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wienbarg_feldzuege_1834 | 990 | Ein einziger Laut der Sprache, als willkuͤhrliches Zeichen, kann in einem fluͤchtigen Augenblick ſo viel Gedanken und Empfindungen ausdruͤcken, als die Muſik nur in einer langen Reihe von Toͤnen nach und nach hoͤrbar und fuͤhlbar machen kann. | Ein einziger Laut der Sprache, als Willkürliches Zeichen, kann in einem flüchtigen Augenblick so viel Gedanken und Empfindungen ausdrücken, als die Musik nur in einer langen Reihe von Tönen nach und nach hörbar und fühlbar machen kann. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 991 | Die hieraus entſpringende Regel nehmen ſich auch die Dichter der Operntexte zu nutz, wenn ſie darauf ausgehen, den Gedanken ſo wortreich als moͤglich auszuſpinnen und die laͤngſten und geſchmeidigſten Worte den energiſch kurzen vorziehen. | Die hieraus entspringende Regel nehmen sich auch die Dichter der Operntexte zu nutz, wenn sie darauf ausgehen, den Gedanken so wortreich als möglich auszuspinnen und die längsten und geschmeidigsten Worte den energisch kurzen vorziehen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 992 | Man hat den Komponiſten vorgeworfen, daß ihnen die ſchlechteſte Muſik die beſte waͤre; aber ſie iſt ihnen nicht deswegen die liebſte, weil ſie ſchlecht iſt, ſondern weil die ſchlechte nicht gedraͤngt und gepreßt zu ſein pflegt. | Man hat den Komponisten vorgeworfen, dass ihnen die schlechteste Musik die beste wäre; aber sie ist ihnen nicht deswegen die liebste, weil sie schlecht ist, sondern weil die schlechte nicht gedrängt und gepresst zu sein pflegt. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 993 | Sie ſind oft genoͤthigt, ein Wort, eine Sylbe ein Halbdutzendmal zu wiederholen, um den entſprechenden muſikaliſchen Eindruck zu machen. | Sie sind oft genötigt, ein Wort, eine Silbe ein halbdutzend mal zu wiederholen, um den entsprechenden musikalischen Eindruck zu machen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 994 | Dennoch ſcheint die Verbindung der Muſik mit der Poeſie die aͤlteſte und urſpruͤnglichſte zu ſein, die Trennung eine ſpaͤtere. | Dennoch scheint die Verbindung der Musik mit der Poesie die älteste und ursprünglichste zu sein, die Trennung eine spätere. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 995 | Die Regeln des Versbaues gruͤnden ſich alle auf Harmonie, alle muſikaliſchen Abwechſelungen, Pauſen ſind auch in der Sprache der Poeſie denkbar. | Die Regeln des Versbaues gründen sich alle auf Harmonie, alle musikalischen Abwechselungen, Pausen sind auch in der Sprache der Poesie denkbar. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 996 | So waren die aͤlteſten Dichter zugleich auch Saͤnger, die aͤlteſte Poeſie zugleich Muſik. | So waren die ältesten Dichter zugleich auch Sänger, die älteste Poesie zugleich Musik. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 997 | Wenn es heißt, daß Orpheus Leier den Marmor ſchmolz und Stroͤme in ihrem Lauf hemmte, wenn Amphion Theben baute, ſo wurden unter den Toͤnen der Leier nicht bloße muſikaliſche Laute, noch bloße Worte, ſondern der wunderbare Einklang von Poeſie und Muſik verſtanden. | Wenn es heißt, dass Orpheus Leier den Marmor schmolz und Ströme in ihrem Lauf hemmte, wenn Amphion Theben baute, so wurden unter den Tönen der Leier nicht bloße musikalische Laute, noch bloße Worte, sondern der wunderbare Einklang von Poesie und Musik verstanden. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 998 | Ueberhaupt war die Muſik der Alten immer mit Poeſie verbunden, ſelbſtſtaͤndige Inſtrumentalmuſik war ihnen fremd. | Überhaupt war die Musik der Alten immer mit Poesie verbunden, selbstständige Instrumentalmusik war ihnen fremd. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 999 | Die Urſache liegt nahe. | Die Ursache liegt nahe. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,000 | Ihre Inſtrumente waren weder vollzaͤhlig noch vollkommen, was ließ ſich mit der Harfe, Cither oder Forminx, mit der Lyra oder Laute, mit der Tibia oder Hoboe, mit der trompetenartigen Tuba und mit dem Syrinx der Hirten aufſtellen? | Ihre Instrumente waren weder vollzählig noch vollkommen, was ließ sich mit der Harfe, Zither oder Phorminx, mit der Lyra oder Laute, mit der Tibia oder Oboe, mit der trompetenartigen Tuba und mit dem Syrinx der Hirten aufstellen? |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,001 | Erſt in ſpaͤteren Zeiten, beſonders unter Italienern und Deutſchen bildete ſich die Muſik zur eigentlich darſtellenden Kunſt. | Erst in späteren Zeiten, besonders unter Italienern und Deutschen bildete sich die Musik zur eigentlich darstellenden Kunst. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,002 | Vorher war ſie nur die Huͤlle, das Gewand der Poeſie. | Vorher war sie nur die Hülle, das Gewand der Poesie. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,003 | Jetzt riß ſie ſich, den eigenen Kraͤften vertrauend, von ihr los, jedoch, wenigſtens nicht bei den Deutſchen, um ſich ganz von ihr zu trennen, ſondern, um ſich ihr mit Freiheit wieder zu naͤhern. | Jetzt riss sie sich, den eigenen Kräften vertrauend, von ihr los, jedoch, wenigstens nicht bei den Deutschen, um sich ganz von ihr zu trennen, sondern, um sich ihr mit Freiheit wieder zu nähern. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,004 | Selbſt das Wort muſikaliſch ward nun ſelbſtſtaͤndig gebraucht fuͤr die Kunſt der Muſik, fruͤher bezeichnete es den Verein von Poeſie und Geſang, von Mimik und Deklamation, in dem jeder griechiſche Juͤngling ſich ausbilden mußte; in dieſem Sinne muß man immer den muſikaliſchen Unterricht verſtehen, wovon Plato, Plutarch und andere griechiſche Schriftſteller ſo oft ſprechen, als von dem weſentlichſten Bildungsmittel der Jugend, das auf Geiſt und Gemuͤth den unwiderſtehlichſten Einfluß ausuͤbe. | Selbst das Wort musikalisch wurde nun selbständig gebraucht für die Kunst der Musik, früher bezeichnete es den Verein von Poesie und Gesang, von Mimik und Deklamation, in dem jeder griechische Jüngling sich ausbilden musste; in diesem Sinne muss man immer den musikalischen Unterricht verstehen, wovon Plato, Plutarch und andere griechische Schriftsteller so oft sprechen, als von dem wesentlichsten Bildungsmittel der Jugend, das auf Geist und Gemüt den unwiderstehlichsten Einfluss ausübe. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,005 | Die Alten ſahen nur auf Melodien, ihre Choͤre wurden nur nach einander abgeſungen und deklamirt. | Die Alten sahen nur auf Melodien, ihre Chöre wurden nur nacheinander abgesungen und deklamiert. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,006 | Kuͤnſtliche Harmonien, Durcheinanderlaſſen der Toͤne auf verſchiedenen Inſtrumenten, Tonverſetzungen, Fugen, Aufloͤſungen kuͤnſtlicher Diſſonanzen, kurz Werke eines Haydn oder Mozart, ganze große, durchdachte, auf die Regeln der Harmonie gegruͤndete, mit Kraft, Geſchicklichkeit, großartiger Phantaſie ausgefuͤhrte muſikaliſche Kunſtwerke waren den Alten unerreichbar. | Künstliche Harmonien, Durcheinanderlassen der Töne auf verschiedenen Instrumenten, Tonversetzungen, Fugen, Auflösungen künstlicher Dissonanzen, kurz Werke eines Haydn oder Mozart, ganze große, durchdachte, auf die Regeln der Harmonie gegründete, mit Kraft, Geschicklichkeit, großartiger Phantasie ausgeführte musikalische Kunstwerke waren den Alten unerreichbar. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,007 | Raͤumen wir dieſe Selbſtſtaͤndigkeit der Muſik in neuerer Zeit ein, ſo kehrt mit verdoppeltem Nachdruck die Frage zuruͤck, welche Stelle nimmt die Muſik unter den Kuͤnſten ein, welche Grenzen ſind ihr geſetzt, was iſt ihr Reich, ihr Gebiet? | Räumen wir diese Selbstständigkeit der Musik in neuerer Zeit ein, so kehrt mit verdoppeltem Nachdruck die Frage zurück, welche Stelle nimmt die Musik unter den Künsten ein, welche Grenzen sind ihr gesetzt, was ist ihr Reich, ihr Gebiet? |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,008 | Kant in ſeiner Kritik der Urtheilskraft ſagt von der Tonkunſt, daß ſie unter den Kuͤnſten den groͤßten Genuß, aber fuͤr ſich die wenigſte Kultur gewaͤhre, indem ſie mit bloßen Empfindungen ſpiele, welche auf unbeſtimmte Ideen von Affekten fuͤhrten. | Kant in seiner Kritik der Urteilskraft sagt von der Tonkunst, dass sie unter den Künsten den größten Genuss, aber für sich die wenigste Kultur gewähre, indem sie mit bloßen Empfindungen spiele, welche auf unbestimmte Ideen von Affekten führten. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,009 | Die Muſik ſtand alſo dem Koͤnigsberger nicht ſehr hoch; auch Hegel machte ſich nicht viel aus der Muſik, weil ſie ihm, wie er ſagte, zu wenig zu denken gebe. | Die Musik stand also dem Königsberger nicht sehr hoch; auch Hegel machte sich nicht viel aus der Musik, weil sie ihm, wie er sagte, zu wenig zu denken gebe. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,010 | Wie anders mußte Luthers Ohr vom Zauberſtabe der Muſik beruͤhrt werden, wenn er ausruft: ich ſage es frei heraus, daß nach der Theologie keine Kunſt ſei, ſo mit der Tonkunſt kann verglichen werden, der die Floͤte und noch kunſtreicher die Laute ſpielte, und ſeinen hellen maͤnnlichen Tenor jeden Abend in ſeinem Hauſe ertoͤnen ließ. | Wie anders musste Luthers Ohr vom Zauberstabe der Musik berührt werden, wenn er ausruft: Ich sage es frei heraus, dass nach der Theologie keine Kunst sei, so mit der Tonkunst kann verglichen werden, der die Flöte und noch kunstreicher die Laute spielte, und seinen hellen männlichen Tenor jeden Abend in seinem Hause ertönen ließ. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,011 | Es iſt nur Mangel an Tonſinn, an kindlicher Stimmung, an poetiſchwebenden Gefuͤhlselementen, was Kant, Hegel und andere Philoſophen wie Nichtphiloſophen zur Herabſetzung der Muſik beſtimmte. | Es ist nur Mangel an Tonsinn, an kindlicher Stimmung, an poetisch-webenden Gefühlselementen, was Kant, Hegel und andere Philosophen wie Nichtphilosophen zur Herabsetzung der Musik bestimmte. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,012 | Schon das Medium, der Stoff der Muſik erregen fuͤr ihre aͤſthetiſche Wuͤrde ein guͤnſtiges Vorurtheil. | Schon das Medium, der Stoff der Musik erregen für ihre ästhetische Würde ein günstiges Vorurteil. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,013 | Sie ſpricht durch den Sinn des Gehoͤrs zu uns, ihr Medium, die Luft, iſt unſichtbar, wie die Toͤne, welche ſie hervorruft, in dieſem Unſichtbaren wirkt ſie ſelber als etwas Unſichtbares, als etwas aus fremder Welt, und zwar nicht als Todtes, Unbewegtes, Ruhendes, ſondern als etwas Eilendes, Fließendes, uͤber, neben, unter uns Hinſchwebendes. | Sie spricht durch den Sinn des Gehörs zu uns, ihr Medium, die Luft, ist unsichtbar, wie die Töne, welche sie hervorruft, in diesem Unsichtbaren wirkt sie selber als etwas Unsichtbares, als etwas aus fremder Welt, und zwar nicht als Totes, Unbewegtes, Ruhendes, sondern als etwas Eilendes, Fließendes, über, neben, unter uns Hinschwebendes. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,014 | Ihre Melodien ſind uns die Sinnbilder unſerer geiſtigen Regſamkeit, unſere ſtummen Gefuͤhle, Ahnungen, Hoffnungen, unſere Schmerzen und Freuden, Alles wird laut in unſerer Bruſt, wir fuͤhlen doppelt ſtark, allein wir erheben uns uͤber den Schmerz und genießen dieſen nur als Ton, der unſer Ohr entzuͤckt, ohne im Herzen einen Stachel zuruͤckzulaſſen. | Ihre Melodien sind uns die Sinnbilder unserer geistigen Regsamkeit, unsere stummen Gefühle, Ahnungen, Hoffnungen, unsere Schmerzen und Freuden, alles wird laut in unserer Brust, wir fühlen doppelt stark, allein wir erheben uns über den Schmerz und genießen diesen nur als Ton, der unser Ohr entzückt, ohne im Herzen einen Stachel zurückzulassen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,015 | Die Toͤne, ſagt Heinſe in ſeinem muſikaliſchen Roman, greifen die Nerven und alle Theile des Gehoͤrs an und veraͤndern dadurch das innere Gefuͤhl außer allen Vorſtellungen der Phantaſie. | Die Töne, sagt Heinse in seinem musikalischen Roman, greifen die Nerven und alle Teile des Gehörs an und verändern dadurch das innere Gefühl außer allen Vorstellungen der Phantasie. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,016 | Unſer Gefuͤhl ſelbſt iſt nichts Anderes, als eine innere Muſik, immerwaͤhrende Schwingung der Lebensnerven. | Unser Gefühl selbst ist nichts Anderes, als eine innere Musik, immerwährende Schwingung der Lebensnerven. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,017 | Die Muſik ruͤhrt ſie ſo, daß es ein eigenes Spiel, eine ganz beſondere Mittheilung iſt, die alle Beſchreibung von Worten uͤberſteigt. | Die Musik rührt sie so, dass es ein eigenes Spiel, eine ganz besondere Mitteilung ist, die alle Beschreibung von Worten übersteigt. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,018 | Sie ſtellt das innere Gefuͤhl von außen in der Luft dar. | Sie stellt das innere Gefühl von außen in der Luft dar. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,019 | Das Ohr, ſagt er an einer andern Stelle, iſt gewiß unſer wichtigſter Sinn und ſelbſt das Gefuͤhl, was man bisher fuͤr den untruͤglichſten gehalten hat, bildet ſich nach ihm. | Das Ohr, sagt er an einer anderen Stelle, ist gewiss unser wichtigster Sinn und selbst das Gefühl, was man bisher für den untrüglichsten gehalten hat, bildet sich nach ihm. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,020 | Das geuͤbteſte Auge eines Malers, Meßkuͤnſtlers iſt gewiß nicht im Stande, uns ſo, wie der Muſiker, die leichten Verhaͤltniſſe der Haͤlften, Drittel, Fuͤnftel und Sechſtel einer Linie, irgend einer Laͤnge und Groͤße in Wirklichkeit auf ein Haar zu treffen. | Das geübteste Auge eines Malers, Messkünstlers ist gewiss nicht imstande, uns so, wie der Musiker, die leichten Verhältnisse der Hälften, Drittel, Fünftel und Sechstel einer Linie, irgendeiner Länge und Größe in Wirklichkeit auf ein Haar zu treffen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,021 | Deswegen ſind die Taubſtummen um ſo Vieles ungluͤcklicher als die Blinden, weil ſie den Hauptſinn des Verſtandes, der die andern zur Richtigkeit gewoͤhnt, nicht haben und ſo gibt die Muſik unter allen Kuͤnſten der Seele den helleſten und friſcheſten Genuß. | Deswegen sind die Taubstummen um so Vieles unglücklicher als die Blinden, weil sie den Hauptsinn des Verstandes, der die anderen zur Richtigkeit gewöhnt, nicht haben und so gibt die Musik unter allen Künsten der Seele den hellsten und frischesten Genuss. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,022 | Ein Gluͤck, daß das Ohr des Menſchen an feiner und mannigfaltiger Aufnehmung und Unterſcheiddung von Toͤnen das Ohr aller andern Thiere uͤbertrifft, obwohl ein vollkommen zartes, feſtes, reines und noch mehr, ausgebildetes Gehoͤr eben ſo ſelten iſt, wie alle hohe Schoͤnheit und man durch ſchlechte Gewohnheit dieſen goͤttlichen Sinn ſehr verderben kann. | Ein Glück, dass das Ohr des Menschen an feiner und mannigfaltiger Aufnehmung und Unterscheidung von Tönen das Ohr aller anderen Tiere übertrifft, obwohl ein vollkommen zartes, festes, reines und noch mehr, ausgebildetes Gehör ebenso selten ist, wie alle hohe Schönheit und man durch schlechte Gewohnheit diesen göttlichen Sinn sehr verderben kann. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,023 | In der That, vor der Muſik muß jede Kunſt, die am Sichtbaren haftet, an innerer Wirkſamkeit uͤbertroffen werden, wie der Koͤrper vom Geiſte: denn ſie iſt Geiſt, verwandt mit der Natur der in uns waltenden Kraft, der Seele, der Bewegung. | In der Tat, vor der Musik muss jede Kunst, die am Sichtbaren haftet, an innerer Wirksamkeit übertroffen werden, wie der Körper vom Geiste: denn sie ist Geist, verwandt mit der Natur der in uns waltenden Kraft, der Seele, der Bewegung. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,024 | Was anſchaulich dem Menſchen nicht werden kann, wird ihm durch Muſik mittheilbar. | Was anschaulich dem Menschen nicht werden kann, wird ihm durch Musik mitteilbar. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,025 | Voruͤbergehend iſt jeder Augenblick dieſer Kunſt, denn eben das Kuͤrzer und Laͤnger, das Staͤrker und Schwaͤcher, das Hoͤher und Tiefer iſt ihre Bedeutung, ihr Eindruck. | Vorübergehend ist jeder Augenblick dieser Kunst, denn eben das Kürzer und länger, das Stärker und schwächer, das Höher und Tiefer ist ihre Bedeutung, ihr Eindruck. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,026 | Im Kommen und Fliehen, im Werden und Geweſenſein liegt die Siegskraft des Tons und der Empfindung. | Im Kommen und Fliehen, im Werden und Gewesensein liegt die Siegeskraft des Tons und der Empfindung. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,027 | Dagegen jede Kunſt des Anſchauens, die an beſchraͤnkten Gegenſtaͤnden und Gebaͤuden, und nun gar an Lokalfarben haftet, dennoch nur langſam begriffen wird, obwohl ſie Alles auf einmal zeigt. | Dagegen jede Kunst des Anschauens, die an beschränkten Gegenständen und Gebäuden, und nun gar an Lokalfarben haftet, dennoch nur langsam begriffen wird, obwohl sie alles auf einmal zeigt. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,028 | Vergangenheit und Zukunft unſerer Empfindungen iſt das Eigenthuͤmlichſte der Muſik. | Vergangenheit und Zukunft unserer Empfindungen ist das Eigentümlichste der Musik. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,029 | Sie ſoll die Natur nicht malen, nicht dichtend darſtellen, wie Maler, Bildhauer und Dichter, ſondern anregen, nichts als anregen. | Sie soll die Natur nicht malen, nicht dichtend darstellen, wie Maler, Bildhauer und Dichter, sondern anregen, nichts als anregen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,030 | Daher wirkt die Muſik nie beſtimmt, wie der Dichter, ſondern unbeſtimmt; daher artet die Bemuͤhung, einzelne Begebenheiten und Erſcheinungen der Natur in der Muſik nachzuahmen z. B. das Klappern der Muͤhlen, das Schnurren der Raͤder, das Knirſchen der Zaͤhne u. ſ. w. in laͤcherliche und unertraͤgliche Spielerei aus. | Daher wirkt die Musik nie bestimmt, wie der Dichter, sondern unbestimmt; daher artet die Bemühung, einzelne Begebenheiten und Erscheinungen der Natur in der Musik nachzuahmen z. B. das Klappern der Mühlen, das Schnurren der Räder, das Knirschen der Zähne u. s. w. in lächerliche und unerträgliche Spielerei aus. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,031 | Die Muſik darf nie aus dem reinen Aether herabſinken und ihren Fuß auf den glatten Boden der Wirklichkeit ſetzen. | Die Musik darf nie aus dem reinen Äther herabsinken und ihren Fuß auf den glatten Boden der Wirklichkeit setzen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,032 | Unſere Gefuͤhle begegnen ihr von ſelbſt, wir tauchen uns in ihrem reinen, dunkelwogenden Strom, wir trinken ihre Toͤne und ſtillen und reinigen uns in ihren harmoniſchen Fluthen. | Unsere Gefühle begegnen ihr von selbst, wir tauchen uns in ihrem reinen, dunkelwogenden Strom, wir trinken ihre Töne und stillen und reinigen uns in ihren harmonischen Fluten. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,033 | Man kann die Tonkunſt unter den Kuͤnſten die freieſte nennen, weil ſie am Unmittelbarſten ſich unſerer Seele, unſerer Einbildungſkraft bemaͤchtigt und mit den muſikaliſchen Formen der Schoͤnheit anfuͤllt, ohne durch das Verſtandesgebiet der Begriffe und noch weniger durch die Welt der wirklichen Anſchauungen hindurchzugehen. | Man kann die Tonkunst unter den Künsten die freiste nennen, weil sie am unmittelbarsten sich unserer Seele, unserer Einbildungskraft bemächtigt und mit den musikalischen Formen der Schönheit anfüllt, ohne durch das Verstandesgebiet der Begriffe und noch weniger durch die Welt der wirklichen Anschauungen hindurchzugehen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,034 | In ihr verbindet ſich am Leichteſten das Individuelle mit dem Idealen, in ihr druͤckt ſich am Fuͤhlbarſten das Unendliche durch das Endliche aus. | In ihr verbindet sich am leichtesten das Individuelle mit dem Idealen, in ihr drückt sich am Fühlbarsten das Unendliche durch das Endliche aus. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,035 | Daß die Toͤne, ſagt Jean Paul, die in einem dunkeln Mondlicht von Kraͤften ohne Koͤrper unſer Herz umſtießen, die unſere Seele ſo verdoppeln, daß ſie ſich ſelber zuhoͤrt, und mit denen unſere tiefheraufgewuͤhlten, unendlichen exaltirten Hoffnungen und Erinnerungen gleichſam im Schlafe reden, daß die Toͤne ihre Allmacht vom Sinne des Grenzenloſen empfangen, dies brauche ich nicht erſt zu ſagen. | Dass die Töne, sagt Jean Paul, die in einem dunklen Mondlicht von Kräften ohne Körper unser Herz umfließen, die unsere Seele so verdoppeln, dass sie sich selber zuhört, und mit denen unsere tief heraufgewühlten, unendlichen exaltierten Hoffnungen und Erinnerungen gleichsam im Schlafe reden, dass die Töne ihre Allmacht vom Sinne des Grenzenlosen empfangen, dies brauche ich nicht erst zu sagen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,036 | Die Harmonie fuͤllet uns zum Theil durch ihre arithmetiſchen Verhaͤltniſſe; aber die Melodie, der Lebensgeiſt der Muſik erklaͤrt ſich aus nichts, als etwa aus der poetiſchen Nachahmung der roheren Toͤne, welche unſere Schmerzen und Freuden von ſich geben. | Die Harmonie füllt uns zum Teil durch ihre arithmetischen Verhältnisse; aber die Melodie, der Lebensgeist der Musik erklärt sich aus nichts, als etwa aus der poetischen Nachahmung der roheren Töne, welche unsere Schmerzen und Freuden von sich geben. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,037 | Die aͤußere Muſik erzeugt die innere und daher geben uns alle Toͤne einen Reiz zum Singen. | Die äußere Musik erzeugt die innere und daher geben uns alle Töne einen Reiz zum Singen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,038 | Wir ſchließen mit dieſen Worten unſere Gedanken uͤber den Kunſtkreis der Muſik. | Wir schließen mit diesen Worten unsere Gedanken über den Kunstkreis der Musik. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,039 | Nachdem wir bisher die eigenthuͤmliche Bahn der ſaͤmmtlichen Kuͤnſte beſchrieben, fluͤchtig durchlaufen ſind, werden wir in naͤchſter Vorleſung unmittelbar nach unſerm Plane diejenige von den Kuͤnſten behandeln, welche ſich der Worte als ihrer ſimboliſchen Zeichen bedient, der Poeſie und Rhetorik. | Nachdem wir bisher die eigentümliche Bahn der sämtlichen Künste beschrieben, flüchtig durchlaufen sind, werden wir in nächster Vorlesung unmittelbar nach unserem Plane diejenige von den Künsten behandeln, welche sich der Worte als ihrer symbolischen Zeichen bedient, der Poesie und Rhetorik. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,040 | Nach der allgemeinen Charakteriſtik der Kuͤnſte, welche in den Kreis der Aeſthetik gehoͤren, beſchraͤnken wir uns verabredetermaßen auf die Kunſt der Rede, der poetiſchen wie der proſaiſchen. | Nach der allgemeinen Charakteristik der Künste, welche in den Kreis der Ästhetik gehören, beschränken wir uns verabredetermaßen auf die Kunst der Rede, der poetischen wie der prosaischen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,041 | Dieſe Kunſt bedient ſich der Sprache, als ihres Materials, wie der Bildhauer des Marmors, der Muſiker des Tons. | Diese Kunst bedient sich der Sprache, als ihres Materials, wie der Bildhauer des Marmors, der Musiker des Tons. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,042 | Nicht alle Sprachen ſind gleich geeignet fuͤr die kunſtreiche Bearbeitung, einige ſind zu ſproͤde, andere zu weich, einige zu roh, andere zu gebildet, einige zu arm, andere, man moͤchte ſagen, zu reich, wie die deutſche, was zwar ein ſchoͤner Fehler iſt, wenn uͤberall einer, was aber doch dem Dichter oder Redner bei der Wahl der Woͤrter und Ausdruͤcke nicht ſelten auch die Qual verurſacht. | Nicht alle Sprachen sind gleich geeignet für die kunstreiche Bearbeitung, einige sind zu spröde, andere zu weich, einige zu roh, andere zu gebildet, einige zu arm, andere, man möchte sagen, zu reich, wie die deutsche, was zwar ein schöner Fehler ist, wenn überall einer, was aber doch dem Dichter oder Redner bei der Wahl der Wörter und Ausdrücke nicht selten auch die Qual verursacht. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,043 | Allein der wichtigſte Unterſchied, den dieſes Material, dieſer Gedankenmarmor, die Sprache darbietet, iſt der, ob daſſelbe unmittelbar und urſpruͤnglich aus dem Urfels der Nationalitaͤt gebrochen und gewonnen wird, oder ob es nur ein ausgebrochenes Stuͤck Sprache iſt, das vom Urfelſen getrennt, nur bedeutungsloſe, geſprungene und unterbrochene Adern aufweiſet; ich meine, ob die Sprache eine Grundſprache oder eine abgeleitete iſt. | Allein der wichtigste Unterschied, den dieses Material, dieser Gedankenmarmor, die Sprache darbietet, ist der, ob dasselbe unmittelbar und ursprünglich aus dem Urfels der Nationalität gebrochen und gewonnen wird, oder ob es nur ein ausgebrochenes Stück Sprache ist, das vom Urfelsen getrennt, nur bedeutungslose, gesprungene und unterbrochene Adern aufweist; ich meine, ob die Sprache eine Grundsprache oder eine abgeleitete ist. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,044 | Keiner kann die Tiefe dieſes Unterſchiedes begreifen, als der, deſſen Begriffe in einer Grundſprache wurzeln, der ſelbſt das Gluͤck genießt, einem Volke anzugehoͤren, deſſen Sprache eine ewig fortrieſelnde Quelle iſt, deren Urſprung ſich in die Felſen und Gebuͤſche der dunkelſten Vorzeit verliert. | Keiner kann die Tiefe dieses Unterschiedes begreifen, als der, dessen Begriffe in einer Grundsprache wurzeln, der selbst das Glück genießt, einem Volke anzugehören, dessen Sprache eine ewig fortrieselnde Quelle ist, deren Ursprung sich in die Felsen und Gebüsche der dunkelsten Vorzeit verliert. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,045 | Man diſputire nicht mit einem Franzoſen uͤber den Vorzug der beiderlei Sprachen, und wenn der Franzoſe, was jetzt haͤufig von jungen und geiſtreichen Pariſern zum Studium Goethe's, Hoffmann's und anderer deutſchen Schriftſteller geſchieht, wenn er auch das Deutſche mit einiger Fertigkeit leſen und ſprechen gelernt hat und den beſten Willen zeigt, ohne altfranzoͤſiſches Vorurtheil die Vergleichung beider Sprachen anzuſtellen, ſo wird er doch nie den groͤßten Vorzug des Deutſchen vor dem Franzoͤſiſchen, die Urſpruͤnglichkeit begreifen und mit auf die Wagſchale legen. | Man disputiere nicht mit einem Franzosen über den Vorzug der beiderlei Sprachen, und wenn der Franzose, was jetzt häufig von jungen und geistreichen Parisern zum Studium Goethes, Hoffmanns und anderer deutschen Schriftsteller geschieht, wenn er auch das Deutsche mit einiger Fertigkeit lesen und sprechen gelernt hat und den besten Willen zeigt, ohne altfranzösisches Vorurteil die Vergleichung beider Sprachen anzustellen, so wird er doch nie den größten Vorzug des Deutschen vor dem Französischen, die Ursprünglichkeit begreifen und mit auf die Wagschale legen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,046 | Niemand hat dieſen Punkt eindringlicher und tiefer eroͤrtert, als Fichte in ſeinen unſterblichen Reden an die deutſche Nation; ich verweiſe Sie auf dieſe Stelle, wenn Sie Ihr Herz recht mit dem ſtolzen Gefuͤhl durchdringen wollen, wie hoch unſere deutſche Mutterſprache uͤber den neuen europaͤiſchen ſteht. | Niemand hat diesen Punkt eindringlicher und tiefer erörtert, als Fichte in seinen unsterblichen Reden an die deutsche Nation; ich verweise Sie auf diese Stelle, wenn Sie Ihr Herz recht mit dem stolzen Gefühl durchdringen wollen, wie hoch unsere deutsche Muttersprache über den neuen europäischen steht. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,047 | Freilich an aͤußerem Reiz iſt manche ihr uͤberlegen, heitrer, anmuthiger, geſellſchaftlicher iſt die franzoͤſiſche, grandioͤſer die ſpaniſche, ſangreicher die italieniſche, allein ſeelenvoller und herzinniger, geſtaltreicher und gedankendurchſichtiger, als alle, iſt und bleibt die deutſche. | Freilich an äußerem Reiz ist manche ihr überlegen, heiterer, anmutiger, gesellschaftlicher ist die französische, grandioser die spanische, sangreicher die italienische, allein seelenvoller und herzinniger, gestaltreicher und gedankendurchsichtiger, als alle, ist und bleibt die deutsche. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,048 | Die franzoͤſiſche und alle abgeleiteten Sprachen mehr und minder ſind mehr rhetoriſcher, die deutſche und alle urſpruͤnglichen Sprachen mehr poetiſcher Natur. | Die französische und alle abgeleiteten Sprachen mehr und minder sind mehr rhetorischer, die deutsche und alle ursprünglichen Sprachen mehr poetischer Natur. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,049 | In jener hat ſich die Sprache abgeloͤſt vom ſprachſchaffenden, ſprachbildenden Genius, vom Herzen, vom Bewußtſein der Nation, ſie iſt ein Aeußeres und Fremdes geworden, und wer ſich ihrer bedient, nimmt ſie nicht aus ſich, ſondern aus dem Vorrath conventioneller Formeln und Redensarten, die fuͤr alle Zeiten geſtempelt ſind. | In jener hat sich die Sprache abgelöst vom sprachschaffenden, sprachbildenden Genius, vom Herzen, vom Bewusstsein der Nation, sie ist ein Äußeres und Fremdes geworden, und wer sich ihrer bedient, nimmt sie nicht aus sich, sondern aus dem Vorrat konventioneller Formeln und Redensarten, die für alle Zeiten gestempelt sind. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,050 | In dieſer, der urſpruͤnglichen, iſt Sprache und Seele eins, wer Deutſch ſpricht, ſpricht es aus ſeinem eignen Innern heraus und bedient ſich der Sprache nicht wie einer bloßen Convention, ſondern als eines Naturprodukts, das in ſeinem eignen Lebensblute Wurzel faßt und ſeinen Geiſt vielaſtig mit Bluͤthen und Fruͤchten durchwaͤchſt. | In dieser, der ursprünglichen, ist Sprache und Seele eins, wer Deutsch spricht, spricht es aus seinem eigenen Inneren heraus und bedient sich der Sprache nicht wie einer bloßen Konvention, sondern als eines Naturprodukts, das in seinem eigenen Lebensblute Wurzel fasst und seinen Geist vielastig mit Blüten und Früchten durchwächst. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,051 | Goethe vergleicht daher ſehr richtig die franzoͤſiſche Sprache mit ausgepraͤgter Scheidemuͤnze, die Jeder in der Taſche bei ſich traͤgt und der er ſich auf das Schnellſte im Handel und Wandel bedienen kann, die deutſche aber mit einer Goldbarre, die ſich ein Jeder erſt muͤnzen und praͤgen muß; woher es auch ein gewoͤhnlicher Fall, daß der gemeinſte Franzoſe raſch und fließend ſpricht, da er ſeine Woͤrter ungezaͤhlt nur ſo ausgibt, der Deutſche aber, ſelbſt der gebildete, ſich nur ſelten ſo rund und voll auszudruͤcken vermag, als er wohl wuͤnſcht. | Goethe vergleicht daher sehr richtig die französische Sprache mit ausgeprägter Scheidemünze, die Jeder in der Tasche bei sich trägt und der er sich auf das Schnellste im Handel und Wandel bedienen kann, die deutsche aber mit einer Goldbarre, die sich ein Jeder erst münzen und prägen muss; woher es auch ein gewöhnlicher Fall, dass der gemeinste Franzose rasch und fließend spricht, da er seine Wörter ungezählt nur so ausgibt, der Deutsche aber, selbst der gebildete, sich nur selten so rund und voll auszudrücken vermag, als er wohl wünscht. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,052 | Demſelben Umſtande hat die franzoͤſiſche Proſa ihre Vollkommenheit zu verdanken und ſie, die Proſa, iſt es vor allen Dingen, was den Ruhm und auch den Werth der franzoͤſiſchen Literatur gegruͤndet hat, obwohl daruͤber noch Manche im Unklaren ſind und die franzoͤſiſche Poeſie, die Trauerſpiele eines Corneille, Racine, die gereimten Luſtſpiele eines Moliere, die Henriade eines Voltaire u. ſ. w. fuͤr die einflußreichſten und am meiſten klaſſiſchen Produkte der franzoͤſiſchen Literatur erachten. | Demselben Umstande hat die französische Prosa ihre Vollkommenheit zu verdanken und sie, die Prosa, ist es vor allen Dingen, was den Ruhm und auch den Wert der französischen Literatur gegründet hat, obwohl darüber noch manche im Unklaren sind und die französische Poesie, die Trauerspiele eines Corneille, Racine, die gereimten Lustspiele eines Moliere, die Henriade eines Voltaire u. s. w. für die einflussreichsten und am meisten klassischen Produkte der französischen Literatur erachten. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,053 | Ich weiß nicht, ob die Franzoſen ein rein poetiſches Produkt zu Stande gebracht haben, ich wuͤßte keins, wo nicht der Redner den Poeten uͤberwoͤge, oder wenigſtens ihm den Rang abzulaufen verſuchte; ſelbſt in der neueſten romantiſchen Schule, an deren Spitze Viktor Hugo ſteht, und die ohne Zweifel an poetiſchem Gehalt die altfranzoͤſiſch klaſſiſche uͤberfluͤgelt, ſpielt die Rhetorik, die Floskelei, die Tiradenſucht die Hauptrolle. | Ich weiß nicht, ob die Franzosen ein rein poetisches Produkt zustande gebracht haben, ich wüsste keins, wo nicht der Redner den Poeten überwöge, oder wenigstens ihm den Rang abzulaufen versuchte; selbst in der neuesten romantischen Schule, an deren Spitze Viktor Hugo steht, und die ohne Zweifel an poetischem Gehalt die altfranzösisch klassische überflügelt, spielt die Rhetorik, die Floskelei, die Tiradensucht die Hauptrolle. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,054 | Was ſind die franzoͤſiſchen Poeten gegen die franzoͤſiſchen Proſaiker, welche Sterne des Parnaſſus kann man einem Buͤffon, Rouſſeau, Diderot, Voltaire, Chateaubriand und Andern entgegenſtellen? | Was sind die französischen Poeten gegen die französischen Prosaiker, welche Sterne des Parnass kann man einem Buffon, Rousseau, Diderot, Voltaire, Chateaubriand und Anderen entgegenstellen? |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,055 | Im Deutſchen moͤchte der Fall umgekehrt ſein, den europaͤiſchen Ruhm unſerer Literatur verdanken wir unſern Dichtern und ich glaube mit Recht. | Im Deutschen möchte der Fall umgekehrt sein, den europäischen Ruhm unserer Literatur verdanken wir unseren Dichteren und ich glaube mit Recht. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,056 | Abſtrahiren wir von den tiefſinnigen Gedanken, von den wiſſenſchaftlichen Syſtemen, welche unſere Proſa ſeit 50 Jahren entwickelt hat — wir wollen uns dieſen Ruhm nicht ſchmaͤlern, aber wir wollen nur bedenken, welch ein geringer Theil der Nation von dieſem Tiefſinn, dieſer Wiſſenſchaftlichkeit Frucht gezogen hat — was bleibt uns nach; ſei es politiſch oder moraliſch oder ſonſt was in Proſa, was wir gegen die Werke unſerer Poeſie, gegen nur einen einzigen Dichter, wie Goethe, ja gegen nur ein einziges Gedicht, wie den Fauſt in die Schanze ſchlagen moͤchten? | Abstrahieren wir von den tiefsinnigen Gedanken, von den wissenschaftlichen Systemen, welche unsere Prosa seit 50 Jahren entwickelt hat — wir wollen uns diesen Ruhm nicht schmälern, aber wir wollen nur bedenken, welch ein geringer Teil der Nation von diesem Tiefsinn, dieser Wissenschaftlichkeit Frucht gezogen hat — was bleibt uns nach; sei es politisch oder moralisch oder sonst was in Prosa, was wir gegen die Werke unserer Poesie, gegen nur einen einzigen Dichter, wie Goethe, ja gegen nur ein einziges Gedicht, wie den Faust in die Schanze schlagen möchten? |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,057 | Ich wuͤßte es nicht. | Ich wüsste es nicht. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,058 | Es kann aber auch nicht anders ſein, als daß bisher die deutſche Poeſie die Proſa hinter ſich ließ. | Es kann aber auch nicht anders sein, als dass bisher die deutsche Poesie die Prosa hinter sich ließ. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,059 | Ich glaube den Grund ſchon einmal angedeutet zu haben und zwar bei der Gelegenheit, als ich meine Freude uͤber das kraͤftigere Aufbluͤhen unſerer heutigen jugendlichen Proſaiker ausſprach. | Ich glaube den Grund schon einmalangedeutet zu haben und zwar bei der Gelegenheit, als ich meine Freude über das kräftigere Aufblühen unserer heutigen jugendlichen Prosaiker aussprach. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,060 | Die deutſche Proſa wird nie der franzoͤſiſchen gleichgeartet werden, wer es von unſerer Seite auf Nachahmung anlegte, wie es von Dieſem und Jenem wirklich geſchieht, der ahnt den Genius nicht, den er verhoͤhnt. | Die deutsche Prosa wird nie der französischen gleichgeartet werden, wer es von unserer Seite auf Nachahmung anlegte, wie es von Diesem und Jenem wirklich geschieht, der ahnt den Genius nicht, den er verhöhnt. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,061 | Herz und immer wieder Herz muß dringen und klingen aus deutſcher Rede, ob ſie einfach-proſaiſch dahinfließt, oder rythmiſche Echos hoͤren laͤßt; wir haben eine Naturſprache, die ſowohl an den Gedanken als an die Empfindung ſich anſchmiegt, ohne der gallonirten Kleider zu beduͤrfen: | Herz und immer wieder Herz muss dringen und klingen aus deutscher Rede, ob sie einfach-prosaisch dahinfließt, oder rhythmische Echos hören lässt; wir haben eine Natursprache, die sowohl an den Gedanken als an die Empfindung sich anschmiegt, ohne der gallonierten Kleider zu bedürfen: |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,062 | Natur, Wahrheit, Herzlichkeit, das ſind die drei Farben, welche dem Deutſchen ſo wohl ſtehen und die keine Kunſt der Rednerei, der Witzelei, der Phantaſterei erſetzt. | Natur, Wahrheit, Herzlichkeit, das sind die drei Farben, welche dem Deutschen so wohl stehen und die keine Kunst der Rednerei, der Witzelei, der Phantasterei ersetzt. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,063 | Allein, bedenken wir die bisherigen Zuſtaͤnde der Deutſchen, bedenken wir dieſe miſerabeln buͤrgerlichen und geſellſchaftlichen Zuſtaͤnde der Deutſchen, ſo begreifen wir leicht, warum die deutſche Proſa, der treue Spiegel dieſer Zuſtaͤnde, jetzt im Allgemeinen eben ſo miſerabel ausſehen mußte, als ſie wirklich that und thut. | Allein, bedenken wir die bisherigen Zustände der Deutschen, bedenken wir diese miserablen bürgerlichen und gesellschaftlichen Zustände der Deutschen, so begreifen wir leicht, warum die deutsche Prosa, der treue Spiegel dieser Zustände, jetzt im Allgemeinen eben so miserabel aussehen musste, als sie wirklich tat und tut. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,064 | Ja, nehmen wir nur die ausgezeichnetſten Proſaiker der neuern Zeit, die viel Muͤhe und Fleiß auf die Ausbildung ihrer Sprache verwandt haben und denen es beſſer wie Tauſenden gegluͤckt iſt, einen Fichte, Schleiermacher, Schiller, Goethe, welchen, ſelbſt Goethe nicht ausgeſchloſſen, moͤchte man der Jugend als reines Muſter empfehlen. | Ja, nehmen wir nur die ausgezeichnetsten Prosaiker der neueren Zeit, die viel Mühe und Fleiß auf die Ausbildung ihrer Sprache verwandt haben und denen es besser wie Tausenden geglückt ist, einen Fichte, Schleiermacher, Schiller, Goethe, welchen, selbst Goethe nicht ausgeschlossen, möchte man der Jugend als reines Muster empfehlen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,065 | Fichte's Periodengeflechte ſind mehr dornigt als blumigt, Schleiermacher ſpinnt faſt unſichtbare Gewebe und in dem Werk, was man fuͤr das Meiſterſtuͤck ſeines Sprachſkelets ausgibt, in den Monologen, ſchreibt er Jamben, ſtatt Proſa; | Fichtes Periodengeflechte sind mehr dornig als blumig, Schleiermacher spinnt fast unsichtbare Gewebe und in dem Werk, was man für das Meisterstück seines Sprachskeletts ausgibt, in den Monologen, schreibt er Jamben, statt Prosa; |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,066 | Schiller uͤberbietet ſich in einer glaͤnzenden, aber nur zu oft undeutſchen und hohlklingenden Paradeſprache, und Goethe, der weit entfernt von dieſem Fehler iſt, hat in ſeinen Proſaromanen eine ſolche Menge glatter, hoͤfiſcher Wendungen bei der Hand, daß man oft nicht weiß, wie man mit ihm daran iſt. | Schiller überbietet sich in einer glänzenden, aber nur zu oft undeutschen und hohlklingenden Paradesprache, und Goethe, der weit entfernt von diesem Fehler ist, hat in seinen Prosaromanen eine solche Menge glatter, höfischer Wendungen bei der Hand, dass man oft nicht weiß, wie man mit ihm daran ist. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,067 | Der Stil iſt der Menſch ſelber, ſagt Buͤffon; und Jean Paul: wie jedes Volk ſich in ſeiner Sprache, ſo malt jeder Autor ſich in ſeinem Stil. | Der Stil ist der Mensch selber, sagt Buffon; und Jean Paul: wie jedes Volk sich in seiner Sprache, so malt jeder Autor sich in seinem Stil. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,068 | Kraͤftigen, reinen und ſchoͤnen Stil wird kein Schriftſteller in unkraͤftiger, unreiner und unſchoͤner Zeit erwerben, fuͤge ich hinzu, denn der Schriftſteller iſt im hoͤhern Grad als ein Anderer, oder vielleicht nur ſichtbarer, ein Kind ſeiner Zeit. | Kräftigen, reinen und schönen Stil wird kein Schriftsteller in unkräftiger, unreiner und unschöner Zeit erwerben, füge ich hinzu, denn der Schriftsteller ist im höheren Grad als ein Anderer, oder vielleicht nur sichtbarer, ein Kind seiner Zeit. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,069 | — | — |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,070 | Doch dieſes ſind Gedanken, die wir ſpaͤter noch weiter auszufuͤhren haben; fuͤr jetzt und zunaͤchſt ſoll es nicht die Proſa, ſondern die Poeſie der neuen Zeit ſein, an welche wir unſere Aeſthetik zu knuͤpfen gedenken. | Doch dieses sind Gedanken, die wir später noch weiter auszuführen haben; für jetzt und zunächst soll es nicht die Prosa, sondern die Poesie der neuen Zeit sein, an welche wir unsere Ästhetik zu knüpfen gedenken. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,071 | Es iſt ein alter Satz, daß die Poeſie aͤlter iſt, als die Proſa. | Es ist ein alter Satz, dass die Poesie älter ist, als die Prosa. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,072 | Bewieſe es nicht die Geſchichte der Menſchheit, ſo bewieſe es die Bildungsgeſchichte eines jeden Kindes, dem wir die Fibel mit gereimten Spruͤchen und Sprichwoͤrtern fuͤllen. | Beweise es nicht die Geschichte der Menschheit, so beweise es die Bildungsgeschichte eines jeden Kindes, dem wir die Fibel mit gereimten Sprüchen und Sprichwörtern füllen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,073 | Mit Recht. | Mit Recht. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,074 | Die Poeſie gehoͤrt den Kindern, und was in uns kindlich geblieben iſt, gehoͤrt der Poeſie. | Die Poesie gehört den Kindern, und was in uns kindlich geblieben ist, gehört der Poesie. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,075 | Gebt mir eine friſche Kinderfreude, eine Seligkeit um nichts, eine thaufriſche Anſchauung, einen von jenen lebhaften Eindruͤcken, die keine Zeit verwiſcht, und deren der Greis ſich noch am Stabe erinnert, alles das gehoͤrt der Poeſie an. | Gebt mir eine frische Kinderfreude, eine Seligkeit um nichts, eine taufrische Anschauung, einen von jenen lebhaften Eindrücken, die keine Zeit verwischt, und deren der Greis sich noch am Stabe erinnert, alles das gehört der Poesie an. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,076 | Jede Empfindung gehoͤrt der Poeſie an, wenn ſie aus ihrem ordinairen Zuſtande entruͤckt, reiner, friſcher, tiefer wird, ohne zu wiſſen wie, ſo auch jeder Gedanke, deſſen Mutter nicht grade das Einmaleins oder die logiſche Formel des Widerſpruchs und des exclusi tertii iſt, jeder Gedanke kann einen poetiſchen Koͤrper annehmen und aus der abſtrakten Luft in den gruͤnen Garten der Poeſie herabgezogen werden. | Jede Empfindung gehört der Poesie an, wenn sie aus ihrem ordinären Zustande entrückt, reiner, frischer, tiefer wird, ohne zu wissen wie, so auch jeder Gedanke, dessen Mutter nicht gerade das Einmaleins oder die logische Formel des Widerspruchs und des exclusi tertii ist, jeder Gedanke kann einen poetischen Körper annehmen und aus der abstrakten Luft in den grünen Garten der Poesie herabgezogen werden. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,077 | Unſere Dichter treiben dergleichen Geſchaͤft als Kunſt, den uralten Dichtern und den Kindern und dem Volke iſt es Natur, ſo zu denken und zu fuͤhlen. | Unsere Dichter treiben dergleichen Geschäft als Kunst, den uralten Dichteren und den Kindern und dem Volke ist es Natur, so zu denken und zu fühlen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,078 | Ich will die Poeſie nicht definiren, es geht ihr wie der Schoͤnheit und allem Beſten, was gottlob den Definitionshaͤſchern zu hoch liegt, aber wenn ich ſage: zieht von dieſem Menſchen, dieſem Volke, dieſer Zeit das ab, was ihre Religion, ihr Katechismus, ihr beſonderer geſchichtlicher Charakter, ihr poſitiver Gehalt, ihre ſpezielle Weltanſchauung iſt, ſo bleibt jedem Menſchen, jedem Volk eine Saite, die rein menſchlich oder rein goͤttlich toͤnt, eine Saite, deren Klang und Ton alle Menſchen verſtehen, und ſtaͤnden ſie auch Tauſende von Jahren auseinander, das iſt die Poeſie. | Ich will die Poesie nicht definieren, es geht ihr wie der Schönheit und allem Besten, was gottlob den Definitionshäschern zu hoch liegt, aber wenn ich sage: zieht von diesem Menschen, diesem Volke, dieser Zeit das ab, was ihre Religion, ihr Katechismus, ihr besonderer geschichtlicher Charakter, ihr positiver Gehalt, ihre spezielle Weltanschauung ist, so bleibt jedem Menschen, jedem Volk eine Saite, die rein menschlich oder rein göttlich tönt, eine Saite, deren Klang und Ton alle Menschen verstehen, und ständen sie auch Tausende von Jahren auseinander, das ist die Poesie. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,079 | Grade dieſen Gedanken, dieſen Begriff der Poeſie wuͤnſchte ich Ihnen recht lebhaft zur Aneignung darzuſtellen. | Gerade diesen Gedanken, diesen Begriff der Poesie wünschte ich Ihnen recht lebhaft zur Aneignung darzustellen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,080 | Die Poeſie iſt die Vermittlerin aller Zeiten und Voͤlker, die Vermittlerin aller Menſchen, die Dolmetſcherin aller Gefuͤhle und Beſtrebungen, und ſie iſt es dadurch, daß ſie unmittelbar aus dem Herzen dringt, aus jener unergruͤndlichen Tiefe, wo die Kraft neben der Leidenſchaft ſchlaͤft, aus jenem Kern des menſchlichen Weſens, der, wenn er verwitterte, die ganze Menſchheit in Staub zerfallen ließe. | Die Poesie ist die Vermittlerin aller Zeiten und Völker, die Vermittlerin aller Menschen, die Dolmetscherin aller Gefühle und Bestrebungen, und sie ist es dadurch, dass sie unmittelbar aus dem Herzen dringt, aus jener unergründlichen Tiefe, wo die Kraft neben der Leidenschaft schläft, aus jenem Kern des menschlichen Wesens, der, wenn er verwitterte, die ganze Menschheit in Staub zerfallen ließe. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,081 | Nicht als ob die Poeſie in ihrer Aeußerung bei dieſem, jenem Volke, dieſem, jenem Menſchen keine perſoͤnlichen, volksthuͤmlichen, charakteriſtiſchen Elemente und Beiſaͤtze enthielte — es gibt eben ſo wenig eine abſtrakte Poeſie, als uͤberhaupt etwas abſtrakt Lebendiges — ſondern es hat die Poeſie vom Himmel die Gabe empfangen, trotz ihrer beſchraͤnkt geſchichtlichen Aeußerung, im Tiefſten das Reinmenſchliche, Allen Verſtaͤndliche, Allen bis zu einem gewiſſen Grade Genießliche, fuͤr ewige Zeit aufzubewahren; eine Gunſt, der ſich weder Philoſophie noch Religion zu ruͤhmen vermag. | Nicht als ob die Poesie in ihrer Äußerung bei diesem, jenem Volke, diesem, jenem Menschen keine persönlichen, volkstümlichen, charakteristischen Elemente und Beisätze enthielte — es gibt ebensowenig eine abstrakte Poesie, als überhaupt etwas abstrakt Lebendiges — sondern es hat die Poesie vom Himmel die Gabe empfangen, trotz ihrer beschränkt geschichtlichen Äußerung, im Tiefsten das Reinmenschliche, allen verständliche, allen bis zu einem gewissen Grade genüssliche, für ewige Zeit aufzubewahren; eine Gunst, der sich weder Philosophie noch Religion zu rühmen vermag. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,082 | Wie auch der Indier, der Chineſe denkt und handelt, das mag uns ungereimt, unverſtaͤndlich vorkommen, ſo daß wir uns eben ſo gut ein außermenſchliches Weſen, einen Mondbuͤrger in ſeiner Perſon imaginiren koͤnnen, aber er liebt, wie wir, er haßt, wie wir, er hofft, er verzweifelt, er jauchzt, er blutet, wie wir, und dieſe rein menſchliche Empfindung macht ſich unwiderſtehlich Luſt aus der Maske ſeines geſchichtlichen Charakters und erinnert uns an die Bande der Bruͤderſchaft, die alle Menſchengeſchlechter mit einander verknuͤpfen. | Wie auch der Inder, der Chinese denkt und handelt, das mag uns ungereimt, unverständlich vorkommen, so dass wir uns ebenso gut ein außermenschliches Wesen, einen Mondbürger in seiner Person imaginieren können, aber er liebt, wie wir, er hasst, wie wir, er hofft, er verzweifelt, er jauchzt, er blutet, wie wir, und diese rein menschliche Empfindung macht sich unwiderstehlich Luft aus der Maske seines geschichtlichen Charakters und erinnert uns an die Bande der Brüderschaft, die alle Menschengeschlechter miteinander verknüpfen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,083 | Leſen Sie das indiſche Gedicht Naal und Damajanti — Vieles wird Ihnen fremdphantaſtiſch und Gewaͤchs der indiſchen Zone ſcheinen — aber nicht die goͤttliche Liebe und Treue, welche ſich darin verkoͤrpert. | Lesen Sie das indische Gedicht Naal und Damajanti — vieles wird Ihnen fremdphantastisch und Gewächs der indischen Zone scheinen — aber nicht die göttliche Liebe und Treue, welche sich darin verkörpert. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,084 | Leſen Sie den Tſchi-King, das Liederbuch der Chineſen, mit deſſen Ueberſetzung uns Ruͤckert ſein neueſtes Geſchenk gemacht hat, und Sie werden hinter dieſer wunderſam geſchnoͤrkelten, ſteifen Schale des ſo ganz eigenthuͤmlichen Volks den Kern des Reinmenſchlichen bewahrt ſehen. | Lesen Sie den Tschi-King, das Liederbuch der Chinesen, mit dessen Übersetzung uns Rückert sein neuestes Geschenk gemacht hat, und Sie werden hinter dieser wundersam geschnörkelten, steifen Schale des so ganz eigentümlichen Volks den Kern des Reinmenschlichen bewahrt sehen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,085 | In die Poeſie fluͤchtet ſich das mißhandelte Herz, hier und hier allein war es vom Prieſterzwange frei, der ſonſt das ganze Leben und ſelbſt den Gedanken des Volkes beherrſchte. | In die Poesie flüchtet sich das misshandelte Herz, hier und hier allein war es vom Priesterzwange frei, der sonst das ganze Leben und selbst den Gedanken des Volkes beherrschte. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,086 | Und darum hat der herrliche Ruͤckert Recht, wenn er in der poetiſchen Einleitung ſagt: | Und darum hat der herrliche Rückert Recht, wenn er in der poetischen Einleitung sagt: |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,087 | Ich fuͤhle, daß der Geiſt des Herrn, Der redet in verſchiednen Zungen, Hat Voͤlker, Zeiten nah und fern Durchhaucht, durchleuchtet und durchſungen, Ob etwas herber oder reifer, Ob etwas reicher oder ſteifer — Ihr ſeid Gewaͤchs aus einem Kern Fuͤr meinen Liebeseifer. | Ich fühle, dass der Geist des Herrn, der redet in verschiedenen Zungen, hat Völker, Zeiten nah und fern Durchhaucht, durchleuchtet und durchsungen, ob etwas herber oder reifer, ob etwas reicher oder steifer — Ihr seid Gewächs aus einem Kern für meinen Liebeseifer. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,088 | Nicht iſt der Liebe Morgenroth Von China's Mauer ausgeſchloſſen, Auch dort liebt Liebe bis in Tod Und treu bleibt Liebe, auch verſtoßen. | Nicht ist der Liebe Morgenrot von Chinas Mauer ausgeschlossen, auch dort liebt Liebe bis in Tod und treu bleibt Liebe, auch verstoßen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,089 | Und alle ſtarken Herzensbande Um Kinder, Eltern und Verwandte Und Vorfahr'n, aller Lebensnoth Entruͤckt zum Goͤtterſtande. | Und alle starken Herzensbande um Kinder, Eltern und Verwandte und Vorfahren, aller Lebensnot entrückt zum Götterstande. |