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wienbarg_feldzuege_1834
690
Die dramatiſche Poeſie waͤre gar keine ohne die Poeſie der That, der Dichter iſt kein Gott, der uns aus angebornem Kraftvermoͤgen neue Welten erſchaffen koͤnnte, er iſt auch kein Taſchenſpieler, der durch Reim und Klang, durch eine rhythmiſche Abwechſelung von ſechs metriſchen Fuͤßen, allerhand Phantome der Luſt und des Schmerzes, der Furcht und der Begeiſterung in der Seele ſeiner Zuhoͤrer aufregen koͤnnte; der Dichter nimmt Stoff und Begeiſterung aus der That und die hoͤchſte Palme hat er errungen, wenn die Schoͤnheit der That aus dem Leben in eine andere Welt, in die Kunſtwelt, von ihm verpflanzt, ſein Gedicht durchſtrahlt und wieder vom Gedicht, wie ein Juwel in der Einfaſſung, neuen Glanz annimmt.
Die dramatische Poesie wäre gar keine ohne die Poesie der Tat, der Dichter ist kein Gott, der uns aus angeborenem Kraftvermögen neue Welten erschaffen könnte, er ist auch kein Taschenspieler, der durch Reim und Klang, durch eine rhythmische Abwechselung von sechs metrischen Füßen, allerhand Phantome der Lust und des Schmerzes, der Furcht und der Begeisterung in der Seele seiner Zuhörer aufregen könnte; der Dichter nimmt Stoff und Begeisterung aus der Tat und die höchste Palme hat er errungen, wenn die Schönheit der Tat aus dem Leben in eine andere Welt, in die Kunstwelt, von ihm verpflanzt, sein Gedicht durchstrahlt und wieder vom Gedicht, wie ein Juwel in der Einfassung, neuen Glanz annimmt.
wienbarg_feldzuege_1834
691
So durchlaͤuft die Schoͤnheit einen doppelten Kreis und bringt zweifache Wirkung hervor, einmal im Leben, als ſittliche, poetiſche, hiſtoriſche, geſellſchaftliche, das andere Mal in der Dichtung, als kuͤnſtleriſche, dramatiſche, epiſche.
So durchläuft die Schönheit einen doppelten Kreis und bringt zweifache Wirkung hervor, einmal im Leben, als sittliche, poetische, historische, gesellschaftliche, das andere Mal in der Dichtung, als künstlerische, dramatische, epische.
wienbarg_feldzuege_1834
692
In beiden Faͤllen wirkt ſie ein aͤſthetiſches Gefuͤhl, aber im erſten mehr ein thaͤtiges, im andern mehr ein leidendes, im erſten mehr ein unmittelbar, im zweiten ein mehr mittelbar ruͤckwirkendes.
In beiden Fällen wirkt sie ein ästhetisches Gefühl, aber im ersten mehr ein tätiges, im anderen mehr ein leidendes, im ersten mehr ein unmittelbar, im zweiten ein mehr mittelbar rückwirkendes.
wienbarg_feldzuege_1834
693
So ſollte, wollte ich ſagen, die Schoͤnheit einen doppelten Kreis durchlaufen und ſowohl auf den Willen, wie auf das Gefuͤhl ihren zaubervollen Einfluß ausuͤben; allein wir gingen mit Recht davon aus, daß der Zauberſtab der Schoͤnheit, womit ſie die Zuſchauer und Hoͤrer ſchoͤner, großer Thaten, ſelbſt wieder zu ſchoͤner und großer That bewegt, leider keine Macht uͤber uns ausuͤbt, und daß nur das Luftigere der Kunſt unſere Gemuͤther bewegt, und zur paſſiven Mitempfindung anreizt.
So sollte, wollte ich sagen, die Schönheit einen doppelten Kreis durchlaufen und sowohl auf den Willen, wie auf das Gefühl ihren zaubervollen Einfluss ausüben; allein wir gingen mit Recht davon aus, dass der Zauberstab der Schönheit, womit sie die Zuschauer und Hörer schöner, großer Taten, selbst wieder zu schöner und großer Tat bewegt, leider keine Macht über uns ausübt, und dass nur das Lustigere der Kunst unsere Gemüter bewegt, und zur passiven Mitempfindung anreizt.
wienbarg_feldzuege_1834
694
Ueber das Schoͤne in Kunſt und Dichtung findet daher eine leidliche Verſtaͤndigung in der Regel Statt, auch theilen wir beim Anblick ſchoͤner Gemaͤlde und Gedichte miteinander ſo ziemlich denſelben Eindruck; allein im Gebiet des Thatſaͤchlichen zerfallen die Meinungen und Gefuͤhle und hier, wo das Schoͤne unmittelbar aus der Quelle ſprudelt, wo es vom goͤttlichen Athem noch gleichſam warm angehaucht iſt, hier laͤßt es ſo Viele kalt; hier wird es von ſo Vielen verſchmaͤht.
Über das Schöne in Kunst und Dichtung findet daher eine leidliche Verständigung in der Regel statt, auch teilen wir beim Anblick schöner Gemälde und Gedichte miteinander so ziemlich denselben Eindruck; allein im Gebiet des Tatsächlichen zerfallen die Meinungen und Gefühle und hier, wo das Schöne unmittelbar aus der Quelle sprudelt, wo es vom göttlichen Atem noch gleichsam warm angehaucht ist, hier lässt es so Viele kalt; hier wird es von so Vielen verschmäht.
wienbarg_feldzuege_1834
695
Plato wollte keine Dichter in ſeine Republik aufnehmen, ſondern nur handelnde Maͤnner, unſere Geſetzgeber wollen keine Maͤnner, nur Dichter im Staat, keine Thaten, nur die Schatten derſelben, keine andern Schoͤnheiten, als gereimte und gemalte.
Plato wollte keine Dichter in seine Republik aufnehmen, sondern nur handelnde Männer, unsere Gesetzgeber wollen keine Männer, nur Dichter im Staat, keine Taten, nur die Schatten derselben, keine anderen Schönheiten, als gereimte und gemalte.
wienbarg_feldzuege_1834
696
Eben daher iſt uns denn auch der Begriff der Schoͤnheit ſo zuſammengeſchrumpft, daß der Name: ein ſchoͤner Geiſt, eben nur einen Belletriſten von Fach andeutet, der Ausdruck einer ſchoͤnen That uns an ein gegebenes Almoſen und an Alles eher, als an eine heroiſche Handlung erinnert; die ſchoͤnen Wiſſenſchaften und Kuͤnſte aber mitſammt den Schoͤnheiten der Natur, ſchoͤnen Weibern, ſchoͤnen Blumen den ganzen Inbegriff des Schoͤnen ausfuͤllen.
Ebendaher ist uns denn auch der Begriff der Schönheit so zusammengeschrumpft, dass der Name: ein schöner Geist, eben nur einen Belletristen von Fach andeutet, der Ausdruck einer schönen Tat uns an ein gegebenes Almosen und an alles eher, als an eine heroische Handlung erinnert; die schönen Wissenschaften und Künste aber mitsamt den Schönheiten der Natur, schönen Weibern, schönen Blumen den ganzen Inbegriff des Schönen ausfüllen.
wienbarg_feldzuege_1834
697
Unſere Aeſthetiker, wenn ſie die Frage, was iſt die Schoͤnheit, aufwerfen, haben dabei faſt nur die Proportionen des Geſichts und der menſchlichen Geſtalt vor Augen, und wenn ſie dieſe beſondere Schoͤnheit in eine Definition gezwaͤngt haben, ſo glauben ſie die Weihe der Aeſthetik damit ertheilt zu haben, noch dazu ſchlug der Gott der Schoͤnheit die Meiſten mit Blindheit.
Unsere Ästhetiker, wenn sie die Frage, was ist die Schönheit, aufwerfen, haben dabei fast nur die Proportionen des Gesichts und der menschlichen Gestalt vor Augen, und wenn sie diese besondere Schönheit in eine Definition gezwängt haben, so glauben sie die Weihe der Ästhetik damit erteilt zu haben, noch dazuschlug der Gott der Schönheit die Meisten mit Blindheit.
wienbarg_feldzuege_1834
698
Uebereinſtimmung der Theile erklaͤren Viele als das Myſterium der Schoͤnheit; wobei noch dazu die klaͤglichſte Verirrung zur Einſeitigkeit hinzutritt; denn die Theile eines Kamſchadalen ſtimmen eben ſo gut uͤberein, wie die Theile eines Antinous und uͤberhaupt iſt Proportion nichts weiter, als Maaß.
Übereinstimmung der Teile erklären viele als das Mysterium der Schönheit; wobei noch dazu die kläglichste Verirrung zur Einseitigkeit hinzutritt; denn die Teile eines Kamtschadalen stimmen ebenso gut überein, wie die Teile eines Antinous und überhaupt ist Proportion nichts weiter, als Maß.
wienbarg_feldzuege_1834
699
Man kann alle Verhaͤltniſſe beobachten, jede Figur in ſo und ſo viel Kopflaͤngen eintheilen, ohne doch eine ſchoͤne Geſtalt zu Stande zu bringen.
Man kann alle Verhältnisse beobachten, jede Figur in so und so viel Kopflängen einteilen, ohne doch eine schöne Gestalt zustande zu bringen.
wienbarg_feldzuege_1834
700
Die Schoͤnheit liegt auch da wieder in etwas, was in der Definition nicht liegt.
Die Schönheit liegt auch da wieder in etwas, was in der Definition nicht liegt.
wienbarg_feldzuege_1834
701
Andere ſprachen von der Angemeſſenheit jedes einzelnen Theils zum Zweck des Ganzen.
Andere sprachen von der Angemessenheit jedes einzelnen Teils zum Zweck des Ganzen.
wienbarg_feldzuege_1834
702
Aber Polyphems großes Stirnauge iſt eben ſo gut zum Sehen geſchickt, als Apolls, und ſo zweckmaͤßig auch und harmoniſch mit dem ganzen Leibe die Stacheln eines Stachelſchweins emporſtarren, ſo wenig ſchoͤn finden wir dieſen Anblick.
Aber Polyphems großes Stirnauge ist ebenso gut zum Sehen geschickt, als Apolls, und so zweckmäßig auch und harmonisch mit dem ganzen Leibe die Stacheln eines Stachelschweins emporstarren, so wenig schön finden wir diesen Anblick.
wienbarg_feldzuege_1834
703
Der engliſche Maler Hogarth fand die Lineamente der Schoͤnheit in der Wellenlinie, wonach denn auch das unfoͤrmlichſte Ganze, die oͤdeſte Seekuͤſte, mit den Spuren der Wellenlinie darin ſchoͤn genannt werden muͤßte.
Der englische Maler Hogarth fand die Lineamente der Schönheit in der Wellenlinie, wonach denn auch das unförmlichste Ganze, die ödeste Seeküste, mit den Spuren der Wellenlinie darin schön genannt werden müsste.
wienbarg_feldzuege_1834
704
Fragt die Kroͤte, ſagt Voltaire, was ſchoͤn iſt, oder einen Schwarzen von Guinea, oder einen Philoſophen, — dieſer allein wird euch mit einem Gallimathias antworten.
Fragt die Kröte, sagt Voltaire, was schön ist, oder einen Schwarzen von Guinea, oder einen Philosophen, — dieser allein wird euch mit einem Gallimathias antworten.
wienbarg_feldzuege_1834
705
Man kann Voltaire nur beiſtimmen.
Man kann Voltaire nur beistimmen.
wienbarg_feldzuege_1834
706
Selbſt Platon's Erklaͤrung der Schoͤnheit iſt nur eine ſchoͤne Mythe, welche bei naͤherer Betrachtung das Weſen der Schoͤnheit eigentIich aufhebt.
Selbst Platons Erklärung der Schönheit ist nur eine schöne Mythe, welche bei näherer Betrachtung das Wesen der Schönheit eigentlich aufhebt.
wienbarg_feldzuege_1834
707
Sie erinnern ſich, wo er von dem Entzuͤcken ſpricht, worein Jemand gerathen wuͤrde, erſchien ihm die Idee der Schoͤnheit ſelbſt in leicht verkoͤrpertem Gewande.
Sie erinnern sich, wo er von dem Entzücken spricht, worein jemand geraten würde, erschien ihm die Idee der Schönheit selbst in leicht verkörpertem Gewande.
wienbarg_feldzuege_1834
708
Allein dies Entzuͤcken wird keinem Sterblichen zu Theil werden, Platon's Idee der Schoͤnheit iſt, bei Licht betrachtet, von jeder andern abſtrakten Idee durch nichts unterſchieden, wir koͤnnen die Schoͤnheit nicht abloͤſen von den individuellen Organismen, in denen ſie zur Erſcheinung kommt, die ſchoͤne That nicht vom Charakter des Menſchen, der ſie ausfuͤhrt, die ſchoͤne Roſenknospe nicht von dem ſchlanken, gruͤnen Staͤngel, worauf ſie waͤchſt, die ſchoͤnen Augen, den bezaubernden Mund, die feine Naſe nicht von dem Geſicht und das Geſicht nicht von dem Rumpfe des einzelnen Weſens getrennt und abgeſondert denken, ohne uns uͤberhaupt den Eindruck der Schoͤnheit zu zerſtoͤren.
Allein dies Entzücken wird keinem Sterblichen zuteilwerden, Platons Idee der Schönheit ist, bei Licht betrachtet, von jeder anderen abstrakten Idee durch nichts unterschieden, wir können die Schönheit nicht ablösen von den individuellen Organismen, in denen sie zur Erscheinung kommt, die schöne Tat nicht vom Charakter des Menschen, der sie ausführt, die schöne Rosenknospe nicht von dem schlanken, grünen Stängel, worauf sie wächst, die schönen Augen, den bezaubernden Mund, die feine Nase nicht von dem Gesicht und das Gesicht nicht von dem Rumpfe des einzelnen Wesens getrennt und abgesondert denken, ohne uns überhaupt den Eindruck der Schönheit zu zerstören.
wienbarg_feldzuege_1834
709
Es iſt nicht meine Abſicht, hier alle Definitionen der Schoͤnheit zu beleuchten.
Es ist nicht meine Absicht, hier alle Definitionen der Schönheit zu beleuchten.
wienbarg_feldzuege_1834
710
Bemerke ich nur, daß grade die tiefſinnigſte auf dem Grundfehler beruhe, die Schoͤnheit als ein ideelles Etwas, als eine einzige beſtimmte Urſache fuͤr alle Wirkungen des Schoͤnen zu betrachten.
Bemerke ich nur, dass gerade die tiefsinnigste auf dem Grundfehler beruhe, die Schönheit als ein ideelles Etwas, als eine einzige bestimmte Ursache für alle Wirkungen des Schönen zu betrachten.
wienbarg_feldzuege_1834
711
Allein mannigfaltig iſt des Schoͤnen Natur und viele Elemente gibt es, die das Schoͤne darſtellen.
Allein mannigfaltig ist des schönen Natur und viele Elemente gibt es, die das Schöne darstellen.
wienbarg_feldzuege_1834
712
Doch halte ich es fuͤr wichtig, ehe ich Ihnen daruͤber meine Ideen mittheile, Sie vor der ſo gewoͤhnlichen Verwechſelung des Schoͤnen, ſei es mit dem Nuͤtzlichen und Angenehmen, ſei es mit dem Intereſſanten, zu warnen.
Doch halte ich es für wichtig, ehe ich Ihnen darüber meine Ideen mitteile, Sie vor der so gewöhnlichen Verwechselung des Schönen, sei es mit dem Nützlichen und Angenehmen, sei es mit dem Interessanten, zu warnen.
wienbarg_feldzuege_1834
713
Ganze philoſophiſche Sekten, wie die ſtoiſche, haben das Schoͤne mit dem Nuͤtzlichen verwechſelt; alle Dialektik der Stoiker konnte den aͤſthetiſchen Sinn nicht erſetzen.
Ganze philosophische Sekten, wie die stoische, haben das Schöne mit dem Nützlichen verwechselt; alle Dialektik der Stoiker konnte den ästhetischen Sinn nicht ersetzen.
wienbarg_feldzuege_1834
714
Das Schoͤne befriedigt, wie das Nuͤtzliche und Angenehme, allein das Schoͤne befriedigt, wie es geſucht wird, um ſein ſelbſt willen, das Nuͤtzliche nur um eines Andern willen, wozu es nuͤtz iſt, und, obwohl wir das Angenehme oft ohne weitere Nebenruͤckſichten begehren, und es alſo mit dem Gefallenden und Mißfallenden im nahen Verhaͤltniß ſteht, ſo fehlt uns doch noch oͤfter der beſtimmte Gegenſtand dafuͤr und es ſchwebt nur als ein dunkles Gefuͤhl in uns, ohne uns, wie das Schoͤne, als Gegenſtand entgegenzutreten und ſich der Beurtheilung zu unterwerfen.
Das Schöne befriedigt, wie das Nützliche und Angenehme, allein das Schöne befriedigt, wie es gesucht wird, um sein selbst Willen, das Nützliche nur um eines anderen Willen, wozu es nütze ist, und, obwohl wir das Angenehme oft ohne weitere Nebenrücksichten begehren, und es also mit dem Gefallenden und Missfallenden im nahen Verhältnis steht, so fehlt uns doch noch öfter der bestimmte Gegenstand dafür und es schwebt nur als ein dunkles Gefühl in uns, ohne uns, wie das Schöne, als Gegenstand entgegenzutreten und sich der Beurteilung zu unterwerfen.
wienbarg_feldzuege_1834
715
Das Angenehme ergoͤtzt ſich mit augenblicklichen Gefuͤhlen, die, ſobald man ſie aufklaͤrt, in Nichts zuruͤcktreten und verſchwinden, dagegen iſt das Schoͤne, je laͤnger man es betrachtet, je ſchaͤrfer man ſeine Natur unterſucht, deſto lebendiger und nachhaltiger von Wirkung auf das Gefuͤhl, ſo wie nur der Kenner der Kunſt den vollſten Genuß vom Anſchauen der Meiſterwerke hat und dem Kenner der Muſik tauſend Fibern im Ohr beruͤhrt werden bei Anhoͤrung eines wohlexerzirten Orcheſters, gegen eine Fiber im Ohr des Unkundigen.
Das Angenehme ergötzt sich mit augenblicklichen Gefühlen, die, sobald man sie aufklärt, in Nichts zurücktreten und verschwinden, dagegen ist das Schöne, je länger man es betrachtet, je schärfer man seine Natur untersucht, desto lebendiger und nachhaltiger von Wirkung auf das Gefühl, so wie nur der Kenner der Kunst den vollsten Genuss vom Anschauen der Meisterwerke hat und dem Kenner der Musik tausend Fibern im Ohr berührt werden bei Anhörung eines wohlexerzierten Orchesters, gegen eine Fieber im Ohr des Unkundigen.
wienbarg_feldzuege_1834
716
Nur das Schoͤne, wenn man den Ausdruck genau nehmen will, nur das Schoͤne gefaͤllt, nicht das Nuͤtzliche, nicht einmal das Angenehme, obwohl dieſes auf unmerklichen Wegen ſich zum Schoͤnen ſteigern kann; beſonders wenn es den Sinn des Geſichts affizirt, wie bei den Farben, als bloßen Pigmenten, oder bei einem Stuͤck blauer Luft, oder gruͤnem Raſen und dergleichen.
Nur das Schöne, wenn man den Ausdruck genau nehmen will, nur das Schöne gefällt, nicht das Nützliche, nicht einmal das Angenehme, obwohl dieses auf unmerklichen Wegen sich zum Schönen steigern kann; besonders wenn es den Sinn des Gesichts affiziert, wie bei den Farben, als bloßen Pigmenten, oder bei einem Stück blauer Luft, oder grünem Rasen und dergleichen.
wienbarg_feldzuege_1834
717
Doch iſt der Sprachgebrauch hierin ziemlich lax und obwohl Niemand ſagen wird, daß ihm der Zirkel gefaͤllt, weil er rund iſt, ſo wird Mancher ſchon von dem Geruch einer Hyazinthe, als etwas, das ihm gefalle, ſprechen koͤnnen.
Doch ist der Sprachgebrauch hierin ziemlich lax und obwohl Niemand sagen wird, dass ihm der Zirkel gefällt, weil er rund ist, so wird mancher schon von dem Geruch einer Hyazinthe, als etwas, das ihm gefalle, sprechen können.
wienbarg_feldzuege_1834
718
Das Intereſſante iſt aber, was ſich dem Schoͤnen beigeſellt, ohne ſelbſt das Schoͤne zu ſein.
Das Interessante ist aber, was sich dem Schönen beigesellt, ohne selbst das Schöne zu sein.
wienbarg_feldzuege_1834
719
Ein Dichter, der es darauf anlegt, unſere Aufmerkſamkeit auf mehrere Stunden in Anſpruch zu nehmen, erreicht dieſen Zweck ſelten nur mit bloßer Huͤlfe des Schoͤnen, er muß unſere Aufmerkſamkeit durch den Wechſel der Perſonen und Szenen, durch den Wechſel des Ernſten und Heitern, uͤberhaupt durch Abwechſelung zu unterſtuͤtzen ſuchen, er muß fuͤr unſere Unterhaltung ſorgen, wenn er uns das Schoͤne zu genießen gibt.
Ein Dichter, der es darauf anlegt, unsere Aufmerksamkeit auf mehrere Stunden in Anspruch zu nehmen, erreicht diesen Zweck selten nur mit bloßer Hilfe des Schönen, er muss unsere Aufmerksamkeit durch den Wechsel der Personen und Szenen, durch den Wechsel des Ernsten und Heiteren, überhaupt durch Abwechselung zu unterstützen suchen, er muss für unsere Unterhaltung Sorgen, wenn er uns das Schöne zu genießen gibt.
wienbarg_feldzuege_1834
720
So kann z. B. ein Trauerſpiel von 24 Akten ſehr ſchoͤn ſein, aber ich zweifle, daß es auch unterhaltend iſt.
So kann z. B. ein Trauerspiel von 24 Akten sehr schön sein, aber ich zweifle, dass es auch unterhaltend ist.
wienbarg_feldzuege_1834
721
Voltaire hat nicht Unrecht, wenn er von den Gattungen der Dichtkunſt ſagt: jedes Genre iſt gut, ausgenommen das langweilige.
Voltaire hat nicht Unrecht, wenn er von den Gattungen der Dichtkunst sagt: Jedes Genre ist gut, ausgenommen das langweilige.
wienbarg_feldzuege_1834
722
Die Empfindung des Schoͤnen, das Schoͤne ſelbſt, haben wir voͤllig dem Kreis des Hiſtoriſch-Subjektiven vindizirt.
Die Empfindung des Schönen, das Schöne selbst, haben wir völlig dem Kreis des Historisch-Subjektiven vindiziert.
wienbarg_feldzuege_1834
723
Allein wir duͤrfen nicht bei dieſem Satze ſtehen bleiben; auch das Gute, auch das Wahre gehoͤrt in dieſes Gebiet.
Allein wir dürfen nicht bei diesem Satze stehenbleiben; auch das Gute, auch das Wahre gehört in dieses Gebiet.
wienbarg_feldzuege_1834
724
Wer es laͤugnet, verkennt die Geſchichte und den innigen Zuſammenhang des Guten, Schoͤnen und Wahren, wie er ſich geſchichtlich kund thut.
Wer es leugnet, verkennt die Geschichte und den innigen Zusammenhang des Guten, schönen und Wahren, wie er sich geschichtlich kundtut.
wienbarg_feldzuege_1834
725
Wir haben den Punkt zu bezeichnen geſucht, der auf den verſchiedenen Kulturſtufen des Voͤlkerlebens als der Mittelpunkt aller geiſtig-ſinnlichen Thaͤtigkeiten erſchien und in welchem alle individuellen Anſchauungen ſich in eine große epochenartige Weltanſchauung konzentrirten.
Wir haben den Punkt zu bezeichnen gesucht, der auf den verschiedenen Kulturstufen des Völkerlebens als der Mittelpunkt aller geistig-sinnlichen Tätigkeiten erschien und in welchem alle individuellen Anschauungen sich in eine große epochenartige Weltanschauung konzentrierten.
wienbarg_feldzuege_1834
726
Nur eine Zeit, der gar keine gemeinſame Anſchauungsweiſe zu Grunde liegt, konnte ſcheiden, was Gott vereinigt hat, konnte mit duͤrren Schulbegriffen in der geheimnißvollen Werkſtatt des Lebens operiren.
Nur eine Zeit, der gar keine gemeinsame Anschauungsweise zugrunde liegt, konnte scheiden, was Gott vereinigt hat, konnte mit dürren Schulbegriffen in der geheimnisvollen Werkstatt des Lebens operieren.
wienbarg_feldzuege_1834
727
So wenig in ſolcher Zeit die Theologie mit der Religion, ſo wenig hat die Moral mit der Sittlichkeit, mit der Anwendung auf das oͤffentliche und einzelne Leben zu ſchaffen.
So wenig in solcher Zeit die Theologie mit der Religion, so wenig hat die Moral mit der Sittlichkeit, mit der Anwendung auf das öffentliche und einzelne Leben zu schaffen.
wienbarg_feldzuege_1834
728
Was man Moral nennt, wird ein todtes Abſtraktum von Pflichtenund Tugendlehre, die ſich den Anſtrich geben, abſolut guͤltig zu ſein und jedem Menſchenkinde als apodiktiſche Richtſchnur des Handelns zu dienen.
Was man Moral nennt, wird ein totes Abstraktum von Pflichtenund Tugendlehre, die sich den Anstrich geben, absolut gültig zu sein und jedem Menschenkinde als apodiktische Richtschnur des Handelns zu dienen.
wienbarg_feldzuege_1834
729
Was man Aeſthetik nennt, wird ein aͤhnliches Abſtraktum von Schoͤnheitslehren fuͤr alle Zeiten und Generationen, von der abſoluten Natur moraliſcher Noͤthigungen nur dadurch unterſchieden, daß dieſe auf einem kategoriſchen Imperativ beruhe, jene aber, trotz ihrer anmaßlichen Allgemeinheit, der Wahl und Willkuͤhr weiteren Spielraum oͤffnen.
Was man Ästhetik nennt, wird ein ähnliches Abstraktum von Schönheitslehren für alle Zeiten und Generationen, von der absoluten Natur moralischer Nötigungen nur dadurch unterschieden, dass diese auf einem kategorischen Imperativ beruhe, jene aber, trotz ihrer anmaßlichen Allgemeinheit, der Wahl und Willkür weiteren Spielraum öffnen.
wienbarg_feldzuege_1834
730
Unter den Haͤnden der Philoſophen bekam die Aeſthetik eine ſehr untergeordnete Stellung, wie beſonders im Syſtem des Heros der kritiſchen Philoſophie.
Unter den Händen der Philosophen bekam die Ästhetik eine sehr untergeordnete Stellung, wie besonders im System des Heros der kritischen Philosophie.
wienbarg_feldzuege_1834
731
Waͤhrend Kant die Erhabenheit der Pflicht, die Majeſtaͤt des Geſetzes mit kraͤftigen und glaͤnzenden Farben ſchilderte, ſtand ihm das Bewußtſein und das Gefuͤhl des Schoͤnen ein klein wenig uͤber den thieriſchen Vorſtellungskraͤften; das Schoͤne ſelbſt iſt ihm etwas Begriffloſes, eine gewiſſe Form der Zweckmaͤßigkeit eines Gegenſtandes, welche nothwendiger Weiſe gefaͤllt, ſofern ſie ohne Vorſtellung eines Zweckes wahrgenommen wird, eine Definition, die ſo einſeitig als falſch iſt, da die Zweckmaͤßigkeit, das iſt, das Treffen des Mittels zum Zweck, wie ſchon bemerkt, weder an ſich die Schoͤnheit iſt, da es ſehr viele zweckmaͤßig haͤßliche Erſcheinungen gibt, noch uͤberhaupt ſchoͤn genannt werden kann, indem ſie nur in dem Beduͤrftigen der Natur ihren Sitz hat.
Während Kant die Erhabenheit der Pflicht, die Majestät des Gesetzes mit kräftigen und glänzenden Farben schilderte, stand ihm das Bewusstsein und das Gefühl des Schönen ein klein wenig über den tierischen Vorstellungskräften; das Schöne selbst ist ihm etwas Begriffloses, eine gewisse Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes, welche notwendigerweise gefällt, sofern sie ohne Vorstellung eines Zweckes wahrgenommen wird, eine Definition, die so einseitig als falsch ist, da die Zweckmäßigkeit, das ist, das Treffen des Mittels zum Zweck, wie schon bemerkt, weder an sich die Schönheit ist, da es sehr viele zweckmäßig hässliche Erscheinungen gibt, noch überhaupt schön genannt werden kann, indem sie nur in dem Bedürftigen der Natur ihren Sitz hat.
wienbarg_feldzuege_1834
732
Betrachtet man mit phyſiologiſchen Augen das Innere des menſchlichen Leibes, ſo erſcheint uns darin Alles durch die Verhaͤltniſſe von Zweck und Mittel geordnet, was aber durchaus keine aͤſthetiſche Betrachtungsweiſe zulaͤßt.
Betrachtet man mit physiologischen Augen das Innere des menschlichen Leibes, so erscheint uns darin alles durch die Verhältnisse von Zweck und Mittel geordnet, was aber durchaus keine ästhetische Betrachtungsweise zulässt.
wienbarg_feldzuege_1834
733
Zweck und Mittel ſind dort in ſtetigem Uebergang in einander und zwar allerdings auf die kuͤnſtlichſte Weiſe, die auch nichts von der Willkuͤhr unſerer Kuͤnſteleien hat, ſondern die Nothwendigkeit einer hoͤhern Kunſt.
Zweck und Mittel sind dort in stetigem Übergang ineinander und zwar allerdings auf die künstlichste Weise, die auch nichts von der Willkür unserer Künsteleien hat, sondern die Notwendigkeit einer höheren Kunst.
wienbarg_feldzuege_1834
734
Allein Alles dieſes hat die Natur unſern Augen wohlthaͤtig verborgen, und wir draͤngen uns, um unſere Kenntniſſe zu bereichern, in ihre innere Werkſtaͤtte.
Allein alles dieses hat die Natur unseren Augen wohltätig verborgen, und wir drängen uns, um unsere Kenntnisse zu bereichern, in ihre innere Werkstätte.
wienbarg_feldzuege_1834
735
Nicht den Prozeß ihrer Thaͤtigkeit, etwas viel Schoͤneres fuͤhrt ſie uns vor Augen, das Produkt derſelben, in welchem alle ihre inneren Anſtalten ihr Ziel erreicht haben, vollendet erſcheinen, bei welchem man alſo gar nicht mehr von Mittel und Zweck als abgeſonderten Gegenſtaͤnden ſprechen darf, ſondern wo Mittel und Zweck in einander aufgeloͤſt und verfloſſen ſind.
Nicht den Prozess ihrer Tätigkeit, etwas viel Schöneres führt sie uns vor Augen, das Produkt derselben, in welchem alle ihre inneren Anstalten ihr Ziel erreicht haben, vollendet erscheinen, bei welchem man also gar nicht mehr von Mittel und Zweck als abgesonderten Gegenständen sprechen darf, sondern wo Mittel und Zweck ineinander aufgelöst und verflossen sind.
wienbarg_feldzuege_1834
736
Niemand hat dies ſcharfſinniger aus einander geſetzt, als Solger im Ervin.
Niemand hat dies scharfsinniger auseinandergesetzt, als Solger im Ervin.
wienbarg_feldzuege_1834
737
Moral und Aeſthetik haben in Kant's Philoſophie nichts mit einander gemein; der Geſchmack am Guten und der gute Geſchmack ſind ſich durchaus fremd; es iſt nicht blos gut, das Gute zu empfinden, in dem Sinn, wie es ſchoͤn iſt, das Schoͤne zu empfinden, nein, das Gute iſt ein Muß, eine Pflicht, ein moraliſches Geſetz, dem ſich der Wille beugen und unterwerfen muß, ohne ſich an der Guͤte und Schoͤnheit der That zu erfreuen, ja, ein ſolches Wohlgefallen, das der That vorhergeht oder ſie begleitet, iſt verdaͤchtig, denn Luſt und Liebe ſind truͤbe Quellen und nur die ſteinernen Tafeln des Geſetzes bewahren die Welt vor dem Verfall der Sittlichkeit.
Moral und Ästhetik haben in Kants Philosophie nichts miteinander gemein; der Geschmack am Guten und der gute Geschmack sind sich durchaus fremd; es ist nicht bloß gut, das Gute zu empfinden, in dem Sinn, wie es schön ist, das Schöne zu empfinden, nein, das Gute ist ein Muss, eine Pflicht, ein moralisches Gesetz, dem sich der Wille beugen und unterwerfen muss, ohne sich an der Güte und Schönheit der Tat zu erfreuen, ja, ein solches Wohlgefallen, das der Tat vorhergeht oder sie begleitet, ist verdächtig, denn Lust und Liebe sind trübe Quellen und nur die steinernen Tafeln des Gesetzes bewahren die Welt vor dem Verfall der Sittlichkeit.
wienbarg_feldzuege_1834
738
Denken Sie nur an eine Menge lyriſcher Gedichte und inſbeſondere auch an die aͤſthetiſchen Abhandlungen des kantiſirenden Schillers.
Denken Sie nur an eine Menge lyrischer Gedichte und insbesondere auch an die ästhetischen Abhandlungen des kantisierenden Schillers.
wienbarg_feldzuege_1834
739
Hier ſehen Sie, wie das freie Spiel der Schoͤnheit dem Ernſt der moraliſchen Geſetzgebung gegenuͤber geſtellt, dort, wie die Luſt mit der Pflicht in grauſamem Kampfe dargeſtellt wird.
Hier sehen Sie, wie das freie Spiel der Schönheit dem Ernst der moralischen Gesetzgebung gegenübergestellt, dort, wie die Lust mit der Pflicht in grausamem Kampfe dargestellt wird.
wienbarg_feldzuege_1834
740
So lange noch Moͤglichkeit vorhanden iſt, ſagt unter Andern Schiller in ſeiner Abhandlung uͤber die nothwendigen Grenzen beim Gebrauch ſchoͤner Formen: ſo lange noch Moͤglichkeit vorhanden iſt, daß Neigung und Pflicht in demſelben Objekt des Begehrens zuſammentreffen, ſo kann dieſe Repraͤſentation des Sittengefuͤhls durch das Schoͤnheitsgefuͤhl keinen poſitiven Schaden anrichten; obgleich, ſtreng genommen, fuͤr die Moralitaͤt der einzelnen Handlungen dadurch nichts gewonnen wird.
Solange noch Möglichkeit vorhanden ist, sagt unter Anderen Schiller in seiner Abhandlung über die notwendigen Grenzen beim Gebrauch schöner Formen: solange noch Möglichkeit vorhanden ist, dass Neigung und Pflicht in demselben Objekt des Begehrens zusammentreffen, so kann diese Repräsentation des Sittengefühls durch das Schönheitsgefühl keinen positiven Schaden anrichten; obgleich, streng genommen, für die Moralität der einzelnen Handlungen dadurch nichts gewonnen wird.
wienbarg_feldzuege_1834
741
Aber der Fall veraͤndert ſich gar ſehr, wenn Empfindung und Vernunft ein verſchiedenes Intereſſe haben, wenn die Pflicht ein Betragen gebietet, das den Geſchmack empoͤrt, oder wenn ſich dieſer zu einem Objekt hingezogen fuͤhlt, das die Vernunft als moraliſche Richterin zu verwerfen gezwungen iſt.
Aber der Fall verändert sich gar sehr, wenn Empfindung und Vernunft ein verschiedenes Interesse haben, wenn die Pflicht ein Betragen gebietet, das den Geschmack empört, oder wenn sich dieser zu einem Objekt hingezogen fühlt, das die Vernunft als moralische Richterin zu verwerfen gezwungen ist.
wienbarg_feldzuege_1834
742
Jetzt naͤmlich tritt auf einmal die Nothwendigkeit ein, die Anſpruͤche des moraliſchen und aͤſthetiſchen Sinns auseinanderzuſetzen, ihre gegenſeitigen Befugniſſe zu beſtimmen und den wahren Gewalthaber im Gemuͤth zu erfahren.
Jetzt nämlich tritt auf einmal die Notwendigkeit ein, die Ansprüche des moralischen und ästhetischen Sinns auseinanderzusetzen, ihre gegenseitigen Befugnisse zu bestimmen und den wahren Gewalthaber im Gemüt zu erfahren.
wienbarg_feldzuege_1834
743
Aber eine ſo ununterbrochene Repraͤſentation hat ihn in Vergeſſenheit gebracht und die lange Obſervanz, den Eingebungen des Geſchmacks unmittelbar zu gehorchen, und ſich dabei wohl zu befinden, muͤßte dieſem unvermerkt den Schein eines Rechtes erwerben.
Aber eine so ununterbrochene Repräsentation hat ihn in Vergessenheit gebracht und die lange Observanz, den Eingebungen des Geschmacks unmittelbar zu gehorchen, und sich dabei wohl zu befinden, müsste diesem unvermerkt den Schein eines Rechtes erwerben.
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744
Und nun fuͤhrt Schiller die Liebe an, die er unter allen Neigungen, die von dem Schoͤnheitsgefuͤhl abſtammen, diejenige nennt, die ſich dem moraliſchen Gefuͤhl, als ein veredelter Affekt vorzuͤglich empfehle und nachdem er erſt eine dichteriſche Schilderung von ihr gegeben, daß ſie goͤttliche Funken aus gemeinen Seelen ſchlage, daß ſie jede eigennuͤtzige Neigung verzehre, durch ihre allmaͤchtige Thatkraft Entſchluͤſſe beſchleunige, welche die bloße Pflicht den ſchwachen Sterblichen umſonſt wuͤrde abgefordert haben, ruft er auf einmal aus: aber man wage es ja nicht mit dieſem Fuͤhrer, wenn man nicht ſchon vorher durch einen beſſeren geſichert iſt, was beilaͤufig zu ſagen, ſo viel heißt, als: man liebe nicht ohne Kant's kategoriſchen Imperativ.
Und nun führt Schiller die Liebe an, die er unter allen Neigungen, die von dem Schönheitsgefühl abstammen, diejenige nennt, die sich dem moralischen Gefühl, als ein veredelter Affekt vorzüglich empfehle und nachdem er erst eine dichterische Schilderung von ihr gegeben, dass sie göttliche Funken aus gemeinen Seelen schlage, dass sie jede eigennützige Neigung verzehre, durch ihre allmächtige Tatkraft Entschlüsse beschleunige, welche die bloße Pflicht den schwachen Sterblichen umsonst würde abgefordert haben, ruft er auf einmal aus: aber man wage es ja nicht mit diesem Führer, wenn man nicht schon vorher durch einen besseren gesichert ist, was beiläufig zu sagen, so viel heißt, als: Man liebe nicht ohne Kants kategorischen Imperativ.
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745
Das Beiſpiel, das er nun anfuͤhrt, mag uns zugleich dienſam ſein, die Natur des Irrthums uͤber Pflicht und Schoͤnheitsſinn aufzudecken und uns auf die richtige Spur zu leiten.
Das Beispiel, das er nun anführt, mag uns zugleich diensam sein, die Natur des Irrtums über Pflicht und Schönheitssinn aufzudecken und uns auf die richtige Spur zu leiten.
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746
Der Fall ſoll eintreten, ſagt Schiller, daß der geliebte Gegenſtand ungluͤcklich iſt, daß es von uns abhaͤngt, ihn durch Aufopferung einiger moraliſcher Bedenklichkeiten gluͤcklich zu machen.
Der Fall soll eintreten, sagt Schiller, dass der geliebte Gegenstand unglücklich ist, dass es von uns abhängt, ihn durch Aufopferung einiger moralischer Bedenklichkeiten glücklich zu machen.
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Sollen wir ihn leiden laſſen, um ein reines Gewiſſen zu behalten.
Sollen wir ihn leiden lassen, um ein reines Gewissen zu behalten.
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748
Erlaubt dieſes der uneigennuͤtzige, großmuͤthige, ſeinem Gegenſtand ganz dahingegebene, Alles vergeſſende Affekt?
Erlaubt dieses der uneigennützige, großmütige, seinem Gegenstand ganz dahingegebene, alles vergessende Affekt?
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749
Heißt das lieben, wenn man beim Schmerz der Geliebten noch an ſich ſelbſt denkt?
Heißt das lieben, wenn man beim Schmerz der Geliebten noch an sich selbst denkt?
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750
So ſophiſtiſch, faͤhrt er fort, weiß dieſer Affekt die moraliſche Stimme in uns veraͤchtlich zu machen und unſere ſittliche Wuͤrde als ein Beſtandſtuͤck unſerer Gluͤckſeligkeit vorzuſtellen, das zu veraͤußern in unſerer Macht ſteht.
So sophistisch, fährt er fort, weiß dieser Affekt die moralische Stimme in uns verächtlich zu machen und unsere sittliche Würde als ein Bestandstück unserer Glückseligkeit vorzustellen, das zu veräußern in unserer Macht steht.
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751
Der Fall iſt gut gewaͤhlt, doch ſchuͤtzt er nicht, um den Trugſchluß der ganzen Anſicht, die Willkuͤhr philoſophiſcher Lehrſaͤtze eines Jahrhunderts hinter der Willkuͤhr eigner Natur zu verſtecken.
Der Fall ist gut gewählt, doch schützt er nicht, um den Trugschluss der ganzen Ansicht, die Willkür philosophischer Lehrsätze eines Jahrhunderts hinter der Willkür eigener Natur zu verstecken.
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752
Wir ſehen hier einen Menſchen, den die Liebe verfuͤhrt, dem, was er fuͤr Pflicht haͤlt, untreu zu werden oder vielmehr, der ſich eine hoͤhere Pflicht der Liebe erdichtet, um Pflichten der Menſchheit zu uͤbertreten.
Wir sehen hier einen Menschen, den die Liebe verführt, dem, was er für Pflicht hält, untreu zu werden oder vielmehr, der sich eine höhere Pflicht der Liebe erdichtet, um Pflichten der Menschheit zu übertreten.
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753
Seine Neigung war an ſich eine edle, ſie war entſprungen aus dem Schoͤnheitsgefuͤhl, hatte ſich geſteigert zur Leidenſchaft und drohte nur als ſolche der Sittlichkeit und dem Pflichtgefuͤhl gefaͤhrlich zu werden, ſie war alſo in ihrem Laufe eine andere geworden, das Schoͤnheitsgefuͤhl, das eine zarte Neigung erzeugte, und ſich mit dieſer verſchmolz, war getruͤbt worden durch heftige Leidenſchaft, dieſe aber verbindet ſich bekanntlich eben ſo oft mit der Liebe, als mit dem Haſſe, dieſe ſtrebt eben ſo oft das Haͤßlichſte, als das Schoͤnſte an, dieſe, wie ſie die Erzeugerin alles Großen in der Weltgeſchichte iſt, war auch die Mutter aller Gewaltthaten und Graͤuel, die nicht vom kalten Blut und der vertrockneten Bosheit diktirt wurden.
Seine Neigung war an sich eine edle, sie war entsprungen aus dem Schönheitsgefühl, hatte sich gesteigert zur Leidenschaft und drohte nur als solche der Sittlichkeit und dem Pflichtgefühl gefährlich zu werden, sie war also in ihrem Laufe eine andere geworden, das Schönheitsgefühl, das eine zarte Neigung erzeugte, und sich mit dieser verschmolz, war getrübt worden durch heftige Leidenschaft, diese aber verbindet sich bekanntlich ebenso oft mit der Liebe, als mit dem Hasse, diese strebt ebenso oft das Hässlichste, als das Schönste an, diese, wie sie die Erzeugerin alles Großen in der Weltgeschichte ist, war auch die Mutter aller Gewalttaten und Gräuel, die nicht vom kalten Blut und der vertrockneten Bosheit diktiert wurden.
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754
Nicht allein die Liebe, die auf dem Schoͤnheitsgefuͤhl beruht, hat ihre Leidenſchaften, auch die Religion hat die ihrigen und die liebevollſte unter allen, die chriſtliche, hat ſich mit den furchtbarſten geſellt und iſt durch ſie in die blindeſte Befangenheit trauriger Irrthuͤmer geſtuͤrzt.
Nicht allein die Liebe, die auf dem Schönheitsgefühl beruht, hat ihre Leidenschaften, auch die Religion hat die ihrigen und die liebevollste unter allen, die christliche, hat sich mit den furchtbarsten gesellt und ist durch sie in die blindeste Befangenheit trauriger Irrtümer gestürzt.
wienbarg_feldzuege_1834
755
Ja noch mehr, ſelbſt dieſe kalte Pflichtenlehre, welche das moraliſche Geſetz mit eiſerner Ruthe uͤber das Gewiſſen ihrer Unterthanen walten laͤßt, ſelbſt dieſe kann ſich leidenſchaftlich aͤußern, und es iſt mir von einem Kantianer erzaͤhlt, der mit einer Art kaltphiloſophiſcher Wuth alle Blumen der Luſt und Poeſie aus ſeinem Herzen riß und nach den Trommel- und Taktſchlaͤgen des Kantiſchen Moralprinzips ſo eifrig, wie ein neuangeworbener Rekrut, auf dem Felde der Sittlichkeit ſich einexerzirte.
Ja noch mehr, selbst diese kalte Pflichtenlehre, welche das moralische Gesetz mit eiserner Rute über das Gewissen ihrer Untertanen walten lässt, selbst diese kann sich leidenschaftlich äußeren, und es ist mir von einem Kantianer erzählt, der mit einer Art kaltphilosophischer Wut alle Blumen der Lust und Poesie aus seinem Herzen riss und nach den Trommel- und Taktschlägen des Kantischen Moralprinzips so eifrig, wie ein neuangeworbener Rekrut, auf dem Felde der Sittlichkeit sich einexerzierte.
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756
Koͤnnen wir uns nicht an der Stelle des Schillerſchen Beiſpiels ein anderes denken, wo grade das zur hoͤchſten Einſeitigkeit ausgebildete ſogenannte Pflichtgefuͤhl in Kolliſion mit den ſchoͤnern Gewalten der Liebe, ſei's nun durch Begehen oder Unterlaſſen empoͤrend und abſcheulich wird?
Können wir uns nicht an der Stelle des Schillerschen Beispiels ein anderes denken, wo gerade das zur höchsten Einseitigkeit ausgebildete sogenannte Pflichtgefühl in Kollision mit den schöneren Gewalten der Liebe, sei es nun durch Begehen oder Unterlassen empörend und abscheulich wird?
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757
Verſuchen wir ein ſolches; denken wir uns einen aͤngſtlich gewiſſenhaften Pflichtmenſchen, der ſich aͤrgert, wenn es ihm einmal widerfaͤhrt, das Gute aus Luſt zu thun und das Boͤſe aus Widerwillen zu unterlaſſen, der ſich aber gluͤcklich ſchaͤtzt, daß er es ziemlich ſo weit gebracht hat, entweder ſeine Neigungen zu toͤdten, oder trotz ſeinen Neigungen (natuͤrlich auch ſeinen ſchoͤnen und edlen Neigungen) nur auf die ſtrengen Gebote deſſen zu achten, was er Pflicht nennt.
Versuchen wir ein solches; denken wir uns einen ängstlich gewissenhaften Pflichtmenschen, der sich ärgert, wenn es ihm einmal widerfährt, das Gute aus Lust zu tun und das Böse aus Widerwillen zu unterlassen, der sich aber glücklich schätzt, dass er es ziemlich so weit gebracht hat, entweder seine Neigungen zu töten, oder trotz seinen Neigungen (natürlich auch seinen schönen und edlen Neigungen) nur auf die strengen Gebote dessen zu achten, was er Pflicht nennt.
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758
Denken Sie ſich alſo einen Mann, der es nach Schiller's obigem Ausſpruch wagen kann, ſich zu verlieben.
Denken Sie sich also einen Mann, der es nach Schillers obigem Ausspruch wagen kann, sich zu verlieben.
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759
Er liebt wirklich.
Er liebt wirklich.
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760
Der Gegenſtand ſeiner Liebe iſt ein ſchoͤnes und edles Maͤdchen, lange geht es gluͤcklich, lange theilt er die Neigungen der Liebe mit Pflichten der Moral, bis ihn die Vorausſicht eines moͤglichen, ja wahrſcheinlichen Kolliſionsfalles unruhig und aͤngſtlich macht und die bloße Furcht, in dieſem Kampfe der Liebe mehr als der Pflicht zu gehorchen, das Gebot einer Pflicht annimmt, die ihm anbefiehlt, ſein hoͤchſtes Gut, die Moralitaͤt, den kategoriſchen Imperativ, bei Zeiten in Sicherheit zu bringen und ſich, wenn auch mit blutendem Herzen, von dem geliebten Gegenſtand loszureißen.
Der Gegenstand seiner Liebe ist ein schönes und edles Mädchen, lange geht es glücklich, lange teilt er die Neigungen der Liebe mit Pflichten der Moral, bis ihn die Voraussicht eines möglichen, ja wahrscheinlichen Kollisionsfalles unruhig und ängstlich macht und die bloße Furcht, in diesem Kampfe der Liebe mehr als der Pflicht zu gehorchen, das Gebot einer Pflicht annimmt, die ihm anbefiehlt, sein höchstes Gut, die Moralität, den kategorischen Imperativ, beizeiten in Sicherheit zu bringen und sich, wenn auch mit blutendem Herzen, von dem geliebten Gegenstand loszureißen.
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761
Mag nun auch aus den Tiefen ſeiner beſſern und ſchoͤnern Natur die Stimme der Liebe, der Ehre ſich empoͤren uͤber das eiſige Gebot einer kuͤnſtlichen, mißverſtandenen Pflicht, er hoͤrt ſie, uͤberhoͤrt ſie, flieht, macht ein edles Weſen, ſich ſelbſt im Grunde der Seele ungluͤcklich, triumphirt aber als guter Kantianer uͤber den Sieg der Pflicht uͤber die Leidenſchaft, nach unſerm Gefuͤhl der ſophiſtiſchen Unnatur uͤber die menſchliche Natur, welche uns unbewußter und leiſer, aber deſto richtiger die Pfade des Lebens fuͤhrt, als ein willkuͤhrliches und erdichtetes Moralgeſetz, als ein Goͤtzenbild unſerer Philoſophie.
Mag nun auch aus den Tiefen seiner besseren und schöneren Natur die Stimme der Liebe, der Ehre sich empören über das eisige Gebot einer künstlichen, missverstandenen Pflicht, er hört sie, überhört sie, flieht, macht ein edles Wesen, sich selbst im Grunde der Seele unglücklich, triumphiert aber als guter Kantianer über den Sieg der Pflicht über die Leidenschaft, nach unserem Gefühl der sophistischen Unnatur über die menschliche Natur, welche uns unbewusster und leiser, aber desto richtiger die Pfade des Lebens führt, als ein Willkürliches und erdichtetes Moralgesetz, als ein Götzenbild unserer Philosophie.
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762
Unterſuchen wir nun, worauf die Herabſetzung des Aeſthetiſchen in dieſer Anſicht beruht, ſo finden wir, daß eine voͤllige Verkennung ſowohl des Schoͤnen als des Sittlichen ihre Quelle iſt.
Untersuchen wir nun, worauf die Herabsetzung des Ästhetischen in dieser Ansicht beruht, so finden wir, dass eine völlige Verkennung sowohl des Schönen als des Sittlichen ihre Quelle ist.
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763
Weſen, die ſchoͤn denken und ſchoͤn handeln, iſt das Gute mit dem Schoͤnen voͤllig identiſch.
Wesen, die schön denken und schön handeln, ist das Gute mit dem Schönen völlig identisch.
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764
Allein, wenn das Leben verdirbt und von der Schoͤnheit nur die Kunſt nachbleibt, ſo taucht eine Moral auf, die um ſo unerbittlicher den Reſt ſchoͤner Neigungen bekaͤmpft, als dieſe wirklich, aus ihrem Zuſammenhang mit dem Leben geriſſen, nur zu oft in Gefahr ſtehen, dem bloßen ſinnlichen Trieb anheim zu fallen und durch gemeine Beiſaͤtze entadelt zu werden.
Allein, wenn das Leben verdirbt und von der Schönheit nur die Kunst nachbleibt, so taucht eine Moral auf, die um so unerbittlicher den Rest schöner Neigungen bekämpft, als diese wirklich, aus ihrem Zusammenhang mit dem Leben gerissen, nur zu oft in Gefahr stehen, dem bloßen sinnlichen Trieb anheimzufallen und durch gemeine Beisätze entadelt zu werden.
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765
Niemand hat in ſolcher Zeit den rechten Muth, ſich ſeiner Natur zu uͤberlaſſen, als ob Jeder fuͤrchtete, ſich in ſeiner Bloͤße zu zeigen und die ſchlaffen, unreinen Sprungfedern ſeines innern Lebens vor den Augen der Welt aufzudecken.
Niemand hat in solcher Zeit den rechten Mut, sich seiner Natur zu überlassen, als ob Jeder fürchtete, sich in seiner Blöße zu zeigen und die schlaffen, unreinen Sprungfedern seines inneren Lebens vor den Augen der Welt aufzudecken.
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766
Aber je armſeliger und nackter das Innere, deſto prachtvoller iſt der moraliſche Apparat, den man nach außen aufthuͤrmt, deſto ſtoiſcher huͤllt man ſich in den Mantel der Entſagung, deſto ſcheinheiliger verdammt man die nackte Natur und deſto niedriger und erbaͤrmlicher fuͤhlt man ſich im Angeſicht jenes ſelbſtgeſchaffenen erhabenen Pflichtprinzips, das man weder zu erfuͤllen noch zu laͤugnen die Kuͤhnheit hat.
Aber je armseliger und nackter das Innere, desto prachtvoller ist der moralische Apparat, den man nach außen auftürmt, desto stoischer hüllt man sich in den Mantel der Entsagung, desto scheinheiliger verdammt man die nackte Natur und desto niedriger und erbärmlicher fühlt man sich im Angesicht jenes selbstgeschaffenen erhabenen Pflichtprinzips, das man weder zu erfüllen noch zu leugnen die Kühnheit hat.
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767
Nun traͤgt die arme Sinnlichkeit alle Schuld, nun iſt die Schoͤnheit ſelbſt, die nicht lebendig mehr im Herzen lebt, die Verfuͤhrerin, das Gewiſſen aber der Pilatus, der ſich die Haͤnde in Unſchuld waͤſchet und alle Schuld auf die unbaͤndigen Triebe wirft und auch die Phantaſie anklagt, als ob ſie beſtaͤndig durch den Reiz ihrer zuͤgelloſen Einfaͤlle zu Uebertretungen des moraliſchen Geſetzes verfuͤhre.
Nun trägt die arme Sinnlichkeit alle Schuld, nun ist die Schönheit selbst, die nicht lebendig mehr im Herzen lebt, die Verführerin, das Gewissen aber der Pilatus, der sich die Hände in Unschuld wäscht und alle Schuld auf die unbändigen Triebe wirft und auch die Phantasie anklagt, als ob sie beständig durch den Reiz ihrer zügellosen Einfälle zu Übertretungen des moralischen Gesetzes verführe.
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768
So wird unſere Seele dann vorgeſtellt als der Kampfplatz aller moͤglichen widerſtrebenden Kraͤfte und Neigungen und uͤber dem Gewuͤhl und Wellen der ruhig ernſte kategoriſche Imperativ, der quos ego donnert.
So wird unsere Seele dann vorgestellt als der Kampfplatz aller möglichen widerstrebenden Kräfte und Neigungen und über dem Gewühl und Wellen der ruhig ernste kategorische Imperativ, der quos ego donnert.
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769
Eine ſolche Vorſtellung ſchickt ſich in der That fuͤr ſolche Zeiten, die wir erlebt; aber ſie iſt Gottlob nicht die natuͤrliche und wahre, ſie gehoͤrt dem Gebiete an, woraus ſie ſtammt, dem Gebiet der Schwaͤche und der Unnatur.
Eine solche Vorstellung schickt sich in der Tat für solche Zeiten, die wir erlebt; aber sie ist Gottlob nicht die natürliche und wahre, sie gehört dem Gebiete an, woraus sie stammt, dem Gebiet der Schwäche und der Unnatur.
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770
Schafft uns ein kraͤftiges Geſchlecht, ſprengt die Bande, die den Krafterguß ſchoͤner Neigungen und Triebe ſuͤndhaft gefeſſelt halten, befreit die Welt von den Suͤnden der Schwaͤche, und dann ſeht, wie viele Rudera eurer jetzigen Pflichtenlehre ſich in der Umgeſtaltung des Lebens erhalten werden, und um wie Vieles kuͤrzer und buͤndiger das Kapitel von den Kolliſionsfaͤllen zwiſchen Moral und Trieb ausfallen wird.
Schafft uns ein kräftiges Geschlecht, sprengt die Bande, die den Krafterguss schöner Neigungen und Triebe sündhaft gefesselt halten, befreit die Welt von den Sünden der Schwäche, und dann seht, wie viele Rudera eurer jetzigen Pflichtenlehre sich in der Umgestaltung des Lebens erhalten werden, und um wie Vieles kürzer und bündiger das Kapitel von den Kollisionsfällen zwischen Moral und Trieb ausfallen wird.
wienbarg_feldzuege_1834
771
Aber das iſt eben der Haupt- und Grundfehler unſerer Moral, nur zu negiren, nur zu verbieten, nur zu vernichten, dagegen ſie ſich Muͤhe gibt, alles Treibende und Liebende in uns als das Unmoraliſche, als das zu Negirende, als das Suͤndhafte darzuſtellen.
Aber das ist eben der Haupt- und Grundfehler unserer Moral, nur zu negieren, nur zu verbieten, nur zu vernichten, dagegen sie sich Mühe gibt, alles Treibende und Liebende in uns als das Unmoralische, als das zu Negierende, als das Sündhafte darzustellen.
wienbarg_feldzuege_1834
772
Sie, der es nicht gelang, auch nur ein einziges Gebot der Liebe zu predigen, wollte es mit der Achtung und Ehrfurcht zwingen, die nach ihrer Behauptung jeder Sterbliche dem kategoriſchen Imperativ ſchuldig ſei.
Sie, der es nicht gelang, auch nur ein einziges Gebot der Liebe zu predigen, wollte es mit der Achtung und Ehrfurcht zwingen, die nach ihrer Behauptung jeder Sterbliche dem kategorischen Imperativ schuldig sei.
wienbarg_feldzuege_1834
773
Allein, ſo groß auch die Zahl ihrer Verehrer war, es fehlte ſchon fruͤher nicht an Solchen, die den Imperativ grade zu ablehnten, die rechte Luſt zur ſchoͤnen That empfanden, rechten Abſcheu vor dem Haͤßlichen und denen das Schoͤne und Haͤßliche in Bezug auf die Perſoͤnlichkeit eben in dem Begriff des Guten und Schlechten enthalten war.
Allein, so groß auch die Zahl ihrer Verehrer war, es fehlte schon früher nicht an Solchen, die den Imperativ geradezu ablehnten, die rechte Lust zur schönen Tat empfanden, rechten Abscheu vor dem Hässlichen und denen das Schöne und Hässliche in Bezug auf die Persönlichkeit eben in dem Begriff des Guten und Schlechten enthalten war.
wienbarg_feldzuege_1834
774
Eine ſolche kernhaft ſchoͤne Natur war Goethe, nie hat dieſer ſeine Lippe oder Feder mit einem Miſerere vor dem Kampf zwiſchen Schoͤnheit und kategoriſchem Imperativ beſchwert.
Eine solche kernhaft schöne Natur war Goethe, nie hat dieser seine Lippe oder Feder mit einem Miserere vor dem Kampf zwischen Schönheit und kategorischem Imperativ beschwert.
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775
Nur die deutſche Kathedermoral konnte das Geſetz der Schoͤnheit ſo ſchnoͤde verkennen, um das ganze ſittliche Leben in ihren duͤrren Formelkreis bannen zu wollen.
Nur die deutsche Kathedermoral konnte das Gesetz der Schönheit so schnöde verkennen, um das ganze sittliche Leben in ihren dürren Formelkreis bannen zu wollen.
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776
Man lege jetzt ihren Kodex auf das Grab ihrer Schreiber und Urheber.
Man lege jetzt ihren Kodex auf das Grab ihrer Schreiber und Urheber.
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777
Die Zeit hat ſich uͤber den Werth der Moralkompendien hinlaͤnglich aufgeklaͤrt, man wuͤnſcht mehr Moral im Leben und weniger auf dem Papier, und man wuͤnſcht eine Moral der That, eine Moral der Jugend, die, ſtatt uns die Fluͤgel zu beſchneiden und unſere Fortſchritte zu hemmen, uns befluͤgelt und zur Ausuͤbung alles Guten und Schoͤnen anleitet.
Die Zeit hat sich über den Wert der Moralkompendien hinlänglich aufgeklärt, man wünscht mehr Moral im Leben und weniger auf dem Papier, und man wünscht eine Moral der Tat, eine Moral der Jugend, die, statt uns die Flügel zu beschneiden und unsere Fortschritte zu hemmen, uns beflügelt und zur Ausübung alles Guten und Schönen anleitet.
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778
Die Menſchheit, das edle Roß, laͤßt ſich nicht laͤnger mehr trainiren, ſie iſt der Reitſchule mit ihren veralteten Kuͤnſteleien uͤberdruͤßig, ſie will nicht laͤnger im Umkreis weniger Schritte, im verdeckten Kaſten, auf den Wink ihres Bereiters ihre edle Kraft vergeuden, und peitſcht ſie nur, quaͤlt ſie nur, reißt ſie nur im Zuͤgel, ſie hat die offene Thuͤr und das reiche, gruͤne Feld geſehen, ein Schlag, ein Satz und ihr liegt unter ihren Hufen und ein anderer Reiter ſchwebt mit ihr der Freiheit entgegen.
Die Menschheit, das edle Ross, lässt sich nicht länger mehr trainieren, sie ist der Reitschule mit ihren veralteten Künsteleien überdrüssig, sie will nicht länger im Umkreis weniger Schritte, im verdeckten Kasten, auf den Wink ihres Bereiters ihre edle Kraft vergeuden, und peitscht sie nur, quält sie nur, reißt sie nur im Zügel, sie hat die offene Tür und das reiche, grüne Feld gesehen, ein Schlag, ein Satz und ihr liegt unter ihren Hufen und ein anderer Reiter schwebt mit ihr der Freiheit entgegen.
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779
Ich habe bisher nur von der philoſophiſchen Moral dieſes und des vorigen Jahrhunderts geſprochen, von dieſer Antagoniſtin der menſchlichen Kraft und Schoͤnheit, die mit der Anmaßung, eine abſolute zu ſein, in Deutſchland auftrat.
Ich habe bisher nur von der philosophischen Moral dieses und des vorigen Jahrhunderts gesprochen, von dieser Antagonistin der menschlichen Kraft und Schönheit, die mit der Anmaßung, eine absolute zu sein, in Deutschland auftrat.
wienbarg_feldzuege_1834
780
Ich darf Ihnen wohl kaum erklaͤren, daß jede philoſophiſche Moral, erſcheine ſie, zu welcher Zeit ſie wolle, die ſich fuͤr abſolut ausgibt, nur ein Machwerk der Schule und keine Moral des Lebens ſei, da dieſes immer nur unter konkreten Bedingungen zur Erſcheinung kommt.
Ich darf Ihnen wohl kaum erklären, dass jede philosophische Moral, erscheine sie, zu welcher Zeit sie wolle, die sich für absolut ausgibt, nur ein Machwerk der Schule und keine Moral des Lebens sei, da dieses immer nur unter konkreten Bedingungen zur Erscheinung kommt.
wienbarg_feldzuege_1834
781
Jede geſchichtliche Weltanſchauung hat ihr eignes moraliſches Prinzip und ſo lange die chriſtliche bluͤhte, gab es außer der chriſtlichen Moral keine andere, die das Geſetz des Lebens in ſich trug:
Jede geschichtliche Weltanschauung hat ihr eigenes moralisches Prinzip und solange die christliche blühte, gab es außer der christlichen Moral keine andere, die das Gesetz des Lebens in sich trug:
wienbarg_feldzuege_1834
782
Man ſchreibe, wenn man kann, ein Moralkompendium des 13. Jahrhunderts, eine Moral chriſtlichen Ritterthums und Buͤrgerthums, da beſaͤße man doch wenigſtens ein verdienſtvolles hiſtoriſches Werk, das alle die aus dem abſtrakten Begriff des Chriſtenthums abſtrahirten heutigen Moralen an wiſſenſchaftlichem Werth uͤbertreffen wuͤrde; wuͤrde man zeigen, wie die urſpruͤngliche menſchliche Kraft jenes Zeitalters ſich durchdrang von den geſchichtlich gegebenen Elementen des Chriſtenthums und wie dieſe Miſchung ſich in den eigenthuͤmlichſten Formen kryſtalliſirte und das Groͤßte wie das Kleinſte in den ſittlichen Aeußerungen ſo und nicht anders geſtaltete, wie es die Geſchichte lehrt.
Man schreibe, wenn man kann, ein Moralkompendium des 13. Jahrhunderts, eine Moral christlichen Rittertums und Bürgertums, da besäße man doch wenigstens ein verdienstvolles historisches Werk, das alle die aus dem abstrakten Begriff des Christentums abstrahierten heutigen Moral an wissenschaftlichem Wert übertreffen würde; würde man zeigen, wie die ursprüngliche menschliche Kraft jenes Zeitalters sich durchdrang von den geschichtlich gegebenen Elementen des Christentums und wie diese Mischung sich in den eigentümlichsten Formen kristallisierte und das Größte wie das Kleinste in den sittlichen Äußerungen so und nicht anders gestaltete, wie es die Geschichte lehrt.
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783
Aber nun, nachdem ſich die Grundbeſtrebungen der Zeit außer dem fruͤheren, innigern Kontakt mit dem chriſtlichen ſahen, eine Art formeller philoſophiſcher chriſtlicher Moral der geſchichtlich chriſtlichen ſubſtituiren und nach willkuͤhrlichen Abſtraktionen aus dieſer das Gewiſſen der neuen Zeit regeln und beſchweren zu wollen, iſt ein nichtiges Unternehmen, das auf die Geſtaltung des Lebens keinen Einfluß haben und finden, obwohl auf Akademien, wie Alles, ſich eine Zeit lang ſo hinſchleppen wird, bis etwas Beſſeres dafuͤr an die Stelle tritt.
Aber nun, nachdem sich die Grundbestrebungen der Zeit außer dem früheren, innigeren Kontakt mit dem christlichen sahen, eine Art formeller philosophischer christlicher Moral der geschichtlich christlichen substituieren und nach willkürlichen Abstraktionen aus dieser das Gewissen der neuen Zeit regeln und beschweren zu wollen, ist ein nichtiges Unternehmen, das auf die Gestaltung des Lebens keinen Einfluss haben und finden, obwohl auf Akademien, wie alles, sich eine Zeitlang so hinschleppen wird, bis etwas Besseres dafür an die Stelle tritt.
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784
Was ſollen wir mit ſolcher Moral anfangen, wozu ſollte ſie uns nuͤtzlich ſein?
Was sollen wir mit solcher Moral anfangen, wozu sollte sie uns nützlich sein?
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785
Entweder ſie geht unſern Weg und dann iſt ſie nicht das, wofuͤr ſie ſich ausgibt, dann muß ſie ſich beſcheiden, ihr Zentrum noch nicht gefunden zu haben, oder ſie geht ihn nicht und dann predigt ſie tauben Ohren.
Entweder sie geht unseren Weg und dann ist sie nicht das, wofür sie sich ausgibt, dann muss sie sich bescheiden, ihr Zentrum noch nicht gefunden zu haben, oder sie geht ihn nicht und dann predigt sie tauben Ohren.
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786
Sie gibt freilich uͤberall nur einen undeutlichen Ton von ſich, ſo daß Niemand ſich leicht ihrethalben zum Kampfe ruͤſtet.
Sie gibt freilich überall nur einen undeutlichen Ton von sich, so dass niemand sich leicht ihrethalben zum Kampfe rüstet.
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787
Was ſagt ſie uns von der Moralitaͤt oder Unmoralitaͤt unſerer Staatseinrichtungen, was hat ſie fuͤr ein Urtheil uͤber Freiheit und Knechtſchaft?
Was sagt sie uns von der Moralität oder Unmoralität unserer Staatseinrichtungen, was hat sie für ein Urteil über Freiheit und Knechtschaft?
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788
iſt es moraliſch oder unmoraliſch, oder gleichguͤltig, ſich in den Kampf der Zeit einzulaſſen, das Schwert fuͤr Recht und Freiheit zu zuͤcken, das Bollwerk der Privilegien, die Mißbraͤuche des Kaſtenweſens anzugreifen?
ist es moralisch oder unmoralisch, oder gleichgültig, sich in den Kampf der Zeit einzulassen, das Schwert für Recht und Freiheit zu zücken, das Bollwerk der Privilegien, die Missbräuche des Kastenwesens anzugreifen?
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iſt es ein moraliſcher oder unmoraliſcher Zuſtand, daß unſer Volk kein vaterlaͤndiſches, verſtaͤndliches Recht hat, daß es in ſo vielen Laͤndern noch keine Stimme fuͤhrt, wo es ihre vornehmlichſten und heiligſten Intereſſen betrifft?
ist es ein moralischer oder unmoralischer Zustand, dass unser Volk kein vaterländisches, verständliches Recht hat, dass es in so vielen Ländern noch keine Stimme führt, wo es ihre vornehmlichsten und heiligsten Interessen betrifft?