darunter sind Großstädte wie München und Bern, aber auch kleinere Orte wie Meschede in Nordrhein-Westfalen. 62 eigene Messstationen haben sie dazu aufgebaut. Die Geräte sind mechanisch weniger aufwendig als die großen Messcontainer, mit denen etwa das Umweltbundesamt misst. Bei Hawa Dawa haben sie deshalb einen Algorithmus entwickelt, mit dessen Hilfe die Luftsensoren "intelligent verschaltet werden". Damit wird das Messergebnis für einen Schadstoff mit zusätzlichen Daten, etwa zur Umgebungstemperatur oder zu weiteren Schadstoffen, digital abgeglichen und korrigiert. So will das Start-up für einen Bruchteil der Kosten belastbare Luftqualitätsmodelle erstellen. Die Münchner haben viel Lob für ihr Konzept bekommen. Zwölf Auszeichnungen haben sie seit ihrer Gründung 2016 erhalten, vom Verkehrsministerium genauso wie von der europäischen Weltraumorganisation Esa. Finanziert wird das Start-up von drei "Business-Angels". Seit Jahresbeginn haben diese Geldgeber etwas mehr als eine halbe Million Euro investiert. Über ihren ersten großen Förderer, die Münchner Rückversicherungsgesellschaft, kamen sie 2016 ins Münchner Impact-Hub. Die ökologisch verträgliche Mobilität von morgen, das sieht man an dem Raum, in dem bei Hawa Dawa an ihr getüftelt wird, ruht auf zwei Säulen: der Aufbereitung digitaler Daten und der Technik, mit der sie erhoben werden. Vor dem Bildschirm mit den Schadstoff-Kurven steht in dem etwa 40 Quadratmeter großen Büro von Hawa Dawa der große Konferenztisch. An ihm sitzt an diesem Freitag der Software-Entwickler José Levya, auf dessen Laptop lange Zahlen- und Buchstabenketten flimmern - die Rohdaten aus einer der Städte, in denen Hawa Dawa die Luftqualität misst. Auch sie sollen am Ende so aufbereitet sein, dass auf einen Blick erkennbar wird, wie hoch die Schadstoffbelastung an einer einzelnen Straßenkreuzung ist. Dabei erinnert die Kartenansicht, mit der Hawa Dawa arbeitet, in ihrer dreidimensionalen Draufsicht an ein Google-Street-View für Luftqualität. Nicht nur in ihrer Optik, auch in seinem Anspruch erinnert Hawa Dawa manchmal an Firmen aus dem Silicon Valley: "Stellen Sie sich vor, wir sagen Ihnen als Fahrradfahrer den saubersten Weg durch die Stadt", sagt Gründer Tarraf. "Oder wir zeigen Ihnen die saubersten Viertel, wenn Sie mal in Asien leben wollen." Die internationale Ausrichtung von Hawa Dawa hängt aber nicht nur damit zusammen, dass in dem kleinen Eckbüro im Impact-Hub zehn verschiedene Nationalitäten zusammenarbeiten. Ursprünglich hatten Tarraf und seine Ehefrau, Yvonne Rusche, die das Unternehmen mitgegründet hat, nicht vorgehabt, mitteleuropäischen Radfahrern Tipps für die sauberste Route zu geben. Beide arbeiteten in der Entwicklungshilfe. Sie wollten Ländern wie Bolivien, wo Rusche geboren ist, oder Ägypten, woher Tarraf stammt, dabei helfen, die Luftqualität zu verbessern. Das war 2015, als Tarraf gerade dabei war, seinen Masterabschluss in technologieorientiertem Management an der TU München zu machen. "Wir dachten damals, in Deutschland ist die Luftqualität super", sagt Rusche. Dann wurde im September 2015 der Dieselskandal bei VW bekannt. Danach war klar, dass Hawa Dawa zuerst in Deutschland auf den Markt geht. Und zwar mit einem Ansatz, den bis dahin kaum jemand verfolgte: Eine Art Google für Luftqualität zu werden, die wichtigste Quelle für Informationen zu sauberer Luft auf dem Markt. Dazu kombiniert Hawa Dawa Satelliten-Daten zur Schadstoffbelastung von der europäischen Weltraumorganisation Esa mit eigenen Messergebnissen. Hinzu kommen Geo-Daten, etwa Informationen über den Verkehrsfluss, die sie von Städten bekommt, genauso wie Wetterdaten. Damit können die Münchner dann ein digitales Modell erstellen, das nicht nur in Echtzeit anzeigt, wie gut die Luftqualität ist. Es soll auch Prognosen über die Zukunft zulassen, etwa für eine ökologisch ausgewogene Stadtplanung. Bei Hawa Dawa wollen sie aber noch mehr: Ihre Daten sollen fester Bestandteil des Alltags ihrer Nutzer werden. Dazu könnten aufbereite Messergebnisse in Apps auf dem Smartphone einfließen. Die zeigen dann nicht nur den saubersten Weg von A nach B an. Sondern steuern auch beim Hauskauf oder bei Gesundheitsproblemen der Nutzer Informationen zur Luftqualität bei. "Man kann mit diesen Daten nicht überprüfen, ob es Grenzwertüberschreitungen gibt." Nur eines, das können die Modelle und Messergebnisse von Hawa Dawa nicht. "Man kann mit diesen Daten nicht überprüfen, ob es Grenzwertüberschreitungen gibt", sagt Ute Dauert vom Umweltbundesamt. Ob also die Luftqualität an einer Straßenkreuzung so schlecht ist, dass die EU-Grenzwerte für Stickstoffdioxid und Feinstaub verletzt werden. Denn für eine solche Bewertung sind Messgeräte der höchsten Genauigkeitsstufe nötig. Solche, wie sie das Umweltbundesamt gemäß EU-Richtlinie verwendet. Hawa Dawa dagegen will Luftqualität vergleichbar machen und Trends aufzeigen. Und dafür muss es laut Geschäftsführer Tarraf kein Messgerät für viele Hunderttausend Euro sein. "Für 150 000 Euro können wir drei Städte flächendeckend ausstatten", sagt Geschäftsführer Tarraf. Im Münchner Impact-Hub, wenige Meter rechts von dem Konferenztisch, an dem bei Hawa Dawa die großen Zukunftsfragen diskutiert werden, stapeln sich auf schmalen Arbeitstischchen Platinen und Elektrodrähte. Hier sitzen die "Tekkie-Guys", wie sie sich selbst nennen. Die Mechatroniker und Ingenieure, die bei Hawa Dawa für die Hardware zuständig sind. Von hier dringt an diesem Freitag das Surren eines Akkuschraubers herüber. Die Techniker schrauben gerade vier weiße Kartuschen, die in der Mitte einen Schlitz haben, auf eine Metallplatte. Der Schlitz ist dafür da, Außenluft anzusaugen. Denn was ein bisschen aussieht wie eine Vierer-Form, mit der man Muffins backen kann, ist einer der wenigen greifbaren Komponenten im Geschäft mit der Luft: Die Messstationen, die Hawa Dawa selbst entwickelt hat. | Das Münchner Start-up untersucht die Schadstoffbelastung in Städten. Ziel ist, Messwerte vergleichbar zu machen und Trends aufzuspüren. Es könnte mithelfen, die Mobilität zu verändern. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/hawa-dawa-die-luftdienstleister-1.4255297 | Hawa Dawa - Die Luftdienstleister | 00/12/2018 |
Wer von der Vorstandsetage nach unten schaut, blickt auf einen Besprechungsraum im Foyer, der von oben wie eine Waschmaschine aussieht. So erinnert Henkel in der Düsseldorfer Zentrale an das Waschmittel Persil, das den weltweiten Erfolg des Unternehmens begründet hat. Bis heute gehört der Dax-Konzern, der auch Klebstoffe und Kosmetik produziert, zu mehr als 60 Prozent den Nachfahren des Gründers Fritz Henkel. Vorstandschef Hans Van Bylen bittet zum Gespräch im "Familienzimmer", einem Besprechungsraum auf dem Werksgelände. | Henkel-Chef Van Bylen über seinen Einsatz für Europa und den Kampf gegen Mikroplastik. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/montagsinterview-als-unternehmenschef-ist-man-kein-politiker-1.4255123 | """Als Unternehmenschef ist man kein Politiker""" | 00/12/2018 |
Dem Goldbären geht es nicht gut. Haribo wird dieses Jahr in Deutschland voraussichtlich 25 Prozent weniger von seinem Markenzeichen verkaufen als im Vorjahr. Täglich werden zwar immer noch etwa 100 Millionen Exemplare von dem Fruchtgummitier produziert. Seine Schwächephase hat jedoch weitreichende Folgen. Weil der Goldbär so wichtig ist für die Firma, zog er den Absatz des Süßwarenherstellers insgesamt um etwa zehn Prozent nach unten. Das Familienunternehmen nennt selbst keine Zahlen, nur so viel ist klar: Der Bär hat im Moment viel um die Ohren. Das dringlichste Problem ist mit dem Namen SAP S4 HANA verbunden. Haribo, bisher teils ausgestattet mit EDV aus den Achtzigerjahren, stellt seine Software seit Oktober an allen Standorten in der Welt "auf SAP" um. Mit den neuen Programmen aus Walldorf erhofft sich Haribo, noch mehr Goldbären günstiger und schneller zum Kunden zu bringen. Solange jedoch umgestellt wird, hakt es mit der Belieferung. Zwar bleiben keine Supermarktregale leer. Aber wenn die Bären mit anderen Fruchtgummisorten gemischt werden, schafften es nicht alle von ihnen in die Lieferwagen. Die Lieferquote, wie Fachleute es nennen, liegt derzeit bei 80 Prozent. Das ist relativ weit von 100 entfernt. Ein Unternehmenssprecher beschwichtigt: "Heute sehen wir, dass sich unsere Lieferfähigkeit Tag für Tag und Woche für Woche verbessert." Der Bär wird allerdings auch weniger nachgefragt, und zwar nicht erst seit Oktober. Haribo schiebt das auf "Nischenprodukte" wie etwa Fruchtgummi-Vampire. Die sind beliebter, bringen aber weniger Geld ein. Konkurrenten wie Katjes und Storck holen auf, während Haribo schrumpft, gleichwohl von einem hohen Niveau aus. Der Marktanteil liegt noch bei über 60 Prozent. Ein Grund für den Rückgang ist vielleicht auch diese WDR-Dokumentation, in der gezeigt wurde, wie Haribo Gelatine für die Bären teils aus der Schwarte kranker Schweine gewinnen soll. Selbst Firmenchef Hans Guido Riegel zeigte sich "bestürzt". Verantwortlich könnte allerdings nicht Haribo, sondern ein Gelatine-Lieferant aus Mannheim sein. Allerdings ist auch der Hauptbestandteil der Bären, Zucker, nicht angesagt. In den USA ist der Gummibär gefragter Es kommt hinzu: Die Gummibären-Tüte ist nicht recycelbar. Das widerspricht den Anforderungen des Verpackungsgesetzes, das von 2019 an gilt. Schließlich die Werbung: Testimonial Bully Herbig verlässt in wenigen Tagen die Firma. Vorgänger Thomas Gottschalk trauern bei Haribo viele nach. Last, but not least gab es wohl noch Stress mit dem Großabnehmer Lidl. Viel Ärger für einen kleinen Bären. Immerhin im Ausland kommt er an. In den USA werden schon mehr von ihm verkauft als hierzulande. Ende 2019 will Haribo den Grundstein für das erste US-Werk legen. Geplant war das eigentlich für 2017. Hat die Verzögerung mit dem Bären-Blues in Deutschland zu tun? Keine Antwort. Nur soviel: Weil der Bär so wichtig ist, bewirbt ihn Haribo bald kräftig. 2020 soll er dann wieder zu alter Größe finden. Dann wird Haribo 100, der Goldbär in seiner heutigen Form 60 - und Gottschalk 70. | Die Schwächephase des Goldbären hat weitreichende Folgen für den Süßwarenhersteller Haribo. Und sie hat mehrere Gründe. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/haribo-goldbaer-schwaeche-1.4255121 | Süßwaren - Goldbären-Absatz bricht um ein Viertel ein | 00/12/2018 |
Eine Zukunft ohne eigenes Fahrzeug ist für viele Menschen unvorstellbar. Wer aber flexibel und nachhaltig mobil sein will, muss die Angst vor Veränderung ablegen. Es ist gegen jede Vernunft: Obwohl es auf den Straßen immer enger und Sprit noch teurer wird, steigen die Verkaufszahlen von SUVs weiter an. Ganz so, als gäbe es keinen Klimawandel, als wäre Erdöl eine unendlich verfügbare Ressource. Einige Forscher haben für dieses Phänomen eine erstaunliche Erklärung: Angst! Die Angst vor Veränderung und gesellschaftlichen Umbrüchen. Wer sich und seine Familie schützen will, so die Erklärung, fühlt sich in einem Wagen sicherer, der mehr einem mächtigen Rammbock denn einem niedlichen Käfer gleicht. So gesehen wäre der klobige Geländewagen ein Bollwerk gegen den Wandel, ein trotziges Aufbegehren gegen die schleichende Entwertung des Statussymbols Auto. (Vor-)Urteile wie dieses gibt es in der Psychologie des Autofahrens zuhauf. Männern im Sportwagen wird gern nachgesagt, sie wollten ihre Potenz zur Schau stellen, Frauen in kleinen, bunten Flitzern auf sich aufmerksam machen. Egal, was da nun dran sein mag. Fest steht: Autofahren ist eine hochemotionale Angelegenheit. Wer zum Beispiel Tempo 30 in Städten oder gar ein Limit auf Autobahnen in Deutschland fordert, dem droht nach wie vor ein Sturm der Entrüstung. Soll also alles so bleiben wie es ist? Einfach weiter machen wie bisher? In endlosen Staus herumstehen? Runde um Runde im Stadtviertel drehen auf der Suche nach einem Parkplatz? Lärm, verpestete Luft, entnervt zuhause ankommen? Oder geht es vielleicht auch anders, besser, sogar viel besser? Ja, das geht. Was es dafür vor allem braucht: Visionen, Technik, eine passende Infrastruktur - und ganz wichtig, den Willen zur Veränderung. Da kann es helfen, sich einfach mal zurückzulehnen, die alten Denkmuster für ein paar Momente beiseitezuschieben, um sich einen ganz anderen Alltag vorzustellen. Wie etwa würde sich das Leben in einer staufreien Stadt anfühlen, mit sauberer Luft, mit viel Grün vor der Haustür und jeder Menge Platz für Fußgänger, Radfahrer oder einfach nur zum Draußensein. Eine Stadt, in der man jederzeit schnell und bequem unterwegs sein kann, und das auch noch, ohne dem Klima zu schaden. Oder wie fühlt sich das Dasein in einem Dorf an, das wieder Lebensqualität bietet, weil es kein Problem mehr ist einzukaufen, zur Arbeit zu kommen, in die Schule oder zum Arzt. Und all das, ohne auf das eigene Auto angewiesen zu sein. Was lange undenkbar erschien, wird langsam Realität: Die Vormachtstellung des Autos als Verkehrsmittel Nummer Eins bröckelt. Umfragen zeigen deutlich, dass vor allem Städter zwischen 20 und Mitte 30 anders mobil sein wollen. Wenn sie ein Fahrzeug brauchen - egal ob Auto, Fahrrad oder Roller, dann mieten oder teilen sie es. Der Vorteil dabei ist, sie sparen so auch jede Menge Geld für Unterhalt, Versicherung oder Reparaturen. Das zeigt, wohin die Reise geht: Mobilität bedeutet Service, nicht Besitz. Massentransportmittel wie Zug, S- oder U-Bahn werden wichtiger und werden ergänzt durch ein vielfältiges Angebot an individuell nutzbaren öffentlichen Vehikeln. Sammeltaxis oder autonomfahrende Carsharing-Autos halten auf Bestellung vor der Haustür. Fahrräder, E-Bikes, Roller und andere fahrbare Untersätze sind Teil dieses Systems, sodass auch der letzte Kilometer von der Bahnhaltestelle bis zur Arbeitsstelle abgedeckt ist. Alles eng vernetzt und einfach nutzbar. | Eine Zukunft ohne eigenes Fahrzeug ist für viele Menschen unvorstellbar. Wer aber flexibel und nachhaltig mobil sein will, muss die Angst vor Veränderung ablegen. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/mobilitaet-vergesst-doch-mal-das-auto-1.4253278 | Vergesst doch mal das Auto | 00/12/2018 |
US-Ökonomin Stephanie Kelton ist überzeugt, dass ein Staat so viel Geld ausgeben kann wie er will, wenn er eine eigene Währung hat. Ein Gespräch über Denkfehler von Politikern und den wahren Sinn von Steuern. Stephanie Kelton, 49, empfängt auf Socken in ihrem wunderschönen Haus auf Long Island, durch dessen riesige, bodentiefe Fenster man direkt auf eine kleine, geschützte Atlantikbucht blickt. Bis zur Stony-Brook-Universität, wo sie Volkswirtschaft und Staatswissenschaften unterrichtet, sind es mit dem Auto gerade einmal zehn Minuten. Für das US-Magazin Politico zählte sie 2016 zu den "50 Denkern, Machern und Visionären", die die amerikanische Politik am meisten beeinflussen - wegen ihrer ketzerischen Lehren und wohl auch deshalb, weil sie seinerzeit den demokratischen Präsidentschaftsanwärter Bernie Sanders beriet. Kelton, die mit einem Historiker verheiratet und Mutter zweier Kinder ist, gehört zu den Vorkämpferinnen der "Modernen Geldtheorie", deren Kernthese, stark vereinfacht, lautet: Ein geldpolitisch souveräner Staat kann so viel Geld ausgeben, wie er will. | US-Ökonomin Stephanie Kelton ist überzeugt, dass ein Staat so viel Geld ausgeben kann wie er will, wenn er eine eigene Währung hat. Ein Gespräch über Denkfehler von Politikern und den wahren Sinn von Steuern. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/stephanie-kelton-interview-1.4251865 | Stephanie Kelton: Geld ist zum Schöpfen da | 00/12/2018 |
Seit 2018 gelten bei der Steuer auf Fonds neue Regeln. Anleger, die in diesen Wochen Anteile von Aktienfonds verkaufen, sollten aufpassen: Sie zahlen möglicherweise drauf. Als Jan F. neulich auf den Depotauszug seiner Bank schaute, erschrak er ziemlich: Er hatte im November Anteile von Indexfonds (ETFs) verkauft und musste mehr als 700 Euro Abgeltungsteuer zahlen, obwohl sein Gewinn nur bei 400 Euro lag. Ein Fehler? Leider nein. Seit Anfang des Jahres wird bei der Abgeltungsteuer anders gerechnet, das hat noch Wolfgang Schäuble in seiner Zeit als Finanzminister umgesetzt. Aufpassen müssen alle Anleger, die Anteile an reinen Aktienfonds besitzen, die heute weniger wert sind als am 31. Dezember 2017. Angesichts des Börsenabschwungs der vergangenen Monate ist das sehr wahrscheinlich. Das Problem: Während der bis Jahresbeginn aufgelaufene Gewinn voll zählt, werden vom Verlust in diesem Jahr nur 70 Prozent dagegen gerechnet. Das bedeutet für Jan F.: Die ETF-Anteile waren Ende 2017 rund 8000 Euro mehr wert als beim Kauf. 2018 verloren sie 7600 Euro. Das Finanzamt rechnet die 8000 Euro voll als Gewinn, aber vom Verlust nur 70 Prozent, also 5320 Euro. Macht rechnerisch 2680 Euro "Gewinn" - und damit mehr als 700 Euro Abgeltungsteuer (inklusive Soli und gegebenenfalls Kirchensteuer). Dass sich das neue Gesetz zur Fondsbesteuerung für viele Anleger negativ auswirken dürfte, wird von der Politik in Kauf genommen. Das Bundesfinanzministerium teilt mit: "Der Wechsel des Besteuerungsregime kann für den Steuerpflichtigen im Übergangszeitraum Vorteile, aber auch Nachteile bringen, je nach den Verhältnissen des konkreten Falls." Eine sogenannte Günstigerprüfung, die es dem Steuerzahler ermöglicht, zwischen verschiedenen Optionen zu wählen, sei vom Gesetzgeber bewusst nicht vorgesehen. Denn: "Sonderregelungen würden die ohnehin bereits recht komplexen Übergangsregelungen weiter verkomplizieren." Sparer, die derzeit überlegen, Anteile von Aktienfonds zu verkaufen, sollten also diesen Steuernachteil in Ihre Überlegungen einbeziehen. Dazu sollten sie auf jeden Fall im Depotauszug prüfen, welche sogenannten "fiktiven Gewinne" zum 31. Dezember 2017 festgeschrieben wurden, und wie sich der Fonds seither entwickelt hat. Wer verkauft: Freistellungsauftrag einrichten Analog zum Beispiel von Anleger Jan F. sollte sich die endgültige Steuerlast überschlagen lassen. Das ist besser, als nach dem Verkauf unangenehm überrascht zu werden. Darüber hinaus können Anleger dann gegebenenfalls auch ihren Freistellungsauftrag noch entsprechend anpassen. Kapitalerträge bis 801 Euro sind von der Abgeltungsteuer ausgenommen. Bei Verheirateten ist der Betrag doppelt so hoch. Und Steuer hin oder her: Vermögensberater empfehlen, niemals aus Panik in einem Börsenabschwung zu verkaufen. Die langfristige Perspektive sollte zählen. | Seit 2018 gelten bei der Steuer auf Fonds neue Regeln. Anleger, die in diesen Wochen Anteile von Aktienfonds verkaufen, sollten aufpassen: Sie zahlen möglicherweise drauf. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/abgeltungsteuer-vorsicht-beim-verkauf-von-aktienfonds-1.4253813 | Abgeltungsteuer: Vorsicht beim Verkauf von Aktienfonds | 00/12/2018 |
Nun muss das Revier ohne den Rohstoff auskommen, auf dem es gegründet wurde. Und das kann es eigentlich auch: Hunderttausende Menschen arbeiten hier täglich in modernsten Jobs; im "Pott" weht Gründergeist. So viel Ende war nie. Es wird also feierlich zugehen, wenn Deutschlands letzte Steiger und Hauer kommende Woche unterm Förderturm von Bottrop ihrem Bundespräsidenten ein allerletztes Stück Kohle überreichen. Frank-Walter Steinmeier wird sich wortreich bedanken und von der Ära sprechen, die nach mehr als zwei Jahrhunderten Steinkohle-Bergbau am 21. Dezember ausläuft. Er wird die Schufterei in Staub und Dreck, die Maloche, loben. Und die Tugenden preisen, mit denen man unter Tage überlebte und die die Menschen im Ruhrgebiet bis heute prägen: ihre Gradlinigkeit, ihren Anstand, ihre Solidarität. Dann ist Schicht im Schacht, endgültig. Genau genommen markiert dieser Freitag das Ende vom Ende. Den Abschied vom Abschied: Bereits seit mehr als einem halben Jahrhundert schließen die Zechen im "Pott". Was die Menschen in der Region davor über Generationen zu Tage gefördert hatten, veränderte die Welt. Die Kohle von der Ruhr war das Fundament für Deutschlands Industrialisierung und seinen Aufstieg auch zur politischen Großmacht. Das schwarze Gold schuf Wohlstand - und befeuerte zwei Weltkriege und Katastrophen, die all dies zerstörten. Die Kohle war Treibstoff für Untergang und Neuanfang, auch für das Wirtschaftswunder der jungen Bundesrepublik. Die Republik dankte mit Milliarden, zeitweise verbrannte jeder Arbeitsplatz im Bergbau 80 000 Euro Staatszuschuss. Jedes Jahr. Niemand sollte abstürzen, also "ins Bergfreie fallen". Und nun? Nun muss das Revier ohne den Rohstoff auskommen, auf dem es gegründet wurde. Die Kohle ist verbrannt, die Region muss lernen, "Asche zu machen" aus dem, was bleibt. Also umdenken und Geld verdienen in neuen Jobs, in anderen Betrieben und Branchen. Strukturwandel nennt man diesen mühsamen, schmerzhaften Anpassungsprozess. Den durchleben und durchleiden die mehr als fünf Millionen Menschen im Ruhrgebiet seit nunmehr bald zwei Generationen. Vieles gelang, manches scheiterte, fertig ist nichts. Die Arbeitslosenquote dümpelt knapp unter zehn Prozent, in Duisburg und Essen, Gelsenkirchen oder Dortmund lebt jeder Fünfte von Hartz IV. Was Wunder, dass sich da mancher in Nostalgie flüchtet. Monumente des Erinnerns gibt es genug. Die Denkmäler vergangener Industriekultur - erkaltete Hochöfen, luftige Gasometer, versiegelte Schachtanlagen - sind touristische Attraktionen. Zugleich liegt über der Region der Fluch des Förderturms: Das mächtige Stahlgerüst mit den zwei Seilscheiben von Zeche Zollverein in Essen dient der Region als Symbol ihrer Vergangenheit. Leuchttürme der Zukunft hingegen hat das Ruhrgebiet noch nicht für sich entdeckt. Hunderttausende Menschen arbeiten hier täglich in modernsten Jobs. Die Mentalität jedoch ist die alte geblieben. Man ist bescheiden, verachtet jeden "Stuss", verabscheut unnötige "Fissematenten". Man genügt sich selbst, in stillem Stolz. Der Schriftsteller Frank Goosen hat dieses Selbstgefühl vor Jahren in einem Satz verdichtet: "Woanders is' auch scheiße." Das klingt sympathisch, weil lakonisch. Aber als ein Motto, das jeder "Ruhri" kennt, ist es eben auch schrecklich fatalistisch. Und bar jeder Ambition. Gründergeist anstatt Stahlwerken In Wirklichkeit ist das Ruhrgebiet längst weiter. Vor gut 50 Jahren gab es hier 300 000 Kumpel und keine Studenten - heute ist es umgekehrt. In einer Region, wo einst der Sohn im selben Stahlwerk oder auf demselben Pütt wie Vater und Großvater anfing, weht Gründergeist. Vor allem im Umfeld der 22 Hochschulen gedeihen Start-ups. Bochum etwa erlebt bereits seinen dritten Strukturwandel: Auf jenem ehemaligen Zechengelände, wo Opel von den Sechzigerjahren bis 2015 Kadetts und Zafiras montieren ließ, siedeln sich nun Firmen und Institute für IT-Sicherheit an. In zwei Jahren wird der Standort doppelt so viele Jobs beherbergen, wie Opel kurz vor Toresschluss bot. Dortmund und Duisburg profilieren sich derweil als Logistikzentren, Gelsenkirchen wird gerade digitale Modellstadt. Das ist die eine, die sonnige Seite. Im Schatten liegen Probleme, die das Ruhrgebiet seit Jahrzehnten plagen, die es nicht selbst lösen kann - und mit denen es bisher alleingelassen wird. Auch das mag an der falschen Bescheidenheit der Menschen liegen: Die Zeiten, da die Regierungen in Berlin oder Düsseldorf das Feuer einer "brennenden Ruhr" befürchteten, sind längst vorbei. Protestiert wird allenfalls "stickum", also heimlich, still und leise: per Votum für die AfD. Viele Städte leiden unter milliardenschwerer Schuldenlast Der alte Westen wurde zum Opfer des neuen Ostens. Das spürt jeder, der in NRW über Autobahnen oder Bundesstraßen holpert. Nach dem Fall der Mauer 1989 strömte alle nationale Solidarität in die neuen Bundesländer. Auch die Revierstädte zahlten damals in den Fonds Deutsche Einheit, oft auf Pump. Eine milliardenschwere Schuldenlast erdrückt die ärmsten Städte an Emscher und Ruhr, verhindert ihre Investitionen in die Zukunft, also in Kindergärten und Schulen. Die Regierungen in Berlin und Düsseldorf könnten dem Revier leicht Luft verschaffen und die Altschulden in einen Sonderfonds umschichten. Tun sie aber nicht. Noch übler im Stich gelassen wird das Ruhrgebiet mit einer anderen Folge des Strukturwandels. Dort, wo nach dem Zechentod die Malocher wegzogen, fanden die Schwächsten ihre Bleibe mit bezahlbarer Miete: Arbeitslose, Hilfsarbeiter, Flüchtlinge. Halbe Stadtteile verkommen zu Zonen inländischer Abschiebung, zu Ghettos. Und diese Armut ist erblich: Kinder, die hier zur Schule gehen, haben kaum eine Chance aufs Abitur. Das ist Klassen-Bildung, mitten in Deutschland. Deshalb sollte das Ruhrgebiet genau hinhören am kommenden Freitag. Berlin und Düsseldorf dürfen dieses Stück Deutschland nicht abspeisen mit wohlfeilen Worten zu seiner Geschichte. Das Revier will nach vorn, mit Schmackes und Elan. Aber ohne Hilfe zur Selbsthilfe werden die Nachfahren der Kumpel nie in der Zukunft ankommen. | Nun muss das Revier ohne den Rohstoff auskommen, auf dem es gegründet wurde. Und das kann es eigentlich auch: Hunderttausende Menschen arbeiten hier täglich in modernsten Jobs; im "Pott" weht Gründergeist. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ruhrgebiet-kohle-ausstieg-1.4253414 | Das Ruhrgebiet schafft den Strukturwandel | 00/12/2018 |
Der kleine CE-Aufkleber lässt EU-Bürger Produkten vertrauen. Am Markt sind aber auch gefälschte CE-Zeichen aufgetaucht. Woran man die erkennt. Der Wlan-Verstärker war ein Schnäppchen, entpuppte sich letztlich aber als teurer Spaß: Die Verbraucherzentrale Niedersachsen berichtete, dass sich der Verstärker in der Praxis als Störquelle für andere vernetzte Geräte erwies, der Prüf- und Messdienst der Bundesnetzagentur ausrückte und der Käufer des Wlan-Zubehörs aus Fernost die Kosten dafür tragen musste. Dabei trug das fehlerhafte Gerät ein CE-Kennzeichen, das in der Europäischen Union eigentlich garantieren soll, dass ein Produkt bestimmten Sicherheitsanforderungen entspricht. Allein: es war gefälscht. Kathrin Körber, 42, Rechtexpertin der niedersächsischen Verbraucherzentrale, erklärt, was es mit dem CE-Kennzeichen auf sich hat. SZ: Wie können Verbraucher überprüfen, ob ein Produkt, das sie kaufen, sicher ist? Kathrin Körber: Es wäre sinnvoll, zu schauen, ob es sich um eine Originalware handelt. Wie ist der Artikel beschrieben, wie hoch ist der Kaufpreis, auch ein Blick in Internet-Bewertungen kann helfen. Möglicherweise sind hier schon erste Sicherheitsmängel benannt. Verbraucher können sich außerdem im Schnellwarnsystem auf den Seiten der Europäischen Kommission informieren, welche Produkte als gefährlich eingestuft sind. Welche Rolle spielt das CE-Etikett in punkto Sicherheit? Ich glaube nicht, dass Verbraucher das CE-Kennzeichen - und wir sprechen immer von einem Kennzeichen - so empfinden wie ein Bio- oder Vertrauenssiegel. CE sagt nur, dass Produkte laut Hersteller den Sicherheitsanforderungen der EU entsprechen Was hat ein Hersteller davon, das Kennzeichen unberechtigterweise aufzukleben oder gar zu fälschen? Die Verbraucher in der EU sind mit dem CE-Kennzeichen vertraut. Sie dürfen erwarten, dass das Produkt den Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen entspricht. Und letztlich geht es jedem Verkäufer darum, seine Artikel zu verkaufen. Woran erkennt man als Verbraucher ein gefälschtes CE-Kennzeichen? Falsche CE-Kennzeichen erkennt man daran, dass die beiden Buchstaben zu nahe aneinander stehen, der Mittelstrich von dem E zu weit hinaus ragt und rechtsbündig ist. Das echte "CE Kennzeichen" ist abgestimmt und wenn Sie das "C" als Kreis darstellen, dann überschneidet es sich mit dem "E". Könnte man sagen, dass Hersteller mit dieser Erwartungshaltung spielen? Ja, das kann man so sagen. Vor allem Hersteller oder Händler aus Drittländern spielen damit, dass Verbraucher sich auf das CE-Kennzeichen verlassen und nicht genauer auf das Produkt schauen. Doch vor allem dann, wenn es um Produkte geht, die offensichtlich aus dem asiatischen Raum kommen, wurde ich schon oft gefragt, ob es nicht auch provokant vom Kunden sei, sie dann überhaupt zu kaufen. Auf der anderen Seite werden viele Elektroartikel nun mal dort hergestellt. Richtig! Deshalb müssen Verbraucher genauer hinschauen und sich sensibilisieren. Der Verbraucher muss sich jedoch auch bewusst sein, dass die CE-Kennzeichnung zwar kein Qualitätssiegel ist, jedoch als Kennzeichen auf den Produkten angebracht sein muss. Wie oft kommt es zu Problemen mit Produkten, die ein gefälschtes CE-Kennzeichen tragen? Bei vielen Produkten aus dem asiatischen Raum ist das CE-Kennzeichen falsch. Wir erfahren davon erst, wenn sich die Verbraucher bei uns melden. Im aktuellen Fall um einen Wlan-Verstärker aus China hatte der Verstärker eine viel höhere Sendeleistung, als frequenztechnisch in Europa erlaubt. In solchen Fällen darf der Prüf- und Messdienst der Bundesnetzagentur ausrücken und die Störquelle suchen. Der Verbraucher bleibt dann auch auf diesen Einsatzkosten sitzen. Woran sollen denn Verbraucher erkennen können, ob es zu Unrecht auf einem Produkt klebt? Neben dem Kennzeichen müssen der Firmenname und die Adresse des Herstellers aufgeführt sein. Wenn das nicht der Fall ist, kann man das Ganze gleich an den Händler zurückschicken. Besser: Der Verbraucher sollte es gar nicht erst kaufen. Warnen Sie vor CE-Kennzeichen hauptsächlich dann, wenn die Produkte aus dem asiatischen Raum kommen? Wir warnen nicht grundsätzlich vor Artikeln aus dem asiatischen Raum bzw. aus Drittländern. Nicht alles ist schlecht und nicht alle sind unsicher. Aber dann, wenn Verbraucher meinen, einen sicheren und gut funktionierenden Wlan-Verstärker zu kaufen, dieser jedoch zu einer absoluten Störquelle für andere wird, nehmen wir dies zum Anlass, auf Produkte mit einem falschen CE-Kennzeichen aufmerksam zu machen. Wenn der Kunde durch ein Produkt mit falschem oder nicht rechtmäßig angebrachten CE-Kennzeichen zu Schaden kommt - was macht er dann? Wenn ein Produkt den Sicherheitsstandards nicht entspricht und jemanden verletzt oder Nebenkosten entstehen, dann hat man als Verbraucher natürlich Ansprüche auf Schadenersatz. Den müssen die Verbraucher bei den Händlern oder den Herstellern geltend machen. Nur: Wenn diese in Asien sitzen, werden Verbraucher ihre Rechte nicht durchsetzen können. In Deutschland - ja. In der Europäischen Union - ja. Aber in Asien stelle ich mir das ausgesprochen schwierig vor. | Der kleine CE-Aufkleber lässt EU-Bürger Produkten vertrauen. Am Markt sind aber auch gefälschte CE-Zeichen aufgetaucht. Woran man die erkennt. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ce-zeichen-gefaelscht-1.4254726 | Wie man gefälschte CE-Zeichen erkennt | 00/12/2018 |
Chaos auf den Bahnsteigen wegen ausfallender Züge? Das wollte die Bahn so kurz vor Weihnachten nicht noch einmal riskieren. Der Druck war zuletzt stark gestiegen. Neue Warnstreiks ausgerechnet im wichtigen Reisezeitraum kurz vor Weihnachten wollte die Deutsche Bahn im Tarifstreit mit den Gewerkschaften auf jeden Fall verhindern. Es galt, das wichtige Geschäft nicht zu gefährden - und auch den ohnehin bei Passagieren ramponierten Ruf nicht noch mehr zu strapazieren. Und so gab der Konzern in der Nacht zum Samstag den wichtigsten Forderungen der großen Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG statt. Man habe einen Tarifabschluss erreicht, teilten die EVG und die Bahn am Samstagmorgen mit. Die EVG habe in sehr schwierigen Verhandlungen fast alle ihrer 37 Forderungen durchgesetzt, erklärte ein EVG-Sprecher. Die Bahn stand nach den Warnstreiks vom Montag unter Zugzwang. Die EVG hatte im morgendlichen Berufsverkehr bundesweit Züge lahmgelegt. Davon waren Millionen Pendler betroffen. Am Samstagvormittag stellten Bahn und EVG die Einigung in Berlin vor. Demnach haben sich beide Seiten auf eine Lohnerhöhung von insgesamt 6,1 Prozent in zwei Stufen geeinigt. Mit dem Abschluss steigen die Löhne in zwei Stufen um 3,5 Prozent zum 1. Juli 2019, danach um 2,6 Prozent zum 1. Juli 2020. Außerdem gewährt die Bahn für die Zeit von Oktober 2018 bis zur Tariferhöhung im Sommer 2019 eine Einmalzahlung von 1000 Euro. Zudem sollen die Mitarbeiter erneut die Möglichkeit bekommen, statt der zweiten Stufe der Gehaltserhöhung mehr Urlaub oder eine Arbeitszeitverkürzung zu wählen. Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von 29 Monaten bis Ende Februar 2021. Streit mit GDL bleibt ungelöst Weiter ungelöst ist jedoch der Tarifstreit mit der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL), der zweiten wichtigen Bahngewerkschaft. Sie hatte die Verhandlungen am Freitag erneut für gescheitert erklärt. Gewerkschaftschef Claus Weselsky begründete dies damit, dass die Bahn einen ausverhandelten Vertrag nicht unterschreiben wolle. Die GDL warf der Bahn deshalb Taktiererei vor. Der Konzern strebt für beide Gewerkschaften die gleichen Abschlüsse an. Das allerdings könnte nun schwer werden. Die GDL hatte nach dem Scheitern Nachbesserungen der Bahn gefordert. Während die EVG das stationäre Personal vertritt, steht die GDL vor allem für das fahrende Personal. Um einige Bereiche - rund 36 000 der 160 000 DB-Mitarbeiter - liefern sich die Gewerkschaften einen Konkurrenzkampf: Lokführer, Zugbegleiter, Bordgastronomen oder Disponenten. Streiks bei der Bahn sind nach der Einigung mit der EVG in diesem Jahr aber erst mal abgewendet. Die GDL darf zu einem Streik nach geltender Vereinbarung erst nach dem Ende einer Schlichtung aufrufen. Die ist aber noch nicht eingeleitet. Bei der Bahn, die wegen hoher Schulden und wegen nötiger Investitionen wirtschaftlich schweren Zeiten entgegengeht, verschärft der Abschluss die Probleme. Man habe immerhin eine noch höhere Lohnerhöhung verhindert, hieß es aus dem Konzern. Die EVG hatte ebenso wie die GDL ursprünglich 7,5 Prozent mehr Lohn gefordert. Doch auch die gefundene Einigung belastet die Bahn nach Angaben aus Konzernkreisen mit rund 500 Millionen Euro zusätzlich. Bahn-Vorstand Martin Seiler formulierte es am Samstag so: "Der Abschluss ist ein wichtiges Zeichen der Wertschätzung für unsere Belegschaft und ein großer Schritt in eine noch modernere Tarif- und Arbeitswelt." | Die Bahn einigt sich mit der Gewerkschaft EVG und vermeidet so noch mehr Zugausfälle kurz vor Weihnachten. Doch der Tarifabschluss bringt neue Probleme. Und dann ist da noch der Streit mit der GDL. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/bahn-tarifvertrag-streiks-evg-gdl-1.4254787 | Bahn: Für dieses Jahr sind Streiks vom Tisch | 00/12/2018 |
ICE-Züge warten im Hauptbahnhof Leipzig. Nach der Einigung im Tarifkonflikt zwischen Deutscher Bahn und EVG sind weitere Streiks abgewendet. Die Deutsche Bahn und die Gewerkschaft EVG haben ihren Tarifkonflikt beigelegt. "Es gibt eine Einigung", sagte eine Sprecherin der Deutschen Bahn AG. Ein Sprecher der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) bestätigte: "Wir haben einen Abschluss erzielt." Damit sind weitere Warnstreiks abgewendet. Die Bahn und die EVG einigten sich auf eine Lohnerhöhung von insgesamt 6,1 Prozent in zwei Stufen. Zum 1. Juli 2019 sollen die Löhne um 3,5 Prozent steigen, ein Jahr später noch einmal um 2,6 Prozent, wie die EVG mitteilte. Zudem erhalten die Beschäftigten im Februar eine Einmalzahlung von 1000 Euro. Weiter ungelöst ist der Tarifkonflikt mit der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL), die die Verhandlungen für gescheitert erklärt hat und zunächst in die Schlichtung müsste. EVG-Verhandlungsführerin Regina Rusch-Ziemba sprach nach viertägigen Verhandlungen in Berlin von einem "Erfolg auf ganzer Linie". Die EVG habe in sehr schwierigen Verhandlungen mit der Deutschen Bahn alle ihre 37 Forderungen durchgesetzt. DB-Personalvorstand Martin Seiler sagte: "Der Abschluss ist ein wichtiges Zeichen der Wertschätzung für unsere Belegschaft und ein großer Schritt in eine noch modernere Tarif- und Arbeitswelt." Nun könne sich das Unternehmen mit ganzer Kraft darauf konzentrieren, die Agenda für eine bessere Bahn umzusetzen und bei Qualität und Pünktlichkeit besser zu werden. Für die neun Monate vom Auslaufen des Tarifvertrages bis zur ersten prozentualen Lohnerhöhung wurde die Einmalzahlung vereinbart, die laut EVG im kommenden Februar ausgezahlt wird. "Dieser hohe Betrag stellt für uns eine wichtige soziale Komponente für die unteren Lohngruppen dar", sagte Rusch-Ziemba. Die Lohnerhöhung sei einschließlich des sogenannten EVG-Wahlmodells erreicht worden, hieß es weiter. Demnach könnten die Beschäftigten erneut zwischen 2,6 Prozent mehr Geld, sechs Tagen mehr Urlaub oder einer Arbeitszeitverkürzung wählen. Umgesetzt werde die Wahlmöglichkeit "mehr Urlaub" zum 1. Januar 2021. Alle, die sich für mehr Urlaub entscheiden, erhalten laut EVG im August 2020 - für die Zeit vom 1. Juli 2020 bis 31. Dezember 2020 - eine Einmalzahlung in Höhe von 700 Euro. Einmalzahlung von 460 Euro für die Nachwuchskräfte Die Ausbildungs- und Studienvergütung wird ebenfalls in zwei Stufen um insgesamt 100 Euro angehoben: Zum 1. Juli 2019 steigt sie um 60 Euro und ein Jahr später um weitere 40 Euro. Hinzu komme eine Einmalzahlung von 460 Euro für die Nachwuchskräfte. Zudem sei die Deutsche Bahn AG verpflichtet worden, Geld zur Gestaltung eines zukunftsfähigen Zulagensystem bereit zu stellen. Schließlich werde die arbeitgeberfinanzierte betriebliche Altersvorsorge erhöht. Zum Auftakt vor zwei Monaten hatten die beiden Gewerkschaften EWG und GDL 7,5 Prozent mehr Geld gefordert, die GDL für 24 Monate, die EVG nannte damals keine Wunschlaufzeit. Vor dem EVG-Warnstreik hatte die Bahn eine Einkommenserhöhung in zwei Stufen angeboten: 2,5 Prozent ab März 2019 und weitere 2,6 Prozent ab Januar 2020, dazu eine Einmalzahlung von 500 Euro, bei einer Vertragslaufzeit von 29 Monaten. Die Bahn legte der EVG und der GDL dann am Mittwoch ein neues Angebot vor. Nach Angaben von GDL-Chef Claus Weselsky sah es in der ersten Stufe ein Lohnplus von 3,2 Prozent vor - jedoch bei einer Laufzeit von 34 Monaten. Je länger die Laufzeit eines Vertrages ist, desto geringer fällt die effektive Lohnerhöhung auf ein Jahr gesehen aus. Weselsky schloss am Freitag eine Schlichtung nicht mehr aus. Die GDL darf nach geltender Vereinbarung erst nach dem Ende einer Schlichtung zum Streik aufrufen. Bereits vor einer Woche hatte der GDL-Chef als mögliche Aktionsform skizziert, "plötzlich könnte dem gesamten Zugpersonal einfallen, dass es tarifvertraglich zu keinerlei Überstunden verpflichtet ist". | Es gebe einen Abschluss, bestätigten beide Seiten am Samstagmorgen. Weitere Warnstreiks seien damit abgewendet. Der Streit mit der Lokführergewerkschaft GDL geht jedoch noch weiter. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/bahn-streik-einigung-1.4254777 | Nach Streik: Bahn einigt sich mit EVG im Tarifkonflikt | 00/12/2018 |
Die Europäische Zentralbank hat richtig gehandelt, als sie in der Krise die Wirtschaft gestützt hat. Jetzt reduziert sie ihr Programm - zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Die abgelaufene Woche war für den Euro, ebenso wie für die Europäische Zentralbank, von historischer Bedeutung. Erstens hat der Europäische Gerichtshof am Dienstag die Praxis der EZB für rechtens erklärt, in großem Stil Staatsanleihen zu kaufen, um dadurch Geld in die Wirtschaft zu pumpen. Die Notenbank bleibt dank des Spruchs des EuGH also voll handlungsfähig. Am Donnerstag hat, zweitens, der EZB-Rat beschlossen, das Anleihenprogramm - genannt "Quantitative Easing" - am Jahreswechsel zu beenden. Es ist zwar nur ein kleiner Schritt zurück zur Normalität in der Geldpolitik, denn die EZB will fällig werdende Anleihen in ihrer Bilanz weiterhin durch neue ersetzen, der Bestand von 2,6 Billionen Euro wird sich daher zunächst einmal nicht verändern. Aber er wird auch nicht weiter steigen. Das ist ein erster Schritt, immerhin. Das Anleihenprogramm war und ist heftig umstritten, besonders in Deutschland. Die Deutsche Bundesbank lehnt es ab, es stärkte außerdem die Populisten von der AfD, weil die Anleihenkäufe zu noch niedrigeren Zinsen führten und dies viele Sparer in ihrem Gefühl bestärkte, sie würden von der Politik enteignet. Deshalb ist es wichtig, am Ende dieser Woche festzustellen: Mario Draghi hatte recht. Quantative Easing war ein Erfolg, in der Euro-Zone ebenso wie in den Vereinigten Staaten, wo die Federal Reserve ein paar Jahre davor mit dem Programm begonnen hatte. Nach der Finanzkrise wurde die Konjunktur stabilisiert, die Notenbanken trugen ihren Teil dazu bei, dass die USA und Europa einen der längsten Aufschwünge der Nachkriegszeit erlebten. Die Frage ist: Hat Draghi irgendwann aufgehört, recht zu haben? Hat die EZB, anders ausgerückt, zu lange an dem Programm festgehalten? Und wenn man die Frage mit Ja beantwortet, wofür einiges spricht: Gibt man dafür dann Draghi die Schuld oder den Strukturschwächen der Euro-Zone? Die Antwort kann heute niemand guten Gewissens geben. Unbestreitbar allerdings ist, dass das Ende des Anleihenprogramms der EZB jetzt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt kommt. In den vergangenen Wochen ist die Konjunktur in Deutschland und in Europa schwächer geworden. In den Vereinigten Staaten sind zuletzt die langfristigen Zinsen gesunken, obwohl die Fed die kurzfristigen Zinsen erhöhte. Wer in Amerika heute sein Geld auf zehn Jahre festlegt, verdient kaum mehr, als wenn er dies nur für ein Jahr tut. Das Phänomen, genannt "flache Zinskurve", gilt als Warnsignal vor einer drohenden Konjunkturschwäche. Es gibt hohe politische Risiken, die schlimmsten sind die Präsidentschaft Donald Trumps und der schwelende Handelskonflikt zwischen Amerika und China. Sollte es im kommenden Jahr zu einem ausgeprägten Abschwung kommen, hätte die EZB keine scharfen Waffen mehr, um gegenzuhalten. Die Bilanzsumme der EZB entspricht, dank der Anleihekäufe, 40 Prozent der Wirtschaftsleistung in der Euro-Zone (in den USA sind es 20 Prozent). Mehr ist schwer vorstellbar. Die Einlagezinsen für Banken sind bereits negativ. Sie können nicht viel negativer werden. Wahrscheinlich wagte die EZB nicht, früher aus Quantitative Easing auszusteigen, vor allem wegen der immer noch angespannten Lage in den Mittelmeerländern der EU. Auf jeden Fall kommen EZB und Euro jetzt in eine Phase erhöhter Unsicherheit. Eine Illusion wäre es, zu glauben, dass die Zeit der extrem niedrigen Zinsen bald vorbei ist. In den USA könnte die Fed im kommenden Jahr ihre geplanten Zinserhöhungen hinauszögern, in Europa könnte die EZB wegen der schwachen Konjunktur gar nicht mehr dazu kommen, über höhere Zinsen zu entscheiden. | Die Europäische Zentralbank hat richtig gehandelt, als sie in der Krise die Wirtschaft gestützt hat. Jetzt reduziert sie ihr Programm - zu einem ungünstigen Zeitpunkt. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ezb-anleihenkaufe-1.4253276 | Geldpolitik - Draghi kommt zu spät | 00/12/2018 |
Das CE-Kennzeichen fehlt auf kaum einem Alltagsprodukt. Das Label suggeriert Kunden, dass sie ein sicheres Gerät kaufen. Viele Verbraucher führt es aber in die Irre. Wer sich im eigenen Haushalt genauer umschaut, wird staunen, wie oft er der Abkürzung CE begegnet: Milchschäumer, iPhone, Spielzeugauto, Zeitschaltuhr, Tischkicker, Fernseher, Riesenwasserspritze, Rasierapparat, Wärmflasche, Fahrradhelm - auf vielen Gegenständen, die Kunden auch jetzt im Weihnachtsgeschäft suchen, kleben diese Buchstaben drauf. Gerade hat die Verbraucherzentrale Niedersachsen im Zuge der Prüfung eines Wlan-Verstärkers, der sich in der Praxis allerdings als Wlan-Störer erwies, ausdrücklich geraten, auf die CE-Kennzeichnung zu achten. | Das CE-Kennzeichen fehlt auf kaum einem Alltagsprodukt. Das Label suggeriert Kunden, dass sie ein sicheres Gerät kaufen. Viele Verbraucher führt es aber in die Irre. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ce-kennzeichnung-sicherheit-1.4253599 | Verbrauchertäuschung - Mit Trug und Siegel | 00/12/2018 |
Unter dem Eindruck enttäuschender Konjunkturdaten ist der Euro am Freitag gefallen. Die Gemeinschaftswährung gab um 0,5 Prozent auf 1,1301 Dollar nach. Die Privatwirtschaft in der Euro-Zone ist im Dezember so langsam gewachsen wie seit über vier Jahren nicht mehr. Der Einkaufsmanagerindex fiel um 1,4 Punkte auf 51,3 Zähler, wie das Institut IHS Markit am Freitag zu seiner Unternehmensumfrage mitteilte. Das Barometer hält sich aber noch über der Wachstumsschwelle von 50 Zählern. "Ein Großteil geht zwar auf das Konto der Proteste der 'Gelbwesten' in Frankreich, die der Konjunktur und der Reisebranche gleichermaßen schadeten", erklärte Markit-Chefvolkswirt Chris Williamson den Rückgang. "Allerdings verdichten sich die Hinweise, dass die Wachstumsschwäche mittlerweile die gesamte Euro-Zone erfasst hat. Das Bruttoinlandsprodukt der Euro-Zone dürfte im Schlussquartal um knapp 0,3 Prozent zulegen, sagt das Markit-Institut voraus. Im Dezember allein dürfte es nur zu einem Mini-Plus von 0,1 Prozent reichen. "Zu schaffen macht den Unternehmen nicht nur das globale wirtschaftliche und politische Klima", sagte Williamson. "Handelsstreitigkeiten und der Brexit erhöhten die Spannungen auf politischer Ebene innerhalb der Euro-Zone zusätzlich." Die Ablehnung von Nachverhandlungen für den Brexit-Deal durch die EU schickte das Pfund Sterling erneut auf Talfahrt. Die Währung verbilligte sich um 0,7 Prozent auf 1,2565 Dollar. "Die Erwartungen an den EU-Gipfel am Donnerstag seien gering gewesen", sagte Commerzbank-Analyst Ulrich Leuchtmann. "Aber nicht so gering, dass sie nicht noch untertroffen werden konnten." Der Ölpreis sank. Die Notierung für ein Barrel der Sorte Brent fiel um 2,1 Prozent auf 60,16 Dollar. Auch zum Wochenschluss zeigte sich die Skepsis der Anleger zur Wirksamkeit der beschlossenen Kürzung der Fördermenge durch wichtige Ölstaaten. | Die Privatwirtschaft in der Euro-Zone wächst so langsam wie seit über vier Jahren nicht | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/devisen-und-rohstoffe-euro-sinkt-nach-konjunkturdaten-1.4253153 | Devisen und Rohstoffe - Euro sinkt nach Konjunkturdaten | 00/12/2018 |
Der Unternehmer Richard Branson ist einer jener Milliardäre, die die private Raumfahrt zum Hobby haben. Nun hat er geschafft, was Jeff Bezos und Elon Musk noch zeigen müssen - und vergoss dabei Tränen. Tränen sollen dem Abenteurer, Milliardär und Chef von Virgin Galactic Richard Branson in den Augen gestanden haben, als sein Raketenflugzeug VSS Unity die Marke bis auf eine Höhe von 82,7 Kilometer flog. Ob die Tränen Folgen der Rührung, eines kühlen Windstoßes in der Mojave-Wüste Kaliforniens oder eher Ausfluss des Glücks waren, da das Geschäftsziel Weltraumtourismus wieder in greifbare Nähe rückte, ist nicht bekannt. Aber immerhin: Branson ist nun derjenige, der zum ersten Mal seit 2011 vom amerikanischen Boden aus wieder zwei Astronauten in den Weltraum schoß. Natürlich kam ihm dabei zugute, dass die US-Behörden die Grenze zum All bereits in 80 Kilometern Höhe und damit etwas laxer als andere Institutionen ansetzen. Vielen gilt erst die Höhe von 100 Kilometern als Beginn des Weltraums, weil dort die Atmosphäre keinen Auftrieb mehr bietet und somit Luftfahrt nicht mehr möglich ist. Seine beiden Milliardärs-Wettstreiter beim Wettlauf ins All, Jeff Bezos und Elon Musk, haben bislang keine bemannten Flüge in dieser Höhe durchgeführt. Die VSS Unity ist Teil des Space-Ship-Two-Programms. Das Raketenflugzeug wird dabei zunächst von einem Trägerflugzeug in eine Höhe von rund 15 Kilometer gebracht, dort ausgeklinkt und dann mit Hilfe des Raketentriebwerks ins All geflogen. Schon vor Jahren wollte Branson mit den touristischen Flügen ins All loslegen, doch schwere Unglücke sorgten für immer neue Verzögerungen. Bislang sollen fast 700 Personen Geld für einen Flug hingelegt haben - darunter der Schauspieler Leonardo DiCaprio und der Popsänger Justin Bieber. Derzeit sind allerdings keine Buchungen mehr möglich. Alle Flüge in dieser Preiskategorie seien bereits reserviert, heißt es auf der Webseite von Virgin Galactic. | Der Unternehmer Richard Branson ist einer jener Milliardäre, die die private Raumfahrt zum Hobby haben. Nun hat er geschafft, was Jeff Bezos und Elon Musk noch zeigen müssen - und vergoss dabei Tränen. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/richard-branson-raumplanung-1.4253298 | Richard Branson | 00/12/2018 |
Mal ehrlich, ist es nicht ein schönes Gefühl, alles mögliche an die Haustür geliefert zu bekommen? Konsumgelüste, die in großbürgerlichen Haushalten vor hundert Jahren von Dienstboten erfüllt wurden, befriedigen heute Lieferdienste mit einem Heer von eher schlecht bezahlten Mitarbeitern. Die Geschäfte dieser Firmen laufen von Jahr zu Jahr besser. Überraschend ist das nicht, denn wer mag es nicht, ein bisschen umworben und bedient zu werden. Leisten kann sich die Dienstboten der Neuzeit inzwischen fast jeder, und sie werden gern und oft in Anspruch genommen. Das macht sich auch die amerikanische Kaffeehauskette Starbucks zu nutzen. Becher mit Cappuccino, Kaffee mit Vanillegeschmack oder Milchkaffee, direkt an den Büroschreibtisch geliefert: In China ist das derzeit der große Renner. Möglich macht es die Zusammenarbeit mit Alibaba, dem chinesischen Amazon. Wirklich günstig und vernünftig ist das bei einem Konsum von einer oder zwei Tassen täglich nicht. Doch offenbar macht es mehr her, sich den Kaffee servieren zu lassen, anstatt ihn selbst zu kochen oder am weit aus günstigeren Automaten selbst zu zapfen. Ein bisschen Gutsherr steckt offenbar in vielen Menschen, Chinesen ticken da nicht anderes. Weil die Sache für Starbucks so gut läuft, soll der Service nun auch auf dem amerikanischen Markt ausgebaut werden, zusammen mit dem US-Mitfahrdienst Uber. UberEats soll ab Anfang nächsten Jahres für rund 3500 Starbucks-Filialen Essen und Kaffee ausliefern. Während die amerikanische Kaffeehaus-Kette auf das Massengeschäft abzielt, nimmt der französische Handelskonzern Carrefour einen besonders exklusiven Kundenkreis ins Visier: begüterte Schiffs- und Jachtbesitzer, die vor der Küste von Dubai ankern. Sie können künftig im weltweit ersten "Sail-Through-Supermarkt" shoppen, was in dem Fall bedeutet, dass der Shop ein Boot ist. Selbst am Trockenfutter für den Schiffshund mangelt es nicht, abgerundet wird das Angebot durch Körperpflegeprodukte. Die nächste Geschäftsidee liegt da auf der Hand: Eine fliegende Untertasse, die auf Bestellung die internationale Raumstation ISS ansteuert, wenn die Astronauten dort mal wieder Lust auf eine Cappuccino haben oder das Klopapier ausgehen sollte. | Starbucks liefert in den USA nun Kaffee an den Schreibtisch. Und wer bringt künftig das Klopapier zur Raumstation ISS? | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/zwischen-den-zahlen-ist-es-nicht-schoen-bedient-zu-werden-1.4253288 | Ist es nicht schön bedient zu werden? | 00/12/2018 |
Es gibt Menschen, die waren Feinde, und dann werden sie irgendwann zu Freunden. Und es gibt Unternehmen, die waren lange Zeit knallharte Gegner, und sollen dann auf einmal zusammenarbeiten. Wenn zwei Lkw-Bauer wie Scania und MAN, die vor Jahren mal Feinde waren, Freunde werden sollen, dann lohnt es sich nachzusehen, was es da so an Gemeinsamkeiten gibt. Beide bauen schwere Lkw und Busse, beide sind ziemlich stolz darauf und beide gehören zum Volkswagen-Konzern. Und dann gibt es da natürlich noch einige grundsätzliche Dinge, die bei Scania im schwedischen Södertälje auch nicht viel anders sind als in München bei MAN. Das Wetter Ende November, Anfang Dezember zum Beispiel. Neblig, kalt, und grau. Es ist gegen 13 Uhr und nasskalt in Södertälje, als Lisa Lorentzon in einem dunklen Sakko durch die alten Hallen des Scania-Museums geht, sich in einem kleinen Nebenraum an einen Tisch setzt und etwas sehr Programmatisches sagt: "Wir möchten überhaupt nicht, dass unsere Kulturen verschmelzen, wir wollen unsere Unterschiede erhalten. Wir nennen das in der Gruppe Pluralismus." Lisa Lorentzon hat vor elf Jahren als Trainee bei Scania angefangen, heute kümmert sie sich in der Arbeitnehmervertretung um die Akademiker. Sie spricht sehr leise, sehr ruhig, und sehr bedächtig. Die sehr stille Lisa Lorentzon passt also nicht unbedingt zu den schweren und lauten 40-Tonnern, die da draußen auf dem nebligen Hof stehen. 1600 Kilometer südlich von Södertälje sitzt im Münchner Stadtteil Allach ein Mann, der Saki Stimoniaris heißt. Er trägt einen braunen Rollkragenpullover und über seinem Schreibtisch in seinem kleinen Büro hängt ein Che-Guevara-Poster, das die Revolution hochleben lässt. Der Revolutionär sitzt vor einer Tasse mit dunklem Kaffee, draußen wabert der Nebel über den Parkplatz. Der MAN-Betriebsratschef ist seit 20 Jahren bei MAN, er sitzt nebenbei im Aufsichtsrat des TSV 1860 München und betätigt sich als Stimme des Löwen-Investors Hasan Ismaik. Münchnerischer geht es also kaum. Stimoniaris ruft: "Ich bleibe mein Leben lang MANler." Die Frage, die sie sich stellt: Wie kann man Partner werden, ohne sich dabei zu verlieren? Das klingt etwas anders als Lisa Lorentzons Ausführungen zum Pluralismus, aber beide meinen am Ende wohl dasselbe. Der Münchner, der sein Leben lang MANler bleiben will, trifft seit einiger Zeit regelmäßig Menschen wie Lisa Lorentzon. Und dann geht es meistens um die Frage aller Fragen: Wie können Scania und MAN zusammenarbeiten und trotzdem Scania und MAN bleiben? Partner in der Fabrik sein, aber Wettbewerber auf der Straße - wie kriegt man das hin mit zwei so bekannten Lkw-Marken, die noch dazu Teil einer Konzerngruppe sind, die zu VW gehört und seit Kurzem Traton heißt? Das alles ist kompliziert, aber es wird wohl noch komplizierter, denn VW könnte seine Truck-Tochter Traton mit den Marken MAN, Scania und der südamerikanischen Tochter Volkswagen Caminhões e Ônibus aus Brasilien im nächsten Frühjahr an die Börse geben. 20 bis 25 Prozent der Traton-Anteile an der Börse - VW könnte die Milliarden, die ein solcher Börsengang einbringen würde, in Zeiten des Dieselskandals gut gebrauchen. Vor allem aber: Mit 81 000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 24 Milliarden Euro wäre die Gruppe dann einer der ganz großen, börsennotierten Lkw-Konzerne. Mit Tochtergesellschaften, die nach wie vor im Wettbewerb miteinander stehen - ein hochinteressantes Projekt. Und ein schwieriger Spagat. Wenn man Unternehmen zur Kooperation verdonnert, dann geht es in der Regel darum, bei milliardenschweren Investitionen in neue Technologien oder beim Einkauf viel Geld zu sparen. Zusammen ist man weniger allein, wenn es darum geht, sich gegen die viel größeren Rivalen Daimler und Volvo durchzusetzen. Nur wie macht man das, ohne dass sich die Menschen in diesen stolzen Unternehmen ständig in die Haare kriegen? An dieser Stelle kommt Andreas Renschler ins Spiel, ein Mann, der früher einmal bei Daimler für Lkw zuständig war, heute Traton führt und von einem "global champion" spricht, wenn er von der Zukunft dieses Unternehmens redet. Er sagt: "Eine solche Chance, zwei Lkw-Bauer zu einem großen Ganzen zusammenzubringen, gibt es nicht so oft." Der 60-jährige Renschler ist derjenige, der die Aufgaben jetzt verteilen und darauf achten muss, dass sich keiner benachteiligt fühlt. Leute, die ihn schon lange kennen, beschreiben ihn als authentisch und sehr direkt. Ein Manager ohne Allüren, dafür mit viel Autorität - die er auch einzusetzen weiß. Unter Renschler sei das Projekt "stark vorangetrieben" worden - auch wenn er manchmal auf Widerstand im Konzern gestoßen sei. Seit Februar 2015 ist Renschler Chef der VW-Nutzfahrzeugsparte, seitdem hat er die ungleichen Partner an einen Tisch gesetzt. Bisheriges Ergebnis: Scania baut Getriebe, auch für MAN. MAN baut Achsen, auch für die Schweden. Und zum ersten Mal haben beide einen gemeinsamen Motor entwickelt. Der soll zuerst bei Scania, später bei MAN eingesetzt werden. "Natürlich sagen einzelne Mitarbeiter immer noch: Mein Motor, meine Achse, mein Getriebe, mein Arbeitsplatz", sagt MAN-Betriebsratschef Stimoniaris. "Deshalb: Ja, MAN wird immer MAN sein, Scania immer Scania. Aber dennoch können wir gar nicht anders, als eng zusammenzuarbeiten." Detailansicht öffnen Für manche Menschen das Größte: Truck Grand Prix am Nürburgring. Das wirkliche Geschäft mit den Lastern findet in Konzernzentralen und Fabrikhallen statt. (Foto: David Jenkin/imago/HMB-Med) Nun ist das mit den Motoren und den Achsen nicht so einfach, wie es aussieht. Scania und MAN sind nämlich sehr unterschiedlich, was schon damit anfängt, dass ein Scania-Lkw einige Tausend Euro mehr kostet als einer von MAN. Einige in der Szene vergleichen die beiden so: Wäre Scania ein Pkw-Hersteller, dann würden die Schweden wahrscheinlich so etwas wie Rolls-Royce-Limousinen bauen - Edles für eine kleine, ausgewählte Kundschaft. Aus München kämen dann - um im Bild zu bleiben - die Golfs und Passats. Solide und bodenständige Ware für den Massenmarkt. Eine sichere Bank, aber eben nicht hochpreisiges Premium. "Die Kunst besteht darin, zusammenzuarbeiten und sich am Ende trotzdem zu unterscheiden", sagt Scania-Chef Henrik Henriksson. "Und es geht darum, wer zuerst mit welchen Innovationen nach außen geht." Henriksson empfängt in einer modernen Start-up-Etage vor dem Stockholmer Hauptbahnhof. Er kommt mit der Kaffeetasse in den Konferenzraum, krawattenlos. Sein blaues Jackett wirft er über den Stuhl. Die Sache mit dem Pluralismus beschäftigt ihn sehr, und deshalb macht er gleich mal klar: "Wir werden uns in den kommenden Jahren nach wie vor bei wichtigen Komponenten unterscheiden; bei Turboladern oder Software etwa." Auch beim Service und im Vertrieb wolle man seinen eigenen Weg gehen. Die Geschichte begann mit einer schweren Kränkung - und den Wunden danach Henriksson kennt das Risiko: Wenn sich Scania und MAN zu ähnlich werden, kann er nicht mehr ein paar Tausend Euro mehr für seine Trucks verlangen. In München sitzt Joachim Drees im sogenannten Truck-Forum, einer große Halle, in der der Lkw-Hersteller seine Produkte ausstellt. Da es hier um große Produkte geht, ist die Halle sehr groß. Der MAN-Chef spricht mit seinem Partner Henriksson oft über die Frage, was geht, und was nicht. MAN und Scania? "Am Anfang haben beide jede Gelegenheit genutzt, um nicht zusammenzuarbeiten", erinnert sich Drees. "Man muss das auch verstehen: So mancher Ingenieur ist von seiner Technologie und auch von sich überzeugt. Und dann ist ihm natürlich sein eigenes Unternehmen am nächsten. Das ist ja auch menschlich." Irgendwann aber müsse man die Sache moderieren - und den Leuten sagen: "Wir brauchen doch jetzt den besten gemeinsamen Motor." Szenen einer Ehe: Vor einiger Zeit haben sie bei MAN einen Zeichner eingeladen, der bei den Arbeitsgruppen dabei war und aufmalte, was ihm zu dem, was er sah und hörte, einfiel. Herausgekommen ist eine interessante Mischung aus Comic, Managementanalyse und Gruppentherapie: Beim "MAN-Marathon" springen die gezeichneten Figuren über eine Hürde, die der Zeichner "Bereichsgrenze" nennt. Einer der Marathonläufer fragt: "Sind wir bald da?" Ein anderer sagt: "Je später ihr startet, desto schwieriger wird es." Sie laufen auf einen großen Graben zu, der "Überwindung" heißt. Wer es rüberschafft, steht vor einem Schild: "Willkommen in der Schmerzzone." Dahinter dann noch ein Schild: "Strecke im Bau." Irgendwo weiter hinten: das Ziel. Und so laufen gerade Tausende, quer durch die Schmerzzone, auf ein Ziel zu. "Die Leute waren jahrelang ziemlich verunsichert", sagt die Scania-Frau Lisa Lorentzon. "Sie fragten sich ständig: Was soll ich tun? Was darf ich tun? Wem muss ich loyal gegenüber sein?" Wenn Menschen nicht mehr so genau wissen, was erlaubt ist und was nicht, dann hat das oft eine Vorgeschichte. Bei MAN und Scania ist es die Geschichte einer großen Kränkung - und des jahrelangen Versuchs, die Wunden von einst zu heilen. Eine Geschichte, die alles hat: Starke Charaktere, Intrigen, Neid und schwere Trucks. Am Anfang der Geschichte steht einer der ältesten Konzerne der Welt: MAN. Man kann die Geschichte dieses Unternehmens bis ins Jahr 1758 zurückverfolgen, als in Oberhausen das Eisenhüttenwerk St. Antony seine Arbeit aufnahm. Es kamen später dazu: eine Maschinenfabrik in Augsburg, Dieselmotoren, später dann Busse, Lkw und vieles mehr. Sehr groß, sehr stolz, und lange Zeit ein Dax-Konzern - so weit die Historie. Vielleicht wäre es ja noch eine Weile so weitergegangen mit dieser alten Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg, wenn Anfang 2005 nicht ein Lkw-Manager namens Håkan Samuelsson die Führung in München übernommen hätte. MAN war im Laufe der Jahre ein Gemischtwarenladen mit Industriedienstleistungen, Druckmaschinen, Dieselmotoren und Turbomaschinen geworden, und Samuelsson verkaufte zuerst die Mehrheit seines Tochterunternehmens MAN Roland Druckmaschinen an einen Finanzinvestor, ein paar Jahre später fiel auch der Essener Industriedienstleister Ferrostaal aus dem Unternehmen. Und da der Schwede Samuelsson schon damals der Meinung war, dass die Münchner sehr eng mit seinem früheren Arbeitgeber Scania zusammenarbeiten sollten, lancierte er ein Übernahmeangebot für die Schweden - und scheiterte. Aber, immerhin: Die Idee eines großen Lkw-Konzerns aus MAN und Scania war da geboren. Der Machtkampf blieb nicht ohne Folgen, die Beziehung war auf Jahre hin vergiftet. MAN gegen Scania - der damalige Scania-Chef Leif Östling sah sich sogar an den Zweiten Weltkrieg erinnert: "Der Deutsche ist ja Experte beim Blitzkrieg", sagte er. Allerdings habe "man auch etliche davon verloren". Zwei große Lkw-Hersteller, zwei schwedische Manager: In der Branche wurde spekuliert, ob das Duell nicht im Grunde ein Duell von zwei Männern war, bei dem sehr persönliche Themen eine Rolle gespielt haben. Am Ende gewannen weder Schweden noch Deutsche, sondern ein Österreicher. Er hieß Ferdinand Piëch und war Großaktionär und Aufsichtsratschef des VW-Konzerns. Samuelsson hatte zu spät verstanden, dass Piëch selbst ein Auge auf die Schweden geworfen hatte. Dumm gelaufen. Am Ende landeten sowohl Scania wie auch das alte Dax-Schwergewicht aus München unter den Fittichen von VW. Detailansicht öffnen Sie bauen zusammen Lkw und Busse: Scania-Chef Henrik Henriksson (links), Traton-Chef Andreas Renschler (Mitte) und Joachim Drees von MAN. (Foto: Traton/PR) Man muss diesen Wirtschaftskrimi kennen, wenn man das Drama der Folgejahre verstehen will. "Auf den Power-Point-Präsentationen im Konzernvorstand waren wir plötzlich die Marke Nr. 11 oder 12", erinnert sich MAN-Betriebsrat Stimoniaris. Zuerst wurde im Vorstand über sämtliche Automarken geredet - am Schluss dann kamen die Lkw dran. "VW managt die Dinge immer aus der Perspektive der Autoindustrie", sagt Traton-Chef Renschler. "Ein Lkw-Unternehmen funktioniert aber nach ganz anderen Gesetzmäßigkeiten als ein Autohersteller." Wer Lkw verkauft, verkauft nicht an Familienväter, Vertriebsmanager oder Sonntagsfahrer. Er verkauft an Speditionsfirmen, und die wollen mit ihren Lkws vor allem eines: Waren transportieren und damit Geld verdienen. Deshalb sagt einer aus der Branche: "Das Geschäft mit Lkws und Bussen hat wahrscheinlich mehr mit dem Verkauf von Gasturbinen an einen Kraftwerksbauer als mit dem von Autos zu tun." Viele Lkw-Leute fühlten sich in dem großen Autokonzern plötzlich unwichtig, an den Rand gedrängt. "Aus Sicht der anderen VW-Töchter waren die Trucker immer eine ganz eigene Welt für sich", sagt einer, der dabei war. Bis man verstand, dass die Uhren bei MAN und Scania anders laufen als bei Audi und Seat, verging viel Zeit. "Es gab Monate, da steckte das Unternehmen in einer Art Massendepression", sagt einer, der MAN gut kennt. Das sei mit der Zeit dann aber besser geworden. Nur an den neuen Holding-Namen muss man sich erst mal gewöhnen: Traton soll nach den Vorstellungen der Manager für Tradition stehen, für Transport, für Transformation oder auch für Tonnage. In Wahrheit ist es natürlich ein Kunstwort und steht für gar nichts. Aber irgendwie hat dieses neue Gebilde auch eine starke symbolische Bedeutung: Jahrzehntelang haben die Wolfsburger nur Marken gesammelt. Lamborghini, Seat, Skoda, Ducati, MAN, Scania. Jetzt müssen sie zeigen, dass sie auch mal etwas abgeben können. Im Alltag hat die Liaison von MAN und Scania längst ein Eigenleben entwickelt. Es gibt Szenen, die sehr viel aussagen über das neue Zusammenspiel der beiden. Vor ein paar Jahren, als man anfing, sich öfter zu treffen, kamen die Vertreter von MAN zu den Meetings und trugen Krawatten, weil man das immer so machte. Die Scania-Kollegen trugen keine Krawatte, weil sie fast nie Krawatten trugen. Beim nächsten Meeting erschienen die Deutschen ohne Krawatte, weil sie so sein wollten wie die Schweden. Die Schweden dagegen entschlossen sich, ausnahmsweise mal Krawatten anzulegen - aus Respekt vor den Deutschen. "So kamen sie dann mit ihren alten Krawatten zu den Meetings", erinnert sich einer. Die Geschichte begann mit einer schweren Kränkung - und den Wunden danach Es ist November 2018, und Atif Askar, der Strategiechef von Traton, kommt in München ohne Krawatte zum Gespräch und sagt, dass Krawatten aus der Mode seien bei dem alten Lkw-Bauer. Er berichtet über die Zukunft, von der Digitalisierung, von selbstfahrenden Lkw, von elektrischen Motoren. Wenn Schweden und Deutsche zusammenarbeiten, dann kann man viel über gemeinsame große Motoren reden. Es setzt allerdings voraus, dass das, was der eine sagt, auch beim anderen ankommt. Der Strategiechef Askar weiß, dass das nicht immer so einfach ist. "Schweden sind oft nicht so direkt wie wir Deutsche; vielleicht eher vergleichbar mit Japanern. Es gibt fünf verschiedene Arten, Ja zu sagen, von denen vier im Grunde ein sehr höfliches Nein bedeuten können. Wir mussten also nicht nur zwei sehr verschiedene Lkw-Hersteller zusammenbekommen, sondern auch zwei unterschiedliche Kulturen." Im Geschäft mit großen Trucks gibt es viele kleine Missverständnisse. Eines ist inzwischen klar, in München und in Södertälje: Jahre, nachdem Håkan Samuelsson Scania übernehmen wollte, ist man sich am Ende doch ziemlich nahe gekommen - wenn auch irgendwie ganz anders, als sich der Schwede das damals vorgestellt hatte. | Erst gegeneinander, jetzt miteinander: Die Mitarbeiter der Lkw-Hersteller MAN und Scania erleben gerade, wie aus Rivalen Partner werden. Demnächst folgt der Börsengang. Die Geschichte einer Annäherung. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/report-in-der-schmerzzone-1.4253346 | Report - In der Schmerzzone | 00/12/2018 |
Ein Gespräch mit der Präsidentin von Brot für die Welt über Konsum, strategische Flüchtlingshilfe und übers Teilen. Wenn Pfarrerinnen und Pfarrer nach dem Weihnachtsgottesdienst den Klingelbeutel ausleeren, werden auch in diesem Jahr viele der Münzen an Brot für die Welt geschickt. Das Entwicklungswerk ist durch Fusionen, etwa mit der Diakonie Katastrophenhilfe, zum größten nichtstaatlichen Hilfswerk Europas gewachsen. Cornelia Füllkrug-Weitzel, 63, leitet das Werk seit 18 Jahren. Seitdem versucht sie, das Leid vieler Menschen mit Spenden zu lindern. Bloß wie weit trägt Nothilfe, wenn die Ursachen der Not bleiben oder sogar wachsen? SZ: Frau Füllkrug-Weitzel, wenn der Einzelhandel an diesem Adventswochenende wieder über Rekordumsätze berichtet, was empfinden Sie da? Cornelia Füllkrug-Weitzel: Trauer. Es ist sicherlich nicht der richtige Weg, auf immer mehr Produktion und Gewinn zu setzen, um die Erde zukunftsfähiger zu machen. Positiv daran finde ich aber, dass es Kaufkraft in unserer Wirtschaft gibt und es uns gut geht. Wir haben eigentlich keinen Grund, uns Ängste einreden zu lassen, so wie es gerade geschieht. Sie verlangen, den Menschen wieder "Zukunftsmut" zu geben. Was meinen Sie damit? Wir sind ein christliches Werk und immer sehr stark von der Hoffnung geleitet. Sonst würde man vieles von dem, was wir machen, gar nicht aushalten. Also: unerschütterlich daran glauben, dass menschenverachtende, lebenszerstörende Zukunftsszenarien nicht Gottes Wille sind und deswegen auch für uns nicht erschreckend sind. Wenn Sie die Hoffnung aufgäben, könnten Sie den Laden auch dichtmachen. Ja, würde ich auch sagen. Denn dann wären wir Technokraten, die ihren Job im Social Business nicht verlieren wollen. Mehr als 800 Millionen Menschen sind unterernährt. Wie schafft man es da, die Hoffnung nicht zu verlieren? Wenn Hoffnung alleine daran hinge, wie realistisch etwas ist, wäre es keine Hoffnung mehr. Als wir 1959 gegründet wurden, haben 56 Prozent der Weltbevölkerung gehungert. Heute hungert einer von neun Menschen. Und das, obwohl viele Faktoren gegen diese Entwicklung arbeiten. Was meinen Sie damit? Die Entwicklungsländer bekommen ständig Knüppel zwischen die Beine geworfen. Wer redet schon gern darüber, wie die Schuldenkrise die Entwicklungsländer geschädigt hat? Was der Klimawandel an finanziellem Aderlass bedeutet, allein um sich daran anzupassen? Wie viel Ressourcen durch ungerechte Handelsbeziehungen vergeudet werden? Wie viel durch Kriege, und welchen Anteil wir an diesen Kriegen haben? Muss dann eine Organisation wie Brot für die Welt noch viel stärker Lobbyismus betreiben, für die Armen? Das tun wir auch. Aber das ist kein Entweder-oder. Wir müssen mit Partnern - sie merken, ich betone die Partnerschaft, nicht "Entwicklungshilfe" - gemeinsam schauen, wo wir ansetzen, um Hunger zu bekämpfen. Nehmen Sie ein Land wie Mosambik. Da hungerten zuletzt wieder mehr Menschen. Wir müssen erst analysieren, woran das liegt. Und, woran liegt es? In Mosambik haben viele Kleinbauern ihr Land verloren, die Regierung hat es ihnen weggenommen. Die hat es dann an internationale Investoren und Großgrundbesitzer verkauft; und möglich wurde das erst, weil es keine Landtitel gab. Da beschränkt sich der Kampf gegen den Hunger nicht auf Unterstützung für Kleinbauern, sondern umfasst auch Hilfe bei Gerichtsverfahren oder Lobbyarbeit für solche Landtitel. Kleinbauern verlieren Land an Großgrundbesitzer. In vielen Ländern erleben wir, dass Arme ärmer und Reiche reicher werden. Wird man durch Ihre Arbeit zum Systemgegner? Was ist "das" System? Es gibt extreme Fragen an den Neoliberalismus, und die wachsen tatsächlich. Der Neoliberalismus hat in vielen Bereichen eine massive Deregulierung nach sich gezogen. Damit aber hat das Verständnis gelitten, dass es Gemeingüter gibt, die gemeinsam zu schützen sind. Das ist fatal. Aber für Revolutionen sind wir nicht zuständig. Sie standen mal kurz davor, selbst in die Politik zu gehen - als Entwicklungsexpertin im Schattenkabinett des SPD-Kandidaten Peer Steinbrück 2013. Bedauern Sie manchmal, dass nicht mehr daraus geworden ist? Ich hatte das nicht selber angestrebt, eine politische Karriere war nie mein Ziel. Aber immerhin konnte ich auf den damaligen Koalitionsvertrag Einfluss nehmen. Ich bin auch sehr glücklich, in einem sehr wertebasierten Umfeld arbeiten zu dürfen. Politik hat ja häufig auch etwas sehr Kurzatmiges. Der jetzige Entwicklungsminister spricht immer gern von Afrika als "Chancenkontinent". Liegt er damit richtig? Ja, weil es herausführt aus diesem Narrativ, wie schrecklich in Afrika alles ist und dass sie dort nichts zustande bringen, weil die Afrikaner träge seien und nur Kriege führen würden. Es gibt enorme natürliche Ressourcen, aber auch enorm viele Leute mit guten Ideen. Ideen, die ihrer Situation angepasst sind. Die zu unterstützen, mehr eigene Pläne zu fordern, das kann nur gut sein. Gleichzeitig bebildern viele Hilfsorganisationen ihre Spendenaktionen mit traurigen afrikanischen Kinderaugen. Aber unsere nicht! Seit vielen Jahren schon nicht mehr. Es ist uns extrem wichtig, dass wir die Menschen nicht als Hilfsempfänger karikieren. Das sind für uns Partner, mit eigener Verantwortung, eigenen Ideen, eigener Würde. Und dem Willen, etwas zu tun. Das sind keine Menschen, die einfach nur die Hand aufhalten. Dann sind Sie gar kein "Hilfswerk"? Interessanterweise sind wir ja aus dem Hilfswerk der evangelischen Kirchen in Deutschland hervorgegangen. Das wurde geschaffen, um die Hilfen aus dem Ausland entgegenzunehmen und die Zuwanderung von geschätzt 15 Millionen Flüchtlingen zu bewältigen. 1959 hatten die Kirchen gesagt: Jetzt ist es Zeit, zurückzugeben. Jetzt geht's ums Teilen. Wir sind ein Hilfswerk, das andere stark machen will. Mit anderen teilen - ist das ein Impuls, der bei Spendern zieht? Der hat vor allem bei jenen gezogen, die den Hunger nach dem Krieg noch kennengelernt haben - und die Erfahrung, dass ihnen geholfen wurde. Heute verfängt das bei Spendern nicht mehr so sehr. Andererseits glaube ich, dass Menschen durchaus eine Sehnsucht haben zu teilen, und gar nicht so begeistert sind, dass jeder nur noch nach sich selbst strebt. Zum Beispiel haben wir das Konzept für einen Investmentfonds entwickelt, der sich konsequent an ethischen, sozialen und ökologischen Kriterien orientiert. Der investiert nur in Firmen, die Menschenrechte, Umweltstandards, Mitbestimmung garantieren. Auch bei uns hatten viele Sorgen, ob das überhaupt laufen wird. Und? Der ist wie eine Rakete abgegangen, mit mehr als einer Milliarde Euro Volumen mittlerweile. Der Wunsch, ethisch zu investieren, ist gigantisch. Eine eigenartige Form von Teilen, wenn man letztlich nur sein Geld anders anlegt. Das stimmt. Ich wollte damit auch nur sagen: Die Leute sind nicht so unethisch, wie man gern glaubt. Es sind nicht alle nur noch Egoshooter. Inzwischen schauen auch andere Banken, ob sie nicht ethischer wirtschaften können. Das ethische Bewusstsein ist nicht kleiner geworden, davon bin ich überzeugt. Auch die deutsche Entwicklungshilfe ist zuletzt deutlich gestiegen. Freut Sie, dass es für die Bekämpfung von Fluchtursachen nun so viel mehr Geld gibt? Durch die Flüchtlingsdebatte kommt die Entwicklungshilfe wieder mehr ins Ohr der Öffentlichkeit. Aber mit einem Narrativ, das gefährlich sein kann. Wenn man davon Abschottungspolitik finanziert, hat das mit Ursachenbekämpfung nichts zu tun. Grenzsicherung und Ausbildungszentren in Nordafrika setzen nicht dort an, wo die Leute herkommen. Echte Entwicklungshilfe kann nicht kurzfristig Früchte tragen. Das gibt der Entwicklungshilfe auch einen instrumentellen Charakter: Wir helfen, weil wir selbst etwas davon haben. Ja, in der Tat. Deshalb ist es auch tragisch, wenn dadurch wieder der Eindruck entsteht, Entwicklungshilfe bringe eh nichts. Andersherum könnte man sich den Diskurs auch zunutze machen, um Spenden einzuwerben. Das machen wir ja auch. Das ist eine Gratwanderung, einerseits zu sagen: Entwicklung hilft. Und andererseits muss sie langfristig sein und den Menschen dort dienen, nicht nur uns. Klassische Fluchtländer sind oft die besser entwickelten Länder. Viele Menschen in Subsahara-Afrika können sich eine Flucht nicht leisten. Wenn man das zu Ende denkt, dürfte man eigentlich keine Entwicklungshilfe mehr betreiben. Der Anteil der deutschen Entwicklungsleistungen, die an die ärmsten Länder gehen, ist in den letzten Jahren zurückgegangen. Deutschland fördert eher Länder, die eigentlich vergleichsweise weniger Hilfe bräuchten. Das zeigt, dass Entwicklungshilfe nicht mehr in dem Kontext gesehen wird, international für Verbesserung zu sorgen. Entwicklungspolitik war noch nie rein altruistisch, das zu erwarten, wäre naiv. Aber früher gehörte es zu den Motiven, dass alle Menschen in Sicherheit und Frieden leben können. Diese Motive sind verloren gegangen. Stattdessen forcieren wir andernorts noch die Fluchtursachen. Was meinen Sie? Den Klimawandel. Wir arbeiten in Ländern, in denen die Entwicklungshilfe zunehmend zur Katastrophenhilfe wird. Wenn man jährlich 15, 18 Millionen Klimaflüchtlinge hat, dann kann man das nicht einfach wegdiskutieren. Bei diesen Menschen geht es gar nicht darum, zu sagen, dass wir noch ein paar Millionen aufnehmen. Sondern es geht erst einmal darum, internationale Regularien zu finden, wie man ihnen überhaupt einen Schutzstatus geben kann und wie man die Länder unterstützen kann, die sie auffangen. Klimaflüchtlinge kommen bei uns gar nicht an. In der Regel haben sie überhaupt keine Ressourcen mehr, um weit zu reisen. Und das in einer Zeit, wo Populisten in aller Welt von Klimawandel und Multilateralismus nichts mehr wissen wollen. Wie gehen Sie damit um? Wir machen uns viele Gedanken, wie wir dagegenhalten können. Aber es ist auch interessant, dass die Grünen, als eine Partei, die das tut, im Moment unglaublich boomen. Ansonsten gibt es wenige politische Akteure, die sich gegen die Rechten stellen. Da ist von den Politikern etwas mehr Zukunftsmut verlangt. | Ein Gespräch mit der Präsidentin von Brot für die Welt über Konsum, strategische Flüchtlingshilfe und übers Teilen. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/entwicklungspolitik-der-wunsch-ethisch-zu-investieren-1.4253286 | """Der Wunsch, ethisch zu investieren""" | 00/12/2018 |
Dem Volkswagen-Konzern droht im Dieselskandal eine gewaltige Klagewelle verärgerter Kunden. Bereits drei Wochen nach Eröffnung des Klageregisters für die so genannte Musterfeststellungsklage gegen das Unternehmen haben sich nach Angaben des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV) rund 148 000 Betroffene angeschlossen. "Wir sind von der Resonanz positiv überrascht", sagte Klaus Müller, Chef des Bundesverbands in Berlin. "Das ist viel mehr, als wir zum Start Anfang November erwartet hatten." Die Zahl der Anmeldungen dürfte in den nächsten Wochen noch weiter steigen. Vom Abgasskandal betroffene VW-Kunden können sich seit dem 27. November der Musterfeststellungsklage des Verbands gegen den Autobauer anschließen. Sie müssen sich dazu online beim Bundesamt für Justiz (BfJ) in einem Anmeldeformular ins Klageregister eintragen lassen. Das ist kostenfrei, verhindert aber die Verjährung der Vorgänge. Das Prozessrisiko übernehmen die Verbraucherschützer. Mit der Musterfeststellungsklage will der VZBV vor Gericht in Musterverfahren klären, ob Verbrauchern mit vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeugen der Marken des Wolfsburger Konzerns Schadenersatzansprüche zustehen. Die Verbraucher können sich dann darauf berufen, wenn sie ihre individuellen Ansprüche selbst einklagen. Dies soll in einfacheren Verfahren möglich sein. | Bereits 148 000 Autokäufer haben sich der so genannten Musterfeststellungsklage gegen VW angeschlossen. Die Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) will in dem Verfahren klären lassen, ob den Käufern Schadenersatz zusteht. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/vw-klage-1.4253296 | Käufer gegen VW - Klage-Freunde | 00/12/2018 |
Die 24 gehört eigentlich immer dazu bei der Scout24-Gruppe. Nur der Zukauf wird sich nicht daran halten. Zuletzt ging der Kurs der Internetfirma Scout 24 vor allem nach unten. Doch an diesem Freitag machte die Aktie des Unternehmens, das in München und in Berlin sitzt, einen ziemlichen Satz nach oben: Um 18 Prozent stieg das Papier zunächst an und lag am Nachmittag noch immer weit im Plus. Die im Nebenwerteindex MDax gelistete Scout 24-Aktie erreichte zeitweise mit mehr als 42,50 Euro den höchsten Wert seit drei Monaten. Der Grund: Angeblich ist der Betreiber von Deutschlands führendem Immobilien-Portal Immobilien-Scout-24 ins Visier von Finanzinvestoren geraten. Unter den Interessenten an Scout 24 sei auch die US-Beteiligungsgesellschaft Silver Lake, der bereits ein Immobilienportal in Großbritannien gehört, berichtete die Financial Times. Ein Sprecher von Scout 24 wollte dazu keinen Kommentar abgeben. Ein Verkauf dürfte mehr als fünf Milliarden Euro schwer werden. An der Börse war Scout 24 am Freitag nach dem Kurssprung mehr als vier Milliarden Euro wert. Offenbar wurden bereits erste Gespräche geführt, finale Entscheidungen seien aber nicht gefallen, die eine Pflichtmitteilung für die Börse nötig machen würden. Angeblich war das Unternehmen, das seit drei Jahren an der Börse gelistet ist, selbst auf die Suche nach einem Käufer gegangen. Analysten des Brokerhauses Liberum rechnen mit einem Bieterwettkampf, der den Preis für Scout 24 in die Höhe treiben könnte. Sie halten sogar eine Bewertung von sechs Milliarden Euro für möglich. Scout 24 hat gerade erst einen Chefwechsel hinter sich. Der neue Vorstandschef Tobias Hartmann ist seit vier Wochen im Amt. Der frühere Manager des Lebensmittel-Versenders Hello-Fresh folgte auf den Australier Greg Ellis, der im August überraschend seinen Rücktritt erklärt hatte. Auch Finanzvorstand Christian Gisy will gehen, der sich selbst Hoffnungen auf den Chefposten gemacht hatte, aber nicht zum Zug kam. Hartmann will die Internationalisierung vorantreiben. Scout 24 war in den vergangenen Jahren mit Zukäufen gewachsen, konzentriert sich aber vor allem auf den deutschsprachigen Raum. Erst im Juli kaufte Scout 24 den Ratenkredit-Vermittler Finanzcheck.de für 285 Millionen Euro. Seit der Gründung vor 20 Jahren gab es bereits mehrere Besitzer von Scout 24. 2004 war die Deutsche Telekom eingestiegen. Die verkaufte 2013 die Mehrheitsbeteiligung von 70 Prozent für 1,5 Milliarden Euro an den Finanzinvestor Hellman & Friedman. Dieser brachte Scout 24 zwei Jahre später an die Börse und trennte sich dann nach und nach mit Gewinn von seiner Beteiligung. Die letzten Aktien wurden im Februar verkauft. Die Scout-Gruppe mit einem Umsatz von mehr als einer halben Milliarde Euro erwirtschaftet hohe Gewinne. | Die Aktie der Internetfirma geht nach Spekulationen deutlich in die Höhe. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/online-marktplatz-scout-24-im-visier-von-investoren-1.4253155 | Online-Marktplatz - Scout 24 im Visier von Investoren | 00/12/2018 |
Der Dauer-Aufreger der Redaktion ist die Deutsche Bahn. Wie gut oder wie schlecht ist die Bahn wirklich? Die Wirtschaftshemen der kommenden Woche. "Unterwegs in die Zukunft - Leben ohne eigenes Auto" - das ist das Thema der Winter-Serie im Wirtschaftsteil. Den Auftakt macht der nebenstehende Essay. In den kommenden Wochen wird es dann um künftige Mobilitätslösungen gehen, die beispielsweise das Leben auf dem Land betreffen, oder den öffentlichen Nah- und Fernverkehr, das (Flug-) Taxi und das Auto der Zukunft. Überraschend: Selbst der Blick zurück in die Vergangenheit, als die Menschheit noch wesentlich weniger mobil war, lehrt Wegweisendes. Hilfreicher sind aber Länder, die auf diesem Gebiet längst eine Vorreiterrolle eingenommen haben. Vorreiter in der neuen Weltordnung will die Volksrepublik China sein. Sie stellt die Systemfrage: Kann ein autoritäres Regime wirtschaftlich Erfolg haben? Und wie sollen die freiheitlichen Marktwirtschaften des Westens auf die Herausforderung reagieren? Darf sich ein Unternehmen über chinesische Investoren freuen, oder sind sie eine Gefahr für den westlichen Wohlstand? Beim Roboterhersteller Kuka in Augsburg wollten sie zeigen, dass der chinesische und der deutsche Weg zusammenpassen. Jetzt ist Vorstandschef Till Reuter seinen Job los, und die chinesischen Eigentümer regieren durch. Eine Spurensuche an diesem Montag. Kaum ein Dax-Konzern ist so global aufgestellt wie Henkel, das große Familienunternehmen aus Düsseldorf, dessen Marken wie Persil, Schwarzkopf oder Pattex weltweit bekannt sind. Um so größere Sorgen bereiten Hans van Bylen derzeit die vielen Handelskonflikte auf der Welt, der geplante Brexit und die Zukunft von Europa als Wirtschaftsgemeinschaft. Im Montagsinterview nimmt der Henkel-Chef dazu Stellung. Ein außergewöhnlicher Mensch: Bettina Breitenbücher ist als Insolvenzverwalterin in ganz Deutschland unterwegs und gehört in ihrem Beruf zu den ganz wenigen Frauen in einer Führungsposition. Schon als Kind hat die Juristin im schwäbischen Familienunternehmen gelernt, wie ein Betrieb funktioniert. Wobei ihr das bis heute hilft und wie sie kriselnde Unternehmen umkrempelt, erzählt sie im Mittwochsporträt. Alle Jahre wieder kurz vor Weihnachten ist Prognostiker-Tag. Die SZ erinnert an die Voraussagen der Experten zum Jahresauftakt und stellt sie der tatsächlichen Entwicklung gegenüber. Überraschungen sind dabei programmiert. Das Ganze am Donnerstag. Im Reden wir über Geld-Interview am Freitag sprechen wir mit dem Diabetologen Matthias Riedl über die Kosten falscher Ernährung. Er sagt, dass die Gesellschaft von ihrer Vorliebe für Süßes entwöhnt werden muss. Denn zu viel Zucker macht krank - und führt zu hohen Kosten für das Gesundheitssystem. Zu viele Ärzte setzten auf Pillen statt auf Ernährungsberatung, kritisiert Riedl. Was noch? Der Dauer-Aufreger der Redaktion ist die Deutsche Bahn, das teilen die Kollegen mit vielen Menschen im Land. Ist Bahnfahren eine einzige Tortur? Oder kommt man mit ein bisschen Gelassenheit ordentlich ans Ziel? Überhaupt: Wie gut oder wie schlecht ist die Bahn wirklich? Darüber streiten die passionierten Bahnfahrer und SZ-Redakteure Klaus Ott und Ralf Wiegand in einem Pro & Contra am kommenden Dienstag. Zündstoff pur. | Der Dauer-Aufreger der Redaktion ist die Deutsche Bahn. Wie gut oder wie schlecht ist die Bahn wirklich? Die Wirtschaftshemen der kommenden Woche. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/was-kommt-pro-contra-bahn-1.4253280 | Was kommt - Pro & Contra Bahn | 00/12/2018 |
Bei den Ermittlungen gegen den früheren VW-Vorstandschef will die Staatsanwaltschaft Braunschweig nun auch Vorgänge bei Audi in Ingolstadt überprüfen. Doch das ist nicht so einfach. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig und das Landeskriminalamt (LKA) in Niedersachsen haben bei der Aufklärung der VW-Abgasaffäre mehr als genug Lesestoff, aber eine ganz bestimmte Akte wollen die Ermittler auf alle Fälle auswerten. Es geht um das Asservat mit der Nummer 4.229, das dem LKA Bayern vorliegt und den Titel "Winterkorn exhibits" (Beweisstücke Winterkorn) trägt. Die Münchner Kriminalbeamten untersuchen die Abgasmanipulationen bei der in Ingolstadt ansässigen Volkswagen-Tochter Audi. Und dort war Martin Winterkorn Vorstandschef, bevor er 2007 zum Mutterkonzern VW nach Wolfsburg wechselte und die Leitung des gesamten Unternehmens übernahm. Audi gilt als Ursprung der Abgasaffäre. Dort wurde nach Erkenntnissen der Behörden jene Software mit entwickelt, mit der VW viele Jahre lang den Schadstoffausstoß von Millionen Dieselfahrzeugen manipulierte. Nun wollen die niedersächsischen Ermittler herausfinden, ob Winterkorn schon bei Audi von alledem erfahren habe. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig verdächtigt den früheren Konzernchef unter anderem des Betrugs und bezieht das auf Vorgänge in Wolfsburg. Aber vielleicht gebe es in der Ingolstädter Zeit von Winterkorn auch noch einiges zu finden, so die These der niedersächsischen Ermittler. Winterkorn war nicht nur Vorstandschef von Audi, von 2002 bis 2007, sondern dort ab 2003 auch für den Geschäftsbereich technische Entwicklung verantwortlich. Insofern könnte er, glauben die Ermittler, auch von der "Akustikfunktion" erfahren haben. Dieses Teil der Motorsteuerung hatte ursprünglich dazu gedient, Diesel-Fahrzeuge leiser zu machen. Es war dann aber weiter entwickelt und dazu genutzt worden, die Abgasreinigung zu manipulieren. Das Amtsgericht Braunschweig hat die Beschlagnahme des Münchner Asservats 4.229 angeordnet. Doch das ist offenbar, weil es sich bei VW und Audi um getrennte Verfahren handelt, nicht so einfach. Winterkorns Anwalt Felix Dörr teilte auf Anfrage mit, der Stand der Dinge bei diesem Asservat und der Inhalt des betreffenden Ordners seien ihm nicht bekannt. Laut Dörr gibt es aber keinerlei Vorkenntnisse von Winterkorn aus dessen Zeit bei Audi, die ihn später bei VW hätten alarmieren müssen, als er dort von Abgasproblemen bei Diesel-Fahrzeugen erfuhr. Winterkorn bestreitet jede Mitschuld an der Affäre. Von Manipulationen habe er nichts gewusst, weder bei Audi noch bei VW. | Bei den Ermittlungen gegen den früheren VW-Vorstandschef will die Staatsanwaltschaft Braunschweig nun auch Vorgänge bei Audi in Ingolstadt überprüfen. Doch das ist nicht so einfach. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ex-vorstandschef-im-visier-audi-winterkorn-und-das-asservat-4-229-1.4253292 | Ex-Vorstandschef im Visier - Audi, Winterkorn und das Asservat 4.229 | 00/12/2018 |
China setzt seine Strafzölle auf den Import von Autos aus den USA vorübergehend aus. Davon profitieren besonders deutsche Hersteller wie BMW oder Daimler. Denn die beiden Unternehmen verschiffen massenhaft Geländewagen aus ihren US-Werken nach Asien. China kommt der US-Regierung im Handelsstreit entgegen und setzt seine Strafzölle auf den Import von in den USA hergestellten Autos und Fahrzeugteilen vorübergehend aus. Vom 1. Januar an soll der Zollsatz von 40 Prozent auf das vorherige Niveau von 15 Prozent sinken, teilte das chinesische Handelsministerium mit. Dies gelte vorerst allerdings nur für drei Monate. | China setzt seine Strafzölle auf den Import von Autos aus den USA vorübergehend aus. Davon profitieren besonders deutsche Hersteller wie BMW oder Daimler. Denn die beiden Unternehmen verschiffen massenhaft Geländewagen aus ihren US-Werken nach Asien. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/handelsstreit-usa-china-bmw-1.4253434 | Handelsstreit - Der lachende Dritte | 00/12/2018 |
Stahlwerk in China: Viele entziehen sich den Kontrollen, oder zahlen die Strafen und machen weiter. China steht bei den Verhandlungen besonders unter Druck. Das Land ist der größte Klimaschädiger. Fieberhaft verhandeln die Staaten in Kattowitz über ein Regelpaket für das Abkommen von Paris. Doch die Leidtragenden der Erderwärmung werden lauter: Sie fordern mehr. Am Freitagmorgen begrüßen Schüler die Delegierten der Klimakonferenz in Kattowitz, sie haben sich auf der Treppe postiert. Jeder hält eine Zahl oder einen Buchstaben in Händen, zusammen ergeben sie: "12 years left". Zwölf Jahre bleiben, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels abzuwehren, um den Abschied von fossiler, klimaschädlicher Energie anzupacken. Nicht viel Zeit, gemessen daran, dass seit 24 Jahren UN-Klimagipfel stattfinden. Doch auch in Kattowitz hängen die Verhandlungen am Kleingedruckten fest. Und dahinter lauern die großen Fragen. Die Regeln Läuft alles gut, steht am Ende der Konferenz eine Art Betriebssystem für das Klimaabkommen von Paris. Dort hatten sich die Staaten zwar 2015 darauf geeinigt, künftig detaillierte Pläne für den Klimaschutz vorzulegen. Wie sie sich aber gegenseitig überprüfen, ließen sie offen. Die Regeln sind der Dreh- und Angelpunkt im Klimaschutz: Warum sollten die Staaten sich anstrengen, wenn sie nicht sicher sein können, dass die anderen es auch tun? Doch am Freitag lagen dafür noch immer drei Optionen auf dem Tisch. Ein Vorschlag sieht nur für die Industriestaaten harte Auflagen vor, während sie für Entwicklungs- und Schwellenländer sehr lax bleiben. Dies käme vor allem China zugute. Ein anderer will radikal die gleichen Regeln für alle, mit Ausnahmen für Entwicklungsländer. Dafür treten die USA ein, die aber ohnehin dem Pariser Abkommen den Rücken kehren wollen. Ein dritter beschreibt einen Mittelweg, der unterschiedliche Pflichten je nach Entwicklung der Länder verlangt - dafür streitet die EU. China hatte hier über Nacht Kompromissbereitschaft erkennen lassen. Das lässt hoffen. Die Leidtragenden Viele Staaten klagen schon jetzt über Folgen des Klimawandels - sei es durch wachsende Trockenheit, durch zunehmendes Extremwetter oder steigende Meeresspiegel. Sie verlangen seit Jahren einen Mechanismus, mit dem Industriestaaten für Schäden des Klimawandels eintreten. Doch im 144-seitigen Textentwurf vom Freitag verschwand er in Fußnoten oder wurde nur beiläufig erwähnt - ein Umstand, den die Leidtragenden des Klimawandels nicht akzeptieren wollen. Ähnlich verhält es sich mit einem Bericht des Weltklimarats IPCC. Er hatte im Oktober eindringlich gefordert, die Erderwärmung nicht über 1,5 Grad Celsius steigen zu lassen - und die verbliebenen zwölf Jahre zu nutzen. Doch in den Entwürfen wird der Report nur dankbar anerkannt - nicht aber förmlich begrüßt. Ein Affront für die Frontstaaten der Klimakrise. Das Tempo Schon jetzt ist klar, dass die bisherigen Klimaschutz-Zusagen nicht reichen werden. Nach Daten des UN-Umweltprogramms landen sie eher bei 3,2 Grad, wenn sie nicht nachgebessert werden. Doch wie genau das gehen soll, ist noch umstritten. Ein denkbarer Zeitpunkt wäre ein Klimatreffen, zu dem UN-Generalsekretär Antonio Guterres im kommenden September nach New York einlädt. Wie sich das im Text niederschlägt, blieb aber zunächst noch offen. "Wir müssen klarmachen, dass wir die Ziele deutlich erhöhen müssen", sagt Costa Ricas Umweltminister Carlos Manuel Rodríguez. "Wir sind alle im gleichen Boot. Wir müssen alle mehr tun." Die Transfers Die Minderung der Treibhausgase bei den Klimasündern ist das eine, die Unterstützung für Entwicklungsländer das andere. So sollen von 2020 an jährlich 100 Milliarden Dollar in saubere Energien fließen. Das soll verhindern, dass Entwicklungsländer die Fehler der industrialisierten Welt wiederholen. Das Geld soll sowohl aus öffentlichen als auch aus privaten Kassen fließen. Der Markt Mit dem Paris-Abkommen soll ein neuer globaler Marktplatz für Klimaschutz entstehen. Mit den sogenannten Marktmechanismen können Länder Klimaschutz im Ausland unterstützen, etwa Aufforstungen oder Modernisierungen. Diese Unterstützung können sie sich anschließend auf ihren eigenen Klimaschutz anrechnen lassen. Damit, so die Theorie, findet Klimaschutz dort statt, wo er mit den geringsten Kosten zu haben ist. Doch in der Praxis gibt es Schwächen: Schon das Kyoto-Protokoll für den Klimaschutz kannte solche Mechanismen, doch sie öffneten dem Missbrauch Tür und Tor. Das sollen die neuen Vorgaben verhindern. Nicht alle Staaten haben daran das gleiche Interesse. Das Ergebnis Nichts ist beschlossen, ehe nicht alles beschlossen ist - das ist auch die Logik internationaler Klimaverhandlungen. "Lauwarm und widersprüchlich" sei der erste Textvorschlag, klagt das Klimaschutz-Bündnis Can Europe. Der Costa-Ricaner Rodriguez ist da optimistischer. "Mein Gefühl ist, wir können uns hier auf einen guten Weg vorwärts verständigen", sagt er. Fragt sich nur, wann. Offiziell sollte die Konferenz Freitagabend abgeschlossen sein, doch nun ziehen sich die Verhandlungen hin. Ende offen. | Fieberhaft verhandeln die Staaten in Kattowitz über ein Regelpaket für das Abkommen von Paris. Doch die Leidtragenden der Erderwärmung werden lauter: Sie fordern mehr. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/klimaschutz-lauwarm-und-widerspruechlich-1.4253294 | """Lauwarm und widersprüchlich""" | 00/12/2018 |
Sorgen um die Weltwirtschaft bremsen die Aktienkurse zum Wochenausklang. Autowerte liegen anfangs deutlich im Minus, erholen sich jedoch im Handelsverlauf. Sorgen um eine Abkühlung der Weltwirtschaft haben zum Wochenausklang die europäischen Aktienmärkte belastet. Der Dax rutschte am Freitag zunächst um 1,8 Prozent ins Minus, reduzierte jedoch bis zum Handelsschluss seine Verluste auf 0,5 Prozent auf 10 866 Punkte. Zuvor hatten bereits die asiatischen Börsen spürbar nachgegeben, nachdem wichtige Konjunkturdaten aus China, der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft, enttäuscht hatte. Sorgen bereitete den Anlegern auch das schwächste Wirtschaftswachstum in Deutschland seit vier Jahren. Der gemeinsame Einkaufsmanagerindex für Industrie und Dienstleister des Instituts IHS Markit fiel unerwartet schwach aus. Analyst Patrick Boldt von der Helaba sage: "Die Konflikte der USA mit China und Russland, ungelöste Probleme in Italien und Frankreich sowie das Brexit-Thema belasten." Im Dax stand erneut der Autosektor im Fokus. Nachdem zunächst belastende Daten vom Branchenverband Acea zur Pkw-Nachfrage in der Europäischen Union die Papiere von Volkswagen, BMW und Daimler ins Minus gedrückt hatten, kam es im Handelsverlauf zu einer Erholungsbewegung. China hatte mitgeteilt, dass die Strafzölle auf Autos aus den USA für drei Monate ausgesetzt werden. Die Aktien von BMW drehten ins Plus, die von Daimler notierten nur noch moderat im Minus. Lediglich VW schlossen 1,3 Prozent tiefer. Starke vorläufige Geschäftsjahreszahlen für 2017/18, aber einen nur vorsichtigen Ausblick auf das neue Jahr gab der im S-Dax notierte Spezialmaschinenhersteller Isra Vision bekannt. Die Aktie rauschte daraufhin um 17,7 Prozent nach unten. Auch der UV-Spezialist Dr. Hoenle enttäuschte mit seinen neuen Jahreszielen. Diese lägen deutlich unter den Erwartungen, und die vorläufigen Zahlen für das Geschäftsjahr 2017/18 seien zudem etwas hinter den Erwartungen zurückgeblieben, hieß es. Die Anleger reagierten mit Verkäufen, Die Titel von Dr. Hoenle rutschten um knapp 13 Prozent ab. Auch an der Wall Street waren die Vorzeichen überwiegend negativ. Der Dow Jones schloss zwei Prozent tiefer bei 24 101 Punkten. Angeführt wurden die Verluste von Aktien des Pharma- und Konsumgüterkonzerns Johnson & Johnson, die wegen neuer Vorwürfe im Skandal um mutmaßlich asbestverseuchtes Babypuder unter Druck gerieten. Die Papiere stürzten um zehn Prozent ab. | Sorgen um die Weltwirtschaft bremsen die Aktienkurse zum Wochenausklang. Autowerte liegen anfangs deutlich im Minus, erholen sich jedoch im Handelsverlauf. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/aktienmaerkte-dax-mit-leichten-verlusten-1.4253151 | Dax mit leichten Verlusten | 00/12/2018 |
Sicherheit ist immer ein Thema, im Straßenverkehr, in der Politik, im Alltag. Der Mensch generell, aber besonders der deutsche Mensch, legt großen Wert darauf, zwar ab und zu ein selbst kalkuliertes Risiko einzugehen, indem er auf steile Berge klettert, mit dem Fallschirm aus dem Flugzeug stürzt oder auf der Autobahn mal 220 fährt. Dabei - und im Alltag sowieso - möchte er sich aber trotzdem maximal sicher fühlen. Der Fallschirm soll sich öffnen, der Kletterhelm den Kopf schützen, das Auto bremsen, wenn er aufs Pedal tritt. Der Mensch möchte außerdem ein guter Mensch sein: Er will ja Mehrwegbecher verwenden, aber keine, die den Fairtrade-Kaffee darin mit Formaldehyd oder Melanin anreichern, und er verschenkt gern Holzspielzeug, aber bitte welches, das das liebe Kind ganz bestimmt nicht verschlucken kann. Kurz: Der Mensch wünscht sich garantierte Sicherheit, und wer sie ihm verspricht, der hat gleich einen Stein im Brett. Deswegen ist die innere Sicherheit auch ein schönes Wahlkampfthema von gleichbleibend hoher Wichtigkeit. | Milchschäumer, Smartphones, Spielzeugautos: Kunden bevorzugen Produkte, die ein Prüfetikett tragen. Doch längst nicht jedes sagt etwas über die Sicherheit und Brauchbarkeit aus - das kann durchaus gefährlich sein. Eine Übersicht. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/guetesiegel-waren-kennzeichnung-1.4253601 | Gütesiegel auf Waren: Von wegen sicher | 00/12/2018 |
In der Konzernzentrale bei Volkswagen in Wolfsburg haben viele Führungskräfte bis hinauf zum Vorstand angeblich lange Zeit überhaupt nichts mitbekommen von den Abgasmanipulationen beim Diesel. Nichts gesehen, nichts gehört, nichts gewusst. Einer aber, ein akribischer Jurist, hat früh gemahnt. Hat bereits im Juni 2015 auf Gesetzesverstöße hingewiesen, hat ganz konkret vor einem Bußgeldverfahren in Deutschland gewarnt, hat sich damit als Prophet erwiesen. Fast genau auf den Tag drei Jahre später musste VW dann tatsächlich ein Bußgeld zahlen: eine Milliarde Euro. Der Jurist, dessen Familienname mit einem P. beginnt, P wie Prophet, will nach Informationen von SZ, NDR und WDR damals darüber hinaus sogar den damaligen Finanzvorstand und heutigen Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch alarmiert haben. Knapp drei Monate, bevor alles aufflog. VW und der frühere Chef der Rechtsabteilung, Michael Ganninger, ein enger Vertrauter von Pötsch, bestreiten das heftig. Und Pötsch selbst weist alle Vorwürfe gegen ihn zurück. Gleichwohl: Was P. damals getan und später als Zeuge bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig ausgesagt hat, belastet Pötsch. Gegen Pötsch wird wegen des Vorwurfs ermittelt, er habe die Aktionäre zu spät über drohende finanzielle Folgen der Abgas-Affäre informiert. Diesen Verdacht hegt die Staatsanwaltschaft auch beim damaligen Vorstandschef Martin Winterkorn und beim heutigen Konzernchef Herbert Diess. Alle drei weisen das zurück. Vielleicht wäre es gar nicht zu diesem Verfahren gekommen, wenn der Prophet mit seinen Warnungen durchgedrungen wäre. Am 24. Juni 2015 hatte P. um 17.26 Uhr einem Kollegen eine Präsentation mit Namen "Sacramento" gemailt. Einem Kollegen, der in der Hierarchie eine Ebene über P. und nur eine Ebene unter Chefjurist Ganninger saß. Die Präsentation landete also ziemlich weit oben. Sacramento, das ist die Hauptstadt von Kalifornien, deren Name für den Goldrausch im 19. Jahrhundert in Nordamerika steht. So eine Art Goldrausch war es auch, als Volkswagen angeblich umweltfreundliche Diesel-Autos in den USA einführte, um den dortigen Markt zu erobern. Doch von dieser Illusion blieb in der Präsentation mit dem Titel "Sacramento" nichts mehr übrig. P. listete auf, dass VW-Fahrzeuge bis zu 30 Mal mehr gesundheitsschädliche Stickoxide ausstießen, als sie das laut Zulassung hätten tun dürfen. Ob es Volkswagen mit Nachbesserungen schaffen könnte, so gut wie BMW zu werden, sei ungewiss. P. verwies darauf, dass immerhin 600 000 Fahrzeuge von Volkswagen in den USA betroffen seien. Zudem sei die laufende Zulassung des neuesten Modelljahres suspendiert, also ausgesetzt. Auch in Deutschland drohe Ungemach, wegen einer Verletzung interner Aufsichtspflichten. Bei gehäuften Regelverstößen gebe es eine gesteigerte Kontroll- und Überwachungspflicht im Unternehmen. P. verwies auf Paragraf 130 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG). Das war, wie erwähnt, am 24. Juni 2015. Am 13. Juni 2018 erließ die Staatsanwaltschaft Braunschweig ihren Bußgeldbescheid über eine Milliarde Euro; nach Paragraf 130 OWiG, wegen fahrlässiger Verletzung der Aufsichtspflicht. "Sacramento" war nicht das einzige alarmierende Papier, das P. auf den Weg nach oben gebracht hatte. Bereits am 22. Juni 2015 schickte er um 14.15 Uhr per Mail an die nächsthöhere Ebene eine als "Geheim/Secret" eingestufte Analyse, die er aus der Aggregateentwicklung bekommen hatte. Der Inhalt: Verfahren in den USA wegen nicht vorschriftsmäßiger Fahrzeuge; darunter drei Fälle mit einem "Defeat Device", also jener Software, die erkennt, ob ein Auto auf dem Prüfstand oder auf der Straße fährt. Und die dafür sorgen kann, dass bei den Messungen auf dem Prüfstand wenig Schadstoffe ausgestoßen werden, auf der Straße aber dann die Abgasreinigung weitgehend ausgeschaltet wird. Bei den drei Fällen mit einem solchen Defeat Device war sogar ein Verfahren aus 1998 dabei, das für die betroffene Unternehmensgruppe mit Kosten von mehr als einer Milliarde Euro endete (laut VW ging es um Lastwagen und nicht um Pkw). Andere Hersteller kamen glimpflicher weg, aber klar war auch: Das könnte brisant werden für Volkswagen. Und so etwas wiederum müsste eigentlich ein Konzernvorstand zu hören bekommen. Ein paar Tage nach dieser Geheimbotschaft innerhalb der Rechtsabteilung und nach "Sacramento" war ein Termin zwischen P., Chefjurist Ganninger und Finanzvorstand Pötsch anberaumt. 29. Juni 2015, 9 Uhr, Büro Pötsch. Auf diesen Eintrag stießen die Ermittler in Ganningers Kalender. Warum sollte er diese Informationen dem Vorstand verschweigen? P. sagte bei der Staatsanwaltschaft als Zeuge aus, er habe Pötsch über Abgasmanipulationen in den USA informiert. 600 000 Fahrzeuge müssten zurückgekauft werden. Dieser Rückkauf und Strafen könnten VW in Übersee bis zu 35 Milliarden Euro kosten. Die Ermittler befragten auch Ganninger als Zeugen. Der erklärte, das könne so nicht gewesen sein. Der Termin, so wie er von P. beschrieben werde, habe zu keinem Zeitpunkt stattgefunden. Das sei einfach Quatsch. Warum P. das so schildere, wisse er, Ganninger, letztlich nicht. P. sei jemand, der versuche, den Dingen seinen Stempel aufzurücken. Die Ermittler fragten Ganninger, ob P. zur Selbstdarstellung neige. Ganningers Antwort: Ja. Das klingt so, als mache sich P. im Nachhinein wichtig. Andererseits: Warum sollte der penible Jurist Informationen über einen sehr heiklen Vorgang in den USA zusammentragen, um das dann wenige Tage später bei einem Termin mit Pötsch zu verschweigen? Volkswagen entgegnet, man habe die Aussage von P. intensiv geprüft. "Solche Informationen waren nach Angaben mehrerer dazu befragter Personen nicht Inhalt der fraglichen Besprechung." Die Aussage von P. werde "nachdrücklich als unzutreffend zurückgewiesen". Und was ist mit "Sacramento"? Volkswagen bleibt dabei: Es habe im Sommer 2015 keinen Anlass gegeben, die Aktionäre über die Diesel-Probleme zu informieren. | Ein VW-Jurist warnte früh vor den Folgen des Diesel-Desasters - darunter angeblich auch den damaligen Finanzvorstand und heutigen Aufsichtsratschef Hans-Dieter Pötsch. Der weist alle Vorwürfe zurück. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/vw-diesel-poetsch-1.4253290 | VW-Affäre - Nichts gehört, nichts gewusst | 00/12/2018 |
Von all den Vorschlägen, mit denen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron einen Aufbruch in Europa anstoßen wollte, ist nicht viel übrig geblieben. Am Freitag erteilten die Staats- und Regierungschefs den EU-Finanzministern zwar den Auftrag, die Arbeit an einem Budget für die Euro-Zone aufzunehmen - ob es aber tatsächlich dazu kommen wird, ist weiter offen. Die Debatte beim Euro-Gipfel in Brüssel zeigte erneut, wie umstritten so ein Extra-Haushalt ist. "Ich bin kein Freund des Euro-Zonen-Budgets", sagte etwa Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz, dessen Land noch bis Ende des Jahres die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Es gebe bereits einen EU-Gesamthaushalt, deshalb glaube er nicht, dass es darüber hinaus nötig sei, ein Budget für die Währungsunion zu schaffen, erklärte Kurz. Das würde den Steuerzahler nur mehr Geld kosten. Der Österreicher war mit seiner Meinung nicht allein. Auch jene acht EU-Staaten, die sich in der "Hanseatischen Liga" zusammengeschlossen haben, sehen das Vorhaben äußerst kritisch. So hatten sich die Niederlande bereits auf Ebene der EU-Finanzminister damit durchgesetzt, dass die Mittel eines Euro-Zonen-Budgets nicht für in wirtschaftliche Not geratene Staaten verwendet werden dürfen. Macron hatte so eine Funktion für die Stabilisierung gefordert, fand dafür aber keine Mehrheit. Der Zweck des Haushalts sei es, "die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und die Konvergenz zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Entscheidend sei, dass nun eine Einigung gefunden wurde, der 27 EU-Staaten zustimmen konnten. Auch der französische Präsident sei damit durchaus zufrieden gewesen, dass dies gelungen sei, berichtete die Kanzlerin nach den Beratungen. Bis zuletzt gab es vor allem aus den Nicht-Euro-Staaten Widerstand gegen Pläne für ein Extra-Budget der Währungsunion. Länder wie Polen und Ungarn, die zu den größten Nutznießern des EU-Haushalts zählen, befürchteten, dass sie künftig weniger Geld aus der Gemeinschaftskasse erhalten könnten. Am Ende trug die Regierung in Warschau die Gipfel-Beschlüsse jedoch mit - dem Vernehmen nach rechnet man in Polen ohnehin nicht damit, dass es je zu einem Euro-Zonen-Budget kommen wird. Schließlich soll es Teil des EU-Gesamthaushaltes sein - und den müssen alle Mitgliedsstaaten einstimmig beschließen. Künftig soll der Rettungsfonds auch beim Abwickeln maroder Banken helfen Ob es zu einem Haushalt für die Euro-Zone kommt, wird sich also in den Verhandlungen über den nächsten EU-Haushaltsrahmen der Jahre 2021-2027 entscheiden. Dann soll auch über die Größe gesprochen werden. Die Forderung von Macron, dafür mehrere Prozentpunkte des Bruttoinlandsprodukts zu verwenden, erwies sich als illusorisch. Zum Vergleich: In den EU-Haushalt zahlen die Mitgliedsstaaten gut ein Prozent ihrer Wirtschaftsleistung ein. Aus diesem Geld soll nun auch das Euro-Zonen-Budget gespeist werden. Im Frühjahr sollen die Details geklärt werden. Bei ihrem Gipfeltreffen billigten die Staats- und Regierungschefs zudem das Euro-Reformpaket, das die Finanzministern vereinbart hatten. Demnach soll der Rettungsfonds ESM künftig eine stärkere Rolle beim Entwurf und der Überwachung von Kreditprogrammen für Krisenländer bekommen. Da sich der Internationale Währungsfonds (IWF) wohl kaum mehr an europäischen Hilfspaketen beteiligen dürfte, soll der ESM selbst bewerten, wie es um die Schuldentragfähigkeit von Staaten steht, um sicherzustellen, dass Kredite langfristig zurückgezahlt werden können. Der Rettungsfonds soll künftig auch bei der Abwicklung maroder Banken tätig werden können. Beim ESM wird die sogenannte Letztsicherung (Backstop) für den Bankenabwicklungsfonds SRF angedockt. Dieser soll bis zum Jahr 2024 von den Banken selbst mit 55 Milliarden Euro befüllt werden. Das soll verhindern, dass Steuerzahler für Bankenpleiten haften müssen. Reicht dieser Geldtopf nicht aus, greift der Backstop, für den die Euro-Staaten weitere 60 Milliarden Euro bereit stellen sollen. | Die EU-Finanzminister sollen einen gemeinsamen Haushalt für die Eurozone ausarbeiten. Auch wenn einige Mitgliedsstaaten ein solches Budget eigentlich ablehnen. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/eurozonenbudget-reformpaket-1.4253402 | EU-Gipfel - Staats- und Regierungschefs wollen Reformpaket | 00/12/2018 |
Neun von zehn Nutznießern der Frühverrentung in Italien werden Männer sein. Denn Italienerinnen haben mit 62 nur sehr selten die verlangten 38 Beitragsjahre zusammen. Von den Geldgeschenken der Regierung in Rom profitieren fast nur Männer. Diese Politik ist chauvinistisch - und ein monströser Rückschritt. Tage, Wochen, Monate vergehen, und Italien rätselt, wie viele neue Schulden sich das Land im kommenden Jahr wohl leisten wird. Steigt das Defizitziel auf 2,4, auf 2,1 oder nur auf 1,9 Prozent? Notgedrungen treibt die Frage seit 80 Tagen auch die Euro-Partner Italiens um. Wie weit die römische Regierung in der Machtprobe mit der EU und den Finanzmärkten geht, wird sich kommende Woche erweisen. Klar ist bereits heute: Das römische Defizit ist frauenfeindlich. Während alle auf die Dezimalzahlen des Schuldenpokers schauen, drückte die Koalition dem Haushalt schon mal ihren Stempel auf. Von den auf Pump finanzierten Ausgaben wird nichts in die Reduzierung der Ungleichheit zwischen Männern und Frauen investiert. Die Finanzpolitik von Lega und Cinque Stelle steht im Zeichen des prosperierenden Machismo. Ihr größtes Geschenk macht die Koalition den Männern mit der Absenkung des Ruhestandsalters von derzeit 67 Jahren. Zur Europawahl im Mai möchte sie 400 000 Beschäftigte ab 62 vorzeitig in die Rente schicken. Matteo Salvini, Vizepremier und rechtslastiger Lega-Chef, preist die Geste gar als eines der größten Verdienste der Regierung. Sie belastet die Staatsfinanzen in Zukunft mit 100 Milliarden Euro. Das ist riskant. Unverantwortlich ist die Spendierlust, weil sie eine Reform aufweicht, mit der Italien 2011 nach der Beinahepleite das Vertrauen der Anleger zurückgewann. Neun von zehn Nutznießern der Frühverrentung werden Männer sein. Denn Italienerinnen haben mit 62 nur sehr selten die verlangten 38 Beitragsjahre zusammen. Geschuldet ist das ihrer Benachteiligung am Arbeitsmarkt und den Erziehungspausen. Von einem "Verrat der Frauen" spricht darum Tito Boeri, Chef der Rentenkasse. Noch bedenklicher: Das Milliardengeschenk ist das Gegenteil dessen, was zur Ankurbelung des Wachstums geboten wäre. Um die chronische Konjunkturschwäche zu überwinden, benötigt Italien mehr Menschen, die arbeiten, und nicht mehr Menschen, die sich auf Kosten der jungen Generation zur Ruhe setzen. Vor allem braucht das Land mehr Frauen, die einer bezahlten Arbeit nachgehen. Mit 49,6 Prozent liegt die weibliche Beschäftigungsquote 17 Punkte unter dem EU-Durchschnitt. Italien komme das teuer zu stehen, mahnt der Internationale Währungsfonds. Denn: Mehr Frauen mit Jobs heißt mehr Wachstum. Maßnahmen, die ihre Teilnahme am Berufsleben fördern, sucht man im Haushaltsplan vergeblich. Im Regierungsvertrag wird die Gleichberechtigung nicht einmal erwähnt Das ist kein Zufall. Auf den 63 Regierungssesseln nehmen elf Frauen Platz. Die Quote fiel damit unter 20 Prozent. Im Regierungsvertrag wird die Gleichberechtigung nicht erwähnt. Die im Wahlkampf versprochenen kostenlosen Kitaplätze waren schnell vergessen. Dafür sieht das Etatgesetz vor, dass Familien, die ein drittes Kind bekommen, vom Staat kostenloses Ackerland erhalten. Frauen, schenkt dem Vaterland ein Baby! Den Ton im Kabinett gibt die chauvinistische Lega an, die sich für den Schutz der "natürlichen Familie" starkmacht. Die improvisierenden Vertreter der Cinque Stelle sehen dem Rechtsruck zu. Vor Sexismus in den eigenen Reihen sind sie nicht gefeit, wie frauenverachtende Tweets eines engen Mitarbeiters von Industrieminister Luigi Di Maio zeigen. Das Ministerium für Gleichstellung wurde in Ministerium für Familie und Behinderte umbenannt, geführt von einem Lega-Mann. Die Koalition wehrte einen Vorschlag ab, 20 Millionen Euro in einen Spezialfonds für Waisen zu stecken. Das Geld sollte 2000 Kindern zugutekommen, deren Mütter vom Ehepartner ermordet worden sind. Die Kasse sei leer, hieß es zur Begründung. Sogar die Vatertage sind nun umstritten. Fast hätte das Parlament den Anspruch gekippt, als Vater vier Tage ohne Gehaltsabzug beim neugeborenen Kind zu bleiben. Seit 2013 hilft die Regelung, das starre Rollenverständnis der Italiener aufzubrechen und ein Vorurteil der Mittelständler anzugreifen, die eine Einstellung von Frauen für nachteilig halten. Gelockert wurde derweil der Mutterschutz. Wenn keine medizinischen Bedenken bestehen, dürfen Schwangere künftig bis zur Geburt arbeiten. Das wird als Gewinn von Freiheit gepriesen. Es besteht aber die Gefahr, dass Frauen von ihrem Arbeitgeber unter Druck gesetzt werden. Egal wie weit Roms Populisten sich den Defizitforderungen der EU beugen werden, ihre wachstumsfeindliche Haushaltspolitik trägt die Handschrift von Chauvinisten. Sie ist Ausdruck einer reaktionären Ideologie, die Frauen eine klare Rolle zuweist. Ein monströser Rückschritt. | Von den Geldgeschenken der Regierung in Rom profitieren fast nur Männer. Diese Politik ist chauvinistisch - und ein monströser Rückschritt. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/italien-haushalt-frauen-1.4251759 | Italien - Der neue Haushalt ist frauenfeindlich | 00/12/2018 |
China setzt im Handelsstreit mit den USA die Strafzölle auf Autos und Fahrzeugteile aus den Vereinigten Staaten für drei Monate aus. Das teilte die Regierung in Peking mit. Der Einfuhrzoll werde demnach vom 1. Januar 2019 an wieder von 40 auf 15 Prozent gesenkt. Die Regierung sprach gleichzeitig die Hoffnung aus, der Schritt könne die Gespräche mit den USA über ein Ende der Strafzölle beschleunigen. Bereits am Mittwoch hatte das Wall Street Journal berichtet, dass die Strafzölle auf Autoimporte aus den USA, die auch deutsche Hersteller treffen, wieder fallen sollen. Chinas Vize-Premier Liu He habe dies in einem Telefonat mit US-Finanzminister Steve Mnuchin und dem Handelsbeauftragten Robert Lighthizer angeboten. Profiteure des Schrittes sind auch deutsche Autohersteller wie BMW und Daimler. Die von China erhöhten Importzölle haben die deutschen Konzerne zuletzt stark belastet. Sie stellen einen großen Teil ihrer schweren SUVs in den USA her und verschiffen sie von dort nach China, den inzwischen größten Automarkt der Welt. Erstes Zeichen eines "Waffenstillstands" im Handelsstreit Nach Monaten der schrittweisen Eskalation kommt nun erstmals echte Entspannung in die belastete Beziehung zwischen den USA und China. Bereits auf dem G-20-Gipfel Anfang Dezember hatten sich US-Präsident Trump und der chinesische Präsident Xi Jinping auf einen "Waffenstillstand" im Handelsstreit geeinigt - passiert war seitdem aber nichts. Trump hatte der chinesischen Regierung eine 90-tägige Frist gesetzt, um Zugeständnisse zu machen. Insgesamt haben die USA chinesische Waren im Wert von rund 250 Milliarden Dollar mit Strafzöllen belegt. China hatte ebenfalls mit Strafzöllen gekontert, allerdings importiert das Land lediglich Waren im Wert von rund 130 Milliarden Dollar aus den USA und kann deshalb nicht in gleicher Höhe antworten. | Das Land geht im Handelsstreit einen Schritt auf die USA zu. Eine gute Nachricht auch für die deutschen Autohersteller. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/china-usa-zoelle-autos-1.4253350 | China setzt Strafzölle auf US-Autos aus | 00/12/2018 |
Die Integration von Flüchtlingen in Deutschland läuft nach Ansicht von Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer deutlich besser als angenommen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe mit ihrem Satz "Wir schaffen das" Recht behalten, sagte der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber (BDA) der Zeitung Augsburger Allgemeine. Von mehr als einer Million Menschen, die seit 2015 nach Deutschland gekommen seien, hätten knapp 400 000 einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz, sagte Kramer. Die meisten jungen Migranten könnten nach einem Jahr Unterricht zudem so gut Deutsch, dass sie dem Berufsschulunterricht folgen könnten, erklärte der Wirtschaftsvertreter. Die große Mehrheit der erwerbstätigen Flüchtlinge arbeite mittlerweile in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung und sei somit integriert. Viele Migranten seien "eine Stütze der deutschen Wirtschaft geworden". Deutschland müsse das Thema Migration "nüchterner betrachten", fordert Kramer. "Wir dürfen keine Angst vor Zuwanderung haben, sondern müssen Menschen, die zu uns kommen und hier arbeiten, als Bereicherung sehen." Die meisten Mittelständler seien weiter auf der Suche nach Mitarbeitern und hofften auf das geplante Fachkräfteeinwanderungsgesetz der Großen Koalition. Wenn es nicht gelinge, künftig Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben, bestehe die Gefahr, dass Deutschland wirtschaftlich zurückfalle wie in den 90er Jahren, so Kramer. "Dann bräuchten wir allerdings wieder einen Politiker wie den einstigen SPD-Kanzler Gerhard Schröder, der den Mut aufbringt, das Ruder radikal rumzureißen." Seine Reformen seien "ein Segen für unsere Volkswirtschaft" gewesen, sagte Kramer - auch wenn Politiker wie Schröder später persönlich oft abgestraft würden. | BDA-Chef Ingo Kramer sagt, er sei selbst erstaunt, wie schnell die Integration gelinge. Über die Hälfte aller Flüchtlinge hätten inzwischen Arbeit gefunden. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/fluechtlinge-integration-arbeitsmarkt-1.4253072 | BDA-Chef Kramer lobt Integration von Flüchtlingen | 00/12/2018 |
Die EU verlängert die Wirtschaftssanktionen um weitere sechs Monate. Als ein Grund dafür gilt das jüngste Vorgehen Putins gegen ukrainische Marineschiffe. Die Strafmaßnahmen kosteten Moskau bereits einen dreistelligen Milliardenbetrag. Die europäischen Wirtschaftssanktionen gegen Russland werden abermals verlängert. Darauf einigten sich die Staats- und Regierungschefs am Donnerstag beim EU-Gipfel in Brüssel. Es habe im Friedensprozess für die Ukraine zuletzt "null Fortschritt" gegeben, schrieb EU-Ratspräsident Donald Tusk auf Twitter zu der einstimmigen Entscheidung. Die EU hatte die Handels- und Investitionsbeschränkungen trotz Milliardenverlusten für heimische Unternehmen zuletzt im vergangenen Sommer bis zum 31. Januar 2019 verlängert. Sie sollen nun weitere sechs Monate gelten. Im Gegensatz zu früheren Verlängerungen gab es dieses Mal keine größeren öffentlichen Diskussionen. Als ein Grund dafür gilt das jüngste Vorgehen Russlands gegen ukrainische Marineschiffe. Die russische Küstenwache hatte Ende November zwei Patrouillenboote und einen Schlepper gewaltsam an der Fahrt durch die Meerenge von Kertsch ins Asowsche Meer gehindert. Die Seeleute wurden festgenommen, die Schiffe beschlagnahmt. Im Sommer 2016 war bei einem EU-Gipfel beschlossen worden, die Handels- und Investitionsbeschränkungen erst dann aufzuheben, wenn die Vereinbarungen des Minsker Friedensplanes zum Ukraine-Konflikt komplett erfüllt sind. Dies ist noch nicht der Fall. Experten gehen nach Angaben von Diplomaten davon aus, dass die Sanktionen Russland bereits einen dreistelligen Milliardenbetrag gekostet haben. Doch auch die europäische Konjunktur wird in Mitleidenschaft gezogen, da die Strafmaßnahmen den Handel vieler EU-Unternehmen mit Russland erschweren und Moskau im Gegenzug Einfuhrverbote für westliche Agrarprodukte wie Obst und Fleisch verhängt hat. Vor allem Länder wie Ungarn, Italien und Griechenland sehen die Sanktionen deswegen kritisch, ein Veto legten sie bisher aber nicht ein. Eingeführt wurden die Strafmaßnahmen nach dem Absturz eines malaysischen Flugzeugs mit 298 Menschen an Bord über der Ostukraine im Juli 2014. Es soll von moskautreuen Separatisten oder sogar von russischen Streitkräften abgeschossen worden sein. Russland bestreitet das. | Die EU verlängert die Wirtschaftssanktionen um weitere sechs Monate. Als ein Grund dafür gilt das jüngste Vorgehen Putins gegen ukrainische Marineschiffe. Die Strafmaßnahmen kosteten Moskau bereits einen dreistelligen Milliardenbetrag. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/russland-null-fortschritt-1.4252973 | """Null Fortschritt""" | 00/12/2018 |
Die Deutsche Bahn soll mit teuren Investitionen besser werden. Doch woher das Geld dafür kommen soll, ist noch unklar. Es ist ein großes Versprechen, das Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) vor Kurzem gegeben hat: Wer in Zukunft Bahn fährt, soll nicht nur schneller, pünktlicher und flexibler sein als zurzeit. Auch ein "Wow-Effekt" soll sich unterwegs einstellen. Damit es auch wirklich so kommt, hatte Scheuer Anfang November angekündigt, zahlreiche Strecken in einem Langfristprogramm auszubauen, zu erweitern oder zu erneuern und so Engpässe im Netz zu beseitigen. Insgesamt 29 zusätzliche Projekte sind nun bis 2030 geplant. Sie wurden vom Minister in die wichtigste Stufe des aktuellen Bundesverkehrswegeplans befördert. Und der ist in der Verkehrspolitik das Maß der Dinge. Er legt fest, wo in Zukunft gebaut wird. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen hat die Bundesregierung nun erstmals berechnet, was die groß angelegten Pläne den Bund inklusive der 29 Zusatzprojekte zusammen kosten werden. Es geht demnach um gewaltige Summen. "Der Gesamtbedarf an Bundesmitteln zur Finanzierung des Bedarfsplans Schiene für die Jahre 2019 bis 2030 liegt nach Einschätzung der Bundesregierung bei 32 Milliarden Euro", so der Parlamentarische Verkehrsstaatssekretär Enak Ferlemann in einem Schreiben an die Grünen, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Im Bundestag löst diese Zahl allerdings eher Unruhe als Freude aus. Denn sie macht neben dem Ausmaß der zum Erreichen der Koalitionsziele nötigen Finanzspritze auch klar, dass beim Ausbau der Bahn-Infrastruktur eine Milliardenlücke klafft. Ein Großteil der Pläne wäre nach Einschätzung von Opposition und Experten mit dem bisherigen Finanzierungsniveau gar nicht machbar. Gedeckt sind durch den Haushalt nur knapp 20 Milliarden Euro. Und das auch nur, wenn man von gleichbleibenden Mitteln ausgeht. Die Zahlen sind brisant, denn sie zeigen laut Fachleuten, dass die Ziele der großen Koalition in Gefahr sind. Union und SPD hatten sich im Koalitionsvertrag vorgenommen, die Passagierzahlen der Bahn bis 2030 zu verdoppeln, um Mobilität umweltfreundlicher zu machen. Der Berliner Verkehrswissenschaftler Christian Böttger, Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft, hält das allerdings für unmöglich. "Die Regierung kann dieses Ziel angesichts der drohenden Milliardenlücke nicht erreichen", warnt Böttger. In der Opposition wächst der Ärger. "Verkehrsminister Scheuer ist Tabellenführer beim Ankündigen, doch beim Umsetzen bewegt er sich in der Abstiegszone", kritisiert der Grünen-Sprecher für Verkehrspolitik, Stephan Kühn. Angesichts der Ausbaupläne seien drei Milliarden Euro pro Jahr nötig. Zur Verfügung stehen im Bundeshaushalt jedoch für 2019 nur 1,65 Milliarden Euro. Zwar kündigt Ferlemann per Schreiben an, dass sich die Bundesregierung für einen weiteren "Hochlauf" der Verkehrsinvestitionen einsetzen werde. Die nötige Verdoppelung gilt im Bundestag jedoch als ausgeschlossen. Finanzprobleme könnten sogar noch größer sein Erst am Mittwoch war bekannt geworden, dass auch dem Konzern Milliarden fehlen, um das eigene Programm für mehr Qualität auf der Schiene umzusetzen. Die Bahn will zusätzlich fünf Milliarden Euro in mehr Züge, Personal und neue Technik stecken. Doch erst eine davon ist durch die eigene Bilanz gedeckt. Bis 2023 muss der Konzern vier Milliarden Euro aufbringen - wahrscheinlich durch den Verkauf von Unternehmensteilen. Verbände fordern ein Umdenken. Für die Verkehrswende bräuchten wir endlich einen großen Wurf, sagt der Geschäftsführer des Bündnisses Allianz Pro Schiene, Dirk Flege. Aber der werde wohl nicht finanziert. Verkehrsforscher Böttger geht sogar von noch größeren Finanzproblemen aus. Er hat ausgerechnet, dass der Bund mit allen Programmen einschließlich den Digitalisierungsplänen des Bahn-Konzerns und der Einführung des sogenannten Deutschland-Taktes, der raschere Verbindungen zwischen Metropolen garantieren soll, sogar mit 80 Milliarden Euro bis 2030 in der Pflicht steht. Böttgers ernüchtertes Fazit: "Die Politik agiert in der Bahnpolitik äußerst lustlos." | Die Bundesregierung verspricht große Projekte, um die Bahn besser zu machen. Doch nun wird klar: Diese kosten deutlich mehr Geld, als bisher eingeplant ist. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/deutsche-bahn-geld-finanzierung-1.4251754 | Deutsche Bahn - Teure Pläne, wenig dahinter | 00/12/2018 |
Mindestens sechs Unternehmen sollen an den Real-Märkten interessiert sein, darunter auch der amerikanische Konzern Amazon. Aber das könnten auch nur Gerüchte sein. Metro findet keinen Weg aus der Krise: Die Gewinne sinken, Russland bleibt ein Problem und für die Real-Supermärkte gibt es auch noch keinen Käufer. Es war wahrlich nicht langweilig in den vergangenen sechs Jahren, in denen Olaf Koch Chef der Metro AG in Düsseldorf ist. Am Donnerstag aber wurde es richtig turbulent an der Börse. Die nach der Abspaltung vom Elektrohändler Ceconomy ohnehin schwache Metro-Aktie stürzte zeitweise noch einmal um mehr als zehn Prozent ab. Koch hatte angekündigt, das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) könnte im kommenden Geschäftsjahr 2018/2019 um weitere zwei bis sechs Prozent zurückgehen. Gründe seien Investitionen in die Digitalisierung und die anhaltenden Probleme in Russland, wo Metro zwar immer noch einen ordentlichen, aber stark rückläufigen Gewinn macht. Obwohl die Probleme seit etwa einem Jahr bekannt sind, konnte Koch immer noch nicht sagen, wann die von ihm in Aussicht gestellte "Trendwende" kommt. Wenig Konkretes hatte er auch zum Verkauf der Supermarktkette Real zu bieten. Seit einer Woche soll der sogenannte Datenraum geöffnet sein. Das heißt, Interessenten können sich die Zahlen der einzelnen Märkte anschauen. Mindestens sechs Unternehmen sollen das sein, aber die Kandidaten bleiben mysteriös. Darunter sein sollen sogenannten Insidern zufolge Finanzinvestoren wie Cerberus. Ihnen wird nachgesagt, vor allem Interesse an den Immobilien zu haben, von denen sich 65 im Besitz von Real befinden. Ihr Wert bemisst sich auf knapp eine Milliarde Euro. Daran haben angeblich auch reine Immobilienentwickler Interesse. Außerdem ist von zwei weiteren "Strategen" die Rede, also von Interessenten aus dem Handel, darunter angeblich Kaufland von der Schwarz-Gruppe (Lidl). Kaufland betreibt wie Real sogenannte SB-Warenhäuser. Dass Kaufland zum Zuge kommen könnte, gilt jedoch als unwahrscheinlich. Zum einen aus kartellrechtlichen Erwägungen, zum anderen aber auch, weil Kaufland in den vergangenen Jahren schon die eher attraktiven Märkte von Real übernommen hat. Kaufland hat seinen Konkurrenten bereits durchleuchtet, leidet aber selber eher darunter, zu viel Verkaufsfläche zu haben. Immer wieder taucht als potenzieller Kaufkandidat auch der amerikanische Techkonzern und Versandhändler Amazon auf. Und zwar im Wesentlichen weil er in den USA mit Whole Food eine Supermarktkette übernommen hat. Das weckt entsprechende Fantasien in Deutschland, was Metro gelegen kommt. Das beflügelt im besten Fall den Preis. Nur: Bei Amazon Deutschland scheint Real nicht sehr weit oben auf der Prioritätenliste zu stehen. Erschwert wird der Verkauf auch dadurch, dass Koch noch einmal betonte, nur Interessenten zu berücksichtigen, die an Real als Ganzes interessiert seien, im Moment jedenfalls. Gewerkschafter befürchten hingegen eine Zerschlagung, die viele der etwa 34000 Mitarbeiter zu spüren bekämen. Unter den knapp 280 Standorten sind viele nicht sehr attraktiv. Weil die Metro-Zahlen mit Real noch schlechter ausgefallen wären, klammerte Koch die Kette bereits aus der Bilanz aus, obwohl der Verkauf noch gar nicht vollzogen ist. Reals operatives Ergebnis (Ebitda) verringerte sich von 154 Millionen Euro im Vorjahr auf 143 Millionen Euro. Auch der Umsatz sank um 2,3 Prozent auf 7,1 Milliarden Euro. Metro ohne Real verdiente im Ende September abgelaufenen Geschäftsjahr etwa zwei Prozent weniger und kam auf ein Ebitda von gut 1,2 Milliarden Euro. Der Konzernerlös ging um 1,6 Prozent auf 36,5 Milliarden Euro zurück. Flächen- und währungsbereinigt verzeichnete der Händler allerdings ein Plus von 0,7 Prozent. Die kommenden Wochen könnten zudem Überraschungen bringen, auf die Koch keinen Einfluss hat. Womöglich wird Metro von der Börse genommen. Dazu könnte es kommen, wenn der tschechische Milliardär Daniel Křetínský, der überraschend im Sommer bei Metro eingestiegen war, mehr als 30 Prozent der Anteile erwirbt. Das würde automatisch ein Übernahmeangebot auslösen und könnte dazu führen, dass Metro zu einer nicht börsennotierten Aktiengesellschaft wird. Die Frage wäre allerdings, woher Křetínský das Geld dafür nehmen will, weil er den verbliebenen Aktionären ein Aufschlag zahlen müsste. In einem ersten Schritt wird er wahrscheinlich in den Aufsichtsrat ziehen, ehe Real verkauft ist, was bis Mai der Fall sein soll. Weil er dann auch Einfluss auf das Management nehmen will, wird er beim Verkauf mitreden. Das macht die Situation für Koch nicht einfacher. Der Name Křetínský fiel zwar auf der Bilanzpressekonferenz nicht einmal, aber die Unsicherheit war spürbar. | Metro findet keinen Weg aus der Krise: Die Gewinne sinken, Russland bleibt ein Problem und für die Real-Supermärkte gibt es auch noch keinen Käufer. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/metro-auf-der-resterampe-1.4251771 | Metro - Auf der Resterampe | 00/12/2018 |
Britannien ist ein wohlhabendes Land. Aber die Austeritätspolitik der vergangenen Jahre hat die Armen abgehängt. Wie lebt man in Armut? Der schottische Autor Darren McGarvey erklärt es. Auch, warum so viele für den Brexit stimmten. In den 90er-Jahren hatte Britannien sich zu "cool Britannia" hochgespielt, womit allerdings vor allem London gemeint war. Wer damals gedacht hatte, mit der englischen Klassengesellschaft gehe es zu Ende, der hat sich getäuscht. Sie hat lediglich Turnschuhe angezogen. Britannien wurde nicht so durchgerüttelt, wie es die Deutschen nach den Niederlagen in zwei Weltkriegen erlebten. In England ist die Unterteilung in Klassen immer noch lebendig - besonders bei den Bürgern, die keinen Platz in der schicken oder sogenannten guten Gesellschaft haben. Nicht zufällig also ist ein exzellentes Buch über Armut von einem Briten verfasst worden: "Poverty Safari" (Picador, 2017). Der Autor, Darren McGarvey, will erklären, warum die britische Unterschicht wütend sei. Das Buch wurde preisgekrönt, es wurde ein Bestseller in Britannien und erklärt nebenbei, warum so viele Briten gegen ihre wirtschaftlichen Interessen für den Brexit stimmten. Angeblich ist die Weihnachtszeit dazu da, die Christen an das Gute in sich und in der Welt zu erinnern. Viele erinnern sich vor allem an das Schlechte, das sie erlebt haben. An Weihnachten gibt es mehr Selbstmorde, mehr Gewalttaten und mehr Herzinfarkte als an anderen Tagen. Wer sich in der eigenen Haut halbwegs passabel fühlt, spendet in den Weihnachtstagen Geld für jene, denen es nicht gut ergeht: für Kranke, für Arme. Von Armen handelt McGarveys Buch, das auf seiner Erfahrung basiert, einer Kindheit in einem verlorenen Viertel von Glasgow. Sein Vater war Geringverdiener, seine Mutter Alkoholikerin, und im Suff schlug sie ihren kleinen Sohn. Über Jahre hin wurde ihm eine wichtige diplomatische Lehre eingeprügelt: Er lernte, die Aggressivität seiner Mutter einzudämmen, indem er einen sechsten Sinn für ihre jeweilige Stimmung entwickelte. Er lernte, nicht zu sagen, was er dachte; er sagte nur, was seine Mutter hören mochte. Vielleicht auch deshalb erwarb er sich sprachliche Ausdruckskraft; seine Aufsätze auf der Schule waren gut, und er begann zu rappen. In jungen Jahren wurde er vom BBC-Radio entdeckt: Da war einer, der zwischen der Unterschicht und den besser Situierten vermitteln konnte. McGarvey bemerkte aber bald, dass es der BBC nicht um ihn und sein Talent ging, sondern bloß um einen sprachkräftigen Vertreter der Unterschicht. Er soff, nahm Drogen, wurde Alkoholiker, war obdachlos, fand Hilfe bei staatlichen Stellen. Heute ist McGarvey Mitte dreißig. 2015 war er der erste "Rapper-in-residence" bei einer Gewaltpräventionseinheit von Schottlands Polizei. Jetzt hat er eine Familie. Für sich, seine Geschwister, seine Familie und alle hat er sein Buch geschrieben. Die Armen gehen nicht mehr wählen. Die Politiker reden zu anderen: Es ist ein Teufelskreis Wer arm ist, steht ohne Pause unter Stress, was das konzise Denken konstant behindert. Jeden Tag aufs Neue stellt sich die Frage, wie es weitergeht, woher das Essen kommen soll. Man muss Ämter aufsuchen, Formulare ausfüllen, die Bedürftigkeit immer wieder neu begründen. Das ist demütigend. In Britannien wurde 2008 ein Gesetz erlassen, dessen Kern McGarvey so beschreibt: Eine alleinstehende Mutter bekomme staatliche Unterstützung für ein drittes Kind nur, wenn sie glaubhaft machen könne, dass dieses dritte Kind bei einer Vergewaltigung gezeugt wurde. Die Austeritätspolitik der britischen Konservativen hat ihrem Land übel getan. Man schielt nach dem Verhältnis zwischen Bruttosozialprodukt und staatlicher Schuldenaufnahme. Wie die Menschen die Ausdünnung des Sozialstaats vertragen, ist dabei ziemlich einerlei. Frühere Politiker der Tory-Partei verstanden sich als Vertreter der ganzen Nation. Mittlerweile ist die Idee verbreitet, ein Minister müsse sich wie ein CEO verhalten, der sein Unternehmen an die Börse bringen will. Die Wut all jener, die dabei zurückgelassen werden, ist ziemlich groß und speist sich auch aus dem Umstand, dass sie sich von den Politikern nicht mehr angesprochen fühlen. Sie gehen nicht mehr zur Wahl. Deshalb, schreibt McGarvey, sprechen die arrivierten Politiker aller Parteien vornehmlich zu besser situierten Schichten, deren Angehörige wählen gehen. Der Teufelskreis ist damit geschlossen. Hilfsorganisationen, die sich um Arme kümmern, helfen laut McGarvey wenig: "Dieser Sektor, dazu gehören die Künste, die Medien, Wohlfahrtsorganisationen und andere, benimmt sich wie eine Imperialmacht. Arme Gemeinden werden als primitive Kulturen betrachtet, die modernisiert, auf die Reihe und auf Vordermann gebracht werden müssen." An sich, schreibt McGarvey, sei die Idee des Forderns und Förderns ja gar nicht schlecht; nur dass sie halt über die Köpfe der Leute hinweg in die Tat umgesetzt werde - als könnten Menschen nicht selbst denken, nur weil sie arm sind. Überhaupt würden soziale Probleme so kompliziert erörtert, dass weniger gebildete Bürger nicht mehr mitkommen. Allzu oft würden gesellschaftliche Übel "unsichtbaren Kräften oder Strukturen" zugeschrieben. Die Angehörigen der Unterschicht blieben außen vor, seien in das, was dann "Diskurs" genannt werde, nicht einbezogen. Das störe die Leute, schreibt er, und deshalb fühlten sie sich auch von wohlmeinenden Initiativen wenig angesprochen. Die Pro-Brexit-Kampagne warb mit dem Slogan "Take back control". Was immer der intelligente, ruchlose Selbstdarsteller und Ex-Außenminister Boris Johnson damit meinte: Bei den Wählern kam das an. Menschen wollen Kontrolle über ihr Leben haben. Psychologen nennen das "Selbstermächtigung". Hätte man mit demselben Slogan ein Referendum über die Abschaffung der repräsentativen Demokratie oder der Gravitationskraft des Mondes anberaumt, wären sicherlich viele Wähler aller Schichten und Klassen dafür gewesen. | Britannien ist ein wohlhabendes Land. Aber die Austeritätspolitik der vergangenen Jahre hat die Armen abgehängt. Wie lebt man in Armut? Der schottische Autor Darren McGarvey erklärt es. Auch, warum so viele für den Brexit stimmten. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/augsteins-welt-klassengesellschaft-1.4251767 | Augsteins Welt - Klassengesellschaft | 00/12/2018 |
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat eine Forderung der Gewerkschaften übernommen - und ist nun auch dafür, mithilfe der Steuerpolitik dafür zu sorgen, dass sich mehr Unternehmen als bisher an Tarifverträge binden. "Der Staat sollte tarifgebundene Unternehmen steuerlich besser behandeln als nicht tarifgebundene", sagte Heil am Donnerstag der Stuttgarter Zeitung. Dies sei die "für höhere Löhne entscheidende Frage". Mit Blick auf Frankreich fügte er hinzu: "Wer keine Gelbwesten-Proteste will, muss auch im Niedriglohnbereich für höhere Löhne sorgen - die gibt es bei stärkerer Tarifbindung." | Arbeitsminister Hubertus Heil will, dass künftig mehr Unternehmen der Tarifbindung unterliegen. Und dafür soll der Staat sorgen. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/niedrigloehne-die-idee-mit-der-steuer-1.4252069 | Niedriglöhne - Die Idee mit der Steuer | 00/12/2018 |
Die Deutschen gelten oft als notorische Pessimisten. Eine Umfrage aber zeigt nun: Die Bundesbürger blicken derzeit zuversichtlicher in die Zukunft als viele andere in Europa. Fallende Börsenkurse, Entlassungen, Brexit, Gelbwesten in Frankreich, ein Handelskonflikt mit den USA, aber trotz allem blicken die Menschen in Deutschland optimistischer auf 2019, als sie es vor einem Jahr auf 2018 blickten. Ihr Optimismus ist nicht nur für deutsche Verhältnisse überdurchschnittlich, sondern auch international auf einem relativ hohen Niveau angelangt. Das ergab eine Umfrage des globalen Mess- und Datenanalyse-Unternehmens Nielsen, das 32 000 "regelmäßige Internetnutzer" in der Welt befragte. | Die Deutschen gelten oft als notorische Pessimisten. Eine Umfrage aber zeigt nun: Die Bundesbürger blicken derzeit zuversichtlicher in die Zukunft als viele andere in Europa. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/umfrage-glueckliches-deutschland-1.4252066 | Umfrage - Glückliches Deutschland | 00/12/2018 |
Fassen wir doch ein paar Fragen zusammen, schlägt der Moderator vor, und da kommen sie auch schon: Was wird aus Europa nach dem Brexit? Kriegen wir die Digitalisierung hin? Brauchen wir nicht mehr Zentralismus in der Bildung? Oder haben wir nicht überhaupt zu viel Staat? Stoff für einen ganzen Abend, doch die Zeit drängt. Annegret Kramp-Karrenbauer lächelt tapfer, sie kenne das ja von den Regionalkonferenzen, sagt sie. Müsste sie jetzt nicht einfach auch mal Ferien haben dürfen, abschalten, schweigen? Gerade kommt sie von der CDU-Weihnachtsfeier im Konrad-Adenauer-Haus, gleich muss sie weiter. Noch als Generalsekretärin hat sie der Hanns-Martin-Schleyer-Stiftung für diesen Abend zugesagt, und als neue CDU-Vorsitzende und potenzielle Bundeskanzlerin hält sie dies auch ein. Die Stiftung startet an diesem Abend ihr neues Preisthema für junge Wissenschaftler und Journalisten zum Thema "Wie viel Freiheit braucht die Marktwirtschaft? Autoritäre Regime auf dem Vormarsch", und das sei eine Frage, sagt die Festrednerin, die sie auch umtreibe. Die soziale Marktwirtschaft stehe vor großen "Herausforderungen", das ist ihr Lieblingswort, und diese Herausforderungen kommen von außen wie innen. Einerseits die Trump-USA, die immer egoistischer würden, und andererseits die zunehmend selbstbewusste Volksrepublik China. Viele hätten ja gedacht, dass mit dem Fall der Mauer die Frage nach der besten Wirtschaftsordnung entschieden worden sei, aber nein: "Der Systemwettbewerb ist wieder da." Wie soll man damit umgehen, dass erstmals ein autoritäres Regime wirtschaftlichen Erfolg hat? "Auch ich habe als Ministerpräsidentin manchmal davon geträumt, mit der Faust auf den Tisch zu schlagen, und dann wird es so gemacht"; aber so funktioniere das eben nicht in der Demokratie. Rupert Scholz, Rechtsprofessor und früherer CDU-Verteidigungsminister, schlägt ein bewusstes Kontrastprogramm vor: mehr Markt, weniger Staat. Klingt gut für Kramp-Karrenbauer, aber dann müsse der Bürger auch den Mut haben, mit weniger Regeln auszukommen. In Wirklichkeit aber wollten die Deutschen alles und jedes geregelt wissen, jedenfalls wenn sie selbst betroffen sein könnten. Die Herausforderungen fürs System kommen aber auch von innen. Die neue CDU-Vorsitzende berichtet von ihrer Zuhörtour im Sommer, wo sie Menschen begegnet sei, Leistungsträgern der Gesellschaft, die sich von der Politik links liegen gelassen fühlen. "Friedrich Merz hat von den Fleißigen gesprochen", nimmt sie ein Wort des unterlegenen Kandidaten um den Parteivorsitz auf: "Damit habe ich kein Problem." Andere aber schon, und es sage "vielleicht etwas über unser Land aus, wenn er dafür Kritik erntet". 2,6 Prozent Arbeitslosigkeit in Böblingen, aber bis zu 16 Prozent für die AfD - da gehe es nicht um reale Verhältnisse, sondern um Stimmungen und Ängste. Die Menschen müssten wieder in den Mittelpunkt der Politik rücken, und es sei kein Zufall, dass alle drei Kandidaten um die Merkel-Nachfolge für eine große Steuerreform eingetreten seien. Namentlich Merz möge doch daran mitarbeiten, wirbt sie, auch wenn das kein Projekt für einen Bierdeckel (so eine alte Merz-Formulierung) werde, aber doch in Zeiten der Digitalisierung immerhin für eine Steuer-App. Steuern, Soziales, Digitalisierung - Kramp-Karrenbauer hat den Entwurf für ein neues CDU-Grundsatzprogramm vorbereitet, aber sie gibt selbst zu, dass da bisher mehr Fragen drinstecken als Antworten. Sie weiß, dass sie "am Ende des Tages" (auch so eine Lieblingsformulierung) wird liefern müssen, und verspricht die Antworten fürs nächste Schleyer-Treffen. Das Angebot wird angenommen. | Die neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hätte auch mal Ferien verdient. Aber dafür bleibt ihr im politischen Alltag keine Zeit. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/nahaufnahme-druck-von-ueberall-1.4251756 | Druck von überall | 00/12/2018 |
Es kommt nicht oft vor, dass bei einem Menschen die Berufsbezeichnung zum festen Bestandteil des Namens wird. Der langjährige "Bahn-Chef Hartmut Mehdorn" war ein solcher Fall, "Bundestrainer Jogi Löw" ist mit zunehmender Dauer seiner Amtszeit auf dem besten Weg dazu. Auch "der Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick", der seit 2005 im Bundestag sitzt, ist zu einer solchen Marke geworden. Bald aber ist es damit vorbei: Zum Ende des Jahres scheidet Schick aus dem deutschen Parlament aus. Der 46-Jährige wird Vorstand bei der "Bürgerbewegung Finanzwende", einer relativ neuen Nichtregierungsorganisation (NGO). Gewissermaßen wechselt er damit von der parlamentarischen in die außerparlamentarische Opposition. Seine Bürgerbewegung will dazu beitragen, das Finanzsystem stabiler und weniger schädlich für die Menschen zu machen. "Zehn Jahre nach der Pleite von Lehman Brothers ist es immer noch nicht gelungen, den Finanzmarkt zu beruhigen, er bleibt wacklig, intransparent und zu komplex", sagt Schick. Es gebe eine riesige Lücke in der öffentlichen Wahrnehmung. Jedes Jahr würden Zehntausende Menschen Opfer von Finanzbetrug, in der Beratung laufe vieles falsch, Banken wie die HSH Nordbank hätten zweistellige Milliardensummen an Steuergeld verschlungen. "Es gibt keinen Bereich, in dem so viel Geld verschwendet und so wenig darüber diskutiert wird", sagt Schick. Mit seiner Bewegung will er dazu beitragen, dass die Debatte über solch skandalöse Vorgänge nicht nur Experten vorbehalten bleibt. Es ist der größte berufliche Einschnitt für den studierten Volkswirt aus dem Wahlkreis Mannheim. Als er 2005 in den Bundestag kam, arbeitete er sich schnell in Finanzthemen ein. Sein Spezialwissen war gefragt, als drei Jahre später die weltweite Finanzkrise ausbrach. Mit seinen kenntnisreichen und pointierten Äußerungen wurde er im Lauf der Jahre zu einer der wichtigsten kritischen Stimmen gegen die Finanzbranche. Eine Stimme, die selbst im Regierungslager Anerkennung fand: Beim Abschied in der Grünen-Bundestagsfraktion äußerte sich CDU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus lobend über Schick. Sein größter Erfolg im Bundestag war der Untersuchungsausschuss zum Cum-Ex-Skandal. Dabei haben Banken den Staat mit der mehrmaligen Erstattung von Kapitalertragsteuer um Milliarden Euro geprellt. Mit unzähligen kleinen und großen Anfragen, Anträgen und Äußerungen wurde Schick zum "Grünen-Finanzexperten". Warum also hat er sich entschlossen, den Bundestag zu verlassen? "Unsere Bewegung ist parteiübergreifend, deshalb kann ich nicht in einer Fraktion bleiben", sagt er. Und was die Wirkung betrifft: "Ich glaube, dass wir gemeinsam mehr bewegen können als jeder Einzelne in seiner bisherigen Tätigkeit." In der Bürgerbewegung, die sich über Spenden und Beiträge finanziert, macht ein Querschnitt der Bevölkerung mit: Unternehmer, Gewerkschafter, Anwälte, Leute aus dem Sozial- und Umweltbereich, auch ehemalige Banker. Von 53 Leuten, die Schick anschrieb, bekam er 50 Zusagen. Auch der ehemalige Arbeits- und Sozialminister Norbert Blüm (CDU) ist darunter. "NGOs im Finanzbereich sind nicht mit solchen für Nahrungsmittel wie etwa Foodwatch vergleichbar", sagt Schick. Essen tue man dreimal am Tag, Finanzthemen seien viel abstrakter. Trotzdem beträfen die Themen die Menschen massiv. "Es geht um Schicksale, um Not und Enttäuschungen, zum Beispiel wenn Tausende Anleger ihr Erspartes für das Alter verlieren wie bei der Betrugsfirma P&R." Um zur Finanzwende beizutragen, will Schick mit seiner Bewegung auf verschiedene Instrumente setzen. Das können etwa Unterschriftenlisten sein, das Erstellen von Rankings oder ein öffentlicher Brief an Felix Hufeld, den Chef der Finanzaufsicht Bafin, sich mehr für die Belange der Verbraucher einzusetzen. Schick hält nichts davon, stets alles zu skandalisieren, das nutze sich schnell ab. "Mit präzisen Fragen kann man mehr erreichen als mit Verbalradikalismus", war schon sein Motto als "Grünen-Finanzexperte". Das soll auch weiter gelten. Hinweis der Redaktion: In der vorherigen Fassung des Artikels hieß es, dass Schick auch die Partei der Grünen verlasse, doch das ist nicht der Fall. | Er war der "Grünen-Finanzexperte" und ein respektierter Kritiker der Finanzbranche. Nun verlässt Gerhard Schick das Parlament - um in einer Bürgerbewegung weiterzumachen. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/gerhard-schick-ausserparlamentarische-opposition-1.4252148 | Außerparlamentarische Opposition | 00/12/2018 |
Die Bauern haben das zurückliegende Wirtschaftsjahr gut überstanden. Viele Verluste werden wohl erst im nächsten Jahr spürbar. Für Milch- und Obstbauern lief es rund. Die Deutschen Bauern haben im zurückliegenden Wirtschaftsjahr gut verdient. Insgesamt legten die Ergebnisse 2017/18 im Durchschnitt um fast ein Fünftel auf 65 200 Euro je Betrieb zu, teilte der Bauernverband am Donnerstag mit. Im laufenden Jahr dürfte die Trockenheit jedoch spürbare Schäden hinterlassen. Denn die jetzt veröffentlichte Bilanz erfasse nur die Zeit bis Ende Juni - also noch nicht die enttäuschende Ernte 2018 wegen langer Trockenheit in vielen Regionen, hieß es weiter. Höhere Kosten für Futter, Energie und Dünger würden ebenfalls negativ zu Buche schlagen. Bauernpräsident Joachim Rukwied sagte, die zwischenzeitlich wieder besseren Verdienste seien erfreulich. Die Rücklagen reichten aber nicht zum Ausgleich von Ausfällen in den Regionen aus, in denen die Trockenheit besonders stark gewesen sei. Für die von Bund und Ländern bereitgestellten Nothilfen von bis zu 340 Millionen Euro seien inzwischen 8000 Anträge gestellt worden. Die Unterstützung sei auch "absolut notwendig", so Rukwied. Dabei sei das Bild uneinheitlich: Im Norden und Osten habe es teils massive Schäden gegeben, während Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz und das Saarland verschont blieben. Allein in Niedersachsen seien mehr als 4000 Anträge eingereicht worden. Selbst der November sei mancherorts noch zu trocken gewesen, ergänzte Rukwied. Insgesamt sei eine "miserable" Getreideernte eingefahren worden. Die Einbußen der Landwirte werden laut Bauernverband nicht voll davon aufgefangen, dass die Preise höher sind als im Vorjahr. Daneben sorgten sich Viehhalter um das Futter für ihre Tiere, weil wegen der Dürre nicht so viel Gras gemäht werden konnte wie sonst. Vom Wetter profitieren konnten dagegen viele Obstbauern. Bei einer sehr guten Ernte dürften 950 000 Tonnen Äpfel zusammenkommen, nach 570 000 Tonnen im Vorjahr. Das wirkte sich allerdings auf die Preise aus, die im Vergleich zum Vorjahr deutlich gesunken sind. Auch im Weinanbau rechnet der Verband mit einem "Spitzenjahrgang". Insgesamt habe sich die Ertragslage der Branche bis Mitte 2018 weiter erholt, nachdem im Vorjahr die Weltmarktpreise für wichtige Produkte wieder leicht gestiegen waren. Die Bilanz für 2017/18 zeigt den Angaben zufolge aber noch weitere große Unterschiede je nach Sparte. Dank stabiler Preise haben Milchbauern mit durchschnittlich 90 600 Euro je Betrieb (plus 67 Prozent) am besten verdient. Das größte Minus von 35 Prozent verzeichneten dagegen die Schweinehalter. Sie kamen im Schnitt auf 56 600 Euro und verkaufen momentan auch für niedrigere Preise. Öko-Bauern verbuchten dagegen erneut Zuwächse. Für die vorläufige Jahresbilanz wurden 11 900 Betriebe ausgewertet. Die Verbraucher bekamen das Dürrejahr im Vergleich zu den Bauern nur geringfügig zu spüren. Deutliche Preissprünge habe es nicht gegeben, erläuterte der Bauernverband. Nur einzelne Produkte, etwa Kartoffeln, wurden demnach deutlich teurer. Bei Pommes, Brot und anderen verarbeiteten Produkten fällt der Rohstoffpreis dagegen in der Regel nur geringfügig ins Gewicht, den größten Kostenblock machen hier Herstellungs-, Vertriebs- und Personalkosten aus. | Die Bauern haben das zurückliegende Wirtschaftsjahr gut überstanden. Viele Verluste werden wohl erst im nächsten Jahr spürbar. Für Milch- und Obstbauern lief es rund. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/landwirtschaft-mehr-verdient-1.4251775 | Landwirtschaft | 00/12/2018 |
Es geht rauf und runter - und wieder rauf: Am Donnerstag verteuerte sich das Pfund Sterling, nachdem die britische Währung am Mittwochabend an Wert verloren hatte. Zuvor, am Nachmittag, hatte das Pfund hingegen aufgewertet. Schuld an der Berg- und Talfahrt ist die Politik. Premierministerin Theresa May musste sich am Mittwochabend einer Vertrauensabstimmung ihrer Fraktion stellen. Als tagsüber immer mehr Politiker May ihre Unterstützung versprachen, verteuerte sich das Pfund, denn das Risiko eines Rücktritts schien kleiner zu werden. Tatsächlich gewann May die Abstimmung aber nur mit einer enttäuschend schmalen Mehrheit. Deswegen sank der Pfund-Kurs. Am Donnerstag kehrte sich der Trend um. Da die politische Lage unübersichtlich bleibt, wird es beim Pfund-Kurs sicher weiter abrupte Schwankungen geben. Mays Erfolg ändert nichts daran, dass im Parlament keine Mehrheit für das Brexit-Abkommen existiert, auf das sich London und Brüssel im November einigten. Daher besteht die Gefahr, dass die Briten die EU am 29. März 2019 ohne Vertrag verlassen. Dann fiele die vereinbarte Übergangsphase weg. Stattdessen würden sofort Zölle und Zollkontrollen eingeführt. Die Wirtschaft auf beiden Seiten des Ärmelkanals würde leiden, stärker jedoch die britische. Das wiederum würde das Pfund belasten. Schafft es May hingegen, den Brexit-Vertrag durch das Parlament zu bringen, könnte das Pfund kräftig an Wert gewinnen, schätzen Analysten. Es bliebe aber billiger als vor dem EU-Referendum. Im Sommer 2015 kostete ein Pfund mehr als 1,40 Euro. Kurz vor der Abstimmung im Juni 2016 mussten für ein Pfund immer noch fast 1,30 Euro gezahlt werden. Nach dem Sieg des Austritts-Lagers wertete die Devise ab und kostet im Moment etwa 1,11 Euro. Deutlich undramatischer ist die Lage an den britischen Aktienmärkten. Der wichtigste Index der Londoner Börse, der FTSE 100, stieg nach dem Referendum rasant. Im laufenden Jahr haben sich die Kurse britischer Aktien mehr oder weniger im Gleichschritt mit denen anderer europäischer Märkte bewegt. Dass der FTSE 100, das Kursbarometer für die hundert größten Firmen, nach der Volksabstimmung zulegte, hängt mit Besonderheiten dieses Index zusammen. Viele Unternehmen im FTSE 100 machen den Großteil ihrer Geschäfte außerhalb des Königreichs, manche haben nicht einmal ihren Sitz in dem Land. Dass der Sieg des Brexit-Lagers die britische Konjunktur belastet, ist für die Gewinne dieser Firmen eher egal. Der Wertverlust des Pfund nach dem EU-Referendum lässt die Gewinne sogar steigen: Für die Dollar und Euro, die im Ausland als Profit anfallen, gibt es beim Umtausch mehr Pfund. Schön für die Konzerne und ihre Aktionäre. | Die politischen Wirren in London lassen den Pfund-Kurs abrupt schwanken. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/grossbritannien-investoren-fuerchten-chaotischen-brexit-1.4251475 | Investoren fürchten chaotischen Brexit | 00/12/2018 |
Im Kampf gegen zu schmutzige Luft haben die drei europäischen Metropolen Paris, Brüssel und Madrid erfolgreich gegen die Lockerung von Grenzwerten bei neuen Abgastests auf der Straße geklagt. Das EU-Gericht in Luxemburg entschied am Donnerstag, dass die EU-Kommission Stickoxid-Grenzwerte für Autos der Norm Euro-6 zu Unrecht einseitig neu berechnet habe. Die Behörde habe dabei ihre Kompetenzen überschritten. Die beanstandete Verordnung muss jetzt überarbeitet werden. Die EU-Kommission sei zur Neufestsetzung "außerordentlich hoher" Grenzwerte für Stickoxid nicht befugt gewesen, erklärten die Richter. Bei dem Rechtsstreit geht es um ein Kuriosum. Die Kommission hatte nach der Diesel-Affäre zwar die Abgastests verschärft und im vergangenen Jahr beschlossen, dass Autos Grenzwerte nicht nur im Labor, sondern auch bei Tests auf der Straße einhalten müssen. Sie war der Autoindustrie jedoch mit einem höchst umstrittenen Instrument entgegen gekommen: dem sogenannten "Konformitätsfaktor". Dies bedeutete, dass die Hersteller bei Einführung der neuen Tests seit 2017 die Grenzwerte für eine Übergangsphase überschreiten dürfen - anfangs um mehr als das Zweifache. Und zwar ganz legal. Offiziell begründet wurde dies mit dem Ausgleich statistischer und technischer Ungenauigkeiten bei der Umstellung. Umweltschützer lobten das Urteil. "Der Versuch, durch eine Art Umrechnungsfaktor Diesel auf die Straße zu schicken, die im Realbetrieb dreckiger sein dürfen als in der maßgeblichen Verordnung vorgesehen, ist damit gescheitert", sagt BUND-Verkehrsexperte Arne Fellermann. Folgen hat das Urteil zunächst für die drei klagenden Städte. Sie hatten Fahrverbote eingeführt und befürchtet, dass wegen der EU-Regeln auch solche Autos in Sperrzonen einfahren dürfen, die die Grenzwerte nicht einhalten können. Das Gericht entschied, die Kommission habe ihre Kompetenzen überschritten. Die beanstandete Verordnung muss jetzt überarbeitet werden. Allerdings gilt dafür eine Frist von 14 Monaten, in der die aktuelle Regelung unangetastet bleibt. Behörden und Verbände rechnen nicht mit unmittelbaren Folgen für Deutschland. "Auf Fahrverbote hat das Urteil keine Auswirkungen", hieß es in Regierungskreisen. "Das war ein Verfahrensfehler." Der ADAC erklärte nach der Entscheidung, es gebe aktuell auch keine unmittelbaren Auswirkungen für deutsche Euro-6-Halter. In der deutschen Autoindustrie herrscht dennoch Verunsicherung. "Nicht die Vorgaben an sich werden als rechtswidrig eingestuft, sondern nur der Weg ihrer Entstehung", heißt es beim Lobbyverband VDA. Das ist für die Industrie weniger schlimm - aber immer noch herausfordernd: "Wie sich das Urteil konkret auswirkt, ist völlig offen", so die Einschätzung des VDA. Für ganz neue Diesel-Autos wird das alles wohl weniger ein Problem sein, sie unterbieten mittlerweile die meisten Vorgaben, auch ohne dass der Grenzwert aufgeweicht werden muss. Nach Einschätzung von Umweltexperten könnte das Urteil langfristig das Ende von Euro-6-Dieseln einläuten, wenn die Kommission den Grenzwert von 80 Milligramm beibehalten müsste. Das würde Wagentypen betreffen, die in den vergangenen Jahren auf den Markt kamen und noch immer verkauft werden. Die Deutsche Umwelthilfe, der kräftigste Vorkämpfer für saubere Luft, freut sich über das Urteil: "Das ist das Sahnehäubchen des Jahres", sagt Jürgen Resch, der den "Konformitätsfaktor" Verschlechterungsfaktor nennt. Überall gälten harte Normen, etwa bei Bremsen, nun zeige sich auch: Bei der Luft sei das wohl auch so, ohne dass das aufgeweicht werden könne. Dies führe hoffentlich dazu, so Resch, dass nun endlich alle Dieselwagen mit Reinigungs-Hardware nachgerüstet werden. | Das EU-Gericht kippt laxe Schadstoffregeln der Europäischen Kommission für Euro-6-Diesel. Es wurden Kompetenzen überschritten. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/diesel-grenzwertig-1.4252023 | Süddeutsche.de | 00/12/2018 |
Alle Welt liebt die Jagd nach Rekorden, aber die leidgeprüften Brasilianer pflegen ihre Superlative ganz besonders. Vier Jahre Wirtschaftsflaute in Serie haben ihre Spuren hinterlassen. In dem Land, das sich eben noch unter den Großmächten der Welt wähnte, herrscht eine schwere Selbstfindungskrise, die nicht zuletzt die Wahl von Jair Bolsonaro erklärt. Wenn nicht alles täuscht, wird Brasilien bald die USA in der Kategorie "verrücktester, demokratisch gewählter Staatspräsident der westlichen Hemisphäre" überholen. Immerhin mal wieder eine Spitzenleistung. Aus Rio de Janeiro, der verrücktesten Stadt Brasiliens, ist pünktlich zur Adventszeit noch ein zweiter Rekord zu vermelden: Der zuletzt schmerzlich vermisste Christbaum in der Lagune Rodrigo de Freitas ist wieder da! 70 Meter hoch, mit 900 000 LED-Lämpchen geschmückt. Es handelt sich nach menschlichem Ermessen, vor allem aber laut der Marketing-Abteilung des Rathauses, um den "größten schwimmenden Weihnachtsbaum der Welt". Von unabhängigen Stellen wurde das zwar nie überprüft, denn der Weltverband der schwimmenden Weihnachtsbäume muss erst noch gegründet werden. Gleichwohl lehnt man sich nicht weit aus dem Fenster, wenn man behauptet: Rios mehrere Hundert Tonnen schwere Metallkonstruktion stellt alle schiffbaren Nordmanntannen dieses Planeten in den Schatten. Der in der Lagune ankernde "Árvore de Natal" blickt auf eine zwanzigjährige bewegte Geschichte zurück. In den Boomzeiten der späten Nuller- und frühen Zehnerjahre wuchs er parallel zur brasilianischen Volkswirtschaft fast über die Wolken hinaus. Zum Weihnachtsfest 2014 erreichte er seine persönliche Bestleistung von 85 Metern und 3,1 Millionen Lichtlein. Wenig später begann in Brasilien die Krise, und wenn es dafür im Advent 2015 noch eines Symbols bedurfte, dann war es das erbärmliche Bild von diesem Weihnachtsbaum. Eine steife Brise über der Lagune hatte ihn zu Fall gebracht. 2016 und 2017 verzichtete Rio auf seinen schwimmenden Superlativ, weil es krisenbedingt an Sponsoren fehlte. Diese Krise ist noch längt nicht überwunden, auch wenn der künftige Präsident so tut, als ließe sie sich mit dem Einsatz von Waffen einfach wegballern. Aber dank der steigenden Rohstoffpreise hat sich der halbstaatliche Erdölkonzern Petrobras immerhin wieder soweit erholt, dass er sich das Namenssponsoring eines Weihnachtsbaumes leisten kann. Rund um den "Árvore do Rio Petrobras" herrscht jetzt also wieder Christkindl-Stimmung im tropischen Rio. Es entbehrt nicht der Ironie, dass Petrobras mit seinem gleichnamigen Korruptionsskandal entscheidend dazu beitrug, Brasilien in seine Krise zu stürzen. Daran erinnerte auch Rios Gouverneur Luiz Fernando Pezão, als er im November die Renaissance des Weihnachtsbaumes verkündete. Der Petrobras-Skandal habe dringend benötigte Investitionen des Konzerns ausgebremst, meinte er, nun gehe es endlich wieder voran. Für Pezão selbst haben die Lichtlein am Petrobras-Baum bisher allerdings nicht geblinkt. Zwei Tage vor der feierlichen Einweihung wurde er wegen Korruption verhaftet. | Er steht wieder, der zuletzt so schmerzlich vermisste riesige Christbaum. Dank Petrobras, der skandalreichen Ölfirma. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/bei-uns-in-rio-schwimmende-rekorde-1.4251863 | Bei uns in Rio - Schwimmende Rekorde | 00/12/2018 |
In der Animation sieht alles sehr schön aus. Ein Tunnel verbindet die dänische Insel Lolland mit der deutschen Insel Fehmarn und damit Skandinavien mit Mitteleuropa. Durch die Feste Fehmarnbelt-Querung, ein Mammutprojekt der staatseigenen dänischen Betreibergesellschaft Femern A/S, sollen Züge und Autos künftig nur noch wenige Minuten für die 18 Kilometer zwischen Rödby und Puttgarden brauchen. 7,4 Milliarden Euro soll die Querung kosten, Deutschland hat sich per Staatsvertrag zum Ausbau der Hinterlandanbindung verpflichtet. Firmen jenseits und diesseits der Ostsee erhoffen sich Effekte durch einen flüssigeren Grenzverkehr. Aber nun hat das Vorhaben einen Dämpfer bekommen. Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg bestätigte eine Klage der Fährunternehmen Scandlines und Stena Lines, wonach die Europäische Kommission das Finanzierungsmodell mit staatlichen Beihilfen für den Tunnel nicht ohne förmliches Prüfverfahren hätte genehmigen dürfen. Die Fährunternehmen hatten in dem Vorgang einen unfairen Wettbewerbsvorteil gesehen. "Ohne genehmigtes Finanzierungsmodell ist das Projekt de facto gestoppt", meldete Scandlines. Die Naturschutzorganisation Nabu hatte die Klage unterstützt, deren Bundesgeschäftsführer Leif Miller erklärte: Jetzt sei klar, dass keine rechtswidrigen Staatsbeihilfen fließen dürften, "um mit dem hochriskanten Mega-Tunnelprojekt in einem europäischen Schutzgebiet einen ökologischen Totalschaden anzurichten". Der grüne Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz aus Schleswig-Holstein nannte das Urteil einen "endgültigen Sargnagel" und forderte die Bundesregierung auf, aus dem Staatsvertrag auszusteigen. Die feste Fehrmanbeltquerung ist vor allem auf deutscher Seite umstritten. Kritiker sagen, wirtschaftlicher Nutzen und ökologischer Schaden stünden in keinem guten Verhältnis. Die Tourismusregion Ostholstein fürchtet die Belastung durch eine ausgebaute Hinterlandanbindung. Femern A/S reagierte gelassen. Das Urteil habe mit einem Verfahrensfehler zu tun, es rüttle nicht am Staatsgarantiemodell. Die EU könne den Fehler beheben und eine neue Genehmigung erteilen. Geldnot? Projektstopp? Gebe es nicht. "Wir haben für die nötige Liquidität gesorgt, um das Projekt weiter voranzubringen", sagt Lars Friis Cornett, Deutschland-Direktor von Femern A/S. | Die Finanzbeihilfen für die Fehmarnbeltquerung sind rechtswidrig, entschied der Europäische Gerichtshof. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/fehmarnbelt-tunnel-freude-bei-den-faehren-1.4251783 | Fehmarnbelt-Tunnel - Freude bei den Fähren | 00/12/2018 |
Für einen Lichtblick am Anleihenmarkt hat am Donnerstag die Kompromissbereitschaft der italienischen Regierung im Haushaltsstreit mit der EU-Kommission gesorgt. Die Hoffnung auf eine baldige Lösung sorgte für Kauflaune bei Anlegern italienischer Staatstitel. Im Gegenzug gaben die Renditen der Papiere deutlich nach. So fiel die Rendite der zweijährigen Italien-Bonds auf ein Sechs-Monats-Tief von 0,46 Prozent. Die fünfjährigen und zehnjährigen Anleihen rentierten mit 1,98 und 2,88 Prozent auf dem jeweils tiefsten Stand seit gut zweieinhalb Monaten. "Die positive Grundstimmung gegenüber italienischen Staatsanleihen dürfte noch eine Weile anhalten", so Commerzbank-Analyst Christoph Rieger. Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte sagte nach einem Treffen mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker am Mittwoch, das Defizitziel seines Landes liege nun bei 2,04 Prozent der Wirtschaftsleistung. Er hatte ursprünglich eine Neuverschuldung von 2,4 Prozent angepeilt, was die EU-Kommission als zu hoch abgelehnt hatte. Zurückhaltende Äußerungen vom Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, versetzten dem Euro einen leichten Dämpfer. Die Gemeinschaftswährung verbilligte sich von 1,1368 Dollar am Vortag bis auf 1,1331 Dollar. "Der Tenor von Draghis Aussagen ist weniger optimistisch", sagte Commerzbank-Analystin Thu Lan Nguyen. Besonders belastend für den Euro sei, dass der EZB-Präsident trotz der gesenkten Konjunkturprognosen Risiken für eine weitere Abkühlung sehe. "Wir rechnen daher weiterhin frühestens 2020 mit einer ersten Zinserhöhung", erläuterte die Commerzbank-Expertin. Die EZB korrigierte angesichts der schwächeren Weltwirtschaft ihre Wachstumsprognosen für die Euro-Zone nach unten. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte 2018 um 1,9 Prozent und 2019 um 1,7 Prozent zulegen. Draghi betonte auch, die Unsicherheiten blieben weiterhin groß. | Die Regierung Italiens zeigt im Haushaltsstreit doch noch Kompromissbereitschaft mit der EU. Das freut die Anleger, sie decken sich mit Anleihen des Landes ein. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/anleihen-und-devisen-lichtblick-am-anleihenmarkt-1.4251473 | Anleihen und Devisen - Lichtblick am Anleihenmarkt | 00/12/2018 |
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat einen ersten vorsichtigen Schritt getan, um ihre lockere Geldpolitik ein wenig zu straffen. Die Währungshüter beschlossen am Donnerstag, den Ankauf neuer Anleihen zum Jahresende einzustellen. Die Entscheidung ist von außerordentlicher Bedeutung, nachdem die Notenbank seit 2015 insgesamt 2,6 Billionen Euro ins Finanzsystem gepumpt hat. Der Beschluss darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die EZB mit der Geldversorgung auch weiterhin sehr großzügig umgehen wird. Zum einen möchte die Notenbank auslaufende Anleihen auch künftig ersetzen. Beispiel: Wenn eine Bundesanleihe nach Ende der Laufzeit zurückbezahlt wird, steckt die Zentralbank das eingenommene Geld in einen neuen Schuldschein. Somit bleibt die EZB auch in den kommenden Jahren der wichtigste Akteur am Anleihenmarkt. Zum anderen bleiben die Leitzinsen noch "über den Sommer 2019 hinweg" unverändert, wie Draghi sagte. Damit liegt das Ende der Niedrigzinsphase immer noch in weiter Ferne. Deshalb müssen sich Sparer in Deutschland auch künftig - unter Berücksichtigung der Inflation - mit realen Verlusten abfinden. Aktuell bieten hiesige Banken für eine Festgeldanlage über zehn Jahre im Schnitt ein Prozent Rendite, so Daten der FMH-Finanzberatung. Zum Vergleich: Im November lag die Inflationsrate in Deutschland bei 2,3 Prozent. Über fünf Jahre beträgt der durchschnittliche Zinssatz auf dem Sparkonto bei 0,6 Prozent, auf zwei Jahre sind es 0,3 Prozent, Tagesgeld rentiert mit 0,1 Prozent. Doch selbst wenn die EZB im Herbst 2019 den Leitzins von null Prozent erhöhen sollte, käme es nicht sofort und automatisch zu einer Erhöhung der Sparzinsen. Erst wenn die EZB den Strafzins auf Einlagen abschaffen würde, könnte sich der Wind drehen. Auf der anderen Seite sind die Immobilienfinanzierungen in Deutschland weiter sehr günstig. Die Hypothekendarlehen mit einer Laufzeit von zehn Jahren kosten im Schnitt 1,35, so die FMH-Finanzberatung. Das billige Geld der EZB hat Europas Wirtschaft zurück auf Wachstumskurs gebracht, so stark wie seit 2007 nicht mehr. Doch nun ebbt die Euphorie langsam ab. Draghi warnte am Donnerstag vor "Unsicherheiten", etwa der Gefahr von Protektionismus, der Lage in den Schwellenländern und zunehmender Unruhe an den Finanzmärkten. An den Börsen sind die Aktienkurse zuletzt deutlich gesunken - und das trotz der Nullzinspolitik durch die Notenbank, die Anleger förmlich dazu zwang, in Aktien zu investieren. Notenbanker zunehmend besorgt über die weitere wirtschaftliche Entwicklung Seit dem Sommer sind die ökonomischen Daten schlechter als erwartet ausgefallen. So ist die Wirtschaft im Euroraum im dritten Quartal nur wenig gewachsen. Italien, das sich mit der EU-Kommission einen Streit über die Haushaltspolitik liefert, steckt mit einem Fuß in der Rezession. Auch in Deutschland nimmt der Schwung ab. Die EZB musste in ihren aktuellen Prognosen die Wachstumserwartungen leicht senken. Es ist eine schwer durchschaubare Situation. "Wir haben weiterhin Zuversicht", sagte Draghi, "doch wir sind zunehmend vorsichtig." Hinter den sorgsam gewählten Worten des EZB-Chefs verbirgt sich ein Dilemma für die Notenbank: Weil Draghi erst jetzt anfängt, die lockere Geldpolitik zu straffen, fragen sich viele, was die EZB machen würde, wenn Europa schneller als erwartet in eine neue Wirtschaftskrise rutscht. Was könnte die EZB in diesem Fall überhaupt tun, wenn der Leitzins dann immer noch bei null Prozent liegt? Draghi betonte, die EZB habe genügend Möglichkeiten, auf eine neue Krise zu reagieren. Im Ernstfall könnte und müsste sie dann wohl das Anleihekaufprogramm reaktivieren. Durch das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshof, in dem die umstrittenen Ankäufe als rechtens eingestuft wurden, hat die EZB auf diesem Feld nun mehr Bewegungsfreiheit. Die EZB könnte den Bankensektor auch mit neuen Geldspritzen versorgen. Auch dieses Thema wurde im EZB-Rat bereits angesprochen. Unterdessen hat das billige Geld auch negative Nebenwirkungen. Es drohen Preisblasen. Die Aktienkurse sind bis Anfang des Jahres auf Höchststand gestiegen. Die billigen Kredite haben dazu geführt, dass die Immobilienpreise in Deutschland massiv gestiegen sind. Vor allem in den Ballungszentren sind Mieten und Grundstückspreise für Normalverdiener unerschwinglich geworden. Die EZB musste sich zuletzt die Frage gefallen lassen, ob ihre Geldpolitik die Reichen nur noch reicher mache. Die Notenbank argumentiert, dass der Wirtschaftsaufschwung allen nutze, vor allem denen, die nicht mehr arbeitslos seien und einen Job gefunden hätten. | Langsam steuert die EZB zurück in die geldpolitische Normalität. Sparer müssen aber noch eine ganze Weile auf steigende Zinsen warten. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ezb-anleihen-zinsen-1.4251752 | Geldpolitik - Große Geldschwemme geht zu Ende | 00/12/2018 |
Es wirkt ein wenig wie eines dieser berüchtigten Ballerspiele, nur in der realen Welt: Beim sogenannten IPSC-Schießen rennt der Schütze möglichst schnell durch einen Parcours, während er versucht, mit seiner Waffe verschiedene Ziele zu treffen. Ein Hobby für Waffennarren, könnte man meinen. Aber ist es gemeinnützig, das zu fördern? Ja, hat der Bundesfinanzhof (BFH) in einem nun veröffentlichten Urteil entschieden (Aktenzeichen V R 48/16). Grundsätzlich, so legt es die Abgabenordnung fest, sind alle Vereinigungen gemeinnützig, die "die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos (...) fördern". Dazu zählen beispielsweise Umweltschutz, Sport oder "Volksbildung", zu der auch die politische Bildung gehört. Doch nicht immer sind sich Finanzämter und Gerichte einig, wo genau die Gemeinnützigkeit endet. Den Globalisierungskritikern von Attac beispielsweise wurde die Gemeinnützigkeit vorerst vom Fiskus aberkannt. Und die CDU hat auf ihrem Parteitag gefordert, ob die Deutsche Umwelthilfe diesen Status noch verdient. Schießen dient also der Allgemeinheit, Umweltschutz aber nicht? Für Vereine ist es deshalb so bedeutend, ob sie als gemeinnützig anerkannt werden, weil damit etliche Steuervorteile verbunden sind: Sie genießen Erleichterungen bei Umsatz- und Körperschaftssteuer und dürfen Spendenbescheinigungen ausstellen, die es den Gebern wiederum möglich machen, ihre Spende von der Steuer abzusetzen. Für viele Vereine sind das existenzielle Voraussetzungen. Im Fall des Schießvereins widersprach der BFH dem Finanzamt und begründete die Gemeinnützigkeit damit, dass es sich beim IPSC-Schießen um einen Sport im Sinne der Abgabenordnung handelt, so wie auch Motorsport, Tischfußball und Schach. Nicht jedoch Paintball, weil dabei auf Menschen geschossen wird, wenn auch nur mit Farbpatronen. Beim IPSC-Schießen dagegen, teilt der BFH mit, werden "keine kriegsähnlichen Situationen nachgestellt" und es sei auch "keine Ähnlichkeit mit einem Häuserkampf oder einem kampfmäßigen Schießen gegeben." Ob Attac seine Gemeinnützigkeit wiederbekommt, wird nächstes Jahr entschieden Nähme der Verein aber nur Männer (oder nur Frauen) auf, läge die Sache schon wieder anders. Denn dann würde nicht mehr die Allgemeinheit gefördert, weil ein großer Teil der Bevölkerung von vornherein ausgeschlossen wäre. Das entschied der BFH 2017 in einem Urteil zu einer Freimaurerloge. Ob Attac nun seine Gemeinnützigkeit wiederbekommt, wird sich Anfang kommenden Jahres entscheiden. Dann will der BFH klären, ob ein Verein, der die politische Bildung fördert, auch zu konkreten Handlungen aufrufen und Forderungen geltend machen darf. Auch diesmal könnte die Entscheidung des Finanzamtes korrigiert werden. Die sind sich untereinander übrigens auch keineswegs immer einig, wie ein Test der Allianz "Rechtssicherheit für politische Willensbildung" und der Otto-Brenner-Stiftung gezeigt hat: In einer Feldstudie ließ sie dieselben drei imaginären Vereine bei 400 Finanzämtern prüfen. Das kuriose Ergebnis: In der Hälfte aller Entscheidungen waren sie gemeinnützig, in der anderen Hälfte nicht. | Der Bundesfinanzhof hat einen Schießverein für gemeinnützig erklärt. Das bringt Vorteile bei der Steuer. Andere bangen um diesen Status - zum Beispiel Globalisierungskritiker. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/steuern-ballern-fuers-gemeinwohl-1.4249970 | Ballern fürs Gemeinwohl | 00/12/2018 |
2,04 sieht ähnlich aus wie 2,4, aus der Ferne sowieso. Und wahrscheinlich spielte auch diese ästhetische Wirkung der Zahl eine Rolle, als Italiens populistische Regierung nach wochenlanger, zum Teil unflätiger Fehde mit Brüssel eine korrigierte Version ihrer Haushaltspläne unterbreitet hat. Statt eines Defizits von 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts peilt Rom nun also nur noch eine Neuverschuldung von 2,04 Prozent an. Um dem angedrohten Defizitverfahren zu entgehen, streichen die beiden Koalitionspartner Lega und Cinque Stelle Mehrausgaben von ungefähr 6,4 Milliarden Euro. Nur soll es nicht so deutlich aussehen. Aus der EU-Kommission hieß es, das seien "gute Fortschritte". Steht man kurz vor der großen Entspannung? Die linke Zeitung La Repubblica schreibt schon von einer Kapitulation der Populisten. Die "Bandiera bianca" hätten sie gehisst, die weiße Flagge, und das sei gut für Italien. Premier Giuseppe Conte, der die 2,04 nach Brüssel trug, beteuerte danach, sein Kabinett verrate die Versprechen nicht, die es den Bürgern gemacht habe: "Wir verzichten auf nichts", sagte er. Doch wie auch immer die Regierung es deutet und verpackt, an der nackten Arithmetik ändert dies nichts. Ein bisschen soll gespart werden, etwas soll vom Verkauf staatlicher Immobilien kommen. Doch am Ende werden einige Milliarden Euro fehlen, um das hoffnungsfroh gestimmte Wahlvolk zu beglücken. Von einem früheren Rentenalter werden im nächsten Jahr wohl nur 300 000 Italiener profitieren, die im Alter von 62 schon 38 Beitragsjahre geleistet haben. Bisher hofften 430 000 auf eine solche Regelung. Und auch für den Bürgerlohn, die große Verheißung der Fünf Sterne, wird es weniger Geld geben: 7,5 statt neun Milliarden Euro. Hinzu kommt noch, dass sich die Umsetzung sehr viel komplizierter gestalten wird, als die Populisten das wahrhaben möchten. Die bekannte Investigativjournalistin Milena Gabanelli rechnete in ihrer Rubrik "Dataroom" in der Zeitung Corriere della Sera vor, dass es mindestens zwei Jahre brauche, bis die stark unterdotierten und untereinander schlecht verbundenen Arbeitsämter überhaupt imstande sein würden, die Akten von Millionen Arbeitslosen zu betreuen: Fünf Millionen Italiener, so die Schätzung, haben eine Aussicht, sich bald für 780 Euro Bürgerlohn im Monat bewerben zu können. Die Cinque Stelle behaupten, drei Monate seien genug, dann seien die Arbeitsämter vorbereitet für die große Aufgabe. Nun kann man sich fragen, warum die Populisten so bemerkenswert eingeknickt sind. Immerhin hörte man Innenminister und Vizepremier Matteo Salvini, den starken Mann in der römischen Regierung, noch vor einigen Wochen sagen, es sei ihm "scheißegal", was der "Säufer" in Brüssel vom italienischen Budget halte. Gemeint war Jean-Claude Juncker, der Vorsitzende der EU-Kommission. Er rede nur mit nüchternen Personen, sagte Salvini noch. Nun hat sich Rom dermaßen stark den Brüsseler Vorstellungen angenähert, dass eine Verständigung greifbar wird. Zumal in der Zwischenzeit auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mehr Schulden machen will, um die Proteste der "Gelbwesten" zu besänftigen. Die Italiener rechnen sich aus, dass Brüssel schlechterdings Paris entgegenkommen wird und gleichzeitig Rom an einigen Dezimalstellen aufhängt. So wird Macron - welch' Ironie der Geschichte - zum Alliierten von Salvini: Die beiden gerieren sich ja sonst gerne als große Gegenspieler im Kampf um Europas Zukunft. Die gewagte Haushaltspolitik hat Milliarden an den Börsen gekostet Eingeknickt sind Salvini und Luigi Di Maio, der andere Vizepremier, aus einer Reihe von Gründen, der wichtigste vorab: Die gewagte Haushaltspolitik der Regierung hat das Land Milliarden an den Börsen gekostet. Darunter litten vor allem die Banken mit ihren großen Portfolios an italienischen Staatsanleihen. Als Folge davon stiegen die Zinsen für Hypotheken und Firmenkredite, und die Populisten liefen plötzlich Gefahr, Volk und Unternehmer gegen sich zu haben. Käme jetzt ein Defizitverfahren hinzu, mit Milliardensanktionen und dem Ausschluss von den Strukturfonds der EU, würde Italiens Gleichgewicht auf die Probe gestellt. Und diese Verantwortung mochten die neuen Mächtigen dann wohl doch nicht riskieren, aller Rhetorik zum Trotz. Still und geduldig im Hintergrund, wie es seine Art ist, wirkte in diesen Wochen Staatspräsident Sergio Mattarella, ein Mann von sprichwörtlicher Mäßigung. Bevor Conte mit der 2,04 im Gepäck nach Brüssel flog, hatte Mattarella die gesamte Kabinettsspitze zum Mittagessen in den Quirinalspalast geladen. Eher dorthin zitiert hat er sie. Offenbar wusste der Sizilianer so genau Bescheid über Zahlen und Daten, dass er den Herrschaften ganz präzise ins Gewissen redete. Mattarella hat die Verfassung der Republik auf seiner Seite. Im Artikel 81 steht, die Regierung müsse dafür sorgen, dass die Staatsfinanzen ausgeglichen seien. Das war natürlich nicht oft der Fall in den vergangenen Jahrzehnten. Doch so frivol wie die Populisten damit umgehen wollten, hat man selbst in Italien selten erlebt. Bis zur weißen Flagge. | Italien verringert auf Drängen der EU die geplante Neuverschuldung. Das sei kein Verrat an den Bürgern, sagt Premier Conte. Doch Fakt ist: Den Populisten werden nun Milliarden fehlen, mit denen sie das Volk beglücken wollten. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/italienischer-haushalt-die-populisten-knicken-ein-1.4251957 | Die Populisten knicken ein | 00/12/2018 |
Paris (Bild), Brüssel und Madrid haben gewonnen. Sie dürfen nun die für sie geltenden Grenzwerte für Stickoxid anfechten und im Zweifel sogar neuere Dieselautos aussperren. Das Gericht der Europäischen Union erlaubt potenziell Fahrverbote für Dieselautos der neuesten Generation. Vor Gericht haben die Städte Paris, Brüssel und Madrid gewonnen: Sie dürfen nun die für sie geltenden Grenzwerte für Stickoxid anfechten und im Zweifel sogar neuere Dieselautos aussperren (PDF). Dabei geht es um Diesel mit der Abgasnorm Euro 6. In Deutschland sind laut einem Urteil des Bundesverwaltungsgericht und der Bundesregierung Fahrverbote für Euro-6-Diesel nicht verhältnismäßig. Die EU-Kommission hatte bei der Einführung des neuen Abgastests RDE, der die Emissionen auf der Straße statt im Labor misst, die Grenzwerte nachträglich erhöht. Statt den im Euro-6-Regelwerk vorgeschriebenen 80 Milligramm Stickstoffdioxid je Kilometer dürfen die Dieselautos für eine Übergangszeit 168 Milligramm und danach 120 Milligramm ausstoßen. Das EU-Gericht erklärte nun, die Kommission habe mit der Anhebung der Grenzwerte ihre Befugnisse überschritten. Sie hat jetzt zwölf Monate Zeit, um die Grenzwerte abzusenken. Die Frist beginnt in zwei Monaten - falls die Kommission nicht Berufung vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) einlegt. Die höheren Stickoxid-Grenzwerte erschwerten es Paris, Madrid und Brüssel, die gesetzlichen Vorgaben zur Luftqualität einzuhalten. Die Städte hatten in den vergangenen Jahren die Regeln für ihre Umweltzonen verschärft. Paris verfolgt sogar den Plan, von 2024 an gar keine Dieselautos mehr in die Stadt zu lassen. Ob das Urteil direkte Auswirkungen auf die Fahrverbote in Deutschland hat, ist offen. Bislang sind nur Autos der Norm Euro 4 oder darunter von Aussperrungen betroffen. Euro-5-Diesel dürfen laut einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts frühestens von September 2019 an mit Fahrverboten belegt werden. Nur das sei verhältnismäßig, hatte das Gericht entschieden. Das Datum ergibt sich aus dem Einführungstermin der Abgasnorm plus vier Jahre. In Deutschland entscheidet derzeit eine Reihe von Gerichten, ob und welche Fahrverbote konkret in den jeweiligen Städten verhältnismäßig sind. Die Gerichte folgen den Maßgaben des Bundesverwaltungsgerichts. Die Bundesregierung hat beschlossen, dass aus ihrer Sicht geringe Überschreitung des Grenzwertes keine Fahrverbote rechtfertigten. Konkret hält sie Verbote für unverhältnismäßig, wenn der Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter um weniger als zehn Mikrogramm pro Kilometer überschritten wird. Das betrifft viele deutsche Städte. Euro-6-Diesel hat die Regierung in einem Gesetz grundsätzlich von Fahrverboten ausgeschlossen. Ob diese Regeln mit dem Europarecht vereinbar sind, ist jedoch bislang nicht geklärt. Ganz neue Diesel werden wohl kein Problem bekommen Die deutsche Autoindustrie reagiert derweil gelassen auf das Urteil. Das EU-Gericht habe ja lediglich festgestellt, dass die Umrechungsfaktoren nicht allein von der EU-Kommission vorgegeben werden durften, heißt es vom Lobbyverband VDA: "Nicht die Vorgaben an sich werden als rechtswidrig eingestuft, sondern nur der Weg ihrer Entstehung." Das ist für die Industrie weniger schlimm - aber immer noch herausfordernd. "Wie sich das Urteil konkret auswirkt ist völlig offen", so die Einschätzung des VDA. Für ganz neue Diesel-Fahrzeuge wird die Vorgabe ohnehin weniger zum Problem. Sie unterbieten die meisten Vorgaben auch ohne Aufweichung des Grenzwertes. Allerdings bedeutet der Messwert RDE ab Herbst 2019 auch, dass alle Fahrzeuge davon erfasst werden. Es müssen also auch Wagentypen die Grenzwerte erfüllen, die in den vergangenen Jahren auf den Markt kamen und immer noch im Verkauf sind. Vor allem für diese Fahrzeuge könnte es schwierig werden, wenn der Grenzwert plötzlich doch ganz hart gälte. Andererseits, gibt man in der Branche zu bedenken, wird der Nachlassfaktor ohnehin sehr schnell reduziert: Bereits ab dem Jahr 2020 ist nur noch eine 1,5-fache Überschreitung erlaubt. | Paris, Brüssel und Madrid könnten künftig auch neuere Dieselautos aussperren. Das ermöglicht ihnen nun ein EU-Gericht. Die Hürden in Deutschland sind jedoch höher. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/diesel-fahrverbot-europa-1.4251868 | EU: Fahrverbote für Euro-6-Diesel möglich | 00/12/2018 |
Henning Siedentopp steht vor einem braunen Schuppentor in einem Kasseler Hinterhof. Vor ihm liegt ein flaches Fabrikgebäude, ringsherum ragen Gründerzeit-Mietskasernen in den grau-kalten Himmel. Der junge Unternehmer zieht das Tor auf, "Melawear" steht in großen Buchstaben darüber. "Gehen wir rein, da drin ist es wärmer", sagt er - und läuft durch einen Schuppen mit alten Montageschienen und Flaschenzug hinein in die alte Fabrik. Hier ist es endlich warm. | Die Kleidungsbranche ist eine der dreckigsten überhaupt. Henning Siedentopp will das ändern. Und bietet günstige Öko-Sneaker und fair produzierte Bekleidung mit gutem Design. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/nachhaltige-mode-melawear-1.4248201 | Nachhaltige Kleidung von Melawear: Auf sauberen Sohlen | 00/12/2018 |
Die Europäische Zentralbank hat das Ende ihrer Anleihenkäufe beschlossen. Nur noch bis zum Jahresende will die Notenbank zusätzliche Milliarden in Wertpapiere von Staaten und Unternehmen stecken, teilte die EZB am Donnerstag mit. Anschließend will sie das Programm auslaufen lassen, die auflaufenden Zinserlöse aus dem Programm aber weiterhin in Anleihen investieren. Den Leitzins von 0,0 Prozent lässt die Notenbank weiter unangetastet. Die EZB hatte das Anleihen-Kaufprogramm im Januar 2015 beschlossen. Die Konjunktur lief damals schlechter als heute, der Euro-Zone drohte eine gefährliche Deflation. Notenbanker und Ökonomen befürchteten, dass sich die Situation zu einer Wirtschaftskrise auswachsen könnte. Deshalb beschloss die EZB, die Konjunktur mit dem Kauf von Staatsanleihen zu stabilisieren. Später kaufte sie erstmals auch Unternehmensanleihen. Bereits im Juni kündigte die EZB an, das Anleihen-Kaufprogramm Ende 2018 auslaufen zu lassen, also keine neuen Staatsanleihen und Wertpapiere mehr zu kaufen. Zu diesem Zeitpunkt lag das Volumen der Anleihenkäufe noch bei 30 Milliarden Euro pro Monat. Ingesamt pumpte die EZB mehr als 2,5 Billionen Euro in den Markt. Inzwischen nähert sich die Notenbank ihrem Ziel, die Inflation in der Euro-Zone über einen längeren Zeitraum auf ein Niveau von ungefähr zwei Prozent zu heben. Im Oktober lag sie bei 2,2 Prozent. Beendet wird das Programm aber wohl auch aus rechtlichen Gründen. Die EZB darf nicht mehr als ein Drittel aller Staatsanleihen eines Euro-Landes besitzen. Würde sie immer weiter Staatsanleihen kaufen, könnte sie diese Grenzen überschreiten. In Deutschland gab es immer wieder Kritik, dass die Staatsanleihenkäufe nicht mit europäischem Recht vereinbar seien. Diese Bedenken wischte der EuGH Anfang der Woche allerdings vom Tisch. Die Anleihenkäufe verstoßen nicht gegen EU-Recht, urteilten die Richter in Luxemburg. Aus den EU-Verträgen gehe eindeutig hervor, dass die EZB auch auf den Finanzmärkten tätig werden könne. Würden der EZB derartige Mittel verwehrt, könne dies zum "unüberwindbaren Hindernis" bei der Sicherung einer stabilen Geldpolitik werden, teilten die Richter mit. | Ein historischer Schritt: Die Zentralbank lässt das Programm zum Kauf von Staatsanleihen auslaufen. Zwei Grafiken zeigen den Effekt. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/geldpolitik-ezb-beendet-anleihenkaeufe-1.4251582 | Geldpolitik: EZB beendet Anleihenkäufe | 00/12/2018 |
Es ist ein Widerspruch: Auf dem Papier ist die Elektromobilität schon da. An diesem Dienstag etwa hat Daimler bekanntgegeben, für 20 Milliarden Euro Batteriezellen einzukaufen. Und BMW erklärte, das Stammwerk in München für die E-Auto-Fertigung umzurüsten. Doch auf den Straßen ist noch nichts zu sehen. Ein paar Taxen von Toyota mit Hybridantrieb erspäht man vielleicht, und wenn man sehr lange wartet, mal einen BMW i3, einen Renault Zoe und womöglich einen großen Tesla. Sonst ist da: nichts. Nur Abgasluft. Oder in Zahlen: Nicht einmal zwei von einhundert neu verkauften Autos fahren derzeit mit Strom. Das Jahr 2019 könnte nun den Wendepunkt markieren, an dem die Menschen erstmals wirklich mit Elektroautos in Berührung kommen. Neue Modelle werden präsentiert - und Regularien unterstützen den Verkauf. Es wird keine Revolution stattfinden, aber statt 40 000 neuen E-Wagen im Jahr 2018 könnten immerhin doppelt so viele verkauft werden, schätzt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen. Das oft zitierte Ziel der Bundesregierung von einer Million Elektroautos im Jahr 2020 wird so zwar nicht erreicht. Aber die Nationale Plattform Mobilität geht mittlerweile davon aus, dass bald danach, im Jahr 2022, eine Million E-Wagen auf der Straße sein werden. Die wichtigsten Gründe, dass es wirklich so kommt. Pionier Tesla Ein wichtiges Argument hat mit Emotion zu tun: Das für Käufer aus der Mittelschicht einigermaßen erschwingliche Model 3 von Tesla kommt im ersten Halbjahr auf den deutschen Markt. Nach massiven Anlaufschwierigkeiten hat sich die Produktion nun stabilisiert - und die Nachfrage ist weiterhin beachtlich. Auch hierzulande gefällt die Story dieser Firma vielen. Dudenhöffer geht insofern davon aus, dass Tesla 2019 in Deutschland 20 000 Autos verkauft: "Dann tanzt Tesla-Chef Elon Musk den deutschen Autobauern in ihrem Heimatmarkt auf der Nase herum." Mehr Wettbewerb Zugleich bringen etablierte Hersteller mehr E-Auto-Modelle auf den Markt; die deutschen Firmen vor allem teure, große Wagen, ausländische Hersteller haben auch Kleineres im Angebot. Von der Sichtbarkeit sei die Elektromobilität heute schon "weit überproportional" vertreten, sagt Arthur Kipferler von der Strategieberatung Berylls, was heißt: Da wird vor allem viel Wind gemacht. "Aber praktisch wird sich im kommenden Jahr etwas tun: Dann wird in fast jedem Showroom ein Elektro-Modell stehen." Vor einem halben Jahrzehnt hatte der wichtigste Automarkt der Welt, China, mit seinen ersten Ideen von E-Auto-Zwangsquoten die Branche erschreckt und dann kam auch noch die EU-Kommission mit ihren Beschränkungen beim Kohlendioxid-Ausstoß. Jetzt werden die Antworten der Hersteller fertig und gehen in Serie: Der E-Tron von Audi etwa, der E-Niro von Kia, der EQC von Mercedes, der Citigo E von Škoda, der elektrische Peugeot 208, der E-Mini von BMW und sogar ein Rennauto: Der Taycan von Porsche. Ab Ende 2019 läuft bei Volkswagen ein futuristisches E-Auto vom Band, das so viel kostet wie ein Diesel-Golf. Kundeninteresse steigt Rechnet man solche Batteriewagen zusammen mit sogenannten Hybriden, also Wagen, bei denen ein kleiner Elektroantrieb und ein herkömmlicher Verbrenner gemeinsam verbaut sind, gibt es 2019 weltweit sogar 133 neue E-Automodelle, hat die Unternehmensberatung McKinsey errechnet. Ihre Erkenntnis aus Umfragen: Die Bereitschaft zum Kauf eines E-Autos wächst. So ziehen 17 Prozent der deutschen Autofahrer den Kauf eines E-Autos in Erwägung; weitere 20 Prozent überlegen sich zumindest die Anschaffung eines Hybrids. Dabei verlangen vor allem deutsche Autofahrer hohe Reichweite: 400 Kilometer sollen es schon sein. Die entsprechende Ladeinfrastruktur ist zwar immer noch miserabel wie ein Vergleich mit der führenden E-Auto-Nation Norwegen zeigt: 0,22 Ladepunkte pro 1000 Einwohner gibt es in Berlin, in Oslo sind es 2,1. Doch wird ausgebaut, etwa durch ein Stromtankstellenkonsortium von Ford, VW, BMW und Daimler. Steuerliche Förderung Der Autoexperte Dudenhöffer weist noch auf einen weiteren Umstand hin: Die Bundesregierung verbessert die Bedingungen für elektrisch betriebene Dienstwagen wesentlich. Normalerweise muss ein Dienstwagennutzer monatlich ein Prozent des Listenpreises als geldwerten Vorteil versteuern. Für elektrifizierte Autos muss künftig nur noch ein halbes Prozent versteuert werden. Ein 50 000 Euro teurer Wagen, etwa ein Model 3, ist dadurch nur noch mit 250 Euro belegt, während etwa gleich wertvolle Verbrenner-Wagen doppelt so hoch belegt sind. Damit könnten sich die Firmenwagen zum anfangs stärksten Treiber dieser Antriebsform entwickeln: 800 000 Wagen gehen in Deutschland jedes Jahr an Firmenkunden. Hinderlich könnte dagegen sein, dass die E-Auto-Prämie im Juni 2019 auslaufen soll - genau dann, wenn es passende Wagen gibt. Strenge Fahrverbote 2019 werden weitere Städte in Deutschland für alte Diesel-Autos gesperrt. Zugleich zeichnet sich ab, dass auch recht moderne Dieselautos bis einschließlich der Klasse 6c von Fahrverboten betroffen sein könnten. Noch kann niemand die Dynamik dieser Entwicklung genau abschätzen, aber fest steht: Dem Absatz von Elektroautos schadet das sicher nicht. Denn Wagen mit dieser Antriebsform sind die einzigen, die auf jeden Fall einfahren dürfen. Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir den E-Niro von Kia fälschlicherweise Nissan zugeordnet. | Jetzt aber wirklich: 2019 soll in Deutschland der Durchbruch der E-Autos kommen. Fünf Argumente, die für ein elektrisches neues Jahr sprechen. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/elektroautos-2019-1.4248406 | 2019 wird wohl das Jahr der Elektroautos | 00/12/2018 |
Die EU hat sich darauf geeinigt, angeschlagenen Finanzinstituten Erleichterungen beim Abbau von faulen Krediten einzuräumen. Daran übt die Bankenaufsicht der Europäischen Zentralbank (EZB) scharfe Kritik. "Die Banken, die immer konservativ gearbeitet haben, werden bestraft. Die Banken, die faule Kredite in der Bilanz vor sich hergeschoben haben, werden belohnt", sagte EZB-Generaldirektor Korbinian Ibel der Süddeutschen Zeitung. Das neue Gesetz sieht vor, dass Banken in einer Übergangszeit von mehreren Jahren für ihre Verluste aus dem Verkauf von faulen Krediten kaum Kapital zurücklegen und das Minus nicht in die Risikomodelle der Bank einrechnen müssen. Ibel bezeichnete diese Neuregelung als "gefährlich", wenn die Bank ihre laxe Kreditvergabepraxis nach Abbau der Altlasten nicht ändere und einfach so weitermache. Dann häuften sich im nächsten Konjunkturloch wieder faule Kredite an, wofür die betroffene Bank aufgrund der neuen EU-Ausnahmeregeln zu wenig Rückstellungen gebildet habe, befürchtet Ibel. "Dadurch könnten neue Zombiebanken entstehen, die das Finanzsystem gefährden." Der Chef der wichtigen Querschnittsabteilung unterstrich mit seinen Äußerungen die Kritik der scheidenden Chefin der EZB-Bankenaufsicht, Danièle Nouy, die im Sommer in einem Brief an die drei Europäischen Institutionen gewarnt hatte, die geplante Regelung würde die Disziplin der Banken beim Risikomanagement unterminieren. Schlimme Finanzkrisen sind häufig Folge übermäßiger Kreditvergabe in guten Zeiten. Doch sobald die Konjunktur einbricht, können immer mehr Kreditnehmer ihre vereinbarten Zins- und Tilgungsraten nicht mehr bezahlen. Die Kredite werden notleidend, was die Solvenz von Banken gefährden kann. Im europäischen Bankensektor schlummern zehn Jahre nach der globalen Finanzkrise notleidende Krediten im Wert von über 700 Milliarden Euro. Besonders betroffen sind Institute in Italien, Griechenland, Zypern und Portugal. In diesen Ländern können viele Kreditnehmer - Privathaushalte und Firmen - ihre Tilgungsraten nicht mehr bezahlen. Die Bank schiebt deshalb Verluste vor sich her, was die neue Kreditvergabe erschwert. "Das Hauptproblem im italienischen Bankensektor liegt bei den mittelgroßen Banken" Der EZB-Plan sieht vor, dass die betroffenen Banken notleidende Kredite zu Paketen schnüren und an Spezial-Investoren verkaufen, um so die eigenen Bilanzen zu entlasten. Die Banken erhalten bei dem Verkauf nicht den vollen Preis für das Darlehen. Das alte Regelwerk sah vor, dass Banken in diesen Fällen zusätzliche Verlustpuffer für die noch in der Bilanz verbliebenen faulen Kredite bilden mussten. Die Institute, so meinen die Befürworter der neuen Regel, waren aufgrund dieses Nachteils geneigt, auf den Verkauf des Kreditportfolios zu verzichten. Die EZB-Bankenaufsicht teilt diese Befürchtung nicht. Konkret geht es bei der neuen Vorschrift darum, die Bank für drei Jahre von der Verpflichtung freizustellen, "Verluste aus massiven Verkäufen fauler Kredite bei der Berechnung von Kapitalanforderungen durch interne Modelle zu berücksichtigen". Diese Vorschrift ist aber nur ein ganz kleiner Teil des großen Gesetzespakets, das Banken in vielen Bereichen auch strengere Vorschriften macht. Sven Giegold, Europaparlamentarier der Grünen, sieht beim Thema Altlasten noch ein ganz anderes Problem. "Die EZB macht Druck auf die italienischen Großbanken, die faulen Kredite zu verkaufen, doch das Hauptproblem im italienischen Bankensektor liegt bei den mittelgroßen Banken, die sie nicht direkt beaufsichtigt", sagt Giegold. Hier könne die EZB die Aufsichtsverantwortung zwar an sich ziehen und eine Lösung der schlechten Kreditbücher veranlassen. "Doch das wagt sie nicht. Das Problem schwelt also weiter." Giegold nimmt auch die potenziellen Käufer der faulen Kredite ins Visier. "Die EZB macht zurecht Druck, dass die Banken Vorsorge für ihre faulen Kreditportfolios treffen, gleichzeitig blockieren die Mitgliedsstaaten den Verbraucherschutz. Wenn Kredite an aggressive Investoren verkauft werden, besteht die Gefahr, dass diese sofort fällig gestellt werden und die Kreditnehmer in eine Zwangslage bringen", so Giegold. Der EU-Parlamentarier meint: Solange Kreditverwerter wie Cerberus, Blackstone und Intesa Sanpaolo keinen Verbraucherschutzregeln unterworfen würden, seien überschuldete Kreditnehmer besser bei ihrer Hausbank aufgehoben. | Europas Bankenaufseher halten ein neues EU-Gesetz für gefährlich: Marode Banken hätten beim Verkauf von faulen Krediten zu viele Freiheiten. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/finanzkrise-ezb-warnt-vor-neuen-zombiebanken-1.4249915 | "Finanzkrise: EZB warnt vor neuen ""Zombiebanken""" | 00/12/2018 |
Mit einer Armee von Lohnarbeitern ist das reiche Deutschland zum Billigland für Schlachter geworden. Die Arbeitsbedinungen sind jedoch häufig miserabel. Tausende von ihnen arbeiten in Bayern, im Oldenburger Land oder im Emsland. Sie kommen aus Bulgarien, Rumänien oder der Ukraine, arbeiten in Schlachthöfen, zerlegen im Akkord Schweine oder Rinder. Mit der Armee von Lohnarbeitern ist das reiche Deutschland zum Billigland für Schlachter geworden. Die Arbeitsbedingungen sind nach Ansicht von Experten oft miserabel. Überzogene Mieten für Unterkünfte, Versuche, den ohnehin niedrigen Mindestlohn zu umgehen: Experten beklagen teils sklavenähnliche Zustände. Eigentlich sollte ein Gesetz die Probleme eindämmen. Mitte des vergangenen Jahres hatte der Bundestag die Rechte von Arbeitern in Schlachthöfen gestärkt - aus Angst vor dem Widerstand der Branche in einer Nacht- und Nebelaktion. Die Industrie konnte sich demnach bei Verstößen gegen Arbeitsgesetze nicht mehr auf Subunternehmer berufen. Sie sollte selbst haften. Die zuständige Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) sprach von einem Meilenstein. Schließlich würden Kontrollen leichter, wenn die Arbeitsstunden aufgezeichnet werden müssen. Doch nun macht sich Ernüchterung breit. Eine Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, zeigt: Die nötigen Kontrollen haben mit dem Gesetz nicht etwa stark zu-, sondern sogar rapide abgenommen. Den Daten des Bundeslandwirtschaftsministeriums zufolge führte die zuständige "Finanzkontrolle Schwarzarbeit" 2017 bundesweit nur noch 233 Kontrollen in der Fleischwirtschaft durch. 2015 waren es noch 445. Für Fachleute im Bundestag ist das ein Fiasko. "Es ist nicht akzeptabel, dass die Kontrollen um 50 Prozent zurückgegangen sind, obwohl die schlechten Arbeits- und Entlohnungsbedingungen in der Fleischbranche doch bekannt sind", kritisiert die Grünen-Bundestagsabgeordnete Beate Müller-Gemmeke, Sprecherin für Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinnenrechte sowie aktive Arbeitsmarktpolitik. "Damit läuft auch das Gesetz, das extra für diese schwierige Branche gemacht wurde, ins Leere." Auch die Gewerkschaft übt Kritik: "Die Arbeitsbedingungen allen voran in der mittelständischen Wirtschaft haben sich in den vergangenen fünf Jahren nicht gebessert", sagt Thomas Bernhard von der NGG. Teils werde so selten kontrolliert, dass man gar keine Verstöße finden könne. Dabei macht die Statistik der Regierung selbst klar, dass die Kontrollen nötiger denn je wären. Eine Aufstellung festgesetzter Geldbußen, Geld- und Freiheitsstrafen in der Branche infolge von Kontrollen offenbart viele Treffer. Von 2015 bis 2017 verdoppelten sich die Geldbußen auf 364 500 Euro, die Zahl der verhängten Freiheitsstrafen in Monaten hat sich sogar mehr als vervierfacht - auf 356 Monate. Wer Arbeit auslagert, soll in der Verantwortung bleiben Mehr Verstöße, weniger Kontrollen? Mit dem Gesetz hatte die Politik gerade härteres Durchgreifen signalisiert und gezeigt, dass eine freiwillige Selbstverpflichtung zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, wie sie die Fleischwirtschaft im Jahr 2015 abgegeben hatte, nicht ausreicht. Zwar hatten sich einige Unternehmen um Besserung bei den Arbeitsbedingungen bemüht, doch die Unterzeichner stehen für weniger als die Hälfte der Jobs in der Fleischindustrie. Mit dem Gesetz führte die Bundesregierung dann eine sogenannte Generalunternehmerhaftung ein: Zahlt ein Subunternehmer seinen Schlachtern weniger Lohn, als ihnen zusteht, wird dafür der Schlachthofbetreiber verantwortlich gemacht. Damit soll in der Verantwortung bleiben, wer Arbeit auslagert. Arbeitsmaterialien wie Schlachtermesser dürfen zudem seither nicht länger vom Lohn abgezogen werden. Wie die genaue Situation der Beschäftigten ist, weiß die Regierung offenbar noch immer nicht: "Angaben zu Leiharbeitskräften, Werkvertragsbeschäftigten und entsandten Beschäftigten von ausländischen Subunternehmen ... liegen in der Beschäftigungsstatistik nicht vor." | Ein Gesetz sollte Arbeiter in Schlachthöfen vor Ausbeutung schützen. Doch daraus ist bislang nicht viel geworden - im Gegenteil. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/fleischindustrie-schlachthof-kontrollen-nehmen-rapide-ab-1.4249896 | Fleisch: Schlachthof-Kontrollen nehmen rapide ab | 00/12/2018 |
Im erbitterten Haushaltsstreit mit der EU-Kommission macht Italien nun erste Zugeständnisse. Die Neuverschuldung des Landes soll im kommenden Jahr nun doch nur 2,04 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen - anstatt wie bisher geplant 2,4 Prozent. Das sagte Ministerpräsident Giuseppe Conte nach einem Treffen mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Eine Sprecherin der EU-Kommission sprach anschließend von "guten Fortschritten". Conte macht damit einen wichtigen Schritt auf die Behörde zu. Diese hatte vor etwa sechs Wochen den ursprünglichen Haushaltsentwurf der Regierung zurückgewiesen und Korrekturen verlangt - eine Premiere. Zuvor war dies noch keinem anderen Euro-Land passiert. Zuletzt war die Stimmung rauer geworden, die Kommission drohte sogar mit einer milliardenschweren Strafe und empfahl ein Defizitverfahren gegen Italien. Nach Ansicht der Kommission ist Italien nicht bereit, sich an die Verschuldungsregeln der Europäischen Union zu halten. Zwar wäre das Land auch mit einer Neuverschuldung von 2,4 Prozent unter der erlaubten Grenze von drei Prozent geblieben. Das bis zuletzt anvisierte Defizit wäre allerdings drei Mal so hoch wie von der Vorgängerregierung mit Brüssel vereinbart. Auch 2,04 Prozent lägen deutlich darüber - zuletzt hatte es jedoch den Anschien, damit könne Brüssel leben. Ob mit dem Vorschlag Contes eine echte Entspannung in die Gespräche zwischen Italien und der EU kommt, bleibt jedoch abzuwarten. Von ihren Schlüsselvorhaben wie einer Senkung des Renteneintrittsalters oder dem Bürgereinkommen will die Regierung nach wie vor nicht abrücken. Die EU-Kommission will sich die Pläne Italiens in den kommenden Tagen näher anschauen. Bislang wurde erwartet, dass die Behörde noch im Dezember oder im Januar offiziell ein Defizitverfahren einleiten könnte. | 2,04 statt 2,4 Prozent: So viel soll die Neuverschuldung des Landes 2019 betragen. Beigelegt ist der Streit mit der EU-Kommission damit jedoch noch nicht. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/italien-eu-kommission-haushaltsstreit-1.4251271 | Italien kommt EU im Haushaltsstreit entgegen | 00/12/2018 |
Ob ökologische, soziale oder ethische Projekte - der Markt für nachhaltige Investments wächst enorm. Doch für Verbraucher ist es schwer zu erkennen, welche Produkte tatsächlich nachhaltig sind. Der Begriff der Nachhaltigkeit liegt derzeit voll im Trend und muss für vieles herhalten: Für den plastikfreien Einkauf, den CO₂-neutralen Weg zur Arbeit und seit einigen Jahren auch für die Geldanlage. 171 Milliarden Euro umfasste der deutsche Markt der nachhaltigen Investments im Jahr 2017, das gab das Forum Nachhaltige Geldanlagen (FNG) bekannt. Seit Jahren melden die Marktteilnehmer jährlich zweistellige Wachstumsraten, auch für 2018 rechnet das FNG wieder mit einem Wachstum von 30 Prozent. Nachhaltige Investments sind immer noch ein Nischenprodukt; der Anteil am Gesamtmarkt liegt im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Dennoch machen sich Anleger immer öfter Gedanken darüber, was genau mit ihrem Geld passiert. Auch die EU-Kommission plant, die Finanzwirtschaft nachhaltiger zu gestalten. Allerdings gilt es bei dieser Art von Investment genau hinzuschauen. Was sind nachhaltige Investments? Nachhaltige Investments sind Geldanlagen, die zusätzlich zu den klassischen Kenngrößen - wie beispielsweise die Rendite und das Risiko - auch nachhaltige Aspekte berücksichtigen. Zur Beurteilung der Nachhaltigkeit zieht man heute im Allgemeinen die Komponenten Umwelt (Environment), Soziales (Social) und die Art der Unternehmensführung (Governance) heran, aus denen sich der Dreiklang der sogenannten ESG-Kriterien ergibt. Eine einheitliche Definition von Nachhaltigkeit gibt es allerdings nicht - und darin liegt laut Experten die große Tücke. "Die Anbieter solcher Geldanlagen definieren für sich selbst, was Nachhaltigkeit bedeutet", sagt Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. "Der Anleger muss entweder darauf vertrauen, dass seine Vorstellung mit dieser Definition deckungsgleich ist, oder selbst nachrecherchieren." Heute gibt es etwa 450 nachhaltige Fonds in Deutschland, die Hälfte davon sind Aktienfonds. Das Spektrum ist mittlerweile aber ähnlich breit wie das konventioneller Anlagen: Neben Investmentfonds können Anleger auch in nachhaltige ETF (Exchange Traded Funds) investieren, die Aktienindizes wie zum Beispiel den MSCI World Socially Responsible Index nachbilden. Welche nachhaltigen Anlagestrategien gibt es? Um zu beurteilen, wie nachhaltig eine Anlage ist, gehen die Anbieter unterschiedlich vor. Häufig gibt es Negativlisten, die Investitionen in bestimmte Bereiche grundsätzlich ausschließen. Dazu gehören Unternehmen, die Arbeits- und Menschenrechte verletzen, ebenso wie Firmen, denen Korruption unterstellt wird, die Rüstungsindustrie, Glücksspielgeschäfte und Kernenergie. Vor allem bei börsennotierten Wertpapieren wie Aktien kommt das "Best-in-Class"-Prinzip zum Einsatz. Zur Entwicklung eines nachhaltigen Fonds wird dafür ein Filter über Unternehmen jeder Branche gelegt, die entsprechend ihrer Nachhaltigkeit Punkte erhalten. Die Aktien, die am besten abschneiden, kommen in den Fonds. Das führt dazu, dass auch die besten Unternehmen einer nicht nachhaltigen Branche im Fonds auftauchen können. In der Beurteilung spielen bis zu 300 Kriterien eine Rolle. Oft wird die Analyse auf externe Ratingagenturen übertragen. Darüber hinaus gibt es Fonds, die nur in spezielle Themenbereiche wie etwa erneuerbare Energien investieren oder sich gar auf die Unterstützung einzelner Projekte konzentrieren. Zu dieser Kategorie gehört auch das sogenannte Impact Investing, das zum Ziel hat, neben einer finanziellen Rendite auch einen tatsächlich messbaren positiven Einfluss auf nachhaltige und soziale Faktoren auszuüben. Wie können Anleger die Nachhaltigkeit überprüfen? Wie nachhaltig eine Anlage wirklich ist, können Laien nur schwer erkennen. Da der Markt schnell wächst, wird der Produkte-dschungel immer undurchsichtiger. Experten sind sich einig, dass auch oft "Grünfärberei" betrieben wird, also Finanzprodukte nachhaltiger dargestellt werden, als sie sind. Anleger sollten also genau hinsehen, bevor sie investieren. Ob ein Produkt den eigenen Ansprüchen genügt, hängt dann auch wieder von der persönlichen Vorstellung von Nachhaltigkeit ab. Deutlich wird die Komplexität am Beispiel Waffenindustrie: Reicht es dem Anleger, dass nicht in Waffenhersteller investiert wird? Sollen Tochterfirmen, die mit der Waffenindustrie verbunden sind, auch ausgeschlossen werden? Dürfen die jeweiligen Zulieferfirmen Waffenhersteller beliefern? Hinzu kommt: "Die wichtigen Informationen sind zwar da, aber oft irgendwo in Geschäftsberichten versteckt", sagt Jörg Weber, Chefredakteur des Internetportals Ecoreporter.de, das sich seit Jahren mit grünem Investment beschäftigt. Das mache die Recherche sehr aufwendig. Hilfreich sind außerdem private Gütesiegel, die die Nachhaltigkeit eines Produkts garantieren sollen. Dazu gehören das FNG-Siegel vom Forum Nachhaltige Geldanlagen und das Siegel der Ecoreporter. Diese Siegel werden nach Maßstäben vergeben, die die privaten Organisationen selbst festlegen: Manche sind strenger, andere definieren nur Mindeststandards. Was kosten nachhaltige Produkte? Die Kosten sind vom Aufwand für den Anbieter und dessen Marge abhängig. Der Markt umfasst eine breite Spanne von teuren bis günstigen Produkten. Preiswert sind oft nachhaltige ETF. Kostenintensiver ist der Bereich des Impact Investing, da dabei jedes finanziell unterstützte Projekt analysiert und einzeln betreut wird. Wie sieht es mit Rendite und Risiko aus? Wie bei ihren herkömmlichen Pendants gilt bei nachhaltigen Investments der Grundsatz: Je höher das Risiko, desto mehr Rendite. Zahlreiche Studien kamen in den vergangenen Jahren zu dem Schluss, dass nachhaltig Geld anzulegen nicht per se weniger Rendite bedeutet. Die Nachhaltigkeitsanalyse kann auch eine Art Frühwarnsystem sein - zum Beispiel dafür, dass ein Unternehmen schlecht geführt wird. Deshalb ist die Wertentwicklung nachhaltiger Fonds oft sogar stabiler. Gibt es Institute, die nur nachhaltige Produkte anbieten? 14 deutsche Banken, darunter acht mit kirchlichem Hintergrund, richten ihr gesamtes Bankgeschäft nachhaltig aus. Das heißt, sie bieten die gleichen Finanzdienstleistungen wie konventionelle Banken an - also alles vom Girokonto über das Tagesgeld bis hin zum Sparbrief. Der Unterschied: Nachhaltige Banken verfolgen den Ansatz, mit ihrem Kreditgeschäft nur ökologisch und sozial vertretbare Projekte zu unterstützen - die Kriterien dafür legt wieder jede Bank selbst fest. Eine übersichtliche Auflistung aller Institute und ihrer Kriterien hat die Verbraucherzentrale Bremen (www.geld-bewegt.de) zusammengestellt. Macht nachhaltiges Investment die Welt wirklich besser? Darüber scheiden sich die Geister. Die einen sagen: Desinvestitionen in bestimmte Branchen verhindern zumindest, dass die Welt schlechter wird. Eine Studie der Verbraucherzentrale Bremen ergab 2014, dass eine Investition von 1000 Euro in den "saubersten" Fonds der Untersuchung anstatt in den "dreckigsten" Fonds pro Jahr 740 Kilogramm CO₂ einsparen kann. Andere fragen skeptisch: Hätten wir tatsächlich Frieden auf der Welt, wenn niemand mehr in Rüstung investieren würde? Der Journalist Jörg Weber ist "überzeugt, dass nachhaltiges Investment wirkt". Er sagt aber auch, dass das in Aktien investierte Kapital nicht in Umweltprojekte fließe, sondern nur über die Börse an den Aktienverkäufer - wofür der es verwendet, bleibt also letztlich offen. Verbraucherschützer Nauhauser sieht es noch drastischer: Für ihn ist die Nachhaltigkeit in erster Linie eine "Verkaufsmasche". | Ob ökologische, soziale oder ethische Projekte - der Markt für nachhaltige Investments wächst enorm. Doch für Verbraucher ist es schwer zu erkennen, welche Produkte tatsächlich nachhaltig sind. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/nachhaltige-investments-gute-anlage-oder-werbegag-1.4250410 | Gute Anlage oder Werbegag? | 00/12/2018 |
Die Möglichkeiten, private Kosten steuermindernd geltend zu machen, werden oft unterschätzt. Zu den als Sonderausgaben anerkannten privaten Kosten der Lebensführung gehören Altersvorsorgebeiträge, Spenden und Kirchensteuer ebenso wie Unterhaltszahlungen an geschiedene Ehegatten oder Kosten für die Berufsausbildung und die Kinderbetreuung. Beiträge in die gesetzliche und private Basiskrankenversicherung sowie in die Basisversorgung durch eine Pflegeversicherung sind bei der Steuerveranlagung unbegrenzt als Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen. "Bei der Krankheitsvorsorge sind zunächst einmal nur jene Beiträge voll steuermindernd wirksam, die der Grundversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen", erläutert Mike Schröder von der Steuerberatungsgesellschaft Schröder und Schröder in Feldkirchen-Westerham. Beitragsteile für höhere Ansprüche wie etwa auf Chefarztbehandlung oder Einzelbettzimmer sind - wenn überhaupt - nur begrenzt abzugsfähig. Das gilt auch für andere sogenannte sonstige Vorsorgeaufwendungen mit begrenztem Abzug, zu denen etwa Beiträge in Haftpflicht-, Arbeitslosen-, Berufsunfähigkeits- und Unfallpolicen sowie Lebensversicherungen gehören. Sie wirken nur dann steuermindernd, wenn eine jährliche Obergrenze von 1900 Euro bei Arbeitnehmern und 2800 Euro bei Selbständigen nicht schon durch die Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung ausgeschöpft ist. Das aber ist bei einem Großteil der Steuerpflichtigen der Fall. Allerdings gibt es auch eine Lösung, die viele gar nicht kennen. "Selbständige und Beamte sowie in der gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung freiwillig Versicherte können die Beiträge zum Beispiel für zwei Jahre - maximal für 2,5 Jahre - im Voraus bezahlen und so Steuern sparen", sagt Schröder. Denn zum einen sind diese Krankenversicherungsbeiträge in Höhe der Basisabsicherung im Jahr der Zahlung voll abzugsfähig. Zum anderen schöpfen sie durch das Vorziehen den Höchstbetrag der begrenzt abzugsfähigen Vorsorgeaufwendungen in den Folgejahren nicht aus. Dadurch können dann etwa Haftpflicht- und Krankenzusatzversicherungen innerhalb der Höchstgrenzen stärker geltend gemacht werden. Das gilt auch für vor 2005 abgeschlossene Renten- und Kapitallebensversicherungen. "Wer diesen steuermindernden Effekt anstrebt, muss die Vorauszahlung für die Krankenversicherungsbeiträge allerdings vor dem 22. Dezember leisten", betont Schröder. Kinderbetreuungskosten können bis zu 4000 Euro je Kind abgesetzt werden Ein gewichtiger Abzugsposten unter den Sonderausgaben sind die Beiträge zur Altersversorgung und da allen voran die zur gesetzlichen Rentenversicherung. "Der abzugsfähige Teil der gezahlten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge steigt ebenso wie der abzugsfähige Höchstbetrag schrittweise jährlich um zwei Prozent, bis er im Jahr 2025 bei hundert Prozent liegt", erläutert Florian Regenfelder, Steuerberater bei Ecovis in München. Im Jahr 2018 sind 86 Prozent der gezahlten Beiträge anzusetzen, wobei Alleinstehende höchstens 20 392 Euro und Verheiratete maximal 40 784 Euro geltend machen können. Schön für Ehepaare: Der höhere Abzugsbetrag gilt auch dann, wenn nur ein Ehepartner in die gesetzliche Rentenkasse einzahlt. Unabhängig vom Familienstand wird die für den Sonderausgabenabzug ermittelte Beitragssumme um die steuerfreien Arbeitgeberanteile gekürzt. Diese steuerlichen Regeln gelten analog für Beiträge in berufsständische Versorgungswerke, die etwa für Ärzte, Apotheker, Architekten oder Ingenieure vergleichbare Leistungen wie die gesetzlichen Rentenversicherungen erbringen. "Mitglieder dieser Versorgungswerke können ihre Beiträge freiwillig aufstocken und so neben den höheren Versorgungsleistungen im Rahmen der Abzugsfähigkeit zusätzlich von Steuervorteilen profitieren", sagt Regenfelder. Nicht alle berufsständischen Versorgungseinrichtungen sind jedoch quasi als Ersatz für die gesetzliche Rentenkasse konzipiert. So sind die Leistungen der Versorgungsanstalt der deutschen Bezirksschornsteinfegermeister (VdBS) oder die des Versorgungswerks der Presse nicht mit denen der gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbar. Ob die Beiträge als sonstige Vorsorgeaufwendungen steuerwirksam werden können, hängt vom Jahr des Vertragsschlusses ab und davon, ob die geltenden Grenzen nicht schon ausgeschöpft sind. Die großzügigen Grenzen für die Abzugsfähigkeit von Beiträgen in die gesetzliche Rentenversicherung gelten hingegen auch für die als Rürup-Vertrag bekannte Basisrente, bei der sich Selbständige mit frei wählbaren Monatsbeiträgen eine lebenslange Rente sichern können. "Wer mit der Basisrente vorsorgt, muss aber akzeptieren, dass dabei weder eine Kapitalisierung im Sinne einer Einmalauszahlung noch eine Übertragung, Beleihung oder Veräußerung der Ansprüche möglich ist", sagt Steuerberater Schröder. Mit dem Sonderausgabenabzug fördert der Staat auch die Fürsorge für die nächste Generation. Kinderbetreuungskosten wie die Kita-Gebühren oder die Bezahlung einer Tagesmutter können zu zwei Dritteln bis zu höchstens 4000 Euro je Kind bis zu dessen vollendeten 14. Lebensjahr jährlich geltend gemacht werden. Gewährt der Arbeitgeber einen Kita-Zuschlag, hat das ebenfalls einen steuerlichen Effekt. "Der Arbeitnehmer muss für diese erhaltene Leistung keine Steuer zahlen", erläutert Ecovis-Experte Regenfelder. Bis zur Höhe von 20 Prozent des Gesamtbetrags der Einkünfte können Spenden an gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Institutionen in EU-/EWR-Staaten geltend gemacht werden. Bei Spenden in den Vermögensstock einer begünstigten Stiftung ist sogar mehr möglich. | Auch private Ausgaben der Lebensführung sind von der Steuer absetzbar. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/sonderausgaben-kosten-fuer-die-kita-und-den-ex-1.4250412 | Kosten für die Kita und den Ex | 00/12/2018 |
Der Mähdrescher misst, wie viel Getreide er erntet. Der Traktor streut nur so viel Dünger, wie auf dem Quadratmeter Acker gerade nötig ist. Und der Sensor an der Kuh funkt, ob das Tier gemolken werden muss. Das sind Beispiele, wie die Digitalisierung die Agrarwirtschaft verändern kann. "Wir sehen da eine deutliche Chance für unsere Kunden", sagt Hermann Lohbeck, Chef des Landmaschinenherstellers Claas. "Dafür muss man diese Information dann aber auch vom Feld bekommen." An der Stelle beginnen Lohbecks Sorgen. Während Politiker noch diskutieren, ob Deutschland den neuen Mobilfunkstandard 5G wirklich an jede sprichwörtliche Milchkanne bringen sollte, steht die Antwort für Lohbeck schon fest. Noch sei nicht mal die derzeitige Technologie LTE im ganzen Land angekommen. "In der neuen Generation von Funktechnologie muss man auch die Flächendeckung haben wollen", appelliert der Firmenchef an die Politik. Auch Landmaschinen von Claas seien künftig autonom unterwegs und würden viele Daten funken, die der Landwirt speichern und auswerten könne. "Dafür brauchen sie diese schnelle Internetanbindung." Wenn Lohbeck für den ländlichen Raum wirbt, weiß der frühere Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, wovon er spricht: Alleine am Firmensitz Harsewinkel bei Gütersloh beschäftigt Claas gut 3000 Menschen. Das Familienunternehmen ist der Marktführer für Mähdrescher in Europa - und investiere viele Millionen Euro, um dies auch bleiben zu können. Der neueste Claas-Drescher etwa kommt damit klar, wenn ein Hang bis zu 18 Prozent Neigung aufweist. Bei selbstfahrenden Feldhäckslern sehen sich die Ostwestfalen gar als Weltmarktführer. Im vergangenen Geschäftsjahr hat Claas einen Umsatz von 3,88 Milliarden Euro erwirtschaftet. Das ist so viel wie nie zuvor - und doch nicht genug: "Da hätten wir uns noch ein bisschen mehr erwartet", gesteht Lohbeck. Unterm Strich steht ein Gewinn von 152 Millionen Euro; auch diese Marge will der Diplom-Kaufmann fortan steigern. "Wir denken, dass wir nächstes Jahr noch eine gute Schippe drauflegen beim Umsatz", kündigt Lohbeck an, doch schränkt gleich ein: "Da gibt es keine Garantie für." Dann dürften sich die vielen Konflikte im Welthandel nicht weiter verschärfen. Und auch die Landwirte müssten genug Geld verdienen, damit sie all die schlauen Maschinen von Claas auch bezahlen können. | Sollte Deutschland die neue Mobilfunktechnik wirklich an jede Milchkanne bringen? Ja, sagt die Landmaschinenfirma Claas. Denn selbst Mähdrescher führen künftig autonom herum. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/landwirtschaft-5g-auf-jedem-acker-1.4249913 | 5G auf jedem Acker | 00/12/2018 |
Die britische Landeswährung ging auf Berg- und Talfahrt, nachdem die Nachricht von einem Misstrauensvotum gegen Premierministerin Theresa May bekannt wurde. Nachdem das Pfund bis auf 1,2479 gefallen war, kostete es am Abend mit 1,2638 um 1,2 Prozent mehr als am Vortag. Nach der Absage des Brexit-Votums im Unterhaus hatten immer mehr Konservative ein Misstrauensvotum gegen May angestrebt. Die erforderliche Zahl an Anträgen konservativer Abgeordneter wurde am Mittwoch erreicht. Eine Abstimmung war noch für den Abend geplant. Nach Aussagen von Justizminister David Gauke müsste der für Ende März geplante EU-Ausstieg im Falle einer Niederlage von May wohl verschoben werden. "Wie auch immer die Abstimmung ausgeht, eine immense Verunsicherung wird bleiben", sagte Devisenexperte Neil Wilson vom Handelshaus Markets.com. Das Pfund könne sich in der Folge weiter abschwächen. "Die grundsätzliche Frage für das Pfund ist nicht, wer die Regierung anführt, sondern was das für den Brexit bedeutet." Der Euro legte nach den Kursverlusten vom Vortag zu. Die Gemeinschaftswährung wurde mit 1,1366 Dollar gehandelt, nach 1,1314 Dollar am Vorabend. Italien macht nach wochenlangem Streit mit der EU-Kommission um seinen Haushaltsentwurf nun doch Zugeständnisse. Die Neuverschuldung solle im kommenden Jahr 2,04 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen statt wie bisher geplant 2,4 Prozent, sagte Ministerpräsident Giuseppe Conte am Mittwoch nach einem Treffen mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker in Brüssel. Nachdem die Ölpreise im Tagesverlauf zunächst gestiegen waren, setzte am Abend eine Gegenbewegung ein. Die US-Öllagerbestände sind zwar wie erwartet gesunken. Jedoch hatten Experten einen größeren Rückgang prognostiziert. Ein Barrel US-Leichtöl WTI kostete mit 51,11 Dollar um 1,1 Prozent weniger. | Am Devisenmarkt zeigen sich Anleger verunsichert. Vor dem Misstrauensvotum gegen die britische Premierministerin Theresa May schwankt die Landeswährung. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/devisen-pfund-auf-berg-und-talfahrt-1.4249817 | Devisen - Pfund auf Berg- und Talfahrt | 00/12/2018 |
Vor allem in der Autoversicherung und der Lebensversicherung liefern sich die Unternehmen eine intensive Konkurrenzschlacht. Die Werbewirtschaft profitiert im Moment davon. Niemand kann den Versicherern entgehen. Ob Fernsehen, Zeitschriften, Plakate oder Online-Werbung, überall werben die Gesellschaften für die günstigste Autoversicherung, eine solide Altersvorsorge oder den cleveren Zahnzusatzschutz. Schon in normalen Jahren gehört die Branche zu wichtigen Werbekunden von traditionellen Medien und Online-Anzeigenanbietern wie Google. Aber in diesem Jahr hat die Werbeschlacht spürbar an Schärfe zugenommen. Allein im Herbst gibt die Branche doppelt so viel aus wie ein Jahr zuvor, einzelne Unternehmen wie Ergo haben in zwei Jahren ihre Ausgaben mehr als verdreifacht. Vor allem in der Autoversicherung, der Lebensversicherung und bei Kranken-Zusatzpolicen ist die Konkurrenz intensiv. In der Autoversicherung sinken die Preise - und immer mehr Kunden sind bereit, ihren Anbieter zu wechseln. Das führt zu hohen Werbeausgaben bei Versicherern, die stark wachsen wollen, aber auch bei denen, die ihre Kundenbasis verteidigen. Der erklärte Wille der Allianz, die heute 8,5 Millionen Fahrzeuge versichert, den Marktführer HUK-Coburg mit 11,5 Millionen Fahrzeugen einholen zu wollen, befeuert den Wettbewerb. In der Lebensversicherung leiden die meisten Versicherer unter einem sinkenden Neugeschäft und wollen deshalb gegensteuern. Die Kranken-Zusatzversicherungen gelten als lukrative, digital zu verarbeitende Policen, die auch als Einstiegsangebote für junge Kunden taugen. Kein Wunder, dass die Werbeausgaben steigen: Nach Berechnungen des Analyseunternehmens Nielsen haben die Versicherer im Oktober 2018 ihre Ausgaben um 119 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gesteigert, sie erreichten 66 Millionen Euro. Schon im September hatte die Branche 47 Millionen Euro ausgegeben, 24 Millionen Euro mehr als im Vorjahresmonat. Unternehmen wie Nielsen oder das Beratungshaus Ebiquity messen die Ausgaben für Werbung in den traditionellen Medien Zeitungen und Zeitschriften, Rundfunk und Fernsehen sowie Plakatwerbung und legen dabei Listenpreise zugrunde. Mögliche individuelle Rabatte der Unternehmen bei den Anbietern können sie nicht berücksichtigen. Auch die Online-Werbung geht nicht in die Zahlen ein - diese Ausgaben sind aus öffentlich zugänglichen Daten nicht zu errechnen. Ergo gab in neun Monaten schon doppelt so viel für Werbung aus wie im gesamten Vorjahr Ebiquity hat die Daten für die einzelnen Unternehmen untersucht. Danach hat die Munich Re-Tochter Ergo von Januar bis Oktober 2018 bereits 50,5 Millionen Euro ausgegeben, verglichen mit 22,4 Millionen Euro im gesamten Vorjahr und 14,7 Millionen im Jahr 2016. Auch die Generali gibt kräftig Gas und kommt 2018 auf 16 Millionen Euro nach 4,4 Millionen Euro im Vorjahr. Die Deutsche Familienversicherung gab bis Oktober 2018 satte 15,4 Millionen Euro aus, 2017 nur eine Million Euro. Andere Gesellschaften wie die Allianz (24,7 Millionen Euro) halten die Ausgaben stabil. Nur in wenigen Fällen reduzieren die Anbieter ihren Auftritt in den traditionellen Medien, die meisten konzentrieren sich dann auf die Online-Werbung. Das gilt etwa für die Axa, die bis Ende Oktober im traditionellen Segment zwölf Millionen Euro ausgab, während es im gesamten Vorjahr 25,6 Millionen Euro waren. "Wir sehen einen extrem scharfen Preiswettbewerb unter den Versicherern", sagte Hellmut Fischer, General Manager bei Ebiquity Germany in Hamburg. "Die Versicherer suchen kurzfristige Aktivierungen ihrer Kunden, dem dienen die Werbemaßnahmen." Mit Anzeigen, Spots und Plakaten wollen die Unternehmen das Geschäft ihrer Vertreter und Makler unterstützen. Gleichzeitig versuchen sie, Online-Kunden direkt auf ihre Webseiten zu bringen - und damit die extrem hohen Anzeigenpreise von Google und die Provisionen für Portale wie Check 24 zu umgehen. Mittelfristig werde Online-Werbung immer wichtiger, sagt Fischer. "Wir glauben, dass die Ausgaben für Printwerbung 2019 um 2,5 Prozent bis 3 Prozent zurückgehen werden, das betrifft alle Branchen." | Vor allem in der Autoversicherung und der Lebensversicherung liefern sich die Unternehmen eine intensive Konkurrenzschlacht. Die Werbewirtschaft profitiert im Moment davon. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/scharfer-wettbewerb-versicherer-verdoppeln-werbebudgets-1.4249964 | Scharfer Wettbewerb - Versicherer verdoppeln Werbebudgets | 00/12/2018 |
China will offenbar Straftarife auf SUVs wieder abschaffen. Davon würden auch BMW und Daimler profitieren. Sie stellen den Autotyp in den USA her. Im Handelsstreit zwischen den USA und China deutet sich eine Entspannung an. Die von China verhängten Strafzölle auf Autoimporte aus den USA, die auch deutsche Hersteller massiv treffen, sollen wieder fallen. Das habe Chinas Vize-Premier Liu He in einem Telefonat mit US-Finanzminister Steve Mnuchin und dem Handelsbeauftragten Robert Lighthizer angeboten, berichtet das Wall Street Journal. Der Zollsatz von derzeit 40 Prozent soll demnach wieder auf das vorherige Niveau von 15 Prozent sinken. Deutsche Autohersteller wie BMW und Daimler würden davon stark profitieren. Sie stellen einen großen Teil ihrer schweren Sport- und Geländewagen (SUVs) in den USA her und verschiffen sie von dort nach China, den derzeit weltgrößten Automarkt. Die von Peking erhöhten Importzölle belasteten die deutschen Konzerne zuletzt stark. Daimler musste seinen Gewinn deshalb nach unten korrigieren. Die Stuttgarter produzieren große Geländewagen in Tuscaloosa im US-Bundesstaat Alabama. Ein Großteil der Autos wird von dort nach China exportiert. Bei BMW ist die Lage ähnlich. Zwar stellen die Münchner zumindest das kleinere SUV vom Typ X3 in China her, wodurch zumindest für diese Autos kein Strafzoll mehr fällig wird. Dennoch kostete der Handelsstreit den Hersteller allein in diesem Jahr rund 300 Millionen Euro. Eher gering sind die Auswirkungen bislang für VW. Der Konzern baut zwar SUVs in amerikanischen Werken. Doch das Unternehmen hat ebenfalls Fabriken in China, mit denen er die dort geltenden Strafzölle umgehen kann, zumindest für die dort produzierten Modelle. Das Angebot Chinas an die US-Regierung ist das erste Zeichen einer Entspannung seit dem G20-Gipfel Anfang Dezember. US-Präsident Trump und Xi hatten sich dort auf einen "Waffenstillstand" im Handelsstreit geeinigt. Trump setzte der chinesischen Regierung aber eine 90-tägige Frist, um Zugeständnisse zu machen. Insgesamt haben die USA chinesische Waren im Wert von rund 250 Milliarden Dollar mit Strafzöllen belegt. China hatte ebenfalls mit Strafzöllen gekontert, allerdings importiert das Land nur Waren im Wert von 130 Milliarden Dollar aus den USA und kann daher nicht in gleicher Höhe antworten. | China will offenbar Straftarife auf SUVs wieder abschaffen. Davon würden auch BMW und Daimler profitieren. Sie stellen den Autotyp in den USA her. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/strafzoelle-hoffnung-fuer-deutsche-autohersteller-1.4249960 | Hoffnung für deutsche Autohersteller | 00/12/2018 |
Die Hoffnung auf eine Annäherung im Handelsstreit zwischen den USA und China haben die Probleme rund um Großbritannien und Frankreich am Mittwoch etwas zurückgedrängt. Auch wurde die Entlassung der Tochter des Huawei-Firmengründers gegen Auflagen aus kanadischer Haft von den Marktteilnehmern als positives Zeichen im Handelskonflikt gewertet. Der Dax setzte seinen Erholungskurs vom Dienstag fort und verbesserte sich bis zum Handelsende um 1,4 Prozent auf 10 929 Punkte. Bei den Einzelwerten standen die Deutsche Bank und die Commerzbank im Rampenlicht. Spekulationen auf eine nahende Fusion der beiden Instituten trieben den Aktienkurs der Deutschen Bank um knapp sechs Prozent nach oben, die Titel der Commerzbank legten zeitweise im M-Dax um mehr als sieben Prozent zu. Börsianer verwiesen auf einen Medienbericht, dem zufolge die Bundesregierung einen Zusammenschluss der beiden Geldhäuser forciert. Aber auch die Titel der Energieversorger Eon und RWE waren gefragt. Sie verteuerten sich um 1,8 und 3,2 Prozent und zählten damit zu den Favoriten im Dax. Beobachtern zufolge könnten sie von einem neuerlichen Hinweis aus der Politik auf einen nicht ganz so raschen und drastischen Schwenk in der deutschen Energie- und Klimapolitik profitieren. Ebenfalls auf der Gewinnerseite standen die Autowerte. China plant nach Angaben aus der US-Regierung eine drastische Senkung der Importzölle auf US-Fahrzeuge. Die Aktien von BMW und Daimler legten zwei beziehungsweise 1,6 Prozent zu. Beide Unternehmen stellen in den USA Geländewagen her und exportieren diese nach China. VW-Anteile zogen um 2,8 Prozent an. Top-Favorit im Dax war das Papier des Gesundheitskonzerns Fresenius, das um 6,9 Prozent zulegte. Rückenwind lieferte hier eine Studie der Berenberg Bank. Zwar sei bei Fresenius Geduld gefragt, denn 2019 werde ein Übergangsjahr, hieß es in der Studie. Die Bedenken hinsichtlich der schwächelnden Klinikkette Helios und der auf Nachahmer-Medikamente spezialisierten Sparte Kabi sollten in den nächsten zwölf Monaten abnehmen. Nach der jüngsten Gewinnwarnung waren die Titel in der Spitze um gut 19 Prozent eingebrochen. Die Aussicht auf eine Annäherung im Zollstreit gab auch den US-Börsen Auftrieb. Der Dow Jones schloss um 0,6 Prozent höher. | Die Hoffnung auf eine Annäherung im Handelszwist zwischen USA und China lässt die Anleger zu Aktien greifen. Die Titel der Deutschen Bank und der Commerzbank werden von Fusionsgerüchten beflügelt. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/aktienmaerkte-dax-steigt-weiter-1.4249815 | Dax steigt weiter | 00/12/2018 |
Die Kälte von Algorithmen zeigte sich bei einer Stillgeburt: Gilian Brockell hat ihr Baby verloren, aber sie wird immer noch mit Werbung für Mutter-Zubehör belästigt. Jetzt knöpft sie sich die sozialen Medien vor. 30 000 Herzen sind Gillian Brockell zugeflogen, und alle sind sie gebrochen. Mit dem Herz-Symbol drücken Twitter-Nutzer ihre Anteilnahme aus. Denn Brockell hat einen Brief an die Tech-Unternehmen Facebook, Instagram und Twitter sowie die Credit-Scoring-Firma Experian auf Twitter veröffentlicht. Sie richtet eine Frage an diese Unternehmen, die Daten über Bürger sammeln. Eine Frage über Anstand in einer von Daten und Algorithmen getriebenen Gesellschaft: Warum konntet ihr meine Schwangerschaft erkennen, aber nicht den Tod meines Babys? Die Videoredakteurin aus Washington hatte anfangs ihre Freude über ihre Schwangerschaft im Internet kundgetan. Sie verwendete den Hashtag #30weekspregnant, suchte im Netz nach Schwangerschaftskleidung und "babysichere Farbe für die Wiege". Sie legte bei Amazon eine "Baby-Wunschliste" an, über die Verwandte ihr Produkte für das Kind schicken lassen konnten, und bedankte sich bei Freundinnen für die Teilnahme an ihrer Baby-Party. Die Werbeprogramme ignorierten Schlagworte zum Tod und Tränen-Emojis Die Netzwerke, die Werbung im Internet verteilen, analysierten die Daten und speicherten: Diese Frau ist schwanger - und bombardierten sie mit Anzeigen für alles, was Schwangere so brauchen sollen. So weit, so Internet. Doch Brockells Sohn wurde tot geboren. "Vier Pfund, eine Unze", schreibt sie. Sie trauerte mit ihrem Mann. Doch die besten Werbealgorithmen der Welt trauerten nicht mit. Obwohl Brockell "Baby bewegt sich nicht" gegoogelt und den Tod später sogar in einem Beitrag bekannt gegeben hatte, in dem düstere Schlagworte wie "Stillgeburt" und "untröstlich" standen. Die "zweihundert Tränen-Emojis meiner Freunde" seien ebenfalls ignoriert worden. Immer wenn sie aufs Handy schaute, sei sie wieder mit der Werbung konfrontiert worden: für Umstandskleidung und "jeden gottverdammten Nippes von Etsy, den ich fürs Kinderzimmer geplant hatte". Das Phänomen kennen Internetnutzer: Werbung zu einem bestimmten Produkt oder Thema verfolgt sie über mehrere Webseiten - und ist auch noch da, wenn sie das Produkt längst gekauft haben. Denn der Kauf wird nicht an das Werbenetzwerk gemeldet. Was im Fall von Sneakern irritiert, empfand Brockell als konstante Demütigung, während sie um ihr Baby trauerte. Ständig erinnerte Werbung sie an die Katastrophe. Die Scoring-Firma Experian mailte ihr: Sie solle ihr Baby registrieren, damit dessen Kredithistorie von Geburt an gespeichert werden könne. Die Algorithmen nahmen an, die Geburt sei problemlos verlaufen. Für viele der mitfühlenden Kommentatoren unter Brockells Beitrag ist ihre Geschichte mehr als eine Anekdote und zeigt die Kälte des Geschäfts mit digitalem, angeblich maßgeschneidertem Marketing. Es ist die Geldmaschine im Herzen der Internet-Ökonomie. Wer bestimmte Begriffe sucht, bestimmte Links klickt, den teilt zum Beispiel Facebook in Kategorien ein. Sie basieren auf den Interessen, die Facebook dem Nutzer zuordnet. Dann verkauft Facebook die digitalen Werbeflächen im Nachrichtenstrom des Nutzers an Firmen, die passende Produkte anbieten. Einige IT-Konzerne erfassen freudige Ereignisse: Jahrestage von Facebook-Freundschaften oder Geburtstage, Amazon kennt Geburtstermine, wenn Kunden sie für ihre "Baby-Wunschliste" angeben. Aber geht es um die dunklen Seiten des Lebens, versagen die Algorithmen. Der Fall erzählt viel über die ethischen Kollateralschäden vermeintlich zielgenau ausgespielter Online-Werbung. Und über die Erwartungen, die wir mittlerweile mit Algorithmen verbinden. Für Gillian Brockell war es nicht die viel beschworene Allwissenheit der Algorithmen, die zum Albtraum wurde, sondern deren Dummheit: Einmal in eine Kategorie sortiert, kommt man so einfach nicht mehr aus ihr heraus. Im Bild der "künstlichen Intelligenz": Die Netzwerke waren geistig zu unflexibel, um dem Tod gerecht zu werden. Brockells Erfahrung widerspricht der verbreiteten Furcht vor perfekten Datensammlungen über Kunden und Überwachung durch Algorithmen. Die sind nicht mehr so primitiv, dass sie uns völlig abseitige Werbung zeigen. Sie sind aber auch noch nicht so komplex, dass sie sich an alle Unwägbarkeiten des Lebens anpassen. Um das zu schaffen, wären entweder noch größere Datensammlungen und feinsinnigere Algorithmen nötig - die Konzerne müssten also noch tiefer in die Privatsphäre eindringen. Oder bessere Möglichkeiten, Werbung einzuschränken, die intimste Lebensbereiche betrifft. Die Option, Anzeigen zum Thema "Schwangerschaft" und "Elternschaft" abzustellen, fand Brockell erst nach dem Hinweis einer Person, die ihren offenen Brief gelesen hatte. Während sie trauerte, seien diese Einstellungen zu verwirrend für sie gewesen. Sie fordert, dass ein Begriff für Fehl- oder Totgeburt (im Englischen stillbirth) "automatisch eine Werbepause" auslösen sollte. Auch im Deutschen wird öfter der Begriff Stillgeburt verwendet, aus Rücksicht auf betroffene Frauen. Datenschutzaktivist Wolfie Christl äußert sich pessimistisch zu dem Fall: "Die heutige Werbetechnologie, die auf allgegenwärtigem Tracking basiert, kann man nicht reparieren." Gillian Brockell formuliert es so: "Wenn ihr klug genug seid, um zu merken, dass ich schwanger bin, dann seid ihr auch klug genug, um zu merken, dass mein Baby gestorben ist, und mir entsprechende Anzeigen zu zeigen, oder vielleicht, ganz vielleicht, überhaupt keine." | Die Kälte von Algorithmen zeigte sich bei einer Stillgeburt: Gilian Brockell hat ihr Baby verloren, aber sie wird immer noch mit Werbung für Mutter-Zubehör belästigt. Jetzt knöpft sie sich die sozialen Medien vor. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/werbung-im-internet-facebook-erkennt-das-leben-aber-nicht-den-tod-1.4249968 | Werbung im Internet - Facebook erkennt das Leben, aber nicht den Tod | 00/12/2018 |
Die Branche steht kurz davor, das zehnte profitable Jahr hintereinander zu schaffen. Das ist ihr noch nie gelungen. Wie die Flugbranche 2019 wachsen will - trotz des Brexit und der anderen Handelsstreitigkeiten. Die International Air Transport Association (IATA) rechnet dank niedrigerer Treibstoffkosten und starker Nachfrage 2019 mit höheren Gewinnen der Luftverkehrsbranche. Die IATA-Mitglieder werden im kommenden Jahr dem Verband zufolge insgesamt einen Gewinn von 35,5 Milliarden Dollar machen, drei Milliarden mehr als im laufenden Jahr. Doch die Organisation warnt vor möglichen unvorhersehbaren Folgen des Brexit und Handelskriegen. Auch die Infrastruktur sorge für immer mehr Probleme. "Wir erwarten langsameres, aber robustes Wachstum", so IATA-Chefökonom Brian Pearce. Die Branche rechnet mit einem Zuwachs der Nachfrage von sechs Prozent, leicht unterhalb der 6,5 Prozent, die sie für das laufende Jahr prognostiziert, aber immer noch über der langjährigen durchschnittlichen Wachstumsrate von rund fünf Prozent. Pearce glaubt, dass ein ungeregelter Brexit das Wachstum im Luftverkehr zwar reduzieren, aber nicht stoppen würde. Auch deutlich größere Handelskonflikte könnten letztlich kompensiert werden, weil die Nachfrage trotz allem immer noch sehr hoch ist. Nachdem die Treibstoffkosten zuletzt in die Höhe geschnellt waren und zahlreiche Airlines ihre Gewinnerwartungen nach unten korrigieren mussten oder gar in existenzielle Schwierigkeiten geraten waren, scheinen sich die Befürchtungen in Wohlgefallen aufzulösen. "Der Treibstoffpreis ist viel niedriger als er noch vor einem Monat war," so Pearce. Die Fluggesellschaften glauben, dass das Angebot derzeit so groß ist, dass auch mögliche Einschnitte der Förderung der OPEC-Länder für eine erneute Trendwende sorgen werden. Allerdings werden viele Fluggesellschaften auch nicht gleich von den niedrigeren Kosten profitieren, denn sie haben sich über Sicherungsgeschäfte schon über einen längeren Zeitraum mit Kerosin eingedeckt und sind nun gezwungen, mehr als den aktuellen Marktpreis zu bezahlen. Strukturell sind die Gewinne ungleich verteilt. Die großen Airlines in Nordamerika steuern derzeit und auch 2019 rund die Hälfte der weltweiten Profite bei. Die europäischen Airlines kommen insgesamt nur auf 7,4 Milliarden Dollar und liegen damit unter dem Niveau des laufenden Jahres. Allerdings steht die Branche insgesamt kurz davor, das zehnte profitable Jahr hintereinander zu schaffen. Das ist ihr bislang noch nie gelungen. IATA-Chef Alexandre de Juniac warnte angesichts des bevorstehenden Wachstums vor einer "Infrastrukturkrise". Die vielen Verspätungen und Annullierungen des Sommer 2018 in Europa seien "ein Chaos epischen Ausmaßes" gewesen, das "absolut inakzeptabel" sei. | Wie die Flugbranche 2019 wachsen will - trotz des Brexit und der anderen Handelsstreitigkeiten. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/luftfahrtbranche-langsam-aber-robust-1.4249820 | Luftfahrtbranche - Langsam, aber robust | 00/12/2018 |
Die Produktion für die neue Generation der europäischen Trägerrakete hat begonnen - aber noch fehlen die Aufträge. Konkurrenten wie Space-X bieten ihre Flüge derzeit deutlich günstiger an. Im Pförtnerhäuschen des Augsburger Herstellers MT Aerospace steht ein Modell der europäischen Trägerrakete Ariane, Teile der Oberstufe werden hier für die Ariane-Group produziert. Als sich im Sommer ein Lieferant anmelden wollte, fragte er den Pförtner, ob dieser denn auch schon einmal mit der Ariane geflogen sei. Er meinte dies ohne jegliche Ironie und erntete den erstaunten Blick des Wachmanns. Der Deutschland-Chef der Ariane-Group, Pierre Godart, wertet solche Anekdoten als Indiz dafür, dass Raumfahrt noch nicht so richtig in der Gesellschaft angekommen sei. Für Godart ist dies ein Problem. Er muss Raketen verkaufen - ein bisschen so wie andere Autos. Die Menschen nutzen zwar ihr Navi, möchten einen Wetterbericht und verfolgen Live-Übertragungen aus aller Welt - wissen aber oft nicht, dass dafür Satelliten nötig sind, die wiederum von Raketen ins All geschossen werden. Akzeptanz ist auch deshalb nötig, weil die europäische Raumfahrtagentur Esa und damit die Steuerzahler die Entwicklung der Ariane-Rakete finanzieren. 3,5 Milliarden Euro kostet es, das Nachfolgemodell der Ariane 5 zu konzipieren, 400 Millionen Euro investiert die Ariane-Group (Umsatz 3,4 Milliarden Euro), eine Tochter der Konzerne Airbus und Safran. Braucht man das? "Es ist extrem wichtig, dass Europa seine Satelliten unabhängig ins All starten kann", wirbt Godart. "Wir sind die Firma, die Europa den unabhängigen Zugang zum All sichert." Die Ariane 5, seit 1996 im Einsatz, ist zwar zuverlässig, bei 102 Starts hatte sie nur zwei Abstürze, doch sie ist veraltet. "Es ist extrem wichtig, dass Europa seine Satelliten unabhängig ins All starten kann." Bereits 2014 hat der Esa-Ministerrat das "Go" für die Ariane 6 gegeben, doch erst jetzt beginnt die Produktion. Fast zu spät: Institutionen wie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und sogar Airbus oder OHB, die über Ariane-Group und MT Aerospace am Bau der Rakete beteiligt sind, nutzen inzwischen auch schon mal die Konkurrenz von Space-X aus Kalifornien, um Satelliten zu starten. Deren Falcon 9 kostet 62 Millionen Dollar. Was für eine Ariane 5 gezahlt werden muss, verrät Godart nicht, in der Branche heißt es, 178 Millionen Dollar. Seit 1979 haben Ariane-Raketen fast 250-mal Satelliten von Kourou in Französisch-Guayana in den Weltraum befördert, darunter auch solche für das Navigationssystem Galileo und die Esa-Merkursonde Bepi Colombo. Wenn Airbus und OHB nun auf die Falcon 9 von Space-X zurückgreifen, dann ist das ungefähr so, als würden Volkswagen-Vorstände einen Tesla als Dienstwagen nutzen: Der fährt elektrisch, könnte autonom fahren und ist auch sonst ganz hip. Kurzum: Eine modernere Ariane ist überfällig. Das bisherige Modell ist zu teuer, zu unflexibel - zu alt eben. Ohne den Druck der neuen, privaten Wettbewerber wie Space-X von Tesla-Gründer Elon Musk oder Blue Origin, der Raumfahrtfirma von Amazon-Gründer Jeff Bezos, wäre das vielleicht so geblieben. "Space-X und Blue Origin haben den Laden schon ein bisschen durcheinander gebracht", gesteht ein Ariane-Mitarbeiter. Denn die neuen Raketenhersteller haben die Raumfahrt billiger gemacht - mit günstigeren Komponenten und einfacheren Strukturen. Konsequenz: Auch die Ariane 6 soll billiger werden, die Stückzahl soll mittelfristig von etwa sechs auf zwölf pro Jahr steigen. "Das ist manchmal kompliziert und manchmal schmerzhaft, aber das kriegen wir hin", gibt sich Godart optimistisch. "Wenn wir fünf institutionelle Launches haben, müssen wir zusätzlich sechs bis sieben am kommerziellen Markt bekommen. Dann können wir die Preise um 40 bis 50 Prozent reduzieren." Genau hier hakt es aber. In einem internen Papier ist von einem "schwächelnden kommerziellen Markt" die Rede. Und der institutionelle Markt reißt es auch nicht heraus: "2018 allein hat Space-X mehr als zehn institutionelle Aufträge erhalten, Arianespace nur einen", heißt es. Um wettbewerbsfähiger zu werden, will das Unternehmen bis 2022 etwa 2300 der 9000 Stellen abbauen - durch natürliche Fluktuation. Bis dahin sollen die Produktion der Ariane 5 und die Entwicklung der Ariane 6 beendet sein. "Die Industrie braucht Chancengleichheit. Die Ariane-Group nimmt ihre Verantwortung an, kann die Last aber nicht allein tragen", heißt es in dem Papier. Bislang liegen Aufträge für acht Starts der Ariane 6 in der Schublade - für die Jahre 2020 bis 2027. Für diese Zeit will die Ariane-Group aber nach jetziger Planung zwischen 50 und 100 Raketen bauen - je nachdem, wie schnell die Produktion wie vorgesehen verdoppelt wird. Bei der Ariane 5 sieht es etwas besser aus: Die sechs Starts für 2019 sind im Prinzip ausgebucht, doch für 2020 stehen noch kaum welche in der Liste. Die Ariane 5 soll bis 2022 auslaufen, der Erstflug der Ariane 6 ist für den 16. Juli 2020 geplant - genau 51 Jahre nach dem Start von Apollo 11 zum Mond. Der Generationswechsel bei Ariane ist auch so etwas wie eine Mondlandung. Die Ariane 6 soll nicht nur billiger werden, etwa durch leichtere Bauteile und 3-D-Druck, sondern auch flexibler. Die Oberstufe ist beispielsweise mit dem wieder zündbaren Triebwerk Vinci ausgestattet, um mehrere Orbits ansteuern zu können. Außerdem sind zwei Versionen der Ariane 6 geplant: die Ariane 62 mit zwei Feststoff-Boostern kann bis zu 4,5 Tonnen in einen geostationären Orbit befördern, die Ariane 64 mit vier Boostern mehr als zwölf Tonnen. So können schwere und mittelschwere Satelliten, komplexe Teleskope oder Kleinsatelliten transportiert werden. "Was wir jetzt brauchen, sind Aufträge", sagt Godart. Schließlich haben die etwa 600 Zulieferer in 13 Ländern viele Millionen Euro investiert, um ihre Produktion zu modernisieren. Am Bau der Ariane sind allein in Deutschland mehr als 60 Firmen beteiligt. Einer der wichtigsten Zulieferer ist MT Aerospace mit einem Anteil von etwa zehn Prozent, was dem Unternehmen etwa 100 Millionen Euro Umsatz im Jahr beschert. Die OHB-Tochter stellt in Augsburg Komponenten für die Oberstufentanks her. MT Aerospace hat gerade eine weitere Produktionshalle in Augsburg und eine 4000-Quadratmeter-Halle in Bremen gebaut - neben der neuen Halle der Ariane-Group. Auch hier gilt: "Wir brauchen schlankere Prozesse, um mit der gleichen Mannschaft größere Stückzahlen für die Ariane 6 bauen zu können", sagt MT-Aerospace-Chef Hans Steininger. Die Rede ist von 250 Mitarbeitern in der Produktion. "Die Kunst ist, dass der Mitarbeiter, der den letzten Niet an der Ariane 5 setzt, auch weiß, was er am nächsten Tag an der Ariane 6 zu tun hat", sagt er. "Wenn das Hochfahren auf Ariane 6 geordnet läuft, haben wir einen smoothen Übergang." Manche Komponenten gehen von Augsburg direkt in die MT-Halle nach Bremen und werden dort zu einem riesigen Wasserstofftank mit 5,40 Metern Durchmesser verschweißt. Dann geht es dort durch ein Rolltor in die benachbarte Ariane-Halle, in der die Tanks mit den Triebwerken aus Vernon und Ottobrunn verbunden, mit Leitungen versehen und isoliert werden. Die Oberstufe hat eine Länge von etwa 14 Metern. In die 6000-Quadratmeter große Halle, die in zwei Reinräume unterteilt ist, haben Ariane-Group und Esa 40 Millionen Euro investiert. 80 Mitarbeiter können hier zwölf Oberstufen im Jahr bauen, bei drei Schichten sogar 16. "Wir kommen von einer Dockfertigung, wie wir es aus dem Schiffbau kennen, zu einer Serienfertigung", sagt Ariane-Produktionschef Jens Wenke. Seine Mitarbeiter bauen bereits Testkomponenten und die erste Ariane-6-Oberstufe. Es herrscht Betriebsamkeit in der Halle. Auf einer Seite wird gerade ein Integrationsstand für den Triebwerksträger hochgezogen. In der Sprühkabine testen Mitarbeiter ein neues Verfahren, um die Tanks zu isolieren. Früher mussten sie die Schicht mühsam aufkleben, nun geht es schneller per Sprühvorgang. Dies ist einer dieser neuen Arbeitsschritte, die die Produktion beschleunigen. Anderswo helfen neue Schweißverfahren. Wesentlichen Anteil daran hat auch die zunehmende Automatisierung. In einem Video bewegt sich die Oberstufe wie von Geisterhand vom Rolltor zur Laser-Oberflächenreinigung und zu den Arbeitsbühnen, an denen die Komponenten zusammengefügt werden. Die Bühnen öffnen und schließen automatisch und müssen nicht mehr auf- und abgebaut werden. "Wir liefern aus Bremen eine komplett gefertigte Stufe, die Plug-and-Play in Kourou eingesetzt werden kann", sagt Wenke stolz. Kritiker fürchten, dass die Ariane 6 trotzdem schon wieder veraltet ist - auch weil Space-X auf wiederverwendbare Raketenstufen setzt. Doch auch hier will die Ariane-Group aufholen: Die Europäer entwickeln gerade das Triebwerk Prometheus, das mehrmals genutzt werden kann, leichter ist und ein Zehntel der jetzigen Triebwerke kosten soll. Außerdem entwickelt MT Aerospace eine Oberstufe aus leichtem Kohlefaser-Werkstoff. "Ab 2030 wird die Ariane 6 anders aussehen", sagt MT-Chef Steininger. Pierre Godart wartet derweil auf die Esa-Ministerratskonferenz Ende 2019, wo er sich Zugeständnisse für Ariane erhofft. Dies zeigt wiederum: Bei Space-X kann sicher schneller agiert werden. | Die Produktion für die neue Generation der europäischen Trägerrakete hat begonnen - aber noch fehlen die Aufträge. Konkurrenten wie Space-X bieten ihre Flüge derzeit deutlich günstiger an. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/wettbewerb-im-all-mondlandung-fuer-ariane-6-1.4249903 | Wettbewerb im All - Mondlandung für Ariane 6 | 00/12/2018 |
Johannes-Jörg Riegler, Chef der Landesbank Bayern, muss gehen. Das liegt nicht nur daran, dass er zeitweise mehr Gehalt wollte. Vor allem die Sparkassen kamen mit ihm nicht klar. Eigentlich hatte es das Schicksal gut gemeint mit Johannes-Jörg Riegler: Der Chefposten bei der Bayern-LB war eine Art Traumjob für den Unterfranken, als er 2014 von der Nord-LB in Hannover nach München zur zweitgrößten deutschen Landesbank wechselte. Sein Dienstzimmer in der Zentrale in der Brienner Straße schmückt seither eine mannsgroße Flagge des Freistaates; selbst bei Terminen außerhalb Bayerns trägt Riegler, 54, gerne mal Trachtenjanker. Noch im Sommer sagte er auf einem Empfang der Bank, die Arbeit mache ihm "richtige Freude", er habe bei der Bayern-LB "tolle Leute". Und tatsächlich brannte unter dem Risikofachmann nichts an: 2017 zahlte das Institut, das in der Finanzkrise mit zehn Milliarden Euro gerettet werden musste, erstmals seit zehn Jahren eine Dividende an den Freistaat. | Johannes-Jörg Riegler, Chef der Landesbank Bayern, muss gehen. Das liegt nicht nur daran, dass er zeitweise mehr Gehalt wollte. Vor allem die Sparkassen kamen mit ihm nicht klar. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/bayern-lb-riegler-1.4249898 | Landesbank Bayern - Jetzt ist alles geklärt | 00/12/2018 |
Mehrmals im Jahr spielt sich in Bremen ein Spektakel ab: Wenn eine Oberstufe der Ariane-Rakete vom Werk zum Hafen im Nordwesten der Stadt transportiert werden muss, werden nächtens die Straßen gesperrt. Für zehn Kilometer braucht der Schwertransporter Stunden, weil Hindernisse entfernt werden müssen. Dass die Oberstufe zum Startplatz in Französisch-Guayana verschifft wird, hat den Grund, dass sie mit Sprengladungen versehen ist, die bereits in Bremen montiert werden. Ein Flug wäre zu riskant. Dies ist nur ein winziges Detail im Bauplan der Ariane. Der Plan der Raumfahrtagentur Esa resultiert aus den komplizierten Strukturen rund um die Rakete: Beteiligt sind 13 europäische Staaten, vor allem Frankreich mit 50 Prozent, Deutschland (23 Prozent) und Italien (zehn Prozent). Die Mittel fließen als Industrieaufträge in das jeweilige Land zurück. Die Komponenten der Ariane werden deshalb an vielen Standorten gefertigt, etwa in Bremen, Augsburg, Ottobrunn oder in Vernon bei Paris. Hauptauftragnehmer ist die Ariane-Group, eine Tochter von Airbus und Safran. Das klingt perfekt, wenn da nicht der Konkurrent Space-X wäre, dessen Rakete Falcon 9 mit einem Listenpreis von 62 Millionen Dollar deutlich günstiger ist. Das lockt auch europäische Kunden: Auf der Start-Liste von Space-X steht der Name Airbus derzeit gleich dreimal, der Konzern will etwa zwei türkische Kommunikationssatelliten ins All schießen. Weiter unten taucht die Bremer Raumfahrtfirma OHB auf, die für die Bundeswehr einen Spionagesatelliten im Erdorbit platzieren wird. Dies macht deutlich, dass die Ariane-Group ein großes Problem hat. "Wir sind definitiv für Wettbewerb, aber der muss fair sein", sagt Ariane-Deutschland-Chef Pierre Godart. Was er damit meint: In den USA, Russland und China ist es verboten, institutionelle Satelliten mit einem ausländischen Launcher zu starten - in Europa nicht. "Wir öffnen unsere Märkte, die anderen machen sie zu", kritisiert er. "Diese Wettbewerbsverzerrung ist schwierig, um es vorsichtig auszudrücken." Ein Beispiel: Die US-Raumfahrtbehörde Nasa darf die Raumstation ISS nicht mit der Ariane beliefern, die Bundeswehr kann aber eine Falcon 9 nutzen. Was Godart auch aufregt, sind Dumpingpreise: "Dass eine Falcon 9, die an die US-Regierung verkauft wird, 100 Millionen Dollar kostet, und in Europa wird sie für die Hälfte angeboten". "Ich finde es erstaunlich, dass Ariane über Subventionen redet." Ähnlich äußerte sich Godart auch vor wenigen Wochen beim Raumfahrtkongress IAC in Bremen. Auf derselben Bühne stand wenig später der deutsche Raumfahrtingenieur Hans Koenigsmann, einer der Top-Manager von Space-X. Vorwürfe wie die von Godart ärgern ihn. "Das stimmt einfach nicht. Aber so etwas kommt heraus, wenn die technischen Argumente ausgehen", sagte er der Süddeutschen Zeitung. Aufträge der Regierung hätten eben bestimmte Erfordernisse. "Das ist Arbeit, die wir machen, das ist keine Subvention", sagt Koenigsmann. "Ich finde es erstaunlich, dass Ariane über Subventionen redet. Wenn eine Firma immer dominant ist, dann wird sie irgendwann schlechter" - ein Seitenhieb auf die Ariane, die lange den Markt dominierte. Esa-Chef Jan Wörner ärgert sich wiederum, wenn Firmen wie Airbus und OHB bei Space-X starten lassen. Die Beteiligten verweisen allerdings jeweils auf den anderen. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums zitiert aus einer Stellungnahme des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine FDP-Bundestagsanfrage vom Juli: Satellitenstarts seien "Bestandteil der Gesamtleistung, die vom jeweiligen Auftragnehmer erbracht werden muss", heißt es da. "Aus Sicht des Auftraggebers ist dies derzeit der wirtschaftlichste und risikoärmste Weg." Demnach wären die Hersteller für die Wahl des Startanbieters verantwortlich. "Wir starten Satelliten auch mit Space-X, wenn der Kunde es wünscht", sagt hingegen OHB-Chef Marco Fuchs - ähnlich argumentiert Airbus. Letztlich sind wohl die Kosten entscheidend. Bremens Wirtschaftssenator Martin Günthner (SPD), der 2019 den Vorsitz der Wirtschaftsministerkonferenz übernimmt, versteht es nicht: "Es ist absurd, dass mit dem Geld europäischer Steuerzahler gebaute Satelliten zur Quersubventionierung amerikanischer Raketen dienen." Er hat natürlich Interesse am Erfolg der Ariane, von der in Bremen viele Arbeitsplätze abhängen. Raumfahrt sei "unverzichtbar", sagt er. "Deshalb ist es wichtig, dass wir für faire Wettbewerbsbedingungen sorgen." Ein "Buy-European-Act" werde das Problem nicht allein lösen. Nötig sei "eine umfassende Strategie". | 13 europäische Staaten sind an dem Projekt beteiligt, das macht Entscheidungen manchmal schwierig. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ariane-komplizierte-strukturen-1.4249907 | Komplizierte Strukturen | 00/12/2018 |
Die meisten Deutschen hängen der irrigen Meinung an, der einzige Auftrag der Europäischen Zentralbank sei es, für stabile Preise zu sorgen - und für sonst nichts. Und die EZB dürfe nur die Zinsen anheben oder senken - und sonst nichts tun. Auch viele Ökonomen und Journalisten vertreten diese Auffassung, und sie wird nicht dadurch richtiger, dass sie ständig wiederholt wird. Tatsächlich ist das Mandat der EZB sehr viel weiter gefasst. Der Europäische Gerichtshof hat das an diesem Dienstag wieder einmal deutlich gemacht und damit zum zweiten Mal all jenen Kritikern eine Abfuhr erteilt, denen die gesamte Richtung der EZB nicht passt. Diese Kritiker stören sich daran, dass die Währungshüter in großem Stil Staatsanleihen aufkaufen, um die Wirtschaft in Europa anzukurbeln; sie erheben den Vorwurf, dass die EZB damit klammen Euro-Staaten eine monetäre Finanzierung ihrer Haushalte ermögliche, und das sei verboten. Diese Vorwürfe verfangen in Deutschland besonders gut, selbst das Bundesverfassungsgericht zeigte vor fast fünf Jahren eine gewisse Sympathie für die Argumentation jener Kläger, die damals gegen die EZB zu Felde zogen, unter ihnen der Münchner Anwalt und CSU-Politiker Peter Gauweiler. Karlsruhe wandte sich damals an den Europäischen Gerichtshof, in der Hoffnung, die Luxemburger Richter würden ihrer Vorlage folgen - doch diese taten das nicht und wiesen die Vorlage der Verfassungsrichter brüsk zurück. Und auch jetzt, nachdem Gauweiler gemeinsam mit dem AfD-Gründer Bernd Lucke, dem Ökonomen Joachim Starbatty und Unternehmern wie Heinrich Weiss, Patrick Adenauer und Jürgen Heraeus erneut vor das Bundesverfassungsgericht gezogen ist, wiesen die EuGH-Richter die Bedenken der Kläger zurück. Die EZB ist nicht nur für stabile Preise zuständig, sondern auch für ein stabiles Finanzsystem Der Europäische Gerichtshof tat das aus gutem Grund. Denn wenn man die entsprechenden Passagen im EU-Vertrag liest, erkennt man schnell, dass die EZB eben nicht bloß für stabile Preise zu sorgen hat. Zum Beispiel soll die Notenbank - sofern die Stabilität der Preise dadurch nicht gefährdet ist - auch die allgemeine Wirtschaftspolitik der EU unterstützen. Ihr obliegt zudem das "reibungslose Funktionieren der Zahlungssysteme" und die "Stabilität des Finanzsystems". Sie muss also eingreifen, wenn an den Finanzmärkten ein Kollaps droht - so geschehen in der Bankenkrise 2008; und so geschehen nach 2012, als Europas Wirtschaft in eine schwere Rezession stürzte und die Währungsunion zu zerbrechen drohte. In einer dramatischen Krise reicht es nicht aus, bloß die Leitzinsen zu senken, also die Zinsen für kurzfristige Kredite. Wenn nichts mehr hilft, muss eine Notenbank auch zu anderen Maßnahmen greifen - etwa zum Aufkauf von Staatsanleihen, um so auch die langfristigen Zinsen zu drücken. Solche sogenannten Offenmarktgeschäfte sind der EZB laut ihrem Statut - entgegen der landläufigen Meinung - erlaubt, sie sind ein durchaus gängiges Instrument der Geldpolitik, solange die Notenbank gewisse Regeln einhält. Das war Mario Draghi, dem Präsidenten der EZB, von Anfang an bewusst. Schon 2012, als er ankündigte, die Notenbank werde alles tun, was nötig ist, um den Euro zu retten ("whatever it takes"), fügte er einen wichtigen Halbsatz hinzu, der bis heute so gut wie nie zitiert wird: Die EZB werde sich dabei innerhalb ihres Mandats bewegen ("within its mandate"). Deshalb kauft die EZB bis heute nicht nach Lust und Laune Staatsanleihen, sondern setzte sich bewusst Grenzen. Sie erwirbt nicht mehr als 33 Prozent aller ausstehenden Anleihen eines Euro-Staats, und sie kauft diese auch nicht beim Finanzminister, sondern - nach Ablauf einer Sperrfrist - von privaten Investoren. Natürlich profitieren die Euro-Staaten davon, dass die EZB auf diese Weise die langfristigen Zinsen senkt, Kredite werden billiger, Schulden lassen sich leichter bedienen. Aber einen ähnlichen Effekt hat es auch, wenn die EZB sich auf ihre klassischen Instrumente beschränken würde: Senkt sie den Leitzins, verändert sich ebenfalls das Zinsgefüge an den Märkten - und davon profitieren nicht bloß Firmen und Verbraucher, die sich leichter Geld leihen und mehr leisten können, sondern es nützt auch den Finanzministern, die günstiger Schulden aufnehmen können. All das beeinflusst die Wirtschaft insgesamt. Das bedeutet: Egal was die Notenbank tut - es lässt sich nie eine messerscharfe Trennlinie zwischen ihrer Geld- und der allgemeinen Wirtschaftspolitik ziehen. Mithin läuft der Vorwurf, die EZB betreibe entgegen ihres angeblichen Mandats auch Wirtschaftspolitik, ins Leere; tatsächlich ist genau dies Teil ihres Mandats. | Europas höchstes Gericht stützt die Geldpolitik der EZB. Zu Recht. Die Notenbank ist für stabile Preise zuständig, aber auch für ein stabiles Finanzsystem. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/kommentar-richtige-geldpolitik-1.4249900 | Kommentar - Richtige Geldpolitik | 00/12/2018 |
Die Aktionäre kommen gerade erst in den Saal an diesem Vormittag, aber Aldo Belloni, 68, sitzt schon auf seinem Platz, oben auf der Bühne im Internationalen Congress-Centrum in München. Er schaut in den Saal, wirkt konzentriert und trägt, wie immer, einen dunklen Anzug mit Weste. Es ist der letzte große Auftritt des gebürtigen Mailänders, der vor zwei Jahren aus seinem Ruhestand zurück zu Linde geholt worden war. Seit zwei Jahren ist Belloni nun Vorstandsvorsitzender des Münchner Gase-Unternehmens. Es war eine bewegte Zeit. | Oberaufseher Reitzle und Konzernchef Belloni hören sich alles an: Die Aktionäre kritisieren auf ihren letzten Hauptversammlung der alten Linde AG die Fusion mit dem Konkurrenten Praxair. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/linde-hauptversammlung-1.4249911 | Linde - Abschied vor spärlich gefüllten Reihen | 00/12/2018 |
Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) hat am Mittwochmorgen die Tarifverhandlungen mit der Deutschen Bahn (DB) für gescheitert erklärt - worauf sie am Nachmittag weitergehen sollten. Beides war nicht überraschend. GDL-Chef Claus Weselsky sagte nach Gesprächen mit der DB in Eisenach, mit dem vorliegenden Angebot "werden wir uns nicht abfertigen lassen". Es bestand aus einer Tariferhöhung in zwei Stufen: um 2,5 Prozent für 2019, um weitere 2,6 Prozent für 2020, bei 29 Monaten Laufzeit, plus einer Einmalzahlung von 500 Euro. Indes konnte die Bahn in Eisenach noch kein höheres Angebot vorlegen - und Weselsky das bisherige nicht annehmen. Es war identisch mit dem, was die DB vor einigen Tagen der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) vorgelegt hatte, mit der sie getrennt verhandelt. Nachdem die EVG es zurückwies und am Montag streiken ließ, war klar, dass die Bahn bei ihr nachbessern müsste - und damit auch bei der GDL, die ja nicht schlechter gestellt werden will. Ein neues Angebot kündigte die Bahn am Mittwochmittag mit der Zeitangabe "im Laufe des Tages" an. Bis Redaktionsschluss wurde jedoch nichts bekannt. Grob gesagt, vertritt die EVG das stationäre und die GDL das fahrende Personal. Um einige Gruppen - die 36 000 der 160 000 DB-Mitarbeiter umfassen - rivalisieren die Gewerkschaften: Lokführer, Zugbegleiter, Bordgastronomen, Lokrangierführer, Disponenten. Auch die Bahn will zeit- und inhaltsgleiche Regelungen für sie - um zu verhindern, dass unterschiedliche Regeln gelten, je nachdem, wo jemand Mitglied ist. | Die Gewerkschaft fordert 2,5 Prozent mehr Lohn für 2019 und 2,6 Prozent für 2020. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/lokomotivfuehrer-tarifrunde-vorerst-gescheitert-1.4249966 | Tarifrunde vorerst gescheitert | 00/12/2018 |
Wird das reichen, um die Fusion zu Europas größtem Zughersteller noch zu retten? Seit Monaten schon arbeiten Siemens und Alstom an dem Milliarden-Zusammenschluss, die EU-Kommission jedoch hat bereits angekündigt, dass sie große Bedenken hat, weil dadurch der Wettbewerb in Europa beeinträchtigt werden kann. Nun haben die beiden Unternehmen klargemacht, das sie im Ringen um das Projekt nicht zu allzu großen Zugeständnissen bereit sind. Sie bieten an, vor allem Aktivitäten im Bereich Signaltechnik abzugeben. Insgesamt entspricht das aber lediglich rund vier Prozent des Umsatzes des künftigen Unternehmens. | Siemens und Alstom machen der EU kaum Zugeständnisse, um eine beherrschende Marktstellung zu verhindern. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/siemens-alstom-eu-1.4249919 | Züge - Probleme für den Schienen-Airbus | 00/12/2018 |
Es gelingt Olaf Scholz nicht oft, Abgeordnete des Bundestages so zu überzeugen wie an diesem Mittwoch. Der Bundesfinanzminister saß zum zweiten Mal in seiner Amtszeit im Finanzausschuss des Bundestags. Zum ersten Mal erlebten die Abgeordneten, dass ein Minister sich zu Cum-Ex-Geschäften äußerte - und noch dazu Maßnahmen dagegen ankündigte. Scholz habe frei gesprochen, präzise und sachkundig, hieß es. "Wenn Wolfgang Schäuble das schon gemacht hätte, was Scholz in Angriff nimmt, wären wir deutlich weiter. Wahrscheinlich hätte es uns als Steuerzahler viel Geld gespart", sagte Gerhard Schick, Finanzexperte der Grünen. In der Sitzung des Ausschusses fiel auch der Name einer Bank, die ohnehin ziemlichen Ärger mit der Strafjustiz hat. Nach Recherchen von WDR und Süddeutscher Zeitung untersucht die Staatsanwaltschaft Köln die Rolle der Deutschen Bank im Zusammenhang mit möglicherweise illegalen Aktiendeals. Im Rahmen eines seit 2017 laufenden Ermittlungsverfahrens wegen Cum-Ex-Geschäften prüfen die Strafverfolger offenbar auch, ob das Geldinstitut im Handel mit sogenannten Phantom-Aktien dazu beigetragen haben könnte, die Staatskasse zu plündern. Banken und Börsenhändler, so der Verdacht, sollen Phantom-Aktien in den USA benutzt haben, um in Deutschland möglicherweise unrechtmäßige Steuererstattungen zu kassieren. Die lange Zeit unentdeckte Masche wurde erst vor drei Wochen bekannt; als neue Variante im Cum-Ex-Skandal. Beim An- und Verkauf von Aktien rund um den Dividendenstichtag haben Banken, Börsenhändler und deren Kompagnons diverse Staaten um insgesamt Dutzende Milliarden Euro erleichtert. Die Beteiligten hatten sich eine nur einmal auf Dividenden gezahlte Steuer mehrmals erstatten lassen. Die Staatsanwaltschaft Köln und andere Ermittlungsbehörden betrachten das als kriminell. Eines der vielen Verfahren in Köln richtet sich seit dem vergangenen Jahr gegen zwei frühere Beschäftigte der Deutschen Bank in London. Diese Ermittlungen betreffen jene Cum-Ex-Geschäfte, denen die damalige Bundesregierung 2012 eigentlich einen Riegel vorgeschoben hatte. Doch ging der mutmaßliche Steuerdiebstahl offenbar weiter. Die Kölner Strafverfolger stießen auf weitere Geschäfte, mit denen mehrere Staaten auch nach 2012 erleichtert worden sein sollen. Dem Vernehmen nach hat die Staatsanwaltschaft die Deutsche Bank nun auch wegen dieser neuen Variante im Fokus. Offen ist, ob es sich im Rahmen der laufenden Ermittlungen bereits um ein formelles Verfahren oder um eine Untersuchung handelt. Die erst kürzlich bekannt gewordene Masche mit Phantom-Aktien gilt als noch perfider als Cum-Ex. Offenbar ging es darum, sich Kapitalertragsteuern auf Dividenden erstatten zu lassen, die nie gezahlt worden waren. Ein Fachmann, der einst an Cum-Ex-Geschäften beteiligt war, nennt das die "Weiterentwicklung der Teufelsmaschine Cum-Ex". Sie betrifft American Depositary Receipts, kurz ADRs. Das sind Papiere, die Banken in den USA als Ersatz für echte Aktien begeben und es Investoren erleichtern, Aktien ausländischer Firmen in Dollar zu handeln. ADRs müssen mit echten Aktien bei einer Depotbank hinterlegt werden. Die Dividenden stehen den Besitzern der US-Papiere zu. Weil es bei großen internationalen Geschäften oftmals Tage dauert, bis beispielsweise Aktien aus Europa in den USA vorliegen, gibt es die ADRs auch als vorläufige Papiere. Das war ein Einfallstor für Missbrauch. Die US-Börsenaufsicht fand heraus, dass Geldinstitute - darunter die Deutsche Bank - millionenfach solche Vorab-ADRs ausstellten, ohne später tatsächlich echte Aktien vorzuhalten. Mit diesen Phantom-Aktien sollen Finanzämter in Deutschland und anderswo getäuscht worden sein. Die Deutsche Bank sagte auf Anfrage zu dem seit 2017 laufenden Verfahren auch hinsichtlich der neuen Variante: "Natürlich kooperieren wir mit den Behörden und haben auch zu dem Thema schon Auskunftsersuchen beantwortet." Im Rahmen der laufenden Cum-Ex-Ermittlungen stelle man "sämtliche angefragten Informationen zur Verfügung und unterstützt die Behörden soweit möglich und zulässig bei der Aufarbeitung des Sachverhalts". Da es sich um riesige Datenmengen handelt, dauert die Auswertung durch die Ermittlungsbehörden immer noch an. Dem Finanzamt Frankfurt hat der Konzern laut Finanzkreisen zweifelhafte Geschäfte mit Phantom-Aktien freiwillig gemeldet und angeboten, einen etwaigen Schaden für den Fiskus zu begleichen. Die Financial Times berichtete, einer internen Prüfung zufolge seien etwa fünf Prozent der Transaktionen mit Vorab-ADRs in den Jahren 2010 bis 2015 anfällig für Missbrauch mit Blick auf die deutsche Kapitalertragsteuer gewesen. Im Juli hatte die Bank nach einem Vergleich mit der US-Börsenaufsicht 75 Millionen Dollar wegen unsauberer Handhabung von ADR-Papieren gezahlt. Im Jahr 2016 hatte sie das Geschäft mit Vorab-ADRs nach eigenen Angaben ganz eingestellt. Finanzminister Scholz (SPD) hat zügig reagiert und die Finanzaufsicht Bafin beauftragt, sich umfänglich mit den Vorwürfen zu beschäftigen. Eine Abfrage bei den Depotbanken läuft, um zu ermitteln, wie viel an Erstattungen geflossen ist. Die Bafin und das Bundeszentralamt für Steuern haben eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Der Informationsfluss soll so organisiert werden, dass alle Behörden und Institutionen angewiesen werden, ihre Erkenntnisse einzuspeisen. Scholz lässt eine zusätzliche Meldepflicht prüfen, um zu sehen, welche Erstattungen und Zahlungen pro Aktie geflossen sind. Ziel ist es, die Geschäfte, die eigentlich jetzt schon nicht mehr möglich waren, aber doch stattgefunden haben, tatsächlich zu unterbinden. Bereits Ende November hatte Scholz bei einer Veranstaltung dazu aufgerufen, alle verdächtigen Fälle dem Bundesfinanzministerium zu melden. Er werde jedem neuen Verdacht nachgehen, hatte der Minister angekündigt. | Die Staatsanwaltschaft fragt sich: Welche Rolle spielte die Bank im Handel mit Phantom-Aktien? Die Masche ähnelt Cum-Ex, gilt aber als noch perfider. | wirtschaft | https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/finanzindustrie-neuer-aerger-fuer-die-deutsche-bank-1.4249890 | Neuer Ärger für die Deutsche Bank | 00/12/2018 |