basename
stringclasses
96 values
par_idx
int64
0
10.4k
orig
stringlengths
0
2.46k
norm
stringlengths
0
2.48k
wienbarg_feldzuege_1834
890
In ſo fern finden wir die Natur auf demſelben Wege mit der Kunſt und die Kunſtgeſchichte gewiſſermaßen analog mit der Geſchichte der Naturreiche, indem die Anfaͤnge beider ſich erſt allmaͤhlig aus unbeſtimmter Charakterloſigkeit, aus roher Maſſe, ſchwachen Andeutungen der Glieder aufarbeiteten zu individuelleren Formen und Geſtalten, bis das Prinzip der Schoͤnheit ſich merklich machte und die hoͤchſte Charakteriſtik mit der hoͤchſten Anmuth zuſammenfiel.
Insofern finden wir die Natur auf demselben Wege mit der Kunst und die Kunstgeschichte gewissermaßen analog mit der Geschichte der Naturreiche, indem die Anfänge beider sich erst allmählich aus unbestimmter Charakterlosigkeit, aus roher Masse, schwachen Andeutungen der Glieder aufarbeiteten zu individuelleren Formen und Gestalten, bis das Prinzip der Schönheit sich merklich machte und die höchste Charakteristik mit der höchsten Anmut zusammenfiel.
wienbarg_feldzuege_1834
891
Man kann ſogar darauf anſpielen, daß die aͤlteſte Malerei und Bildhauerei von Thierſymbolen ausging und allmaͤhlig erſt ſich zur Darſtellung des Menſchlichen ſteigerte, dieſes ſelbſt aber Jahrhunderte lang noch ſehr unvollkommen blieb, ſteife, eckige Umriſſe, geſchloſſene Arme und Beine, kaum bemerklichen Unterſchied der Geſchlechter beibehielt, bis nach der Sage Daͤdalus die Bildſaͤulen wandeln ließ, das heißt getrennte Beine, fortſchreitende Fuͤße, freie Arme, offene Augen, entſchiedene Geſchlechtscharakter am Marmorblocke auſfuͤhrte.
Man kann sogar darauf anspielen, dass die älteste Malerei und Bildhauerei von Tiersymbolen ausging und allmählich erst sich zur Darstellung des Menschlichen steigerte, dieses selbst aber jahrhundertelang noch sehr unvollkommen blieb, steife, eckige Umrisse, geschlossene Arme und Beine, kaum bemerkbaren Unterschied der Geschlechter beibehielt, bis nach der Sage Daidalos die Bildsäulen wandeln ließ, das heißt getrennte Beine, fortschreitende Füße, freie Arme, offene Augen, entschiedene Geschlechtscharakter am Marmorblocke ausführte.
wienbarg_feldzuege_1834
892
So ward auch fuͤr die Kunſt das Bedeutende immer mehr Grundſatz und da die Zeichnung der feſten Theile, der Knochenbau als der Traͤger des Bedeutſamſten an der menſchlichen Figur anerkannt werden mußte, ſo gab es in der griechiſchen, wie in jeder andern nationalen Kunſtgeſchichte, einen Zeitraum, wo die Bildung der feſten Theile, des Charakters in ſeinem ſtarren Typus, in ſeinen ſtark ausgedruͤckten Grundzuͤgen, das uͤberwiegende Prinzip war und den ſogenannten Stil ausmachte.
So wurde auch für die Kunst das Bedeutende immer mehr Grundsatz und da die Zeichnung der festen Teile, der Knochenbau als der Träger des Bedeutsamsten an der menschlichen Figur anerkannt werden musste, so gab es in der griechischen, wie in jeder anderen nationalen Kunstgeschichte, einen Zeitraum, wo die Bildung der festen Teile, des Charakters in seinem starren Typus, in seinen stark ausgedrückten Grundzügen, das überwiegende Prinzip war und den sogenannten Stil ausmachte.
wienbarg_feldzuege_1834
893
Winckelmann bezeichnet dieſen zweiten Zeitraum als den großen und hohen Stil der griechiſchen Kunſt, in dem Phidias, Zeitgenoſſe des Miltiades und Themiſtokles, der ausgezeichnetſte Meiſter war.
Winckelmann bezeichnet diesen zweiten Zeitraum als den großen und hohen Stil der griechischen Kunst, in dem Phidias, Zeitgenosse des Miltiades und Themistokles, der ausgezeichnetste Meister war.
wienbarg_feldzuege_1834
894
Erſt im dritten Zeitraum, offenbarte ſich der ſchoͤne Stil, der mit Beibehaltung des charakteriſtiſch Feſten auch das charakteriſtiſch Weiche und Zarte ausdruͤckte, aus welcher Behandlung eben die hohe Schoͤnheit ihrer Meiſterwerke, wozu unter andern der Laokoon gehoͤrt, reſultirte; eben ſo wie die Natur unter allen Schoͤnheiten, die ſie bildet, bei der Bildung eines ſchoͤnen Juͤnglings oder Mannes ſich gleichſam ihr aͤußerſtes Ziel geſetzt hat, da in einer maͤnnlich ſchoͤnen Geſtalt das Feſte und Weiche harmoniſcher in einander aufgehen, als in der ſchoͤnſten weiblichen Geſtalt.
Erst im dritten Zeitraum, offenbarte sich der schöne Stil, der mit Beibehaltung des charakteristisch Festen auch das charakteristisch Weiche und Zarte ausdrückte, aus welcher Behandlung eben die hohe Schönheit ihrer Meisterwerke, wozu unter anderen der Laokoon gehört, resultierte; ebenso wie die Natur unter allen Schönheiten, die sie bildet, bei der Bildung eines schönen Jünglings oder Mannes sich gleichsam ihr äußerstes Ziel gesetzt hat, da in einer männlich schönen Gestalt das Feste und Weiche harmonischer ineinander aufgehen, als in der schönsten weiblichen Gestalt.
wienbarg_feldzuege_1834
895
Allein die Meiſterin Natur hat andere Schwierigkeiten zu beſiegen, als die Meiſter der Kunſt.
Allein die Meisterin Natur hat andere Schwierigkeiten zu besiegen, als die Meister der Kunst.
wienbarg_feldzuege_1834
896
Keine Schoͤnheit kann freilich die ihrige uͤbertreffen, wenn und ſo oft ſie ſich einer ungeſtoͤrten Entwicklung erfreut, die kuͤhnſte Bildnerei und Malerei wird zu Schande vor ihrer nackten Einfalt.
Keine Schönheit kann freilich die ihrige übertreffen, wenn und sooft sie sich einer ungestörten Entwicklung erfreut, die kühnste Bildnerei und Malerei wird zu Schande vor ihrer nackten Einfalt.
wienbarg_feldzuege_1834
897
Waͤhrend aber der echte Kuͤnſtler bei hinlaͤnglich gutem Material alle Zeit im Stande iſt, die Verwirklichung des aͤſthetiſchen Geſetzes charakteriſtiſcher Schoͤnheit ungehindert und ausſchließlich anzuſtreben, wird die Kuͤnſtlerin Natur nur zu oft in ihrem Streben gehemmt und waͤhrend ſie es auf das Hoͤchſte anlegte, auf das blos Nothwendige der Exiſtenz, auf die Rettung des Daſeins ihrer Geſchoͤpfe, auf Selbſterhaltung reduzirt.
Während aber der echte Künstler bei hinlänglich gutem Material alle Zeit imstande ist, die Verwirklichung des ästhetischen Gesetzes charakteristischer Schönheit ungehindert und ausschließlich anzustreben, wird die Künstlerin Natur nur zu oft in ihrem Streben gehemmt und während sie es auf das Höchste anlegte, auf das bloß Notwendige der Existenz, auf die Rettung des Daseins ihrer Geschöpfe, auf Selbsterhaltung reduziert.
wienbarg_feldzuege_1834
898
Sehen Sie hier, meine Herren, den weſentlichen Unterſchied zwiſchen dem Bildungsgange der Natur und der Kunſt.
Sehen Sie hier, meine Herren, den wesentlichen Unterschied zwischen dem Bildungsgange der Natur und der Kunst.
wienbarg_feldzuege_1834
899
Die Kunſt gehoͤrt dem Reiche der Freiheit, die Natur dem Reiche der Nothwendigkeit an, die Kunſt kann nur wollen, und ihrem Willen gelingt das Schoͤnſte, die Natur aber, beim beſten Willen, ſieht ſich nicht ſelten genoͤthigt, durch den Schrei der nackten Exiſtenz innerlich gezwungen, ihren auf das Schoͤne gerichteten Willen zu brechen und zunaͤchſt nur die aͤrmlichen Forderungen des Daſeins zu erfuͤllen.
Die Kunst gehört dem Reiche der Freiheit, die Natur dem Reiche der Notwendigkeit an, die Kunst kann nur wollen, und ihrem Willen gelingt das Schönste, die Natur aber, beim besten Willen, sieht sich nicht selten genötigt, durch den Schrei der nackten Existenz innerlich gezwungen, ihren auf das Schöne gerichteten Willen zu brechen und zunächst nur die ärmlichen Forderungen des Daseins zu erfüllen.
wienbarg_feldzuege_1834
900
Die ganze Organiſation iſt ja nur die Frucht eines Kampfes der bildenden Natur mit den rohen und regelloſen Kraͤften des Chemiſchen, Unorganiſchen, Chaotiſchen, das von allen Seiten auf das Organiſche eindringt, tuͤckiſch auf jede Bloͤße lauert, welche daſſelbe darbietet und dann ſogleich den nagenden, zerſtoͤrenden Zahn unmittelbar auf den Nerv der kranken Stelle heftet.
Die ganze Organisation ist ja nur die Frucht eines Kampfes der bildenden Natur mit den rohen und regellosen Kräften des Chemischen, Unorganischen, Chaotischen, das von allen Seiten auf das Organische eindringt, tückisch auf jede Blöße lauert, welche dasselbe darbietet und dann sogleich den nagenden, zerstörenden Zahn unmittelbar auf den Nerv der kranken Stelle heftet.
wienbarg_feldzuege_1834
901
So kann man z. B. das ganze Verdauungsſyſtem der Thiere als einen defenſiven Akt der organiſchen Natur betrachten, die Speiſen, die wir zu uns nehmen, und die unſer Magen mit ſo gebieteriſcher Regelmaͤßigkeit verlangt, ſind bei weitem weniger zu unſerer Ernaͤhrung, als zu unſerer Vertheidigung beſtimmt, wir werfen die animaliſchen und vegetabiliſchen Stoffe dem Zerſtoͤrer hin zur chemiſchen Zerſetzung, damit nicht unſer eigener Koͤrper ihm zur Zerſetzung und Zerſtoͤrung anheimfalle.
So kann man z. B. das ganze Verdauungssystem der Tiere als einen defensiven Akt der organischen Natur betrachten, die Speisen, die wir zu uns nehmen, und die unser Magen mit so gebieterischer Regelmäßigkeit verlangt, sind bei weitem weniger zu unserer Ernährung, als zu unserer Verteidigung bestimmt, wir werfen die animalischen und vegetabilischen Stoffe dem Zerstörer hin zur chemischen Zersetzung, damit nicht unser eigener Körper ihm zur Zersetzung und Zerstörung anheimfalle.
wienbarg_feldzuege_1834
902
Hier ſehen wir alſo einen Erhaltungsakt, der einem regelmaͤßigen Syſtem des Koͤrpers angehoͤrt, auf dem ſeine ganze Exiſtenz baſirt iſt; allein, nun bedenken Sie die tauſend moͤglichen, unvorhergeſehenen Zufaͤlle, in welchen der geſchloſſene Organismus durchbrochen und feierlich angegriffen werden kann, das Heer der Stoͤrungen und Krankheiten, welche die Huͤlfsmittel der Natur auf einem Punkt in Anſpruch nehmen und ſich ihrer harmoniſchen Verwendung fuͤr das Ganze widerſetzen, und Sie begreifen, daß dieſe Meiſterin ſelten in voller Kraft, und gleichſam in Ruhe und Muße fortarbeiten und die Idee, die ihr vorſchwebt, zur Ausfuͤhrung und Vollendung bringen kann.
Hier sehen wir also einen Erhaltungsakt, der einem regelmäßigen System des Körpers angehört, auf dem seine ganze Existenz basiert ist; allein, nun bedenken Sie die tausend möglichen, unvorhergesehenen Zufälle, in welchen der geschlossene Organismus durchbrochen und feierlich angegriffen werden kann, das Heer der Störungen und Krankheiten, welche die Hilfsmittel der Natur auf einem Punkt in Anspruch nehmen und sich ihrer harmonischen Verwendung für das Ganze widersetzen, und Sie begreifen, dass diese Meisterin selten in voller Kraft, und gleichsam in Ruhe und Muße fortarbeiten und die Idee, die ihr vorschwebt, zur Ausführung und Vollendung bringen kann.
wienbarg_feldzuege_1834
903
Licht, Luft, Erde, Waſſer, Waͤrme, Kaͤlte u. ſ. w. bedingen unaufhoͤrlich die ideale Thaͤtigkeit der Natur, und was zu den ſchoͤnſten Formen berechnet war, kann der Zufall in die aͤrmlichſten und ſchlechteſten hinabdruͤcken.
Licht, Luft, Erde, Wasser, Wärme, Kälte u. s. w. bedingen unaufhörlich die ideale Tätigkeit der Natur, und was zu den schönsten Formen berechnet war, kann der Zufall in die ärmlichsten und schlechtesten hinabdrücken.
wienbarg_feldzuege_1834
904
Ich glaube annehmen zu duͤrfen, meine Herren, daß die aufgeſtellte Anſicht vom Verhaͤltniß der Natur zur Kunſt Manchem unter Ihnen Veranlaſſung gegeben, ſein Nachdenken auf dieſen wichtigen Gegenſtand zu richten, der Ihnen vielleicht unter neuem Geſichtspunkte erſchien.
Ich glaube annehmen zu dürfen, meine Herren, dass die aufgestellte Ansicht vom Verhältnis der Natur zur Kunst manchem unter Ihnen Veranlassung gegeben, sein Nachdenken auf diesen wichtigen Gegenstand zu richten, der Ihnen vielleicht unter neuem Gesichtspunkte erschien.
wienbarg_feldzuege_1834
905
Um ſo mehr darf ich hoffen, Ihre Aufmerkſamkeit mir zu bewahren, wenn ich den Faden wieder aufnehme und das Allgemeine noch einer beſondern Betrachtung unterwerfe.
Um so mehr darf ich hoffen, Ihre Aufmerksamkeit mir zu bewahren, wenn ich den Faden wieder aufnehme und das Allgemeine noch einer besonderen Betrachtung unterwerfe.
wienbarg_feldzuege_1834
906
Natur und Kunſt, ſo ließen wir uns vernehmen, theilen dieſelbe Aufgabe, organiſche Einheiten zu bilden, Begriffe, Charaktere auszupraͤgen und dieſelben mit der Bluͤthe der Schoͤnheit anzuhauchen.
Natur und Kunst, so ließen wir uns vernehmen, teilen dieselbe Aufgabe, organische Einheiten zu bilden, Begriffe, Charaktere auszuprägen und dieselben mit der Blüte der Schönheit anzuhauchen.
wienbarg_feldzuege_1834
907
Fuͤr diejenigen nun, welche gewohnt ſind, die Natur als ein rein Materielles, Todtes, Begriffloſes zu betrachten, welche daher die Schoͤnheit ſelber nur in der Ausdehnung und in raͤumlichen Verhaͤltniſſen finden, hat eine ſolche Anſicht wenig Empfehlendes.
Für diejenigen nun, welche gewohnt sind, die Natur als ein rein Materielles, Totes, Begriffloses zu betrachten, welche daher die Schönheit selber nur in der Ausdehnung und in räumlichen Verhältnissen finden, hat eine solche Ansicht wenig Empfehlendes.
wienbarg_feldzuege_1834
908
Sie gehen weder in der Natur noch in der Kunſt von der Seele aus und unbekannt bleibt ihnen daher jene gemeinſchaftliche Quelle deſſen, was ihr Auge an den Produkten der Natur und Kunſt in Entzuͤckung ſetzt.
Sie gehen weder in der Natur noch in der Kunst von der Seele aus und unbekannt bleibt ihnen daher jene gemeinschaftliche Quelle dessen, was ihr Auge an den Produkten der Natur und Kunst in Entzückung setzt.
wienbarg_feldzuege_1834
909
Erkennen wir jene poſitive geiſtige Kraft an, welche den zufaͤlligen und willkuͤhrlichen Stoff zur Einheit des Begriffes verbindet und die widerſtrebenden Atome zwingt, ſich um dieſen zu verſammeln.
Erkennen wir jene positive geistige Kraft an, welche den zufälligen und willkürlichen Stoff zur Einheit des Begriffes verbindet und die widerstrebenden Atome zwingt, sich um diesen zu versammeln.
wienbarg_feldzuege_1834
910
Eine geiſtige Symmetrie beherrſcht die koͤrperliche, der Blick des Auges, die ausſtrahlende Seele wirkt der aͤußere Bau und die Wohl- oder Mißverhaͤltniſſe unſers Sehorgans.
Eine geistige Symmetrie beherrscht die körperliche, der Blick des Auges, die ausstrahlende Seele wirkt der äußere Bau und die Wohl- oder Missverhältnisse unseres Sehorgans.
wienbarg_feldzuege_1834
911
Kann man daher behaupten, daß es blos koͤrperliche Schwingungen, Winkel und Linien ſind, womit uns das Auge der Schoͤnheit anlaͤchelt, oder iſt es nicht vielmehr das geiſtige Etwas, das ſich durch dieſe Linien und Winkel ſymboliſch verraͤth?
Kann man daher behaupten, dass es bloß körperliche Schwingungen, Winkel und Linien sind, womit uns das Auge der Schönheit anlächelt, oder ist es nicht vielmehr das geistige Etwas, das sich durch diese Linien und Winkel symbolisch verrät?
wienbarg_feldzuege_1834
912
Ich beruͤhre hier einen Punkt, um den ſich die deutſche Naturphiloſophie wie um ihr Zentrum dreht.
Ich berühre hier einen Punkt, um den sich die deutsche Naturphilosophie wie um ihr Zentrum dreht.
wienbarg_feldzuege_1834
913
Wenn die Natur nicht eben ſo gut Verſtand und Kunſt beſaͤße, als wir Menſchen, wenn die Natur nicht eben ſo gut Begriffe enthielte, als das philoſophiſche Hirn, wie ſollte der Menſch zum Begriff und Verſtaͤndniß der Natur gelangen.
Wenn die Natur nicht ebenso gut Verstand und Kunst besäße, als wir Menschen, wenn die Natur nicht ebenso gut Begriffe enthielte, als das philosophische Hirn, wie sollte der Mensch zum Begriff und Verständnis der Natur gelangen.
wienbarg_feldzuege_1834
914
Bleibt es doch unumſtoͤßlich wahr, daß das Fremde das Fremde nicht begreift, daß nur Gleiches von Gleichem erkannt wird, daß die Seele nichts wiſſen koͤnnte von den Dingen, wenn die Dinge nicht ſeeliſch, ſeeliſcher Natur, ſeeliſchen Urſprungs waͤren.
Bleibt es doch unumstößlich wahr, dass das Fremde das Fremde nicht begreift, dass nur Gleiches von Gleichem erkannt wird, dass die Seele nichts wissen könnte von den Dingen, wenn die Dinge nicht seelisch, seelischer Natur, seelischen Ursprungs wären.
wienbarg_feldzuege_1834
915
Wodurch unterſcheidet ſich denn die Wirkſamkeit der Naturdinge von der Wirkſamkeit unſeres Geiſtes?
Wodurch unterscheidet sich denn die Wirksamkeit der Naturdinge von der Wirksamkeit unseres Geistes?
wienbarg_feldzuege_1834
916
Durch das Bewußtſein, jene Sonne, die auf den niederſten Stufen der Natur ſich hinter dem Horizont verbirgt und nach graduellen Daͤmmerungen leuchtend in der Seele des Menſchen hervortritt.
Durch das Bewusstsein, jene Sonne, die auf den niedersten Stufen der Natur sich hinter dem Horizont verbirgt und nach graduellen Dämmerungen leuchtend in der Seele des Menschen hervortritt.
wienbarg_feldzuege_1834
917
Die Natur ſtellt keine Reflexionen an.
Die Natur stellt keine Reflexionen an.
wienbarg_feldzuege_1834
918
Bei der Roſe iſt der Begriff zugleich die That, der Entwurf die Ausfuͤhrung.
Bei der Rose ist der Begriff zugleich die Tat, der Entwurf die Ausführung.
wienbarg_feldzuege_1834
919
Daher iſt auch ſinnliche Anſchauung Anfang und Ende der Naturforſchung.
Daher ist auch sinnliche Anschauung Anfang und Ende der Naturforschung.
wienbarg_feldzuege_1834
920
Der Phyſiolog ergreift mit dem Auge den verkoͤrperten Gedanken der Naturgegenſtaͤnde, den Begriff, die Operationen der Natur in ihren immanenten Urtheilen und Schluͤſſen; er huͤtet ſich weislich, ſeine eigenen Begriffe, Urtheile und Schluͤſſe der Natur unterzuſchieben.
Der Physiologe ergreift mit dem Auge den verkörperten Gedanken der Naturgegenstände, den Begriff, die Operationen der Natur in ihren immanenten Urteilen und Schlüssen; er hütet sich weislich, seine eigenen Begriffe, Urteile und Schlüsse der Natur unterzuschieben.
wienbarg_feldzuege_1834
921
So z. B. ſieht ein Goethe den generellen Pflanzenbegriff im Blatt der Pflanze, die Pflanze iſt ihm Wiederholung des Blattes, das ſich periodiſch ſucceſſive entfaltet und ſchließt, Staͤngel, Knoten, Bluͤthe und Frucht bildet und ſo an ſich ſelbſt die Urtheile und Schluͤſſe vornimmt, die der beobachtende Phyſiolog nur zu wiederholen und gleichſam in menſchliche Sprache zu uͤberſetzen hat.
So z. B. sieht ein Goethe den generellen Pflanzenbegriff im Blatt der Pflanze, die Pflanze ist ihm Wiederholung des Blattes, das sich periodisch sukzessive entfaltet und schließt, Stängel, Knoten, Blüte und Frucht bildet und so an sich selbst die Urteile und Schlüsse vornimmt, die der beobachtende Physiologe nur zu wiederholen und gleichsam in menschliche Sprache zu übersetzen hat.
wienbarg_feldzuege_1834
922
Selbſt die rohe Materie trachtet ja nach Einheit und Geſtaltung, ſie nimmt ſtereometriſche Formen an, die dem Reich der Begriffe angehoͤren und etwas Geiſtiges in der verhaͤrtetſten Materie repraͤſentiren.
Selbst die rohe Materie trachtet ja nach Einheit und Gestaltung, sie nimmt stereometrische Formen an, die dem Reich der Begriffe angehören und etwas Geistiges in der verhärtetsten Materie repräsentieren.
wienbarg_feldzuege_1834
923
„Den Geſtirnen,“ ſagt Schelling, „iſt die erhabenſte Zahl und Meßkunſt eingeboren, die ſie ohne einen Begriff derſelben in ihren Bewegungen ausuͤben; deutlicher, obwohl ihnen ſelbſt unfaßlich erſcheint die lebendige Erkenntniß in Thieren, welche wir unzaͤhlige Wirkungen hervorbringen ſehen, die viel herrlicher ſind, als ſie ſelbſt; der Vogel, der von Muſik berauſcht in ſeelenvollen Toͤnen ſich ſelbſt uͤbertrifft, das kleine, kunſtbegabte Geſchoͤpf, das ohne Uebung und Unterricht leichte Werke der Architektur vollbringt, alle aber geleitet von einem uͤbermaͤchtigen Geiſt, der ſchon in einzelnen Blitzen von Erkenntniß hervorleuchtet.
„Den Gestirnen,“ sagt Schelling, „ist die erhabenste Zahl und Messkunst eingeboren, die sie ohne einen Begriff derselben in ihren Bewegungen ausüben; deutlicher, obwohl ihnen selbst unfasslich erscheint die lebendige Erkenntnis in Tieren, welche wir unzählige Wirkungen hervorbringen sehen, die viel herrlicher sind, als sie selbst; der Vogel, der von Musik berauscht in seelenvollen Tönen sich selbst übertrifft, das kleine, kunstbegabte Geschöpf, das ohne Übung und Unterricht leichte Werke der Architektur vollbringt, alle aber geleitet von einem übermächtigen Geist, der schon in einzelnen Blitzen von Erkenntnis hervorleuchtet.
wienbarg_feldzuege_1834
924
wienbarg_feldzuege_1834
925
Es iſt derſelbe Geiſt, der im Menſchen als Freiheit erſcheint.
Es ist derselbe Geist, der im Menschen als Freiheit erscheint.
wienbarg_feldzuege_1834
926
Schon in den Naturweſen bemerken wir die Thaͤtigkeit, welche uͤber die Exiſtenz des Thieres hinausgeht, welche nicht blos im Innern Knochen baut und die aͤußere Haut mit Federn und Haaren beſetzt, ſondern nach Außen ſich abloͤſt, ein kuͤnſtleriſches Reſiduum zuruͤcklaͤßt, einen Geſang, ein Geſpinnſt, ein Neſt und dergleichen zu Tage foͤrdert.
Schon in den Naturwesen bemerken wir die Tätigkeit, welche über die Existenz des Tieres hinausgeht, welche nicht bloß im Inneren Knochen baut und die äußere Haut mit Federn und Haaren besetzt, sondern nach Außen sich ablöst, ein künstlerisches Residuum zurücklässt, einen Gesang, ein Gespinst, ein Nest und dergleichen zutage fördert.
wienbarg_feldzuege_1834
927
Das iſt dieſelbe bildende Kraft, die den Arm des Michel Angelo bewegte, die ſich zum menſchlichen Genius verklaͤrt und zugleich mit daͤmoniſcher Unwiderſtehlichkeit, mit unbewußtem Drang wie mit menſchlich bewußter Freiheit Meißel und Pinſel ergreift und eine zweite hoͤhere Schoͤpfung in der Schoͤpfung hervorbringt.
Das ist dieselbe bildende Kraft, die den Arm des Michel Angelo bewegte, die sich zum menschlichen Genius verklärt und zugleich mit dämonischer Unwiderstehlichkeit, mit unbewusstem Drang wie mit menschlich bewusster Freiheit Meißel und Pinsel ergreift und eine zweite höhere Schöpfung in der Schöpfung hervorbringt.
wienbarg_feldzuege_1834
928
Nur auf den hoͤchſten Stufen der Individualitaͤt wirkt die unbewußte Natur ſeeliſche Schoͤnheit und Anmuth, der bewußte Menſch ſteht ſchon oder ſollte ſchon auf dieſer ſtehen, er findet das Geſetz der Schoͤnheit in ſich, außer ſich, die Wahl des Schoͤnſten ſteht ſeiner Kuͤnſtlerhand offen und wenn er ſich vergreift, wenn er ſtatt Seelen nur Leiber, ſtatt Edelm Unedles bildet, ſo faͤllt die Schuld einzig und allein auf ſein Haupt, er hat ſeine Freiheit gemißbraucht, den Beruf der Kunſt, ſein ſchoͤnſtes Vorrecht vor der blind und nothduͤrftig waltenden Natur, ungehinderte Bildung des Schoͤnſten im Charakter des Individuellen, verkannt.
Nur auf den höchsten Stufen der Individualität wirkt die unbewusste Natur seelische Schönheit und Anmut, der bewusste Mensch steht schon oder sollte schon auf dieser stehen, er findet das Gesetz der Schönheit in sich, außer sich, die Wahl des Schönsten steht seiner Künstlerhand offen und wenn er sich vergreift, wenn er statt Seelen nur Leiber, statt Edlem unedles bildet, so fällt die Schuld einzig und allein auf sein Haupt, er hat seine Freiheit missbraucht, den Beruf der Kunst, sein schönstes Vorrecht vor der blind und notdürftig waltenden Natur, ungehinderte Bildung des Schönsten im Charakter des Individuellen, verkannt.
wienbarg_feldzuege_1834
929
Dieſe gluͤckliche Lage der Kunſt zur Natur ſollte man richtig einſehen und fleißig bedenken, will man uͤber den Werth der verſchiedenen Kunſtleiſtungen ein richtiges Urtheil faͤllen.
Diese glückliche Lage der Kunst zur Natur sollte man richtig einsehen und fleißig bedenken, will man über den Wert der verschiedenen Kunstleistungen ein richtiges Urteil fällen.
wienbarg_feldzuege_1834
930
Wirkt und ſchafft der Kuͤnſtler blind, ſo unterſcheidet er ſich durch nichts von der Natur, als durch die Unvollkommenheit ſeines Werkes, verglichen mit demſelben Werk der Natur.
Wirkt und schafft der Künstler blind, so unterscheidet er sich durch nichts von der Natur, als durch die Unvollkommenheit seines Werkes, verglichen mit demselben Werk der Natur.
wienbarg_feldzuege_1834
931
Will er ſich aber mit Bewußtſein der Natur blos unterordnen, ſo wird es ihm nicht darauf ankommen, welchen Gegenſtand er fuͤr die Kunſt bearbeitet, er wird mit knechtiſcher Treue dieſen Gegenſtand wiedergeben, verdoppeln, Abſchreiber der Natur aber kein Kuͤnſtler ſein.
Will er sich aber mit Bewusstsein der Natur bloß unterordnen, so wird es ihm nicht darauf ankommen, welchen Gegenstand er für die Kunst bearbeitet, er wird mit knechtischer Treue diesen Gegenstand wiedergeben, verdoppeln, Abschreiber der Natur aber kein Künstler sein.
wienbarg_feldzuege_1834
932
Kuͤnſtler iſt er nur dann, wenn er Seelen erfaßt, wenn er ſeeliſche Schoͤnheit in ihrer Verkoͤrperung darſtellt, wenn er alles Koͤrperliche nur als Symbol des Geiſtigen betrachtet und ſolche Symbolik aus ſeinem Kunſtwerk klaͤrlich durchblicken laͤßt.
Künstler ist er nur dann, wenn er Seelen erfasst, wenn er seelische Schönheit in ihrer Verkörperung darstellt, wenn er alles Körperliche nur als Symbol des Geistigen betrachtet und solche Symbolik aus seinem Kunstwerk klärlich durchblicken lässt.
wienbarg_feldzuege_1834
933
Jenen im Innern der Dinge wirkſamen, durch koͤrperliche Sinnbilder zum Auge ſprechenden Naturgeiſt ſoll er in ſich lebendig machen und erſt nach lebendiger Ergreifung deſſelben zur Nachahmung des Naturwerkes ſchreiten.
Jenen im Inneren der Dinge wirksamen, durch körperliche Sinnbilder zum Auge sprechenden Naturgeist soll er in sich lebendig machen und erst nach lebendiger Ergreifung desselben zur Nachahmung des Naturwerkes schreiten.
wienbarg_feldzuege_1834
934
Dann hat er etwas Kuͤnſtleriſches geſchaffen, das weder Natur noch Ideal iſt; denn es iſt etwas Hoͤheres als die Natur, etwas Wahrhafteres als Ideal, als eine Grille, die willkuͤhrliche Schoͤnheiten willkuͤhrlich zuſammenrafft.
Dann hat er etwas Künstlerisches geschaffen, das weder Natur noch Ideal ist; denn es ist etwas Höheres als die Natur, etwas Wahrhafteres als Ideal, als eine Grille, die willkürliche Schönheiten willkürlich zusammenrafft.
wienbarg_feldzuege_1834
935
Es bedarf naͤmlich wohl keiner beſondern Erwaͤhnung und Ausfuͤhrung, daß fuͤr die Kunſt das Ueberſchwaͤngliche, Idealiſche eben ſo unzulaͤſſig ſei, als das Gemeine, Sklaviſche, Kopirte.
Es bedarf nämlich wohl keiner besonderen Erwähnung und Ausführung, dass für die Kunst das Überschwängliche, Idealische eben so unzulässig sei, als das Gemeine, Sklavische, Kopierte.
wienbarg_feldzuege_1834
936
Die Forderung zu idealiſiren, ſagt Schelling ſehr treffend, die Manche an den Kuͤnſtler machen, ſcheint aus einer Denkart entſprungen zu ſein, nach welcher nicht die Wahrheit, Schoͤnheit, Guͤte, ſondern von Allem das Gegentheil das Wirkliche iſt.
Die Forderung zu idealisieren, sagt Schelling sehr treffend, die Manche an den Künstler machen, scheint aus einer Denkart entsprungen zu sein, nach welcher nicht die Wahrheit, Schönheit, Güte, sondern von allem das Gegenteil das Wirkliche ist.
wienbarg_feldzuege_1834
937
Waͤre das Wirkliche der Wahrheit und Schoͤnheit entgegengeſetzt, ſo muͤßte es der Kuͤnſtler nicht idealiſiren, ſondern vernichten, um an deſſen Stelle die Schoͤnheit hinzupflanzen.
Wäre das Wirkliche der Wahrheit und Schönheit entgegengesetzt, so müsste es der Künstler nicht idealisieren, sondern vernichten, um an dessen Stelle die Schönheit hinzupflanzen.
wienbarg_feldzuege_1834
938
Nicht das Wirkliche als wirklich will der Kuͤnſtler nachahmen, ſondern dem Wirklichen eine kuͤnſtleriſche Bedeutung geben.
Nicht das Wirkliche als wirklich will der Künstler nachahmen, sondern dem Wirklichen eine künstlerische Bedeutung geben.
wienbarg_feldzuege_1834
939
Der Kuͤnſtler huͤtet ſich wohl, die marmornen Wangen ſeiner Diane roth zu faͤrben.
Der Künstler hütet sich wohl, die marmornen Wangen seiner Diane rot zu färben.
wienbarg_feldzuege_1834
940
Er vermeidet ſelbſt den Schein, als habe er mit der Natur wetteifern wollen.
Er vermeidet selbst den Schein, als habe er mit der Natur wetteifern wollen.
wienbarg_feldzuege_1834
941
Er verachtet den Trug natuͤrlicher Lebendigkeit, jedes Inſekt, das auf dem Boden kriecht, wuͤrde ihn beſchaͤmen.
Er verachtet den Trug natürlicher Lebendigkeit, jedes Insekt, das auf dem Boden kriecht, würde ihn beschämen.
wienbarg_feldzuege_1834
942
Er fuͤhlt ſich nicht geſchmeichelt, wenn ſein Gemaltes oder Gemeißeltes des Zuſchauers Sinne in die Taͤuſchung verſetzt, als ſei es ein Lebendiges und Leibhaftes.
Er fühlt sich nicht geschmeichelt, wenn sein Gemaltes oder Gemeißeltes des Zuschauers Sinne in die Täuschung versetzt, als sei es ein Lebendiges und Leibhaftes.
wienbarg_feldzuege_1834
943
Jene griechiſchen Anekdoten von gemalten Trauben und anpickenden Voͤgeln, von gemalten Pferden und anwiehernden lebendigen ſind zweifelsohne reine Erdichtung; jedenfalls aber keine Beweiſe großer Kunſt.
Jene griechischen Anekdoten von gemalten Trauben und anpickenden Vögeln, von gemalten Pferden und anwiehernden lebendigen sind zweifelsohne reine Erdichtung; jedenfalls aber keine Beweise großer Kunst.
wienbarg_feldzuege_1834
944
Wollte man ſie dafuͤr ausgeben, ſo waͤren Wachsfiguren die Meiſterwerke der Kunſt, ſie kommen dem Leben am Naͤchſten, ſtehen aber eben deswegen vom Leben am Entfernteſten ab.
Wollte man sie dafür ausgeben, so wären Wachsfiguren die Meisterwerke der Kunst, sie kommen dem Leben am nächsten, stehen aber eben deswegen vom Leben am entferntesten ab.
wienbarg_feldzuege_1834
945
Dadurch erregen ſie dem natuͤrlichen Betrachter den widerlichſten Eindruck.
Dadurch erregen sie dem natürlichen Betrachter den widerlichsten Eindruck.
wienbarg_feldzuege_1834
946
Sie ſtieren uns an, als wollten ſie uns weiß machen, daß ſie lebten, aber uns graut vor dieſem waͤchſernen Blick, vor dieſen unbegrabenen Leichen mit offenen Augen und rothen Wangen und wir verwuͤnſchen die Fingerfertigkeit des Wachskuͤnſtlers, der uns mit den Haaren zur Taͤuſchung herbeiziehen will.
Sie stieren uns an, als wollten sie uns weiß machen, dass sie lebten, aber uns graut vor diesem wächsernen Blick, vor diesen unbegrabenen Leichen mit offenen Augen und roten Wangen und wir verwünschen die Fingerfertigkeit des Wachskünstlers, der uns mit den Haaren zur Täuschung herbeiziehen will.
wienbarg_feldzuege_1834
947
Dagegen betrachten wir mit Luſt und Bewunderung die Arbeiten des Bildhauers, die uns lebendige Weſen, Goͤtter, Helden, Frauen vor's Auge fuͤhren — ihre marmorne Haut ſcheint uns nicht geſpenſtiſch, eben ſo wenig ihr ſternloſes Auge; ja, wir wuͤrden eher von dieſer Empfindung beſchlichen werden, wenn ein ſolcher Stern des Marmorauges unſern Blicken begegnete.
Dagegen betrachten wir mit Lust und Bewunderung die Arbeiten des Bildhauers, die uns lebendige Wesen, Götter, Helden, Frauen vors Auge führen — ihre marmorne Haut scheint uns nicht gespenstisch, ebensowenig ihr sternloses Auge; ja, wir würden eher von dieser Empfindung beschlichen werden, wenn ein solcher Stern des Marmorauges unseren Blicken begegnete.
wienbarg_feldzuege_1834
948
Wir ſehen, der Kuͤnſtler hat uns kein qui pro quo vormachen wollen, er gab uns das Leben der Kunſt ohne Wetteifer mit dem Leben der Natuͤrlichkeit, ohne Falſchmuͤnzerei, wie der Wachsboſſirer.
Wir sehen, der Künstler hat uns kein qui pro quo vormachen wollen, er gab uns das Leben der Kunst ohne Wetteifer mit dem Leben der Natürlichkeit, ohne Falschmünzerei, wie der Wachsbossierer.
wienbarg_feldzuege_1834
949
Lebendig und wahr ſoll alſo die Kunſt ſein wie die Natur, aber die Kunſt, wie es ihr ſelbſt, nicht wie es der Natur zukommt.
Lebendig und wahr soll also die Kunst sein wie die Natur, aber die Kunst, wie es ihr selbst, nicht wie es der Natur zukommt.
wienbarg_feldzuege_1834
950
Dieſes Geſetz gilt in allen Kreiſen der Kunſt und man erkennt eben den Pfuſcher in der Malerei, den Maler, dem die Weihe der Kunſt abgeht, ſaͤhe man ihn auch im Beſitz vortrefflicher Kunſtgriffe und mechaniſcher Fertigkeiten, man erkennt ihn hauptſaͤchlich an der falſchen Beſtrebung naturwahr ſtatt kunſtwahr zu ſein, mit Fruͤchten, Figuren, Gegenſtaͤnden aller Art das Auge des Beſchauers gleichſam aufzufordern, ſie mit natuͤrlichen in Vergleich zu ſtellen.
Dieses Gesetz gilt in allen Kreisen der Kunst und man erkennt eben den Pfuscher in der Malerei, den Maler, dem die Weihe der Kunst abgeht, sähe man ihn auch im Besitz vortrefflicher Kunstgriffe und mechanischer Fertigkeiten, man erkennt ihn hauptsächlich an der falschen Bestrebung naturwahr statt kunstwahr zu sein, mit Früchten, Figuren, Gegenständen aller Art das Auge des Beschauers gleichsam aufzufordern, sie mit natürlichen in Vergleich zu stellen.
wienbarg_feldzuege_1834
951
In der Malerei faͤllt dies Beſtreben um ſo mehr auf, da ſie nicht freie, rings von Luft umgebene Bilder liefert, wie die Bildhauerei, ſondern da man ausdruͤcklich ihre Bilder als Bilder anſehen ſoll.
In der Malerei fällt dies Bestreben um so mehr auf, da sie nicht freie, rings von Luft umgebene Bilder liefert, wie die Bildhauerei, sondern da man ausdrücklich ihre Bilder als Bilder ansehen soll.
wienbarg_feldzuege_1834
952
Sie legt ja darum auch weniger Gewicht auf die Materie, als die Plaſtik, will ſchon mehr als Seele zur Seele ſprechen, dagegen die Bildhauerei, dem Material nach, ganz und gar in der Sinnenwelt ruht und ein Taſtbares, Irdiſches darſtellt.
Sie legt ja darum auch weniger Gewicht auf die Materie, als die Plastik, will schon mehr als Seele zur Seele sprechen, dagegen die Bildhauerei, dem Material nach, ganz und gar in der Sinnenwelt ruht und ein Tastbares, irdisches darstellt.
wienbarg_feldzuege_1834
953
Daher ſtammen die verſchiedenen Geſetze, die der Bildhauer und der Maler in der Darſtellung befolgen.
Daher stammen die verschiedenen Gesetze, die der Bildhauer und der Maler in der Darstellung befolgen.
wienbarg_feldzuege_1834
954
Waͤhrend jener ſich in Acht nimmt, die Zuͤge der Leidenſchaft ſeinen Figuren uͤber ein gewiſſes Maaß einzupraͤgen, ja waͤhrend er ſich's zum Geſetze macht, das bloße Leiden, den reinen Schmerz im Stein nicht zu verewigen, iſt dem Maler keine ſo aͤngſtliche Grenze geſetzt und der hoͤchſte Schmerz wie die hoͤchſte Luſt, Leidenſchaft, Leiden, Duldung, That gelingen ſeinem Pinſel auf's Vollkommenſte, falls er anders nicht vergißt, daß auch ihm ein gewiſſes Maaß der Leidens- und Thataͤußerungen von Noͤthen bleibt.
Während jener sich in Acht nimmt, die Züge der Leidenschaft seinen Figuren über ein gewisses Maß einzuprägen, ja während er sich es zum Gesetze macht, das bloße Leiden, den reinen Schmerz im Stein nicht zu verewigen, ist dem Maler keine so ängstliche Grenze gesetzt und der höchste Schmerz wie die höchste Lust, Leidenschaft, Leiden, Duldung, Tat gelingen seinem Pinsel aufs Vollkommenste, falls er anders nicht vergisst, dass auch ihm ein gewisses Maß der Leidens- und Tatäußerungen vonnöten bleibt.
wienbarg_feldzuege_1834
955
Aus dieſem leicht bewaͤhrten Gegenſatz der Malerei und der Plaſtik ergibt ſich das Vorherrſchen der letzteren im Alterthum, das Vorherrſchen der erſteren in der neuern Geſchichte.
Aus diesem leicht bewährten Gegensatz der Malerei und der Plastik ergibt sich das Vorherrschen der letzteren im Altertum, das Vorherrschen der ersteren in der neueren Geschichte.
wienbarg_feldzuege_1834
956
Beide aber, Plaſtik und Malerei, werden fuͤr ewig in ihren beſtimmten Kreiſen getrennt operiren; die Plaſtik darf nicht ins Maleriſche, die Malerei nicht ins Plaſtiſche ausarten.
Beide aber, Plastik und Malerei, werden für ewig in ihren bestimmten Kreisen getrennt operieren; die Plastik darf nicht ins Malerische, die Malerei nicht ins Plastische ausarten.
wienbarg_feldzuege_1834
957
Nicht ohne Zeitbedeutung ſcheint es zu ſein, daß die Plaſtik der neueſten Zeit an Canova, beſonders an Thorwaldſen ſo große Meiſter gefunden; es iſt ein Sieg der That uͤber die bloße Empfindung, des Griechenthums uͤber das Mittelalter.
Nicht ohne Zeitbedeutung scheint es zu sein, dass die Plastik der neuesten Zeit an Canova, besonders an Thorvaldsen so große Meister gefunden; es ist ein Sieg der Tat über die bloße Empfindung, des Griechentums über das Mittelalter.
wienbarg_feldzuege_1834
958
Noch geiſtiger als die Malerei zeigte ſich die Poeſie und grade um ſo viel geiſtiger, als ihr Material, die Buchſtaben, geiſtiger ſind, als geriebene Farbenerde.
Noch geistiger als die Malerei zeigte sich die Poesie und gerade um so viel geistiger, als ihr Material, die Buchstaben, geistiger sind, als geriebene Farbenerde.
wienbarg_feldzuege_1834
959
Leſſing druͤckte das Verhaͤltniß der Poeſie zur Malerei mit den Worten aus: die Malerei ſchildert Koͤrper und andeutungsweiſe durch Koͤrper Bewegungen (Leidenſchaften u. ſ. w.); die Poeſie ſchildert Bewegungen und andeutungsweiſe durch Bewegungen Koͤrper.
Lessing drückte das Verhältnis der Poesie zur Malerei mit den Worten aus: die Malerei schildert Körper und andeutungsweise durch Körper Bewegungen (Leidenschaften u. s. w.); die Poesie schildert Bewegungen und andeutungsweise durch Bewegungen Körper.
wienbarg_feldzuege_1834
960
Wie dieſer Ausſpruch nun das ganze Verhaͤltniß durchaus richtig angibt, ſo iſt auch der Schluß daraus von Leſſing buͤndig und richtig abgeleitet, daß die Malerei (wie die Plaſtik uͤberhaupt) ſich mit dem Simultanen, die Poeſie ſich mit dem Succeſſiven beſchaͤftigen muͤſſe.
Wie dieser Ausspruch nun das ganze Verhältnis durchaus richtig angibt, so ist auch der Schluss daraus von Lessing bündig und richtig abgeleitet, dass die Malerei (wie die Plastik überhaupt) sich mit dem Simultanen, die Poesie sich mit dem Sukzessiven beschäftigen müsse.
wienbarg_feldzuege_1834
961
Die Poeſie ſoll es alſo unterlaſſen, koͤrperliche Schoͤnheiten zu ſchildern; ſie kann nur Zug fuͤr Zug verfahren, und waͤhrend ſie bei den Fuͤßen anlangt, iſt das Bild des Kopfes ſchon wieder verwiſcht.
Die Poesie soll es also unterlassen, körperliche Schönheiten zu schildern; sie kann nur Zug für Zug verfahren, und während sie bei den Füßen anlangt, ist das Bild des Kopfes schon wieder verwischt.
wienbarg_feldzuege_1834
962
Der Malerei, die alle Schoͤnheiten auf einmal darſtellt, ſoll ſie dieſes uͤberlaſſen, die Malerei aber der Poeſie die komplizirten Zuͤge einer Handlung, die bewegte Schoͤnheit darzuſtellen; ihr gehoͤrt das Bewegte, der Plaſtik das Ruhende.
Der Malerei, die alle Schönheiten auf einmal darstellt, soll sie dieses überlassen, die Malerei aber der Poesie die komplizierten Züge einer Handlung, die bewegte Schönheit darzustellen; ihr gehört das Bewegte, der Plastik das Ruhende.
wienbarg_feldzuege_1834
963
Sehen Sie hier, meine Herren; die Urſache, warum Naturſchilderungen, ſelbſt wenn Walter Scott's eminentes Talent ſie ausfuͤhrt, je laͤnger und breiter ſie hinausgezeichnet ſind, deſto vergeblicher und unerfreulicher unſere Phantaſie abmartern und keine lebhafte Anſchauung hervorzubringen im Stande ſind.
Sehen Sie hier, meine Herren; die Ursache, warum Naturschilderungen, selbst wenn Walter Scotts eminentes Talent sie ausführt, je länger und breiter sie hinausgezeichnet sind, desto vergeblicher und unerfreulicher unsere Phantasie abmartern und keine lebhafte Anschauung hervorzubringen imstande sind.
wienbarg_feldzuege_1834
964
Die engliſchen Dichter ſind dieſem Fehler ſehr unterworfen.
Die englischen Dichter sind diesem Fehler sehr unterworfen.
wienbarg_feldzuege_1834
965
Walter Scott wird nicht ſelten aus einem Dichter Maler, Architekt, Kleiderſeller.
Walter Scott wird nicht selten aus einem Dichter Maler, Architekt, Kleiderseller.
wienbarg_feldzuege_1834
966
Der echte Dichter ſchildert, wie Leſſing ſich ausdruͤckt, Bewegung, Handlung und nur andeutungsweiſe durch dieſe Koͤrper.
Der echte Dichter schildert, wie Lessing sich ausdrückt, Bewegung, Handlung und nur andeutungsweise durch diese Körper.
wienbarg_feldzuege_1834
967
Zwingen, wie derſelbe Leſſing bemerkt, den Homer beſondere Umſtaͤnde, unſeren Blick auf einzelne koͤrperliche Gegenſtaͤnde zu lenken, ſo wird doch kein Gemaͤlde daraus, dem der Maler mit dem Pinſel folgen koͤnnte;
Zwingen, wie derselbe Lessing bemerkt, den Homer besondere Umstände, unseren Blick auf einzelne körperliche Gegenstände zu lenken, so wird doch kein Gemälde daraus, dem der Maler mit dem Pinsel folgen könnte;
wienbarg_feldzuege_1834
968
Homer weiß dieſen Gegenſtand in eine Folge von Augenblicken zu verſetzen und uns auf dieſe Art ſeine Geneſis vor Augen zu legen.
Homer weiß diesen Gegenstand in eine Folge von Augenblicken zu versetzen und uns auf diese Art seine Genesis vor Augen zu legen.
wienbarg_feldzuege_1834
969
Will er uns z. B. den Wagen der Juno ſehen laſſen, ſo muß Hebe ihn Stuͤck fuͤr Stuͤck zuſammenſetzen, wir ſehen die Raͤder, die Achſen, den Sitz, die Deichſel u. ſ. w. nicht ſowohl, wie es beiſammen iſt, ſondern wie es unter den Haͤnden der Hebe zuſammenkommt.
Will er uns z. B. den Wagen der Juno sehen lassen, so muss Hebe ihn Stück für Stück zusammensetzen, wir sehen die Räder, die Achsen, den Sitz, die Deichsel u. s. w. nicht sowohl, wie es beisammen ist, sondern wie es unter den Händen der Hebe zusammenkommt.
wienbarg_feldzuege_1834
970
Will er uns zeigen, wie Agamemnon bekleidet geweſen, ſo muß der Koͤnig vor unſern Augen Mantel, Stiefel, Schwert anthun und wenn er damit fertig iſt, ergreift er das Zepter.
Will er uns zeigen, wie Agamemnon bekleidet gewesen, so muss der König vor unseren Augen Mantel, Stiefel, Schwert antun und wenn er damit fertig ist, ergreift er das Zepter.
wienbarg_feldzuege_1834
971
So iſt auch die Beſchreibung des Zepters eine Geſchichte des Zepters, die Beſchreibung des Achilleiſchen Schildes eine Reihe von Geſchichten.
So ist auch die Beschreibung des Zepters eine Geschichte des Zepters, die Beschreibung des Achilleischen Schildes eine Reihe von Geschichten.
wienbarg_feldzuege_1834
972
Fuͤr ein Ding hat Homer gewoͤhnlich nur einen Zug.
Für ein Ding hat Homer gewöhnlich nur einen Zug.
wienbarg_feldzuege_1834
973
Ein Schiff iſt ihm das dunkle, das ſchnelle, wenn's hoch kommt, das wohlberuderte, dunkle Schiff.
Ein Schiff ist ihm das dunkle, das schnelle, wenn es hochkommt, das wohlberuderte, dunkle Schiff.
wienbarg_feldzuege_1834
974
Aber wohl dient ihm das Schiffen, die Abfahrt, das Anlanden eines Schiffes zu ausfuͤhrlichen Gemaͤlden, woraus der Maler jedesmal ein Halbdutzend verfertigen muͤßte, wollte er ſie ganz auf die Leinwand bringen.
Aber wohl dient ihm das Schiffen, die Abfahrt, das Anlanden eines Schiffes zu ausführlichen Gemälden, woraus der Maler jedes Mal ein Halbdutzend verfertigen müsste, wollte er sie ganz auf die Leinwand bringen.
wienbarg_feldzuege_1834
975
Mit gleicher Kunſt behandelt er die menſchlichen Schoͤnheiten.
Mit gleicher Kunst behandelt er die menschlichen Schönheiten.
wienbarg_feldzuege_1834
976
Nireus war ſchoͤn, Achilles noch ſchoͤner, Helena beſaß goͤttliche Schoͤnheit; das iſt Alles.
Nireus war schön, Achilles noch schöner, Helena besaß göttliche Schönheit; das ist alles.
wienbarg_feldzuege_1834
977
Nirgends laͤßt er ſich auf umſtaͤndliche Schilderungen ein.
Nirgends lässt er sich auf umständliche Schilderungen ein.
wienbarg_feldzuege_1834
978
Im Vorbeigehen erfahren wir, daß ſie weiße Arme hatte.
Im Vorbeigehen erfahren wir, dass sie weiße Arme hatte.
wienbarg_feldzuege_1834
979
Welchen Luxus wuͤrde ein ſchlechterer Dichter, als Homer mit Helena's Schoͤnheiten getrieben haben.
Welchen Luxus würde ein schlechterer Dichter, als Homer mit Helenas Schönheiten getrieben haben.
wienbarg_feldzuege_1834
980
Aber wuͤrde er uns auch, gleich Homer, durch einen einzigen Zug, die Schoͤnheit der Helena als die hoͤchſtdenkbare, fuͤhlbar gemacht haben?
Aber würde er uns auch, gleich Homer, durch einen einzigen Zug, die Schönheit der Helena als die höchstdenkbare, fühlbar gemacht haben?
wienbarg_feldzuege_1834
981
So viel im Allgemeinen vom Verhaͤltniß der Poeſie zur Plaſtik, von dem der geiſtigſten aller Kuͤnſte, welche der Plaſtik im Kunſtkreiſe polariſch gegenuͤberſteht, der Muſik in naͤchſter Vorleſung.
So viel im Allgemeinen vom Verhältnis der Poesie zur Plastik, von dem der geistigsten aller Künste, welche der Plastik im Kunstkreise polarisch gegenübersteht, der Musik in nächster Vorlesung.
wienbarg_feldzuege_1834
982
Man ſollte denken, daß die Muſik diejenige unter den Kuͤnſten waͤre, welche am wenigſten Gefahr liefe, ihr eigenthuͤmliches Gebiet zu verkennen; allein die Erfahrung hat gelehrt und lehrt noch taͤglich, daß der Muſiker bald den Maler, bald den Dichter zu uͤberbieten ſtrebt und dabei die eigenthuͤmliche Wuͤrde ſeiner Kunſt außer Augen ſetzt.
Man sollte denken, dass die Musik diejenige unter den Künsten wäre, welche am wenigsten Gefahr liefe, ihr eigentümliches Gebiet zu verkennen; allein die Erfahrung hat gelehrt und lehrt noch täglich, dass der Musiker bald den Maler, bald den Dichter zu überbieten strebt und dabei die eigentümliche Würde seiner Kunst außer Augen setzt.
wienbarg_feldzuege_1834
983
Im Gegenſatz zu einer Muſik, deren Noten weder einer Empfindung noch einer Idee entſprechen, die wie meiſtens die italieniſche, insbeſonders die fruͤhere, ein reines, gedankenloſes, ſchwelgeriſches Tonſpiel ausdruͤckten, bildete ſich eine Charaktermuſik, die aus lauter Andeutungen, phyſiſchen und geiſtigen, beſtehen ſollte, die Gewitter, Mondſcheinkuͤſſe, Pferdegalopp nachahmte und alles Maleriſche und Dichteriſche ohne Ausnahme in ihr unnatuͤrlich erweitertes Gebiet aufnahm.
Im Gegensatz zu einer Musik, deren Noten weder einer Empfindung noch einer Idee entsprechen, die wie meistens die italienische, insbesondere die frühere, ein reines, gedankenloses, schwelgerisches Tonspiel ausdrückten, bildete sich eine Charaktermusik, die aus lauter Andeutungen, physischen und geistigen, bestehen sollte, die Gewitter, Mondscheinküsse, Pferdegalopp nachahmte und alles Malerische und Dichterische ohne Ausnahme in ihr unnatürlich erweitertes Gebiet aufnahm.
wienbarg_feldzuege_1834
984
Allerdings, meine Herren, iſt nicht zu verkennen, daß Poeſie und Muſik innig verwandte Kuͤnſte ſind, die in ihrer Vereinigung z. B. in der Oper, im Liede, die wunderbarſten Wirkungen auf unſer Gemuͤth aͤußern.
Allerdings, meine Herren, ist nicht zu verkennen, dass Poesie und Musik innig verwandte Künste sind, die in ihrer Vereinigung z. B. in der Oper, im Liede, die wunderbarsten Wirkungen auf unser Gemüt äußeren.
wienbarg_feldzuege_1834
985
Allein, man erklaͤre ſich den Umſtand, daß die Sprache und die Muſik ſo ſelten, ja faſt nie ſelbſtſtaͤndig zuſammenwirken, daß bald die Sprache der Muſik, bald die Muſik der Sprache untergeordnet erſcheint, jenes in unſern heutigen Opern, wo der Text nur ſo mitlaͤuft, dieſes in den Schau- und Trauerſpielen der Alten, wo Text die Hauptſache, Muſik und Tanz nur als Begleiterinnen auftraten.
Allein, man erkläre sich den Umstand, dass die Sprache und die Musik so selten, ja fast nie selbständig zusammenwirken, dass bald die Sprache der Musik, bald die Musik der Sprache untergeordnet erscheint, jenes in unseren heutigen Opern, wo der Text nur so mitläuft, dieses in den Schau- und Trauerspielen der Alten, wo Text die Hauptsache, Musik und Tanz nur als Begleiterinnen auftraten.
wienbarg_feldzuege_1834
986
Woher dieſe Schwierigkeit, beide Kuͤnſte in ihrer Selbſtſtaͤndigkeit mit einander zu verbinden?
Woher diese Schwierigkeit, beide Künste in ihrer Selbstständigkeit miteinander zu verbinden?
wienbarg_feldzuege_1834
987
Die Antwort gab ſchon Leſſing.
Die Antwort gab schon Lessing.
wienbarg_feldzuege_1834
988
Die Muſik bedient ſich natuͤrlicher, die Poeſie willkuͤhrlicher Zeichen, die Muſik der Toͤne, die Poeſie der Buchſtaben.
Die Musik bedient sich natürlicher, die Poesie willkürlicher Zeichen, die Musik der Töne, die Poesie der Buchstaben.
wienbarg_feldzuege_1834
989
Beide Zeichen wirken allerdings in der Folge der Zeit, allein das Zeitmaaß iſt verſchieden.
Beide Zeichen wirken allerdings in der Folge der Zeit, allein das Zeitmaß ist verschieden.