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wackenroder_herzensergiessungen_1797
890
Als der Vater ihn wieder hatte, wollte er ihn zwingen, ſich fleißig an die Studia zu halten; allein das war alles verlorene Mühe.
Als der Vater ihn wiederhatte, wollte er ihn zwingen, sich fleißig an die Studia zu halten; allein das war alles verlorene Mühe.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
891
Im vierzehnten Jahre lief er zum zweytenmal fort nach Italien; aber ſein Unſtern wollte, daß er in Turin auf der Straße ſeinem ältern Bruder begegnen mußte, der ihn von neuem zu dem Vater zurückſchleppte.
Im vierzehnten Jahre lief er zum zweiten Mal fort nach Italien; aber sein Unstern wollte, dass er in Turin auf der Straße seinem älteren Bruder begegnen musste, der ihn von neuem zu dem Vater zurückschleppte.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
892
Endlich ſah dieſer ein, daß kein Mittel half, und gab ihm nun von freyen Stücken die Erlaubniß, zum drittenmal nach Italien zu gehn, wo er ſich denn auch zu einem wackern Künſtler bildete.
Endlich sah dieser ein, dass kein Mittel half, und gab ihm nun von freien Stücken die Erlaubnis, zum dritten Male nach Italien zu gehen, wo er sich denn auch zu einem wackeren Künstler bildete.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
893
Bey allen ſeinen jugendlichen Streifereyen war er immer ohne Gefahr geblieben, und hatte ſeine ganze Unſchuld der Seele behalten; denn er mußte unter beſonderer Obhut des Himmels ſtehen.
Bei allen seinen jugendlichen Streifereien war er immer ohne Gefahr geblieben, und hatte seine ganze Unschuld der Seele behalten; denn er musste unter besonderer Obhut des Himmels stehen.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
894
Noch iſt merkwürdig von ihm, daß er als Knabe immer um zweyerley zu Gott betete, nämlich: daß er, er werde was er wolle, ſich in ſeinem Thun vor allen andern auszeichnen möchte; — und dann, daß er nicht über drey und vierzig Jahre alt würde.
Noch ist merkwürdig von ihm, dass er als Knabe immer um zweierlei zu Gott betete, nämlich: dass er, er werde was er wolle, sich in seinem Tun vor allen anderen auszeichnen möchte; — und dann, dass er nicht über dreiundvierzig Jahre alt würde.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
895
Und was wunderbar iſt, ſo ſtarb er wirklich im drey und vierzigſten Jahre.
Und was wunderbar ist, so starb er wirklich im dreiundvierzigsten Jahre.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
896
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wackenroder_herzensergiessungen_1797
897
Der alte Pater hatte dieſe Geſchichten mit vielem Antheil erzählt.
Der alte Pater hatte diese Geschichten mit vielem Anteil erzählt.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
898
Dann ging er ſinnend auf und nieder, und ich ſah ihm an, daß er in angenehmen Träumen unter dem Haufen der alten Mahler umherirrte.
Dann ging er sinnend auf und nieder, und ich sah ihm an, dass er inangenehmen Träumen unter dem Haufen der alten Maler umherirrte.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
899
Ich ließ ihn gern in ſeinen Betrachtungen, und freute mich, daß er ſich noch auf mehr Sachen beſinnen würde, denn die Erinnerungen ſchienen ihm immer lebendiger zu werden.
Ich ließ ihn gern in seinen Betrachtungen, und freute mich, dass er sich noch auf mehr Sachen besinnen würde, denn die Erinnerungen schienen ihm immer lebendiger zu werden.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
900
Und wirklich fing er nach einer kleinen Weile wieder alſo an: »Da kommen mir noch ein paar ſchöne Anekdoten ins Gedächtniß, die, auf zwiefache verſchiedene Weiſe, bezeugen, was für eine mächtige Gottheit die Kunſt für den Künſtler iſt, und mit welcher Gewalt ſie ihn beherrſcht.
Und wirklich fing er nach einer kleinen Weile wieder also an: »Da kommen mir noch ein paar schöne Anekdoten ins Gedächtnis, die, auf zwiefache verschiedene Weise, bezeugen, was für eine mächtige Gottheit die Kunst für den Künstler ist, und mit welcher Gewalt sie ihn beherrscht.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
901
— Es war einmal ein alter Florentiniſcher Mahler, mit Namen Mariotto Albertinelli, ein eifriger Künſtler, aber ein gar unruhiger und ſinnlicher Menſch.
— Es war einmal ein alter Florentinischer Maler, mit Namen Mariotto Albertinelli, ein eifriger Künstler, aber ein gar unruhiger und sinnlicher Mensch.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
902
Er ward des unſichern und mühſeligen Studiums an den mechaniſchen Theilen der Kunſt, und der häßlichen Feindſchaften und Verfolgungen der Nebenkünſtler endlich ganz überdrüßig, und weil er gern gut leben mochte, ſo entſchloß er ſich ein luſtigeres Gewerbe zu ergreifen, und legte ein Gaſthaus an.
Er wurde des unsicheren und mühseligen Studiums an den mechanischen Teilen der Kunst, und der hässlichen Feindschaften und Verfolgungen der Nebenkünstler endlich ganz überdrüssig, und weil er gern gut leben mochte, so entschloss er sich ein lustigeres Gewerbe zu ergreifen, und legte ein Gasthaus an.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
903
Herzlich vergnügt war er, wie die Sache im Gange war, und ſagte öfters zu ſeinen Freunden: »Seht!
Herzlich vergnügt war er, wie die Sache im Gange war, und sagte öfters zu seinen Freunden: »Seht!
wackenroder_herzensergiessungen_1797
904
das iſt ein beſſer Handwerk!
das ist ein besser Handwerk!
wackenroder_herzensergiessungen_1797
905
Nun quäl' ich mich nicht mehr um die Muſkeln gemahlter Menſchen, ſondern ſpeiſe und ſtärke lebendige, und, was das beſte iſt, bin vor dem abſcheulichen Anfeinden und Verläumden ſicher, ſo lang' ich nur guten Wein im Faſſe habe.
Nun quäle ich mich nicht mehr um die Muskeln gemalter Menschen, sondern speise und stärke lebendige, und, was das Beste ist, bin vor dem abscheulichen Anfeinden und Verleumden sicher, solange ich nur guten Wein im Fasse habe.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
906
« — Aber was geſchah?
« — Aber was geschah?
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907
Wie er eine Zeitlang dies Leben geführt halte, ſtellte ſich ihm die göttliche Erhabenheit der Kunſt auf einmal wieder ſo lebhaft vor Augen, daß er plötzlich ſein Gaſthaus aufgab, und eifrig, als ein Bekehrter, ſich der Kunſt von neuem in die Arme warf.
Wie er eine Zeitlang dies Leben geführt hatte, stellte sich ihm die göttliche Erhabenheit der Kunst auf einmal wieder so lebhaft vor Augen, dass er plötzlich sein Gasthaus aufgab, und eifrig, als ein Bekehrter, sich der Kunst von neuem in die Arme warf.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
908
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« —
wackenroder_herzensergiessungen_1797
909
Die andre Geſchichte iſt dieſe.
Die andere Geschichte ist diese.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
910
Der wohlbekannte und berühmte Parmeggiano mahlte als ein junger Mann in Rom ſehr vortreffliche Sachen für den Pabſt, und zwar grade zu der Zeit, als der deutſche Kaiſer Karl der Fünfte die Stadt belagerte.
Der wohlbekannte und berühmte Parmeggiano malte als ein junger Mann in Rom sehr vortreffliche Sachen für den Papst, und zwar gerade zu der Zeit, als der deutsche Kaiser Karl der Fünfte die Stadt belagerte.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
911
Deſſen Truppen nun brachen in die Thore ein, und plünderten alle Häuſer, der Großen wie der Geringen.
Dessen Truppen nun brachen in die Tore ein, und plünderten alle Häuser, der Großen wie der Geringen.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
912
Parmeggiano aber achtete auf nichts weniger als auf den Kriegslärm und Tumult, und blieb ruhig bey ſeiner Arbeit.
Parmeggiano aber achtete auf nichts weniger als auf den Kriegslärm und Tumult, und blieb ruhig bei seiner Arbeit.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
913
Auf einmal brechen etliche Kriegsmänner ins Gemach herein, und ſiehe!
Auf einmal brechen etliche Kriegsmänner ins Gemach herein, und siehe!
wackenroder_herzensergiessungen_1797
914
er bleibt immer noch feſt und ämſig an ſeiner Stafeley.
er bleibt immer noch fest und emsig an seiner Staffelei.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
915
Da erſtaunten dieſe wilden Menſchen, die ſelbſt Tempel und Altar nicht geſchont hatten, über den großen Geiſt des Mannes ſo ſehr, daß ſie ihn, als wär' er ein Heiliger, nicht anzurühren wagten, und ihn ſogar gegen die Wuth anderer beſchützten.
Da erstaunten diese wilden Menschen, die selbst Tempel und Altar nicht geschont hatten, über den großen Geist des Mannes so sehr, dass sie ihn, als wäre er ein Heiliger, nicht anzurühren wagten, und ihn sogar gegen die Wut anderer beschützten.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
916
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917
»Wie wunderbar iſt das alles,« rief ich; »aber nun bitt' ich euch noch um ein einziges,« fuhr ich zu dem lieben fremden Manne fort, — »ſagt mir, ob es wahr iſt, was ich einſt hörte, daß die älteſten Mahler von Italien ſo gottesfürchtige Männer geweſen ſind, und die heiligen Geſchichten immer mit rechter Gottesfurcht gemahlt haben?
»Wie wunderbar ist das alles,« rief ich; »aber nun bitte ich Euch noch um ein einziges,« fuhr ich zu dem lieben fremden Manne fort, — »sagt mir, ob es wahr ist, was ich einst hörte, dass die ältesten Maler von Italien so gottesfürchtige Männer gewesen sind, und die heiligen Geschichten immer mit rechter Gottesfurcht gemalt haben?
wackenroder_herzensergiessungen_1797
918
Mehrere Leute, die ich darum befragte, lachten mich aus, und ſagten, das ſey eitel Einbildung und ein artig-erfundenes Mährchen.
Mehrere Leute, die ich darum befragte, lachten mich aus, und sagten, das sei eitel Einbildung und ein erfundenes Märchen.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
919
«
«
wackenroder_herzensergiessungen_1797
920
»Nein, mein Sohn,« verſetzte der liebe Mann zu meinem Troſt, »das iſt keine poetiſche Erfindung, ſondern, wie ich Dir aus den alten Büchern bezeugen kann, die lautere Wahrheit.
»Nein, mein Sohn,« versetzte der liebe Mann zu meinem Trost, »das ist keine poetische Erfindung, sondern, wie ich Dir aus den alten Büchern bezeugen kann, die lautere Wahrheit.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
921
Dieſe ehrwürdigen Männer, von denen mehrere ſelbſt Geiſtliche und Kloſterbrüder waren, widmeten die von Gott empfangene Geſchicklichkeit ihrer Hand auch bloß göttlichen und heiligen Geſchichten, und brachten ſo einen ernſthaften und heiligen Geiſt, und ſo eine demüthige Einfalt in ihre Werke, wie es ſich zu geweiheten Gegenſtänden ſchickt.
Diese ehrwürdigen Männer, von denen mehrere selbst Geistliche und Klosterbrüder waren, widmeten die von Gott empfangene Geschicklichkeit ihrer Hand auch bloß göttlichen und heiligen Geschichten, und brachten so einen ernsthaften und heiligen Geist, und so eine demütige Einfalt in ihre Werke, wie es sich zu geweihten Gegenständen schickt.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
922
Sie machten die Mahlerkunſt zur treuen Dienerinn der Religion, und wußten nichts von dem eitlen Farbenprunk der heutigen Künſtler: ihre Bilder, in Kapellen und an Altären, gaben dem, der davor kniete und betete, die heiligſten Geſinnungen ein.
Sie machten die Malerkunst zur treuen Dienerin der Religion, und wussten nichts von dem eitlen Farbenprunk der heutigen Künstler: ihre Bilder, in Kapellen und an Altären, gaben dem, der davor kniete und betete, die heiligsten Gesinnungen ein.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
923
Einer der alten Männer, Lippo Dalmaſio, war wegen ſeiner herrlichen Madonnen berühmt, wovon Pabſt Gregorius der Dreyzehnte eine vorzügliche in ſeinem Gemache zur Privatandacht bey ſich hatte.
Einer der alten Männer, Lippo Dalmasio, war wegen seiner herrlichen Madonnen berühmt, wovon Papst Gregorius der Dreizehnte eine vorzügliche in seinem Gemache zur Privatandacht bei sich hatte.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
924
Ein andrer, Fra Giovanni AngeIico da Fieſole, Mahler und Dominikanermönch zu Florenz, war wegen ſeines ſtrengen und gottesfürchtigen Lebens beſonders berühmt.
Ein anderer, Fra Giovanni AngeIico da Fiesole, Maler und Dominikanermönch zu Florenz, war wegen seines strengen und gottesfürchtigen Lebens besonders berühmt.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
925
Er kümmerte ſich gar nicht um die Welt, ſchlug ſogar die Würde eines Erzbiſchoffs aus, die der Pabſt ihm antrug, und lebte immer ſtill, ruhig, demüthig und einſam.
Er kümmerte sich gar nicht um die Welt, schlug sogar die Würde eines Erzbischofs aus, die der Papst ihm antrug, und lebte immer still, ruhig, demütig und einsam.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
926
Jedesmal, bevor er zu mahlen anfing, pflegte er zu beten; dann ging er ans Werk, und führte es aus, wie der Himmel es ihm eingegeben hatte, ohne weiter darüber zu klügeln und zu kritiſiren.
Jedesmal, bevor er zu malen anfing, pflegte er zu beten; dann ging er ans Werk, und führte es aus, wie der Himmel es ihm eingegeben hatte, ohne weiter darüber zu klügeln und zu kritisieren.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
927
Das Mahlen war ihm eine heilige Bußübung; und manchmal, wenn er Chriſti Leiden am Krruz mahlte, ſah man während der Arbeit große Thränen über ſein Geſicht fließen.
Das Malen war ihm eine heilige Bußeübung; und manchmal, wenn er Christi Leiden am Kreuz malte, sah man während der Arbeit große Tränen über sein Gesicht fließen.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
928
— Das Alles iſt nicht ein ſchönes Mährchen, ſondern die reine Wahrheit.
— Das alles ist nicht ein schönes Märchen, sondern die reine Wahrheit.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
929
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wackenroder_herzensergiessungen_1797
930
Den Beſchluß machte der Pater mit einer recht ſeltſamen Geſchichte, welche ebenfalls in jene alte Periode der religiöſen Mahlerkunſt fällt.
Den Beschluss machte der Pater mit einer recht seltsamen Geschichte, welche ebenfalls in jene alte Periode der religiösen Malerkunst fällt.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
931
»Einer der frühſten Mahler,« erzählte er, »welcher uns Spinello genannt wird, mahlte in ſeinem Alter für die Kirche S. Agnolo zu Arezzo ein ſehr großes Altarblatt, worauf er den Lucifer und den Sturz der böſen Engel vorſtellte: in der Luft den Engel Michael, wie er mit dem ſiebenköpfigen Drachen kämpft, und unten den Lucifer in der Geſtalt des ſcheußlichſten Ungeheuers.
»Einer der frühsten Maler,« erzählte er, »welcher uns Spinello genannt wird, malte in seinem Alter für die Kirche S. Agnolo zu Arezzo ein sehr großes Altarblatt, worauf er den Luzifer und den Sturz der bösen Engel vorstellte: in der Luft den Engel Michael, wie er mit dem siebenköpfigen Drachen kämpft, und unten den Luzifer in der Gestalt des scheußlichsten Ungeheuers.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
932
Von dieſer gräulichen Teufelsgeſtalt war nun ſein Kopf ſo eingenommen, daß, wie erzählt wird, der böſe Geiſt ihm grade ſo geſtaltet im Traume erſchien, und ihn fürchterlich fragte: warum er ihn in dieſer ſchändlichen, beſtialiſchen Bildung vorgeſtellt, und an welchem Ort er ihn in dieſer Unform geſehn habe?
Von dieser gräulichen Teufelsgestalt war nun sein Kopf so eingenommen, dass, wie erzählt wird, der böse Geist ihm geradeso gestaltet im Traume erschien, und ihn fürchterlich fragte: warum er ihn in dieser schändlichen, bestialischen Bildung vorgestellt, und an welchem Ort er ihn in dieser Unform gesehen habe?
wackenroder_herzensergiessungen_1797
933
Der Mahler erwachte aus dem Traum an allen Gliedern zitternd, — er wollte um Hülfe rufen, und konnte vor Schrecken keinen Laut hervorbringen.
Der Maler erwachte aus dem Traum an allen Gliedern zitternd, — er wollte um Hilfe rufen, und konnte vor Schrecken keinen Laut hervorbringen.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
934
Von der Zeit an war er immer halb von ſich, und behielt einen ſtieren Blick; auch ſtarb er nicht lange darauf.
Von der Zeit an war er immer halb von sich, und behielt einen stieren Blick; auch starb er nicht lange darauf.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
935
Das wunderbare Gemählde aber iſt noch heutiges Tages an ſeiner alten Stelle zu ſehen.
Das wunderbare Gemälde aber ist noch heutigestages an seiner alten Stelle zu sehen.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
936
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wackenroder_herzensergiessungen_1797
937
Der fremde Pater ging bald darauf fort, und reiſte weiter, ohne daß ich einmal Abſchied von ihm nehmen konnte.
Der fremde Pater ging bald darauf fort, und reiste weiter, ohne dass ich einmal Abschied von ihm nehmen konnte.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
938
Mir war wie im Traum, als ich alle die ſchönen Hiſtorien gehört hatte; — ich war in eine ganz neue, wunderbare Welt eingeführt.
Mir war wie im Traum, als ich alle die schönen Historien gehört hatte; — ich war in eine ganz neue, wunderbare Welt eingeführt.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
939
Begierig fragte ich überall nach, um alle die Bücher von Lebensgeſchichten der Mahler, beſonders auch das Werk des Giorgio Vaſari zu bekommen; ich las ſie mit Liebe und Eifer, und ſiehe!
Begierig fragte ich überall nach, um alle die Bücher von Lebensgeschichten der Maler, besonders auch das Werk des Giorgio Vasari zu bekommen; ich las sie mit Liebe und Eifer, und siehe!
wackenroder_herzensergiessungen_1797
940
ich fand in dieſen Büchern alle die Hiſtorien aufgezeichnet, die der fremde Pater erzählt hatte.
ich fand in diesen Büchern alle die Historien aufgezeichnet, die der fremde Pater erzählt hatte.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
941
Dieſer mir unvergeßliche Mann iſt es geweſen, der mich auf das Studium der Künſtlergeſchichte geleitet hat, welches dem Verſtande, dem Herzen und der Phantaſie ſo viel Nahrung giebt, und ich habe ihm darum gar viele glückliche Stunden zu verdanken.
Dieser mir unvergessliche Mann ist es gewesen, der mich auf das Studium der Künstlergeschichte geleitet hat, welches dem Verstande, dem Herzen und der Phantasie soviel Nahrung gibt, und ich habe ihm darum gar viele glückliche Stunden zu verdanken.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
942
In zwey Hauptſtücken.
In zwei Hauptstücken.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
943
Ich habe mehrmals mein Auge rückwärts gewandt, und die Schätze der Kunſtgeſchichte vergangener Jahrhunderte zu meinem Vergnügen eingeſammelt; aber jetzt treibt mich mein Gemüth, einmal bey den gegenwärtigen Zeiten zu verweilen, und mich an der Geſchichte eines Künſtlers zu verſuchen, den ich ſeit ſeiner frühen Jugend kannte, und der mein innigſter Freund war.
Ich habe mehrmals mein Auge rückwärtsgewandt, und die Schätze der Kunstgeschichte vergangener Jahrhunderte zu meinem Vergnügen eingesammelt; aber jetzt treibt mich mein Gemüt, einmal bei den gegenwärtigen Zeiten zu verweilen, und mich an der Geschichte eines Künstlers zu versuchen, den ich seit seiner frühen Jugend kannte, und der mein innigster Freund war.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
944
Ach leider biſt du bald von der Erde weggegangen, mein Joſeph!
Ach leider bist du bald von der Erde weggegangen, mein Joseph!
wackenroder_herzensergiessungen_1797
945
und nicht ſo leicht werd' ich deinesgleichen wieder finden.
und nicht so leicht werde ich deinesgleichen wiederfinden.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
946
Aber ich will mich daran laben, der Geſchichte deines Geiſtes, von Anfang an, ſo wie du mir oftmals in ſchönen Stunden ſehr ausführlich davon erzählt haſt, und ſo wie ich ſelbſt dich innerlich kennen gelernt habe, in meinen Gedanken nachzugehen, und denen, die Freude daran haben, deine Geſchichte erzählen.
Aber ich will mich daran laben, der Geschichte deines Geistes, von Anfang an, so wie du mir oftmals in schönen Stunden sehr ausführlich davon erzählt hast, und so wie ich selbst dich innerlich kennengelernt habe, in meinen Gedanken nachzugehen, und denen, die Freude daran haben, deine Geschichte erzählen.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
947
wackenroder_herzensergiessungen_1797
948
Joſeph Berglinger ward in einem kleinen Städtchen im ſüdlichen Deutſchlande gebohren.
Joseph Berglinger wurde in einem kleinen Städtchen im südlichen Deutschlande geboren.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
949
Seine Mutter mußte die Welt verlaſſen, indem ſie ihn darein ſetzte; ſein Vater, ſchon ein ziemlich bejahrter Mann, war Doktor der Arzneygelehrſamkeit, und in dürftigen Vermögensumſtänden.
Seine Mutter musste die Welt verlassen, indem sie ihn dareinsetzte; sein Vater, schon ein ziemlich bejahrter Mann, war Doktor der Arzneigelehrsamkeit, und in dürftigen Vermögensumständen.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
950
Das Glück hatte ihm den Rücken gewandt; und es koſtete ihn ſauren Schweiß, ſich und ſechs Kinder, (denn Joſeph hatte fünf weibliche Geſchwiſter,) durch das Leben zu bringen, zumal da ihm nun eine verſtändige Wirthſchafterinn mangelte.
Das Glück hatte ihm den Rücken gewandt; und es kostete ihn sauren Schweiß, sich und sechs Kinder, (denn Joseph hatte fünf weibliche Geschwister,) durch das Leben zu bringen, zumal da ihm nun eine verständige Wirtschafterin mangelte.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
951
Dieſer Vater war urſprünglich ein weicher und ſehr gutherziger Mann, der nichts lieber thun mochte, als helfen, rathen und Allmoſen geben, ſo viel er nur vermögend war; der nach einer guten That beſſer ſchlief als gewöhnlich; der lange, mit herzlicher Rührung und Dank gegen Gott, von den guten Früchten ſeines Herzens zehren konnte, und ſeinen Geiſt am liebſten mit rührenden Empfindungen nährte.
Dieser Vater war ursprünglich ein weicher und sehr gutherziger Mann, der nichts lieber tun mochte, als helfen, raten und Almosen geben, soviel er nur vermögend war; der nach einer guten Tat besser schlief als gewöhnlich; der lange, mit herzlicher Rührung und Dank gegen Gott, von den guten Früchten seines Herzens zehren konnte, und seinen Geist am liebsten mit rührenden Empfindungen nährte.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
952
Man muß in der That allemal von tiefer Wehmuth und herzlicher Liebe ergriffen werden, wenn man die beneidenswerthe Einfachheit dieſer Seelen betrachtet, welche in den gewöhnlichen Äußerungen des guten Herzens einen ſo unerſchöpflichen Abgrund von Herrlichkeit finden, daß dies völlig ihr Himmel auf Erden iſt, wodurch ſie mit der ganzen Welt verſöhnt, und immer in zufriedenem Wohlbehagen erhalten werden.
Man muss in der Tat allemal von tiefer Wehmut und herzlicher Liebe ergriffen werden, wenn man die beneidenswerte Einfachheit dieser Seelen betrachtet, welche in den gewöhnlichen Äußerungen des guten Herzens einen so unerschöpflichen Abgrund von Herrlichkeit finden, dass dies völlig ihr Himmel auf Erden ist, wodurch sie mit der ganzen Welt versöhnt, und immer in zufriedenem Wohlbehagen erhalten werden.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
953
Joſeph hatte ganz dieſe Empfindung, wenn er ſeinen Vater betrachtete; — aber ihn hatte der Himmel nun einmal ſo eingerichtet, daß er immer nach etwas noch Höherem trachtete; es genügte ihm nicht die bloße Geſundheit der Seele, und daß ſie ihre ordentlichen Geſchäfte auf Erden, als arbeiten und Gutes thun, verrichtete; — er wollte, daß ſie auch in üppigem Übermuthe dahertanzen, und zum Himmel, als zu ihrem Urſprunge, hinaufjauchzen ſollte.
Joseph hatte ganz diese Empfindung, wenn er seinen Vater betrachtete; — aber ihn hatte der Himmel nun einmal so eingerichtet, dass er immer nach etwas noch Höherem trachtete; es genügte ihm nicht die bloße Gesundheit der Seele, und dass sie ihre ordentlichen Geschäfte auf Erden, als arbeiten und Gutes tun, verrichtete; — er wollte, dass sie auch in üppigem Übermute dahertanzen, und zum Himmel, als zu ihrem Ursprunge, hinaufjauchzen sollte.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
954
Das Gemüth ſeines Vaters war aber auch noch aus andern Dingen zuſammengeſetzt.
Das Gemüt seines Vaters war aber auch noch aus anderen Dingen zusammengesetzt.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
955
Er war ein ämſiger und gewiſſenhafter Arzt, der Zeit ſeines Lebens an nichts als an der Kenntniß der ſeltſamen Dinge, die im menſchlichen Körper verborgen liegen, und an der weitläuftigen Wiſſenſchaft aller jammervollen menſchlichen Gebrechen und Krankheiten, ſeine Luſt gehabt hatte.
Er war ein emsiger und gewissenhafter Arzt, der Zeit seines Lebens an nichts als an der Kenntnis der seltsamen Dinge, die im menschlichen Körper verborgen liegen, und an der weitläufigen Wissenschaft aller jammervollen menschlichen Gebrechen und Krankheiten, seine Lust gehabt hatte.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
956
Dieſes eifrige Studium nun war ihm, wie es öfters zu geſchehen pflegt, ein heimliches, nervenbetäubendes Gift geworden, das alle ſeine Adern durchdrang, und viele klingende Saiten des menſchlichen Buſens bey ihm zernagte.
Dieses eifrige Studium nun war ihm, wie es öfters zu geschehen pflegt, ein heimliches, nervenbetäubendes Gift geworden, das alle seine Adern durchdrang, und viele klingende Saiten des menschlichen Busens bei ihm zernagte.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
957
Dazu kam der Mißmuth über das Elend ſeiner Dürftigkeit, und endlich das Alter.
Dazu kam der Missmut über das Elend seiner Dürftigkeit, und endlich das Alter.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
958
Alles dieſes zehrte an der urſprünglichen Güte ſeines Gemüths; denn bey nicht ſtarken Seelen geht alles, womit der Menſch zu ſchaffen hat, in ſein Blut über, und verwandelt ſein Inneres, ohne daß er es ſelber weiß.
Alles dieses zehrte an der ursprünglichen Güte seines Gemüts; denn bei nicht starken Seelen geht alles, womit der Mensch zu schaffen hat, in sein Blut über, und verwandelt sein Inneres, ohne dass er es selber weiß.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
959
Die Kinder des alten Arztes wuchſen bey ihm auf, wie Unkraut in einem verwilderten Garten.
Die Kinder des alten Arztes wuchsen bei ihm auf, wie Unkraut in einem verwilderten Garten.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
960
Joſephs Schweſtern waren theils kränklich, theils von ſchwachem Geiſte, und führten ein kläglich einſames Leben in ihrer dunklen kleinen Stube.
Josephs Schwestern waren teils kränklich, teils von schwachem Geiste, und führten ein kläglich einsames Leben in ihrer dunklen kleinen Stube.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
961
In dieſe Familie konnte niemand weniger paſſen, als Joſeph, der immer in ſchöner Einbildung und himmliſchen Träumen lebte.
In diese Familie konnte niemand weniger passen, als Joseph, der immer in schöner Einbildung und himmlischen Träumen lebte.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
962
Seine Seele glich einem zarten Bäumchen, deſſen Samenkorn ein Vogel in das Gemäuer öder Ruinen fallen ließ, wo es zwiſchen harten Steinen jungfräulich hervorſchießet.
Seine Seele glich einem zarten Bäumchen, dessen Samenkorn ein Vogel in das Gemäuer öder Ruinen fallen ließ, wo es zwischen harten Steinen jungfräulich hervorschießet.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
963
Er war ſtets einſam und ſtill für ſich, und weidete ſich nur an ſeinen inneren Phantaſeyen; drum hielt der Vater auch ihn ein wenig verkehrt und blödes Geiſtes.
Er war stets einsam und still für sich, und weidete sich nur an seinen inneren Phantasien; darum hielt der Vater auch ihn ein wenig verkehrt und blödes Geistes.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
964
Seinen Vater und ſeine Geſchwiſter liebte er aufrichtig; aber ſein Inneres ſchätzte er über alles, und hielt es vor andern heimlich und verborgen.
Seinen Vater und seine Geschwister liebte er aufrichtig; aber sein Inneres schätzte er über alles, und hielt es vor anderen heimlich und verborgen.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
965
So hält man ein Schatzkäſtlein verborgen, zu welchem man den Schlüſſel niemanden in die Hände giebt.
So hält man ein Schatzkästlein verborgen, zu welchem man den Schlüssel niemanden in die Hände gibt.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
966
Seine Hauptfreude war von ſeinen frühſten Jahren an, die Muſik geweſen.
Seine Hauptfreude war von seinen frühsten Jahren an, die Musik gewesen.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
967
Er hörte zuweilen jemanden auf dem Claviere ſpielen, und ſpielte auch ſelber etwas.
Er hörte zuweilen jemanden auf dem Klaviere spielen, und spielte auch selber etwas.
wackenroder_herzensergiessungen_1797
968
Nach und nach bildete er ſich durch den oft wiederholten Genuß auf eine ſo eigene Weiſe aus, daß ſein Inneres ganz und gar zu Muſik ward, und ſein Gemüth, von dieſer Kunſt gelockt, immer in den dämmernden Irrgängen poetiſcher Empfindung umherſchweifte.
Nach und nach bildete er sich durch den oft wiederholten Genuss auf eine so eigene Weise aus, dass sein Inneres ganz und gar zu Musik wurde, und sein Gemüt, von dieser Kunst gelockt, immer in den dämmernden Irrgängen poetischer Empfindung umherschweifte.
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Eine vorzügliche Epoche in ſeinem Leben machte eine Reiſe nach der biſchöflichen Reſidenz, wohin ein begüterter Anverwandter, der dort wohnte, und der den Knaben liebgewonnen hatte, ihn auf einige Wochen mitnahm.
Eine vorzügliche Epoche in seinem Leben machte eine Reise nach der bischöflichen Residenz, wohin ein begüterter Anverwandter, der dort wohnte, und der den Knaben liebgewonnen hatte, ihn auf einige Wochen mitnahm.
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970
Hier lebte er nun recht im Himmel: ſein Geiſt ward mit tauſendfältiger ſchöner Muſik ergötzt, und flatterte nicht anders als ein Schmetterling in warmen Lüften umher.
Hier lebte er nun recht im Himmel: Sein Geist wurde mit tausendfältiger schöner Musik ergötzt, und flatterte nicht anders als ein Schmetterling in warmen Lüften umher.
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971
Vornehmlich beſuchte er die Kirchen, und hörte die heiligen Oratorien, Cantilenen und Chöre mit vollem Poſaunen- und Trompetenſchall unter den hohen Gewölben ertönen, wobey er oft, aus innerer Andacht, demüthig auf den Knieen lag.
Vornehmlich besuchte er die Kirchen, und hörte die heiligen Oratorien, Kantilenen und Chöre mit vollem Posaunen- und Trompetenschall unter den hohen Gewölben ertönen, wobei er oft, aus innerer Andacht, demütig auf den Knieen lag.
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Ehe die Muſik anbrach, war es ihm, wenn er ſo in dem gedrängten, leiſe murmelnden Gewimmel der Volksmenge ſtand, als wenn er das gewöhnliche und gemeine Leben der Menſchen, als einen großen Jahrmarkt, unmelodiſch durcheinander und um ſich herum ſummen hörte; ſein Kopf ward von leeren, irdiſchen Kleinigkeiten betäubt.
Ehe die Musik anbrach, war es ihm, wenn er so in dem gedrängten, leise murmelnden Gewimmel der Volksmenge stand, als wenn er das gewöhnliche und gemeine Leben der Menschen, als einen großen Jahrmarkt, unmelodisch durcheinander und um sich herum summen hörte; sein Kopf wurde von leeren, irdischen Kleinigkeiten betäubt.
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Erwartungsvoll harrte er auf den erſten Ton der Inſtrumente; — und indem er nun aus der dumpfen Stille, mächtig und langgezogen, gleich dem Wehen eines Windes vom Himmel hervorbrach, und die ganze Gewalt der Töne über ſeinem Haupte daherzog, — da war es ihm, als wenn auf einmal ſeiner Seele große Flügel ausgeſpannt, als wenn er von einer dürren Haide aufgehoben würde, der trübe Wolkenvorhang vor den ſterblichen Augen verſchwände, und er zum lichten Himmel emporſchwebte.
Erwartungsvoll harrte er auf den ersten Ton der Instrumente; — und indem er nun aus der dumpfen Stille, mächtig und langgezogen, gleich dem Wehen eines Windes vom Himmel hervorbrach, und die ganze Gewalt der Töne über seinem Haupte daherzog, — da war es ihm, als wenn auf einmal seiner Seele große Flügel ausgespannt, als wenn er von einer dürren Heide aufgehoben würde, der trübe Wolkenvorhang vor den sterblichen Augen verschwände, und er zum lichten Himmel emporschwebte.
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Dann hielt er ſich mit ſeinem Körper ſtill und unbeweglich, und heftete die Augen unverrückt auf den Boden.
Dann hielt er sich mit seinem Körper still und unbeweglich, und heftete die Augen unverrückt auf den Boden.
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Die Gegenwart verſank vor ihm; ſein Inneres war von allen irdiſchen Kleinigkeiten, welche der wahre Staub auf dem Glanze der Seele ſind, gereinigt; die Muſik durchdrang ſeine Nerven mit leiſen Schauern, und ließ, ſo wie ſie wechſelte, mannigfache Bilder vor ihm aufſteigen.
Die Gegenwart versank vor ihm; sein Inneres war von allen irdischen Kleinigkeiten, welche der wahre Staub auf dem Glanze der Seele sind, gereinigt; die Musik durchdrang seine Nerven mit leisen Schauern, und ließ, so wie sie wechselte, mannigfache Bilder vor ihm aufsteigen.
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So kam es ihm bey manchen frohen und herzerhebenden Geſängen zum Lobe Gottes ganz deutlich vor, als wenn er den König David im langen königlichen Mantel, die Krone auf dem Haupt, vor der Bundeslade lobſingend hertanzen ſähe; er ſah ſein ganzes Entzücken und alle ſeine Bewegungen, und das Herz hüpfte ihm in der Bruſt.
So kam es ihm bei manchen frohen und herzerhebenden Gesängen zum Lobe Gottes ganz deutlich vor, als wenn er den König David im langen königlichen Mantel, die Krone auf dem Haupt, vor der Bundeslade lobsingend hertanzen sähe; er sah sein ganzes Entzücken und alle seine Bewegungen, und das Herz hüpfte ihm in der Brust.
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977
Tauſend ſchlafende Empfindungen in ſeinem Buſen wurden losgeriſſen, und bewegten ſich wunderbar durcheinander.
Tausend schlafende Empfindungen in seinem Busen wurden losgerissen, und bewegten sich wunderbar durcheinander.
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978
Ja bey manchen Stellen der Muſik endlich ſchien ein beſonderer Lichtſtrahl in ſeine Seele zu fallen; es war ihm, als wenn er dabey auf einmal weit klüger würde, und mit helleren Augen und einer gewiſſen erhabenen und ruhigen Wehmuth, auf die ganze wimmelnde Welt herabſähe.
Ja bei manchen Stellen der Musik endlich schien ein besonderer Lichtstrahl in seine Seele zu fallen; es war ihm, als wenn er dabei auf einmal weit klüger würde, und mit helleren Augen und einer gewissen erhabenen und ruhigen Wehmut, auf die ganze wimmelnde Welt herabsähe.
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So viel iſt gewiß, daß er ſich, wenn die Muſik geendigt war, und er aus der Kirche herausging, reiner und edler geworden vorkam.
Soviel ist gewiss, dass er sich, wenn die Musik geendigt war, und er aus der Kirche herausging, reiner und edler geworden vorkam.
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980
Sein ganzes Weſen glühte noch von dem geiſtigen Weine, der ihn berauſcht hatte, und er ſah alle Vorübergehende mit andern Augen an.
Sein ganzes Wesen glühte noch von dem geistigen Weine, der ihn berauscht hatte, und er sah alle Vorübergehende mit anderen Augen an.
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981
Wenn er dann etwa ein paar Leute auf dem Spatziergange zuſammenſtehn und lachen, oder ſich Neuigkeiten erzählen ſah, ſo machte das einen ganz eignen widrigen Eindruck auf ihn.
Wenn er dann etwa ein paar Leute auf dem Spaziergange zusammenstehen und lachen, oder sich Neuigkeiten erzählen sah, so machte das einen ganz eigenen widrigen Eindruck auf ihn.
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982
Er dachte: du mußt Zeitlebens, ohne Aufhören in dieſem ſchönen poetiſchen Taumel bleiben, und dein ganzes Leben muß eine Muſik ſeyn.
Er dachte: Du musst Zeitlebens, ohne Aufhören in diesem schönen poetischen Taumel bleiben, und dein ganzes Leben muss eine Musik sein.
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Wenn er dann aber zu ſeinem Anverwandten zum Mittagseſſen ging, und es ſich in einer gewöhnlich-luſtigen und ſcherzenden Geſellſchaft hatte wohl ſchmecken laſſen, — dann war er unzufrieden, daß er ſo bald wieder ins proſaiſche Leben hinabgezogen war, und ſein Rauſch ſich wie eine glänzende Wolke verzogen hatte.
Wenn er dann aber zu seinem Anverwandten zum Mittagessen ging, und es sich in einer gewöhnlich und scherzenden Gesellschaft hatte wohlschmecken lassen, — dann war er unzufrieden, dass er so bald wieder ins prosaische Leben hinabgezogen war, und sein Rausch sich wie eine glänzende Wolke verzogen hatte.
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Dieſe bittere Mißhelligkeit zwiſchen ſeinen angebohrnen ätheriſchen Enthuſiasmus, und dem irdiſchen Antheil an dem Leben eines jeden Menſchen, der jeden täglich aus ſeinen Schwärmereyen mit Gewalt herabziehet, quälte ihn ſein ganzes Leben hindurch.
Diese bittere Misshelligkeit zwischen seinen angeborenen ätherischen Enthusiasmus, und dem irdischen Anteil an dem Leben eines jeden Menschen, der jeden täglich aus seinen Schwärmereien mit Gewalt herabziehet, quälte ihn sein ganzes Leben hindurch.
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Wenn Joſeph in einem großen Concerte war, ſo ſetzte er ſich, ohne auf die glänzende Verſammlung der Zuhörer zu blicken, in einen Winkel, und hörte mit eben der Andacht zu, als wenn er in der Kirche wäre, — eben ſo ſtill und unbeweglich, und mit ſo vor ſich auf den Boden ſehenden Augen.
Wenn Joseph in einem großen Konzerte war, so setzte er sich, ohne auf die glänzende Versammlung der Zuhörer zu blicken, in einen Winkel, und hörte mit eben der Andacht zu, als wenn er in der Kirche wäre, — ebenso still und unbeweglich, und mit so vor sich auf den Boden sehenden Augen.
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Der geringſte Ton entſchlüpfte ihm nicht, und er war von der angeſpannten Aufmerkſamkeit am Ende ganz ſchlaff und ermüdet.
Der geringste Ton entschlüpfte ihm nicht, und er war von der angespannten Aufmerksamkeit am Ende ganz schlaff und ermüdet.
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Seine ewig bewegliche Seele war ganz ein Spiel der Töne; — es war als wenn ſie losgebunden vom Körper wäre und freyer umherzitterte, oder auch als wäre ſein Körper mit zur Seele geworden, — ſo frey und leicht ward ſein ganzes Weſen von den ſchönen Harmonieen umſchlungen, und die feinſten Falten und Biegungen der Töne drückten ſich in ſeiner weichen Seele ab.
Seine ewig bewegliche Seele war ganz ein Spiel der Töne; — es war als wenn sie losgebunden vom Körper wäre und freier umherzitterte, oder auch als wäre sein Körper mit zur Seele geworden, — so frei und leicht wurde sein ganzes Wesen von den schönen Harmonien umschlungen, und die feinsten Falten und Biegungen der Töne drückten sich in seiner weichen Seele ab.
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