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wienbarg_feldzuege_1834 | 390 | Und ſo ſchließe ich dieſe Vorleſung mit den Schlußworten der vorigen: | Und so schließe ich diese Vorlesung mit den Schlussworten der vorigen: |
wienbarg_feldzuege_1834 | 391 | Es fehlt uns an einem gemeinſamen Mittel der Bildung, weil es uns an gemeinſamem Leben fehlt. | Es fehlt uns an einem gemeinsamen Mittel der Bildung, weil es uns an gemeinsamem Leben fehlt. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 392 | Doch ſchon dieſe Einſicht, die ſich immer mehr verbreitet, iſt ein Schritt zur Beſſerung, und dieſelbe zur hoͤchſten Evidenz und Klarheit gebracht, die ein Jeder ihr zu geben im Stande iſt, ſteht ſchon damit in der Vorhalle derjenigen Wiſſenſchaft, welche unter Vorausſetzung eines rechten und tuͤchtigen Lebens, die Schoͤnheit der Bildungen in Leben und Kunſt aufweiſet und erlaͤutert, der Aeſthetik. | Doch schon diese Einsicht, die sich immer mehr verbreitet, ist ein Schritt zur Besserung, und dieselbe zur höchsten Evidenz und Klarheit gebracht, die ein Jeder ihr zu geben imstande ist, steht schon damit in der Vorhalle derjenigen Wissenschaft, welche unter Voraussetzung eines rechten und tüchtigen Lebens, die Schönheit der Bildungen in Leben und Kunst aufweist und erläutert, der Ästhetik. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 393 | Nach der gegebenen Einleitung, meine Herren, wird es Ihnen klar geworden ſein, daß wir der Aeſthetik ſowohl einen weitern Umfang, als eine tiefere Bedeutung einzuraͤumen haben, als dies in den gewoͤhnlichen Aeſthetiken zu geſchehen pflegt. | Nach der gegebenen Einleitung, meine Herren, wird es Ihnen klar geworden sein, dass wir der Ästhetik sowohl einen weitern Umfang, als eine tiefere Bedeutung einzuräumen haben, als dies in den gewöhnlichen Ästhetiken zu geschehen pflegt. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 394 | Es gibt Wiſſenſchaften, deren Zeitraum und Peripherie ſeit Alters ſo ziemlich gleichmaͤßig beſtimmt geweſen; wie z. B. die Mathematik, die Logik. | Es gibt Wissenschaften, deren Zeitraum und Peripherie seit Alters so ziemlich gleichmäßig bestimmt gewesen; wie z. B. die Mathematik, die Logik. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 395 | Dieſe ſtehen gleichſam uͤber der Geſchichte; indem ſie ſich zu allen Zeiten weſentlich gleich ſehen und in Anlage und Ausfuͤhrung, wenn auch nicht unveraͤnderlich, dennoch nur ſolcher Veraͤnderungen faͤhig ſind, welche als bloße Erweiterungen von innen heraus treten. | Diese stehen gleichsam über der Geschichte; indem sie sich zu allen Zeiten wesentlich gleich sehen und in Anlage und Ausführung, wenn auch nicht unveränderlich, dennoch nur solcher Veränderungen fähig sind, welche als bloße Erweiterungen von innen heraus treten. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 396 | Sie gedeihen in allen Zeitlaͤuften und auch, wenn die Zeit ſtille ſteht, das heißt, wenn das geſchichtliche Leben der Voͤlker todt und abgeſtorben iſt; daher denn auch Logik und Mathematik am Allerwenigſten den menſchlichen Geiſt in ſeiner Bewegung abſpiegeln, und wie dies die Erfahrung lehrt, das eifrige Studium derſelben keinen Schluß auf die Bluͤthe anderer Studien zu ziehen erlaubt. | Sie gedeihen in allen Zeitläuften und auch, wenn die Zeit stille steht, das heißt, wenn das geschichtliche Leben der Völker tot und abgestorben ist; daher denn auch Logik und Mathematik am allerwenigsten den menschlichen Geist in seiner Bewegung abspiegeln, und wie dies die Erfahrung lehrt, das eifrige Studium derselben keinen Schluss auf die Blüte anderer Studien zu ziehen erlaubt. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 397 | Es erſcheint in ihnen das Geiſtige nur in den allgemeinſten Formen, Denk- und Anſchauungsgeſetzen, aber man vermißt Herz und Leben und hat es nur mit einem Skelett zu thun. | Es erscheint in ihnen das Geistige nur in den allgemeinsten Formen, Denk- und Anschauungsgesetzen, aber man vermisst Herz und Leben und hat es nur mit einem Skelett zu tun. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 398 | Mit vollem Recht kann man behaupten, daß der Logiker, Mathematiker weder Blut noch Gewiſſen, weder Geiſt noch Herz zu beſitzen braucht, daß ihm Alles fremd bleiben kann, was des Menſchen Buſen erfuͤllt und begeiſtert, was ihn zum Menſchen macht, daß ein Logiker und Mathematiker eben ſo gut auf dem Jupiter oder Uranus ſeine Heimath finde, daß es nur gleichſam reine Zufaͤlligkeit iſt, wenn er ſeine Operationen und Berechnungen auf der Erde innerhalb der gewoͤlbten Waͤnde eines menſchlichen Gehirns anſtellt. | Mit vollem Recht kann man behaupten, dass der Logiker, Mathematiker weder Blut noch Gewissen, weder Geist noch Herz zu besitzen braucht, dass ihm alles fremd bleiben kann, was des Menschen Busen erfüllt und begeistert, was ihn zum Menschen macht, dass ein Logiker und Mathematiker ebenso gut auf dem Jupiter oder Uranus seine Heimat finde, dass es nur gleichsam reine Zufälligkeit ist, wenn er seine Operationen und Berechnungen auf der Erde innerhalb der gewölbten Wände eines menschlichen Gehirns anstellt. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 399 | Dieſe Wiſſenſchaften geben uns keine Ahnung von der Fuͤlle der Menſchheit, es iſt ihr Charakter, ihre Aufgabe von allem denkbaren Inhalt zu abſtrahiren. | Diese Wissenschaften geben uns keine Ahnung von der Fülle der Menschheit, es ist ihr Charakter, ihre Aufgabe von allem denkbaren Inhalt zu abstrahieren. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 400 | Glauben Sie nicht, daß dies zur Verachtung derſelben geſagt werden ſoll, ich verehre insbeſondere die Mathematik und erkenne nur zu wohl ihren ungeheueren jetzigen und kuͤnftigen Einfluß auf die materielle Fortbildung der Geſellſchaft. | Glauben Sie nicht, dass dies zur Verachtung derselben gesagt werden soll, ich verehre insbesondere die Mathematik und erkenne nur zu wohl ihren ungeheuren jetzigen und künftigen Einfluss auf die materielle Fortbildung der Gesellschaft. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 401 | Allein es war auch nur meine Abſicht, dieſe Wiſſenſchaft in ihrer theoretiſchen Abſtraktheit aufzuſtellen und ſie zum Gegenſatz auf jene andern Zweige des Wiſſens zu leiten, welche von vorn herein ſich mit irdiſchem Heimathsgefuͤhl zum Menſchen geſellen und an den hoͤheren geiſtigen Evolutionen des Geſchlechts innigen Antheil nehmen. | Allein es war auch nur meine Absicht, diese Wissenschaft in ihrer theoretischen Abstraktheit aufzustellen und sie zum Gegensatz auf jene anderen Zweige des Wissens zu leiten, welche von vornherein sich mit irdischem Heimatsgefühl zum Menschen gesellen und an den höheren geistigen Evolutionen des Geschlechts innigen Anteil nehmen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 402 | Dahin zaͤhle ich die Studien der Natur und Kunſt, die gleichſam Hand in Hand mit ihren Zeitaltern fortgehen, ihre Geſchichte theilen. | Dahin zähle ich die Studien der Natur und Kunst, die gleichsam Hand in Hand mit ihren Zeitaltern fortgehen, ihre Geschichte teilen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 403 | Dieſelbe geſchichtliche Natur hat die Aeſthetik. | Dieselbe geschichtliche Natur hat die Ästhetik. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 404 | Sie beruht auf dem Leben, iſt mehr oder minder lebendig, tief oder oberflaͤchlich, welk oder bluͤhend, je nachdem das Herz, das in einem Zeitalter pulſirte, das Eine oder das Andere war. | Sie beruht auf dem Leben, ist mehr oder minder lebendig, tief oder oberflächlich, welk oder blühend, je nachdem das Herz, das in einem Zeitalter pulsierte, das Eine oder das Andere war. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 405 | Man ſieht ſie von Zeit zu Zeit bei Plato, Plotin, Hemſterhuis, Solger in veraͤndertem Gewande hervortreten, in ſchoͤner Form, in Unform, als tiefſinnigſte Lebensphiloſophie, als Tagsgeſchwaͤtz, bald unter dieſem, bald unter jenem Namen. | Man sieht sie von Zeit zu Zeit bei Plato, Plotin, Hemsterhuis, Solger in verändertem Gewande hervortreten, in schöner Form, in Unform, als tiefsinnigste Lebensphilosophie, als Tagesgeschwätz, bald unter diesem, bald unter jenem Namen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 406 | Laſſen Sie ſich nicht irre machen uͤber ihre Natur und Exiſtenz! | Lassen Sie sich nicht irremachen über ihre Natur und Existenz! |
wienbarg_feldzuege_1834 | 407 | Jeder ausuͤbende Kuͤnſtler, jeder handelnde und fuͤhlende Menſch traͤgt ſeine Aeſthetik in ſich, bewußt oder unbewußt faͤllen wir taͤglich Hunderte von aͤſthetiſchen Urtheilen, aus denen grade das Eigenthuͤmlichſte unſerer Geſinnungsund Denkweiſe unmittelbar hervorbricht. | Jeder ausübende Künstler, jeder handelnde und fühlende Mensch trägt seine Ästhetik in sich, bewusst oder unbewusst fällen wir täglich Hunderte von ästhetischen Urteilen, aus denen gerade das Eigentümlichste unserer Gesinnungsdenkweise unmittelbar hervorbricht. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 408 | Folgen Sie mir, meine Herren, in das Gebiet der Geſchichte. | Folgen Sie mir, meine Herren, in das Gebiet der Geschichte. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 409 | Es muͤßte Schuld meiner Darſtellung ſein, oder es wird aus den wenigen großen welthiſtoriſchen Zuͤgen, welche ich anzufuͤhren gedenke, in Ihrer Seele der Begriff der Aeſthetik in hoͤchſter Potenz ſich als der Begriff deſſen lebendig machen und erweitern, was man in neuerer Zeit ſo paſſend Weltanſchauung genannt hat, eine Bezeichnung, die ebenfalls nur der deutſchen Sprache, oder vielmehr dem deutſchen Gedanken eigenthuͤmlich iſt. | Es müsste Schuld meiner Darstellung sein, oder es wird aus den wenigen großen welthistorischen Zügen, welche ich anzuführen gedenke, in Ihrer Seele der Begriff der Ästhetik in höchster Potenz sich als der Begriff dessen lebendig machen und erweitern, was man in neuerer Zeit so passend Weltanschauung genannt hat, eine Bezeichnung, die ebenfalls nur der deutschen Sprache, oder vielmehr dem deutschen Gedanken eigentümlich ist. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 410 | Erkennen und Handeln ſind die beiden Pole unſeres Geiſtes. | Erkennen und Handeln sind die beiden Pole unseres Geistes. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 411 | Das aͤſthetiſche Element tritt zwiſchen beide in die Mitte, es iſt ein Denken und zugleich ein Fuͤhlen, das in jedem Moment beim Kuͤnſtler ins Handeln umſchlaͤgt. | Das ästhetische Element tritt zwischen beide in die Mitte, es ist ein Denken und zugleich ein Fühlen, das in jedem Moment beim Künstler ins Handeln umschlägt. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 412 | Alle aͤſthetiſchen Urtheile ſind von dieſem Gefuͤhl begleitet, ſie ſind nichts ohne daſſelbe, das bald anziehend bald abſtoßend, bald beifaͤllig, bald mißfaͤllig das Gemuͤth in elektriſchen Stroͤmungen lebendig erhaͤlt. | Alle ästhetischen Urteile sind von diesem Gefühl begleitet, sie sind nichts ohne dasselbe, das bald anziehend bald abstoßend, bald beifällig, bald missfällig das Gemüt in elektrischen Strömungen lebendig erhält. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 413 | Was uns nur als ſchoͤn oder haͤßlich, als gut oder boͤſe anmuthet oder widerſteht, iſt aͤſthetiſcher Natur, hat ſeine Wurzel im ſinnlich-geiſtigen Urgrund unſeres Weſens, und erkennt in dieſer Unmittelbarkeit keinen hoͤheren Richter uͤber ſich. | Was uns nur als schön oder hässlich, als gut oder böse anmutet oder widersteht, ist ästhetischer Natur, hat seine Wurzel im sinnlich-geistigen Urgrund unseres Wesens, und erkennt in dieser Unmittelbarkeit keinen höheren Richter über sich. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 414 | Nach Verſchiedenheit der Individualitaͤten ſind die aͤſthetiſchen Gefuͤhle und Urtheile ſo verſchieden, wie die menſchlichen Grundnaturen; alle vereinigen ſich wieder in gewiſſen Grundgefuͤhlen, Anſichten und Urtheilen, welche den beſondern Charakter eines Volks, einer geſchichtlichen Epoche ausmachen. | Nach Verschiedenheit der Individualitäten sind die ästhetischen Gefühle und Urteile so verschieden, wie die menschlichen Grundnaturen; alle vereinigen sich wieder in gewissen Grundgefühlen, Ansichten und Urteilen, welche den besonderen Charakter eines Volks, einer geschichtlichen Epoche ausmachen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 415 | Schlagen wir zunaͤchſt unſere Blicke auf jene uralte indiſche Welt, von deren Groͤße uns nur ein armſeliger Schatten uͤbrig geblieben; betrachten wir jene traͤumeriſchen Menſchen, welche die Ufer des Ganges bevoͤlkerten und gleich menſchlichen Sinnpflanzen unter Lotos und Bananen bluͤhten. | Schlagen wir zunächst unsere Blicke auf jene uralte indische Welt, von deren Größe uns nur ein armseliger Schatten übrig geblieben; betrachten wir jene träumerischen Menschen, welche die Ufer des Ganges bevölkerten und gleich menschlichen Sinnpflanzen unter Lotos und Bananen blühten. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 416 | Große Werke der Religion, Philoſophie, Poeſie und Kunſt haben ſie uns hinterlaſſen, zu deren Verſtaͤndniß erſt die neueren Zeiten den Schluͤſſel geliefert. | Große Werke der Religion, Philosophie, Poesie und Kunst haben sie uns hinterlassen, zu deren Verständnis erst die neueren Zeiten den Schlüssel geliefert. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 417 | Dennoch koͤnnen wir uͤber das Verſtaͤndniß nicht ſo recht zum Genuß derſelben durchdringen — die aͤſthetiſche Grundanſchauung der Inder iſt zu verſchieden von der unſrigen. | Dennoch können wir über das Verständnis nicht so recht zum Genuss derselben durchdringen — die ästhetische Grundanschauung der Inder ist zu verschieden von der unsrigen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 418 | Legen wir den Maßſtab unſerer Moral und Aeſthetik an die Moral und Aeſthetik der Inder, ſo offenbart ſich das entſchiedenſte Mißverhaͤltniß, obgleich wir bekennen muͤſſen, es ſpreche ſich wirkliche Natur und wirklicher menſchlicher Zuſtand nicht weniger im Indiſchen, als im Europaͤiſchen aus. | Legen wir den Maßstab unserer Moral und Ästhetik an die Moral und Ästhetik der Inder, so offenbart sich das entschiedenste Missverhältnis, obgleich wir bekennen müssen, es spreche sich wirkliche Natur und wirklicher menschlicher Zustand nicht weniger im Indischen, als im Europäischen aus. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 419 | Bedenken wir uns nun jenes aͤſthetiſche Grundprinzip, das der indiſchen Weltanſchauung zu Grunde liegt und das Kriſchnas in der Bagavadgita (Unterredung des Kriſchnas) mit den Worten ausſpricht: nie iſt der Werth einer Handlung in die Frucht geſetzt, ſo fuͤhlen wir ſchon gleich alle Konſequenzen, welche aus dieſem Grundſatz fuͤr Leben und Kunſt ohnedies herausfließen muͤßten. | Bedenken wir uns nun jenes ästhetische Grundprinzip, das der indischen Weltanschauung zugrunde liegt und das Krischnas in der Bhagavad Gita (Unterredung des Krischnas) mit den Worten ausspricht: nie ist der Wert einer Handlung in die Frucht gesetzt, so fühlen wir schon gleich alle Konsequenzen, welche aus diesem Grundsatz für Leben und Kunst ohnedies herausfließen müssten. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 420 | Nie iſt der Werth des Handelns in die Frucht geſetzt: das heißt: nicht die That iſt etwas, nicht der Erfolg, nur der Gedanke, die Abſicht. | Nie ist der Wert des Handelns in die Frucht gesetzt: Das heißt: nicht die Tat ist etwas, nicht der Erfolg, nur der Gedanke, die Absicht. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 421 | Wilhelm Humbold, der uͤber die Bagavadgita ſich in einer eigenen Schrift verbreitet hat, nennt eine ſolche Stimmung eine unlaͤugbar philoſophiſche, eine an das Erhabene grenzende. | Wilhelm Humboldt, der über die Bhagavad Gita sich in einer eigenen Schrift verbreitet hat, nennt eine solche Stimmung eine unleugbar philosophische, eine an das Erhabene grenzende. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 422 | Das Erſtere wird man ihm leicht zugeſtehen, da die Philoſophie als ſolche, oder die Metaphyſik, ſich nicht allein aus dem Kreiſe menſchlicher Handlungen, ſondern aus allem Stoffartigen der Natur und Menſchheit zuruͤckzieht und, wie ſchon bemerkt, mit der entkoͤrpernden Myſtik in nahen Verhaͤltniſſen ſteht. | Das Erstere wird man ihm leicht zugestehen, da die Philosophie als solche, oder die Metaphysik, sich nicht allein aus dem Kreise menschlicher Handlungen, sondern aus allem Stoffartigen der Natur und Menschheit zurückzieht und, wie schon bemerkt, mit der entkörpernden Mystik in nahen Verhältnissen steht. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 423 | Auch die Bezeichnung des Erhabenen oder deſſen, was an das Erhabene grenzt, mag man unangetaſtet laſſen, da das Erhabene auch in unſern Augen dann hervortritt, wenn ein Menſch, ohne Ausſicht auf Erfolg, ſich fuͤr eine große Sache aufopfert, und nur die Heiligkeit und Schoͤnheit des Gedankens, der ihn begeiſtert, vor Augen hat. | Auch die Bezeichnung des Erhabenen oder dessen, was an das Erhabene grenzt, mag man unangetastet lassen, da das Erhabene auch in unseren Augen dann hervortritt, wenn ein Mensch, ohne Aussicht auf Erfolg, sich für eine große Sache aufopfert, und nur die Heiligkeit und Schönheit des Gedankens, der ihn begeistert, vor Augen hat. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 424 | Allein ſchon hierin muͤſſen wir auf der Hut ſein, das indiſche Geſetz nicht europaͤiſch auszulegen und darin etwa Kant's kategoriſchen Imperativ zu ſehen, nach dem man die Pflicht nur um ihrer ſelbſt willen thun ſoll; ſelbſt Schleiermacher's in den Monologen ausgeſprochenes Prinzip, das faſt woͤrtlich ſo lautet, wie das indiſche in der Bagavadgita, ſtimmt dem Sinne nach, wenigſtens nicht in allen indiſchen Konſequenzen damit voͤllig uͤberein. | Allein schon hierin müssen wir auf der Hut sein, das indische Gesetz nicht europäisch auszulegen und darin etwa Kants kategorischen Imperativ zu sehen, nach dem man die Pflicht nur um ihrer selbst willen tun soll; selbst Schleiermachers in den Monologen ausgesprochenes Prinzip, das fast wörtlich so lautet, wie das Indische in der Bhagavad Gita, stimmt dem Sinne nach, wenigstens nicht in allen indischen Konsequenzen damit völlig überein. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 425 | Denn, betrachten wir nun, wie das indiſche Leben, ihre Philoſophie und Poeſie ſich geſtaltet hat, ſo ſehen wir ſo recht deutlich, wie tiefgreifend der aͤſthetiſche Grundſatz durch alles dieſes hindurch geht und dem ganzen Inderthum Farbe und Gepraͤge gibt. | Denn, betrachten wir nun, wie das indische Leben, ihre Philosophie und Poesie sich gestaltet hat, so sehen wir so recht deutlich, wie tiefgreifend der ästhetische Grundsatz durch alles dieses hindurchgeht und dem ganzen Indertum Farbe und Gepräge gibt. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 426 | Die Negation der That iſt nichts anders, als die indiſche Geſchichte, Kunſt und Poeſie ſelber. | Die Negation der Tat ist nichts anderes, als die indische Geschichte, Kunst und Poesie selber. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 427 | Das Handeln wird uͤberall vom Denken, Traͤumen, Phantaſiren abſorbirt, ſelbſt dieſes Denken und Phantaſiren zieht ſich immer weiter zuruͤck von der Welt der Sinne, es verſenkt ſich in ſich ſelbſt, es laͤßt im indiſchen Philoſophen und Myſtiker die ganze Welt hinter ſich zuruͤck, um als einſames Ich uͤber ſeinem Ich zu bruͤten, und das goldne Ei der indiſchen Weltphiloſophie auszuhecken, das Nichts und doch Alles in ſich faßt. | Das Handeln wird überall vom Denken, Träumen, Phantasieren absorbiert, selbst dieses Denken und Phantasieren zieht sich immer weiter zurück von der Welt der Sinne, es versenkt sich in sich selbst, es lässt im indischen Philosophen und Mystiker die ganze Welt hinter sich zurück, um als einsames Ich über seinem Ich zu brüten, und das goldene Ei der indischen Weltphilosophie auszuhecken, das Nichts und doch alles in sich fasst. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 428 | Nichts zu denken, war grade die hoͤchſte Aufgabe der Yogalehre. | Nichts zu denken, war gerade die höchste Aufgabe der Yogalehre. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 429 | In der Vertiefung der Menſch muß ſo vertiefen, ſinnentfremdet ſich, Tilgend jeder Begier Streben, von Eigenwillens Sucht erzeugt, Der Sinne Inbegriff baͤndigend mit dem Gemuͤthe ganz und gar, So ſtrebend nach und nach ruh' er, im Geiſt gewinnend Staͤtigkeit, Auf ſich ſelbſt das Gemuͤth heftend und irgend etwas denkend nicht — | In der Vertiefung der Mensch muss so vertiefen, sinnentfremdet sich, tilgend jeder Begier Streben, von Eigenwillens Sucht erzeugt, der Sinne Inbegriff bändigend mit dem Gemüte ganz und gar, so strebend nach und nach ruhe er, im Geist gewinnend Stetigkeit, auf sich selbst das Gemüt heftend und irgendetwas denkend nicht — |
wienbarg_feldzuege_1834 | 430 | So lauten Kriſchnas Worte in der Bagavadgita. | So lauten Krischnas Worte in der Bhagavad Gita. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 431 | Weitere Vorſchriften und Zuͤge ſtellt Wilhelm Humbold aus indiſchen Schriften zuſammen: der Fromme ſoll in einer menſchenleeren reinen Gegend einen nicht zu hohen, nicht zu niedrigen, mit Thierfellen bedeckten Sitz haben, Hals und Nacken unbewegt, den Koͤrper im Gleichgewicht halten, den Odem hoch in das Haupt zuruͤckziehen und gleichmaͤßig durch die Naſenloͤcher aus- und einhauchen, nirgends umherblickend, ſeine Augen gegen die Mitte der Augenbrauen und die Spitze der Naſe richten, und die beruͤhmte Sylbe Om! | Weitere Vorschriften und Züge stellt Wilhelm Humboldt aus indischen Schriften zusammen: Der Fromme soll in einer menschenleeren reinen Gegend einen nicht zu hohen, nicht zu niedrigen, mit Tierfellen bedeckten Sitz haben, Hals und Nacken unbewegt, den Körper im Gleichgewicht halten, den Odem hoch in das Haupt zurückziehen und gleichmäßig durch die Nasenlöcher aus- und einhauchen, nirgends umherblickend, seine Augen gegen die Mitte der Augenbrauen und die Spitze der Nase richten, und die berühmte Silbe Om! |
wienbarg_feldzuege_1834 | 432 | ausſprechen. | aussprechen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 433 | — Zu ſolchem unſchoͤnem, unnatuͤrlichem, ſtumpfem und dumpfem Zuſtande fuͤhrte auf gradem Wege das Prinzip, das der indiſchen Weltanſchauung zum Grunde lag. | — Zu solchem unschönem, unnatürlichem, stumpfem und dumpfem Zustande führte auf geradem Wege das Prinzip, das der indischen Weltanschauung zum Grunde lag. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 434 | Dennoch haben wir es bezeichnet als ein aͤſthetiſches, obwohl es in unſerm und griechiſchem Sinne der Aeſthetik gradezu als unaͤſthetiſch erſcheint. | Dennoch haben wir es bezeichnet als ein ästhetisches, obwohl es in unserem und griechischem Sinne der Ästhetik geradezu als unästhetisch erscheint. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 435 | Allein eben ſo gut, wie wir die Poeſie in indiſchen Gedichten Poeſie nennen, und zur Anerkennung derſelben uns genoͤthigt fuͤhlen, eben ſo gut duͤrfen und muͤſſen wir jene Grundanſicht, die auch der Poeſie vorſchwebt, als aͤſthetiſch bezeichnen, weil ſie auf einem aͤſthetiſchen Punkt wenigſtens beginnt und von ihm ausgeht: naͤmlich von einem beſtimmten Grundgefuͤhl des Lebens, das einmal vorhanden war, moͤgen wir daſſelbe gegenwaͤrtig theilen oder nicht. | Allein ebenso gut, wie wir die Poesie in indischen Gedichten Poesie nennen, und zur Anerkennung derselben uns genötigt fühlen, ebenso gut dürfen und müssen wir jene Grundansicht, die auch der Poesie vorschwebt, als ästhetisch bezeichnen, weil sie auf einem ästhetischen Punkt wenigstens beginnt und von ihm ausgeht: nämlich von einem bestimmten Grundgefühl des Lebens, das einmal vorhanden war, mögen wir dasselbe gegenwärtig teilen oder nicht. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 436 | Nur kann uns keine Pietaͤt gegen die Geſchichte und gegen die geiſtigen Aeußerungen eines der Urvoͤlker des Menſchengeſchlechts die Freiheit benehmen, nach unſern Anſichten und Grundgefuͤhlen ſowohl das Prinzip ſelbſt, als deſſen Einfluß auf Leben, Kunſt und Poeſie zu beurtheilen. | Nur kann uns keine Pietät gegen die Geschichte und gegen die geistigen Äußerungen eines der Urvölker des Menschengeschlechts die Freiheit benehmen, nach unseren Ansichten und Grundgefühlen sowohl das Prinzip selbst, als dessen Einfluss auf Leben, Kunst und Poesie zu beurteilen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 437 | Der in den indiſchen Dichtungen herrſchende Geſchmack iſt fuͤr uns ein Ungeſchmack und als ſolchen hat ihn auch Goethe gegen die Anpreiſung der modernen Inder dargeſtellt. | Der in den indischen Dichtungen herrschende Geschmack ist für uns ein Ungeschmack und als solchen hat ihn auch Goethe gegen die Anpreisung der modernen Inder dargestellt. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 438 | Wir verlangen fuͤr Poeſie und Kunſt vor allen Dingen Charaktere mit ſcharfbegrenzter Individualitaͤt, ſie ſollen ihren Geiſt auf beſtimmte Zwecke richten, deren Verwirklichung fordern und anſtreben und nur in dieſer Eintracht des Willens mit der That ſehen wir poetiſche Lebendigkeit und poetiſche Wirkung. | Wir verlangen für Poesie und Kunst vor allen Dingen Charaktere mit scharfbegrenzter Individualität, sie sollen ihren Geist auf bestimmte Zwecke richten, deren Verwirklichung fordern und anstreben und nur in dieser Eintracht des Willens mit der Tat sehen wir poetische Lebendigkeit und poetische Wirkung. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 439 | Der indiſche Dichter hingegen, dem es auf die That nicht ankommt, der die Harmonie zwiſchen Verſtand und Willen, Denken und Thun nicht als das hoͤchſte Geſetz anerkennt, uͤberlaͤßt ſich ganz naiv der vollen Abſurditaͤt der Phantaſie und der traͤumeriſchen Richtung der Gefuͤhle und erfuͤllt auf dieſe Weiſe das aͤſthetiſche Geſetz im Sinne ſeines Volks, wie er es, im Sinne der neueren Voͤlker uͤbertritt. | Der indische Dichter hingegen, dem es auf die Tat nicht ankommt, der die Harmonie zwischen Verstand und Willen, Denken und Tun nicht als das höchste Gesetz anerkennt, überlässt sich ganz naiv der vollen Absurdität der Phantasie und der träumerischen Richtung der Gefühle und erfüllt auf diese Weise das ästhetische Gesetz im Sinne seines Volks, wie er es, im Sinne der neueren Völker übertritt. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 440 | Man kann ſich kaum einen Begriff machen von den ungeheuerlichen Schoͤpfungen, mit denen ein indiſches Dichterhirn ſchwanger ging. | Man kann sich kaum einen Begriff machen von den ungeheuerlichen Schöpfungen, mit denen ein indisches Dichterhirn schwanger ging. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 441 | Am Ausfuͤhrlichſten und Glaͤnzendſten iſt in dieſer Hinſicht die Epiſode des Ramajuna, dieſes indiſchen Nationalgedichts, das ſich der groͤßeſten Beruͤhmtheit erfreut. | Am Ausführlichsten und Glänzendsten ist in dieser Hinsicht die Episode des Ramajuna, dieses indischen Nationalgedichts, das sich der größten Berühmtheit erfreut. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 442 | Verfolgen Sie nur die charakteriſtiſchen Zuͤge, die den Umriß des Gedichts ausmachen: | Verfolgen Sie nur die charakteristischen Züge, die den Umriss des Gedichts ausmachen: |
wienbarg_feldzuege_1834 | 443 | Wuſchiſta, ein Bramin, lebt in einer Einſiedelei, die mit Blumen, rankenden Pflanzen bedeckt iſt, beobachtend heilige Gebraͤuche, umringt von Weiſen, die dem Opfer und der Wiederholung des heiligen Namens (Om! | Wuschista, ein Brahmane, lebt in einer Einsiedelei, die mit Blumen, rankenden Pflanzen bedeckt ist, beobachtend heilige Gebräuche, umringt von Weisen, die dem Opfer und der Wiederholung des heiligen Namens (Om! |
wienbarg_feldzuege_1834 | 444 | Om! | Om! |
wienbarg_feldzuege_1834 | 445 | ) ihr Leben widmen, 60,000 Weiſen, entſprungen aus den Haaren und Naͤgeln Brahma's, alle ſo groß wie ein Daͤumling. | ) ihr Leben widmen, 60,000 Weisen, entsprungen aus den Haaren und Nägeln Brahmas, alle so groß wie ein Däumling. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 446 | Nun kam einmal der Koͤnig Wiſchwamitra zu jenem Weiſen, weil er die Kuh beſaß, die der Koͤnig zu erhalten wuͤnſchte; zum Preiſe bietet er erſt 100,000 Kuͤhe, dann 14,000 Elephanten mit Saͤtteln und Zeug von purem Gold und außerdem 100 goldene Wagen, jeden von vier weißen Roſſen gezogen. | Nun kam einmal der König Wischwamitra zu jenem Weisen, weil er die Kuh besaß, die der König zu erhalten wünschte; zum Preise bietet er erst 100,000 Kühe, dann 14,000 Elefanten mit Sätteln und Zeug von purem Gold und außerdem 100 goldene Wagen, jeden von vier weißen Rossen gezogen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 447 | Aber umſonſt. | Aber umsonst. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 448 | Er nimmt ſie alſo mit Gewalt. | Er nimmt sie also mit Gewalt. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 449 | Durch Brahma's Huͤlfe erhaͤlt der Weiſe eine Armee von hundert andern Koͤnigen und dieſe zerſtoͤren die Armee des Koͤnigs Wiſchwamitra; und Wiſchwamitra geht verzweiflungsvoll in eine Wildniß. | Durch Brahmas Hilfe erhält der Weise eine Armee von hundert anderen Königen und diese zerstören die Armee des Königs Wischwamitra; und Wischwamitra geht verzweiflungsvoll in eine Wildnis. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 450 | So groß iſt die Macht des Brahma. | So groß ist die Macht des Brahma. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 451 | Allein in der Wildniß uͤbernimmt der Fluͤchtige die ſtrengſten Uebungen, um Shivas oder Mahadevas, des boͤſen Geiſtes, Geiſt und Unterſtuͤtzung zu erlangen; er ſteht auf den Spitzen ſeiner großen Zeh, mit aufgehobenen Haͤnden, wie eine Schlange von Luft gefuͤttert — hundert Jahre lang. | Allein in der Wildnis übernimmt der Flüchtige die strengsten Übungen, um Shivas oder Mahadevas, des bösen Geistes, Geist und Unterstützung zu erlangen; er steht auf den Spitzen seiner großen Zeh, mit aufgehobenen Händen, wie eine Schlange von Luft gefüttert — hundert Jahre lang. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 452 | Der Gott gewaͤhrt dem Koͤnige die von ihm verlangte Kunſt des Bogens in ihrem ganzen zerſtoͤrenden Umfang. | Der Gott gewährt dem Könige die von ihm verlangte Kunst des Bogens in ihrem ganzen zerstörenden Umfang. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 453 | Er gebraucht ſie, um an dem betenden Brahminen Wuſchiſta Rache zu nehmen, er verbrennt und verwuͤſtet den Wald, den Schauplatz der Devotion deſſelben, ſo daß die Weiſen, Thiere, Voͤgel zu Tauſenden davonfliehen. | Er gebraucht sie, um an dem betenden Brahminen Wuschista Rache zu nehmen, er verbrennt und verwüstet den Wald, den Schauplatz der Devotion desselben, so dass die Weisen, Tiere, Vögel zu Tausenden davonfliehen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 454 | Aber Wiſchnu's Bogen, vor dem ſonſt die Goͤtter und alle drei Welten in Schrecken gerathen, wird zu Schanden vor dem einfachen Stabe, den Wuſchiſta in der Hand fuͤhrt. | Aber Wischnus Bogen, vor dem sonst die Götter und alle drei Welten in Schrecken geraten, wird zuschanden vor dem einfachen Stabe, den Wuschista in der Hand führt. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 455 | So groß iſt Brahma's Macht. | So groß ist Brahmas Macht. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 456 | Der Koͤnig ſieht es, ſeufzt und faͤngt eine neue Laufbahn ſtrenger Uebungen und Abſtraktionen an, um nur erſt Brahmane zu werden. | Der König sieht es, seufzt und fängt eine neue Laufbahn strenger Übungen und Abstraktionen an, um nur erst Brahmane zu werden. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 457 | Daruͤber bringt er tauſend Jahre zu. | Darüber bringt er tausend Jahre zu. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 458 | Dieſes gefaͤllt Brahma und nach Verlauf der Zeit erklaͤrt er ihn fuͤr einen koͤniglichen Weiſen. | Dieses gefällt Brahma und nach Verlauf der Zeit erklärt er ihn für einen königlichen Weisen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 459 | Wiſchwamitra laͤßt aber ſein Haupt mit Scham haͤngen und ſpricht voll Verdruß: nachdem ich ſolche Uebungen vollbracht, nur ein koͤniglicher Weiſer (die koͤnigliche Weisheit muß ſchon damals fuͤr nicht weit her gehalten ſein). | Wischwamitra lässt aber sein Haupt mit Scham hängen und spricht voll Verdruss: nachdem ich solche Übungen vollbracht, nur ein königlicher Weiser (die königliche Weisheit muss schon damals für nicht weit hergehalten sein). |
wienbarg_feldzuege_1834 | 460 | Ich achte mich fuͤr nichts und damit beginnt er von Neuem ſeine Uebungen und Abſtraktionen. | Ich achte mich für nichts und damit beginnt er von Neuem seine Übungen und Abstraktionen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 461 | Indeſſen faͤllt es einem gewiſſen Fuͤrſten Trichunko, einem Mann der Wahrheit, von beſiegten Leidenſchaften, ein, ob er nicht in ſeinem koͤrperlichen Zuſtande unter die Goͤtter kommen koͤnne. | Indessen fällt es einem gewissen Fürsten Trichunko, einem Mann der Wahrheit, von besiegten Leidenschaften, ein, ob er nicht in seinem körperlichen Zustande unter die Götter kommen könne. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 462 | Er wendet ſich an Wuſchiſta, allein dieſer erklaͤrt ihm die Unmoͤglichkeit der Sache, ſpricht einen Fluch uͤber ſeinen Frevel und macht eine niedrige Kreatur aus ihm. | Er wendet sich an Wuschista, allein dieser erklärt ihm die Unmöglichkeit der Sache, spricht einen Fluch über seinen Frevel und macht eine niedrige Kreatur aus ihm. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 463 | Der eiferſuͤchtige Wiſchwamitra aber erbietet ſich, durch ein Opfer den ungluͤcklichen Fuͤrſten wirklich in den Himmel zu verſetzen. | Der eifersüchtige Wischwamitra aber erbietet sich, durch ein Opfer den unglücklichen Fürsten wirklich in den Himmel zu versetzen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 464 | Er ladet den Wiſchuſta und die Goͤtter zu dieſem Opfer ein, aber unwillig ſchlagen ſie die Einladung aus. | Er ladet den Wischusta und die Götter zu diesem Opfer ein, aber unwillig schlagen sie die Einladung aus. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 465 | Voll Zorn ergreift nun der große Wiſchwamitra den geheiligten Kochloͤffel und ſchwoͤrt, kraft ſeiner geuͤbten Enthaltſamkeiten, ſeinen Freund und Schuͤtzling wohl von ſelbſt in den Himmel zu bringen. | Voll Zorn ergreift nun der große Wischwamitra den geheiligten Kochlöffel und schwört, kraft seiner geübten Enthaltsamkeiten, seinen Freund und Schützling wohl von selbst in den Himmel zu bringen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 466 | Trichunko ſteigt wirklich in den Himmel empor; allein, angekommen, wirft ihn Indra, der Gott des Himmels, wieder heraus. | Trichunko steigt wirklich in den Himmel empor; allein, angekommen, wirft ihn Indra, der Gott des Himmels, wieder heraus. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 467 | Wiſchwamitra ſieht ihn fallen und nach Huͤlfe ſchreien; er ruft halt und auf dieſen Zuruf bleibt er ſo zwiſchen Himmel und Erde hangen. | Wischwamitra sieht ihn fallen und nach Hilfe schreien; er ruft halt und auf diesen Zuruf bleibt er so zwischen Himmel und Erde hangen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 468 | Dann ſchafft Wiſchwamitra im vollen Zorn einen ganz neuen Himmel und andere Goͤtter darin und an ihrer Spitze einen neuen Indra. | Dann schafft Wischwamitra im vollen Zorn einen ganz neuen Himmel und andere Götter darin und an ihrer Spitze einen neuen Indra. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 469 | Die Goͤtter und Weiſen, verſteinert vor Erſtaunen, wenden ſich hierauf an Wiſchwamitra um Einhalt und bitten ihn demuͤthig, nicht auf die Verſetzung eines vom Brahminen Verfluchten ohne vorhergaͤngige Reinigung zu beſtehen und uͤberhaupt die alte gute Ordnung im Himmel und auf Erden zu zerſtoͤren. | Die Götter und Weisen, versteinert vor Erstaunen, wenden sich hierauf an Wischwamitra um Einhalt und bitten ihn demütig, nicht auf die Versetzung eines vom Brahminen verfluchten ohne vorhergehende Reinigung zu bestehen und überhaupt die alte gute Ordnung im Himmel und auf Erden zu zerstören. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 470 | Der Koͤnig beharrt auf dem, was er ſprach, doch vereinigt er ſich zuletzt auf guͤtliche Weiſe uͤber einen Platz nicht im Himmel, ſondern am Himmel. | Der König beharrt auf dem, was er sprach, doch vereinigt er sich zuletzt auf gütliche Weise über einen Platz nicht im Himmel, sondern am Himmel. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 471 | Nach tauſend Jahren vollbrachter Abſtraktionen erklaͤrt Brahma den Koͤnig fuͤr einen oberſten Weiſen. | Nach tausend Jahren vollbrachter Abstraktionen erklärt Brahma den König für einen obersten Weisen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 472 | Noch nicht zufrieden damit, faͤngt er einen neuen Kurſus an; hier kommt aber zu ſeinem Ungluͤck ein ſchoͤnes Maͤdchen (die Mutter der Sakontula) zu ihm und nimmt ſo ſehr ſeine Sinne gefangen, daß er 25 Jahr mit ihr vertaͤndelt. | Noch nicht zufrieden damit, fängt er einen neuen Kursus an; hier kommt aber zu seinem Unglück ein schönes Mädchen (die Mutter der Sakontula) zu ihm und nimmt so sehr seine Sinne gefangen, dass er 25 Jahr mit ihr vertändelt. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 473 | Erwachend aus dieſer Vergeſſenheit faͤngt er ein neues Jahrtauſend ſtrenger Buͤßungen an. | Erwachend aus dieser Vergessenheit fängt er ein neues Jahrtausend strenger Büßungen an. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 474 | Die Goͤtter gerathen ſchon in Bangigkeit, er werde ihnen durch ſeine ſtupende Froͤmmigkeit neues Ungluͤck bereiten. | Die Götter geraten schon in Bangigkeit, er werde ihnen durch seine stupende Frömmigkeit neues Unglück bereiten. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 475 | Brahma geſteht ihm darauf das Prinzipat unter den oberſten Weiſen zu. | Brahma gesteht ihm darauf das Prinzipat unter den obersten Weisen zu. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 476 | Auf des Koͤnigs Frage, warum er noch nicht zu einem Brahma-Weiſen ernannt werde, erklaͤrt Brahma: noch haſt du deine Leidenſchaften, Zorn, Luſt und Liebe nicht unterjocht. | Auf des Königs Frage, warum er noch nicht zu einem Brahmaweisen ernannt werde, erklärt Brahma: noch hast du deine Leidenschaften, Zorn, Lust und Liebe nicht unterjocht. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 477 | Abermals beginnt er ſeine Uebungen; aber vergebens ſucht ihn Indra durch das ſchoͤnſte Maͤdchen zur Liebe und durch allerhand Schelmenſtreiche zum Aerger zu reizen. | Abermals beginnt er seine Übungen; aber vergebens sucht ihn Indra durch das schönste Mädchen zur Liebe und durch allerhand Schelmenstreiche zum Ärger zu reizen. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 478 | Nachdem der Chef der Weiſen tauſend Jahr lang geſchwiegen, wird dem Gott Indra im Himmel bang um den Himmel. | Nachdem der Chef der Weisen tausend Jahr lang geschwiegen, wird dem Gott Indra im Himmel bang um den Himmel. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 479 | Er wendet ſich an Brahma. | Er wendet sich an Brahma. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 480 | In dieſem großen Weiſen, ſagt er, iſt nicht der kleinſte Schatten einer Suͤnde mehr — wenn das Verlangen ſeines Geiſtes nicht geſtillt wird, wird er mit ſeiner Abſtraktion das ganze Univerſum zerſtoͤren. | In diesem großen Weisen, sagt er, ist nicht der kleinste Schatten einer Sünde mehr — wenn das Verlangen seines Geistes nicht gestillt wird, wird er mit seiner Abstraktion das ganze Universum zerstören. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 481 | Die Extreme der Welt ſind in Verwirrung, das Meer brauſt, die Berge ſtuͤrzen ein, die Erde zittert — o Brahma! | Die Extreme der Welt sind in Verwirrung, das Meer braust, die Berge stürzen ein, die Erde zittert — o Brahma! |
wienbarg_feldzuege_1834 | 482 | So wird nun Wiſchwamitra von Brahma endlich zum Brahmaweiſen erklaͤrt und verſoͤhnt ſich mit Wuſchiſta, der weniger kuͤhn, es noch nicht ſo weit gebracht hat, als er. | So wird nun Wischwamitra von Brahma endlich zum Brahmaweisen erklärt und versöhnt sich mit Wuschista, der weniger kühn, es noch nicht so weit gebracht hat, als er. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 483 | In dieſem Gedicht liegt die indiſche Weltanſchauung, wie in dem Satz des Kriſchna die aͤſthetiſche Quelle derſelben. | In diesem Gedicht liegt die indische Weltanschauung, wie in dem Satz des Krischna die ästhetische Quelle derselben. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 484 | Wie anders lautet das aͤſthetiſche Prinzip im Munde eines griechiſchen Gottes, und wie ſehr verſchieden iſt das chriſtliche von beiden. | Wie anders lautet das ästhetische Prinzip im Munde eines griechischen Gottes, und wie sehr verschieden ist das christliche von beiden. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 485 | Die aͤſthetiſche Weltanſchauung, die im Griechenthum und Chriſtenthum ſich offenbart, wird das Object der naͤchſten Vorleſung ſein. | Die ästhetische Weltanschauung, die im Griechentum und Christentum sich offenbart, wird das Objekt der nächsten Vorlesung sein. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 486 | Im Indiſchen, wie wir geſehen, verwirrt ſich der von der That und der Welt der Sinne ſich losſagende Gedanke einerſeits in das Gebiet der abſtruſeſten Phantaſiebilder, andererſeits in einen bodenloſen Abgrund der Myſtik, wo er uͤberhaupt aufhoͤrt Gedanke zu ſein und als ein Nichts uͤber dem Nichts in ſchauerlicher Oede hinbruͤtet. | Im Indischen, wie wir gesehen, verwirrt sich der von der Tat und der Welt der Sinne sich lossagende Gedanke einerseits in das Gebiet der abstrusesten Phantasiebilder, andererseits in einen bodenlosen Abgrund der Mystik, wo er überhaupt aufhört Gedanke zu sein und als ein Nichts über dem Nichts in schauerlicher Öde hinbrütet. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 487 | Die aͤſthetiſche Weltanſchauung der Indier machte nur die Augen auf, um ſie wieder zu ſchließen, ſie ward ſich der Sinne nur bewußt, als zu vernichtender Widerſpiele des Geiſtes, des Geiſtes nur als einer zu toͤdtenden Mannigfaltigkeit von Gedanken, Gefuͤhlen und Beſtrebungen, der ganzen Welt nur, als einer kriminaliſtiſchen Mummerei wechſelnder Geſtalten, welche aus Blumen und Thieraugen den Menſchen wehmuͤthig ſchmerzlich anſehen und in Gemeinſchaft mit ihm nach der Zeit ſchmachten, wo ihre Larven fallen und ſie wieder in den Zuſtand der Seligkeit, das iſt der Bewußtloſigkeit, der Vernichtung zuruͤckkehren. | Die ästhetische Weltanschauung der Inder machte nur die Augen auf, um sie wieder zu schließen, sie wurde sich der Sinne nur bewusst, als zu vernichtender Widerspiele des Geistes, des Geistes nur als einer zu tötenden Mannigfaltigkeit von Gedanken, Gefühlen und Bestrebungen, der ganzen Welt nur, als einer kriminalistischen Mummerei wechselnder Gestalten, welche aus Blumen und Tieraugen den Menschen wehmütig schmerzlich ansehen und in Gemeinschaft mit ihm nach der Zeit schmachten, wo ihre Larven fallen und sie wieder in den Zustand der Seligkeit, das ist der Bewusstlosigkeit, der Vernichtung zurückkehren. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 488 | — Zu verweſen bei lebendigem Leibe, dieſe ſchauderhafte Sehnſucht zieht ſich durch die indiſche Welt, und erfuͤllt uns mit einem ſeltſamen, unheimlichen Gefuͤhl, das uns durch den ganzen Orient begleitet und uns nicht eher verlaͤßt, als bis wir an den Ufern des lebensfriſchen und lebensfrohen Griechenlands Athem holend angelangt ſind. | — Zu verwesen bei lebendigem Leibe, diese schauderhafte Sehnsucht zieht sich durch die indische Welt, und erfüllt uns mit einem seltsamen, unheimlichen Gefühl, das uns durch den ganzen Orient begleitet und uns nicht eher verlässt, als bis wir an den Ufern des lebensfrischen und lebensfrohen Griechenlands Atem holend angelangt sind. |
wienbarg_feldzuege_1834 | 489 | Welcher Himmel, welche Erde, welche Menſchen, welche Goͤtter, welche Geſchichte, welche Gedichte, welche Natur, welche Kunſt, das Alles iſt Griechenland und man muß ſtaunen und ſich verwundern, daß zwei ſo ungleiche Laͤnder, wie Indien und Griechenland, auf einem und demſelben Planeten zuſammen liegen. | Welcher Himmel, welche Erde, welche Menschen, welche Götter, welche Geschichte, welche Gedichte, welche Natur, welche Kunst, das alles ist Griechenland und man muss staunen und sich verwundern, dass zwei so ungleiche Länder, wie Indien und Griechenland, auf einem und demselben Planeten zusammenliegen. |