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wienbarg_feldzuege_1834
290
Gewiß nicht.
Gewiss nicht.
wienbarg_feldzuege_1834
291
Dennoch hat man den Ruf der Natur uͤberhoͤrt und die kuͤnſtlichſten Syſteme, Erziehungsplaͤne und Lebensanſichten auf die Bahn gebracht.
Dennoch hat man den Ruf der Natur überhört und die künstlichsten Systeme, Erziehungspläne und Lebensansichten auf die Bahn gebracht.
wienbarg_feldzuege_1834
292
Leben wir, um zu lernen?
Leben wir, um zu lernen?
wienbarg_feldzuege_1834
293
Oder lernen wir vielmehr, um zu leben?
Oder lernen wir vielmehr, um zu leben?
wienbarg_feldzuege_1834
294
Daß man die Natur auf den Kopf ſtellen kann, um das erſtere zu behaupten!
Dass man die Natur auf den Kopf stellen kann, um das erstere zu behaupten!
wienbarg_feldzuege_1834
295
Hat es doch in Deutſchland ſogar den Anſchein, als ob die Menſchen der Buͤcher wegen geboren wuͤrden.
Hat es doch in Deutschland sogar den Anschein, als ob die Menschen der Bücher wegen geboren würden.
wienbarg_feldzuege_1834
296
Klaͤglicher Irrthum, moͤnchiſche Verdumpfung, trauriger Reſt aus den Kloſterzellen.
Kläglicher Irrtum, mönchische Verdumpfung, trauriger Rest aus den Klosterzellen.
wienbarg_feldzuege_1834
297
Leben, was iſt Leben?
Leben, was ist Leben?
wienbarg_feldzuege_1834
298
Kein Wort iſt ſchwerer, oder vielmehr weniger zu definiren.
Kein Wort ist schwerer, oder vielmehr weniger zu definieren.
wienbarg_feldzuege_1834
299
Leben iſt ein Hauch, ein wehender Athem, eine Seele, die Koͤrper baut, ein friſches, wonnigliches, thatkraͤftiges Prinzip, und wenn es Jemand nicht wuͤßte oder fuͤhlte, er erinnere ſich einer Stunde, wo ſein Herz voll aufging, wo ſeine Muſkeln ſich ſpannten, ſeine Augen glaͤnzten, und ein maͤnnlicher Entſchluß allen Hinderniſſen zum Trotz in ſeiner Seele aufſtieg; auch ſchlage er nur das Buch des Lebens auf, die Geſchichte, und frage nach den Griechen, nach den Roͤmern, den Roͤmern, die ſo viel Thatenfuͤlle auf einen kleinen Punkt der Welt, zwiſchen ſieben armſelige Huͤgel zuſammendraͤngten, daß ſie damit das ganze Erdenrund uͤberſchnellten.
Leben ist ein Hauch, ein wehender Atem, eine Seele, die Körper baut, ein frisches, wonnigliches, tatkräftiges Prinzip, und wenn es Jemand nicht wüsste oder fühlte, er erinnere sich einer Stunde, wo sein Herz voll aufging, wo seine Muskeln sich spannten, seine Augen glänzten, und ein männlicher Entschluss allen Hindernissen zum Trotz in seiner Seele aufstieg; auch schlage er nur das Buch des Lebens auf, die Geschichte, und frage nach den Griechen, nach den Römern, den Römern, die so viel Tatenfülle auf einen kleinen Punkt der Welt, zwischen sieben armselige Hügel zusammendrängten, dass sie damit das ganze Erdenrund überschnellten.
wienbarg_feldzuege_1834
300
Die haben gelebt, und darum ſind ſie auch unſterblich.
Die haben gelebt, und darum sind sie auch unsterblich.
wienbarg_feldzuege_1834
301
Aber großartiges und ruhmvolles Leben, obwohl am wuͤrdigſten fuͤr die Traͤume der Jugend, iſt oft nur Reſultat der Zeit und Umſtaͤnde, bei Einzelnen, wie bei ganzen Voͤlkern.
Aber großartiges und ruhmvolles Leben, obwohl am würdigsten für die Träume der Jugend, ist oft nur Resultat der Zeit und Umstände, bei Einzelnen, wie bei ganzen Völkern.
wienbarg_feldzuege_1834
302
Es gibt ein Leben, das dem Griffel der Geſchichte keine Nahrung gibt und dennoch aus der goͤttlichen Quelle entſprungen iſt, aus der alles Lebendige abſtammt.
Es gibt ein Leben, das dem Griffel der Geschichte keine Nahrung gibt und dennoch aus der göttlichen Quelle entsprungen ist, aus der alles Lebendige abstammt.
wienbarg_feldzuege_1834
303
Sie wiſſen aus Herodot, wie wenig dazu gehoͤrte, einem alten Perſer im Sinne ſeines Volkes eine ſolche Lebensbildung zu geben.
Sie wissen aus Herodot, wie wenig dazugehörte, einem alten Perser im Sinne seines Volkes eine solche Lebensbildung zu geben.
wienbarg_feldzuege_1834
304
Man gab ihm ein Pferd, Pfeil und Bogen, lehrte ihn die Wahrheit ſprechen und damit war er fertig.
Man gab ihm ein Pferd, Pfeil und Bogen, lehrte ihn die Wahrheit sprechen und damit war er fertig.
wienbarg_feldzuege_1834
305
Sollen wir mit chriſtlichem Mitleid auf des armen Menſchen Unwiſſenheit herabſehen?
Sollen wir mit christlichem Mitleid auf des armen Menschen Unwissenheit herabsehen?
wienbarg_feldzuege_1834
306
Ich denke, wir laſſen es bleiben.
Ich denke, wir lassen es bleiben.
wienbarg_feldzuege_1834
307
Ein Perſer auf ſeinem ſchnellen Roß, hinter Tigern durchs Gebirge ſtreifend, Pfeil und Bogen in den ſchlanken Haͤnden, Augen voll Feuer, trotziges Laͤcheln auf den von Luͤge unentweihten Lippen, das war ein Menſch, auf den die Sonne, die er anbetete, mit Luſt und Wohlgefallen herabſah — wir wuͤrden eine ſchlechte Rolle an ſeiner Seite ſpielen.
Ein Perser auf seinem schnellen Ross, hinter Tigern durchs Gebirge streifend, Pfeil und Bogen in den schlanken Händen, Augen voll Feuer, trotziges Lächeln auf den von Lüge unentweihten Lippen, das war ein Mensch, auf den die Sonne, die er anbetete, mit Lust und Wohlgefallen herabsah — wir würden eine schlechte Rolle an seiner Seite spielen.
wienbarg_feldzuege_1834
308
Das bloße Wiſſen, meine Herren, hat kein inneres Maß und Ziel, es geht ins Unendliche, ſein Stoff zerfließt in Zentillionentheilchen.
Das bloße Wissen, meine Herren, hat kein inneres Maß und Ziel, es geht ins Unendliche, sein Stoff zerfließt in Zentillionenteilchen.
wienbarg_feldzuege_1834
309
Wie manche Wiſſenſchaft, ja wie mancher Aſt einer fruͤheren, erfordert gegenwaͤrtig eines Menſchen volles Leben, taͤgliches und naͤchtliches Arbeiten und Lernen, um ſich des Stoffes nur einigermaßen zu bemaͤchtigen.
Wie manche Wissenschaft, ja wie mancher Ast einer früheren, erfordert gegenwärtig eines Menschen volles Leben, tägliches und nächtliches Arbeiten und Lernen, um sich des Stoffes nur einigermaßen zu bemächtigen.
wienbarg_feldzuege_1834
310
Nun ſtellen Sie ſich vor, wir haͤtten eine Welthiſtorie nach zweitauſend Jahren, die mit Begebenheiten ſo reich ausſtaffirt waͤre, als das letzte Jahrtauſend, oder imaginiren Sie ſich einen Profeſſor, der a dato nach zweitauſend Jahren im Kollegio Welthiſtorie vorzutragen haͤtte — bedenken Sie, daß nicht blos Europa, daß auch Aſien, Afrika, Amerika, die Inſeln der Suͤdſee eine Geſchichte haben werden, und wenn Sie auch der Anſicht leben, daß die Geſchichte ſich immer mehr vergeiſtigen und die inneren Umgeſtaltungen der Kuͤnſte, Erfindungen, des Lebens befaſſen werde, bedenken Sie, welche Fluth von Erfindungen, Veraͤnderungen, Evolutionen im Staatsleben, in der Kunſt, in der Wiſſenſchaft muͤſſen tauſend Millionen gebildeter Menſchen in tauſend und aber tauſend Jahren beſtaͤndiger Generationserneuerung hervorbringen und beurtheilen Sie darnach die Angſt und Verlegenheit beſagten Profeſſors der Geſchichte, wenn er das Alles in einen halbjaͤhrigen oder einjaͤhrigen oder dreijaͤhrigen akademiſchen Kurſus einzwaͤngen ſoll.
Nun stellen Sie sich vor, wir hätten eine Welthistorie nach zweitausend Jahren, die mit Begebenheiten so reich ausstaffiert wäre, als das letzte Jahrtausend, oder imaginieren Sie sich einen Professor, der a dato nach zweitausend Jahren im Kollegio Welthistorie vorzutragen hätte — bedenken Sie, dass nicht bloß Europa, dass auch Asien, Afrika, Amerika, die Inseln der Südsee eine Geschichte haben werden, und wenn Sie auch der Ansicht leben, dass die Geschichte sich immer mehr vergeistigen und die inneren Umgestaltungen der Künste, Erfindungen, des Lebens befassen werde, bedenken Sie, welche Flut von Erfindungen, Veränderungen, Evolutionen im Staatsleben, in der Kunst, in der Wissenschaft müssen tausend Millionen gebildeter Menschen in tausend und aber tausend Jahren beständiger Generationserneuerung hervorbringen und beurteilen Sie danach die Angst und Verlegenheit besagten Professors der Geschichte, wenn er das alles in einen halbjährigen oder einjährigen oder dreijährigen akademischen Kursus einzwängen soll.
wienbarg_feldzuege_1834
311
Wie will er es nur ſelbſt zu einem Stuͤckwerk von Gelehrſamkeit, zu einer oberflaͤchlichen Materialienkenntniß bringen in einem Fache, das ſo unendlich, unuͤberſehlich ſein wird, wie das Weltmeer, von ſo unzaͤhlbaren Einzelheiten.
Wie will er es nur selbst zu einem Stückwerk von Gelehrsamkeit, zu einer oberflächlichen Materialienkenntnis bringen in einem Fache, das so unendlich, unübersehbar sein wird, wie das Weltmeer, von so unzählbaren Einzelheiten.
wienbarg_feldzuege_1834
312
wie Tropfen darin.
wie Tropfen darin.
wienbarg_feldzuege_1834
313
Ins Unendliche theilen muͤßte man die gelehrte Arbeit, wie es in Fabriken geſchieht, wo der Eine den Knopf, der Andere den Schaft, der Dritte die Spitze der Nadel fabrizirt.
Ins Unendliche teilen müsste man die gelehrte Arbeit, wie es in Fabriken geschieht, wo der Eine den Knopf, der Andere den Schaft, der Dritte die Spitze der Nadel fabriziert.
wienbarg_feldzuege_1834
314
Der eine Profeſſor verſtaͤnde ſich auf das Jahr 2000, der Andere auf das Jahr 1999, oder der eine waͤre gelehrt in der Geſchichte aller großer Maͤnner, deren Name mit dem Buchſtaben A, der andere in der Geſchichte der beruͤhmten Leute, deren Name mit dem Buchſtaben Z anfaͤngt, und wie man ſich noch weiter ſcherzhafterweiſe den laͤcherlichen Wirrwarr entknaͤueln mag, der aus der ungeheuerlichen Menge und Zerfallenheit des Stoffes mehr und mehr entſpringen wird.
Der eine Professor verstände sich auf das Jahr 2000, der Andere auf das Jahr 1999, oder der eine wäre gelehrt in der Geschichte aller großer Männer, deren Name mit dem Buchstaben A, der andere in der Geschichte der berühmten Leute, deren Name mit dem Buchstaben Z anfängt, und wie man sich noch weiter scherzhafterweise den lächerlichen Wirrwarr entknäueln mag, der aus der ungeheuerlichen Menge und Zerfallenheit des Stoffes mehr und mehr entspringen wird.
wienbarg_feldzuege_1834
315
Alſo, Wiſſen als ſolches kann nicht Aufgabe und Zweck des Lebens ſein, weil daſſelbe maßlos mit dem Anwachſen des Stoffes ſich ſelbſt zerſtoͤrt und aufhebt.
Also, Wissen als solches kann nicht Aufgabe und Zweck des Lebens sein, weil dasselbe maßlos mit dem Anwachsen des Stoffes sich selbst zerstört und aufhebt.
wienbarg_feldzuege_1834
316
Dieſem maßloſen Wirken gegenuͤber ſteht ein Geiſt, deſſen Kraͤfte nur zu wohl gemeſſen und abgewogen ſind.
Diesem maßlosen Wirken gegenüber steht ein Geist, dessen Kräfte nur zu wohl gemessen und abgewogen sind.
wienbarg_feldzuege_1834
317
Die Vergroͤßerung der Wiſſensmaſſe macht das menſchliche Hirn nicht groͤßer, ſeine Kapazitaͤt bleibt dieſelbe wie vor Alters.
Die Vergrößerung der Wissensmasse macht das menschliche Hirn nicht größer, seine Kapazität bleibt dieselbe wie vor Alters.
wienbarg_feldzuege_1834
318
O wie dieſes gelehrte Unweſen ſeit Jahrhunderten die edelſten Kraͤfte Deutſchlands zur unfruchtbaren Tantalusarbeit verurtheile hat, wie wir Deutſche aus wandernden Helden Stubenſitzer, aus Kriegern und Jaͤgern lebensſieche, thatenſcheue Magiſter geworden ſind!
O wie dieses gelehrte Unwesen seit Jahrhunderten die edelsten Kräfte Deutschlands zur unfruchtbaren Tantalusarbeit verurteilt hat, wie wir Deutsche aus wandernden Helden Stubensitzer, aus Kriegern und Jägern lebenssieche, tatenscheue Magister geworden sind!
wienbarg_feldzuege_1834
319
Hatten die Griechen nicht auch Gelehrte, Wiſſende?
Hatten die Griechen nicht auch Gelehrte, Wissende?
wienbarg_feldzuege_1834
320
Ich meine.
Ich meine.
wienbarg_feldzuege_1834
321
Aber kein griechiſcher Gelehrter konnte ſich dermaßen verknoͤchern, weil Welt und Studium ſich die Hand boten und die Palaͤſtra neben der Stoa ſich befand.
Aber kein griechischer Gelehrter konnte sich dermaßen verknöchern, weil Welt und Studium sich die Hand boten und die Palästra neben der Stoa sich befand.
wienbarg_feldzuege_1834
322
Die Wiſſenſchaft der Griechen war die Frucht ihres Lebens, uns iſt ſie der traurige Reſt deſſelben.
Die Wissenschaft der Griechen war die Frucht ihres Lebens, uns ist sie der traurige Rest desselben.
wienbarg_feldzuege_1834
323
Als jenes griechiſche Leben verfiel, als jenes ſchoͤne Herz ſtockte und ſtillſtand, da ward es in der Kapſel nach Aegypten gebracht, zu Alexandrien einbalſamirt und die trockne Mumie nannte Eratoſthenes Philologie.
Als jenes griechische Leben verfiel, als jenes schöne Herz stockte und stillstand, da wurde es in der Kapsel nach Ägypten gebracht, zu Alexandria einbalsamiert und die trockene Mumie nannte Eratosthenes Philologie.
wienbarg_feldzuege_1834
324
Meine Herren, als das Leben todt war, hielt die Gelehrſamkeit Leichenſchau.
Meine Herren, als das Leben tot war, hielt die Gelehrsamkeit Leichenschau.
wienbarg_feldzuege_1834
325
Haͤtten wir nur das Eine von den alten Griechen gelernt, das Eine, wie wir den Organismus unſers Geiſtes, die Einheit unſers Lebens uͤber Alles, alles Uebrige aber danach zu ſchaͤtzen wuͤßten, ob es ſich unſerm Organismus lebendig veraſſimilirt.
Hätten wir nur das Eine von den alten Griechen gelernt, das Eine, wie wir den Organismus unseres Geistes, die Einheit unseres Lebens über alles, alles Übrige aber danach zu schätzen wüssten, ob es sich unserem Organismus lebendig verassimiliert.
wienbarg_feldzuege_1834
326
Eine kleine Welt nennt man den Menſchen und man hat Recht.
Eine kleine Welt nennt man den Menschen und man hat Recht.
wienbarg_feldzuege_1834
327
Mikrokosmus koͤnnte und ſollte der Menſch ſein, denn eingeſchloſſen ſind in ſeinem Weſen die Elemente und die Kraͤfte des Alls und er iſt im buchſtaͤblichen Sinn die ganze Schoͤpfung, im Auszug.
Mikrokosmos könnte und sollte der Mensch sein, denn eingeschlossen sind in seinem Wesen die Elemente und die Kräfte des Alls und er ist im buchstäblichen Sinn die ganze Schöpfung, im Auszug.
wienbarg_feldzuege_1834
328
Alles Geſchaffene iſt freilich Mikrokosmus, Stern, Thier und Blume, doch in truͤberer Geſtalt und bewußtlos.
Alles Geschaffene ist freilich Mikrokosmos, Stern, Tier und Blume, doch in trüberer Gestalt und bewusstlos.
wienbarg_feldzuege_1834
329
So iſt es und doch fuͤr uns iſt der Ausdruck und die Wahrheit nur beſchaͤmend, wir ahnen, was wir ſein ſollten und fuͤhlen, was wir nicht ſind.
So ist es und doch für uns ist der Ausdruck und die Wahrheit nur beschämend, wir ahnen, was wir sein sollten und fühlen, was wir nicht sind.
wienbarg_feldzuege_1834
330
Wir repraͤſentiren nicht unſere eigene Welt, wir tragen nur eine fremde zur Schau, unſere Gebildeten, unſere Dichter und Denker begnuͤgen ſich damit, die Welt in kalter Geſchliffenheit wieder abzuſpiegeln, unſere Gelehrten duͤnken ſich eine Welt zu ſein, wenn ſie ſich eine Welt von Gedanken, Sachen, Zahlen und Woͤrtern in den Kopf gelernt haben.
Wir repräsentieren nicht unsere eigene Welt, wir tragen nur eine fremde zur Schau, unsere Gebildeten, unsere Dichter und Denker begnügen sich damit, die Welt in kalter Geschliffenheit wieder abzuspiegeln, unsere Gelehrten dünken sich eine Welt zu sein, wenn sie sich eine Welt von Gedanken, Sachen, Zahlen und Wörtern in den Kopf gelernt haben.
wienbarg_feldzuege_1834
331
Daher, klein genug ſind wir, aber wo bleibt unſere Welt, die lebendig organiſche Ganzheit, die geſunde, vollbluͤhende Gegenwart?
Daher, klein genug sind wir, aber wo bleibt unsere Welt, die lebendig organische Ganzheit, die gesunde, vollblühende Gegenwart?
wienbarg_feldzuege_1834
332
Die kleinſte Alpenroſe beſchaͤmt uns.
Die kleinste Alpenrose beschämt uns.
wienbarg_feldzuege_1834
333
Sie hat ein pulſirendes Herz, Lebenseinheit, ſie gleicht einer Welt im Kleinen.
Sie hat ein pulsierendes Herz, Lebenseinheit, sie gleicht einer Welt im Kleinen.
wienbarg_feldzuege_1834
334
Was uns geiſtig zuſammenhaͤlt, iſt nicht innerer Hauch, nicht polariſche Attraktion, ſondern gemeine Kohaͤſion.
Was uns geistig zusammenhält, ist nicht innerer Hauch, nicht polarische Attraktion, sondern gemeine Kohäsion.
wienbarg_feldzuege_1834
335
Die Alpenroſe mit ihren klaren, klugen Augen iſt auf ihre Weiſe auch nicht ungelehrt, ſie iſt eine kleine Studentin, hoͤrt Kollegia uͤber Felserde, Wetterkunde, Thautropfen, Fruͤhlingsathem, aber ſie weiß Alles beſſer in succum et sanguinem zu vertiren, das iſt bei uns nur eine ſchulfuͤchſiſche Redensart, womit wir unſer oͤdes, lateiniſches Treiben ſelbſt verſpotten.
Die Alpenrose mit ihren klaren, klugen Augen ist auf ihre Weise auch nicht ungelehrt, sie ist eine kleine Studentin, hört Kollegia über Felserde, Wetterkunde, Tautropfen, Frühlingsatem, aber sie weiß alles besser in succum et sanguinem zu vertieren, das ist bei uns nur eine schulfüchsische Redensart, womit wir unser ödes, lateinisches Treiben selbst verspotten.
wienbarg_feldzuege_1834
336
Das Leben iſt des Lebens hoͤchſter Zweck und hoͤher kann es kein Menſch bringen, als den lebendigen Organiſmus darzuſtellen.
Das Leben ist des Lebens höchster Zweck und höher kann es kein Mensch bringen, als den lebendigen Organismus darzustellen.
wienbarg_feldzuege_1834
337
Kenntniſſe und Wiſſenſchaften ſind nicht fuͤr ſich, ſind nur fuͤr den Geiſt vorhanden, deſſen Trank und Speiſe ſie ſind.
Kenntnisse und Wissenschaften sind nicht für sich, sind nur für den Geist vorhanden, dessen Trank und Speise sie sind.
wienbarg_feldzuege_1834
338
Der Geiſt iſt kein Magazin, keine kalte, ſteinerne Ziſterne, die den Regen des Wiſſens auffaͤngt, um ſich damit bis an den Rand zu fuͤllen.
Der Geist ist kein Magazin, keine kalte, steinerne Zisterne, die den Regen des Wissens auffängt, um sich damit bis an den Rand zu füllen.
wienbarg_feldzuege_1834
339
Er gleicht einer Blume, die ihren Kelch den Thautropfen aufſchließt und aus den Bruͤſten der Natur Leben und Nahrung ſaugt.
Er gleicht einer Blume, die ihren Kelch den Tautropfen aufschließt und aus den Brüsten der Natur Leben und Nahrung saugt.
wienbarg_feldzuege_1834
340
Aufzubluͤhen, ins Leben hineinzubluͤhen, Farben auszuſtrahlen, Duͤfte auszuhauchen, das iſt die Beſtimmung der Menſchenblumen.
Aufzublühen, ins Leben hineinzublühen, Farben auszustrahlen, Düfte auszuhauchen, das ist die Bestimmung der Menschenblumen.
wienbarg_feldzuege_1834
341
Wir haben uns herausſtudirt aus dem Leben, wir muͤſſen uns wieder hineinleben.
Wir haben uns herausstudiert aus dem Leben, wir müssen uns wieder hineinleben.
wienbarg_feldzuege_1834
342
So gruͤndlich, wie wir ſtudiren, ſo gruͤndlich ſollen wir leben.
So gründlich, wie wir studieren, so gründlich sollen wir leben.
wienbarg_feldzuege_1834
343
Deutſchland war bisher nur die Univerſitaͤt von Europa, das Volk ein antiquariſches, ausgeſtrichen aus der Liſte der Lebendigen und geſchichtlich Fortſtrebenden.
Deutschland war bisher nur die Universität von Europa, das Volk ein antiquarisches, ausgestrichen aus der Liste der Lebendigen und geschichtlich Fortstrebenden.
wienbarg_feldzuege_1834
344
Tauſend Haͤnde ruͤhrten ſich, um der Vergangenheit Geſchichte zu ſchreiben, wenige Haͤnde, um der Zukunft eine Geſchichte zu hinterlaſſen.
Tausend Hände rührten sich, um der Vergangenheit Geschichte zu schreiben, wenige Hände, um der Zukunft eine Geschichte zu hinterlassen.
wienbarg_feldzuege_1834
345
Deutſchland hatte nur Bibliotheken, aber kein Pantheon.
Deutschland hatte nur Bibliotheken, aber kein Pantheon.
wienbarg_feldzuege_1834
346
Die Deutſchen waren nur Zuſchauer im Theater der Welt, aber hatten ſelbſt weder Buͤhne noch Spieler.
Die Deutschen waren nur Zuschauer im Theater der Welt, aber hatten selbst weder Bühne noch Spieler.
wienbarg_feldzuege_1834
347
Sie waͤren ſtolz auf ihre Unparteilichkeit, ihre vorurtheilsfreie Anerkennung und Wuͤrdigung aller Lebens- und Kraftaͤußerungen fremder Nationen, aber ſie ſelbſt wurden nicht wieder anerkannt, denn ſie hatten keinen poſitiven Lebensgehalt zur Ruͤckanerkennung fremden Voͤlkern zu bieten.
Sie wären stolz auf ihre Unparteilichkeit, ihre vorurteilsfreie Anerkennung und Würdigung aller Lebens- und Kraftäußerungen fremder Nationen, aber sie selbst wurden nicht wieder anerkannt, denn sie hatten keinen positiven Lebensgehalt zur Rückanerkennung fremden Völkern zu bieten.
wienbarg_feldzuege_1834
348
Nur die Kraft mag anerkennen und ſie erhoͤht ihren Werth, wenn ſie es nicht unterlaͤßt — die Schwaͤche muß.
Nur die Kraft mag anerkennen und sie erhöht ihren Wert, wenn sie es nicht unterlässt — die Schwäche muss.
wienbarg_feldzuege_1834
349
Der Kraͤftige fragt den Schwaͤchling nicht, ob er ihn und ſeine Kraft gelten laſſen will, dem Schwaͤchling bleibt keine Wahl, er muß, er ſieht ſich dazu gezwungen, aller Bettelſtolz hilft ihm zu nichts.
Der Kräftige fragt den Schwächling nicht, ob er ihn und seine Kraft gelten lassen will, dem Schwächling bleibt keine Wahl, er muss, er sieht sich dazu gezwungen, aller Bettelstolz hilft ihm zu nichts.
wienbarg_feldzuege_1834
350
Der kleinſte Funke einer ſchoͤpferiſchen Lebenskraft hat ſeinen Altar auf der Welt, ſeine Prieſter, Verehrer, aber ohne den iſt Alles nichts.
Der kleinste Funke einer schöpferischen Lebenskraft hat seinen Altar auf der Welt, seine Priester, Verehrer, aber ohne den ist alles nichts.
wienbarg_feldzuege_1834
351
Bloßes Wiſſen, ſage ich, kann nicht Zweck der Erziehung, nicht Aufgabe des Lebens ſein, und ich habe unter Wiſſen biſher nur den Ballaſt hiſtoriſcher Poſitivitaͤten verſtanden, womit Deutſchland zum Verſinken befrachtet iſt.
Bloßes Wissen, sage ich, kann nicht Zweck der Erziehung, nicht Aufgabe des Lebens sein, und ich habe unter Wissen bisher nur den Ballast historischer Positivitäten verstanden, womit Deutschland zum Versinken befrachtet ist.
wienbarg_feldzuege_1834
352
Es gibt aber ein dem hiſtoriſchen und dogmatiſchen Wiſſen entgegengeſetztes hoͤheres, ein Wiſſen nicht des Gedaͤchtniſſes, ſondern des Verſtandes, ein ſelbſtthaͤtiges, verſtehendes Wiſſen, das man mit dem Namen des philoſophiſchen bezeichnet.
Es gibt aber ein dem historischen und dogmatischen Wissen entgegengesetztes höheres, ein Wissen nicht des Gedächtnisses, sondern des Verstandes, ein selbsttätiges, verstehendes Wissen, das man mit dem Namen des philosophischen bezeichnet.
wienbarg_feldzuege_1834
353
Der tiefſten metaphyſiſchen Seite deſſelben iſt in voriger Stunde mit ſchuldiger Ehrerbietung Erwaͤhnung gethan, ſie fuͤhrt vom Leben ab, das liegt in ihrer Natur und die Thatſache leidet keinen Zweifel; denn ſie muß die Welt erſt zerſtoͤren, um ſie aufzubauen, ſie iſt der Tod der Sinne und der Sinnlichkeit, und ſchon Plato definirte ſie als ein langſames Abſterben fuͤr die bunten und wechſelnden Geſtalten und Erſcheinungen der Welt und ein Feſtwerden in den Ideen der Ewigkeit.
Der tiefsten metaphysischen Seite desselben ist in voriger Stunde mit schuldiger Ehrerbietung Erwähnung getan, sie führt vom Leben ab, das liegt in ihrer Natur und die Tatsache leidet keinen Zweifel; denn sie muss die Welt erst zerstören, um sie aufzubauen, sie ist der Tod der Sinne und der Sinnlichkeit, und schon Plato definierte sie als ein langsames Absterben für die bunten und wechselnden Gestalten und Erscheinungen der Welt und ein Festwerden in den Ideen der Ewigkeit.
wienbarg_feldzuege_1834
354
Auch haͤngt ſie in hoͤherem Grade, als eine blos dialektiſche, kritiſche und pſychologiſche Sekte der modernen Philoſophie zugeſtehen mochte, mit dem religioͤſen Myſtizismus eng zuſammen.
Auch hängt sie in höherem Grade, als eine bloß dialektische, kritische und psychologische Sekte der modernen Philosophie zugestehen mochte, mit dem religiösen Mystizismus eng zusammen.
wienbarg_feldzuege_1834
355
Neben und außer der Philoſophie, die ſich in der Geſellſchaft gleichſam iſolirt, herrſcht ein weites Reich des Gedankens, das ſich, gleich jener, uͤber den Zwang des Gegebenen, Hiſtoriſchen und Poſitiven erhebt, keinesweges aber mit ihr gleichſam an die aͤußerſten Grenzen der erſchaffenen Welt verliert, ſondern in der Mitte und Fuͤlle der lebendigen Schoͤpfung ſtehen bleibt und ſich an den organiſchen und gebildeten Naturen derſelben erfreut.
Neben und außer der Philosophie, die sich in der Gesellschaft gleichsam isoliert, herrscht ein weites Reich des Gedankens, das sich, gleich jener, über den Zwang des Gegebenen, Historischen und Positiven erhebt, keineswegs aber mit ihr gleichsam an die äußersten Grenzen der erschaffenen Welt verliert, sondern in der Mitte und Fülle der lebendigen Schöpfung stehen bleibt und sich an den organischen und gebildeten Naturen derselben erfreut.
wienbarg_feldzuege_1834
356
Auch hier iſt Zweck und Reſultat ein Wiſſen und zwar ebenfalls ein ſolches, das ſich ſowohl durch die Analogie der Erſcheinungen, als durch die Harmonie mit den Geſetzen unſeres Denkvermoͤgens bewaͤhrte, ein Wiſſen, zu dem am Ende auch die abſtrakte Philoſophie gelangen muß, wenn ſie, wie Herbart in Koͤnigsberg dies witzig und ſcharfſinnig ausgedruͤckt hat, wenn ſie Rechnungsproben zu ihren allgemeinen Saͤtzen ſucht.
Auch hier ist Zweck und Resultat ein Wissen und zwar ebenfalls ein solches, das sich sowohl durch die Analogie der Erscheinungen, als durch die Harmonie mit den Gesetzen unseres Denkvermögens bewährte, ein Wissen, zu dem am Ende auch die abstrakte Philosophie gelangen muss, wenn sie, wie Herbart in Königsberg dies witzig und scharfsinnig ausgedrückt hat, wenn sie Rechnungsproben zu ihren allgemeinen Sätzen sucht.
wienbarg_feldzuege_1834
357
Es hat dieſes Wiſſen bald die Natur, bald den Staat und die Geſellſchaft, bald die einzelnen Produktionen derſelben, die Werke der Kunſt, Beredtſamkeit und Poeſie im Auge.
Es hat dieses Wissen bald die Natur, bald den Staat und die Gesellschaft, bald die einzelnen Produktionen derselben, die Werke der Kunst, Beredsamkeit und Poesie im Auge.
wienbarg_feldzuege_1834
358
Es zerſtoͤrt nicht das Gegebene, es erhebt ſich nur uͤber daſſelbe, es laͤßt ſich in freie Betrachtungen ein, es unterſucht, urtheilt, pruͤft und vergeiſtigt ſich den Stoff, indem es ihn geiſtig bearbeitet und reproducirt.
Es zerstört nicht das Gegebene, es erhebt sich nur über dasselbe, es lässt sich in freie Betrachtungen ein, es untersucht, urteilt, prüft und vergeistigt sich den Stoff, indem es ihn geistig bearbeitet und reproduziert.
wienbarg_feldzuege_1834
359
Der Naturforſcher unterſucht den Organismus der Pflanzenwelt, die Metamorphoſen eines Gewaͤchſes, die Brechungen des Lichts, die Kryſtalliſationen des Fluͤſſigen und es iſt uͤberall ſein hoͤchſtes Bemuͤhen, den organiſchen Zuſammenhang und die Identitaͤt des Mannigfaltigen an einem Werke, einer Erſcheinung der Natur aufzufaſſen.
Der Naturforscher untersucht den Organismus der Pflanzenwelt, die Metamorphosen eines Gewächses, die Brechungen des Lichts, die Kristallisationen des Flüssigen und es ist überall sein höchstes Bemühen, den organischen Zusammenhang und die Identität des Mannigfaltigen an einem Werke, einer Erscheinung der Natur aufzufassen.
wienbarg_feldzuege_1834
360
So unterſucht und erforſcht der Politiker den Organismus des Staats, der Aeſthetiker den Organismus der Kunſt und die Geſetze und Bedingungen, unter denen ſich die Kunſtſchoͤnheit entfaltet.
So untersucht und erforscht der Politiker den Organismus des Staats, der Ästhetiker den Organismus der Kunst und die Gesetze und Bedingungen, unter denen sich die Kunstschönheit entfaltet.
wienbarg_feldzuege_1834
361
Zweck und Reſultat alles deſſen iſt und bleibt das Wiſſen, ſo ſehr es ſich auch durch Friſche und Individualitaͤt vom abſtrakten und gar vom geiſtloſen hiſtoriſchen Wiſſen unterſcheidet.
Zweck und Resultat alles dessen ist und bleibt das Wissen, so sehr es sich auch durch Frische und Individualität vom abstrakten und gar vom geistlosen historischen Wissen unterscheidet.
wienbarg_feldzuege_1834
362
Aber auch dieſes Wiſſen, das Kennzeichen der Bildung, das allgemeinſte Erforderniß, um auf den Namen eines denkenden und gebildeten Menſchen Anſpruch zu machen, habe man ſich nun mehr auf die eine oder auf die andere Seite deſſelben geworfen, iſt nicht und erſetzt nicht das Leben; wenn ſie auch in naturgemaͤßem Zuſtande denkbar waͤre, ohne Vorausſetzung des Letzteren.
Aber auch dieses Wissen, das Kennzeichen der Bildung, das allgemeinste Erfordernis, um auf den Namen eines denkenden und gebildeten Menschen Anspruch zu machen, habe man sich nunmehr auf die eine oder auf die andere Seite desselben geworfen, ist nicht und ersetzt nicht das Leben; wenn sie auch in naturgemäßem Zustande denkbar wäre, ohne Voraussetzung des Letzteren.
wienbarg_feldzuege_1834
363
Denn es iſt der Menſch nicht blos der Spiegel, der die Schoͤpfung reflektirt und geiſtig wieder auffaßt, er iſt ja ſelbſt eine Schoͤpfung und ihm angeboren iſt das Recht und die Kraft, ſelbſt etwas fuͤr ſich zu ſein und unter den Exiſtenzen der Welt ſeinen Platz einzunehmen.
Denn es ist der Mensch nicht bloß der Spiegel, der die Schöpfung reflektiert und geistig wieder auffasst, er ist ja selbst eine Schöpfung und ihm angeboren ist das Recht und die Kraft, selbst etwas für sich zu sein und unter den Existenzen der Welt seinen Platz einzunehmen.
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364
Er ſoll ſich dort behaupten durch ſelbſteigene ſchoͤpferiſche Thaͤtigkeit, er ſoll, da wo er geboren iſt, mit den Fuͤßen Wurzel faſſen in der Gegenwart und die Hand ruͤhren zu Werken, welche ſein fluͤchtiges Daſein beurkunden, er ſoll ſich freuen an menſchlicher That, ſich hingeben menſchlichem Genuſſe, das Spiel ſeiner Kraͤfte entfalten, fuͤr Recht und Wahrheit in die Schranken treten, die Unſchuld lieben, die Tugend ehren, die Luͤge haſſen, die Bosheit entlarven, den Frevel raͤchen, die Gefahr verachten, und wenn's noͤthig, ſein Leben fuͤr die hoͤchſten Guͤter, ſei's zur Erringung oder Behauptung derſelben, fuͤr Freiheit und Vaterland in die Schanze zu ſchlagen.
Er soll sich dort behaupten durch selbsteigene schöpferische Tätigkeit, er soll, da wo er geboren ist, mit den Füßen Wurzel fassen in der Gegenwart und die Hand rühren zu Werken, welche sein flüchtiges Dasein beurkunden, er soll sich freuen an menschlicher Tat, sich hingeben menschlichem Genusse, das Spiel seiner Kräfte entfalten, für Recht und Wahrheit in die Schranken treten, die Unschuld lieben, die Tugend ehren, die Lüge hassen, die Bosheit entlarven, den Frevel rächen, die Gefahr verachten, und wenn es nötig, sein Leben für die höchsten Güter, sei es zur Erringung oder Behauptung derselben, für Freiheit und Vaterland in die Schanze zu schlagen.
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365
Wir ſind nicht blos auf die Welt geſetzt, um uͤber die Welt zu raiſonniren, um Philoſophen, Naturforſcher, Aerzte und Politiker zu ſein.
Wir sind nicht bloß auf die Welt gesetzt, um über die Welt zu räsonieren, um Philosophen, Naturforscher, Ärzte und Politiker zu sein.
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366
Die Welt geht ihren Gang ohne uns, wir ſollten nur mehr unſern eigenen Gang gehen, die Sinne ſchaͤrfen, die Kraft ausbilden und Kraft gegen Kraft abreiben.
Die Welt geht ihren Gang ohne uns, wir sollten nur mehr unseren eigenen Gang gehen, die Sinne schärfen, die Kraft ausbilden und Kraft gegen Kraft abreiben.
wienbarg_feldzuege_1834
367
Um das Denken und die humane Bildung iſt es eine ſchoͤne Sache, aber fehlt ihr der Mittelpunkt, fehlt ihr das Herz, das Leben, der ungebrochene ſtarke Wille, ſo iſt das Denken nur ein Spiel und die Bildung ohne Gehalt.
Um das Denken und die humane Bildung ist es eine schöne Sache, aber fehlt ihr der Mittelpunkt, fehlt ihr das Herz, das Leben, der ungebrochene starke Wille, so ist das Denken nur ein Spiel und die Bildung ohne Gehalt.
wienbarg_feldzuege_1834
368
Denke dir den Blitz und fuͤhle ihn, ſagt ein Schwede, und das Wort iſt ſelbſt ein Blitz, das man denkend fuͤhlt.
Denke dir den Blitz und fühle ihn, sagt ein Schwede, und das Wort ist selbst ein Blitz, das man denkend fühlt.
wienbarg_feldzuege_1834
369
Das Leben iſt des Lebens hoͤchſter Zweck, kein Wiſſen und keine Wiſſenſchaft, keine Bildung erſetzt den Fond des Lebens, koͤnnte ſie auch ohne Vorausſetzung des Letzteren im naturgemaͤßen Zuſtande gedacht werden.
Das Leben ist des Lebens höchster Zweck, kein Wissen und keine Wissenschaft, keine Bildung ersetzt den Fond des Lebens, könnte sie auch ohne Voraussetzung des Letzteren im naturgemäßen Zustande gedacht werden.
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370
Allein, meine Herren, das kann keine Wiſſenſchaft.
Allein, meine Herren, das kann keine Wissenschaft.
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371
Nur im Element des Lebens bilden ſie ſich naturgemaͤß, außer dieſem ſind es kuͤnſtliche Gewaͤchſe, die mehr oder minder die Flecken und Gebrechen der Willkuͤr, der Unnatur, der Geſchmackloſigkeit an ſich tragen.
Nur im Element des Lebens bilden sie sich naturgemäß, außer diesem sind es künstliche Gewächse, die mehr oder minder die Flecken und Gebrechen der Willkür, der Unnatur, der Geschmacklosigkeit an sich tragen.
wienbarg_feldzuege_1834
372
Das Leben raͤcht ſich an ſeinen Veraͤchtern und ſeine Rache beſteht darin, daß es die großen, einfachen Wahrheiten, die ſonſt Jedermann einleuchten, mit einem Nebel von Vorurtheilen verhuͤllt und ſie dem Auge der Naturforſcher, der Philoſophen, der Politiker, der Aeſthetiker entzieht.
Das Leben rächt sich an seinen Verächtern und seine Rache besteht darin, dass es die großen, einfachen Wahrheiten, die sonst jedermann einleuchten, mit einem Nebel von Vorurteilen verhüllt und sie dem Auge der Naturforscher, der Philosophen, der Politiker, der Ästhetiker entzieht.
wienbarg_feldzuege_1834
373
Zum ſchlagenden Beweiſe fuͤhre ich die unnatuͤrliche Geſchmackloſigkeit an, die in den letztvergangenen zwei Jahrhunderten in allen Kreiſen der Kunſt und Wiſſenſchaft an der Tagesordnung war.
Zum schlagenden Beweise führe ich die unnatürliche Geschmacklosigkeit an, die in den letztvergangenen zwei Jahrhunderten in allen Kreisen der Kunst und Wissenschaft an der Tagesordnung war.
wienbarg_feldzuege_1834
374
Die Politik, dieſe hohe Wiſſenſchaft, die den vollkommenſten aller Organismen, den Staat, analyſiren ſoll, wie konnte ſie ſich zu der Hoͤhe dieſer Bedeutung aufſchwingen, da die europaͤiſchen Staaten ſo unendlich tief unter ihr ſtanden und ein franzoͤſiſcher Koͤnig mit edler Dreiſtigkeit zu behaupten ſich unterſtand: l'état c'est moi.
Die Politik, diese hohe Wissenschaft, die den vollkommensten aller Organismen, den Staat, analysieren soll, wie konnte sie sich zu der Höhe dieser Bedeutung aufschwingen, da die europäischen Staaten so unendlich tief unter ihr standen und ein französischer König mit edler Dreistigkeit zu behaupten sich unterstand: l'état c'est moi.
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375
Was konnte ſie anders ſein zu dieſer Zeit als ein trauriges Abbild dieſes hoͤfiſchen Ichs, das ſein gepudertes Haupt aus allen Fenſtern und Erkern des Staatsgebaͤudes herausſteckte, als eine Wiſſenſchaft des Despotismus, der Intrigue, der Geheimnißkraͤmerei, als eine Satyre auf den Staat?
Was konnte sie anders sein zu dieser Zeit als ein trauriges Abbild dieses höfischen Ich es, das sein gepudertes Haupt aus allen Fenstern und Erkern des Staatsgebäudes heraussteckte, als eine Wissenschaft des Despotismus, der Intrige, der Geheimniskrämerei, als eine Satire auf den Staat?
wienbarg_feldzuege_1834
376
Und die Aeſthetik, die Lehre des Geſchmacks, die Analyſe der Schoͤnheit, konnte ſie auch nur im Entfernteſten der Idee entſprechen, zu einer Zeit, wo die Natuͤrlichkeit der menſchlichen Lebensaͤußerungen untergegangen war im ſteifſten Zeremoniell, wo nichts ſich ruͤhrte und regte, als auf den Wink pedantiſcher Zuchtmeiſter, wo man ſchwarze Lappen auf geſchminkten Wangen Schoͤnpflaͤſterchen nannte, und die Damen ihre Huͤften mit ungeheuern Reifbaͤndern umgaben, wo das Volk ſich in die Pfuͤtze warf, wenn abgeſchmackte goldene Karoſſen mit betreßten und bezopften Hanswuͤrſten hinterm Kutſchenſchlag voruͤberraſſelten, wo im ausbrechenden Kriege die Generale und Kondottieris mit einander Schach ſpielten, moderne Helden, die durch Maitreſſen eben ſo oft ihre Stelle erhielten, als verloren und noch oͤfter die Feldzugsplaͤne aus dem Schlafgemach des Koͤnigs ins Lager mitnahmen.
Und die Ästhetik, die Lehre des Geschmacks, die Analyse der Schönheit, konnte sie auch nur im Entferntesten der Idee entsprechen, zu einer Zeit, wo die Natürlichkeit der menschlichen Lebensäußerungen untergegangen war im steifsten Zeremoniell, wo nichts sich rührte und regte, als auf den Wink pedantischer Zuchtmeister, wo man schwarze Lappen auf geschminkten Wangen Schönpflästerchen nannte, und die Damen ihre Hüften mit ungeheuren Reifbändern umgaben, wo das Volk sich in die Pfütze warf, wenn abgeschmackte goldene Karossen mit betressten und bezopften Hanswürsten hinterm Kutschenschlag vorüberrasselten, wo im ausbrechenden Kriege die Generale und Condottieri miteinander Schach spielten, moderne Helden, die durch Maitressen ebenso oft ihre Stelle erhielten, als verloren und noch öfter die Feldzugspläne aus dem Schlafgemach des Königs ins Lager mitnahmen.
wienbarg_feldzuege_1834
377
Wie war zu dieſer Zeit eine ſchoͤne Natur moͤglich in Frankreich, oder gar in Deutſchland, wo man ſich der plumpeſten Nachahmung des franzoͤſiſchen Unſinnes hingab.
Wie war zu dieser Zeit eine schöne Natur möglich in Frankreich, oder gar in Deutschland, wo man sich der plumpsten Nachahmung des französischen Unsinnes hingab.
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378
Wie war zu dieſer Zeit ein Kuͤnſtler, ein Dichter moͤglich und nun gar ein Aeſthetiker, der doch der Schoͤnheit, der Kunſt, der Poeſie, nicht geſetzgeberiſch vorauf, ſondern geſetzempfangend hintennach geht.
Wie war zu dieser Zeit ein Künstler, ein Dichter möglich und nun gar ein Ästhetiker, der doch der Schönheit, der Kunst, der Poesie, nicht gesetzgeberisch vorauf, sondern gesetzempfangend hintennach geht.
wienbarg_feldzuege_1834
379
Sie werden vom Abbé Batteux gehoͤrt haben.
Sie werden vom Abbé Batteux gehört haben.
wienbarg_feldzuege_1834
380
Sein unique principe des belles lettres war einmal ein europaͤiſch beruͤhmtes Werk der Aeſthetik und Rammler hat es in vier deutſche Baͤnde gebracht.
Sein unique principe des belles lettres war einmal ein europäisch berühmtes Werk der Ästhetik und Rammler hat es in vier deutsche Bände gebracht.
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381
Dieſer Abbé nannte die Nachahmung der Natur und zwar der ſchoͤnen Natur, das einzige große aͤſthetiſche Prinzip, das den Arbeiten des Geſchmackes zu Grunde gelegt werden muͤſſe.
Dieser Abbé nannte die Nachahmung der Natur und zwar der schönen Natur, das einzige große ästhetische Prinzip, das den Arbeiten des Geschmackes zugrunde gelegt werden müsse.
wienbarg_feldzuege_1834
382
Leſen Sie das Werk eines ſonſt geiſtreichen Mannes, das noch immer die Art von Verachtung nicht verdient ‚womit man gegenwaͤrtig davon ſpricht, was das eigentlich mit der ſchoͤnen Natur und ihrer Nachahmung auf ſich hatte ‚und in einer Epoche auf ſich haben konnte ‚als alle wirkliche Natur aus dem Leben geſchwunden war und Malerei, Bildhauerei, Muſik, Poeſie ‚Baukunſt ‚Gartenkunſt und was es ſonſt fuͤr Kuͤnſte gibt ‚die an einem gegebenen Stoff das Schoͤne verwirklichen wollen ‚unglaublich verſchroben und manierirt waren.
Lesen Sie das Werk eines sonst geistreichen Mannes, das noch immer die Art von Verachtung nicht verdient, womit man gegenwärtig davon spricht, was das eigentlich mit der schönen Natur und ihrer Nachahmung auf sich hatte ‚und in einer Epoche auf sich haben konnte, als alle wirkliche Natur aus dem Leben geschwunden war und Malerei, Bildhauerei, Musik, Poesie, Baukunst, Gartenkunst und was es sonst für Künste gibt, die an einem gegebenen Stoff das Schöne verwirklichen wollen, unglaublich verschroben und manieriert waren.
wienbarg_feldzuege_1834
383
Diderot und Rouſſeau hießen die beiden unſterblichen Maͤnner ‚die ſich aus der Unnatur ihres Jahrhunderts zuerſt herausriſſen.
Diderot und Rousseau hießen die beiden unsterblichen Männer, die sich aus der Unnatur ihres Jahrhunderts zuerst herausrissen.
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384
Rouſſeau’s Emil legte den Grund zu einer neuen Erziehung der europaͤiſchen Jugend, ſein contrat social den Grund zur franzoͤſiſchen Revolution ‚dem Todesſtoß der europaͤiſchen Tyrannis in Kunſt ‚Sitte und Staat.
Rousseaus Emil legte den Grund zu einer neuen Erziehung der europäischen Jugend, sein contrat sozial den Grund zur Französischen Revolution, dem Todesstoß der europäischen Tyrannis in Kunst, Sitte und Staat.
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385
Fuͤr die Deutſchen ging zu gleicher Zeit Shakſpeare auf und damit ein fluthendes Luſtmeer von Genien und Kraͤften ‚woran die unerſaͤttlichſte Phantaſie ewigen Stoff zur Schwelgerei findet.
Für die Deutschen ging zu gleicher Zeit Shakespeare auf und damit ein flutendes Luftmeer von Genien und Kräften, woran die unersättlichste Phantasie ewigen Stoff zur Schwelgerei findet.
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386
Lange Zeit nahm man den Genuß nur ſo hin, ohne uͤber die Quelle deſſelben nachzudenken; ſo wie man ſich auch die franzoͤſiſche Revolution mit der Phantaſie aneignete, ohne etwas Arges dabei zu denken und ohne aus der Schlaͤfrigkeit des buͤrgerlichen Lebens zu erwachen.
Lange Zeit nahm man den Genuss nur so hin, ohne über die Quelle desselben nachzudenken; so wie man sich auch die Französische Revolution mit der Phantasie aneignete, ohne etwas Arges dabei zu denken und ohne aus der Schläfrigkeit des bürgerlichen Lebens zu erwachen.
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387
Dann aber kam eine Zeit und ſie dauert fort, wo man ſich fragt, woher ſtammt dieſe Fuͤlle von Leben und Kraft, die uns an Shakſpeare entzuͤckt und ſeine dichteriſchen Gebilde ſo lebensderb, ſo kuͤhn, ſo unuͤbertrefflich macht?
Dann aber kam eine Zeit und sie dauert fort, wo man sich fragt, woher stammt diese Fülle von Leben und Kraft, die uns an Shakespeare entzückt und seine dichterischen Gebilde so lebensderb, so kühn, so unübertrefflich macht?
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388
Und da lautete die Antwort: das hat er ſich nicht auf ſeinem Stuͤbchen zuſammengedichtet, das hat er nicht aus dem Stegreif phantaſirt, das hat er gelernt und herausgeſchaut aus dem wildbewegten, großartigen Leben, das ſeine Jugendtraͤume umflatterte und ihn ſpaͤter als Juͤngling und Mann in ſeine Mitte aufnahm.
Und da lautete die Antwort: Das hat er sich nicht auf seinem Stübchen zusammengedichtet, das hat er nicht aus dem Stegreif phantasiert, das hat er gelernt und herausgeschaut aus dem wildbewegten, großartigen Leben, das seine Jugendträume umflatterte und ihn später als Jüngling und Mann in seine Mitte aufnahm.
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Und ſo kommt uns von allen Seiten die Beſtaͤtigung zu, daß das Leben das Hoͤchſte iſt und allem Uebrigen, wenn es gedeihen ſoll, zu Grunde liegen muß, geſchweige der Kunſt, der Schoͤnheit, und der ſich mit ihr beſchaͤftigenden Aeſthetik.
Und so kommt uns von allen Seiten die Bestätigung zu, dass das Leben das Höchste ist und allem Übrigen, wenn es gedeihen soll, zugrunde liegen muss, geschweige der Kunst, der Schönheit, und der sich mit ihr beschäftigenden Ästhetik.