basename
stringclasses 96
values | par_idx
int64 0
10.4k
| orig
stringlengths 0
2.46k
| norm
stringlengths 0
2.48k
|
---|---|---|---|
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,190 | In ſeiner Jugend dichtete er jene unſterblichen Dramen, die wie ein Feuerguß aus ſeinem Genie, aus ſeinem Herzen ſtroͤmten und die Nation mit der ganzen Friſche der Genialitaͤt, mit dem Zauber der Sympathie ergriffen und in Begeiſtrung ſetzten, den lyriſchen Werther, den ritterlichen Goͤtz, den Egmont, den Fauſt. | In seiner Jugend dichtete er jene unsterblichen Dramen, die wie ein Feuerguss aus seinem Genie, aus seinem Herzen strömten und die Nation mit der ganzen Frische der Genialität, mit dem Zauber der Sympathie ergriffen und in Begeisterung setzten, den lyrischen Werther, den ritterlichen Götz, den Egmont, den Faust. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,191 | Denken Sie ſich einen Augenblick lebhaft in jene Zeit zuruͤck, als Goethe's Name ſich zuerſt dem Klopſtock'ſchen anreihte, als Goethe anfing, der Liebling der Deutſchen zu werden und Niemand noch die Bahn berechnen konnte, welche ſein Geiſt in der Literatur beſchreiben wuͤrde. | Denken Sie sich einen Augenblick lebhaft in jene Zeit zurück, als Goethes Name sich zuerst dem Klopstockschen anreihte, als Goethe anfing, der Liebling der Deutschen zu werden und niemand noch die Bahn berechnen konnte, welche sein Geist in der Literatur beschreiben würde. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,192 | Der große Fritz hatte ein kriegeriſches Feuer in der Jugend angefacht, und waͤhrend er, nach Beendigung des ſiebenjaͤhrigen Krieges, wieder ruhig ſeine preußiſchen Wachtparaden in Potsdam hielt, eroͤffnete Klopſtock die Buͤhne des deutſchen Ruhms in den Weſergebirgen, und fuͤhrte den Deutſchen eine Zeit ins Gedaͤchtniß zuruͤck, wo die furchtbarſte Macht der Erde an der Kraft und dem Freiheitsgefuͤhl ihrer Vorfahren zerbrochen und geſcheitert war. | Der große Fritz hatte ein kriegerisches Feuer in der Jugend angefacht, und während er, nach Beendigung des Siebenjährigen Krieges, wieder ruhig seine preußischen Wachtparaden in Potsdam hielt, eröffnete Klopstock die Bühne des deutschen Ruhms in den Wesergebirgen, und führte den Deutschen eine Zeit ins Gedächtnis zurück, wo die furchtbarste Macht der Erde an der Kraft und dem Freiheitsgefühl ihrer Vorfahren zerbrochen und gescheitert war. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,193 | Klopſtock beſang den Untergang des Varus und ſeiner Legionen, den Triumph der Germanen, den blut- und ſtaubbedeckten Herrmann mit der Affektation des Enthuſiasmus eines alten heidniſchen Barden, der eben ſein Schwert vom Blute der Schlacht gereinigt hat und nun in die Harfe greift, um zugleich ein Saͤnger und ein Held den Ruhm, ſeiner Nation zu verkuͤnden. | Klopstock besang den Untergang des Varus und seiner Legionen, den Triumph der Germanen, den Blut- und staubbedeckten Herrmann mit der Affektation des Enthusiasmus eines alten heidnischen Barden, der eben sein Schwert vom Blute der Schlacht gereinigt hat und nun in die Harfe greift, um zugleich ein Sänger und ein Held den Ruhm, seiner Nation zu verkünden. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,194 | Daß kein Deutſcher mehr von der Varusſchlacht wußte, daß alle jene gefeierten Namen, Herrmann, Thusnelda kein lebendiges Erbgut der Nation waren, ſondern aus lateiniſchen Buͤchern zur Kunde der Gelehrten gelangten, das that dem neuen Barden keinen Eintrag, Herrmann war nun einmal ſein Held, der Held ſeines Patriotismus, waͤhrend Chriſtus, als der Held ſeiner Religioſitaͤt, ihm friedlich und weltverſoͤhnend aus dem Schooße der Gottheit hervortrat, und der blos menſchlichen Kraft, dem heidniſchen Heldenthum, dem Blutvergießen, Freiheitsdrange, der Vaterlandsliebe, die nicht das himmliſche Vaterland vor Augen hat, den Stab brach. | Dass kein Deutscher mehr von der Varusschlacht wusste, dass alle jene gefeierten Namen, Herrmann, Thusnelda kein lebendiges Erbgut der Nation waren, sondern aus lateinischen Büchern zur Kunde der Gelehrten gelangten, das tat dem neuen Barden keinen Eintrag, Herrmann war nun einmal sein Held, der Held seines Patriotismus, während Christus, als der Held seiner Religiosität, ihm friedlich und weltversöhnend aus dem Schoß der Gottheit hervortrat, und der bloß menschlichen Kraft, dem heidnischen Heldentum, dem Blutvergießen, Freiheitsdrange, der Vaterlandsliebe, die nicht das himmlische Vaterland vor Augen hat, den Stab brach. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,195 | Wie aber die Namen eines Herrmann und Chriſtus dem Dichter Klopſtock mit gleicher Begeiſterung von den Lippen toͤnen konnten, begreift Niemand, der nicht die ganz beſondere Art der Begeiſterung erwaͤgt, welche Klopſtock's und ſeiner Zeit Muſe war. | Wie aber die Namen eines Herrmann und Christus dem Dichter Klopstock mit gleicher Begeisterung von den Lippen tönen konnten, begreift niemand, der nicht die ganz besondere Art der Begeisterung erwägt, welche Klopstocks und seiner Zeit Muse war. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,196 | Unſtreitig hatte ſie viel Gemachtes und Pedantiſches, aber ſelbſt der gemachten Begeiſterung liegt ein Beduͤrfniß des Herzens zu Grunde, das nur nicht, aus eigner oder fremder Schuld, auf naturgemaͤßem Wege befriedigt wird. | Unstreitig hatte sie viel Gemachtes und Pedantisches, aber selbst der gemachten Begeisterung liegt ein Bedürfnis des Herzens zugrunde, das nur nicht, aus eigener oder fremder Schuld, auf naturgemäßem Wege befriedigt wird. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,197 | Billigerweiſe zwar haͤtte jene Zeit keine Spur von Begeiſterung verrathen duͤrfen, denn der ſiebenjaͤhrige Krieg war ein Schandfleck fuͤr die Deutſchen und je mehr ſich ein Name, der des großen Friedrichs, durch Thaten und Siege unter den Deutſchen erhoben hatte, deſto tiefer druͤckte das Gewicht dieſes Namens das deutſche Reich, das ganze alte Deutſchland in den Staub der Veraͤchtlichkeit nieder. | Billigerweise zwar hätte jene Zeit keine Spur von Begeisterung verraten dürfen, denn der Siebenjährige Krieg war ein Schandfleck für die Deutschen und je mehr sich ein Name, der des großen Friedrichs, durch Taten und Siege unter den Deutschen erhoben hatte, desto tiefer drückte das Gewicht dieses Namens das Deutsche Reich, das ganze alte Deutschland in den Staub der Verächtlichkeit nieder. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,198 | — Preußen, jenes ſlaviſche Preußen, jene unbedeutende, fuͤr ſo und ſo viel Silberlinge gekaufte Mark des deutſchen Reiches hatte ſich ſiegreich erhoben uͤber den Kern des alten Deutſchlands, das Haus Brandenburg ſtellte ſich in politiſcher Bedeutſamkeit dem Hauſe Habsburg, das eben ſo weit außer dem Herzen Deutſchlands lag und dem es ſchon vor Alters gegluͤckt war, die Kraft des Reiches aus ſeinem Zentrum, Franken, Schwaben, Sachſen, herauszudraͤngen und den Heerd unſerer Freiheit Slavenhaͤnden anzuvertrauen, entgegen. | — Preußen, jenes slawische Preußen, jene unbedeutende, für so und so viel Silberlinge gekaufte Mark des Deutschen Reiches hatte sich siegreich erhoben über den Kern des alten Deutschlands, das Haus Brandenburg stellte sich in politischer Bedeutsamkeit dem Hause Habsburg, das ebenso weit außer dem Herzen Deutschlands lag und dem es schon vor Alters geglückt war, die Kraft des Reiches aus seinem Zentrum, Franken, Schwaben, Sachsen, herauszudrängen und den Herd unserer Freiheit Slavenhänden anzuvertrauen, entgegen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,199 | Durch das Uebergewicht Preußens war Deutſchland ganz verloren, denn dieſe zerſtuͤckten Laͤndchen, die von der Donau bis zur Eider im Kern von Deutſchland ſich hinziehen, waren ſchlecht geeignet, jenen konzentrirten Maͤchten auf der Flanke, auf dem Fluͤgel, der nach den Waͤldern und Steppen der Barbaren hinzieht, das gehoͤrige Gleichgewicht zu halten. | Durch das Übergewicht Preußens war Deutschland ganz verloren, denn diese zerstückten Ländchen, die von der Donau bis zur Eider im Kern von Deutschland sich hinziehen, waren schlecht geeignet, jenen konzentrierten Mächten auf der Flanke, auf dem Flügel, der nach den Wäldern und Steppen der Barbaren hinzieht, das gehörige Gleichgewicht zu halten. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,200 | Und das Alles hatten die Deutſchen ſelbſt verſchuldet, zu dieſem Allen hatten ſie freiwillig ihre Arme, ihre Waffen, ihre Talente, ja ihre Begeiſterung hergegeben, und nur durch ihre eigene Mitwirkung hatte das ſlaviſche Element das freie deutſche allmaͤhlig in Feſſeln gelegt, was ſonſt, nach der Natur beider Voͤlkerſchaften, ein Ding der Unmoͤglichkeit war. | Und das alles hatten die Deutschen selbst verschuldet, zu diesem allen hatten sie freiwillig ihre Arme, ihre Waffen, ihre Talente, ja ihre Begeisterung hergegeben, und nur durch ihre eigene Mitwirkung hatte das slawische Element das freie deutsche allmählich in Fesseln gelegt, was sonst, nach der Natur beider Völkerschaften, ein Ding der Unmöglichkeit war. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,201 | Jener Rudolph von Habsburg, jener Burggraf von Nuͤrnberg, jener Friedrich der Große waren vom deutſchen Blut, alle Siege und Vortheile, die ſie uͤber Deutſchland gewannen, wurden errungen und behauptet durch deutſche Maͤnner, die ſich ihrem Dienſt widmeten und denen gewiß nicht die ganze Gefahr vor Augen ſchwebte, die ihr Vaterland bedrohte. | Jener Rudolph von Habsburg, jener Burggraf von Nürnberg, jener Friedrich der Große waren vom deutschen Blut, alle Siege und Vorteile, die sie über Deutschland gewannen, wurden errungen und behauptet durch deutsche Männer, die sich ihrem Dienst widmeten und denen gewiss nicht die ganze Gefahr vor Augen schwebte, die ihr Vaterland bedrohte. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,202 | Dieſelbe Blindheit zeigte die ganze Nation zur Zeit des ſiebenjaͤhrigen Krieges, ſie bewunderte Friedrichs Genie und in der Bewunderung ſeiner Perſon, ſeines Gluͤcks, dachte ſie nicht daran, daß ſie ſelbſt eine große moraliſche Perſon ausmache, gegen welche die Perſoͤnlichkeit eines Fuͤrſten, eines einzelnen Mannes verbleichen und verſchwinden muͤſſe, ſie trug in ihrem Eifer ihm die Truͤmmer des kaiſerlichen Zepters und des Reichsapfels entgegen, ſie ließ ſich ſchlagen, verſpotten und jubelte uͤber die Schlacht von Roßbach, wo der groͤßte Theil des Heeres nicht aus Franzoſen, ſondern aus deutſchen Reichstruppen beſtand. | Dieselbe Blindheit zeigte die ganze Nation zur Zeit des Siebenjährigen Krieges, sie bewunderte Friedrichs Genie und in der Bewunderung seiner Person, seines Glücks, dachte sie nicht daran, dass sie selbst eine große moralische Person ausmache, gegen welche die Persönlichkeit eines Fürsten, eines einzelnen Mannes verbleichen und verschwinden müsse, sie trug in ihrem Eifer ihm die Trümmer des kaiserlichen Zepters und des Reichsapfels entgegen, sie ließ sich schlagen, verspotten und jubelte über die Schlacht von Roßbach, wo der größte Teil des Heeres nicht aus Franzosen, sondern aus deutschen Reichstruppen bestand. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,203 | Sancta simplicitas und doch — ich begreife dieſe Deutſche und will nicht verſchwoͤren, daß Jeder von uns zu der Zeit ein Preußengaͤnger, ein Enthuſiaſt fuͤr Friedrichs Siege und Eroberungen geweſen, ſo gut, wie Vater Gleim und der Fruͤhlingsſaͤnger Kleiſt. | Sancta simplicitas und doch — ich begreife diese Deutsche und will nicht verschwören, dass Jeder von uns zu der Zeit ein Preußengänger, ein Enthusiast für Friedrichs Siege und Eroberungen gewesen, so gut, wie Vater Gleim und der Frühlingssänger Kleist. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,204 | Ich weiß nicht, wer es geſagt hat, aber es iſt wahr, es liegt eine Ader in der menſchlichen Natur, die muß bewundern und anbeten. | Ich weiß nicht, wer es gesagt hat, aber es ist wahr, es liegt eine Ader in der menschlichen Natur, die muss bewundern und anbeten. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,205 | Ich glaube, der Deutſche hat am meiſten von dieſer Art, es iſt ihm von jeher ein Beduͤrfniß des Herzens geweſen, große, entſchiedene, machtvolle, Reſignation, Unterwuͤrfigkeit gebietende Perſoͤnlichkeiten lebhaft zu verehren, kindlich-fromm unter die Heiligen ſeines Gemuͤths aufzunehmen. | Ich glaube, der Deutsche hat am meisten von dieser Art, es ist ihm von jeher ein Bedürfnis des Herzens gewesen, große, entschiedene, machtvolle, Resignation, Unterwürfigkeit gebietende Persönlichkeiten lebhaft zu verehren, kindlich-fromm unter die Heiligen seines Gemüts aufzunehmen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,206 | Wer wollte dieſen Zug verdammen, gehoͤrt er doch mit zu den ſchoͤnen, leider nur zu ſehr geſchwaͤchten und entſtellten Zuͤgen unſeres Nationalcharakters, wie die Geſchichte uns denſelben vor Augen fuͤhrt. | Wer wollte diesen Zug verdammen, gehört er doch mit zu den schönen, leider nur zu sehr geschwächten und entstellten Zügen unseres Nationalcharakters, wie die Geschichte uns denselben vor Augen führt. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,207 | Das Thier bewundert den Menſchen nicht, aber der Menſch den Engel, den Gott. | Das Tier bewundert den Menschen nicht, aber der Mensch den Engel, den Gott. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,208 | In der Bewunderung eines uͤber uns erhabenen Weſens liegt etwas vom Stoff jener Erhabenheit, die wir bewundern, etwas Heroiſches, was der Knechtsſinn nicht ahnt, der nur mit huͤndiſcher Natur die Macht anwedelt, deren Ueberlegenheit ihm Pruͤgel und Eſſen verſchafft. | In der Bewunderung eines über uns erhabenen Wesens liegt etwas vom Stoff jener Erhabenheit, die wir bewundern, etwas Heroisches, was der Knechtssinn nicht ahnt, der nur mit hündischer Natur die Macht anwedelt, deren Überlegenheit ihm Prügel und Essen verschafft. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,209 | Wir entaͤußern uns, nicht aus Furcht oder Intereſſe, ſondern freiwillig unſeres kleinen Ichs, um beſcheidentlich ein groͤßeres Ich in uns walten zu laſſen, wir fuͤhlen die Naͤhe eines goͤttlichen Daͤmons, und eben darum, weil wir im Stande ſind, ſie zu fuͤhlen, entſagen wir dem nichtigen Kampf der Eitelkeit und verſchreiben und ergeben uns ihm, um unſere Bruſt mit einem Gefuͤhl anzuſchwellen, das uns gluͤcklicher, gewiſſer und ſtaͤrker macht, als das Gefuͤhl unſerer eignen Exiſtenz, entbloͤßt und nackt von jener Magie des fremden Willens. | Wir entäußern uns, nicht aus Furcht oder Interesse, sondern freiwillig unseres kleinen Ich es, um bescheidentlich ein größeres Ich in uns walten zu lassen, wir fühlen die Nähe eines göttlichen Dämons, und eben darum, weil wir imstande sind, sie zu fühlen, entsagen wir dem nichtigen Kampf der Eitelkeit und verschreiben und ergeben uns ihm, um unsere Brust mit einem Gefühl anzuschwellen, das uns glücklicher, gewisser und stärker macht, als das Gefühl unserer eigenen Existenz, entblößt und nackt von jener Magie des fremden Willens. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,210 | Dies iſt wahr und gereicht uns zur Ehre, allein wir muͤſſen eingeſtehen, daß die Rezeptivitaͤt fuͤr die Groͤße einer Perſoͤnlichkeit in uns ſich theils nicht immer nach der geiſtigen Groͤße der Perſon, ſondern oft nur nach ihrer aͤußern, angebornen richte, theils und uͤberhaupt abhaͤngig ſei von dem mehr oder minder entſchiedenen und thaͤtigen Zuſtand unſerer Seele, ſo daß wir, wenn wir ſelbſt am Entſchloſſenſten und Thaͤtigſten ſind, uns in dem Maaß am Wenigſten aufgelegt fuͤhlen, in einem blos paſſiven und bewundernden Zuſtand uͤberzugehen. | Dies ist wahr und gereicht uns zur Ehre, allein wir müssen eingestehen, dass die Rezeptivität für die Größe einer Persönlichkeit in uns sich teils nicht immer nach der geistigen Größe der Person, sondern oft nur nach ihrer äußeren, angeborenen richte, teils und überhaupt abhängig sei von dem mehr oder minder entschiedenen und tätigen Zustand unserer Seele, so dass wir, wenn wir selbst am entschlossensten und Tätigsten sind, uns in dem Maß am wenigsten aufgelegt fühlen, in einem bloß passiven und bewundernden Zustand überzugehen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,211 | Dieſer Zuſtand der Entſchloſſenheit und Thaͤtigkeit der Kraft des Selbſtbewußtſeins mangelte aber durchaus dem Deutſchland, das Klopſtock's Alter und Goethe's Jugend ſah. | Dieser Zustand der Entschlossenheit und Tätigkeit der Kraft des Selbstbewusstseins mangelte aber durchaus dem Deutschland, das Klopstocks Alter und Goethes Jugend sah. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,212 | Deutſchland war ſo lange veroͤdet geweſen an Helden und Dichtern, da erſchien Friedrich und Klopſtock und die Deutſchen gaben ſich unbedingt dem Zuge ihres Herzens hin, fuͤllten ihre Phantaſie mit den Bildern der Groͤße, des Krieges, mit dem Heros des Tages und der Vorzeit, mit Friedrich und Herrmann und mitten im Kriegsgetuͤmmel, im wirklichen oder nachhallenden Donner der preußiſchen Kanonen, und dem nur eingebildeten Schwirren der Cherusker-Lanzen und dem Gebraus der Bardenlieder horchte eine ausgewaͤhltere, ſtillere Schaar auf die Toͤne der Zionsharfe, welche „der ſuͤndigen Menſchen Erloͤſung“ ſang. | Deutschland war so lange verödet gewesen an Helden und Dichteren, da erschien Friedrich und Klopstock und die Deutschen gaben sich unbedingt dem Zuge ihres Herzens hin, füllten ihre Phantasie mit den Bildern der Größe, des Krieges, mit dem Heros des Tages und der Vorzeit, mit Friedrich und Herrmann und mitten im Kriegsgetümmel, im wirklichen oder nachhallenden Donner der preußischen Kanonen, und dem nur eingebildeten Schwirren der Cherusker-Lanzen und dem Gebraus der Bardenlieder horchte eine ausgewähltere, stillere Schar auf die Töne der Zionsharfe, welche „der sündigen Menschen Erlösung“ sang. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,213 | Dies war die Zeit, in welcher Goethe auftrat, die Zeit, in welche die erſte Klaſſe ſeiner Produkte fiel, die durch einen charakteriſtiſchen Grundzug von der zweiten Haͤlfte abgeſondert iſt. | Dies war die Zeit, in welcher Goethe auftrat, die Zeit, in welche die erste Klasse seiner Produkte fiel, die durch einen charakteristischen Grundzug von der zweiten Hälfte abgesondert ist. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,214 | Goethe beſang weder den ſiebenjaͤhrigen Krieg noch ſtimmte er in die Barditen Klopſtock's ein. | Goethe besang weder den Siebenjährigen Krieg noch stimmte er in die Barditen Klopstocks ein. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,215 | Er war zu poetiſch geſtimmt, um beiderlei Suͤjets fuͤr poetiſch zu halten; aber auch noch zu voll und jugendlich ſtuͤrmiſch, um ſich, wie in ſpaͤterer Zeit, jedes Suͤjet fuͤr die Ausuͤbung der Dichtkunſt gefallen zu laſſen und die Poeſie nur als die Kunſt, etwas Beliebigem eine poetiſche Form zu geben, in Betrachtung zu ziehen. | Er war zu poetisch gestimmt, um beiderlei Sujets für poetisch zu halten; aber auch noch zu voll und jugendlich stürmisch, um sich, wie in späterer Zeit, jedes Sujet für die Ausübung der Dichtkunst gefallen zu lassen und die Poesie nur als die Kunst, etwas Beliebigem eine poetische Form zu geben, in Betrachtung zu ziehen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,216 | Angeregt durch die Groͤße des Mittelalters, ſeine Thaten und Bauwerke, dramatiſirte er die Geſchichte eines deutſchen Helden, deſſen Lebensgeſchichte in den voͤlligen Abſchluß des Mittelalters faͤllt, und der gleichſam zu noch guter Letzt alles Rohe und Ehrliche der deutſchen Ritterlichkeit in ſeiner Perſon vereinigte. | Angeregt durch die Größe des Mittelalters, seine Taten und Bauwerke, dramatisierte er die Geschichte eines deutschen Helden, dessen Lebensgeschichte in den völligen Abschluss des Mittelalters fällt, und der gleichsam zu noch guter Letzt alles Rohe und Ehrliche der deutschen Ritterlichkeit in seiner Person vereinigte. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,217 | Dieſen und ſein Zeitalter ſtellte er den Deutſchen zur Bewunderung auf und man weiß, wie ſehr es ihm gelungen iſt, die deutſche Jugend in die kurze Phantaſie zu verſetzen, als truͤge ſie noch, wie damals, eiſerne Beinſchienen und fuͤhlte ſich, wie Goͤtz, berufen, die Welt aus geſchloſſenem Viſir zu betrachten. | Diesen und sein Zeitalter stellte er den Deutschen zur Bewunderung auf und man weiß, wie sehr es ihm gelungen ist, die deutsche Jugend in die kurze Phantasie zu versetzen, als trüge sie noch, wie damals, eiserne Beinschienen und fühlte sich, wie Götz, berufen, die Welt aus geschlossenem Visier zu betrachten. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,218 | Goethe ließ die Phantaſie der Deutſchen nicht raſten, er wußte ihnen beſtaͤndig neuen Stoff aus dem Reich ſeiner Ideen und Gefuͤhle darzubieten. | Goethe ließ die Phantasie der Deutschen nicht rasten, er wusste ihnen beständig neuen Stoff aus dem Reich seiner Ideen und Gefühle darzubieten. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,219 | Alles dies war revolutionairer Natur, ſtellte ſich in Kontraſt mit der politiſchen und moraliſchen Ordnung, wenn auch unabſichtlich. | Alles dies war revolutionärer Natur, stellte sich in Kontrast mit der politischen und moralischen Ordnung, wenn auch unabsichtlich. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,220 | Eigentlich kann man daſſelbe behaupten von Friedrichs Ruhm und Klopſtock's Bardenliedern, ſie konnten nur durch Nichtachtung und Ueberdruß des damaligen Deutſchlands entſtehen und bluͤhen, Friedrich und Klopſtock konnten Deutſchland nie entzuͤcken, haͤtte es nicht thatenloſe Langeweile gefuͤhlt. | Eigentlich kann man dasselbe behaupten von Friedrichs Ruhm und Klopstocks Bardenliedern, sie konnten nur durch Nichtachtung und Überdruss des damaligen Deutschlands entstehen und blühen, Friedrich und Klopstock konnten Deutschland nie entzücken, hätte es nicht tatenlose Langeweile gefühlt. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,221 | Goethe trug die unzufriedene Begeiſterung in alle Gebiete des Geiſtigen und Sittlichen uͤber. | Goethe trug die unzufriedene Begeisterung in alle Gebiete des Geistigen und Sittlichen über. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,222 | Fauſt iſt ihr Kulminationspunkt und als ſolchen muß man ihn auffaſſen, wenn man die Entſtehung dieſes Gedichts zu jener Zeit begreifen will, das, wie es herauskam, ſo wenig von der tiefen und ewigen Bedeutung deſſelben ahnen ließ und erſt nach und nach jenen europaͤiſchen Ruf erlangt hat, in welchem es gegenwaͤrtig ſteht. | Faust ist ihr Kulminationspunkt und als solchen muss man ihn auffassen, wenn man die Entstehung dieses Gedichts zu jener Zeit begreifen will, das, wie es herauskam, so wenig von der tiefen und ewigen Bedeutung desselben ahnen ließ und erst nach und nach jenen europäischen Ruf erlangt hat, in welchem es gegenwärtig steht. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,223 | Dieſer Fauſt iſt der Wendepunkt des Goetheſchen Genies ‚von dieſer hoͤchſten Spitze der Begeiſterung und Herzensfuͤlle ſtieg es ploͤtzlich wieder herunter ‚und begann die zweite Epoche ſeines Ruhms, die der ruhigen Plaſtik ‚der beſchraͤnkten, gegen Stoff gleichguͤltig ſich verhaltenden Kunſtdarſtellung ‚welche das Tiefſte, Aufregendſte ‚Leidenſchaftlichſte ſorgfaͤltig vermeidet, ſich mit der Gegenwart verſoͤhnt und auf deren Niveau die Geſtalten der Poeſie auftraͤgt. | Dieser Faust ist der Wendepunkt des goetheschen Genies, von dieser höchsten Spitze der Begeisterung und Herzensfülle stieg es plötzlich wieder herunter, und begann die zweite Epoche seines Ruhms, die der ruhigen Plastik, der beschränkten, gegen Stoff gleichgültig sich verhaltenden Kunstdarstellung, welche das Tiefste, Aufregendste, leidenschaftlichste sorgfältig vermeidet, sich mit der Gegenwart versöhnt und auf deren Niveau die Gestalten der Poesie aufträgt. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,224 | Doch bezeichnen und verfolgen wir dieſe Richtung nicht weiter, denn wir haben noch Gelegenheit ‚auf ſie zuruͤckzukommen. | Doch bezeichnen und verfolgen wir diese Richtung nicht weiter, denn wir haben noch Gelegenheit, auf sie zurückzukommen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,225 | Zunaͤchſt iſt es uns um die geſchichtliche Stelle ‚welche dem Fauſt zukommt ‚zu thun geweſen und da wir dieſe ermittelt haben, ſo fragt es ſich ‚nach jener uͤbergeſchichtlichen Bedeutung ‚die Jedermann gewohnt iſt ‚darin zu ſuchen. | Zunächst ist es uns um die geschichtliche Stelle, welche dem Faust zukommt, zu tun gewesen und da wir diese ermittelt haben, so fragt es sich, nach jener übergeschichtlichen Bedeutung, die jedermann gewohnt ist, darin zu suchen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,226 | Ich habe bereits erklaͤrt ‚daß ſich dieſe nicht im Zuſammenhang des Goetheſchen Lebens und aus der Zeit entwickeln laͤßt; | Ich habe bereits erklärt, dass sich diese nicht im Zusammenhang des goetheschen Lebens und aus der Zeit entwickeln lässt; |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,227 | Fauſt iſt ein Werk ‚das weit uͤber ſeiner Zeit ‚ja ſelbſt uͤber dem ſteht ‚deſſen Feder wir es verdanken. | Faust ist ein Werk, das weit über seiner Zeit, ja selbst über dem steht, dessen Feder wir es verdanken. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,228 | Fauſt war einmal ein Moment im Goetheſchen Geiſte ‚Goethe war einmal Fauſt ‚naͤmlich in den großen heiligen Jugendſtunden ‚als der Geiſt dieſer Dichtung uͤber ihn kam. | Faust war einmal ein Moment im goetheschen Geiste, Goethe war einmal Faust, nämlich in den großen heiligen Jugendstunden, als der Geist dieser Dichtung über ihn kam. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,229 | Aber Goethe's Geiſt verkoͤrperte ſich auch in einen Wilhelm Meiſter, in einen Schenken Hafis und Gott weiß in welcherlei bunte Geſtalten, die mit Fauſt's Tiefe nichts zu ſchaffen haben. | Aber Goethes Geist verkörperte sich auch in einen Wilhelm Meister, in einen Schenken Hafis und Gott weiß in welcherlei bunte Gestalten, die mit Fausts Tiefe nichts zu schaffen haben. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,230 | Als Goethe den Fauſt empfunden und geſchrieben hatte, ſchien es, als wuͤßte er nichts mehr von ihm, als kenne er ihn nicht mehr, als ſuche er ihn zu verlaͤugnen und Alles auf jugendliche Ueberſpannung zu ſchieben. | Als Goethe den Faust empfunden und geschrieben hatte, schien es, als wüsste er nichts mehr von ihm, als kenne er ihn nicht mehr, als suche er ihn zu verleugnen und alles auf jugendliche Überspannung zu schieben. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,231 | Goethe's Fortſetzung des Fauſt paßt auf ſeinen fruͤhern Fauſt, wie die Fauſt auf's Auge, und muß Einen, wenn man dieſen zweiten Theil durchblaͤttert, jene unendliche Wehmuth ergreifen, die das ganz veraͤnderte und entſtellte Bild einer Geliebten erregt, wenn man ſie nach jahrelangem Zwiſchenraum wieder ſieht. | Goethes Fortsetzung des Faust passt auf seinen früheren Faust, wie die Faust aufs Auge, und muss Einen, wenn man diesen zweiten Teil durchblättert, jene unendliche Wehmut ergreifen, die das ganz veränderte und entstellte Bild einer Geliebten erregt, wenn man sie nach jahrelangem Zwischenraum wiedersieht. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,232 | Fauſt iſt der Hiob und das hohe Lied der Deutſchen, er iſt, wie ich dieſe Worte Heine's ſchon einmal angefuͤhrt, das deutſche Volk ſelbſt, das geplagt und durchgemartert vom Wiſſen, Glauben und Entſagung an die Rechte des Fleiſches appellirt, aus einem Schatten der Geſchichte ein lebendiges Weſen, aus einem Traͤumer ein wachender, genießender Menſch werden will. | Faust ist der Hiob und das hohe Lied der Deutschen, er ist, wie ich diese Worte Heines schon einmal angeführt, das deutsche Volk selbst, das geplagt und durchgemartert vom Wissen, Glauben und Entsagung an die Rechte des Fleisches appelliert, aus einem Schatten der Geschichte ein lebendiges Wesen, aus einem Träumer ein wachender, genießender Mensch werden will. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,233 | Fauſt, der ſeine Studirſtube und ſeine Studien hiſtoriſcher Pergamente verlaͤßt, um ſich der Welt zu naͤhern und der Welt Luſt und Schmerzen in ſeiner Bruſt zu haͤufen, er iſt der Deutſche, der den Staub des Mittelalters von ſeinen Fuͤßen ſchuͤttelt, um ſich im Thau der neuen Zeit zu baden. | Faust, der seine Studierstube und seine Studien historischer Pergamente verlässt, um sich der Welt zu nähern und der Welt Lust und Schmerzen in seiner Brust zu häufen, er ist der Deutsche, der den Staub des Mittelalters von seinen Füßen schüttelt, um sich im Tau der neuen Zeit zu baden. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,234 | Fauſt iſt das nach Befreiung ringende Deutſchland, ja, das befreite, das ſich des Siegs ſeiner Freiheit im Voraus bewußte Deutſchland, Fauſt iſt der erſte Verkuͤnder dieſes Siegs und zugleich die Buͤrgſchaft dafuͤr. | Faust ist das nach Befreiung ringende Deutschland, ja, das befreite, das sich des Siegs seiner Freiheit im Voraus bewusste Deutschland, Faust ist der erste Verkünder dieses Siegs und zugleich die Bürgschaft dafür. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,235 | Goethe iſt der erſte Dramatiker der neuern Zeit, Byron der erſte Lyriker. | Goethe ist der erste Dramatiker der neueren Zeit, Byron der erste Lyriker. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,236 | Die Erſcheinungen dieſer beiden Dichter, zu verſchiedenen Zeiten, in verſchiedenen Laͤndern ſind die bedeutſamſten, welche es fuͤr die aͤſthetiſche Anſchauungsweiſe des neuen Europa gibt. | Die Erscheinungen dieser beiden Dichter, zu verschiedenen Zeiten, in verschiedenen Ländern sind die bedeutsamsten, welche es für die ästhetische Anschauungsweise des neuen Europa gibt. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,237 | So himmelweit entfernt der aufgehende Stern Byron's vom untergehenden Goethe's am Horizonte ſchimmert, ſo nah lag einſt die Region ihres beiderſeitigen Aufgangs. | So himmelweit entfernt der aufgehende Stern Byrons vom untergehenden Goethes am Horizonte schimmert, so nahe lag einst die Region ihres beiderseitigen Aufgangs. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,238 | Auch Goethe erhob ſich bei ſeinem erſten jugendlichen Aufbrauſen zum Streit gegen die beſtehende buͤrgerliche Geſellſchaft, in lyriſcher Wuth ſchuͤttelte er die Ketten der Konvenienz von ſich ab und warf ſich in die Arme der Natur und der Freiheit. | Auch Goethe erhob sich bei seinem ersten jugendlichen Aufbrausen zum Streit gegen die bestehende bürgerliche Gesellschaft, in lyrischer Wut schüttelte er die Ketten der Konvenienz von sich ab und warf sich in die Arme der Natur und der Freiheit. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,239 | Seine erſten Dramen haben einen durchaus lyriſchen Charakter, wie ſeine ſpaͤtern den epiſchen. | Seine ersten Dramen haben einen durchaus lyrischen Charakter, wie seine späteren den epischen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,240 | Wie es nun der Lyrik eigenthuͤmlich, daß ſie des Dichters innerſtes Weſen herauskehrt, und die ewigen Laute der Natur vernehmen laͤßt, die ſich in ihrer Unterdruͤckung durch Geſang und Toͤne Luft verſchafft, ſo zuͤckt auch durch Goethe's jugendliche Dramen und Romane der lyriſch revolutionaire Schrei der Natur hindurch und bildet die ſchrillendſten Mißlaute mit den Satzungen einer abgelebten Geſchichte, mit der Schwaͤche und Unnatur ſeines Zeitalters. | Wie es nun der Lyrik eigentümlich, dass sie des Dichters innerstes Wesen herauskehrt, und die ewigen Laute der Natur vernehmen lässt, die sich in ihrer Unterdrückung durch Gesang und Töne Luft verschafft, so zückt auch durch Goethes jugendliche Dramen und Romane der lyrisch revolutionäre Schrei der Natur hindurch und bildet die schrillendsten Misslaute mit den Satzungen einer abgelebten Geschichte, mit der Schwäche und Unnatur seines Zeitalters. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,241 | Von Pietaͤt keine Spur, unbarmherzig und ſchonungslos laͤßt er ſeinem Spott den Zuͤgel ſchießen, keck und ritterlich geſinnt ſtellt er in Goͤtz eine derbe Perſoͤnlichkeit dem aufgeloͤſten charakterloſen Weſen ſeiner Zeit gegenuͤber, in Fauſt einen genialen Denker, dem Nachbetertroß der Wagner und aller der tauſend und aber tauſend Gewohnheitſmenſchen, die vor einem ſelbſtſtaͤndigen Gedanken, vor einer friſchen und freien That erſchrecken und ſich lieber fuͤr ihr ganzes Leben, wie Ungeziefer auf dem Kadaver der Vergangenheit ernaͤhren, als den Muth faſſen, die Geburtswehen einer neuen Zeit auszuhalten und dieſe mit ihrem Mark und Blut groß zu ſaͤugen. | Von Pietät keine Spur, unbarmherzig und schonungslos lässt er seinem Spott den Zügel schießen, keck und ritterlich gesinnt stellt er in Götz eine derbe Persönlichkeit dem aufgelösten charakterlosen Wesen seiner Zeit gegenüber, in Faust einen genialen Denker, dem Nachbetertross der Wagner und aller der tausend und aber tausend Gewohnheitsmenschen, die vor einem selbstständigen Gedanken, vor einer frischen und freien Tat erschrecken und sich lieber für ihr ganzes Leben, wie Ungeziefer auf dem Kadaver der Vergangenheit ernähren, als den Mut fassen, die Geburtswehen einer neuen Zeit auszuhalten und diese mit ihrem Mark und Blut groß zu säugen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,242 | Goethe's Spott traf nicht allein die Satzungen der Moral, Theologie, Metaphyſik, der aͤußern Konvenienz, ſondern auch die Satzungen der Politik, des todten Mechanismus des Staats, den Unſinn der Geſetze, wie denn jene Worte ſich wie Brandmarken an den bei aller Fuͤlle von Geſetzen geſetzloſen Zuſtand Deutſchlands anheften, die Mephiſtopheles im Fauſt zum Schuͤler ſpricht: | Goethes Spott traf nicht allein die Satzungen der Moral, Theologie, Metaphysik, der äußeren Konvenienz, sondern auch die Satzungen der Politik, des toten Mechanismus des Staats, den Unsinn der Gesetze, wie denn jene Worte sich wie Brandmarken an den bei aller Fülle von Gesetzen gesetzlosen Zustand Deutschlands anheften, die Mephistopheles im Faust zum Schüler spricht: |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,243 | Es erben ſich Geſetz und Rechte Wie eine arge Krankheit fort; | Es erben sich Gesetz und Rechte wie eine arge Krankheit fort; |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,244 | Sie ſchleppen von Geſchlecht ſich zum Geſchlechte Und ruͤcken ſacht von Ort zu Ort. | Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlecht und rücken sacht von Ort zu Ort. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,245 | Vernunft wird Unſinn, Wohlthat Plage; | Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage; |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,246 | Weh Dir, daß Du ein Enkel biſt! | Wehe Dir, dass Du ein Enkel bist! |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,247 | Vom Rechte, das mit uns geboren iſt, Von dem iſt leider nie die Frage. | Vom Rechte, das mit uns geboren ist, von dem ist leider nie die Frage. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,248 | Allein, wie Sie wiſſen, war es Goethe nicht vorbehalten, in der Politik dieſen lyriſch-ſcharfen Charakter durchzufuͤhren. | Allein, wie Sie wissen, war es Goethe nicht vorbehalten, in der Politik diesen lyrisch-scharfen Charakter durchzuführen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,249 | Es lag vielleicht in ſeiner Natur, die mehr zum Ariſtokratiſchen und Vornehmen, als zum Demokratiſchen ſich hinneigte, vielleicht in dem aͤußern Lauf ſeines Lebens, in der guͤnſtigen Aufnahme, die er am Hofe zu Weimar fand, in der Freundſchaft, die er mit dem Herzog und der herzoglichen Familie pflegte, in einem geheimen zarten Liebesverhaͤltniß, worin er zu einer Prinzeſſin ſtand, in ſeiner ſpaͤtern Stellung als Miniſter, vielleicht in allem dieſem motivirt und zum Ueberfluß in dem politiſchen Zuſtand Deutſchlands, in der Unempfaͤnglichkeit der damaligen Deutſchen fuͤr Politik, ihrer ewigen unfruchtbaren Liſtenmacherei, ihrem thatloſen Geſchwaͤtz und Geſchreibe, ihrer politiſchen Kannegießerei, daß Goethe ſich mit dem politiſchen und geſellſchaftlichen Zuſtande, wie er nun einmal ſeit Alters in Deutſchland beſtand, redlich verſoͤhnte, und ſich bis auf ſeinen Tod aller Revolutionsgedanken, aller Beſſerung des Staats, deren Impuls von unten aufkam, entſchieden abgeneigt erklaͤrte. | Es lag vielleicht in seiner Natur, die mehr zum Aristokratischen und Vornehmen, als zum Demokratischen sich hinneigte, vielleicht in dem äußeren Lauf seines Lebens, in der günstigen Aufnahme, die er am Hofe zu Weimar fand, in der Freundschaft, die er mit dem Herzog und der herzoglichen Familie pflegte, in einem geheimen zarten Liebesverhältnis, worin er zu einer Prinzessin stand, in seiner späteren Stellung als Minister, vielleicht in allem diesem motiviert und zum Überfluss in dem politischen Zustand Deutschlands, in der Unempfänglichkeit der damaligen Deutschen für Politik, ihrer ewigen unfruchtbaren Listenmacherei, ihrem tatlosen Geschwätz und Geschreibe, ihrer politischen Kannegießerei, dass Goethe sich mit dem politischen und gesellschaftlichen Zustande, wie er nun einmal seit Alters in Deutschland bestand, redlich versöhnte, und sich bis auf seinen Tod aller Revolutionsgedanken, aller Besserung des Staats, deren Impuls von unten aufkam, entschieden abgeneigt erklärte. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,250 | Er verlangte, ſeltſam genug, von der Jugend, von der neuen Generation, welche den Untergang der aͤlteſten europaͤiſchen Monarchie und die Siege der franzoͤſiſchen Republik als ein wirklich Erlebtes ſchon hinter ſich ſah, Pietaͤt gegen Geſetz, Staat und Fuͤrſten, er, der in ſeiner Jugend die Zeiten des Fauſtrechts gluͤcklich geprieſen hatte gegen die Zeit des geſetzlich wuchernden Unrechts, in der er geboren und erzogen ward. | Er verlangte, seltsam genug, von der Jugend, von der neuen Generation, welche den Untergang der ältesten europäischen Monarchie und die Siege der französischen Republik als ein wirklich Erlebtes schon hinter sich sah, Pietät gegen Gesetz, Staat und Fürsten, er, der in seiner Jugend die Zeiten des Faustrechts glücklich gepriesen hatte gegen die Zeit des gesetzlich wuchernden Unrechts, in der er geboren und erzogen wurde. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,251 | In ſeiner letzten Zeit ſchrieb er ein Journal: | In seiner letzten Zeit schrieb er ein Journal: |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,252 | Kunſt und Alterthum betitelt — „ob er wirklich glaubte,“ fragt Heine, „daß Kunſt und Alterthum im Stande waren, Natur und Jugend zuruͤckzudraͤngen?“ | Kunst und Altertum betitelt — „ob er wirklich glaubte,“ fragt Heine, „dass Kunst und Altertum imstande waren, Natur und Jugend zurückzudrängen?“ |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,253 | Allein, meine Herren, welches auch der Grund war, warum Goethe ſich von den aͤußern Bewegungen der Zeit zuruͤckzog und das Verdammungsurtheil uͤber ſie ausſprach, es waͤre eine wahre und begruͤndete Impietaͤt, ſeiner Aſche das Verdienſt zu entziehen, die ſterblichen Atome des groͤßten Deutſchen, des geiſtigen Befreiers der Deutſchen zu befaſſen. | Allein, meine Herren, welches auch der Grund war, warum Goethe sich von den äußeren Bewegungen der Zeit zurückzog und das Verdammungsurteil über sie aussprach, es wäre eine wahre und begründete Impietät, seiner Asche das Verdienst zu entziehen, die sterblichen Atome des größten Deutschen, des geistigen Befreiers der Deutschen zu befassen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,254 | Es iſt wahr, Goethe war ein Ariſtokrat in der Politik, ein Verehrer des Hof- und Fuͤrſtenweſens, ein Panegyriſt der angeſtammten Macht, ein Protektor der leidlichen Mißbraͤuche, bei denen es ſich immer noch ziemlich behaglich leben laͤßt, ein Freund des Manierlichen und aͤußerlich Diſtinguirten, ein ſtrenger Vertheidiger des aͤußern Unterſchiedes der Staͤnde, des Herkoͤmmlichen, Anſtandsvollen; aber in dieſer Charakteriſtik Goethe's liegt ſo wenig Charakteriſtiſches fuͤr ſein Genie, daß es auf jeden Kammerherrn und Hofmarſchall im deutſchen Reiche paßt. | Es ist wahr, Goethe war ein Aristokrat in der Politik, ein Verehrer des Hof- und Fürstenwesens, ein Panegyrist der angestammten Macht, ein Protektor der leidlichen Missbräuche, bei denen es sich immer noch ziemlich behaglich leben lässt, ein Freund des Manierlichen und äußerlich distinguierten, ein strenger Verteidiger des äußeren Unterschiedes der Stände, des Herkömmlichen, Anstandsvollen; aber in dieser Charakteristik Goethes liegt so wenig Charakteristisches für sein Genie, dass es auf jeden Kammerherrn und Hofmarschall im Deutschen Reiche passt. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,255 | Derſelbe politiſche Ariſtokrat, dieſer Mann, der das große geſchichtliche Element der Voͤlker von einem ſo kleinen hoͤfiſchen Standpunkte betrachtete, uͤberſah das religioͤſe, ſittliche und wiſſenſchaftliche Leben mit den Blicken eines Adlers, und vom Standpunkte einer Zeit, den Gott weiß, welche Generation unſerer Urenkel erſt muͤhſam erklettern wird. | Derselbe politische Aristokrat, dieser Mann, der das große geschichtliche Element der Völker von einem so kleinen höfischen Standpunkte betrachtete, übersah das religiöse, sittliche und wissenschaftliche Leben mit den Blicken eines Adlers, und vom Standpunkte einer Zeit, den Gott weiß, welche Generation unserer Urenkel erst mühsam erklettern wird. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,256 | Goethe war der Luther ſeines Jahrhunderts, deſſen Bibel die Natur und deſſen Schuͤler und Anhaͤnger die Jahrhunderte ſelbſt ſind, die nach ihm kommen. | Goethe war der Luther seines Jahrhunderts, dessen Bibel die Natur und dessen Schüler und Anhänger die Jahrhunderte selbst sind, die nach ihm kommen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,257 | Spreche ich alſo das letzte Wort uͤber ihn aus, indem ich mir ſeinen doppelten Charakter, als Servilen und Liberalen, als Großen und als Kleinen, als Genie und als Weltmann, durch eine Grundrichtung ſeines Geiſtes in letzter Inſtanz zu erklaͤren ſuche. | Spreche ich also das letzte Wort über ihn aus, indem ich mir seinen doppelten Charakter, als Servilen und Liberalen, als Großen und als Kleinen, als Genie und als Weltmann, durch eine Grundrichtung seines Geistes in letzter Instanz zu erklären suche. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,258 | Goethe trug als Juͤngling die ganze neue Zeit, die kommende Weltanſchauung in ſeiner Bruſt und was ihn damals im tiefſten Grund bewegte und womit er die Welt und ſeine Zeitgenoſſen uͤberraſchte, das wird fruͤher oder ſpaͤter die Welt bewegen und Deutſchland politiſch und moraliſch umſchaffen. | Goethe trug als Jüngling die ganze neue Zeit, die kommende Weltanschauung in seiner Brust und was ihn damals im tiefsten Grund bewegte und womit er die Welt und seine Zeitgenossen überraschte, das wird früher oder später die Welt bewegen und Deutschland politisch und moralisch umschaffen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,259 | Allein Goethe gehoͤrt zu denjenigen Charakteren, welchen nicht die unmittelbare Geſtaltung der Außenwelt, ſondern zunaͤchſt die Bildung ihrer eigenen Perſoͤnlichkeit von der Natur zum Grundgeſetz gemacht zu ſein ſcheint; daher er ſich auch bald aus der Gewitterregion, welche aus dem Innerſten und Tiefſten der Leidenſchaft Blitze in die Welt ſchleudert und deren Staͤrke einzig und allein den Luther, den Demagogen macht, zuruͤckzog in die klarere Region eines mehr ruhigen, um die Welt ſcheinbar unbekuͤmmerten Selbſtbewußtſeins, das, nach Außen durch eine freie und wuͤrdige Stellung befriedigt, nach Innen im ſteten Bildungsprozeß zu immer groͤßerer Kraft und Klarheit beſchaͤftigt wurde. | Allein Goethe gehört zu denjenigen Charakteren, welchen nicht die unmittelbare Gestaltung der Außenwelt, sondern zunächst die Bildung ihrer eigenen Persönlichkeit von der Natur zum Grundgesetz gemacht zu sein scheint; daher er sich auch bald aus der Gewitterregion, welche aus dem Innersten und Tiefsten der Leidenschaft Blitze in die Welt schleudert und deren Stärke einzig und allein den Luther, den Demagogen macht, zurückzog in die klarere Region eines mehr ruhigen, um die Welt scheinbar unbekümmerten Selbstbewusstseins, das, nach Außen durch eine freie und würdige Stellung befriedigt, nach Innen im steten Bildungsprozess zu immer größerer Kraft und Klarheit beschäftigt wurde. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,260 | Eine ſolche Perſoͤnlichkeit iſt ganz durchaus auf ſich baſirt; daß Andere es eben ſo machen, ſich eben ſo unabhaͤngig in der Welt hinſtellen, mag und kann ihr nur recht ſein, aber ſie ſtreckt die Hand nicht aus zu dieſem Zweck, ſie ſucht nicht durch Umwaͤlzungen die ſittlichen und politiſchen Fundamente fremder Perſoͤnlichkeiten zu baſiren, ſie ſchließt ſich egoiſtiſch in ihrem Kreiſe ab und begruͤßt Jeden, der dieſen durchbrechen will, unwillig mit elektriſchen Schlaͤgen. | Eine solche Persönlichkeit ist ganz durchaus auf sich basiert; dass Andere es ebenso machen, sich ebenso unabhängig in der Welt hinstellen, mag und kann ihr nur recht sein, aber sie streckt die Hand nicht aus zu diesem Zweck, sie sucht nicht durch Umwälzungen die sittlichen und politischen Fundamente fremder Persönlichkeiten zu basieren, sie schließt sich egoistisch in ihrem Kreise ab und begrüßt jeden, der diesen durchbrechen will, unwillig mit elektrischen Schlägen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,261 | So denke und erklaͤre ich mir den ganzen Goethe und es ſagt mir ein Etwas, daß ich dieſes hohe Ziel nicht zu weit verfehlt habe. | So denke und erkläre ich mir den ganzen Goethe und es sagt mir ein Etwas, dass ich dieses hohe Ziel nicht zu weit verfehlt habe. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,262 | Die Lyrik der neuen Zeit iſt das poetiſche Ausſtroͤmen des Revolutionairen; revolutionair war die Lyrik Goethe's, als er jung und feurig war, revolutionair war die Lyrik des großen Britten, der in Goethe's, des Juͤnglings, Fußſtapfen trat und jene Leier mit neuen Saiten bezog, welche Goethe bei Seite gelegt hatte. | Die Lyrik der neuen Zeit ist das poetische Ausströmen des Revolutionären; revolutionär war die Lyrik Goethes, als er jung und feurig war, revolutionär war die Lyrik des großen Briten, der in Goethes, des Jünglings, Fußstapfen trat und jene Leier mit neuen Saiten bezog, welche Goethe beiseite gelegt hatte. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,263 | Byron ſtarb in Griechenland und ſeine letzte Ode war der Freiheit der Griechen gewidmet, zu deren Miterkaͤmpfung er Jahre lang Geld, Talent, Ruhe, Vergnuͤgen freudig beigeſteuert hatte. | Byron starb in Griechenland und seine letzte Ode war der Freiheit der Griechen gewidmet, zu deren Miterkämpfung er jahrelang Geld, Talent, Ruhe, Vergnügen freudig beigesteuert hatte. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,264 | Revolutionair iſt die Lyrik der neuen Zeit, das behaupte ich, aber ich bitte, mich nicht dahin mißzuverſtehen, als ob ich jeder neuen und neueſten Lyrik, welche dieſen Charakter nicht traͤgt, den Stab brechen wollte; ich erkenne ſie nur nicht fuͤr voll an, ich ſpreche ihr nur das Herz und den Geiſt der Zeit ab, ohne dem Dichter Herz und Geiſt a priori perſoͤnlich abzuſprechen. | Revolutionär ist die Lyrik der neuen Zeit, das behaupte ich, aber ich bitte, mich nicht dahin misszuverstehen, als ob ich jeder neuen und neuesten Lyrik, welche diesen Charakter nicht trägt, den Stab brechen wollte; ich erkenne sie nur nicht für voll an, ich spreche ihr nur das Herz und den Geist der Zeit ab, ohne dem Dichter Herz und Geist a priori persönlich abzusprechen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,265 | Viel Zutrauen habe ich freilich nicht zu dem poetiſchen Verdienſt eines neuen Gedichts, oder einer neuen Gedichtſammlung, von der man mir im Voraus ſagt, es ſeien nichts als poetiſche Buͤſche, Felſen, Seufzer, Ritter, Tournire, Feſtgeſaͤnge, Reiſen, Spaßiergaͤnge und dergleichen zenſurfreie und unſchuldige Saͤchelchen darin, die ganz und gar keinen Bezug auf die Stimmung der Zeit haͤtten — Gott ſei es geklagt, jede Leipziger Meſſe bringt uns einige Scheffel von dieſem Klingklang- und Singſangſachen deutſcher Muſenjuͤnglinge, die es nicht verantworten zu koͤnnen glauben, ihren Namen der Nachwelt vorzuenthalten. | Viel Zutrauen habe ich freilich nicht zu dem poetischen Verdienst eines neuen Gedichts, oder einer neuen Gedichtsammlung, von der man mir im Voraus sagt, es seien nichts als poetische Büsche, Felsen, Seufzer, Ritter, Turniere, Festgesänge, Reisen, Spaziergänge und dergleichen zensurfreie und unschuldige Sächelchen darin, die ganz und gar keinen Bezug auf die Stimmung der Zeit hätten — Gott sei es geklagt, jede Leipziger Messe bringt uns einige Scheffel von diesem Klingklang- und Singsangsachen deutscher Musenjünglinge, die es nicht verantworten zu können glauben, ihren Namen der Nachwelt vorzuenthalten. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,266 | Dagegen kenne ich auch liebliche Gedichte der ſuͤddeutſchen Saͤngerſchule, die Uhland als ihr Haupt anerkennt, die, ſo zeitlos und einfach ſie auch ſind, mich in Momenten eben ſo ſehr erfreuen, als z. B. auch die liebenswuͤrdige Perſoͤnlichkeit eines Suͤddeutſchen, der unter Bergen und Reben, in der Naͤhe von alten Kloſter- und Burgruinen aufgewachſen, mir heiter und unbefangen ſeine gluͤckliche Beſchraͤnktheit entgegentraͤgt. | Dagegen kenne ich auch liebliche Gedichte der süddeutschen Sängerschule, die Uhland als ihr Haupt anerkennt, die, so zeitlos und einfach sie auch sind, mich in Momenten ebenso sehr erfreuen, als z. B. auch die liebenswürdige Persönlichkeit eines Süddeutschen, der unter Bergen und Reben, in der Nähe von alten Kloster- und Burgruinen aufgewachsen, mir heiter und unbefangen seine glückliche Beschränktheit entgegenträgt. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,267 | So kann ich auch im Gegentheil Gedichte, die mit rein politiſcher Tendenz geſchrieben ſind, Zeitereigniſſe im Priſma der Poeſie betrachten und es darauf anlegen, durch die Darſtellung derſelben auf den politiſchen Sinn der Leſer zu wirken, welche mir dennoch unter dem Geſichtspunkt der Poeſie und der Lyrik, durchaus nicht wahr und bedeutend ſcheinen. | So kann ich auch im Gegenteil Gedichte, die mit rein politischer Tendenz geschrieben sind, Zeitereignisse im Prisma der Poesie betrachten und es darauf anlegen, durch die Darstellung derselben auf den politischen Sinn der Leser zu wirken, welche mir dennoch unter dem Gesichtspunkt der Poesie und der Lyrik, durchaus nicht wahr und bedeutend scheinen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,268 | Ich verſtehe unter dem Ausdruck: die moderne Lyrik iſt revolutionair das: jeder große Dichter, der in unſerer Zeit auftritt, wird und muß den Kampf und die Zerruͤttung ausſprechen, worin die Zeit, worin ſeine eigene Bruſt ſich findet. | Ich verstehe unter dem Ausdruck: Die moderne Lyrik ist revolutionär das: jeder große Dichter, der in unserer Zeit auftritt, wird und muss den Kampf und die Zerrüttung aussprechen, worin die Zeit, worin seine eigene Brust sich findet. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,269 | Der Dichter muͤßte blind ſein, oder kalt, oder gefuͤhllos, oder heuchleriſch, oder kein großer Dichter, der mit ſeiner Leier uͤber den ungeheueren Riß hinweghuͤpft, welcher die Gegenwart von der Vergangenheit trennt, er muͤßte nicht der Dolmetſcher der Natur und Menſchheit ſein, wenn er nicht das Ringen und den Schmerz dieſer Menſchheit verſtaͤnde, fuͤhlte und in den Wogen der Poeſie dahin brauſen ließe. | Der Dichter müsste blind sein, oder kalt, oder gefühllos, oder heuchlerisch, oder kein großer Dichter, der mit seiner Leier über den ungeheuren Riss hinweghüpft, welcher die Gegenwart von der Vergangenheit trennt, er müsste nicht der Dolmetscher der Natur und Menschheit sein, wenn er nicht das Ringen und den Schmerz dieser Menschheit verstände, fühlte und in den Wogen der Poesie dahinbrausen ließe. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,270 | Byron war ein großer Dichter und daher war ſeine Lyrik, die er nur leicht in ein epiſches Kleid einhuͤllte, durch und durch revolutionair, was um ſo großartiger und erſchuͤtternder bei ihm hervortritt, als er im Schooß des Gluͤcks geboren, Lord und kuͤnftiger Pair des Reichs, fruͤh bewundert und beneidet war. | Byron war ein großer Dichter und daher war seine Lyrik, die er nur leicht in ein episches Kleid einhüllte, durch und durch revolutionär, was um so großartiger und erschütternder bei ihm hervortritt, als er im Schoß des Glücks geboren, Lord und künftiger Pair des Reichs, früh bewundert und beneidet war. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,271 | Ich will kurz ſein mit ſeiner Geſchichte, um Goethe, der den Gang ſeines Lebens und Charakters geſchildert hat, fuͤr mich reden zu laſſen. | Ich will kurz sein mit seiner Geschichte, um Goethe, der den Gang seines Lebens und Charakters geschildert hat, für mich reden zu lassen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,272 | Es iſt wunderbar, wie daſſelbe Land, Griechenland, des alten Meiſters Leidenſchaft beſchwichtigte und ihn zu Kunſt und Alterthum fuͤhrte, was den Juͤnger erſt in dieſe Leidenſchaft hineinriß, oder vielmehr die Leidenſchaft, die in ihm ſchlummerte, ihn bewußt werden ließ. | Es ist wunderbar, wie dasselbe Land, Griechenland, des alten Meisters Leidenschaft beschwichtigte und ihn zu Kunst und Altertum führte, was den Jünger erst in diese Leidenschaft hineinriss, oder vielmehr die Leidenschaft, die in ihm schlummerte, ihn bewusst werden ließ. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,273 | Erſt als Byron kaum in den Zwanzigern die Kreidekuͤſte Englands verlaſſen und in den griechiſchen Buchten und Inſeln ſich umhertrieb, kam jener Geiſt der Poeſie uͤber ihn und ließ ihn in einer Zunge reden, die er fruͤher, unter den Lords und Damen der engliſchen Geſellſchaft kaum verſtanden hatte. | Erst als Byron kaum in den Zwanzigern die Kreideküste Englands verlassen und in den griechischen Buchten und Inseln sich umhertrieb, kam jener Geist der Poesie über ihn und ließ ihn in einer Zunge reden, die er früher, unter den Lords und Damen der englischen Gesellschaft kaum verstanden hatte. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,274 | Haß gegen Ariſtokratie, Tyrannei, Kaſtengeiſt, Unnatur der Sitte, Pfaffenthum, dagegen Liebe zur Freiheit, ungebundenes Streben, griechiſch-heitre Anſicht des Lebens und der Liebe, verbunden mit den Gefuͤhlen der Ehre und Sittlichkeit, ſelbſt mit dem Bewußtſein alten Adels und vormaligen feudalen Geſchlechtsglanzes bildeten die Grundelemente ſeiner Poeſie, worin Goethe mit tiefem Blick ein Kind des Griechenthums und des Mittelalters geſehen hat. | Hass gegen Aristokratie, Tyrannei, Kastengeist, Unnatur der Sitte, Pfaffentum, dagegen Liebe zur Freiheit, ungebundenes Streben, griechisch-heitere Ansicht des Lebens und der Liebe, verbunden mit den Gefühlen der Ehre und Sittlichkeit, selbst mit dem Bewusstsein alten Adels und vormaligen feudalen Geschlechtsglanzes bildeten die Grundelemente seiner Poesie, worin Goethe mit tiefem Blick ein Kind des Griechentums und des Mittelalters gesehen hat. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,275 | Byron war der einzige revolutionaire Dichter, den Goethe anerkannte, ja er liebte ihn und trug eine gewiſſe vaͤterliche Beſorgniß um ihn, die Byron von der Zeit an mit kindlicher Ehrfurcht erwiderte; wie dies intereſſante Verhaͤltniß aus Thom. | Byron war der einzige revolutionäre Dichter, den Goethe anerkannte, ja er liebte ihn und trug eine gewisse väterliche Besorgnis um ihn, die Byron von der Zeit an mit kindlicher Ehrfurcht erwiderte; wie dies interessante Verhältnis aus Thom. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,276 | Moore's Leben Byron's zu erſehen iſt. | Moores Leben Byrons zu ersehen ist. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,277 | Im zweiten Theil des Fauſt hat Goethe Byron ein Denkmal geſetzt, mir wenigſtens unterliegt es keinem Zweifel, daß Byron und nur Byron jenes unruhige, waghalſige, himmelſtuͤrmende Kind der Liebe iſt, welches die ſchoͤnſte Epiſode in dieſem zweiten Theile herbeiruft; wie ich mich denn nicht enthalten kann, Ihnen Folgendes daraus mitzutheilen, was dazu dient, ſowohl Goethe, als Byron zu charakteriſiren. | Im zweiten Teil des Faust hat Goethe Byron ein Denkmal gesetzt, mir wenigstens unterliegt es keinem Zweifel, dass Byron und nur Byron jenes unruhige, waghalsige, himmelstürmende Kind der Liebe ist, welches die schönste Episode in diesem zweiten Teile herbeiruft; wie ich mich denn nicht enthalten kann, Ihnen Folgendes daraus mitzuteilen, was dazu dient, sowohl Goethe, als Byron zu charakterisieren. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,278 | Wie wir als allgemeines Geſetz aufgeſtellt haben, daß die jedesmalige Literatur einer Zeitperiode den jedesmaligen geſellſchaftlichen Zuſtand derſelben ausdruͤcke und abpraͤge, ſo ſahen wir dies bisher im Felde der Dramatik und Lyrik, an Goethe und Byron in ſo fern beſtaͤtigt, als wir Beide zu den glaͤnzenden Herolden ihrer Zeit rechnen mußten, unbeſchadet ihres individuellen Charakters, der ſie von der großen Menge ihrer Zeitgenoſſen unterſchied. | Wie wir als allgemeines Gesetz aufgestellt haben, dass die jedesmalige Literatur einer Zeitperiode den jedesmaligen gesellschaftlichen Zustand derselben ausdrücke und abpräge, so sahen wir dies bisher im Felde der Dramatik und Lyrik, an Goethe und Byron insofern bestätigt, als wir Beide zu den glänzenden Herolden ihrer Zeit rechnen mussten, unbeschadet ihres individuellen Charakters, der sie von der großen Menge ihrer Zeitgenossen unterschied. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,279 | Und auf dieſe Weiſe haben wir uns uͤberall die Repraͤſentation einer Zeit durch Dichter und Schriftſteller vorzuſtellen, auf die Weiſe naͤmlich, daß ſie Zeichnung und Faͤrbung von ihrer Zeit entlehnen, dennoch aber in Gemaͤlden ſelbſtſtaͤndig und ſchoͤpferiſch zu Werke gehen und einen ihnen eigenthuͤmlichen Stil an den Tag legen. | Und auf diese Weise haben wir uns überall die Repräsentation einer Zeit durch Dichter und Schriftsteller vorzustellen, auf die Weise nämlich, dass sie Zeichnung und Färbung von ihrer Zeit entlehnen, dennoch aber in Gemälden selbständig und schöpferisch zu Werke gehen und einen ihnen eigentümlichen Stil an den Tag legen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,280 | So haben wir von Byron erwaͤhnt, daß ſeine Leier von den Schwingen der neuen Zeit angeregt geweſen, mehr wie die eines andern neuen Dichters; haben aber zugleich bemerkt, daß er in ſeinen Gedichten den Lord nicht vergeſſen und bei allem Feuer fuͤr die Rechte der Menſchheit und der unterdruͤckten Voͤlker, bei allem Enthuſiasmus fuͤr die Freiheit und reine Humanitaͤt des griechiſchen Alterthums ſich mit Stolz als den Enkel eines altengliſchen, feudalen Geſchlechts betrachtete und kund gab. | So haben wir von Byron erwähnt, dass seine Leier von den Schwingen der neuen Zeit angeregt gewesen, mehr wie die eines anderen neuen Dichters; haben aber zugleich bemerkt, dass er in seinen Gedichten den Lord nicht vergessen und bei allem Feuer für die Rechte der Menschheit und der unterdrückten Völker, bei allem Enthusiasmus für die Freiheit und reine Humanität des griechischen Altertums sich mit Stolz als den Enkel eines altenglischen, feudalen Geschlechts betrachtete und kundgab. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,281 | In dieſer Verſchmelzung des Griechiſchen und Mittelaltrigen ſah Goethe mit Recht den Grundton ſeiner Poeſie, wie ſie auch jenen beſondern, ja tiefen, charakteriſtiſchen Reiz der Byronſchen Gedichte bildet, der auf des Dichters Perſoͤnlichkeit ruͤckwirkend einen ſo intereſſanten Schimmer wirft. | In dieser Verschmelzung des Griechischen und Mittelaltrigen sah Goethe mit Recht den Grundton seiner Poesie, wie sie auch jenen besonderen, ja tiefen, charakteristischen Reiz der Byronschen Gedichte bildet, der auf des Dichters Persönlichkeit rückwirkend einen so interessanten Schimmer wirft. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,282 | Allein ſo wenig ſich in rein poetiſcher Beziehung Gedicht und Dichter trennen laſſen, ſo erlaubt iſt es, in allgemeiner aͤſthetiſcher den Grundton der Byronſchen Gedichte in einer hoͤhern Weltbedeutung wiederzufinden und dieſe Miſchung des Antiken und Feudalen als eine Miſchung und Vereinigung des griechiſchen und germaniſchen Geiſtes zu betrachten, welche tropfenweiſe in die Adern des europaͤiſchen Staatskoͤrpers eindringen und ſeine Muskeln mit friſchem Blut aufſchwellen wird. | Allein so wenig sich in rein poetischer Beziehung Gedicht und Dichter trennen lassen, so erlaubt ist es, in allgemeiner ästhetischer den Grundton der Byronschen Gedichte in einer höheren Weltbedeutung wiederzufinden und diese Mischung des Antiken und Feudalen als eine Mischung und Vereinigung des griechischen und germanischen Geistes zu betrachten, welche tropfenweise in die Adern des europäischen Staatskörpers eindringen und seine Muskeln mit frischem Blut aufschwellen wird. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,283 | Griechiſche Luft ſoll und wird die truͤben Duͤnſte, die grauſigen Geſpenſter des Feudalismus verwehen, aber unverweht laſſen jene herrlichen Bluͤthen germaniſcher Tapferkeit und Tugend, welche unſere Nation in der Heimath, wie in den durch ihr Schwert eroberten Laͤndern, in Frankreich, Spanien, England, vor allen Nationen des Erdbodens auszeichnet. | Griechische Luft soll und wird die trüben Dünste, die grausigen Gespenster des Feudalismus verwehen, aber unverweht lassen jene herrlichen Blüten germanischer Tapferkeit und Tugend, welche unsere Nation in der Heimat, wie in den durch ihr Schwert eroberten Ländern, in Frankreich, Spanien, England, vor allen Nationen des Erdbodens auszeichnet. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,284 | Kein Geſchlechtsadel, keine Adelskaſte mit angebornen und forterbenden Unrechten ſoll forthin den freien Boden und die Freiheit aller Maͤnner beſchimpfen, aber dieſe, das ganze Volk ſoll wahrhaft und ritterlich in die Schranke treten, und jeder Einzelne, welchem Stande er auch angehoͤre, ſoll ſeine Perſon mit der Wuͤrde ſchmuͤcken und umgeben, welche in fruͤherer Zeit nur das Erbtheil des Bevorrechtigten war. | Kein Geschlechtsadel, keine Adelskaste mit angeborenen und forterbenden Unrechten soll forthin den freien Boden und die Freiheit aller Männer beschimpfen, aber diese, das ganze Volk soll wahrhaft und ritterlich in die Schranke treten, und jeder Einzelne, welchem Stande er auch angehöre, soll seine Person mit der Würde schmücken und umgeben, welche in früherer Zeit nur das Erbteil des Bevorrechtigten war. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,285 | Man wird nicht, wie die Griechen, den Handwerker zum Sklavenſtande, nicht wie das Mittelalter, ihn zur dunkeln Folie des Ritters verdammen — es wird eine Zeit kommen, ſagt Goethe, wo Jedermann genoͤthigt und verpflichtet ſein wird, eine Kunſt, ein Gewerbe zu lernen und auszuuͤben und wo es alſo Niemand zur buͤrgerlichen Zuruͤckſtellung und geiſtigen Benachtheiligung gereicht, irgend ein Werk der Haͤnde zu verſtehen und ſeinem Nachbarn zum Beiſpiel einen Tiſch zu drechſeln, von dem er ſelbſt die metallenen Verzierungen gegoſſen oder den Ueberzug gewirkt erhaͤlt. | Man wird nicht, wie die Griechen, den Handwerker zum Sklavenstande, nicht wie das Mittelalter, ihn zur dunkeln Folie des Ritters verdammen — es wird eine Zeit kommen, sagt Goethe, wo jedermann genötigt und verpflichtet sein wird, eine Kunst, ein Gewerbe zu lernen und auszuüben und wo es also Niemand zur bürgerlichen Zurückstellung und geistigen Benachteiligung gereicht, irgendein Werk der Hände zu verstehen und seinem Nachbarn zum Beispiel einen Tisch zu drechseln, von dem er selbst die metallenen Verzierungen gegossen oder den Überzug gewirkt erhält. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,286 | Es wird eine Zeit kommen, wo man des faulen, geiſtigen Luxus, des ewigen Wiederkaͤuens ſchimmeligter theologiſcher und philoſophiſcher Streitpunkte ſatt und uͤberdruͤſſig ſein wird, wo ein Jeder, reich oder arm, groß oder klein ſich freuen und Gluͤck wuͤnſchen wird, durch kunſtreich geuͤbte Hand Unterhaltung in ein Leben zu wirken, das durch geiſtige Ueberladung vergangener Jahrtauſende erſchoͤpft und aufgerieben worden iſt. | Es wird eine Zeit kommen, wo man des faulen, geistigen Luxus, des ewigen Wiederkäuens schimmeliger theologischer und philosophischer Streitpunkte satt und überdrüssig sein wird, wo ein Jeder, reich oder arm, groß oder klein sich freuen und Glück wünschen wird, durch kunstreich geübte Hand Unterhaltung in ein Leben zu wirken, das durch geistige Überladung vergangener Jahrtausende erschöpft und aufgerieben worden ist. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,287 | Dieſe Ausſichten, die jetzt beinahe nur als Traͤume eines Traums erſcheinen, werden ſich verwirklichen durch jenen allmaͤhligen, ſtill fortwirkenden Akt der Weltgeſchichte, welcher die Uebertreibungen, Einſeitigkeiten, Vorurtheile fruͤherer Jahrhunderte pulveriſirt und aus der Aſche eine neue Blume entſtehen laͤßt, welche die Farbe der Geſundheit und Jugend traͤgt. | Diese Aussichten, die jetzt beinahe nur als Träume eines Traums erscheinen, werden sich verwirklichen durch jenen allmählichen, still fortwirkenden Akt der Weltgeschichte, welcher die Übertreibungen, Einseitigkeiten, Vorurteile früherer Jahrhunderte pulverisiert und aus der Asche eine neue Blume entstehen lässt, welche die Farbe der Gesundheit und Jugend trägt. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,288 | Byron, ſo groß er unter den Dichtern der neuern Zeit daſteht, war nur der Vorlaͤufer eines Genius, der ungetruͤbt durch Vorurtheile der Geburt und Erziehung, die heranbrechende Meſſiade der Menſchheit beſingen wird. | Byron, so groß er unter den Dichteren der neueren Zeit dasteht, war nur der Vorläufer eines Genius, der ungetrübt durch Vorurteile der Geburt und Erziehung, die heranbrechende Messiade der Menschheit besingen wird. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 1,289 | Ob in Verſen, oder in Proſa — das iſt gleichguͤltig. | Ob in Versen, oder in Prosa — das ist gleichgültig. |